Videounterstützte Selbstkontrolle in der chirurgischen Lehre; Video-based self-control in...

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U. Dahmen 1  · C. Sänger 1  · C. Wurst 2  · J. Arlt 1  · W. Wei 1  · F. Dondorf 2  · B. Richter 2    U. Settmacher 2  · O. Dirsch 3 1    Klinik für Allgemein,-Viszeral- und Gefäßchirurgie,  Experimentelle Transplantationschirurgie, Universitätsklinikum Jena, Jena 2  Klinik für Allgemein,-Viszeral- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Jena, Jena 3  Institut für Pathologie, Universitätsklinikum Jena, Jena Videounterstützte  Selbstkontrolle in der  chirurgischen Lehre Ein neues Tool in einem neuen Konzept Laut Approbationsordnung muss der Vermittlung manueller klinischer Fertigkeiten ein größerer Stellen- wert eingeräumt werden. Aufgrund der Arbeitsverdichtung kann klini- sche Lehre nicht mehr im Routinebe- trieb „nebenbei“ und durch Nachah- mung erfolgen. Innovative Konzepte und Tools werden verlangt, wobei die Digitalisierung und Medialisierung neue Wege ermöglichen. Ein zeitgemäßes Lehrkonzept erfor- dert die Integration der neuen Me- dien und bewährter Lernkonzepten. Unser Konzept beruht auf der krite- riengestützten bild- und videobasier- ten Ergebnis- und Prozesskontrolle, bei der durch unmittelbare Rückkop- pelung zum eigenen Übungsergebnis ein nachhaltiger und motivierender Lernerfolg ermöglicht wird. Studierende der Medizin und auch Wei- terbildungsassistentInnen müssen eine Vielzahl manueller klinischer Fertigkei- ten erlernen [1]. Das Spektrum reicht von Untersuchungstechniken über Interven- tionen bis hin zu chirurgischen Tech- niken, wie sie beim Operieren benötigt werden. Chirurgische Techniken gehö- ren zu den komplexen manuellen klini- schen Fertigkeiten. Die Fertigkeit beruht auf der Kombination von Wissen um ana- tomisch-topographische und physiologi- sche Zusammenhänge und dem manuel- len Geschick sowie dem Zusammenspiel technischer Faktoren wie Instrumenten und Nahtmaterialien. Traditionell wurden klinische Fertig- keiten durch die sporadische Gelegen- heit zur Nachahmung am Patienten ver- mittelt. Der zunehmende ökonomische Druck sowie das ethische Empfinden dem Patienten gegenüber schränken das Üben von Fertigkeiten am Patienten in der kli- nischen Routine ein. Der klassische Kontrollmechanismus beim traditionellen Lernen durch Nach- ahmen ist die Supervision durch den er- fahreneren Kliniker. Der Lernende ist auf die Korrektur durch den Lehrenden an- gewiesen. In einer Zeit der zunehmenden Arbeitsverdichtung reduziert sich der Freiraum des Klinikers für Ausbildungs- aktivitäten. Lernen durch Nachahmung erschwert die Eigenbeurteilung durch den Lernenden. In der unkontrollier- ten klinischen Übungssituation ist es für den Lernenden schwierig, zu einer qua- lifizierten Einschätzung seiner Ergebnis- und Prozessqualität zu gelangen. Dem Lernenden soll ein innovatives Tool zur Verfügung gestellt werden, um die Eigenbeurteilung zu erleichtern: die bild- und videobasierte Ergebnis- und Prozesskontrolle. Sie stellt einen wesent- lichen Bestandteil eines neuen Lernkon- zeptes dar. Dieses Lernkonzept wurde am Beispiel eines Nahtkurses entwickelt, an- gewendet und evaluiert. Das neue Lernkonzept Kurrikulum Das Kurrikulum des Nahtkurses besteht aus einem theoretischen Teil sowie einem praktischen Teil. Im theoretischen Teil werden die dem Kurs zugrunde liegen- den Lerntheorien sowie die chirurgischen Themen vorgestellt. Die chirurgischen Themen umfassen Naht- und Instrumen- tenkunde, Aufbau von Haut und Darm- wand, Nahttechniken, und Anastomosen- techniken. Der praktische Teil des Kurri- kulums besteht aus Übungen zu Knoten- techniken, Instrumentenhandling, Naht- techniken und Anastomosentechniken (. Tab. 1). Leitthema Chirurg 2013  DOI 10.1007/s00104-013-2528-6 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 1 Der Chirurg 2013|

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U. Dahmen1 · C. Sänger1 · C. Wurst2 · J. Arlt1 · W. Wei1 · F. Dondorf2 · B. Richter2  U. Settmacher2 · O. Dirsch3

1  Klinik für Allgemein,-Viszeral- und Gefäßchirurgie, 

Experimentelle Transplantationschirurgie, Universitätsklinikum Jena, Jena2 Klinik für Allgemein,-Viszeral- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Jena, Jena3 Institut für Pathologie, Universitätsklinikum Jena, Jena

Videounterstützte Selbstkontrolle in der chirurgischen LehreEin neues Tool in einem neuen Konzept

Laut Approbationsordnung muss der Vermittlung manueller klinischer Fertigkeiten ein größerer Stellen-wert eingeräumt werden. Aufgrund der Arbeitsverdichtung kann klini-sche Lehre nicht mehr im Routinebe-trieb „nebenbei“ und durch Nachah-mung erfolgen. Innovative Konzepte und Tools werden verlangt, wobei die Digitalisierung und Medialisierung neue Wege ermöglichen.Ein zeitgemäßes Lehrkonzept erfor-dert die Integration der neuen Me-dien und bewährter Lernkonzepten. Unser Konzept beruht auf der krite-riengestützten bild- und videobasier-ten Ergebnis- und Prozesskontrolle, bei der durch unmittelbare Rückkop-pelung zum eigenen Übungsergebnis ein nachhaltiger und motivierender Lernerfolg ermöglicht wird.

Studierende der Medizin und auch Wei-terbildungsassistentInnen müssen eine Vielzahl manueller klinischer Fertigkei-ten erlernen [1]. Das Spektrum reicht von Untersuchungstechniken über Interven-tionen bis hin zu chirurgischen Tech-niken, wie sie beim Operieren benötigt werden. Chirurgische Techniken gehö-

ren zu den komplexen manuellen klini-schen Fertigkeiten. Die Fertigkeit beruht auf der Kombination von Wissen um ana-tomisch-topographische und physiologi-sche Zusammenhänge und dem manuel-len Geschick sowie dem Zusammenspiel technischer Faktoren wie Instrumenten und Nahtmaterialien.

Traditionell wurden klinische Fertig-keiten durch die sporadische Gelegen-heit zur Nachahmung am Patienten ver-mittelt. Der zunehmende ökonomische Druck sowie das ethische Empfinden dem Patienten gegenüber schränken das Üben von Fertigkeiten am Patienten in der kli-nischen Routine ein.

Der klassische Kontrollmechanismus beim traditionellen Lernen durch Nach-ahmen ist die Supervision durch den er-fahreneren Kliniker. Der Lernende ist auf die Korrektur durch den Lehrenden an-gewiesen. In einer Zeit der zunehmenden Arbeitsverdichtung reduziert sich der Freiraum des Klinikers für Ausbildungs-aktivitäten. Lernen durch Nachahmung erschwert die Eigenbeurteilung durch den Lernenden. In der unkontrollier-ten klinischen Übungssituation ist es für den Lernenden schwierig, zu einer qua-

lifizierten Einschätzung seiner Ergebnis- und Prozessqualität zu gelangen.

Dem Lernenden soll ein innovatives Tool zur Verfügung gestellt werden, um die Eigenbeurteilung zu erleichtern: die bild- und videobasierte Ergebnis- und Prozesskontrolle. Sie stellt einen wesent-lichen Bestandteil eines neuen Lernkon-zeptes dar. Dieses Lernkonzept wurde am Beispiel eines Nahtkurses entwickelt, an-gewendet und evaluiert.

Das neue Lernkonzept

Kurrikulum

Das Kurrikulum des Nahtkurses besteht aus einem theoretischen Teil sowie einem praktischen Teil. Im theoretischen Teil werden die dem Kurs zugrunde liegen-den Lerntheorien sowie die chirurgischen Themen vorgestellt. Die chirurgischen Themen umfassen Naht- und Instrumen-tenkunde, Aufbau von Haut und Darm-wand, Nahttechniken, und Anastomosen-techniken. Der praktische Teil des Kurri-kulums besteht aus Übungen zu Knoten-techniken, Instrumentenhandling, Naht-techniken und Anastomosentechniken (. Tab. 1).

Leitthema

Chirurg 2013 DOI 10.1007/s00104-013-2528-6© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

1Der Chirurg 2013  | 

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»  „Active stepwise model- and awareness-based learning from own errors“

Lehrkonzept

Das Lernkonzept beruht auf 5 Prin-zipien:1. Lerne aktiv durch die eigene Ausein-

andersetzung mit den Inhalten [15].2. Lerne am Modell [5].3. Lerne durch kleine Schritte (operan-

tes Lernen [17]).4. Lerne bewusst durch Verbalisieren

der Schritte [12].

5. Lernen aus Fehlern durch bewuss-te Analyse des Prozesses (Plan-Do-Check-Act [PDCA] -Zyklus [3]).

Umsetzung des Lehrkonzeptes

Die Umsetzung dieses Lernkonzep-tes wird am Beispiel der Übung „Einzel-knopfnaht“ illustriert.1. Lernen durch aktive Auseinanderset-

zung: Jeder Student befasst sich theo-retisch mit einem Aspekt der zu erler-nenden klinischen Fertigkeit und prä-sentiert sein Thema, z. B. die Einzel-knopfnaht, in einem Kurzvortrag.

2. Lernen am Modell: Die angestrebten klinischen Fertigkeiten (Knoten und Nähen) werden in Übungssituationen am Surrogatmodell eingeübt. Nur am Modell hat der Student die Gelegen-heit, die klinische Fertigkeit entspre-chend seines persönlichen Übungsbe-darfes zu wiederholen. In der Modell-situation sind auftretende Fehler ir-relevant, da kein Patient potenziell ge-fährdet und der klinische Routinebe-trieb nicht aufgehalten wird.

3. Lernen durch kleine Schritte: Die Fer-tigkeit wird in einfach zu lernende Teilschritte zerlegt und diese sepa-rat geübt (operantes Lernen in Anleh-nung an Skinner 1958 [17]).

Das Erreichen jedes kleinen Schritts för-dert die Motivation (aus [18]).

Der Schwierigkeitsgrad wird erst ge-steigert, wenn die einfache Übung sicher beherrscht wird (Level-Prinzip).

Die Durchführung einer Hautnaht wird dabei als komplexe Bewegung auf-

gefasst. Die komplexe Bewegung wird in einer Serie einfacher Bewegungsfolgen zerlegt, die isoliert geübt werden. Vor dem Durchführen der ersten Nahtübung wer-den folgende Einzelschritte in verschiede-nen Übungen separat trainiert: Aufnah-me und Handhabung von Pinzette, Na-delhalter und Schere, Einstich- und Aus-stichübung, Nadeltransfer, Instrumenten-knoten.4. Bewusst lernen durch Verbalisieren der

Schritte: Jedem Übungsschritt geht eine Verbalisierung des Schrittes vo-raus, um sich des Prozesses in der Komplexität seiner Schritte bewusst zu werden [3]. Das Peyton-Prinzip beinhaltet vier Schritte:

1 die Übung, z. B. die Erstellung eines chirurgischen Knotens, wird vom Dozenten demonstriert;

1 die Demonstration wird vom Do-zenten mit Kommandos für jeden Schritt der Bewegungsfolge kom-mentiert;

1 die Übungsschritte werden vom Studenten angesagt und vom Do-zenten durchgeführt;

1 die Übung wird vom Studenten unter Ansagen der Kommandos durchgeführt.

So lauten die ersten Kommandos zur Durchführung einer Einzelknopfnaht: Aufnehmen des Nadelhalters mit Daumen und Ringfinger, Zeigefinger an Schloss, Aufnehmen der Pinzette in Schreibfeder-haltung, Einspannen der Nadel am Über-gang vom mittleren zum hinteren Drit-tel, Nadel im rechten Winkel zum Nadel-halter, maximale Pronation des rechten

Tab. 1  Kurrikulum des Wahlpflichtkurses „Intensivkurs Chirurgische Techniken“ (28 h)

Theorie Übungen

PDCA (“plan-do-check-act”)-Cycle

Hände- desinfektion

Händedesinfektion

Knotentechniken Chirurgische Knoten–  Fingerknoten, Hand-

knoten–  Knotenkombinatio-

nen: Rutschknoten, Sicherungsknoten

– Kreuzknoten

Instrumenten-kunde

Instrumenten-Handling–  Nadelhalter, Pinzette 

aufnehmen– Nadeltransfer– Intrumentenknoten

Nahtmaterial  

Aufbau der Haut  

Nahttechniken– Einzelknopfnaht– Donati– Allgöwer– Intrakutan

Nahtübung (Schaum-stoff)– Inzision– Ein- und Ausstich–  InstrumentenknotenHautnähte (Schweine-fuß)– Einzelnopfnaht– Donati– Allgöwer– Intrakutan

Drainagen Drainage und Fixation

Aufbau des Darmes

Darm- anastomosen–  Blindsack- 

verschluss– Strikturoplastik–  End-zu-End- 

Anastomose

Darmanastomosen–  Nahtübung: Einzel-

knopf, fortlaufend– Blindsackverschluss– Strikturoplastik–  End-zu-End- 

Anastomose

Tab. 2  Vergleich von bild- und videobasierter Fehleranalyse

    Bildbasierte Fehleranalyse Videobasierte Fehleranalyse

Eigen-schaften

Qualität Ergebnisqualität Prozessqualität

Verfahren Statisch (Ergebnis messen) Dynamisch (Bewegung „lesen“)

Vergleich „Ist“-Ergebnis vs.  „Soll“-Ergebnis

„Ist“-Bewegung vs. „Soll“-Bewegung

Kriterien Messbar: Vorgabe messbarer Kriterien

Beobachtbar: Vorgabe von Beobach-tungspunkte in Kernbewegungen

Die 3 „B‘s“

Beobachten (Plan)

Messen/Abschätzen der Lage von Zielstrukturen zueinander

Identifikation von Kernbewegungen

Beurteilen (Check)

Erkennen der quantitativen Abweichung vom Soll- ergebnis

Erkennen der Abweichung vom Soll-Ablauf (= Fehlererkennung im Bewegungsablauf)

Beraten (Act) Anweisung zur Handlungs-korrektur

Anweisung zur Bewegungskorrektur

2 |  Der Chirurg 2013

Leitthema

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Handgelenkes, Ansetzen der Nadel im rechten Winkel, drehende Bewegung der Nadel durch alle Hautschichten.5. Lernen aus Fehlern: Gemäß dem

PDCA-Prinzip wird vor jedem Übungsdurchgang definiert, was in diesem Übungsdurchgang erzielt wer-den soll.

Das Ziel der Nahtübung muss konkret for-muliert werden, d. h. nicht global „ich möchte die Übung besser machen“, son-dern konkret „ich möchte bei der folgen-den Nahtübung darauf achten, dass die Stiche 5 mm voneinander entfernt sind“.

Die Übung muss analysiert werden. Nach Abschluss der Übung wird das Er-gebnis im Hinblick auf das zuvor formu-lierte Ziel analysiert.

Ziel der Analyse ist es, Fehler und ih-re Ursachen zu identifizieren. Es kommt darauf an, den Fehler so genau wie mög-lich zu benennen. Es reicht nicht festzu-stellen, „Naht ist schlecht“, sondern es muss eine genaue Beschreibung des Feh-lers gegeben werden, z. B. „Stiche sind nicht in gleichmäßigem Abstand vonein-ander“. Anschließend muss die Ursache für den Fehler identifiziert werden, z. B. „Abschätzung von Abständen schwierig“ und eine Maßnahme zur Lösung definiert werden.

Aus dem Erkennen der Fehlerursache ergeben sich neue Teilübungen. Zum einen könnte der Lernende üben, Abstände zu schätzen, indem er versucht Punkte im ge-wünschten Abstand auf ein Blatt Papier zu zeichnen. Zum anderen könnte der Ler-nende die Durchführung der Nahtübung nach Einzeichnen der Ein- und Ausstiche auf dem Übungsmaterial üben.

Die Teilübungen müssen separat trai-niert werden. Erst nach Beherrschung bei-der Übungen bis zum Erreichen der zu-vor definierten Kriterien wird die komple-xe Nahtübung wieder durchgeführt, jetzt allerdings mit höherer Wahrscheinlich-keit auf Erfolg.

D Zur Unterstützung der Eigen-kontrolle durch den Lernenden wird ein innovatives Analyseinstrument eingesetzt – die bild- und video-basierte Selbstkontrolle.

Jede Durchführung einer Übung wird vi-deo- und das Ergebnis fotodokumentiert. So wird die Prozessqualität und die Er-gebnisqualität einer gemeinsamen Analy-se durch Lehrende und Lernende zugäng-lich. Der Lernende wird angeleitet, die kri-terienbasierte Selbstanalyse seines Video- und Bildmaterials selbstständig durchzu-führen. Die Analyse der Bild- und Video-

dokumentation erfolgt nach den gleichen Prinzipien (. Tab. 2).

Die Analyse der Ergebnisqualität ist vergleichsweise einfach durchzuführen und zu vermitteln. Zu jeder Übung wer-den einfache messbare statische Kriterien definiert, die am Bild leicht zu überprüfen sind (z. B. Abstand [mm] von Ein- und Ausstich zur Inzision; . Tab. 3).

Zusammenfassung · Abstract

Chirurg 2013 · [jvn]:[afp]–[alp]   DOI 10.1007/s00104-013-2528-6© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

U. Dahmen · C. Sänger · C. Wurst · J. Arlt · W. Wei · F. Dondorf · B. Richter  U. Settmacher · O. Dirsch

Videounterstützte Selbstkontrolle in der chirurgischen Lehre. Ein neues Tool in einem neuen Konzept

ZusammenfassungHintergrund.  Die bild- und videobasierte Er-gebnis- und Prozesskontrolle stellt einen we-sentlichen Bestandteil eines neuen Lernkon-zeptes zur Vermittlung chirurgischer Fertig-keiten dar. Das neue Lehrkonzept integriert bewährte Lehrprinzipien und neue Medien.Methode.  Jede Durchführung einer Übung wird video- und das Ergebnis fotodoku-mentiert. So werden die Prozess- und die Er-gebnisqualität einer gemeinsamen Analy-se durch Lehrende und Lernende zugänglich. Der Lernende wird angeleitet die kriterienba-sierte Selbstanalyse seines Video- und Bild-materials selbstständig durchzuführen.Ergebnisse.  Das neue Lernkonzept wur-de in bisher 7 Durchgängen im Rahmen des neu konzipierten modularen Kurses „Intensiv-kurs Chirurgische Techniken“ erfolgreich an-

gewendet. Die Ergebnisdokumentation und -analyse per Digitalbild wurde nahezu von al-len Studenten vollständig durchgeführt. Die Ergebnisqualität war insgesamt hoch. Die Qualität der erzielten Ergebnisse korrelierte interessanterweise nicht mit der Übungszeit. Der Lernerfolg war nachhaltig.Fazit.  Das neue und aufwendige Konzept verbessert die Qualität der Lehre. Längerfri-stig sollen damit Ressourcen in der Patienten-versorgung eingespart werden, die der Wei-terentwicklung der Lehre zugutekommen.

SchlüsselwörterChirurgische Lehre  · Videounterstützte  Prozesskontrolle · Lernkonzept · Vermittlung chirurgischer Fertigkeiten · Kriterienbasierte Selbstanalyse

Video-based self-control in surgical teaching. A new tool in a new concept

AbstractBackground.  Image and video-based re-sults and process control are essential tools of a new teaching concept for conveying sur-gical skills. The new teaching concept inte-grates approved teaching principles and new media.Method.  Every performance of exercises is videotaped and the result photographical-ly recorded. The quality of the process and re-sult becomes accessible for an analysis by the teacher and the student/learner. The learner is instructed to perform a criteria-based self-analysis of the video and image material by themselves.Results.  The new learning concept has so far been successfully applied in seven rounds within the newly designed modular class “In-tensivkurs Chirurgische Techniken” (Inten-sive training of surgical techniques). Result 

documentation and analysis via digital pic-ture was completed by almost every student. The quality of the results was high. Interest-ingly the result quality did not correlate with the time needed for the exercise. The training success had a lasting effect.Conclusion.  The new and elaborate con-cept improves the quality of teaching. In the long run resources for patient care should be saved when training students according to this concept prior to performing tasks in the operating theater. These resources should be allocated for further refining innovative teaching concepts.

KeywordsSurgical teaching  · Video-based process  control · Teaching concept · Teaching surgical skills · Criteria-based self-assessment

3Der Chirurg 2013  | 

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Die Analyse der Prozessqualität ist deutlich schwieriger, da hier eine dyna-mische komplexe dreidimensionale Be-wegung erfasst, analysiert und korri-giert werden muss. Die Analyse erfolgt in drei Schritten, auch die 3 B’s genannt: Beobachten, Beurteilen und Beraten, (. Tab. 4, adaptiert von [6]).

Beobachten: Die komplexe Bewegung wird in einfache verbalisierbare Kernbe-wegungen zerlegt. Den Kernbewegungen werden Beobachtungspunkte zugeordnet, auf die das Augenmerk während der dy-namischen Analyse gelenkt wird.

Beurteilen: Der Lernende wird dabei unterstützt, durch das gemeinsame zielge-

richtete Vergleichen seiner „Bewegungs-Ist-Werte“ mit den „Bewegungs-Soll-Werten“ seine individuelle Abweichung (Fehler) zu erkennen und eine Aussage zur Bewegungsqualität zu machen.

Beraten: Je nach Art der Abweichung werden Vorschläge gemacht, mit deren Hilfe das zuvor definierte „Soll“ erreicht werden kann (PDCA-Prinzip).

Durchführung des Kurses

Rahmenbedingungen

RaumAufgrund der Verwendung biologischer Surrogatmaterialien muss der Unterricht in einem Laborraum mit Zugang zu Was-ser und Kühlmöglichkeiten durchgeführt werden.

HardwareDer Kurs wurde unter Verwendung der eigenen mobilen Endgeräte der Studieren-den im Sinne der Organisationsrichtlinie „bring your own device (BYOD)“ durch-

Tab. 3  Beurteilungskriterien der Einzelknopfnaht

  Sehr gut Gut Befriedigend Ausreichend

1. Stichabstand(5 Stiche)

Regelmäßig 1 cm RegelmäßigAbweichungen <1 mm

Leicht unregelmäßigAbweichungen <2 mm

UnregelmäßigAbweichungen >2 mm

2. Ein- und Ausstiche(10 Anzeichnungen)

Anzeichnungen immer getroffenKeine Abweichungen

Anzeichnungen häufig (>6/10) getroffenAbweichungen <1 mm

Anzeichnungen selten ge-troffen(<6/10)Abweichungen <2 mm

Anzeichnungen nicht ge-troffenAbweichungen >2 mm

3. Stufenbildung(zwischen Wundrändern)

Keine Stufenbildung Leichte Stufenbildung1 mm Erhebung

Mäßige Stufenbildung2 mm Erhebung

Schwere StufenbildungErhebung >2 mm

4. Fadenspannung Feste Spannung Verminderte Spannung (Knoten kann mit Pinzette unterfahren werden)

Wenig Spannung(Faden kann angehoben werden)

Keine Spannung (keine Wundadaption)

5. Knotenfestigkeit Fester Knoten Knoten sieht locker aus, geht aber nicht auf

Knoten kann mit Pinzette aufgehebelt werden

Knoten löst sich von allein

6. Wundadaption Perfekte Wundadaption Gute Wundadaption Wunde wellenförmig ad-aptiert

Wunde klafft

7. Wulstbildung Keine Wulstbildung Leichte Wulstbildung Mäßige Wulstbildung Deutliche Wulstbildung

8. Foto Scharfes Foto, guter Bild-ausschnitt, Ergebnis klar sichtbar und beurteilbar

Gutes Foto, Ergebnis klar sichtbar und beurteilbar

Schlechter Bildausschnitt, Ergebnis klar sichtbar und beurteilbar

Unscharfes Foto, Ergebnis nicht sichtbar

Tab. 4  Die drei B’s der Videoanalyse: Beobachten, Beurteilen und Beraten am Beispiel der Einzelknopfnaht

  Beobachten Beurteilen Beraten

Intrumenten-handhabung

Wird der Nadelhalter mit Ringfinger und Daumen aufgenommen?

Der Nadelhalter wird mit Ring- und Zeige-finger aufgenommen

Nimm den Nadelhalter mit Ringfinger und Daumen auf

Wird der Nadelhalter mit dem Zeigefinger stabilisiert?

Der Nadelhalter wird nicht regelmäßig mit dem Zeigefinger stabilisiert

Stabilisiere den Nadelhalter mit dem Zeige-finger

Wird die Pinzette in Schreibfederhaltung aufgenommen?

Die Pinzette liegt in der Schreibfeder-haltung

Nimm die Pinzette in Schreibfederhaltung auf

Wird der Nadelhalter umgegriffen? Umgreifen ist eindeutig zu erkennen, durch Halten des Nadelhalters

Greife den Nadelhalter um

Wird der Nadelhalter aus dem Handge-lenk herausgedreht?

Die Hand mit dem Nadelhalter wird aus der Schulter herausgedreht

Drehe die Hand mit dem Nadelhalter aus dem Handgelenk (gelingt nur bei Umgreifen des Nadelhalters)

Ein- und Aus-stichwinkel

Ist die Nadel im 90°-Winkel zur Haut auf-gesetzt?

Die Nadel ist im Winkel von ca 40° auf-gesetzt

Setze die Nadel im 90°-Winkel auf

Erfolgt der Ausstich im 90°-Winkel zur Haut?

Der Ausstich erfolgt in einem flacheren Winkel zur Haut

Platziere den Ausstich im 90°-Winkel

Bewegungs-ablauf

Werden überflüssige Bewegungen ge-macht?

Die Bewegungen werden mehrfach an-gesetzt

Führe die Bewegung in einem Schwung durch, ohne abzusetzen

Sind die Bewegungen fließend? Die Bewegung ist nicht fließend Führe die Bewegungen fließend aus

4 |  Der Chirurg 2013

Leitthema

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geführt. Sofern keine vorhanden waren, wurde die Hardware durch eigene Bestän-de ergänzt.

Die Übungen wurde in einer Life-De-mo vorgeführt. Dafür wurden eine digita-le Videokamera (Wurst) und ein im Raum installierter Beamer verwendet.

Instrumente und VerbrauchsmaterialienDen Studenten wurden sämtliche be-nötigten Materialien zur Verfügung ge-stellt: chirurgische Standardinstrumente (Wundversorgungsset), Nahtmaterialien, Nahttrainer, biologische Surrogatmateria-lien (Schweinefüße und Schweinedarm) sowie Verbrauchsmaterialien (<100 EUR/Student).

InternetplattformDie Interaktion mit den Studierenden er-folgte per E-Mail. Allgemeinankündigun-gen sowie die Lehrpräsentationen und die Beiträge der Studierenden wurden auf einer Internetplattform abgelegt.

Lehr- und Lernmaterialien

Der Kurs enthält beinhaltet 9 Übungen zu den Knotentechniken, 6 Übungen zum Instrumenten-Handling sowie 6 Übun-gen zur Nahttechnik. Es werden 5 Haut-nähte und 4 Darmanastomosen trainiert.

Alle Übungen wurden visualisiert und kommentiert. Das erforderte die Erstel-lung von nahezu „perfektem“ kommen-tiertem Bild- und vertontem Videomate-rial. Die Veranschaulichung des „Soll“-Er-gebnisses erforderte die Erstellung detail-lierter Beschreibungen aller Schritte und sämtlicher Bewertungskriterien für alle Übungen.

Für alle komplexen Übungen wurden Dokumentationsbögen erstellt. Die Do-kumentationsbögen enthalten ein Soll-Bild zum Vergleich („plan“) sowie die zu erhebenden Durchführungsparameter („do“) wie die Übungsdauer als auch die Bewertungskriterien und eine Vorgabe zur Fehleranalyse („check“) und zur Ver-besserung („act“).

Training durch ärztliche und technische Tutoren

Der Kurs wurde von einem erfahrenen chirurgischen Dozenten abgehalten, der von einem Arzt/Nachwuchswissenschaft-ler und einer Technischen Assistenz unterstützt wurde. Diese Tutoren wur-den im Vorfeld entsprechend angeleitet und ausgebildet. Die Ausbildung erfolg-te in 2 Schritten: kennenlernen des Kur-sus als Teilnehmer gefolgt von der Aneig-nung der theoretischen und praktischen Grundlagen unter Anleitung des Dozen-ten.

Erarbeitung und Weiterentwicklung  der Kursinhalte

In einem iterativen Prozess zwischen Pla-nung, Durchführung und Evaluation wurden und werden die Lerninhalte er-arbeitet und weiterentwickelt. Das betrifft folgende Inhalte:F  Themengestaltung zur aktiven Betei-

ligung durch die Studierenden,F  Einführung in das Lehrkonzept durch

Dozenten,F  Auswahl, Ausgestaltung und Staffe-

lung der aufeinander aufbauenden praktischen Übungen,

F  Erstellen der Dokumentationsvor-schriften,

F  Anleitungen zur kriterienbasierten Analyse von Ergebnisbild und Pro-zessvideo und zur nachfolgenden selbstständigen Erarbeitung individu-ell benötigter Folgeübungen.

Evaluation der Lehrveranstaltung

Jeder Durchgang des Kurses wurde aus-giebig evaluiert. Die Studenten wurden während des Kurses befragt. Nach Ab-schluss des Kurses wurden die Studenten gebeten, einen Fragebogen mit geschlos-senen Fragen auszufüllen sowie offene Fragen mit Freitext zu beantworten.

Gleichermaßen erfolgte nach jedem Durchgang eine intensive Diskussion mit allen an der Durchführung des Kurses Be-teiligten. In der Diskussion wurden Fra-gen zu Inhalten, Präsentation, didak-tischer Aufbereitung, Motivationsver-mittlung und Logistik offen erörtert. Zur Überprüfung des Lehrerfolges wurden die

Studenten gebeten, bei Abholung des be-noteten Scheins eine „Nachhaltigkeits-prüfung“ im Sinne einer erweiterten OS-CE („objective structured clinical exami-nation“) -Prüfung zu absolvieren. Das Er-gebnis floss nicht in die Scheinbenotung ein.

Ergebnisse

Teilnehmer

Das neue Lehrkonzept wurde in bisher 7 Durchgängen im Rahmen des neu konzi-pierten modularen Kurses „Intensivkurs Chirurgische Techniken“ erfolgreich an-gewendet (Dahmen, DGCH 2013). Bisher haben 70 Studenten aus dem 5. bis 9. Se-mester sowie 5 Assistenzärzte im 1. bis 3. Ausbildungsjahr, 4 Schulpraktikanten, 2 Naturwissenschaftler und 1 MtA an dem Kurs teilgenommen. Das Geschlechter-verhältnis war insgesamt 1:5 M:F. Unter den Medizinstudierenden bildet das Ge-schlechtsverhältnis des Kurses das Ge-schlechtsverhältnis im Studienjahr ab.

Technikeinsatz

Der Einsatz von Computertechnik in einem Nahtkurs war primär ungewohnt für Studenten und Dozenten und erfor-dert eine Umgewöhnung. Die Bereitschaft eigenes Equipment mitzubringen stieg mit der Anzahl der Kursdurchführungen. Im letzten Kurs folgten nahezu alle Stu-denten der Bitte, eine eigene Digitalkame-ra mitzubringen. Oft wurde die Kamera-funktion des Handys genutzt. Die Bereit-schaft bzw. Möglichkeit zum Mitbringen eines eigenen Videorekorders war gerin-ger ausgeprägt, stieg jedoch ebenfalls mit der Anzahl der Kursdurchführungen.

Ergebnisqualität

Die Ergebnisdokumentation und -ana-lyse per Digitalbild wurde nahezu voll-ständig erreicht. Über 90% der Studen-ten dokumentierten über 90% der Übun-gen. Die schriftliche Analyse einschließ-lich des Einstellens im Internetportal wur-de von 85% der Teilnehmer durchgeführt.

Die Ergebnisqualität war insgesamt hoch. Gemessen an den Kriterien erreich-ten bei jeder Übung mindestens 80% der

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Studenten gute bis sehr gute Ergebnis-se. Alle Studenten erfassten die Beurtei-lungskriterien und konnten sie sicher auf die eigenen Übungen anwenden. Im Ver-gleich zur Dozenten- und Tutorenbe-

wertung waren die Studenten kritischer und bewerteten sich tendenziell strenger (. Abb. 1).

Die Qualität der erzielten Ergebnis-se korrelierte nicht mit der Übungs-

zeit (. Abb. 2). Die „schnellen“ Teil-nehmer schnitten nicht schlechter ab als die „Langsamen“ bzw. die „Langsamen“ zeigten keine besseren Ergebnisse als die „Schnellen“. Das legt die Vermutung nahe,

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15

5

0

0 1 2 3 4 5 6

10

Schulnoten

Zeit

in m

in

R2 = 0,241

Abb. 2 8 Korrelation der Note und der Übungszeit bei der Übung Einzel-knopfnaht. Aufgetragen ist die Zeit in Minuten gegen die Schulnote. Der Re-gression (R2=0,241) wird als Gerade dargestellt. Der Korrelationskoeffizient beträgt 0,26. Die Note korreliert nicht mit der benötigten Zeit für die Übung (hohe Korrelation: Korrelationskoeffizient =1, keine lineare Korrelation: Kor-relationskoeffizient =0)

Abb. 3 8 Ergebnis des Nachhaltigkeitstest. Die Studierenden wurden aufgefordert, eine Einzelknopfnaht mit folgenden Para-metern anzufertigen: Länge der Inzision: 5 cm, Anzahl der Stiche: 5, Abstand der Stiche zueinander: 1 cm, Abstand der Stiche zur Inzision:0,5 cm. Das Nahtmaterial war frei wählbar und sollte an die Eigenschaften der Bananenhaut angepasst sein. Das Ergebnis war bei allen Studierenden gut bis sehr gut

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01 2 3 4 5 6

Schulnoten

Teiln

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Studierende

Tutor

Abb. 1 8 Vergleich der Selbsteinschätzung der Studierenden und der Be-notung durch einen Tutor. Aufgetragen ist die Teilnehmeranzahl gegen die Schulnote. Blau dargestellt die Selbsteinschätzung der Studierenden, in pink die Einschätzung durch den Tutor

6 |  Der Chirurg 2013

Leitthema

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dass sich das eventuell individuell unter-schiedlich ausgeprägte „Bewegungsge-schick“ in der Übungszeit, aber nicht in der Ergebnisqualität widerspiegelt.

Der Lernerfolg war nachhaltig. Über 80% der Studierenden, die an dem frei-willigen „Nachhaltigkeitstest“ bei Schein-abholung 1 bis 6 Monate nach dem Kurs teilgenommen haben, erzielten gute bis sehr gute Ergebnisse (. Abb. 3).

»  Der „Stresstest“ wurde als gute Erfahrung bewertet

In jedem Kurs wurde ein „Stresstest“ durchgeführt. Die Studenten wurden auf-gefordert eine Hautnaht innerhalb einer vorgegebenen Zeit durchzuführen. Der „Stress“ bestand also lediglich in einer Zeitvorgabe ohne negative Konsequenz bei Nichterreichen der Zeit. Der Stress durch die alleinige Zeitvorgabe bewirk-te bei den meisten Teilnehmern eine Re-duktion der Ergebnisqualität. Dennoch bewerteten die meisten Teilnehmer die Durchführung des „Stresstestes“ als gute Erfahrung.

Prozessqualität

Die Durchführung der Prozessdokumen-tation per Video verbesserte sich von Kurs zu Kurs. In den beiden letzten Kursen wurden alle Übungen mindestens einmal aufgezeichnet und mit den TeilnehmerIn-nen gemeinsam zur Beurteilung der Pro-zessqualität herangezogen.

Auf studentischer Seite erwiesen sich technische Störungen oder Verzögerun-gen als Compliance-mindernd, z. B. wenn der Teilnehmer mit dem Equipment nicht vertraut war oder das Abspielen des Vi-deos mit einer Zeitverzögerung durch Umstecken der SD-Karte verbunden war. Auf Dozentenseite war ein Umdenkpro-zess notwendig, um die Korrekturen nicht während der Übungsdurchführung, son-dern mit dem Teilnehmer gemeinsam an-hand des Videos zu erarbeiten. Mit zuneh-mender Übung dieses Vorgehens verbes-serte sich die Fähigkeit der Teilnehmer, ihre Fehler selbst zu erkennen und selbst Lösungsvorschläge unter Anleitung zu er-arbeiten.

Evaluation

Das Kurskonzept wurde von den Teil-nehmern gut angenommen. Kurriku-lum, Lehrkonzept und Betreuung wur-den positiv bewertet. Der Einsatz von Foto und Video wurde als ungewohnt, je-doch sehr hilfreich erlebt.

Die Bereitschaft, die eigenen Geräte mitzubringen, war insbesondere am An-fang nicht stark ausgeprägt und besser-te sich mit jedem Kursdurchgang, paral-lel zur zunehmenden Verbreitung quali-tativ hochwertiger Smartphones und Ta-blet-PCs.

Die Vorbereitung der Teilnehmer auf den Kurs war sehr gut. Alle 70 Teilneh-merInnen hatten die frei gewählten Kurz-vorträge vorbereitet und lieferten eine gu-te Präsentation ihres Themas. Die Mitar-beit während des Präsenzunterrichtes war ebenfalls sehr gut. Die Bereitschaft, den Stoff nachzuarbeiten und die Übungen in Heimarbeit zu analysieren, bestand bei 70% der Teilnehmer, wurde aber als sehr aufwendig empfunden.

Diskussion

Warum ein neues Lernkonzept?

Neue Medien erfordern neue Lehrkon-zepte und -tools. Der Aus- und Weiterbil-dungsbereich ist aktuell in einem revolu-tionären Wandlungsprozess. Angetrieben wird dieser Veränderungsprozess durch technische Neuerungen und leistungsfä-higere und effizientere Visualisierungs- und Kommunikationssysteme, wie z. B. Bild- und Videotechnologie und Studi-enportale. E-Learning und „blended lear-ning“, die Kombination aus Selbststudi-um mit Präsenzunterricht, verbreitet sich mit rasanter Geschwindigkeit. Die heutige Generation der Studierenden („digital na-tives“, [13]) ist mit der Nutzung der neuen Medien aufgewachsen und fordert die-se zunehmend auch in der Lehre ein [14].

Neben der Nutzung digitaler Medien wird der Stellenwert der praktischen Aus-bildung in der Medizin zunehmend be-tont [11]. Gleichzeitig verlagert sich der Ausbildungsprozess vom Krankenbett an das Lernen am Modell und in der Simu-lation [9, 16].

Das neue Lernkonzept trägt dieser Entwicklung Rechnung.

Was ist anders?

Das neue Lehrkonzept integriert bewähr-te Lehrprinzipien und neue Medien. Der Hauptunterschied zu anderen Lehrkon-zepten ist die Integration und konse-quente Anwendung fünf bewährter Lern-prinzipien unter Nutzung der digitalen Medien. Die Nutzung der neuen Medien zur Dokumentation der Prozess- und Er-gebnisqualität erlaubt erstmals eine trans-parente und unmittelbare Rückmeldung des eigenen Lernerfolges für den Lernen-den.

Das Fehlermanagement erfolgt, in-dem Lernende und Lehrende gemeinsam die Bild- und Videodokumentation zur Ergebnis- und Prozesskontrolle anschau-en sowie kriterienbasiert beurteilen und auswerten. Die Lernenden werden ange-regt, eigene Fehler zu sehen, zu verstehen und zu verbessern. Der Lehrende unter-stützt sie dabei und ergänzt ihre gewon-nenen Erkenntnisse.

Wie gut ist das Konzept?

Die Studie wurde bewusst als Beobach-tungstudie nach Laurillard (publiziert in [4]) konzipiert. Wir haben keinen direk-ten Vergleich mit den Ergebnissen ande-rer Lehrformen angestrebt.

Primäres Ziel der Einführung des neu-en Lehrkonzeptes mit nachhaltiger Ein-bindung der videobasierten Selbstkont-rolle war es, komplexe chirurgische Fer-tigkeiten mit hoher Ergebnis- und Pro-zessqualität nachhaltig zu vermitteln. Die-ses Ziel wurde voll umfänglich erreicht.

Folgende sekundären Ziele sollten und wurden mit der Einführung des Kon-zeptes erreicht:F  die Verbesserung der Ausbildung

durch die Vermittlung von Prozess-qualität mittels der videobasierten Selbstkontrolle,

F  die Beschleunigung des Lernvor-ganges durch eine geringe Anzahl von Übungswiederholungen,

F  die Stärkung der Eigenverantwort-lichkeit des Studenten in seinem Lernverhalten und für seinen Lern-

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erfolg durch die unmittelbare Rück-meldung seines Lernerfolges.

Wozu der Aufwand?

Das neue und aufwendige Konzept soll die Qualität der Lehre verbessern und län-gerfristig helfen Ressourcen zu sparen. Es wurden bereits erste Erfahrungen mit der Vorstufe dieses Konzeptes gesammelt. Im Rahmen der mikrochirurgischen Aus-bildung wurde die konsequente Anwen-dung des PDCA-Prinzipes als wichtiges Hilfsmittel etabliert [8]. Dadurch konnte die Anzahl der Versuchstiere, die im Rah-men der mikrochirurgischen Ausbildung benötigt werden, reduziert und gleichzei-tig die Ergebnisqualität erheblich gestei-gert werden.

Die konsequente Auslagerung des Ler-nens chirurgischer Fertigkeiten aus dem Operationssaal an das Modell sollte län-gerfristig dazu beitragen, teure Opera-tionszeit einzusparen. Der ungeübte An-fänger, der seine erste Hautnaht oder sei-nen ersten operativen Eingriff am Men-schen ohne vorheriges Training am Mo-dell durchführt, benötigt mit hoher Wahr-scheinlichkeit viel Zeit [2, 10]. Der „geüb-te“ Anfänger, der unter kontrollierten Be-dingungen am Modell gezeigt hat, dass er die vordefinierte Ergebnis- und Pro-zessqualität erreicht hat, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger Zeit für den gleichen Eingriff benötigen.

Die eingesparten finanziellen Ressour-cen durch die kürzere Operationszeit und damit geringeren Operationskosten sollte der Entwicklung von Lehrkonzepten und der Durchführung von Lehrveranstaltun-gen zugutekommen.

Wohin geht die Reise? – Ausblick

Das Lehrkonzept wird nicht statisch ange-wendet, sondern unterliegt selbst dem dy-namischen PDCA-Zyklus. Jeder Durch-gang wird ausgiebig evaluiert, um even-tuelle Schwächen aufzudecken und das Lehrangebot besser an die Bedürfnisse der Studierenden anzupassen.

Aktuell sind drei Weiterentwicklungen geplant:F  Integration von mentalem Training

[7] in den Kurs,

F  Weiterentwicklung der Videoanaly-se bis hin zur computerunterstützten Auswertung und

F  die Konzeption weiterer Lehrmodu-le innerhalb und außerhalb der Chir-urgie, z. B. Etablierung eines Lehrmo-dules „Laparoskopische Techniken“.

Fazit für die Praxis

F  Die studentische Lehre und Weiter-bildung in der Chirurgie muss sich den Herausforderungen des digitalen Zeitalters stellen.

F  Das hier vorgestellte innovative Lehr-konzept integriert neue Medien und bewährte Lehrprinzipien.

F  Ein wesentlicher Bestandteil des neu-en Konzeptes zur Vermittlung chir-urgischer Fertigkeiten ist die konse-quente bild- und videobasierte Er-gebnis- und Prozesskontrolle.

F  Das Konzept wurde von den Studie-renden gut angenommen und führte zum nachhaltigen Erwerb von Kennt-nissen und Fertigkeiten.

F  Gute Lehre kann helfen, Ressourcen in der Patientenversorgung zu scho-nen.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. U. DahmenKlinik für Allgemein,-Viszeral- und  Gefäßchirurgie, Experimentelle  Transplantationschirurgie,  Universitätsklinikum Jena,Drackendorfer Str. 1, 07747 [email protected]

Danksagung.  Wir danken allen beteiligten MTAs für die exzellente technische Unterstützung: Ulrike Vetter-ling für die Organisation, Durchführung und Unterstüt-zung der Auswertung des Kurses, Bianca Lanick für die Organisation und Durchführung sowie Stephanie Lan-ge für die Logistik, Salvina Schmoll für die Mitwirkung bei der Erstellung des Nachhaltigkeitstest.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt.  U. Dahmen, C. Sänger, C. Wurst, J. Arlt, W. Wei, F. Dondorf, B. Richter, U. Settmacher und O. Dirsch geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. 

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur

  1.  ÄApprO (2002) Approbationsordnung für Ärzte vom 27.06.2002 (BGBl. I S. 2405), die zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 22.05.2013 (BGBl. I S. 1348) geändert worden ist

  2.  Bridges M, Diamond DL (1999) The financial im-pact of teaching surgical residents in the operating room. Am J Surg 177(1):28–32

  3.  Deming WE (1950) Elementary principles of the statistical control of quality, JUSE

  4.  Draper SW (1996) Observing, measuring, or eva-luating courseware. http://www.psy.gla.ac.uk/~steve/Eval.HE.html

  5.  Grube C, Volk S, Zausig Y, Graf BM (2001) Changing Culture – Simulatortraining als Mittel zur erhöh-ten Patientensicherheit. Bericht vom International Meeting on Medical Simulation, Scottsdale, 12.–14. 1.2001. Anaesthesist 50:358–362

  6.  Hensinger J (2012) http://www.bewegunglesen.ch/fileadmin/downloads/Bewegungslesen Metho-dik.pdf

  7.  Immenroth M, Bürger T, Brenner J et al (2007) Mental training in surgical education: a rando-mized controlled trial. Ann Surg 245(3):385–391

  8.  Jin H, Huang H, Dong W et al (2012) Preliminary experience of a PDCA-cycle and quality manage-ment based training curriculum for rat liver trans-plantation. J Surg Res 176(2):409–422

  9.  Kruppa E, Jünger J, Nikendei C (2009) Einsatz inno-vativer Lern-und Prüfungsmethoden an den Medi-zinischen Fakultäten der Bundesrepublik Deutsch-land-Eine aktuelle Bestandsaufnahme. Dtsch Med Wochenschr 134(08):371–372

10.  Macario A, Dexter F, Traub RD (2001) Hospital pro-fitability per hour of operating room time can vary among surgeons. Anesth Analg 93(3):669–675

11.  Nikendei C, Schilling T, Nawroth P et al (2005) In-tegriertes Skills-Lab-Konzept für die studentische Ausbildung in der inneren Medizin. Dtsch Med Wochenschr 130(18):1133–1138

12.  Peyton JR (Hrsg) (1998) Teaching and learning in medical practice. Manticore, Europe

13.  Prensky M (2001) Digital natives, digital immig-rants part 1. On Horizon 9(5):1–6

14.  Rose DH, Meyer A (2002) Teaching every student in the digital age: universal design for learning. Association for Supervision and Curriculum De-velopment, 1703 N. Beauregard St., Alexandria, VA 22311-1714

15.  Rufer L, Tribelborn T (2012) Lernen wirksam unter-stützen. Forsch Lehre 19(6/12):492–493

16.  Schnabel K, Boldt PD, Breuern G et al (2011) Kon-sensusstatement“ Praktische Fertigkeiten im Me-dizinstudium“ – ein Positionspapier des GMA-Aus-schusses für praktische Fertigkeiten. GMS Z Med Ausbild 28(4)

17.  Skinner BF(1958) Why we need teaching machi-nes. Science 128:969–977

18.  http://www.beyourbest.de/ziele/mit-kleinen-schritten-zum-grosen-ziel

8 |  Der Chirurg 2013

Leitthema