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1 VO Unfall, Desaster, Endzeit: Zukunftsvisionen in der Moderne 11.03.2014 Es gibt ein massives Interesse an diesem Thema, sowohl in den populären Medien wie Filmen als auch in PS und VO Teilnahme zu diesem Thema Auch im medialen Interesse wie Berichterstattung von Naturkatastrophen, gleichzeitig aber so ein Wegschieben. Vor allem beim Tsunami 2004 die Katastrophe vom Leibe gehalten aber gleichzeitig völlig begeistert von dem Thema – Katastrophengeil Begeistert an Zukunftsvisionen von einer Welt ohne Menschen Aber wenn man mal schaut, was für Filme rauskommen, sieht man auch wieder das große Interesse (The Day after tomorrow, i am legend, world war z, melancholia,…) Eine intensive aber schwer erklärbare Kontur Was ist die Geschichte dieses Gefühls, des Interesses an dieser Thematik Und was ist die Gegenwart dazu Keine Motivgeschichte Life without us – eine Fülle von Bestsellern, von Sachbüchern, die große Kollapse schildern Jarred Diamond (Paläoanthropologe) Osterinseln, Norwegern,… Osterinsel: weit weg von allen anderen Inseln, sehr isoliert, raues Klima Diese Gesellschaft hatte nicht sehr viel Austausch mit anderen Völkern, lebte von Fischen und niedrigem Ackerbau, ging 800 Jahre gut, dann kamen 2 Faktoren (Ankunft von Ratten durch mehr Kontakt mit der Außenwelt – fressen Früchte der Palme die als Nahrungsmittel der Menschen galten, und Palmen zum Hausbau, mehr Menschen mehr Hausbau) Palmen verschwanden (Ressourcen zu sehr verschwendet, Statuen aus dieser letzten Zeit,…) Wir sind wie die Bewohner der Osterinseln, wir merken gar nicht, wie unsere Ressourcen immer geringer werden auf der Insel Erde und weil das sooooo langsam geht Wir laufen auf etwas zu, was wir nicht merken, weil unser System so komplex ist, laufen auf Tipping point zu = Prozess, der zunächst mal völlig unauffällig verläuft, steigt sehr langsam an und damit nicht wirklich wahrzunehmen Und irgendwann kippt das Ganze, Punkt, an dem das System gesättigt ist Tipping Point sehr zentral Geht um unaufhaltbare Prozesse, keiner kommt auf die Idee, dass das die Welt zum Untergehen bringt Es gibt Prozesse, die einfach dadurch, dass wir das machen, was wir immer schon gemacht haben, sich akkumuliert und zu Tipping Point führen Im 17. Jhd gabs eine Eiszeit Wer kann denn schon was dafür, ist das halt normal Klimaforscher meinen ja eben, dass das nicht so ist, Klimawandel ist immer scheiße und wenn es einen Weg gibt, das zu beeinflussen, sollten wir das tun (bzw. wenn schlecht, dann eben nicht tun) Warum sind wir im Moment davor so ängstlich In den 90er Jahren Atomangst – andere Ängste aber an sich optimistisch

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VO Unfall, Desaster, Endzeit: Zukunftsvisionen in der Moderne

11.03.2014 Es gibt ein massives Interesse an diesem Thema, sowohl in den populären Medien wie Filmen als auch in PS und VO Teilnahme zu diesem Thema Auch im medialen Interesse wie Berichterstattung von Naturkatastrophen, gleichzeitig aber so ein Wegschieben. Vor allem beim Tsunami 2004 die Katastrophe vom Leibe gehalten aber gleichzeitig völlig begeistert von dem Thema – Katastrophengeil Begeistert an Zukunftsvisionen von einer Welt ohne Menschen Aber wenn man mal schaut, was für Filme rauskommen, sieht man auch wieder das große Interesse (The Day after tomorrow, i am legend, world war z, melancholia,…) Eine intensive aber schwer erklärbare Kontur Was ist die Geschichte dieses Gefühls, des Interesses an dieser Thematik Und was ist die Gegenwart dazu Keine Motivgeschichte Life without us – eine Fülle von Bestsellern, von Sachbüchern, die große Kollapse schildern Jarred Diamond (Paläoanthropologe) Osterinseln, Norwegern,… Osterinsel: weit weg von allen anderen Inseln, sehr isoliert, raues Klima Diese Gesellschaft hatte nicht sehr viel Austausch mit anderen Völkern, lebte von Fischen und niedrigem Ackerbau, ging 800 Jahre gut, dann kamen 2 Faktoren (Ankunft von Ratten durch mehr Kontakt mit der Außenwelt – fressen Früchte der Palme die als Nahrungsmittel der Menschen galten, und Palmen zum Hausbau, mehr Menschen � mehr Hausbau) � Palmen verschwanden (Ressourcen zu sehr verschwendet, Statuen aus dieser letzten Zeit,…) Wir sind wie die Bewohner der Osterinseln, wir merken gar nicht, wie unsere Ressourcen immer geringer werden auf der Insel Erde und weil das sooooo langsam geht Wir laufen auf etwas zu, was wir nicht merken, weil unser System so komplex ist, laufen auf Tipping point zu = Prozess, der zunächst mal völlig unauffällig verläuft, steigt sehr langsam an und damit nicht wirklich wahrzunehmen Und irgendwann kippt das Ganze, Punkt, an dem das System gesättigt ist Tipping Point sehr zentral Geht um unaufhaltbare Prozesse, keiner kommt auf die Idee, dass das die Welt zum Untergehen bringt Es gibt Prozesse, die einfach dadurch, dass wir das machen, was wir immer schon gemacht haben, sich akkumuliert und zu Tipping Point führen Im 17. Jhd gabs eine Eiszeit Wer kann denn schon was dafür, ist das halt normal� Klimaforscher meinen ja eben, dass das nicht so ist, Klimawandel ist immer scheiße und wenn es einen Weg gibt, das zu beeinflussen, sollten wir das tun (bzw. wenn schlecht, dann eben nicht tun) Warum sind wir im Moment davor so ängstlich In den 90er Jahren Atomangst – andere Ängste aber an sich optimistisch

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Es gibt schon einen massiven alarmistischen Diskurs, aber zugleich passiert nichts, nicht mal auf dem individuellen Niveau, jeder hat Angst davor und weiß, was alles schlecht ist, aber keiner ändert wirklich was Man lässt es einfach mal geschehen Jeder Gipfel dahingehend geht so aus, dass man sich nicht einigen könnte Was macht man als Individuum, gibt eine Community, die sich auf eine Endzeitsituation vorbereitet und Lebensmittel, Wasser, etc hortet und einen eigenen Bunker hat � wir wissen zwar nicht was kommt, aber wir sind vorbereitet Aber der Rest macht gar nichts Was wird in der Vorlesung genau passieren: Kulturgeschichte: Frage nach einer Kulturgeschichte des Motivs ab Romantik Katastrophendenken dass anlässlich des Erdbebens von Lissabon wieder aufgekommen ist mit der zentralen Frage: wie kann eine göttliche Schöpfung ein solches Desaster zulassen? Was ist das für eine Schöpfung, in der diese Art von Massenelend möglich ist, war ein Einbruch, ein Zerbrechen eines Weltbildes, dass die Welt in sich gut und sinnvoll konstruiert ist. Nach dem Erdbeben geht es eben darum diese Frage zu klären 60 Jahre später in Romantik wird die Frage nach einer göttlichen Schöpfung gar nicht mehr gestellt Frage danach, was macht der Mensch, nicht mehr Gott Anthropologie der Katastrophe, was lernen wir davon Begriffgeschichte: Was für eine Denkfigur/Erzählfigur ist die Katastrophe überhaupt, die Katastrophe aus dem Griechischen als Kernbegriff der Poetik, = Knick nach unten Als Wendepunkt einer Dramenhandlung, einen Knickpunkt gibt es immer, Katastrophe kann auch als Ende nach einem Wendepunkt sein, als Endpunkt, an dem alles zu Ende ist, egal ob zum Guten oder zum Schlechten Hat sich in der Moderne verschoben Der Moment, in dem sich etwas zum Schlechten zum Schlimmsten wendet, aber erst im 18.-19. Jahrhundert Im 20. Jahrhundert weitere Entwicklung: Katastrophe ist nicht, dass sich alles plötzlich wendet sondern der Punkt, in dem alles so weiter geht (Walter Benjamin) Wir wissen nicht worauf es hinausläuft, wir befinden uns kurz vor dem Tipping Point Wissen, dass Knickpunkt vor uns liegt, aber wir wissen nicht wann oder wo Katastrophe narrativ analysieren Was lernt man, wenn man sich solche Situationen ausmalt, die Frage nach dem offenbarenden Charakter von Katastrophen

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Idee, dass sich in Katastrophen und Zusammenbrüchen etwas zeigt, das schon da war nur latent verborgen und nun herausbricht „nur im brennenden Haus sieht man die Bauprobleme, die Haus schon immer hatte“ Legt etwas frei, was schon immer da ist Im Ernstfall, im Ausnahmezustand bringen etwas hervor, was in einem steckt, den Plünderer,… Was ist das für ein Bild von der Menschheit, das sich offenbart und stimmt das überhaupt und welche Lehre soll man daraus ziehen? � die schlimmsten Seiten der Menschheit treten zum Vorschein Aus Katastrophenszenarien werden politische restriktive Konsequenzen gezogen Semesterplan: Die nächsten 2 Sitzungen beschäftigen sich mit der Frage nach Gott in der Katastrophe, wird um 1800 ersetzt durch Vorstellung, dass es rein natürliche,… Faktoren sind, die eine Katastrophe ausmachen Jean Paul: atheistisches Gedankenexperiment über den Weltuntergang ohne Gott, Ende 18. Jhd Dann Moderne: kalter Krieg, für heutige Ansichten zwar entscheidend, aber auch um zu sehen, dass wir heute anders denken, jedoch davon irgendwo beeinflusst Aktualität dieser Diskurse noch mal entdecken Gefühl einer akuten Bedrohtheit Was sind die Kontinuitäten und was sind die Unterschiede (z.B. der letzte Mensch, ist die Figur eines Menschen, der alles erlebt hat, als letzter stirbt und weiß, dass er der letzte Mensch auf Erden ist, zugleich Opfer und letzter menschlicher Beobachter der Katastrophe ist) Motiv des Kannibalismus zieht sich sehr lange durch als Endzeitmotiv, was erzählt uns dieses Bild Überleben in postapokalyptischen Szenarien Gegenwart mit Klimakatastrophe: wie wird das heute imaginiert und diskutiert, 2 Extrempositionen 3 Sitzungen mit weiteren Katastrophenthemen: Politik, Unfall, Sicherheit und Prävention

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18.03.2014 Der letzte Mensch Filmeinstieg: I Am Legend. Die Szene als er mit dem Auto durch das verlassene NY fährt Was haben wir gesehen: Der wichtigste Eindruck ist die Stille und Menschenleere in NY Mit Zwitschergeräuschen soll quasi klar gemacht werden, dass der Ton eh funktioniert, aber halt keine Geräusche mehr sind Auch bewegen sich dort Lebewesen (Dammwild) die es da sonst nicht gäbe Jagen am Times Square… Löwe als Konkurrenz Inszenierung verdichteter Zivilisation wie London, NY,… die leergefegt sind Er kann sich absolut frei bewegen, es gibt keine anderen Menschen, keine anderen Autos 2 Qualitäten als 2 Grundeigenschaften des letzten Menschen: � absolute Freiheit und Ruhe in dieser überfüllten Stadt, Natur mitten in der Stadt – Segnungen des letzten Menschen � absolute Einsamkeit Ein Ende der Welt und ein Verschwinden der Menschheit erscheint uns auch als Segen, als Idylle, der letzte Mensch als Figur der Befreiung Aber auf der anderen Seite die schmerzhafte und geisteskranke Einsamkeit – Freundschaft mit Schaufensterpuppen, Unterhaltungen mit diesen und dem Hund Besonders an diesem letzten Menschen: er möchte die Katastrophe rückgängig machen und führt in seinem Keller Testreihen durch um alles wieder gut zu machen „i’ll fix it“ Buchvorlage in den 1950ern Die Figur des letzten Menschen entsteht in der Romantik Geschichte der Figur geht mit der Moderne, Sattelzeit um 1800 Texte dieses und nächstes Mal von dieser Zeit Figur, die in einem Moment des apokalyptischen Schemas auftaucht Figur ist typisch für das Katastrophendenken der Moderne Der letzte Mensch hat eine Doppelposition � erlebt die Katastrophe und ist Zeuge dieser – Opfer der Katastrophe � lebt lange genug um diese auch zu betrachten – Reflexion der Katastrophe � Katastrophe aufhalten oder rückgängig machen, kann der letzte Mensch noch eine Entscheidung treffen? Opfer vs Zeuge Der letzte Mensch ist eine Figur der radikalen Einsamkeit Ambivalente, zwiespältige Figur zwischen Freiheit und Einsamkeit Dazu gibt es viele literarische Texte die sich mit der Einsamkeit beschäftigen

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Wie würde sich die Natur erholen, wenn der Mensch weg wäre? – Frage bei Weißmann Sieht den Mensch als Krankheit der Natur Anthropozän = Begriff aus Geologie, Erdgeschichte = Erdgeschichtliche Epoche in der die Spuren der Menschen nicht mehr auszulöschen sind, so dass auch beim letzten Menschen die Spuren der Menschen noch da sind Mensch ist so penetrant geworden, dass seine Spuren nie wieder weg gehen werden, auch wenn der Mensch einmal nicht mehr ist Holozän = Zeit in der die Erde so ist, wie sie jetzt auch ist Diese Position kann auch produktiv sein: Als was präsentiert sich Jetzt-Zeit? Aus der Gegenwart eine Zukunftsperspektive einnehmen und fragen, was wird gewesen sein? Als Futur 2 Blick auf den Menschen nach seinem Ende in einem Moment kurz vor seinem Ende, Blick auf die letzten Entscheidungen Wie stehen wir da – mehrere Autoren damit befasst, recht pessimistisch, Mensch als Krankheit, als Seuche, nicht positiv

Die Offenbarung des Johannes Apokalypsis = Enthüllung Offenbarung des Johannes, ca. 68-69 oder 81-96 n. Chr., Verfasser ist Johannes von Patmos Bei Datierung ist eigentlich die Frage, unter welchem Kaiser es geschrieben wurde Aber fix ist, dass es mehrere Anspielungen auf Nero ist – muss also nachher sein Apokalypse – Enthüllung, offen legen von etwas, das verborgen war Es zeigt sich etwas, das enthüllt wird, war vorher nicht sichtbar Hier geht’s um Apokalypsen in diesem Sinne, hat Indikationen, die für die Moderne nicht mehr gelten Aber eine Gemeinsamkeit mit Katastrophen � es zeigt sicht etwas, das im Normalbetrieb nicht sichtbar ist These: Mit der Romantik wird das apokalyptische Schema zerstört, nämlich als eine Möglichkeit das Weltende durch Eingreifen etwas Göttlichem Schema 1: göttliche Planung, bestimmte Strukturen, die von Gott gegeben sind, laufen ab Schema 2: Schema, Denkfigur des Theodizee (= Gerechtigkeit Gottes in Frage stellen), in einer historischen Zeit, in der die Eigenmächtigkeit des Menschen und die Pflicht in die Schöpfung einzugreifen gilt. In dieser Zeit wird von Leibniz ein Problem beschrieben: wenn Gott allwissend, allmächtig, allgütig, dann dürfte der doch gar nichts Schlimmes zulassen, alles drei funktioniert nicht Seine Lösung Erdbeben in Lissabon in Kirche mit Tsunami, Bränden,… Menschen werden von Kirchentrümmern erschlagen, ertrinken, verbrennen � wie kann Gott das zulassen?

- hatte ja doch was Gutes - Voltaire: Gott ist nicht gut

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Verwundbarkeit einer Stadt durch besseres Bauen reduzieren – Handlungsmacht beim Menschen Apokalyptische Schema: in der Zerstörung der Welt zeigt sich der Plan eines gerechten Gottes, der nun Gericht hält über seine Schöpfung Anfang: Offenbarung des Johannes, Neues Testament 1 1 Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm gegeben hat, damit er seinen Knechten zeigt, was bald geschehen muss; und er hat es durch seinen Engel, den er sandte, seinem Knecht Johannes gezeigt. 2 Dieser hat das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi bezeugt: alles, was er geschaut hat. 3 Selig, wer diese prophetischen Worte vorliest und wer sie hört und wer sich an das hält, was geschrieben ist; denn die Zeit ist nahe.... Vision soll an sieben Gemeinden geschickt werden, um ihnen mitzuteilen, dass alles ein Ende hat In Zeit der römischen Besatzung, allen Nicht-Römern geht’s nicht gut Das jüngste Gericht kommt bald, und wir werden belohnt werden und die bösen Römer werden bestraft Eindeutiger Text gegen Römer Aus diesem Text kommt das Wort Vision Die Öffnung der sieben Siegel: 6 Dann sah ich: Das Lamm öffnete das erste der sieben Siegel; und ich hörte das erste der vier Lebewesen wie mit Donnerstimme rufen: Komm! 2 Da sah ich ein weißes Pferd; und der, der auf ihm saß, hatte einen Bogen. Ein Kranz wurde ihm gegeben und als Sieger zog er aus, um zu siegen. 3 Als das Lamm das zweite Siegel öffnete, hörte ich das zweite Lebewesen rufen: Komm! 4 Da erschien ein anderes Pferd; das war feuerrot. Und der, der auf ihm saß, wurde ermächtigt, der Erde den Frieden zu nehmen, damit die Menschen sich gegenseitig abschlachteten... . 5 Als das Lamm das dritte Siegel öffnete, hörte ich das dritte Lebewesen rufen: Komm! Da sah ich ein schwarzes Pferd; und der, der auf ihm saß, hielt in der Hand eine Waage. 6 Inmitten der vier Lebewesen hörte ich etwas wie eine Stimme sagen: Ein Maß Weizen für einen Denar und drei Maß Gerste für einen Denar. ...7 Als das Lamm das vierte Siegel öffnete, hörte ich die Stimme des vierten Lebewesens rufen: Komm! 8 Da sah ich ein fahles Pferd; und der, der auf ihm saß, heißt «der Tod»; und die Unterwelt zog hinter ihm her. Und ihnen wurde die Macht gegeben über ein Viertel der Erde, Macht, zu töten durch Schwert, Hunger und Tod und durch die Tiere der Erde. 9 Als das Lamm das fünfte Siegel öffnete, sah ich unter dem Altar die Seelen aller, die hingeschlachtet worden waren wegen des Wortes Gottes und wegen des Zeugnisses, das sie abgelegt hatten. 10 Sie riefen mit lauter Stimme: Wie lange zögerst du noch, Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, Gericht zu halten und unser Blut an den Bewohnern der Erde zu rächen? 11 Da wurde jedem von ihnen ein weißes Gewand gegeben; und ihnen wurde gesagt, sie sollten noch kurze Zeit warten, bis die volle Zahl erreicht sei durch den Tod ihrer Mitknechte und Brüder, die noch sterben müssten wie sie. 12 Und ich sah: Das Lamm öffnete das sechste Siegel. Da entstand ein gewaltiges Beben. Die Sonne wurde schwarz wie ein Trauergewand und der ganze Mond wurde wie Blut. 13 Die Sterne des Himmels fielen herab auf die Erde, wie wenn ein Feigenbaum seine Früchte abwirft, wenn ein heftiger Sturm ihn schüttelt. 14 Der Himmel

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verschwand wie eine Buchrolle, die man zusammenrollt, und alle Berge und Inseln wurden von ihrer Stelle weggerückt. 15 Und die Könige der Erde, die Großen und die Heerführer, die Reichen und die Mächtigen, alle Sklaven und alle Freien verbargen sich in den Höhlen und Felsen der Berge. 16 Sie sagten zu den Bergen und Felsen: Fallt auf uns und verbergt uns vor dem Blick dessen, der auf dem Thron sitzt, und vor dem Zorn des Lammes; 17 denn der große Tag ihres Zorns ist gekommen. Wer kann da bestehen? Mit den ersten drei Siegeln treten die apokalyptischen Reiter auf Text ist in ständigen Parallelismen aufgebaut, ständige Wiederholung, Text ist bewusst dunkel und rätselhaft, anders als in vielen filmischen oder literarischen Aufgriffen der Reiter, die das Ganze schon ziemlich überdeutlich darstellen Gibt immer wieder unterschiedliche Aspekte, die von diesen Reitern verkörpert werden Retterfigur einmal als ungeborenes Kind einer gebärenden Frau, einmal als Lamm, das die Siegel öffnet In jeder Katastrophe gibt es jene Figuren, die ausgewählt und gerettet werden – es gibt solche die untergehen und solche, die zurecht gerettet werden Hure Babylon tritt auf, als Symbol der Verwerflichkeit und Sittenwidrigkeit der Stadt Rom Gericht über die Toten: Dann sah ich einen großen weißen Thron und den, der auf ihm saß; vor seinem Anblick flohen Erde und Himmel und es gab keinen Platz mehr für sie. 12 Ich sah die Toten vor dem Thron stehen, die Großen und die Kleinen. Und Bücher wurden aufgeschlagen; auch das Buch des Lebens wurde aufgeschlagen. Die Toten wurden nach ihren Werken gerichtet, nach dem, was in den Büchern aufgeschrieben war. 13 Und das Meer gab die Toten heraus, die in ihm waren; und der Tod und die Unterwelt gaben ihre Toten heraus, die in ihnen waren. Sie wurden gerichtet, jeder nach seinen Werken. 14 Der Tod und die Unterwelt aber wurden in den Feuersee geworfen. Das ist der zweite Tod: der Feuersee. 15 Wer nicht im Buch des Lebens verzeichnet war, wurde in den Feuersee geworfen. Für narrativen Duktus des Textes ist die letzte Stelle am wichtigsten Offenbarung unterschiedlich definieren = als Vision des Johannes von Patmos, das was ihm offenbart wurde = nicht nur das Geschehen, das offenbart wird, sondern auch in dem Gericht wird etwas offenbart über die, über die gerichtet wird. In dieser Katastrophe und danach zeigt sich etwas, was in den einzelnen gerichteten Menschen drinnen steckt – sind sie gut oder böse? Es gibt ein Buch, in dem unsere Taten dokumentiert werden Aber auch alle mächtigen Institutionen, Energien,… werden gerichtet Das himmlische Jerusalem: Da entrückte er mich in der Verzückung auf einen großen, hohen Berg und zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem, wie sie von Gott her aus dem Himmel herabkam, 11 erfüllt von der Herrlichkeit Gottes. Sie glänzte wie ein kostbarer Edelstein, wie ein kristallklarer Jaspis. 12 Die Stadt hat eine große und hohe Mauer mit zwölf Toren und zwölf Engeln darauf. Auf die Tore sind Namen geschrieben: die Namen der zwölf Stämme der Söhne Israels. 13 Im

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Osten hat die Stadt drei Tore und im Norden drei Tore und im Süden drei Tore und im Westen drei Tore. 14 Die Mauer der Stadt hat zwölf Grundsteine; auf ihnen stehen die zwölf Namen der zwölf Apostel des Lammes. 15.... 18 Ihre Mauer ist aus Jaspis gebaut und die Stadt ist aus reinem Gold, wie aus reinem Glas. 19 Die Grundsteine der Stadtmauer sind mit edlen Steinen aller Art geschmückt; der erste Grundstein ist ein Jaspis, der zweite ein Saphir, der dritte ein Chalzedon, der vierte ein Smaragd, 20 der fünfte ein Sardonyx, der sechste ein Sardion, der siebte ein Chrysolith, der achte ein Beryll, der neunte ein Topas, der zehnte ein Chrysopras, der elfte ein Hyazinth, der zwölfte ein Amethyst. 21 Die zwölf Tore sind zwölf Perlen; jedes der Tore besteht aus einer einzigen Perle. Die Straße der Stadt ist aus reinem Gold, wie aus klarem Glas. 22 Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt. Denn der Herr, ihr Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung, ist ihr Tempel, er und das Lamm. 23 Die Stadt braucht weder Sonne noch Mond, die ihr leuchten. Denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie und ihre Leuchte ist das Lamm. 24 Die Völker werden in diesem Licht einhergehen und die Könige der Erde werden ihre Pracht in die Stadt bringen. 25 Ihre Tore werden den ganzen Tag nicht geschlossen - Nacht wird es dort nicht mehr geben. 26 Und man wird die Pracht und die Kostbarkeiten der Völker in die Stadt bringen. 27 Aber nichts Unreines wird hineinkommen, keiner, der Gräuel verübt und lügt. Nur die, die im Lebensbuch des Lammes eingetragen sind, werden eingelassen. Nach der Zerstörung erscheint die Stadt aus Edelsteinen und Gold, Mauer mit 12 Türmen und Tore Symbolische Zahlen und Wiederholungen auch hier wieder Gemeinschaft der Guten und Gerechten, jener die sich als würdig erwiesen haben Text sollte man mal im Original lesen: durch allegorische Vielfalt erzeugt er ein buntes Bild, das oft aufgenommen wurde und weil man zwar denkt, man wüsste eh was drinnen steht Durch Rätselhaftigkeit ist es auch ständig eine neue Ausdeutung möglich, z.B.: im 17. Jhd hätte Hure Babylon auch Wien sein können Klassisches apokalyptisches Schema:

1. Offenheit des Textes für Jahrtausende lange Interpretation, Allegorische Bezeichnungen sind Momente in der Geschichte, Institutionen,… Dinge in der Welt wie die Stadt Rom, Kaiser Nero,…

2. Welt läuft nach einem Schema ab, Zukunft ist ein Geschehen, dass zwar auf uns zukommt, aber schon bestimmt ist, ‚adventus’ Heute eine Vorstellung der Zukunft, die auf uns zu kommt sondern die noch durch gegenwärtige Entscheidungen verändert werden kann, verhindert werden kann

3. Viele Möglichkeitsverzweigungen, die wir mit unseren Entscheidungen einschlagen können

4. Offenbarung des Werts, des inneren verborgenen Werts des Einzelnen Was daran ist veraltet

- Bild der Zukunft, Vorstellung eines göttlichen Plans nicht mehr, nicht mehr Vorstellung von Recht und Gerechtigkeit, säkularer Geschichtsbegriff = Geschichte, die der Mensch selbst sich macht

- Vorstellung, dass nach einer großen Katastrophe, das goldene Jerusalem auf uns wartet (vl noch manchmal in Liturgien)

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Katastrophenvorstellung der Moderne: Nicht: erst alles zu Ende und dann kommt das Gute (goldene Stadt) sondern die Katastrophe kommt und damit ist es vorbei

Jean Paul Richter: Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei (1796) Jean Paul von 1763-1825 [Es] träumte mir, ich erwache auf einem Gottesacker. Ich suchte im ausgeleerten Nachthimmel die Sonne ...Alle Gräber waren aufgetan und die eisernen Türen des Gebeinhauseses gingen unter unsichtbaren Händen auf und zu. ... Oben am Kirchengebäude stand das Zifferblatt der Ewigkeit, auf dem keine Zahl erschien und das sein eigener Zeiger war... „Ich ging durch die Welten, ich stieg in die Sonnen und flog mit den Milchstraßen durch die Wüsten des Himmels, aber es ist kein Gott. Ich stieg herab, so weit das Sein seine Schatten warf, und schauete in den Abgrund und rief: Vater wo bist du? Aber ich hörte nur den ewigen Sturm, den niemand regiert und der schimmernde Regenbogen aus Wesen stand ohne eine Sonne, die ihn schuf, über dem Abgrunde und tropfte hinunter.“ „Jesus! Haben wir keinen Vater?“ – Und er antwortete mit strömenden Tränen: „Wir alle sind Waisen, ihr und ich, wir sind ohne Vater.“ (...) „Starres, stummes Nichts! Kalte ewige Notwendigkeit! Wahnsinniger Zufall! Kennt ihr das unter euch? Wann zerschlagt ihr das Gebäude und mich?“ (...) „Ist das neben mir noch ein Mensch? Du Armer! Euer kleines Leben ist der Seufzer der Natur oder nur sein Echo (...)“ Traumvision eines Gottesackers, Bild der leeren Uhr, die offenen Gräber – Motive aus der Apokalypse Die Dunkelheit ist in der Romantik das visuelle Motiv für das säkulare Weltende Ziffernblatt als Verweis auf menschliche Technologie, die jedoch entleert ist, ausgelöscht ist Zeit ist in der Apokalypse eingefroren In dieser Szene erscheint Jesus und erzählt von seiner Suche nach Gott, die erfolglos war Verschwinden der Sonne auch als Verschwinden eines göttlichen Lichts, in dem man noch den Unterschied zwischen gut und böse machen kann, alles wird grau Auch die Toten werden grau, die extra auferstanden sind, und dann ist Gott nicht da Apokalypse erfüllt hier ihren eigentlichen Zweck nicht mehr, da die Gerechtigkeit, das Gericht über die Menschen wegfällt Das macht die moderne Apokalypse aus, das starr-stumme Nichts, die kalte ewige Notwendigkeit und der wahnsinnige Zufall � walten von Gesetzmäßigkeiten, von Gesetzen der Natur, die gegen die Vorstellung einer sinnvollen geplanten Zukunft läuft Alles was bleibt, ist die Unterworfenheit des Menschen unter die kalten Naturgesetze – man wird eben vom Stein erschlagen oder nicht, egal ob man gut war oder nicht – Zufall

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Menschen nur noch als lebendiges Lebewesen, nicht mehr als Geschöpf Gottes, zufällige Hervorbringung der Natur In diesem Weltuntergang sehen wir etwas: Mensch als Naturwesen, nur halt von der anderen Seite aus betrachtet Mensch als Körper und Geist, Pflichten nur gegenüber den anderen, Vernunft nicht weil der Feuersee wartet sondern weil er in der Lage ist, das zu erkennen und vernünftig zu handeln

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25.03.2014 Der letzte Mensch Anknüpfung an letztem Mal Romantik, um 1800 Thesen: Die Formen, Katastrophen zu denken, verändern sich in der Romantik gravierend in der Verabschiedung des Weltuntergangs mit Gott Welche Art ist Gott, wenn eine derartige Zerstörung wie das Erdbeben von Lissabon möglich ist Das apokalyptische Schema bei Johannes, ein Teil der vorgegebenen Entwicklung liegt bereits hinter uns, der andere Teil liegt vor uns, Moment des auf uns zu Kommens, Gegenwart ist Geschehen in dem sich der vorgegebene Weg entwickelt Die Siegel als Schritte des Zerstörungsprozess der Erde, läuft auf Endgericht hin Untergang, der auf etwas Positives hinausläuft � ultimative Gerechtigkeit, alles Schlechte wird vergehen und das Gute, die Geretteten wohnen unmittelbar bei Gott in einer Welt, die sich nicht mehr verändern wird, Stadt aus Gold Jean Paul: stellt euch vor die Apokalypse kommt und Gott geht nicht hin… Da sie ohne Schöpfer sind, sind sie auch ohne Instanz, die das Gericht abhalten kann, gibt keine Verdammung, keine Erlösung und kein ewiges Jerusalem Was heißt es, wenn der Mensch in der Apokalypse nicht mehr gerichtetes Geschöpf sondern als reines Naturwesen, als Spielball der Natur ins Rennen geht

Bild von John Martin: The Last Man (1849) oil on canvas (214 x 138 cm)

Motiv, dass immer wieder aufgerufen wird: der letzte Mensch in einer verdunkelten, leeren Welt John Martin war ein Maler, (1789 bis 1850) „Blockbusterpaintings“

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Relativ schnell und schlampig gemalt Typisch ist Großformat, malt große Szenen aus der biblischen Geschichte oder Mythologie und malt besonders gerne Untergänge Eine hochdramatische, hochpathetische Szene, meistens ist oben rechts ein greller Blitz, der auf die Szene leuchtet Bei diesem Bild fehlt der Blitz, der wie eine Faust Gottes auf die Erde nieder geht, sondern hier ein dunkel gehaltenes Werk, das nach hinten hin immer dunkler wird mit einer roten Sonne im Zentrum der Dunkelheit Eine der Leitfiguren der modernen Katastrophe ist der letzte Mensch Vertiefungseffekt, der in einen dunklen Korridor hineingeht Mensch in heller Kutte, der die Hand abwehrend gegen die rote Sonne streckt, neben ihm liegt eine Gestalt – tote Frau mit totem Baby im Arm Der Mann in dem biblischen Gewand blickt über die Ebene, in der Ebene, in der Farbe der Ebene, sieht man lauter Leichen und tote Tiere und weit hinten die Skyline einer Stadt oder der Ruinen einer Stadt Verdunklung ist die Bebilderung der Entkernung des apokalyptischen Schemas, insofern als das Zentrum des Universums, das Licht gegeben hat, der göttlichen Instanz Mit dem letzten Menschen endet die Geschichte und sie endet auch mit einem Ausfall von Gott Ein Bild, das nicht zu sehen ist Ein Bild vom letzten Menschen, ist ja an sich schon unmöglich, gibt ja keinen mehr, der den letzten Menschen beobachten kann Denn nur die externe Figur einer Gottheit kann den letzten Menschen noch von der Position des Malers aus sehen

John Martin: The Last Man 1933, watercolor on paper

Ähnliches Bild, wieder der letzte Mensch, der auf einem Hügel steht und auf eine Ebene voller Leichen blickt, gestrandete (?) Schiffe Die Sonne ist noch undeutlicher Mit Farben den Ausfall des Lichts zu malen

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Dunkelheit kurz vor dem totalen Eclipse, und das mit Farbe und Licht Es dreht sich alles um das Motiv der kosmischen Verdunklung Der letzte Mensch = Figur des ultimativen Beobachters und zugleich erlebt er es Person, die alles sieht, mit der alles Wissen untergeht Motive des biblischen Untergangs wird aufgerufen und zugleich das Motiv der Romantik – der gottlose Untergang, das Fehlen der göttlichen Instanz Die Verdunkelung macht gleichzeitig etwas sichtbar über den Menschen – Anthropologie der Verdunkelung

Xavier Cousin de Grainville: Le dernier homme/ Der letzte Mensch (1805) „Ich habe dich in diese Höhle geführt, um für dich den Schleier zu lüften, der den Sterblichen die düstere Zukunft verbirgt. Ich mache dich zum Zuschauer jener Szene, die das Schicksal des Universums beenden wird. In diesen magischen Spiegeln, die dich umgeben, wird der letzte Mensch vor deinen Augen erscheinen. Wie auf einer Bühne, wie die Schauspieler längst vergangene Helden darstellen, wirst du die Gespräche der berühmtesten Personen des letzten irdischen Jahrhunderts vernehmen; du wird in ihrer Seele die geheimsten Gedanken lesen können und der Zeuge und Richter ihrer Handlungen sein“ (47) Trotz des Pessimismus von einem modernen Optimismus geprägt Hat sich vor der Veröffentlichung selbst umgebracht, Roman ist dann anonym erschienen, ins Englische übersetzt, Art Geheimbestseller geworden, dann vergessen worden Erzählt von dem letzten Menschen und seiner Frau: Die Welt ist krank geworden, Menschen haben die Fähigkeit verloren, sich fortzupflanzen. Darin entspinnt sich ein Dialog zwischen dem ersten Menschen Adam und dem letzten Menschen und seiner Frau, die die letzten fortpflanzungsfähigen Menschen sind und die Menschheit eine zweite Chance geben könnten. Dieses Paar will heiraten und vor ihrer Hochzeit werden sie von mehreren Instanzen angesprochen, die ihnen raten es zu tun oder eben nicht Dialog zwischen erstem und letztem Menschen Adam, der erste Mensch, wird von Gott beauftragt, der meint – der Mensch war vl doch keine so gute Idee, irgendwie ein Flop. Adam soll den letzten Menschen davon abbringen, seine Frau zu heiraten und Kinder zu bekommen und damit die Menschheit zu beenden Auf der anderen Seite ist der Erdgeist, dessen Existenz an die Existenz der Erde gebunden, die an die Existenz der Menschheit gebunden ist. Der Erdgeist gibt der Menschheit alles, womit sie ihr Leben verbessern können, Allegorie der Technik Ist PRO heiraten und Kinder kriegen Der letzte Mensch heiratet und schwängert seine Frau Kurz bevor der nächste Mensch geboren wird und die Menschheit gerettet werden Adam macht etwas sehr modernes und gemeines und lässt ihn ein Bild seiner Nachkommenschaft sehen „Gott lässt ihn das Bild seiner Nachkommenschaft sehen, in einer kargen Ebene unter einem düsteren Himmel entdeckt er seine abstoßendes Kindeskinder, ebenso grausam wie entstellt,

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sie liefern sich einen ewigen Krieg, er sieht sie um blutverschmierte Tische sitzen, auf denen die Gliedmaßen ihrer Brüder liegen. Sie streiten sich um die zitternden Körperteile, um sie zu verzehren“ (149) Ganz untypische Prophezeiung (normal wird man sie, kann aber nichts mehr daran ändern) Daraufhin bringt der letzte Mensch seine Frau, sein ungeborenes Kind und sich selbst um – umgeht Prophezeiung und die schlechte Menschheit geht unter Entscheidung in der Gegenwart wird getroffen, um die Zukunft zu verändern Moderne Idee davon, dass der Mensch mit Wissen um die Zukunft, die Zukunft ändern kann Idee der Prävention als Angelpunkt Wir müssen jetzt etwas anders machen, um diese mögliche Zukunft nicht zu haben, Zukunft nicht mehr als eine Schiene, die unweigerlich kommt, sondern als Verzweigungen der Möglichkeiten Es geht um einen ganz wichtigen Aspekt der Sexualität – die Fortpflanzung – nicht die individuellen Fragen sondern implizit der Zusammenhang zwischen Sexualität und dem Weiterbestehen und der Größe der Menschheit Parallelismus des letzten und des ersten Menschen (klingt alles humorvoll, ist aber alles ernst und düster) Fiktion, dass man etwas sehen wird können, was bisher nicht sichtbar war Mediale Rahmenfiktion, in den Zauberspiegel wirst du die Zukunft sehen können, so wie du im Theater die Vergangenheit sehen kannst Auch in der Wissenschaft kommt die Fortpflanzung in den Fokus

Thomas Robert Malthus (1766-1834) An Essay on the Principle of Population, as it affects the future improvement of society on the speculations of Mr. Godwin, Mr. Condorcet and other writers (Mr. Godwin war Mary Shelleys Vater, Mr. Condorcet ein fr. Philosoph) Malthus: hat ein einfaches Konzept aufgestellt Beschreibt zwei Kurven

- Exponentiell – Bevölkerungswachstum - Linear - Ressourcen

Gibt einen Punkt, an dem sie sich schneiden und um den geht es Malthus Wenn jedes Paar vier Kinder bekommt, verdoppelt sich die Menschheit pro Generation, in Entwicklungsländern wäre hier noch größer Malthus: ab dem Schnittpunkt haben wir steigende Hungersnot Was ist neu?

- Blick auf die Bevölkerung als Problem, Bevölkerung ist nicht immer gut, davor war das schon so das Bild. Möglichkeit: wir könnten irgendwann mehr sein, als wir Essen, Schlafplätze,… haben

- Problem: der Mensch tendiert dazu, sich mehr zu vermehren

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Mit Malthus beginnt ein Warnen vor Überbevölkerung, gleichzeitig haben wir schon einige prognostizierte Obergrenzen überwunden George Gordon Byron (1788-1824) Englischer Adeliger Gedicht Darkness (1816) 1 I had a dream, which was not all a dream. 2 The bright sun was extinguish'd, and the stars 3 Did wander darkling in the eternal space, 4 Rayless, and pathless, and the icy earth 5 Swung blind and blackening in the moonless air; 6 Morn came and went--and came, and brought no day, 7 And men forgot their passions in the dread 8 Of this their desolation; and all hearts 9 Were chill'd into a selfish prayer for light: 10 And they did live by watchfires--and the thrones, 11 The palaces of crowned kings--the huts, 12 The habitations of all things which dwell, 13 Were burnt for beacons; cities were consum'd, 14 And men were gather'd round their blazing homes 15 To look once more into each other's face; 16 Happy were those who dwelt within the eye 17 Of the volcanos, and their mountain-torch: 18 A fearful hope was all the world contain'd; 19 Forests were set on fire--but hour by hour 20 They fell and faded--and the crackling trunks 21 Extinguish'd with a crash--and all was black. 22 The brows of men by the despairing light 23 Wore an unearthly aspect, as by fits 24 The flashes fell upon them; some lay down 25 And hid their eyes and wept; and some did rest 26 Their chins upon their clenched hands, and smil'd; 27 And others hurried to and fro, and fed 28 Their funeral piles with fuel, and look'd up 29 With mad disquietude on the dull sky, 30 The pall of a past world; and then again 31 With curses cast them down upon the dust, 32 And gnash'd their teeth and howl'd: the wild birds shriek'd 33 And, terrified, did flutter on the ground, 34 And flap their useless wings; the wildest brutes 35 Came tame and tremulous; and vipers crawl'd 36 And twin'd themselves among the multitude, 37 Hissing, but stingless--they were slain for food. 38 And War, which for a moment was no more, 39 Did glut himself again: a meal was bought 40 With blood, and each sate sullenly apart

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41 Gorging himself in gloom: no love was left; 42 All earth was but one thought--and that was death 43 Immediate and inglorious; and the pang 44 Of famine fed upon all entrails--men 45 Died, and their bones were tombless as their flesh; 46 The meagre by the meagre were devour‘d, Wieder Einstiegsvision mit einem Traum, der kein Traum war Verbreiteter Verstyp Es ist eine Folge von Sätzen, die immer mit And verknüpft werden, hat was von einer Litanei Parataxen – das gleiche Element wird immer wieder aneinander gereiht Runterfahren der Syntax zu parataktischen Reihen, durch das And muss man immer weiter lesen, ist so ein Lauf, kann man auch nur schwer gliedern Die Sonne ist aus, die Erde ist plötzlich schwarz und mondlos, alle Herzen werden in einem selbstsüchtigen Gebet um Licht eingefroren, Menschheit dreht sich nur noch um den eigenen Selbsterhalt im zweiten Schritt wird alles verbrannt, alle Hütten, Städte,… und alle versammeln sich, um sich ein letztes Mal ins Gesicht zu schauen, bevor die Dunkelheit kommt Licht hält die Menschen zusammen, solange es noch Licht gibt, sind sie noch Menschen, sind sie noch eine Gemeinschaft von Menschen, und sei es nur das Licht des Feuers Perspektivverschiebung, nicht mehr die verzweifelten, gelähmten Menschen (machen nichts sinnvolles mehr, verbrennen alles) Jetzt kommen die Tiere dran, die Vögel können nicht mehr fliegen, Tiere werden zahm und können nichts mehr, was früher ihre Art war Und die Essensproblematik kommt auf, Tiere werden unfähig, das zu tun, was wilde Tiere normalerweise tun Menschheit beginnt sich auf die schlappen Tiere zu stürzen Der Krieg flammt wieder auf, der von der Katastrophe angehalten war, ein Mahl wird mit Blut erkauft und jeder sitzt allein und füllt sich mit Trostlosigkeit, alle denken nur noch an den jämmerlichen Tod Der Schmerz der Hungersnot ergriff die Menschheit, die Leichen mit ihrem Fleisch und ohne Knochen sind ohne Grab, denn sie werden vom Hungernden gegessen (nachdem sie die Tiere aufgegessen haben, gehen sie zum Kannibalismus um) Das letzte was man sagen kann: es gibt nichts mehr, was die Menschen für den anderen tun, es gibt keine Solidarität Es gibt eine Ausnahme, ein Hund, der bei seinem toten Herren wacht und die Kannibalen abwehrt Es gibt keine Einzelfiguren Auch die beiden letzten Menschen sind keine Einzelfiguren, keine Individuen Es gibt keinen einzelnen Held, alle anderen handeln nach dem Motto „no love was left“

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Byron ist der Prognostiker der Hungersnot, und ist damit bei Malthus, der ebenfalls die Hungersnot als Konsequenz sieht Alles läuft nach dem Schnittpunkt auf unerträgliche, umfassende Hungersnot hinaus Prognose von Malthus – irgendwann geht die Bevölkerung auch wieder runter, Hungersnot ist das letzte, grausame Mittel der Natur die Überbevölkerung zu drücken Thomas Robert Malthus (1766-1834) An Essay on the Principle of Population, as it affects the future improvement of society with

remarks on the speculations of Mr. Godwin, Mr. Condorcet and other writers (1. ed. 1798, 2.

ed. 1803) It has appeared, that from the inevitable laws of our nature some human beings must suffer from want. These are the 3unhappy persons who, in the great lottery of life, have drawn a blank. (Essay, 1st edition, 1798) ...supposing the present population [of the earth] equal to a thousand millions, the human species would increase as the numbers 1, 2, 4, 8, 16, 2, 64, 128, 256, and subsistence as 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9. In two centuries the population would be to the means of subsistence as 256 to 9; in three centuries as 4096 to 13; and in two thousand years the difference would be almost incalculable. (Essay, 2nd edition, 1803) Famine seems to be the last, the most dreadful resource of nature. The power of population is so superior to the power in the earth to produce subsistence for man, that premature death must in some shape or other visit the human race. The vices of mankind are active and able ministers of depopulation. They are the precursors in the great army of destruction; and often finish the dreadful work themselves. But should they fail in this war of extermination, sickly seasons, epidemics, pestilence, and plague, advance in terrific array, and sweep off their thousands and ten thousands. Should success be still incomplete, gigantic inevitable famine stalks in the rear, and with one mighty blow levels the population with the food of the world. Weiter bei Byron: 55 The crowd was famish'd by degrees; but two 56 Of an enormous city did survive, 57 And they were enemies: they met beside 58 The dying embers of an altar-place ... 65 Their eyes as it grew lighter, and beheld 66 Each other's aspects--saw, and shriek'd, and died-- 67 Even of their mutual hideousness they died, 68 Unknowing who he was upon whose brow 69 Famine had written Fiend. The world was void, 71 Seasonless, herbless, treeless, manless, lifeless-- 72 A lump of death--a chaos of hard clay. 73 The rivers, lakes and ocean all stood still, 74 And nothing stirr'd within their silent depths; 75 Ships sailorless lay rotting on the sea, 76 And their masts fell down piecemeal: as they dropp'd 77 They slept on the abyss without a surge--

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78 The waves were dead; the tides were in their grave, 79 The moon, their mistress, had expir'd before; 80 The winds were wither'd in the stagnant air, 81 And the clouds perish'd; Darkness had no need 82 Of aid from them--She was the Universe. zwei letzte Menschen treffen aufeinander, die sich in einer abgebrannten Kirche treffen, die sich voreinander fürchten Die Hungersnot als das, was die Menschen einander verhasst macht, dass die beiden letzten Menschen sich gar nicht gegenseitig umbringen, sondern vor Entsetzen vor dem anderen Menschen, unter der Rahmenbedingung der Hungersnot, sterben. Es gibt keinen Mond mehr, keine Gezeiten mehr, keine Zeit mehr – typisch Apokalypse – Motiv der Ende der Zeiten Es ist einfach vorbei, nichts bewegt sich mehr, nur Dunkelheit bleibt über Es gibt nichts mehr, was die Natur in Bewegung halten könnte (Gezeiten, Wetter,…) These: Es gibt ein zeitgenössisches, wissenschaftliches Wissen, Malthus wollte der Aufklärung in den Arsch treten durch seine mathematische Herangehensweise (Aufklärung – Mensch hat eine Fortschrittsgeschichte, Mensch wird immer besser) Malthus, sagt, ja gut, aber die materiellen Grundlagen des Menschen werden ignoriert Materialistischer Einspruch in moralischen Fortschrittsglauben Gegenargument, gegen extrem optimistischen Menschenbilds Byron (no love was left), schauen wir mal den Menschen in der Katastrophe, im malthusianischen Szenario, dann ist der Mensch, des anderen Menschen Wolf (Hobbs) Byron nimmt den gleichen Blick wie Malthus ein, ein absolut mitleidloser Blick Das Gedicht entsteht im Juli in der Schweiz im Genfer See, in dem es dort in der Nacht friert, Luft ist schwer und dunkel Historisches Wetterjahr, Jahr ohne Sonne, Ernteausfälle, Missernten in Europa Und das alles weil ein Vulkan im April 1815 mit vor Ort 10000 bis 20000 Toten in Tambora, Vulkan hat Asche- und Staubpartikel in die Atmosphäre hochgeschossen, ziehen um die Erde herum � weltweit schlechtes Wetter, globale Auswirkung Hintergrund, vor dem Byron sein Gedicht schreibt Historisches Wetterereignis, Klima auf der einen Seite ja sehr schlecht, auf der anderen dann sehr kalt Byron verschärft dieses Szenario, es ist nicht einfach düster, es ist dunkel Europa hatte 20 Jahre lang Krieg gehabt, Post-Kriegs-Krise und flächendeckende Ernteausfälle, Hungerrevolte in England, Hungersnöte in Deutschland, Russland unterstützt (Osten nicht so schlimm betroffen) und schickt Weizen Eine Hochrechnung einer lokalen Begebenheit in die Zukunft

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01.04.2014 20. Jhd.: Der Kalte Krieg Castle Bravo Atomtest, Bikini Atoll, 1.3. 1954

Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte kann die Katastrophe vom Menschen selbst hergestellt werden – das stellt eine völlig neue Sicht der Dinge dar. Im Zuge der Operation Bravo wurden Wasserstofftests durchgeführt, die Explosionskraft dieser Bomben war viel größer als erwartet – ebenso der atomare Fallout. Die Bomben stellten sich als unberechenbar heraus, weshalb in den 60er Jahren die oberflächlichen Atomwaffentests eingestellt wurden. Beobachter der Atompilze beschrieben es als überwältigende Erfahrung; das Erhabene als ästhetische Erfahrung; es vereinten sich Furcht und Lust. Beim ersten Atombombentest – dem Trinitytest – am 16. Juli 1945 im Rahmen des Manhatten-Projekts, beschrieb Robert Oppenheimer die Explosion mit „heller als tausend Sonnen“. Die Atombombe ist jedoch nicht mehr ein Naturschauspiel, keine göttliche Fügung, sondern ein Technikschauspiel, die Erfindung des Menschen. Der Mensch hatte plötzlich Ehrfurcht vor einer eigenen Schöpfung. Edward Teller, am Manhattan Projekt beteiligt, entwarf die Doomsday Clock, die anzeigen sollte, wie knapp die Welt vor ihrem Ende steht > Diese Uhr bzw. dieses Konzept gibt es auch heute noch, künftig sollen auch die klimatischen Entwicklungen mit einbezogen werden. Doomsday Clock, Idee: Edward Teller, seit 1947

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Aber es scheint ein wenig paradox: gerade diejenigen, die die Atombombe entwickelten, wurden zu ihren ersten Kritikern – sie kritisierten die Technologie sowie den Einsatz der Bombe und forderten atomaren Entwicklungsstopp. Es folgt eine Zeit der aktuellen Bedrohlichkeit, das Ende steht jederzeit direkt bevor. Die 50er Jahre waren die Jahre der Atomwaffentests – der 3. Weltkrieg stand jederzeit vor der Haustür. Dabei wurde das Kriegsszenario und die Zerstörung nicht mehr lokal gedacht, sondern weltweit – es entstand eine Gesamtheitsfigur: wenn, dann endet alles. Karl Theodor Jaspers (1883-1969) formulierte in seinen Schriften zur Atombombe, dass diese Waffe die Katastrophe zur realen Möglichkeit mache – dass sie die Grenze zwischen Fiktion und Realität verschwinden lasse. Allerdings muss man diese Dichotomie als unzureichend ansehen, denn Fiktion und Realität beeinflussten sich schon immer gegenseitig – speziell bei der Atombombe. „Die Atombombe ist heute für die Zukunft der Menschheit drohender als alles sonst. Bisher gab es wohl irreale Vorstellungen des Weltendes. [...] Jetzt aber stehen wir vor der realen Möglichkeit eines solchen Endes. Nicht mehr ein fiktiver Weltuntergang, überhaupt kein Untergang der Welt, sondern die Tötung allen Lebens auf der gesamten Erdoberfläche ist die mögliche Realität, mit der von nun an zu rechnen ist, und zwar – bei dem wachsenden Tempo aller Entwicklungen – schon in naher Zukunft.“ Karl Jaspers: Die Atombombe und die Zukunft des Menschen. Politisches Bewußtsein in unserer Zeit (1958), München: Piper 1962, 21f. 1908 beginnt die Forschung zu radioaktiver Strahlung. H.G. Wells las diesen wissenschaftlichen Bericht und ließ sich zu seiner Erzählung „The world set free“ (1914) inspirieren. Seine Vorstellung war, dass wenn es eine Quelle nicht endender Energie gäbe, dann könne dies auch für Waffen zum Einsatz kommen (in Form des fiktiven Stoffes Karolinum). Diesen Roman wiederum las Leo Szilard, ein Atomphysiker und Mitglied des Manhattan-Projekts. Wells’ Erzählung bringt ihn dazu, nukleare Kettenreaktionen für Waffentechnik zu untersuchen. S. 108. Dt.: H.G. Wells: Befreite Welt (The World Set Free, 1914) Wien, Hamburg: Paul Zsolnay 1985, S. 105: „Einer einmal geworfenen Bombe konnte man sich nicht nähern, bis ihre Energie fast erschöpft war. Sie spie aus dem Krater, den sie aufgerissen hatte, in einem weiten Radius hochaufschießende, weißglühende Dämpfe und höchst gefährliche, mit Carolinum gesättigte Brocken von Stein und Schlamm, die jeweils wieder ein Zentrum sengender und

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vernichtender Energie bildeten. Das war der krönende Triumph der militärischen Wissenschaften, der letzte Sprengstoff, der den Krieg entscheiden sollte...“ Aber wie konnte der Kalte Krieg kalt bleiben? Eine Überlegung prägte die Ära zwischen den 50er und 80er Jahren: MAD, die Theorie der „Mutual assured destruction“. Dieses Theorem besagt, dass der Besitz von superpotenten Waffen auf beiden Seiten zu einem Gleichgewicht und schließlich zu Frieden führt – entscheidend ist, dass beide gleich viel Vernichtungskraft aufzubieten haben, und dass beide sich garantiert sicher sein können: wenn ich einen Erstschlag durchführe, werde auch ich ausgelöscht werden. Entscheidend ist also auch die Second Strike Capability, also die Möglichkeit zum vernichtenden Gegenschlag. Diese Theorie hat dafür gesorgt, dass USA und UdSSR eine enorme Hochrüstungs- und Abschreckungspolitik gefahren sind, die – rückblickend betrachtet – tatsächlich mitverantwortlich für den langanhaltenden Frieden in der westlichen Welt sind.

Eine weitere Bedingung für das Gelingen der MAD Theorie ist aber auch die Rational Choice Theory (auch bekannt als das Gefangenendilemma): In diesem Szenario sitzen zwei Gefangene in getrennten Zimmern und versuchen zu überlegen, wie der andere reagieren wird. Prisoner‘s dilemma (Melvin Dresher, Merill Flood, RAND Corporation 1950)

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Wiki: Zwei Gefangene werden verdächtigt, gemeinsam eine Straftat begangen zu haben. Beide Gefangene werden in getrennten Räumen verhört und haben keine Möglichkeit, sich zu beraten bzw. ihr Verhalten abzustimmen. Die Höchststrafe für das Verbrechen beträgt sechs Jahre. Wenn die Gefangenen sich entscheiden zu schweigen (Kooperation), werden beide wegen kleinerer Delikte zu je zwei Jahren Haft verurteilt. Gestehen jedoch beide die Tat (Defektion), erwartet beide eine Gefängnisstrafe, wegen der Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden jedoch nicht die Höchststrafe, sondern lediglich von vier Jahren. Gesteht nur einer (Defektion) und der andere schweigt (Kooperation), bekommt der erste als Kronzeuge eine symbolische einjährige Bewährungsstrafe und der andere bekommt die Höchststrafe von sechs Jahren. Dabei muss man immer davon ausgehen, dass auch der andere „vernünftig“ handelt, also ein zurechenbares Individuum darstellt. Solange das der Fall ist, kann die MAD funktionieren, wenn einer von den beiden irrationale, verrückte Entscheidungen trifft, dann gerät die Situation außer Kontrolle (>> am Beispiel Dr. Strangelove or How I learned to stop worrying and love the bomb, Stanley Kubrik’ 3 Schauplätze: 1. Burpleson Air Base, 2. B52 unter Major Kong, 3. War Room, Pentagon). Alles in allem war der Kalte Krieg also eine hyperrationale Kalkülsituation. Leo Szilard überlegte in den 50ern weiter, wie die Balance der Macht vollkommen erreicht werden könnte – und schlug ein Szenario (mehrfach ernsthaft) vor, das aber nicht ernst genommen wurde, weshalb er es in Form einer kurzen Erzählung für die Nachwelt konservierte: In „The mined cities“ wird in einem Dialog folgende Situation beschrieben: Die Stabilität zwischen den Mächten wurde durch Bombendepots unter den Städten erreicht. Es gab immer zwei Partnerstädte, die je den Auslöser für das Bombendepot unter ihrer Partnerstadt in Händen hielten. Sollte eine Stadt auf den Knopf drücken, drückt automatisch die Partnerstadt auf ihren Knopf und löscht den Erstschlagenden damit aus. >> Perfekte Ausbalancierung der Macht durch MAD. In der Realität gab es die B52-Bomber, Langstreckenbomber, die permanent in der Luft gehalten wurden, um den atomaren Zweitschlag ständig abrufbereit zu halten.

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08.04.2014 Günther Anders und Beckett zu letzter Woche: Kalter Krieg – Garantie, dass der Zweitschlag so abschreckend ist, dass der Erstschlag gar nicht erst passiert. Paradox, die Stabilität einer Situation zu gewährleisten, indem man die Gefahr erhöht anstatt zu reduzieren � kalter Krieg, man rüstet auf statt ab Kubrik: Dr. Strangelove Man unterstellt zwei Partnern, dass sie in einer Situation völlig rational ihre Möglichkeiten genau und logisch analysieren und sich überlegen kann, was der andere jeweils machen kann Witz dabei ist, die massive Rationalitätsunterstellung Jede Rolle hat einen Namen mit Anspielungen Wo sind die blinden Flecken dieser logischen Antworten? – 1. Amerikaner sind zu verrückt und die deshalb zu dieser unlogischen Reaktion kommen, einen Erstschlag durchzuführen 2. Russen sind zu dumm: Maschine die losgeht und die man nicht mehr außer Betrieb nehmen kann („Tote Hand“) gibt das Gerücht, dass die Russen so was tatsächlich hatten � Abschreckung funktioniert nicht, wenn man sie geheim hält. Wenn man eine Waffe hat, mit der man jemanden abhalten will, muss man dem das auch sagen! Und genau das haben die Russen nicht geschnallt Kubrik geht es genau darum mit der betonten Albernheit des Films genau auf den blinden Fleck abzuzielen – was passiert, wenn der Gegner eben nicht so rational reagiert � militärische Logik Bevölkerung: muss das für verrückt halten in dieser paradoxen Denkfigur Und um diese Seite geht es heute, es geht um Pazifisten und Leute, die es nicht so lustig sehen wie in Kubriks Film In den 50er Jahren wortgewaltige Gegner der Rüstungsindustrie

Günther Anders (1902-1992) Gilt als österreichischer Philosoph (ist aber in Dt. geboren), ist emigriert Für ihn ist die Atomtechnologie die Signatur der Gegenwart, schreibt in den 50ern, 60ern ein großes philosophisches Werk Die Kernantwort auf die Frage, was ist der Mensch heute, was für eine Welt richtet sich der Mensch heute ein – alles steht unter dem Zeichen der Bombe Die Philosophen nehmen es mit der Technologie nicht so genau Was hat diese Technologie, dessen fiktive Wurzeln weit reichen, eine Realität gewordene Fiktion, die wieder Fiktion wird „die Zukunft kommt nicht mehr, wir verstehen sie nicht mehr als kommende, wie machen sie. Und zwar machen wie sie eben so, dass sie ihre eigene Alternative, die Möglichkeit ihres Abbruchs, die mögliche Zukunftslosigkeit, in sich enthält. Auch wenn dieser Abbruch nicht

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morgen schon eintritt – durch dasjenige, was wir heute tun, kann er übermorgen eintreten oder in der Generation unserer Urenkel oder im siebten Geschlecht. Da die Effekte dessen, was wir heute tun, bleiben, erreichen wir also heute schon diese Zukunft: womit gesagt iust, dass sie in pragmatischem Sinne bereits gegenwärtig ist. So ist gegenwärtig, wie etwa ein Feind gegenwärtig ist, wenn er, obwohl im äußerlichen Sinne abwesend, bereits in Reichweite unserer Waffe ist, also von uns getroffen werden kann. Wir haben also Macht über eine Zeit, die wir als Zukunft gewöhnlich nicht in Betracht ziehen und nicht in Betracht ziehen können. Unsere Tat leistet mehr als unsere Auffassung. Wir werden weiter, als wir Kurzsichtige sehen können“ (Günther Anders: Aus die Antiquiertheit des Menschen, 1956, Band 1, München: Beck 1961, S. 283) Die eigene Vernichtung zur Handlungsoption gemacht Bisher war der Untergang nicht eine Entscheidung, die getroffen worden ist. Seit dem kalten Krieg hat der Mensch die Möglichkeit, eine Entscheidung zu treffen, die die Zukunft zerstören wird. Wir machen heute vielleicht Dinge, die das Leben für unsere Nachfahren ziemlich Byron-mäßig (oder McCarthy) machen. Wir treffen heute Entscheidungen, wir bauen etwas, das in Zukunft so gravierende Ausflüsse haben kann, dass es diese Zukunft nicht mehr gibt. Und das ist das Moderne daran. Und das, obwohl es ein Werk der 50er ist – wahnsinnig aktuell. „Wir werfen weiter, als wir Kurzsichtige sehen können“ Vorstellung etwas über den eigenen Horizont zu werfen. Beispiel einer Handgranate, die über eine Mauer geworfen wird, ohne zu wissen, wer hinter der Mauer steht oder ob überhaupt die Mauer stark genug ist, um dem standzuhalten. Wir können die Folgen nicht abschätzen, die unser heutiges Verhalten hat, und werfen dennoch in die Zukunft. Frage nach der Verantwortung für die direkte Zukunft (nicht so philosophisch sondern realistisch – wie ist die Welt in 50 Jahren) Günther Anders hat einen sehr konkreten Ansatz „Die Apokalypsengefahr, in der wir leben, erreicht den Höhepunkt ihrer Bedrohlichkeit dadurch, dass wir nicht darauf eingerichtet, also unfähig sind, uns die Katastrophe auszumalen. […] da wir das totale Nichts herstellen können, darf uns die Begrenztheit der Kapazität unserer Vorstellung, also unsere Beschränktheit, nichts angehen. Wir müssen es mindestens versuchen, das Nichts auch vorzustellen“ (Günther Anders: Thesen zum Atomzeitalter [1959], Die atomare Drohung. Radikale Überlegungen, München: Beck 1986, S. 93) Und damit sind wir in unserem Fachbereich angelangt, wenn wir schon nicht sehen können, was hinter unserem Horizont liegt, sondern sich das vorzustellen Dieser Imperativ, sich die atomare Apokalypse vorzustellen, hat drei Möglichkeiten

- 1. bei Anders hat das präventiven Charakter, Apokalypse vorstellen um sie zu verhindern. Einmal als Prophezeiung von Jonas. Wenn der warnende Charakter funktioniert, ist die Prophezeiung falsch

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- 2. Bert Ducks and Cover: Duck and Cover Zivilschutzprogramm, USA 1951 www.youtube.com/watch?v=IKqXu-5jw60

Infantilisierung und Bagatellisierung der Gefahr, es wird aufgerufen, dass jede Familie sich einen privaten Bombenbunker bauen soll und einen Ratgeber dazu, wie man den baut, wo man das Zeug herbekommt, Verstrahlung als starker Sonnenbrand beschrieben.

Fokussierung auf die kleine Familie, nicht die Bewohner der Stadt oder die Nachbarschaft � immer die kleinste Einheit der Familie, gibt auch den Rat, eine Waffe mitzunehmen. Tipp: Nehmen sie ihren Hund und ihr Kind mit (nicht zu viele

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machen) und warten sie dort das schlimmste ab, aber ja nicht den Nachbarn reinlassen. Zielt natürlich nicht auf Großstädte ab – das ist aber die Fantasie, die das Ganze speist – für mich und meine Familie – euphemistische Herangehensweise, alles ist nicht so schlimm

- 3. Herman Kahn, RAND Corporation, zwei wichtige Bücher geschrieben: On Thermonuclear War (1960), Thinking about the Unthinkable (1962). Klausens “Vom Kriege”. Geht um die Möglichkeiten abseits der konventionellen Kriegsführung wie im 2. WK sondern um nukleare Waffen, die das Hingehen und Kämpfen ablösen. Die Bomben von Hiroshima und Nagasaki (und auch Tschernobyl) sind kein Vergleich zu H-Bombe.

o Im ersten Buch folgende Fragen � Werden die Überlebenden die Toten beneiden? Wie viele Tote sind

noch akzeptabel? � Welche konkreten Folgen hat ein Atomschlag? Wie viele sterben

sofort, wie viele sterben nach einer Woche, wie viele sterben später,… � Wie schnell könnte die Infrastruktur wiederhergestellt werden? � Welche Gesundheitsschäden erzeugt der radioaktive Fallout? Nach

Hiroshima,… viele Missgeburten, auch bei Tieren, etc. � Wie wäre ein effizienter Zivilschutz aufzubauen? � Mit welchen Todesraten wäre zu rechnen?

o Im zweiten Buch geht es darum, über eine Waffentechnologie nachzudenken, die wir noch nie real im Krieg ausprobiert haben.

� „Thermonuclear wars ware not only unpleasant events, they are, fortunately, unexperienced events, and the crises which threaten such wars are almost equally unexperienced.” Herman Kahn: Thinking about the Unthinkable, New York: Horizon Press 1962, S. 143. Übersetzung EH.)

� Scenariotechnik – mögliche Alternativen herstellen von Zukunftsvisionen, von denen man keine Ahnung hat. „ Scenarios are one way to force oneself and others to plunge into the unfamiliar and rapidly changing world of the present and the future by dramatizing and illustrating the possibilities they focus on. [...] They help to illuminate the interaction of psychological, social, political, and military factors, including the influence of individual political personalitities upon what otherwise might be an abstract analysis, and they do so in a form which permits the comprehension of many interacting elements at once. [...] The can be used as artificial "case histories" and "historical anecdotes" ..."They are literary and pedagogical tools rather than instruments of rigorous analysis, are useful to stimulate, illustrate and teach, to provide both preciseness and richness to communication, and to check details..." (Herman Kahn: A Methodological Framework: The Alternative Worlds Approach, in: Paul Carlos Aligica/ Kenneth R. Weinstein (Hg.): The Essential Herman Kahn, Lanham: Lexington Books 2009, S. 195.)

� Geht um Machbarkeit von Krisenintervention, Katastrophenschutz. Wieder zur ersten Möglichkeit

Post-apokalyptische Fiktionen des Kalten Krieges (50er)

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- George A. Steward: Earth Abides (1949) - Arno Schmidt: Schwarze Spiegel (1951) - Walter A. Miller: A Canticle for Leibowitz (1960) - Richard Matheson: I am Legend (1954) - Nevil Shute: On the Beach (1957) - Samuel Beckett: Fin de partie/Endgame (1957)

Nevil Shute: Es spielt in Australien, das Ende der Welt kommt, in dem Kobaltwaffen in einem Krieg, der stattgefunden hat, eingesetzt wurden. Der war auf der Nordhalbkugel und alle sind gestorben. Einer fährt von Australien nach Kalifornien (weil von da ein Signal kommt) und sieht dort, dass dort alles tot ist und das Signal Zufall Diese radioaktive Verstrahlung kriecht langsam Richtung Australien zieht, Australien als letztes, weil sie so weit im Süden sind Die Australier sind alle am Strand, feiern, trinken, planen für nächstes Jahr. Das Wissen des Untergangs, dass das Ende direkt auf sie zukommt, wird völlig ignoriert. Spielt im Sommer und im September ist die Wolke da, und das einzige was als Reaktion passiert, ist dass der Forellenfischfang von September vorgelegt wird Und als es so weit ist, nehmen alle Gift „None of us really believe it’s ever going to happen – not to us“ sagt Moira im Roman, „Everybody’s crazy on that point, one way or another“ (Nevil Shute: On the Beach [1957], Toronto: Vintage Books 2010, S. 144. Dt.: Das letzte Ufer, Rowohlt 1989, S. 144. ) Was sagt uns dieser Roman: Haltung der 50er: absolutes Stillhalten, keiner revoltiert, keiner leistet Widerstand – das erst in den 80ern Paralyse, à la duck and cover Samuel Beckett Samuel Beckett: Fin de partie (Urauff. 1957, London, französisch), engl. Endgame

Stück wird zwischen 54 und 57 geschrieben und 57 in London zuerst aufgeführt Beckett schreibt immer zuerst in Französisch und übersetzt sich dann selbst ins Englische Dt. Inszenierung in Berlin war ein totaler Flop – niemand wollte das sehen Heute eines der berühmtesten Stücke des Nachkriegstheaters Als absurdes Theater abgelegt Warten auf Godot und das sind die berühmtesten von ihm Ist eigentlich klassische Schullektüre Sind extrem handlungsarme Stücke

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Ganz spezifisch auf die Historizität der Zeit, in der es geschrieben wurde Es gibt Fenster, aus denen man auf die Landschaft schauen kann, und einen Stuhl (Rollstuhl) in dem Hamm sitzt (Person 1) ist gelähmt und blind und scheint der Hausherr zu sein. Daneben sein Diener oder Freund Clov, der ihn bedient, weil Hamm das ja nicht mehr kann. Dabei noch zwei Mülltonnen, mit Sand gefüllt, darin sitzen Negg und Nell, Hamms Eltern, die auch keine Beine mehr haben. Hamm und Clov führen den Hauptdialog aber er dreht sich um nichts. Es gibt Dialog, aber es passiert eben nichts Wie beim Warten auf Godot – zwei Typen treffen sich und warten auf den dritten. Im Endgame warten sie auf niemanden und auf nichts. Es spielt nach dem Ende HAMM: „… Ende, es ist zu Ende, es geht zu Ende, es geht vielleicht zu Ende“, so der Anfang des Stücks. „Schluss damit, es wird Zeit, dass es endet, auch in dem Unterschlupf. Pause. Und doch zögere ich, ich zögere noch zu … enden“ (12/13) HAMM: „Wir atmen doch, wir verändern uns! Wir verlieren unsere Haare, unsere Zähne! Unsere Frische! Unsere Ideale!" (20/21-22/23) HAMM: "Alle, denen ich hätte helfen können. Pause. Helfen! Pause. Die ich hätte retten können. Pause. Retten! Pause. Sie krochen aus allen Ecken. Pause. Heftig. Denkt nach, denkt! Ihr seid auf der Erde, dagegen gibt es kein Mittel! Pause. Macht euch weg und liebt und leckt einander!" (96/97) HAMM (zu NAGG, seinem Vater): "Verfluchter Erzeuger!" ("maudit progeniteur!") (18/19). "Du Schweinehund! Warum hast du mich gemacht?" (70/71) Während Hamm nichts aufstehen kann, kann Clov sich nicht hinsetzen. Und obwohl Hamm sehr unfreundlich ist und der Raum ungemütlich und sich die Frage stellt, warum Clov nicht einfach geht. Der Raum ist ein Bombenbunker Gruppe von Menschen, die einen Atomschlag überlebt haben Grund das Clov nicht geht, ist, dass Hamm über die Kombination des Essenspeichers verfügt – Hamm allein kann ihm zu Essen verhelfen. Der zweite Grund ist wohl die Landschaft. Der Raum ist ein Zufluchtsort, Clov schaut immer wieder aus dem Fenster und soll beschreiben, wie die Landschaft ausschaut. Das Licht ist grau, die Welt ist leer. Hamm „geh doch in die andere Hölle“ Es gibt keine physische Möglichkeit rauszugehen, weil draußen nichts mehr ist These: es gibt noch einen anderen Indikator, nicht nur das Problem, dass die menschliche Hinfälligkeit existiert. Indiz: Clov hat in der Küche Samen ausgesät, aber die Keimen nicht. Und der Verlust der Haare und der Zähne ist ein Zeichen, dass sie in einer ganz bestimmten Katastrophe drinnen stecken (nicht irgendeiner) und zwar einem nuklearen Schlag. Sind nuklear verstrahlt Es gibt keine Natur mehr, draußen ist nichts mehr.

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Eine Situation, in dem ein Warten nach dem Ende passiert, Warten, obwohl draußen alles zerstört ist, eine menschliche Existenz nach dem Ende ohne Zukunft Nimmt auf die Bunkeranweisungen der USA Bezug – es ist auch eine Familie + Clov, und genau diese Katastrophengemeinschaft ist die Familie Warum sind die so alleine? Weil sie ganz offensichtlich das so gemacht haben, wie angewiesen – niemanden rein gelassen. Und genau darüber denkt Hamm nach. Er denkt darüber nach, dass Leute zu ihm gekommen sind, die ihn um bestimmte Ressourcen gebeten haben und Hamm hat das gemacht, wie es in Fallout Shelter steht – isolieren und niemandem helfen.

Und genau diese Situation wird quasi in die Zukunft gestellt Beckett versucht eine postatomare Situation zu inszenieren, die sich mit dem blinden Fleck des Fallout Shelters befassen Was macht die Familie? Sie sitzt rum und wartet die 2000 Jahre auf die Halbwertszeit von Uran? Eine Figur, die aus dem herausgenommen wurde, was den Menschen erst zum Menschen macht, seine Verbindungen zu anderen. „Wir sind nur noch am Leben, nicht mehr in der Welt“ Ein Ansatz, sich das Nichts wirklich vorzustellen. Was bedeutet das für Existenzformen, wenn die Welt nicht mehr besteht?

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29.04.2014 Klimakatastrophe „The Day After Tomorrow“ Was ist eigentlich Klima, was heißt es, von einer Klimakatastrophe zu sprechen, was gibt es für eine Imaginationsgeschichte der Klima/Wetterkatastrophe. Was ist das für eine Art von Wissen, das wir über Wetter und Klima haben – Wissenstyp meteorologische Wissen Scheinbar leicht vorherzusagen, aber nicht mal das gelingt, nicht mal 24 Stunden Wettervorhersage, wie entwickeln sich Durchschnittstemperaturen in Europa – viel komplexer Blinder Fleck – rationale Entscheidungen als Basis angenommen Es hat immer etwas mit der Antizipation von Zukunft zu tun, Hochrechnen von Erfahrungswerten in die Zukunft. Im Kalten Krieg durch Rationalisierungen ersetzt Beim Klima hat man Erfahrungen, die sich in den Schichtungen der Erdoberfläche ausdrücken (Schlamm, Erde, Eis,…) aber es gibt auch heute menschengemachte Klimabeeinflussung, die vorher so noch nicht statt gefunden haben – Anthropozän = geologische Schicht, in der Abdrücke der Menschheit nicht mehr ausradiert werden können und verewigt sind Klima und Wetter sind nicht das gleiche: Robert Heinlein: Climate is what we expect, weather is what we get Man weiß von Durchschnittstemperaturen, Durchschnittsniederschlägen – Erwartungshaltungen vom Durchschnitt, Klima ist das Großsystem, Wetter ist das, was sich dann abspielt Wetter ist das, was spürbar wird, Klima ist ein abstraktes System Was sind Katastrophenszenarien, die wir damit in Verbindung bringen Wetterkatastrophen sind schon biblische Plagen – Dürre, Flut,… Man leidet nicht unter akut schlechtem Wetter, aber solange der Mensch nicht große Vorräte hatte, war er davon abhängig, dass es im Sommer genug regnet, dass die Ernte reichlich wird, damit man den Winter überlebt. Wetterdesaster sind die Desaster schlechthin – Sintflut Wirkt auf Menschen ein, als Gnade oder Strafe verstanden werden Z.B.: Pharaos Traum von sieben fetten und sieben dürren Kühen, Josef deutet das. Pharao legt Vorräte an um durchzukommen Und das ist die Kernfigur, die sich auch heute immer noch stellt, wie können wir präventiv eingreifen in kommende Desaster oder Folgen Dürre ist ja Partialkatastrophe, die Folgen sind das schlimme daran Wie können wir von dem Wissen über die Zukunft zur Vorsorge kommen?

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Literatur: Ödipus – gerade wenn man es weiß, tappt man erst recht in die Falle Wenn das Klima das ist, was wir erwarten und das Wetter das, was wir bekommen – grundsätzliches Problem, vorherzusagen was das Klima für uns bereithält Klimawandel Was bedeutet globale Erwärmung?

- es gibt keine Person, die einen Knopf umlegt, sondern Unzahl von heterogenen Faktoren, die das beeinflussen – CO2-Ausstoß, manches kann man nicht verhindern z.B. Atmung, aber man kann was dagegen tun, aber es gibt keinen Verantwortlichen

- dadurch muss keiner Entscheidungen fällen - kein konkreter Zeitpunkt, an dem es zu Ende sein wird – diffuses

Katastrophenszenario - es gibt viele Faktoren, von denen man nicht sagen wird, was passieren wird und

welche Folgen es geben wird - �keine Akteure, keinen Zeitpunkt, keine Folgen, keine Opfer, keine Konsequenzen

� wie soll man sich das vorstellen? Fiktionen Wetter besteht aus den kurzfristigen Veränderungen in der Atmosphäre. Es drückt sich in Temperaturen, Feuchtigkeit, Niederschlag, Wolkigkeit, Sichtweite und Wind aus. Klima sind die langsam variierenden… Literatur: 2004 drei Werke, die zum Klima Stellung nehmen

- Michael Crichton: State of Fear – Klimaskeptiker (das ist doch alles nicht so schlimm, stimmt doch gar nicht) – es gibt eine Gruppe von verbrecherischen Umweltaktivisten, die an verschiedenen Ecken der Welt spontane Desaster vom Zaun brechen wollen (Antarktis absprengen) junger Mann in Umweltorganisation, der Fragen stellt. Rechtsabteilung der Organisation vertritt fiktive Insel, die überschwemmt werden soll, der auch mit Kurven arbeitet (Reaktion auf Al Gores Kurven?) die sehr unterschiedliche verlaufen – Messdaten sind nicht so schön einfach wie Al Gores sondern lokale Messungen, die in völlig unterschiedliche Tendenzen hineinlaufen. Gibt keine einheitliche Tendenz – Theorie des Soziologen (Umweltbewegung arbeitet mit gefälschten Daten) Zitat S. 452. falsche Annahme, dass das Wetter stabil sei. Die Umweltbewegung hat das Drohszenario des Kalten Krieges ersetzt – wir brauchen ein Feindbild und damit wird die Bevölkerung Amerikas in Schach gehalten – Plädoyer gegen die Umweltbewegung. In State of Fear gehalten „Beim Thema Umwelt läuft es ganz ähnlich: 1960 ging man allgemein davon aus, dass es so etwas wie ein ‘Gleichgewicht der Natur’ gibt. Man bräuchte nur die Natur in Ruhe zu lassen, dann würde sie einen Balancezustand erreichen, in dem sie sich selbst erhält. Nette Idee mit langem Stammbaum. Vor dreitausend Jahren glaubten die Griechen daran, völlig unbegründet. War einfach nur ein netter Gedanke. Aber im Jahre 1990 glaubt kein vernünftiger Wissenschaftler mehr an das Gleichgewicht der Natur. Die Ökologen haben die Vorstellung als schlicht falsch aufgegeben. Als unwahr. Als Wunschdenken. Sie sprechen von einem dynamischen Ungleichgewicht, von multiplen Gleichgewichtszuständen. Jedenfalls haben sie erkannt, dass die Natur niemals im Gleichgewicht ist – sie war es nie und wird es nie sein. Im Gegenteil, Natur ist immer aus dem Gleichgewicht, und das bedeutet, [...] dass der Mensch gar nicht der große Zerstörer der natürlichen Ordnung ist, als der er

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immer gesehen wird. Die gesamte Umwelt befindet sich ohnehin in einem dynamischen Prozess.“ (Michael Crichton: State of Fear, New York: Harper Collins 2004, S. 452..)

- Roland Emmerich: The Day After Tomorrow – Klima und Wetter absichtlich

verwechselt, Klima kann man nicht abbilden, Klimaforscher der das erklärt, aber die Wetterkatastrophen gezeigt –Wetterereignisse sind miteinander verbunden, Golfstrom beeinflusst Europa merkbar – ohne Golfstrom 5°C kälter, Klimaumschlag subtiler – einzelne Wetterereignisse zusammengefügt. Es gibt so was wie abrupten Klimawechsel, wenn Temperatur plötzlich um 10° abfällt – worst case

- Al Gore: An Inconvenient Truth – Doku, gespalten in Klimazweifler und

Klimagläubiger (mehr als heute), massive Vereinfachung, die dem wissenschaftlichem Stand nicht entsprechen. Abrupter Klimaumschlag ist unwahrscheinlich

Wir wissen, wir verändern das Klima stark und auch schon viel eingeschränkt – sonst hätten wir schon keine Ozonschicht mehr Wissen, dass wir vom Klima haben, ist in hohem Maße heterogen „Es ist, als würde man einen Film aus Standbildern machen, die von Millionen verschiedener Fotografen mit tausend verschiedenen Kameras gemacht wurden.“ (Paul N. Edwards: A Vast Machine. Computer Models, Climate Data and the Politics of Global Warming, Cambridge/Mass: MIT University Press 2010, S.6.) Probleme beim Klima

� Inkompatible, unvergleichbare Einzeldaten � Hypothetisch – Prognosen müssen ständig adaptiert werden, mehrere Szenarien

gleichzeitig � Nicht experimentell überprüfbar, wie der atomare Krieg, „man kanns nur einmal

ausprobieren“ � Historisch nicht rekonstruierbar, nur in Rinden, Erde, Eis,… � Wissen von Klima ist angewiesen auf Menge von Hypothesen, findet im Computer

statt � Wissen vom Klima ist eine Simulation, aber nicht Daten aus der Vergangenheit, die

keinen Gesetzen unterliegen (Gegenbeispiel Schlüssel fallen lassen) unzusammenhängende Daten einspeisen, atomarer Unfall ja auch nur berechnet, nicht ausprobiert. Aber nur weil es rein theoretisch ist, heißt es nicht, dass es falsch ist. Einer Risikoeinschätzung würde auch Crichton vertrauen… Klimaskeptiker sagen, eine Hypothese ist eine Fiktion, eine Erfindung. Aber Simulationen sind das einzige, was wir haben

� Wetter besteht aus den kurzfristigen (Minuten bis Tage) Veränderungen in der Atmosphäre. Es drückt sich in Temperaturen, Feuchtigkeit, Niederschlag, Wolkigkeit, Sichtweite und Wind aus. Klima sind die langsam variierenden Aspekte des Systems von Atmosphäre, Hydrosphäre und Boden. Es wird normalerweise gefasst als Durchschnitt von spezifischen Zuständen der Atmosphäre, der Meere und des Festlands, einschließlich der Variablen Temperatur (des Landes, des Meers und der Atmosphäre), Salzgehalt (Meer), Feuchtigkeitsgehalt (Festland), Windgeschwindigkeit und -Richtung (Atmosphäre) und Stärke und Richtung von Strömungen (Meer). (National Oceantic and Atmospheric Administration (NOAA) Homepage, online:

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www.nws.noaa.gov/om/csd/graphics/content/outreach/brochures/Weather&Climate_General_Public.pdf. )

Klimaanthropologie Beginnt bei den Griechen Grundidee: der Mensch wohnt an verschiedenen Ecken der Erde, sie sehen anders aus, leben anders,… Leben in anderen Formen der Zivilisation – warum ist das so – das liegt am unterschiedlichen Klima Ist damit nichts Globales – viele unterschiedliche Klimata, die die Unterschiede zwischen den Menschen bewirken Aristoteles

Griechenland ist am besten, nicht zu heiß, nicht zu kalt, nur hier kann sich der Intellekt entfalten Montesquie

Wenig überraschend ist es in Frankreich am besten, im Süden ist es so heiß, da werden die Menschen sinnlich und faul – deswegen Polygamie und Sklaverei� Determinismus Herder:

„Nun ist keine Frage, dass, wie das Klima ein Inbegriff von Kräften und Einflüssen ist, der allen Lebendigen in einem wechselseitigen Zusammenhange dienet, der Mensch auch darin zum Herrn der Erde gesetzt sei, dass er es durch Kunst ändre. Seitdem er das Feuer vom Himmel stahl und seine Faust das Eisen lenkte, hat er auf mancherlei Weise zur Veränderung desselben mitgewirkt. Europa war vormals ein feuchter Wald, es ist gelichtet, und mit dem Klima haben sich die Einwohner selbst geändert. Wir können also das Menschengeschlecht als eine Schar kühner, obwohl kleiner Riesen betrachten, die allmählich von den Bergen herabstiegen, die Erde zu unterjochen und das Klima mit ihrer schwachen Fast zu verändern.“ (Herder: Ideen zur Philosophie, II. Teil, Buch 7, Kap. 3, S. 102/3.) � Klima macht nicht Menschen, sondern Mensch macht Klima (Abholzen, Fluss trockenlegen,…), Mensch ändert das Klima �Mikroklimata: zwei nahe gelegene Dörfer mit unterschiedlichem Klima aber gleichen Menschen, jeder Mensch reagiert anders und Menschen suchen sich passendes Mikroklima (auf die Berge gehen,…) �Mensch kapselt sich ab und macht in Kuppeln sein eigenes Klima. Frei Otto „Der Mensch begann sich die Erde untertan zu machen, indem er Klimakapseln mit sich herumschleppte wie Zelte, Jurten und überall baute, wo er hinkam. Das „frühe Haus“ übernahm im widrigen Klima… Hitzefallentechnologie -Tropenkuppeln -Einkaufszentrum Singapur – runtergekühlt -Klimakapsel Mirkoökologie Utopisches Potential besteht darin, den Menschen gegen das Klima immun zu machen

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06.05.2014 Ad letzte Vorlesung Temperatur-Veränderungen im Holozän. Ende der letzten Kaltzeit

Interglazial – relativ kalte Epoche, Eiszeit als Zustand des Planeten, wo die beiden Pole mit Eis bedeckt sind Quantitativ längsten Zustände sind die Interglazialen, wo die Pole nicht mit Eis bedeckt sind, aber dann ist es in Wien sehr heiß Selbst wenn die Natur heiße und kalte Phasen kennt, ist es nicht sehr weise, in die Temperatur einzugreifen – Anthropogenen Klimawandel – Klimawandel, vor allem spontanen, will man nicht erleben Holozän – Epoche, in dem der Mensch zwar schon da ist, aber sich erst entwickelt vom Affen,… mit schneller Entwicklung und Vermehrung Vergleich mit Bakterien im Aquarium, irgendwann kippt es, oder wie Guppies – vermehren sich wie blöd und irgendwann schwimmen alle mit dem Bauch nach oben Anthropozän = Zeitabschnitt, in dem die Spuren des Menschen in der Erde nicht mehr auszulöschen ist Anderer Anschluss an eine der ältesten Utopien – Klima selber machen, Biosphäre 2, das grö0te Experiment, das je durchgeführt wurde, eine künstliche Biosphäre über längere Zeit stabil zu halten Je kleiner der Lebensraum wird, desto schneller spricht er auf jede Veränderung an Spielen auch für Auswanderungsideen eine große Rolle In Wüsten, Antarktis, Mars,… Durch Klimakapsel unabhängig von Mutter Erde, und wenn sie zugrunde geht, kann man woanders hin ausweichen � Wall-e

Logan’s Run, 1976 Leben in einer Klimakapsel

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„Irgendwann im 23. Jahrhundert leben die Menschen, die Kriege, Überbevölkerung und Umweltverschmutzung überlebt haben, in einer riesigen überkuppelten Stadt, abgekapselt von der vergessenen Welt draußen. Hier, in einer ökologisch ausbalancierten Welt, lebt die Menschheit nur für ihr Vergnügen. Servo-Mechanismus, die alles zur Verfügung stellen, haben sie befreit. Es gibt nur einen Haken: Das Leben endet mit dreißig.“ Problem der Überbevölkerung Ressourcen laufen aus Es gibt jetzt neue, eher verhaltene Stimmen, Was heißt Überbevölkerung? In der Kapselstadt sind die Wege sehr kurz, die Menschen haben Uhren in ihrer Hand, müssen mit dreißig in einen Raum, wo sie mehr oder wenig umgebracht werden. Zwar wird behauptet, sie würden wiedergeboren werden, aber Zweifel kommen auf. Die Wächter sind die Sandmänner, Logan wird als Spion in Gruppe eingeschleust, die fliehen will. Kommt dann drauf, dass das mit der Wiedergeburt nicht ganz so stimmt und läuft weg. Alle klassischen Konstrukte sind fort, es gibt keine Familien mehr, Reproduktion ist von Sex abgekapselt, man darf nicht mehr altern (dann wird man umgebracht) – Philosophie ist nicht nur das Abschneiden von der Umwelt sondern auch von der Physis des Menschen (Sex führt zu Kindern, klassische Paare,…) Ablösung des Menschen von seinem biologischen Wesen Außerhalb der Klimakapsel, treffen sie auf einen älteren Mann (50-60 Jahre), Flüchtlinge fangen draußen an, Hunger und Durst zu haben, kriegen Sonnenbrand,… - unangenehme Seiten der Empfindungen Treffen auf zwei Grabsteine mit der Inschrift „my beloved wife“ „my beloved husband“ – Mensch abgekoppelt von der eigenen Biologie – Utopie der Klimakapsel

Szenarientypen von zerstörtem Klima 1. Klimakapsel (Sommer)

2. allmähliche Abkühlung (Herbst): Anfang des 19. Jhdt. „Das Leben ward aber auf dieser Erde häufig durch schreckliche Ereignisse gestört. Zahllose Lebewesen waren das Opfer dieser Katastrophen. Die Einen, welche den trockenen Boden

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des Festlandes bewohnten, wurden von Fluten verschlungen, während andere, die den Schoß der Gewässer belebten, mit dem Meeresgrund plötzlich emporgehoben und aufs Trockene gesetzt wurden, selbst ihre Arten sind für immer untergegangen.“ George Cuvier: Discours sur les révolutions de la surface du globe, et sur les changemens qu'elles ont

produits dans le règne animal, Paris: Dufour; Éd. d’Ocagne 1825, S. 17f. Passt mit der Schöpfungsgeschichte nicht zusammen, (Darwin kommt erst) und das ist schon sehr schlimm. Sie entdecken, dass es Diskontinuitäten gibt, hat Gott da noch mal nachgelegt? Cuvier sagt, es gab Katastrophen, die Arten ausgelöscht haben und Arten verändert haben. Grund dafür ist der Klimawandel, Veränderung des Klimas in der Geschichte des Planeten. Nicht mehr 6000 Jahre, bei Cuvier Millionen Jahre, heute Milliarden Zeitpunkt des Menschen ist eine winzige Sekunde im Tag der Erdgeschichte – alles relativiert sich Es öffnet sich ein riesiger Zeithorizont, in dem der Mensch nur eine Spezies ist – Historisierung der Erde Im 19. Jhdt. Die Geschichte der Erde in die Zukunft projiziert Darwin sehr viel gelesen und verstanden und aufgefasst „Die Lebensbedingungen auf Erden hatten sich langsam verändert. Das Wasser hatte an der Oberfläche des Planeten abgenommen. Was das Leben und die Wärme unterhielt, war der in der Luft enthaltene Wasserdampf, sein Verschwinden war die Ursache für die Abkühlung und des Absterbens. Auf der ganzen übrigen Erde war das Menschengeschlechte nahezu ausgestorben, nach und nach und unerbittlich von Jahrhundert zu Jahrhundert war es verdorrt, erschöpft, entartet, weil sowohl die assimilierbare Lust als auch die hinreichende Ernährung fehlte. Seine letzten Sprösslinge vegetierten wie Wilde, und alle starben langsam Hungers oder erfroren.“ Camille Flammarion: La fin du monde, Paris: Flammarion 1894, S. 302. Camille Flammarion: Das Ende der Welt. Mit der Genehmigung der Verfassers ins Deutsche übertragen von Karl Wenzel, Pforzheim: Ernst Lang 1896, S. 215/6, S. 223. Die letzten Menschen devoluieren (ent-evoluieren), wenn die Arten sich immer weiter entwickelt, passend zu ihrer Umwelt, kann das auch in die andere Richtung gehen Verbunden mit Klimawandel ist eine Veränderung des Menschen hin zum Urmenschen Nach dem Erlebnis mit dem Morlock und den Eloi, noch viel weiter in die Zukunft, Erde dreht sich nicht mehr ordentlich, wird immer langsamer, die Sonne wird immer größer und immer schwächer, der Tag-Nacht-Wechsel fällt irgendwann aus. Der Tag-Nacht-Wechsel flackert nicht mehr. Hält an einem Strand an, sieht Arten, riesige rote Krabben, und schreiende Schmetterlinge, die auf ihn zugewuselt kommen. Frage – sind das die letzten Abkömmlinge der Menschheit, ohne menschliches mehr? Langsamen Verlöschen des Klimasystems „Im Nordosten war der Himmel schwarz wie Tinte, und aus diesem Dunkel leuchteten still und hell blassweiße Sterne. Über mir war er tief dunkelrot und ungestirnt, gegen Südwesten zu hellte er sich zu einem leuchtenden Scharlachrot auf, in dem über dem Horizont glühend und bewegungslos der riesige Sonneball stand.“ H.G. Wells: The Time Machine (Anhänger Darwins) Herbert George Wells: The Time Machine [1895], in: Seven Science Fiction Novels

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of H.G. Wells, New York: Dover Publications 1950, S. 1–76, S. 68. Deutsch: H.G. Wells: Die Zeitmaschine, München: dtv 2011, S. 132. „...stellte sich jener blitzartige Wechsel von Tag und Nacht wieder ein, der eigentlich das Kennzeichen verringerter Geschwindigkeit ist, und zwar immer deutlicher. Dies erschien mir zunächst rätselhaft. Der Wechsel von Tag und Nacht wurde zunehmend seltener, und zugleich verlangsamte sich auch die Wanderung der Sonne über den Himmel, bis sie sich schließlich über Jahrhunderte zu erstrecken schien. Zum Schluss brütete ein unveränderliches Zwielicht über der Erde, ein Zwielicht, das nur dann und wann von einem aufblitzenden Kometen durchbrochen wurde, der seine Bahn über den dämmernden Himmel zog. Der Lichtstreifen, der die Sonne angezeigt hatte, war längst verschwunden, denn die Sonne ging nicht mehr auf und unter – sie stieg und fiel nur im Westen und wurde immer größer und röter.“ (Engl. 67, dt. 130/1) 3. plötzliches abkühlen von heute auf morgen (Winter) (The Day after tomorrow) „Eine Minute nach der letzten Explosion wird mehr als die Hälfte der Menschheit tot sein, Staub und Rauch der in Flammen stehenden Kontinenten werden das Sonnenlicht besiegen und auf der Welt wird wieder absolute Finsternis herrschen. Ein Winter mit orangefarbenem Regen und eisigen Wirbelstürmen kehrt den Rhythmus der Ozeane um und lässt die Flüsse über die Ufer treten, die Fische sind in den brennenden Wassern ertrunken und die Vögel finden den Himmel nicht mehr. Die fortwährenden Schneefälle bedecken die Sahara, das riesige Amazonien, zerstört vom Hagelschlag, verschwindet vom Gesicht des Planeten und die Ära der Rockmusik und der transplantierten Herzen kehrt in ihre glaziale Kindheit zurück. Die wenigen Menschen, die den Schrecken vielleicht überleben und am unheilvollen Montag der großen Katastrophe um drei Uhr nachmittags das Privileg einer sicheren Zuflucht hatten, werden ihr Leben nur gerettet haben, um später am Grauen ihrer Erinnerungen zu sterben. Die Schöpfung hat ihr Ende gefunden. Im finalen Chaos der Feuchtigkeit und der ewigen Nacht sind einziges Überbleibsel dessen, was Leben war, die Kakerlaken.“ Gabriel Garcia Marquez: Damoklesschwert. Rede in Ixtapa-Zihuatanejo, Mexico, 6. Augsut 1986in: Ich bin nicht hier, um eine Rede zu halten, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2012, S. 45–52: 45. Ein Atomkrieg könnte Nebenfolgen haben, die über Duck and Cover hinausgehen, das Klima insgesamt könnte gestört oder zerstört werden – nuclear winter Mt = megatons of nuclear warheads 100 Mt – only cities are attacked, 3000 Mt – missle silos are attacked 5000 Mt – cities and silos attacked

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Temperaturkurve Nicht im Einzugsbereich (keine Druckwelle, Falloutwelle braucht ihre Zeit,…) aber auch tausende KM weit weg hat das gravierende Auswirkungen, der Staub steigt in die Stratosphäre, Dunstschleier um den gesamten Planeten – globale Temperaturabsenkung Vulkanausbrüche als einzige Modelle der Verdunklung der Atmosphäre „Die Uhren blieben um 1 Uhr 17 stehen. Eine lange Lichtklinge, gefolgt von einer Reihe leiser Erschütterungen. Er stand auf und trat ans Fenster…. Sie saßen am Fenster und sahen zu, wie ferne Städte brannten…“ Cormac McCarthy: The Road, New York: Alfred A. Knopf 2006, S. 45. Einzige Hinweise, was passiert ist. Atomwaffen als Lichtblitze The Road – Inhalt Spärlich angedeutetes Ereignis hat dazu geführt, dass die gesamte Landschaft steril geworden ist. Es wächst nichts mehr nach. In dieser Ruinenlandschaft in der nichts mehr wächst und lebt, bewegt sich ein Vater mit seinem Sohn an der Küste entlang, versuchen sich anhand einer Karte in den Süden zu begeben. Sie kommen durch Städte und kommen schließlich ans Meer, der Vater stirbt schließlich und der Sohn wird von einer anderen Familie aufgenommen. Vater versucht das Überleben des Sohnes zu ermöglichen, es gibt so gut wie nichts mehr zu essen, weil ja nichts mehr wächst. Der Sohn wurde nach der Apokalypse geboren, kannte das alles nichts mehr. Man kann nur noch das essen, was eingemottet wurde. Sohn ist zwischen 5 und 7 Jahre alt. Sie laufen durch die letzten Reste einer ausgeweideten Ruinenlandschaft, finden nur selten was zu essen und sind ständig am verhungern. Und damit ist die letzte Ressource die Menschheit, die größte Gefahr sind somit andere Menschen, die sie jagen. Kannibalismus. Wenn die Natur nicht mehr existiert, zeigt sich die wilde, grausame Natur des Menschen (Byron) Inmitten des ganzen Horrors gibt es noch menschliche, soziale Gefühle wie Altruismus, Schutz „Das Land war zerfurcht, erodiert und öde. In den Auswaschungen verstreut die Knochen tote Geschöpfe. Haufen unbestimmbaren Mülls. In den Feldern Farmhäuser, ihr Anstrich abgescheuert, die Schindeln verzogen und von der Verglattung abgeplatzt. Alles schatten- und gesichtslos“ „Wir sind Überlebende, sagte er ihr über die Flamme der Lampe hinweg. Überlebende, gab sie zurück. Ja. Um Himmels willen, was redest Du denn da? Wir sind keine Überlebenden. Wir sind die wandelnden Toten in einem Horrorfilm. Ich bitte dich. Das ist mir egal. Es ist mir egal wenn du heulst. Das lässt mich völlig kalt. Bitte Hör auf. Ich bitte dich. Ich tue alles Was denn zu Beispiel“ (Engl. 47, dt. 52) Dialog Mann und Frau, die sich umbringt

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Man kann eigentlich nicht überleben in einer Klimakatastrophe, was gibt es nachher noch für ein Leben, ist es denn noch möglich? Es gibt nichts mehr, in dem und von dem wir noch leben könnten. Überleben ist in einer gewissen Weise gar nicht mehr denkbar. In allen Katastrophenfilmen ist ein Weglaufen um zu Überleben zentral. Hier aber gibt es kein Überleben mehr, weil man sich nirgendwohin mehr retten könnte. Das einzige was übrig bleibt, ist, wir können aber so etwas wie unseren Rest von Menschlichkeit retten. Vielleicht nicht unser Leben, vielleicht am allerwenigsten unser Leben, aber unseren innersten Rest der Menschlichkeit Vater und Sohn sind keine Heiligen, aber über eine bestimmte Grenze werden sie nicht hinweggehen: „Wir würden nie jemanden essen, oder? Nein. Natürlich nicht. Auch wenn wir verhungern? Das tun wir doch gerade. Du hast gesagt, das würden wir nicht. Ich habe gesagt, wir würden nicht sterben. Ich habe nicht gesagt, wir würden nicht verhungern. Aber wir würden es trotzdem nicht tun. Nein. Ganz gleich was passiert. Nein, ganz gleich was passiert. Weil wir die Guten sind. Ja. Und wir bewahren das Feuer. Und wir bewahren das Feuer. Ja. Okay.“ (The Road, Engl. 108, dt. 116f) Das ist der letzte Rest des Menschseins in dieser Situation. „Wir bewahren das Feuer“ als Mantra in der Kindersprache Kern von Liebe und Menschlichkeit. Idealistische Lektüre des Romans, die sich an dieser Stelle aufhängen. „Früher gab es Bachforellen in den Bergbächen. Man konnte sie in der bernsteingelben Strömung stehen sehen, wo die weißen Ränder ihrer Flossen sanft im Wasser fächelten. Hielt man sie in der Hand, rochen sie nach Moos. Glatt, muskulös, sich windend. Ihr Rücken zeigte wurmlinige Muster, die Karten von der Welt in ihrer Entstehung waren. Karten und Labyrinthe. Von etwas, das sich nicht rückgängig machen ließ (Of a thing which could not be put back.). Nicht wieder ins Lot gebracht werden konnte. In den tiefen Bergschluchten, wo sie lebten, war alle älter als der Mensch und voller Geheimnis“ Ende des Romans Mit Forelle ein Bild der intakten Natur, die aber nicht mehr existiert. Sind auch sehr empfindlich. Bild der Bachforelle in der Hand. Hinweis auf Ort des Menschen Mensch hat Natur in die Hand genommen und damit irreparabel beschädigt. „A thing which could not be put back“ ist mehrdeutig – wenn man eine Forelle angreift, ist die Schleimschicht zerstört und kann nicht mehr zurückgesetzt werden, sie stirbt auf jeden Fall daran. 4. Erwärmung (Frühling) J.G. Ballard: The Drowned World 1962

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“Soon it would be too hot.” Dt.: J.G. Ballard: Karneval der Alligatoren, Hamburg/ Düsseldorf: Marion von Schröder Verlag 1970, S. 7 Schildert postapokalyptisches London, in dem es tropisch heiß ist, alles ist überflutet, steht im Wasser. Es gibt nur noch eine kleine Gruppe von Menschen, die in diesem London lebt. Polkappen sind abgeschmolzen. Die Menschen haben sich an die Polkappen zurückgezogen. In dem untergegangenen London sitzt ein Biologe, eine Frau und ein paar Militärbeobachter, letztere ziehen sich bald zurück. „Kerans (Biologe) spürte den gewaltigen Lockruf der heulenden Reptilien wie seinen eigenen Puls, er stieg aufs Wasser hinaus, das nichts als eine Erweiterung seines Blutstroms zu sein schien. Das dumpfe Dröhnen wurde noch stärker, er spürte, wie die Hüllen seiner eigenen Zellen sich auflösten, wie er eins wurde mit dem ihn umgebenden Medium, wie er schwamm, sich über das schwarze, pulsierende Wasser verbreitete.“ (Engl. 86, dt. 80) In extremen Klimata dringt das Klima in den Menschen ein, löst die Grenzen auf, auch in die Psyche. Dieser Zustand einer zunehmenden Auflösung der Menschheit. Mensch verschmilzt zur Natur. Greift auf Surrealismus zurück Max Ernst: L’europe après la pluie II (1941)

Nicht unterscheiden, was ist Stein, Mensch, Pflanze – alles ist aus dem gleichen Material gemacht. Welt, die Ballard beschreibt, Mensch ist verschmolzen, keine Trennschärfen mehr möglich. Anderes Extrem der Klimakapsel, Mensch zurück in seine eigene Urzeit, auch psychische Urzeit Verurzeitlichungsstadium Szenerie am anderen Ende, Natur die den Menschen in seinem Wesenskern auflöst.

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„...wie die Psychoanalyse die ursprüngliche traumatische Situation rekonstruiert, um das, was unterdrückt wurde, herauszulösen, so werden wir jetzt in die archäologische Vergangenheit zurückgeworfen und decken uralte Tabus und Triebe auf, die seit Urzeiten schliefen. Die kurze individuelle Lebensspanne ist irreführend. Jeder von uns ist so alt wie das ganze biologische Reich, und unsere Adern sind Nebenflüsse des großen Meeres seiner Gesamterinnerung.“ (Engl. 56, dt. 51)

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20.05.2014 Politik des Ernstfalls: Survival-Bewegungen Drei wichtige Epochen/Szenarien

1. Romantik: mit Bild der Verdunklung, nicht mehr göttlich sondern kosmisches, diesseitiges Ereignis. Wird nicht am Ende aller Zeiten von Gott über die Menschheit verhängt

2. Kalter Krieg bei der die Katastrophe nicht mehr vom Menschen unabhängig ist sondern die Vernichtung wird zu einer menschlichen Handlungsaktion. Darum kreist das ganze Denken, auch wie man dieser Vernichtungsoption durch das Kalkül verhindern kann. Vorteil, dass es eine Entscheidung ist, die verhindert werden kann. Atomare Katastrophe hat einen Ursprung, einen Zeitpunkt, es gibt ein Ereignis

3. Klimakatastrophe: die funktioniert anders, sie hat keinen Akteur, der abgehalten werden kann, keine Entscheidungsträger, ein kollektiver Prozess, der nicht bekannt ist und dessen Folgen nicht abgeschätzt werden können. Ansteigen des Meeresspiegels kann zwar beobachtet werden und prognostiziert werden (wenn Wasser steigt steht Land unter Wasser) aber weitergehende Vorhersagen können nicht getroffen werden. Unvorhergesehene und plötzliche Wetterereignisse sind immer unangenehm. (The Day After Tomorrow) Klimawandel heißt auch, dass bestimmte Regionen andere Pflanzen haben werden oder eine geringe Veränderung des Niederschlags z.b. die Winzer in den Ruin treiben können. Extrem diverses Szenario, man kann sich alles mögliche vorstellen

In den nächsten drei Sitzungen

- Überleben im Ernstfall, in welcher Weise können wir uns Situationen imaginieren, in denen wir überleben, wie verhalten, wie vorbereiten? Das führt zu bestimmten Szenarien, die unter dem Label „Im Ernstfall“ laufen.

- Unfälle: was sind nicht intendierte Unfälle, etwas läuft aus dem Ruder, was ist ein Unfall der mit Großtechnologie zu tun hat, wie entwirft Fiktion Unfälle aber auch Sicherheit?

- Prävention: in welcher Weise denkt Literatur über Prävention nach? König Ödipus – durch Präventionsversuche kommt es erst zur Katastrophe. Minority Report

Harald Kruse: Überlebenstechnik. Lexikon für das Überleben in Wildnis und Zivilisation „Jeder kann unerwartet in eine gefährliche Situation geraten und sollte deshalb mit grundlegenden Überlebenstechniken vertraut sein […] Auch und gerade unser Alltag steckt voller Gefahren, die uns bedrohen, im Extremfall unser Leben fordern. Selbst in der Wohnung, im eigenen Haus sind wir nicht sicher […] Der Überlebenskampf beginnt spätestens vor der Haustür.“ (Harald Kruse: Überlebenstechnik. Lexikon für das Überleben in Wildnis und Zivilisation, Stuttgart: Pietsch 1986, S. 7.) Gefühl, wir müssen ständig vorbereitet sein Wer darf überleben? Wer trifft diese Entscheidungen? Was ist zu tun, um sich auf diesen Zusammenbruch jeglicher Infrastruktur vorzubereiten „The End of the World as we know it“ – TEOTWAWKI

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Off the grid – aus dem Netz gehen, unabhängig mach von jeglicher Infrastruktur, die mir zur Verfügung gestellt wird, Stromgenerator, Zisternen bauen (Wasserquelle), Nahrungsmittel anbauen, andere Verkehrsmittel falls Benzin aus ist, Medikamente zu Hause, Bewaffnung (man wird ja wohl nicht der einzige sein, der hungert – Vorräte müssen verteidigt werden),… „Turn Off Your TV Take control of your future!

- avoid excessive consumerism - got out of debt - grow your own food - preserve your own food - trade and barter - cook from scratch - save your own seed - become self sufficient

Was ist da implizit enthalten

- man kann sich nicht mehr auf den Staat verlassen - nicht auf komplizierte Technik verlassen - Regeln gelten nicht mehr so wirklich (siehe Waffen) - Eigenständige Versorgung

Survival Bewegung

Heute eine andere Bewegung – Resilienz – unempfindlich gegen Katastrophen, weil man alles schon um sich hat, was man brauchen könnte Neuer Slogan: Don’t just survive, thrive (resilientcommunities.com)

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Medien bringen rüber, dass Katastrophen Anlass zur Solidarität ist, Nachbarn helfen zusammen, freiwillige Helfer tun was sie können. Im Ernstfall zeigt sich die gute Seite der Menschen – auch von den Medien unterstrichen Im Ernstfall zeigt sich etwas, was sonst nicht sichtbar ist. Kann gut ausgehen oder eben nicht – auf letztere beziehen sich die Survivalist – nach wie vielen Wochen werden Freunde zu Feinden? Zwei Seiten des Ernstfalls. Natur des Menschen kommt heraus, doch wie schaut die aus? Und was machen wir, wenn das Gesicht, das sich zeigt, nicht so nett ist? Was ist wenn die Ressourcen wirklich zur Neige gehen? Gibt immer drei Gruppen von Überlebenden

- das heroische Opfer - die Bösen - die Wertvollen

„Die Bösen sterben, die Guten opfern sich und die Wertvollen werden gerettet“ (Georg Seeßlen/Markus Metz: Krieg der Bilder, Bilder des Krieges. Abhandlung über die Katastrophe und die mediale Wirklichkeit, Berlin: Edition Tiamat 2002, S. 27.) „In den gegenwärtigen Produktionen wird hauptsächlich die eine Familienzusammenführung thematisiert, die zu gelingen hat und tatsächlich meist gelingt, auch wenn die Welt dabei arm aussieht. So als wollte man permanent magret thatchers legendär gewordene Aussage loswerden: there is no such thing as society, there are only individuals and families“ (Katrin Röggla, disaster awareness fair – zum katastrophischen in stadt, land und film, Graz: literaturverlag droschl 2008, S. 9.) Beispiel wäre 2012, der ganze Film dreht sich um die Familienzusammenführung von John Cusack, die Welt geht als Hintergrundgeschichte unter Auch die Bunker sind immer nur für die Kleinstfamilie ausgerichtet, nicht mehr für den Nachbar. Es geht darum, wie die Familie das überlebt, nicht eine ganze Bevölkerung. Es wird unterstellt, dass im Katastrophenfall nur noch die Familie die Gemeinschaft ist, bei der man Solidarität und Zusammenhalt erwarten kann. „Trau keinem, mit dem du nicht blutsverwandt bist“ Außer es soll eine besonders sympathische Figur dargestellt werden, die ein heroischer Helfer ist und sogar Fremden hilft Kann ziemlich schnell in xenophobe Argumente kippen Rede vom Ernstfall enthält viele ideologische Elemente

Zwei grundsätzliche Szenarienzu unterscheiden, nach der Frage, wie die Katastrophe

geschaffen ist und welche Gemeinschaft sie erzeugt 1. Krieg der Arten (eine Gruppe gegen die andere) 2. Rettungsboot Erde

Ad Szenario 1: Krieg der Arten H.G. Wells: War of the Worlds 1898 Ganz oft verfilmt, adaptiert,…

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1938 (Radiohörspiel) Orson Welles 1953 Byron Haskin 1981 Pjotr Szulkin 2005 Steven Spielberg Roland Emmerichs: Independence Day (1996) M. Night Shyamalan: Signs (2004) Marc Forster: World War Z (2013) Roland Emmerichs: Independence Day 1996 als die beste Verfilmung „Durch das Opfer Millionen Toter hat der Mensch sich sein Erstgeburtsrecht auf der Erde erkauft, und trotz aller fremden Eindringlinge ist sie sein; sie ist sein, und wären die Marsleute auch zehnmal so mächtig, als sie sind. Denn weder leben die Menschen noch sterben sie vergeblich“ (H. G. Wells: The War of the Worlds [1898], New York: Bantam 2003, S. 181. Dt. H. G. Wells: Krieg der Welten. Zürich: Diogenes 1974, S. 314.) Darwinistische Sichtweise, Krieg zwischen den Arten. Survival of the fittest – Menschen sind am besten angepasst, Marsmenschen sterben weil sie nicht an die Erreger auf der Erde angepasst sind und daran sterben und so die Menschen siegen (aufgrund der Millionen Opfer, die in den vergangenen Jahrhunderten an den Erregern gestorben sind bis der Mensch sich angepasst hatte) Witz dabei ist, dass zwei Arten um den gleichen Lebensraum kämpfen – Urdarwinistische Situation Das Überleben kostet und kann nur weiter gewährleistet werden, indem die anderen sterben Die eine Art kann nur überleben, wenn die andere Art verschwindet (stirbt) „Der Feind ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, dass er in einem besonders intensiven Sinne existentiell etwas anderes und Fremdes ist. Seine Fremdheit ist die Negation der eigenen Art Existenz.“ Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen [1932], Berlin: Duncker & Humbolt 1996, S. 27.) Kann man aber auch auf innermenschliche Konflikte drehen, Feindschaft geht auf Gedeih und Verderben Es trifft den Punkt, in dem Kriege gedacht worden sind. „So lange dieses Volk lebt, kann mein Volk nicht existieren“ Das prägt auch immer noch heutige Fiktionen von katastrophalen Imaginationen. Auch erst so als Gemeinschaft Roland Emmerich: Independence Day

Filmausschnitte: - Verdunklung: Das Raumschiff der Aliens verdunkelt die Stadt, taucht aus den Wolken

auf und ist unvorstellbar groß, erstreckt sich über den gesamten Horizont - Aliens: Im Labor erhebt sich das Alien wieder, man sieht nur einzelne Körperteile,

Panik bricht aus. OP-Saal ist mit Rauch gefüllt, man sich nichts, bis nur ein Mann gegen die Scheibe gedrückt wird und dann das Alien auftaucht und verlangt,

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reingelassen zu werden. Präsident will Frieden, Alien meint, es gibt keinen Frieden und sie müssten sterben. Menschen erschießen das Alien. Es geht um Vernichtung – entweder wir oder die.

- Völker: das erst in dieser Situation der Bedrohung als Spezies, wird die Menschheit zu einer gemeinsamen Kampfgemeinschaft. Feindschaft nur als etwas gedacht werden kann, was so oder so auf Vernichtung hinausläuft. Immer Auslöschen einer Art, die Feinde sind oder zu solchen erklärt werden.

Schluss des Films: überall auf der Welt fallen sich die Menschen in die Arme Man braucht einen Feind, der radikal anders ist In World War Z wird der Alien durch den Zombie abgelöst (einer, der mal so war wie ich, aber eben nicht mehr so ist, steht an der Schnittstelle zwischen Freund und Feind, jemand aus der eigenen Gruppe, der zum Feind mutiert ist – Wie geht man damit um?) Wie verhalten sich Gesellschaften in Katastrophen und welche Bilder sich da auftun. Bild des Feinds, wir müssen den Feind vernichten um selbst zu überleben – aus SF übernommen Ad Szenario 2: Rettungsboot Erde Desaster ohne Feind (Bedrohung durch Ding, Krankheit, Naturkatastrophe,… kein Feind, gegen den man vorgehen kann wie im Szenario 1):

- Deep Impact - Armageddon - The Day After Tomorrow - Outbreak - Contagion - Blindness - 2012

Deep Impact Asteroid wird entdeckt und es werden Vorbereitungen getroffen Journalistin findet das heraus Einschlag würde die Welt für Jahrhunderte verdunkeln Was kann man tun? Wie kann man sich für den Fall rüsten, dass der einschlägt Amerikanische Regierung macht Pläne Filmausschnitt: Notfallplan (als sich herausstellt, dass ein Einschlag eigentlich nicht mehr vermieden werden kann bzw. sehr wahrscheinlich geworden ist) Höhlen sind vorbereitet, in denen 1 Millionen Menschen zwei Jahre lang überleben können, alle anderen sind auf sich selbst gestellt. „Wir müssen jetzt gemeinsam einige Entscheidungen treffen. Was werden wir tun? Sie haben eine Wahl, wir alle haben jetzt eine Wahl. Seit der Komet entdeckt wurde, haben wir auf eine Lösung gehofft und hingarbeitet. Aber wir haben uns auch auf das Schlimmste vorbereitet… Am 10. August wird ein Computer achthunderttausend Amerikaner auslosen, die zusammen mit den zweihunderttausend Wissenschaftlern, Ärzten, Ingenieuren, Militärs und Künstlern, die bereits ausgewählt wurden, in die Arche kommen dürfen. Andere Länder bereiten ähnliche Verfahren vor, Verfahren, die sie für den besten Weg halten, um ihre Lebensformen

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zu bewahren. Wir haben dieses gewählt.” (Rede des Präsidenten in: Deep Impact, Regie: Mimi Leder) Es geht darum 99,7% draußen zu lassen, man hat keine Wahl Frage nach den Verfahren, wie man aus den eigenen Leuten jene auswählt, die überleben dürfen und jene, die es nicht dürfen � tragische Wahl zwischen gleichermaßen großen Übeln Nach welchen Kriterien? Wie wird damit umgegangen, Frage nach den Verfahren

1. besonders wichtige Leute auswählen, Personen, die besonders wichtig oder wertvoll sind

2. Lotterie: nach Social Security Number ausgewählt, aber zwei Ausnahmen – Immigranten (haben keine Nummer) und Leute über 50 (sind zu alt, das zahlt sich nicht mehr aus…)

Wenige retten ist besser als keinen, aber Frage der Gerechtigkeit – alle anderen sollen einfach zugrunde gehen Welche Verfahren kommen zum Tragen um zu entscheiden, wer leben darf und wer sterben muss Weniger hässlich als Krieg der Arten aber auf seine Weise nicht weniger brutal. Entscheiden über Leben und Tod nicht über Tötungsgebot sondern über Rettungsauswahl – tragische Entscheidungen – implizieren keine gute Entscheidung Nicht Entscheidung zwischen gut und böse, es ist ganz klar, was die richtige Entscheidung wäre. Aber bei tragischen Entscheidungen gibt es keine richtige Entscheidung, egal welche Entscheidung getroffen wird, auf jeder Seite der beiden Optionen gibt es Verlierer Philosophie – es wäre wahrscheinlich gerechter zu sagen, alle sollen sterben, aber alle gleich schlecht behandeln ist auch nicht gut, v.a. wenn man die Möglichkeit hat, ein paar zu retten. Moralisches Dilemma Verteilungskonflikte der Ressourcen Triage Situation auf Schlachtfeld – Verletzte unterschiedlicher Verletzungsgrade aber nur begrenzte Anzahl von Ärzten und Medikamenten – wer wird zuerst versorgt? Schwerverletzte, Mittelverletzte, Leichtverletzte Mittelverletzte zuerst, weil die Leichtverletzten ohne Versorgung klar kommen und es für die Schwerverletzten ohnehin schon zu spät ist Brutalität der Entscheidung Historischer Hintergrund Diese Fragestellung und die Frage der Triage/Allokationsethik in den 70ern (1972) gestellt Bericht über die Endlichkeit der Ressourcen und die Tragfähigkeit der Erde – wie viel an Umweltverschmutzung und Anreicherung mit Giften können wir uns eigentlich erlauben Denken von Endlichkeit der Platzes, der Ressourcen ist Hintergrundinformation, vor dem solche Szenarien durchdacht werden Aufsatz: Life of Earth, der sich genau damit beschäftigt Und Richtlinien durchdenkt. Kriterien dafür entwickeln, wer überleben soll, Kriterien akzeptieren, dass jemand mehr Recht aufs Überleben hat als andere

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Damit wird anerkannt, dass man nicht alles regeln kann, dass es Entscheidungen gibt, die richtig weh tun und massiv in die Rechte des Einzelnen eingreifen, wie das Recht auf Überleben Problem der medizinischen Versorgung Beispiel: eine 82 Jahre alte Frau braucht ein neues Hüftgelenk – kostet alles 15000 Euro – aber wie lange lebt denn die noch, kann es sich das Gesundheitssystem leisten, diese Operation zu bezahlen? Und zu sagen, jeder soll halt mehr einzahlen, funktioniert nicht so einfach Für beide Optionen gibt es gute Gründe Zur Rede: Wir haben eine Wahl, wir müssen Entscheidungen treffen, es gibt noch einen Notfallplan aber der ist sehr kurzfristig also Bunker, der aber nur für wenige Platz hat Guido Calabresi, Philip Bobbitt: Tragic Choices (1978) Rationale Allokationsverfahren (nach Calabresi Bobitt) 1. Freier Markt (jeder entscheidet, wie viel ihm der Zugang zur Ressource wert ist); 2. Der "politisch verantwortliche Ansatz" ("accountable political approach“ 3. Lotterie (jedes zufällige Auswahlverfahren, z.B. auch einfach nach der Reihenfolge der eingehenden Fälle zu versorgen) 4. Das Gewohnheitsprinzip (im Grunde das Absehen von begründbaren Verfahren). „Rettungsbootsituationen kommen nicht sehr häufig vor. Wir sind nicht oft in einer derart schonungslosen Weise mit der Wahl zwischen töten und getötet werden konfrontiert, einer Wahl, bei der wir eine Entscheidung über die Art und Weise der Verteilung knapper Ressourcen umsetzten müssen. Das wird jedoch die Situation der menschlichen Spezies auf diesem Globus werden. Die verbreitete Metapher vom "Raumschiff Erde" lässt eher an eine Abenteuergeschichte denken, weniger an Gefahr; wenn wir die Situation nüchtern betrachten, könnte "Rettungsboot Erde" aussagekräftiger sein.“ (Onora O‘Neill: Rettungsboot Erde, S.40.)

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27.05.2014 Unfälle Einstiegsbild Tschernobyl, 29.04.1986

Historischer Ablauf des Reaktorunfalls Tschernobyl 4 interessante Punkte - Unfall mit komplizierter, unkontrollierter Großtechnologie - Gau (= größter anzunehmender Unfall) ist ein technischer Begriff für die Planung von Großtechnologie und bedeutend der Unfall, für den Technologie ausgelenkt sein muss, damit nichts passiert. Super-Gau ist ein Unfall, den man sich bei der Planung nicht mal vorstellen konnte und dementsprechend keine Sicherheitsmaßnahmen geplant hatte (gerade ein Sicherheitstest war es, der zum Unfall geführt hat) - Was passiert nach einem Unfall, wann ist so ein Unfall zu Ende und ist er überhaupt jemals zu Ende? Ist Tschernobyl zu Ende? Umgebung ist ja immer noch nicht bewohnbar. Was sind die genauen Spätfolgen? Tschernobyl als Langzeitexperiment wie die Natur, Gebäude, etc auf Verstrahlung reagiert

Theorie des Unfalls

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Lexikoneintrag aus 19. Jahrhundert „Alles, was der Mensch mit seinen Händen erschafft, kann einen Unfall erleiden. Aufgrund einer Art von ausgleichender Macht [...] werden die Unfälle um so schwerer, je perfekter die Apparate werden.“ (Félix Tourneux: Art. Accidens, in: Encyclopédie des chemins de fer et des machines à vapeur, Paris: Jules Renouard & Cie. 1844, S. 2. Übersetzung EH.) Wenn man über Technik nachdenkt, muss man eigentlich immer Technik von ihren Unfällen her denken, man muss Geschichten darüber erzählen, welche möglichen Unfällen aus welcher möglichen Technologie ergeben „Der Schiffbruch ist also die ‚futuristische’ Erfindung des Schiffs und der Flugzeugabsturz jene des Überschallflugzeugs, genauso wie Tschernobyl jene des Kernkraftwerks ist. Die Katastrophe offenbart so das immanente Wesen der Technik: die Störung, die Entgleisung, die Fehlfunktion, die jedem Funktionieren immer schon innewohnt. Sie sind keine Abweichungen, sondern Teil der Sache selbst. .... Jede Technik produziert, provoziert und programmiert ein spezifisches Akzidens, einen spezifischen Unfall.“ (Paul Virilio: Der eigentliche Unfall, Wien: Passagen 2009, S. 17.) Unfall 1: Der Crash-Test

Genau Analyse, was bei einem Crash passiert, verschiedene Kollisionsphasen Es geht darum, Sekundenbruchteile so aufzusplitten, dass wir etwas über den Ablauf des Unfalls lernen Verstehen, wie reagiert ein Objekt im Moment der Kollision Anfang des „Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil „Autos schossen aus schmalen, tiefen Straßen in die Seichtigkeit heller Plätze. Fußgängerdunkelheit bildete wolkige Schnüre. Wo kräftigere Striche der Geschwindigkeit quer durch ihre lockere Eile fuhren, verdickten sie sich, rieselten nachher rascher und hatten nach wenigen Schwingungen wieder ihren gleichmäßigen Puls. ... Schon einen Augenblick vorher war etwas aus der Reihe gesprungen, eine quer schlagende Bewegung; etwas hatte sich gedreht, war seitwärts gerutscht, ein schwerer, jäh gebremster Lastwagen war es, wie sich jetzt zeigte, wo er, mit einem Rad auf der Bordschwelle, gestrandet dastand. Wie die Bienen um das Flugloch hatten sich im Nu Menschen um einen kleinen Fleck angesetzt, den sie in ihrer Mitte freiließen. ... Er war durch seine eigene Unachtsamkeit zu Schaden gekommen, wie allgemein zugegeben wurde. Abwechselnd knieten Leute bei ihm nieder, um etwas mit ihm anzufangen; man öffnete seinen Rock und schloß ihn wieder, man versuchte ihn aufzurichten oder im Gegenteil, ihn wieder hinzulegen; eigentlich wollte niemand etwas anderes damit, als die Zeit ausfüllen, bis mit der Rettungsgesellschaft sachkundige und befugte Hilfe käme.“ (Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, Kap I) Wie werden Unfälle in der Moderne erlebt?

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Auto als Symbol der Beschleunigung und des modernen Lebens Schlimme Verletzungen damit einhergehend „Railwayspine“ Verletzung nach Eisenbahnunfällen, Beschleunigungsunfall als etwas typisch Modernes, Folgen, die man nicht richtig zurückführen kann Begriff des Traumas kommt auf (= Aufprallverletzung) Heute psychischer Begriff, Schäden, die nicht physisch sind sondern die Psyche betroffen und mit der Plötzlichkeit des Geschwindigkeitsunfalls zu tun haben „Schon einen Augenblick vorher war etwas aus der Reihe gesprungen, eine quer schlagende Bewegung; etwas hatte sich gedreht, war seitwärts gerutscht, ein schwerer…“ Wann ist Unfall passiert? Unfall ist bei Musil immer schon passiert gewesen, bevor die Personen hinzukommen Gibt sofort Diskurs über Unfallgeschehen Die Moderne hat schon Spezialisten ausgebildet, die Unfallopfer versorgen und wegbringen Wie reagieren die beiden Zuschauer? Die Dame fühlte etwas Unangenehmes in der Herz-Magengrube, das sie berechtigt war für Mitleid zu halten; es war ein unentschlossenes, lähmendes Gefühl. Der Herr sagte nach einigem Schweigen zu ihr: »Diese schweren Kraftwagen, wie sie hier verwendet werden, haben einen zu langen Bremsweg.« Die Dame fühlte sich dadurch erleichtert und dankte mit einem aufmerksamen Blick. Sie hatte dieses Wort wohl schon manchmal gehört, aber sie wußte nicht, was ein Bremsweg sei, und wollte es auch nicht wissen; es genügte ihr, daß damit dieser gräßliche Vorfall in irgend eine Ordnung zu bringen war und zu einem technischen Problem wurde, das sie nicht mehr unmittelbar anging. ... Man ging fast mit dem berechtigten Eindruck davon, daß sich ein gesetzliches und ordnungsmäßiges Ereignis vollzogen habe. »Nach den amerikanischen Statistiken«, so bemerkte der Herr, »werden dort jährlich durch Autos 190000 Personen getötet und 450000 verletzt.« Die Dame versucht es mit der altmodischen Reaktion des Mitleids – das überhaupt nicht angemessen erscheint Mann kommt mit technischen Erklärung, die Dame ist dadurch erleichtert und nicht weiter interessiert Unfall ist so ein technischer und geht sie nicht mehr an Dame reagiert auf individuellen Fall mit individuellem Mitleid Mann reagiert mit modernen Erklärungen, mit Statistiken, mit der Verallgemeinerung Unfall nicht mehr als außergewöhnliches Erlebnis sondern als regelmäßiges Ereignis Unfälle sind somit völlig normal und akzeptiert – die Folgen sind versichert – so ist unsere Welt Wenn es um Leib und Leben geht, ist jede finanzielle Versicherung nicht mehr adäquat Crash hat eine Normalität, stößt so und so vielen Verkehrsteilnehmern zwangsweise zu, man weiß nur nicht, wen es treffen wird Unfall 2: Die Verkettung unglücklicher Umstände Vieles geht gleichzeitig schief Auch bei Fokushima, Großtechnologieunfall die nicht momentanen Sekundenunfallcharakter haben sondern so viel zusammenkommt, dass es so unwahrscheinlich ist, dass das alles passiert

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Roman „Auch einer: eine Reisebekanntschaft“ (Friedrich Theodor Vischer) „„Wer sollte zum Beispiel einem simplen Knopf seine Verruchtheit ansehen? Aber ein solcher Racker hat mir neulich folgenden Possen gespielt. Ich lies mich gegen alle meine Grundsätze zur Teilnahme an einem Hochzeitsschmaus verleiten; eine große silberne Platte, bedeckt mit mehrerlei Zuspeisen kam vor mich zu stehen; ich bemerkte nicht, dass sie sich etwas über den Tischrand heraus gegen meine Brust hergeschoben hatte; einer Dame, meiner Nachbarin, fällt die Gabel zu Boden, ich will sie aufheben, ein Knopf meines Rockes hatte sich mit teuflischer List unter den Rand der Platte gemacht, hebt sie, wie ich schnell aufstehe, jäh empor, der ganze Plunder, den sie trug, Saucen, Eingemachtes alles Art, zum Teil dunkelrote Flüssigkeit, rollt, rumpelt, fließt, schießt über den Tisch, ich will noch retten, schmeiße eine Weinflasche um, sie strömt ihren Inhalt über das weiße Hochzeitskleid der Braut, ich trete der Nachbarin heftig auf die Zehen; ein anderer, der helfend eingreifen will, stößt eine Gemüseschüssel, ein dritter ein Glas um – o es war ein Hallo, ein ganzes Donnerwetter, kurz ein echt tragischer Fall: die zerbrechliche Welt alles Endlichen überhaupt schien in Scherben gehen zu wollen [...].“ (Friedrich Theodor Vischer: Auch einer: eine Reisebekanntschaft [1879], Stuttgart, Leipzig: Deutsche Verlagsanstalt 1908, S. 17/8.) Ganz einfaches Beispiel, indem sich Dinge so verketten, dass eine Kaskade von Desastern passiert Es muss sehr viel zusammenkommen, um diese Kaskade zu erzeugen Theorie: die Tücke des Objekts, etwas ist tückisch Theorie des Helden des Romans, die Dinge haben eine innere Absicht, die darin besteht, tückisch zu sein, eine interne Unfallabsicht – Das Marmeladebrot fällt immer auf die Marmeladeseite Gleichzeitig entsteht eine Sicherheitswissenschaft, die genau mit dieser Tücke des Objekts rechnet „… ohne eine strenge und permanente Überwachung können die mächtigsten und perfektesten industriellen Apparaturen – ich meine die Dampfmaschinen und Eisenbahnen – zu den schrecklichsten Katastrophen führen. Die Massen an Dingen, die sie in Bewegung setzen, ihre Geschwindigkeit, kurz ihre gesamte….“ Bild: Kesselzerknall Sicherheitsregime der Moderne beginnt damit – zur professionalisierten Sicherheitsindustrie, heute bekannt unter TÜV – TechnischeÜberwachungsVereine, 1846 gegründet Wo könnte hier ein Unfall passieren? Wo ist eine Naht eventuell undicht? Misstrauischer Blick auf Technik, das in einem einzelnen Fall darauf schaut, was passieren könnte Zwei Dimensionen – Humor und Horror Die Dämonie der Dinge: Final Destination (2000) Verkettung von Zufällen die ausschaut wie Absicht – Unheimliche Macht das sonst harmlose unheimlich

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Die Dämonie der Dinge: Filmszene: Final Destination (Regie: James Wong, Buch: Glen Morgan) 5 Personen entgehen dem Schicksal, da das aber eine Absicht verfolgt, werden die vom Tod eingeholt Arbeitet mit ganz normalen Eigenschaften von Dingen Keramik die bei Temperaturwechsel springt Haushaltstechniker würden sagen, das sollte nicht passieren, Bildschirme implodieren statt explodieren Messer sollen nicht mit Klinge nach unten fallen (sie tuns trotzdem, wie eine Narbe auf ihrem Fuß beweist… ;)) Anderes Konzept von technischer Sicherheit "... ohne eine strenge und permanente Überwachung können die mächtigsten und perfektesten industriellen Apparaturen – ich meine die Dampfmaschinen und Eisenbahnen – zu den schrecklichsten Katastrophen führen. Die Massen an Dingen, die sie in Bewegung setzen, ihre Geschwindigkeit, kurz ihre gesamte Energieentfaltung kann sich in eine schreckliche Zerstörungskraft verwandeln, wenn sie plötzlich gestoppt oder abgelenkt werden. Die Dampfkraft hat dem Menschen neue und unbekannte Wege eröffnet, aber sie scheint ihn ständig in die Lage eines Menschen zu versetzen, der an einem Abgrund wandelt und dessen kleinster Fehltritt in herunterstürzen könnte." Félix Tourneux: Art. Accidens (sic!), in: Encyclopédie des chemins de fer et des machines à vapeur, Paris: Jules Renouard & Cie. 1844, S. 2f. Übersetzung EH.

Heutige Sicherheitstheorie „Enge Kopplung bedeutet, dass es zwischen zwei miteinander verbundenen Teilen kein Spiel, keine Pufferzone oder Elastizität gibt. Sämtliche Vorgänge des einen Teils wirken sich unmittelbar auf die Vorgänge des anderen aus. Eine lose Kopplung ermöglicht es also bestimmten Teilen des Systems, gemäß ihrer eigenen Logik oder ihrer eigenen Interessen zu funktionieren. Eine enge Kopplung beschränkt die Möglichkeit. Lose gekoppelte Systeme können – was nicht immer ein Vorteil sein muss – Erschütterungen, Störungen oder erzwungene Änderungen verarbeiten, ohne sich zu destabilisieren“ Perrow: Normale Katastrophen, S. 131, Dauerbetrieb bei Großtechnologie hat die Tendenz, keinen Spielraum mehr zu lassen – Folge – Redundanz, doppelt und dreifach gesichert Klingt super, und genauso funktioniert Sicherheit bei enger Kopplung

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Bei Großtechnologie (auch Großschifffahrt mit Bremsweg von 10 km, bei Hindernissen Bremsen funktioniert nicht so einfach, Kernreaktor kann man nicht so einfach abschalten, auf Autobahn Auto abschalten ist auch nicht so toll) Die Sicherheitstheorie heutiger Technologiephilosophen sagt, wir haben die enge Kopplung, also müssen wir mit immer größerer Redundanz arbeiten Wie analysieren wir eigentlich diese Kopplungen? Störablaufdiagramm Versuch, die Unfallabläufe und die Abhängigkeit der Faktoren in ein einfaches Schema reinzubringen, um zu verstehen, was passiert, wenn Faktor X, Y und Z zusammenkommen Komplexe Technologie wird durch Sicherheitsmaßnahmen aber immer komplexer! Unfall 3: Spätfolgen Prypjat 2006

Don DeLillo: White Noise (1985) Kap: The Airborne Toxic Event Nyodene D is a whole bunch of things thrown together that are byproducts of the manufacture of insecticide. The original stuff kills roaches, the byproducts kill everything left over. ... In powder form it’s colorless, odorless and very dangerous, except no one seems to know exactly what it causes in humans or the offspring of humans. They tested for years and either they don’t know for sure or they know and aren’t saying. Some things are to awful to publicize. (131) „These things happen to poor people who live in exposed areas. Society is set up in such a way that it’s the poor and uneducated who suffer the main impact of natural and man-made disasters. [...] I am a college professor.“ (114) Will I die? Not in so many words. In how many words? It’s not a question of words. It’s a question of years. We’ll know more in fifteen years. In the meantime we definitively have a situation. What will we know in fifteen years? If you’re still alive at the time, we’ll know much more than we do now. Nyodene D has a lifespan of thirty years. You’ll have made it halfway through. ...

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So, to outlive this substance, I will have to make it into my eighties.“ (140f.) Why do we think these things happened before? Simple. They did happen before, in our minds, as visions of the future. Because these are precognitions, we can’t fit the material into our system of consciousness as it is now structured. [...] We’re seeing into the future but haven’t learned how to process the experience. So it stays hidden until the precognition comes true, until we come face to face with the event. (151)

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03.06.2014 Sicherheit und Prävention – Vorhersehen und Vorsorgen Wie können Katastrophen vorhergesehen und abgewehrt werden? Wie wir in der letzten Sitzung gesehen haben, können vermehrte Sicherheitseinrichtungen zu einer höheren Komplexität führen, die wiederum die Chance auf eine Fehlbedienung/-funktion steigern. Auch schon besprochen wurde die MAD, die Mutual assured destruction, ein Konzept, das Sicherheit durch Gefahr bieten soll. In der Klimakatastrophe wiederum ist Prävention kaum vorstellbar, weil es keine punktuelle Entscheidung gibt, die verhindert werden könnte – die Gefahren der Klimakatastrophe sind eher Neben- und Langzeiteffekte. Sie ist unkontrollierbar, unbeabsichtigt, unsichtbar > die CO2-Anreicherung in der Atmosphäre in kleinem Maße stellt kein Problem dar, jedoch in großen Mengen schon. Vorbereitung auf jegliches Szenario (TEOTWAWKI) Bevor man Prävention betreiben kann, muss man die Zukunft denken, also Prävision betreiben (dieser Gedanke findet bereits früh in der Moderne statt). Es ist allgemein eine Eigenschaft der Moderne, die Zukunft als plan- und veränderbar anzusehen. Burgess sagt: Die Zukunft ist ein Garten der Pfade, die sich verzweigen; jede menschliche Entscheidung stellt eine Weggabelung, einen Schnittpunkt dar. „Dieses Vermögen [des Vorhersehens (praevisio), EH] zu besitzen interessiert mehr als jedes andere; weil es die Bedingung aller möglichen Praxis und der Zwecke ist, worauf der Mensch den Gebrauch seiner Kräfte bezieht. Alles Begehren enthält ein (zweifelhaftes oder gewisses) Voraussehen dessen, was durch diese möglich ist. Das Zurücksehen aufs Vergangene (Erinnern) geschieht nur in der Absicht, um das Voraussehen des Künftigen dadurch möglich zu machen; in dem wir im Standpunkte der Gegenwart überhaupt um uns sehen, um etwas zu beschließen, oder worauf gefaßt zu sein.“ (Immanuel Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht [1796/7], in: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 2, hg. Wilhelm Weischedel, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1995, § 32, S. 490/1.) Kant sagt: Das Vermögen der Prävision ist wichtiger als alles andere, ohne sie wäre jegliches Handeln, jede Entscheidung absolut unmöglich. >>Antizipation der Zukunft. Erfahrungen sind die Basis für die „verlässliche“ Antizipation der Zukunft; es geht darum, auf etwas gefasst zu sein, gerüstet zu sein gegen etwas. Aber: Um etwas verhindern zu können, müssen wir es erst für die Zukunft antizipieren. Comte: Sehen und Voraussehen, um vorbeugen zu können. Aber: das ist nicht immer einfach. Zukunftswissen ist immer nur Hypothese > Donald Rumsfeld (US-Verteidigungsminister, 2002): „There are known knowns and unknown knowns ... But there are also unknown unknowns.“ >> Es gibt also unbekannte Szenarien, von denen wir nicht einmal wissen, dass sie uns unbekannt sind, Szenarien also, die wir uns nicht einmal vorstellen können. Das Nichtwissen des Nichtgewussten.

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"voir pour savoir, savoir pour prévoir, prévoir pour prévenir." (Auguste Comte zugeschrieben) "Sicherheit betrifft genau das, was wir nicht wissen. Ihre ganze Rationalität, Politik und Normativität organisieren sich um diese epistemische Irritation herum: Sicherheit ist in ihrem Wesen ein Verhältnis zu dem, was nicht wissbar ist.“ J. Peter Burgess: The Ethical Subject of Security. Geopolitical Reason and the Threat Against Europe, London/New York: Routledge 2011, S. 2. Hervorhebung EH.

Formen der Vorsorge: Absicherung: Einen Schaden abwenden, Abgrenzung/Ausgrenzung von Schadenserregern, Kontrolle, Redundanz, Impfung,… Versicherung: Einen Schaden geschehen lassen und anschließend ersetzen lassen, materielle Deckung der Schäden. Das Vorsorge-Prinzip: Das Riskante und damit den Schaden von vorherein vermeiden, the unknown unknowns einfach vorwegnehmen und vermeiden. >>Präemption, Präemptivschlag Alle Kulturen hatten Techniken, um die Zukunft vorherzusehen und danach zu handeln. In der Antike galt die Zukunft als festgeschrieben und nicht veränderbar, nicht einmal von den Göttern (Schicksalsfaden werden von den Parzen/Moiren abgewickelt, können auch von den Göttern nicht beeinflusst werden, auch sie unterliegen den Schicksalsgöttinnen). Aber: Man kann die Zukunft zumindest wissen. Antike Verfahren zur Zukunftsvorhersage: Zeichenlesen (Vogelflug etc.) und Orakelspruch. Apollon: „Auch ich kann das Schicksal nicht verändern“

Sophokles: Οἰδίπους Τύραννος / König Ödipus, ca. 429 v.Chr. uraufgeführt Ödipus: Zukunftswissen kommt nie „gratis“ – es entsteht immer auch ein Handlungszwang. Und gerade dieser Handlungszwang führt zur Erfüllung der Prophezeiung. ÖDIPUS: Die Kraft [der Wahrheit, EH] gibt es, doch nicht für dich. Du hast sie nicht Denn du bist blind an Ohren, Geist und Augen. [...] Die Nacht, in der du lebst, ist derart tief, daß keiner von uns dir je sichtbar wird Weder ich, noch sonst einer, der das Licht des Tages schaut. (v. 370-375) TEIRESIAS: Ich spreche, weil du den Blinden in mir verhöhnt hast. Du hast zwar Augen und siehst dennoch nicht In welchem Haus du wohnst noch mit wem du zusammenlebst. Weißt du denn, wessen Kind du bist? Du weißt auch nicht, daß Die deinen dir feind sind, unten im Totenreich und auf der Erde. Denn der Fluch, der heranstürmt, von der Mutter und auch vom Vater her, Ein doppelter Hieb, wird einst dich aus diesem Lande verjagen. Noch hast du scharfe Augen, später siehst du die Finsternis. Da ist kein Hafen, der nicht zur Stätte deines Aufschreiens wird! (v. 412-420) [...] [...]Zum Blinden wird der Sehende werden, Zum Bettler der Reiche; er wird über eine Erde gehen, die für ihn Zur Fremde geworden ist, mit dem Stock vor sich hintastend. (v. 454-456). ÖDIPUS: Diesem Mann, wer er auch sei, gebiete ich, in diesem Land

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[...] Keinen bei sich aufzunehmen und an keine das Wort zu richten, [...] Jeden soll er aus seinem Haus verstoßen; dies ist der Frevel, Der auf uns lastet wie das pythische Orakel Des Gottes mir soeben enthüllt hat. In solcher Weise kämpfe ich im Bündnis Mit dem Gott und auch mit jenem Mann, der erschlagen wurde. Den, der es getan hat und der uns verborgen bleibt, mag er es allein Getan haben oder mit anderen zusammen, diesen Mann verdamme ich In Grund und Boden: Er soll ein von allen geächtetes Leben fristen. [...] Jetzt, da es sich trifft, dass ich es bin Der die Macht besitzt, die früher dem anderen gehörte Und der das Bett und die gemeinsam besamte Frau besitzt, Und es gar zwischen uns eine gemeinsame Vaterschaft gäbe Von gemeinsam entsprossenen Kindern [...] [...] Hat er ein Recht darauf, dass ich, als ob es um meinen eigenen Vater ginge, Mich für ihn einsetze, und nichts wird mich abbringen Von meinem Entschluss, den Mann zu fassen, der den Mord beging. (v. 236-266) In der Antike ist also die Zukunft eine lineare, die nicht abgewandelt werden kann. Es kommt einer selbsterfüllenden Prophezeiung gleich. "Wie furchtbar ist das Wissen für den, der weiß/ Und dem das Wissen nichts nützt." (v. 316-7) Sorge, lat. cura : Angst, Besorgnis, Schmerz -- Sorgfalt, Umsicht, Hingabe, [Der] Sicherheitsgedanke ist der Ursprung der Entwicklung aller menschlichen Fähigkeiten, aller Zivilisation. Er [...] führte den Menschen dahin, schützende Wohnstätten sich zu errichten, Wälle und Mauern zu bauen zum Schutze des Hauses, des Lagers oder, wie der Limes Germanicus und die Große Chinesische Mauer, zum Schutze des Landes. Der Sicherheitsgedanke wurde damit der Vater des Handwerks, der Architektur, des Städtebaues." (Franz Scholz: Die Rechtssicherheit, Berlin: de Gruyter 1955, S. 1. ) Bei Kafka finden man ein Beispiel für das moderne Vorsorge-Prinzip in : Der Bau. Franz Kafka: <Der Bau>, Winter 1923/4 Ich habe den Bau eingerichtet und er scheint wohlgelungen." Franz Kafka: <Der Bau>, S. 165. Die Zukunft ist zwar veränderbar, aber es entsteht ein Zustand der ständigen Sorge und Vorsorge. Lat.: Cura = Angst / Umsicht, Hingabe. = Positive Planung und präventive Verhinderung. „Gerade die Vorsicht verlangt das Risiko des Lebens“ (Der Bau) >> Daraus ergibt sich ein Paradox der Sicherheit. „[...] es kann jemand auf das Moos treten oder hineinstoßen, dann liegt mein Bau frei da und wer Lust hat [...] kann eindringen und für immer alles zerstören. Das weiß ich wohl und mein Leben hat selbst jetzt auf seinem Höhepunkt kaum eine ruhige Stunde, dort an jener Stelle im Moos bin ich sterblich und in meinen Träumen schnuppert dort eine lüsterne Schnauze unaufhörlich herum. Ich hätte, wird man meinen, auch dieses wirkliche Eingangsloch zuschütten können [...] , so daß es mir immer nur wenig Mühe gegeben hätte,

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mir immer wieder von neuem den Ausweg zu erarbeiten. Es ist aber doch nicht möglich, gerade die Vorsicht verlangt, daß ich eine sofortige Auslaufmöglichkeit habe, gerade die

Vorsicht verlangt wie leider so oft, das Risiko des Lebens; das alles sind recht mühselige Rechnungen und die Freude des scharfsinnigen Kopfes an sich selbst ist manchmal die alleinige Ursache, dass man weiterrechnet. Ich muss die sofortige Auslaufmöglichkeit haben, kann ich denn trotz aller Wachsamkeit nicht von ganz unerwarteter Seite angegriffen werden? Ich lebe im innersten meines Baues in Frieden und inzwischen bohrt sich langsam und still der Gegner von irgendwoher an mich heran [...]“ (166/7, Hervorhebung EH) „... hier in der Nähe des Eingangs mich einzurichten, mein Leben in der Beobachtung des Eingangs zu verbringen und immerfort mir vor Augen zu halten und darin mein Glück zu finden, wie fest mich der Bau, wäre ich darin, zu sichern imstande wäre.“ (178) Zukunftswissen / Prävention als Zeitachsen-Manipulation Edward Bellamy: Looking Backward: 2000-1887 (1887) H.G. Wells: Time Machine (1895) Olaf Stapledon: Last and First Men. A Story of the Near and Far Future (1930) Gregory Benford: Timescape (1980). James Cameron: The Terminator (1984) James Cameron: Terminator II: Judgment Day (1991) Terry Gilliam: Twelve Monkeys (1998) Steven Spielberg: Minority Report (2002) Eric Bress: The Butterfly Effect (2004) Film Minority Report: In diesem Film wird dieses Paradox der Sicherheit ebenfalls aufgearbeitet. Zukünftige Gewalttaten werden vorhergesehen und die potenziellen Straftäter präemptiv weg gesperrt > obwohl sie gar kein Verbrechen begangen haben.

Interessant ist, dass der Blick in die Zukunft immer auch ein medialer ist – Seit dem Ende des 19. Jhd. gibt es vermehrt Geschichten, die die Manipulation der Zeitachsen behandeln (z.B. The Time Machine – H.G. Wells) Der mediale Aspekt von Zukunftsvisionen: Welche Medien muss ich für die Prövention einsetzen? Die Zukunft ist verfasst wie ein Film – dadurch wird sie analysierbar. Man besitzt riesige Datensätze, auf die man zugreifen kann.

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In Minority Report wird ein weiteres Paradox gezeigt: die isolierte Zukunftsvision ist nur eine Version der Zukunft, der Kontext bleibt in ihr verborgen. Das reale Geschehen, wenn die Vision eintritt, sieht zwar genau gleich aus, ist aber durch den Kontext eine ganz andere Situation. Das heißt: Die Vision allein ist nicht wirklich verständlich, nur erkennbar. Das führt zu falschen Handlungen basierend auf falschem Zukunftswissen.

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17.06.2014 Zombies and Citizens Zusammenfassung des Semesters Drei historische Felder und drei systematische Felder Historische Felder

1. Romantik: Abarbeitung eines alten Schemas der Apokalypse, Frage, was übrig bleibt, wenn Katastrophe nicht als heilsgeschichtliches Ereignis sondern als rein säkuläre Katastrophe. Theodizee – wie kann Gott das zulassen? Sonne als göttliches Zentrum der Welt verschwindet. Gedicht Darkness von Lord Byron von 1816 vor dem Hintergrund der Verdunklung der gesamten Welt wird eine Figur des letzten Menschen berufen und wird damit zu einem anthropologischen und einem sozialen Problem. Fragt nach dem Verhalten der Menschen in diesem seinem letzten Augenblick, ein Mensch der keinerlei Stärke zeigt, verrückt wird vor Angst und Kannibalismus als Ende – das ist das, was vom Menschen übrig bleibt – dieses Modell wird in der Moderne immer wieder aufgerufen (2012, The Day After Tomorrow – als was erscheint der Mensch? Roland Emmerich ist gnädiger und glaubt wohl ans Gute im Menschen, Byron ist da radikaler) Thomas Malthus – Ressourcenknappheit

2. Kalter Krieg: Katastrophe als Handlungsfähigkeit. Sicherheitsdoktrin, die davon ausgeht, dass es eine bipolare Weltmacht gibt. Massenvernichtungswaffen bringen nicht nur massenhaft Menschen um sondern machen auch das Land unbewohnbar. Angst vor dem Zweitschlag – Politik, die Sicherheit durch Erhöhung des Risikos erreichen will – Wahnsinn, dass das geklappt hat, Wahnsinn, mit Millionen von Toten zu rechnen (Dr. Strangelove von Kubrik) Selbstvernichtungsoption – Menschen haben uns für immer zum letzten Menschen gemacht, Erfindungen wie Massenvernichtungswaffen können nicht mehr nicht-erfunden sein. Katastrophenpotential von etwas, wenn mal etwas da ist, kriegt man es nicht mehr aus der Welt. Das Problem ist, dass wir in einer fundamentalen Weise nicht in der Lage sind, die Folgen des Abgasausstoßes, etc abzuschätzen. Wir agieren in einer gewissen Weise blind. Gibt auch immer noch keine Einigung, keine Einsicht (wie viel CO2 verträgt die Welt

3. Szenarien des Untergangs – wie müssen wir uns vorstellen, wie die postapokalyptische Welt sein wird. Problem des Überlebens von Katastrophen – vielleicht physisches Überleben, aber auch psychisch? Klimakatastrophe scheint eine Naturkatastrophe zu sein. McCarthy – Was passiert mit dem Menschen in der Situation einer ausgelöschten Welt – was ist der Rest von Menschlichkeit, der dann noch übrig ist. Wissen vom Klima ist ein unsicheres Wissen – Klimaskeptiker und Klimagläubige

Was heißt Überleben im Ernstfall, was ist überhaupt ein Ernstfall und welche sozialpolitischen Folgen werden im Ernstfall notwendig? – Genau darum geht es in I Am Legend. Zwei mögliche Szenarien – Krieg der Arten (Feind töten um zu überleben) - Rettungsboot, wen können wir aufnehmen (Deep Impact – Entscheidungen, die ins Fleisch der eigenen Leute schneiden)

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Technische Katastrophe – Unfall (Crash als wahrscheinlicher Unfall) Je intensiver und komplexer die Sicherheitsanstrengungen, desto komplexer wird Technologie und damit auch immer unsteuerbarer – Sicherheit erhöht das Risiko Phänomen der Langzeitfolgen – können nicht abgeschätzt werden weil es keiner weiß und keiner ausprobieren kann. Prävention – Einem Schicksal kann man nicht ausweichen, der Versuch führt erst recht dazu, dass es wahr wird – Ödipus. Moderne: wir stehen ständig an Entscheidungswegen und können wählen, welchen Weg wir nehmen. Wir sind aber dadurch ständig in Sorge, für die Zukunft sorgen zu müssen, selbst verantwortlich zu sein. Minority Report – jemanden für etwas verurteilen, was er noch nicht gemacht hat. In dem Film so dargestellt, als hätte das System einfach nur ein paar Fehler und wäre manipulierbar. Und die mangelhafte Bildqualität der Zukunft, man kann nicht sehen, dass sich jemand in letzter Minute auch anders entscheiden kann. Damit sagt Spielberg – Prävention ist gut, hat nur ein paar technische Mängel. Wenn besser organisiert und keine Manipulierbarkeit – dann sollte das möglich sein – amerikanische Botschaft, dass Prävention möglich ist.

Gastvortrag: Zombies and Citizens. The Ontopolitics of Modern Disaster Fiction Kernprobleme von Desasterdarstellungen Slavoj Zizek – The Pervert’s Guide to Cinema Dieselbe Geschichte vorstellen, aber ohne die Horrorelemente. Geschichte über Gesellschaft. I Am Legend Geschichte von zwei Arten von Menschen, die zusammenleben. In der ersten Szene erklärt eine Wissenschaftlerin, dass sie Krebs geheilt hat. „In this case the measles, um, virus which has been engineered at a genetic level to be helpful rather than harmful. Um, I find the best way to describe it is if you can… if you can imagine your body as a highway and you picture the virus as a very fast car, um being driven by a very bad man. Imagine the damage that car can cause. Then if you replace that man with a cop, the picture changes. And that’s essentially what we’ve done” Drei Jahre später – NY Zu Beginn sieht man ein Auto, gefahren von Will Smith – ist er ein bad man oder ein cop? 1. Zombified Space – Sozialer Raum, der auf zwei Spezien aufgeteilt ist (Zombie das erste Mal in Night of the Living dead – sehr häufiges Horrorelement) “Jede generelle Norm verlangt eine normale Gestaltung der Lebensverhältnisse, auf welche sie tatbestandsmäßig Anwendung finden soll und die sie ihrer normativen Regelung unterwirft. Die Norm braucht ein homogenes Medium (Carl Schmitt)“ Es gibt ein Inside the Law und ein Outside the Law – entscheidend, auf welcher Seite man steht. Erklärt nicht, wer die Entscheidung trifft, wo man steht. In Zombified Space wird die Entscheidung getroffen, ob in die Norm passend – Mensch sein und Mensch bedrohen Aufgrund dessen, was er ist, nicht, was könnte der tun. Welche Art von Lebewesen ist man, ist entscheidend

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Basiert auf präverbalen Ideen, Geschichten über das soziale Leben. Die Linie zwischen Inside und Outside wird gezogen. 2. Scope of Justice Der bad man ist ungerecht, der cop ist gerecht. Diese Art von Gerechtigkeit ist gewöhnlich. Gerechtigkeit stellt die Frage, wer was verdient, stellt die Frage des Verdienes. Es gibt zwei Arten von Verdienen:

- Jeder bekommt ein gleich großes Stück vom Kuchen - Jeder bekommt die gleiche Strafe

One form of justice is found in the distribution of honor or money or any of the other things Distributive justice – retributive justice (corrective) My name is Robert Neville. I am a survivor living in NYC. I am broadcasting on all AM frequencies. I will be at the South Street Seaport everyday at mid-day, when the sun is highest in the sky. If you are out there… if anyone is out there… Wer zieht die Grenze, wem wird Unterstützung angeboten, wer gehört zu denen, vor denen man sich versteckt? We became aware of the existence of a right to have rights (and this means to live in a framework where one is judged by one’s actions and opinions), as well… Buch: I Am Legend Im Buch Vampire, You can’t abide by Robert’s Rules of Order in the jungle he said. Believe me, it’s the only thing I can do. Is it better to let them die of the disease and return – in a far more terrible way? Richard Matheson Behavioral note – an infected male exposed himself to sunlight today. Now it’s possible decreased brain function or growing scarcity of food is causing them to… ignore their basic survival instincts. Social de-evolution appears complete. Typical human behaviour is now entirely absent. Neville spricht auf sein Diktiergerät, davor Flashback mit Horrorelement mit Zombie – nächste Szene wieder in seinem Keller mit infizierten Ratten auf der Suche nach einem Heilmittel Beide Szenen zeigen ein Gesicht der Infektion, Form des Gesichts, Dark Seeker is… Neville beginnt mit Schaufensterpuppen zu interagieren und sie zu behandeln, als wären sie Menschen Abweichung von Menschen zu unbelebten Dingen – Interaktion schwingt um 4. A Tale of two endings That’s my snare, these are my materials. The infected didn’t do this, they can’t… they have no higher brain function, they don’t plan Mit der Falle außer Kraft gesetzte Annahme

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Am Ende: Mann will durch die Scheibe, Neville erkennt, dass der eine Intention hat, dass der die Frau will, die er gefangen hält Seine Liebe zu seiner Frau und seiner Tochter wird im Zombie wiederholt Dann legt er die Waffen nieder und er gibt die Frau zurück und sie können nebeneinander leben In dieser Szene bricht die Scheibe zwischen ihnen ein, die metaphorische Grenze bricht zwischen ihnen zusammen, zwischen den beiden Arten Man sieht Neville Research Wall mit Fotos von seinen Versuchsopfern und er erkennt, dass sie Menschen waren und er sie getötet hat und er der bad man ist – Originale Fassung! Erst durch die Definition, wer noch Mensch ist und wer der Feind ist, die getroffen wurde, entstand der Kampf zwischen Mensch und Verwandelten. Erst durch die Feindschaft, die Neville ihnen entgegenbrachte. Offizielle Fassung: er bringt sich und alle um und die Frau und ihr Sohn kommen in ein Reservate. In der Fassung wird er der cop, der viele Menschen gerettet hat und sich selbst geopfert. „Light up the darkness“