Vom Gatekeeping Zum Gatewatching - Verandern Soziale Medien Den Journalismus

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    Jan-Hinrik Schmidt

    16.3.2012

    Vom Gatekeeping zum GatewatchingVerndern Soziale Medien den Journalismus?

    Jan-Hinrik Schmidt

    Jan-Hinrik Schmidt ist wissenschaftlicher Referent fr digitale interaktive Medienund politische Kommunikation am Hans-Bredow-Institut. Seine Arbeitsschwerpunkte liegenauf den Entwicklungen des "Web 2.0" bzw. der "Social Software", wobei ihn vor allem aktuelleVernderungen onlinebasierter ffentlichkeiten undsozialer Netzwerke sowie deren Auswirkungen auf Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft interessieren.

    Um ffentlichkeit herzustellen, werden nicht mehr zwangslufig Druckerpressen und Sendemasten bentigt. Digitalvernetzte Medien bringen Brgerjournalisten hervor und Leser, die partizipieren wollen. Statt den Journalismus zuersetzen, frdern sie eine neue Publikumsnhe.

    Das Verhltnis zwischen dem Journalismus und seinem Publikum scheint paradox: Auf der einen Seite ist der Journalismus ganzzweifelsfrei auf (s)ein Publikum angewiesen, also auf Leserinnen und Leser der Artikel, Hrerinnen und Hrer der Radionachrichten oder die Fernsehzuschauerin und den -zuschauer. Auf der anderen Seite zeigen vielekommunikationswissenschaftliche Studien, dass das Publikum im Journalismus lange Zeit eine geringe Rolle spielte. Stattdessenorientierte man sich vorrangig an sich selbst: Kollegen und Vorgesetzte in den Redaktionen oder auch diejenigen Themen, dieandere Leitmedien auf die Tagesordnung setzten, waren oft deutlich mageblicher fr die eigene Berichterstattung als dieWnsche und Vorlieben des Publikums. Eine Einstellung, die auf allen Ebenen zu finden war. Nicht nur beim renommiertenPolitikmagazin, auch in der Lokalredaktion fanden sich Journalistinnen und Journalisten, denen eine allzu starke Orientierung amPublikum sogar schdlich erschien. Denn dadurch drohten Boulevardisierung und das "Hinabsinken" auf den Massengeschmack,die Gegenentwrfe zur Vorstellung eines Qualittsjournalismus. Der "Bericht von der Kaninchenzchterversammlung" steht in

    dieser Hinsicht sinnbildlich sowohl fr eine charakteristische Form der Publikumsnhe als auch fr die unterstellte Provinzialittdes Lokaljournalismus.

    Im Rckblick wird deutlich, wie sehr dieses Paradox von den Bedingungen der Massenkommunikation geprgt war. Dietechnischen Voraussetzungen schafften deutliche Hemmnisse. Druckerpressen, Rundfunkstudios oder Sendemasten, dieInfrastruktur fr die auf Dauer gestellte Produktion und massenhafte Distribution von journalistischen Inhalten sind teuer. Der professionelle Journalismus entstand daher als Institution, um regelmig und nach etablierten Kriterien das gesellschaftlichRelevante aus der Flut an Informationen herauszufiltern, aufzubereiten und zu verbreiten.

    Zwischen den sogenannten journalistischen "Gatekeepern" und dem Publikum bestand also unter massenmedialen Bedingungeneine grundstzliche Asymmetrie: Die einen sendeten, die anderen empfingen. Rckmeldungen des Massenpublikums kameneher sprlich, etwa in Form von Leserbriefen oder Anrufen in der Redaktion, die (wenn berhaupt) nur gefiltert ihren Weg zurckins journalistische Produkt fanden. Jenseits von Verkaufszahlen und Einschaltquoten war es fr Akteure der Massenmedien nur schwer abzuschtzen, welche Resonanz die eigene journalistische Ttigkeit tatschlich erzielte. Im Lokaljournalismus war diesunter Umstnden noch eher mglich, sofern Redaktionen und Redakteure in den jeweiligen Gemeinden und Regionen"eingebettet" waren. Doch auch hier gestaltete sich das Verhltnis zwischen Journalismus und Publikum grundstzlichasymmetrisch: Das Monopol auf die Auswahl und Verbreitung von relevanten Informationen existierte nicht nur publizistisch,sondern in den vielen Ein-Zeitungskreisen auch wirtschaftlich.

    Soziale Medien machen das Publikum sichtbar

    In den letzten 15 Jahren hat die verbreitete Nutzung digital vernetzter Medien, also insbesondere von internetfhigen Computernund mobilen Endgerten diese Asymmetrie ins Wanken gebracht. Plattformen und Werkzeuge wie Facebook, YouTube, Weblogsoder Twitter, die sozialen Medien des Web 2.0, haben die technischen Hrden deutlich gesenkt, um Menschen Inhalte aller Artvon nahezu berall aus zugnglich zu machen. Nutzerinnen und Nutzer knnen ihre eigenen persnlichen ffentlichkeitenschaffen, in denen sie selbst "ihre" Themen prsentieren und diskutieren. Zugleich muss aber auch beachtet werden, dass nicht

    jeder diese technischen Mglichkeiten in gleicher Weise nutzt. Die "Revolutionsrhetorik", die die Etablierung der sozialen Medien

    seit etwa fnf Jahren begleitet und das Bild eines Journalismus schafft, der durch Heerscharen von "Brgerjournalisten"berflssig wrde, ist deutlich bertrieben (siehe Journalismus im Umbruch).

    Es lsst sich jedoch eine Reihe von beachtenswerten und durchaus grundlegenden Konsequenzen fr das Verhltnis zwischenJournalismus und seinem Publikum beobachten. Auf Seiten der professionellen Medienproduzenten mssen sich journalistischePraktiken und Routinen darauf einstellen, dass die Meinungen des Publikums inzwischen deutlich schneller und direkter sichtbar sind: Innerhalb der journalistischen Angebote, zum Beispiel in den Kommentarbereichen unter Artikeln, aber auch durch

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    Rckmeldungen in Sozialen Netzwerken oder in Blogs der Nutzerinnen und Nutzer. Diese Anschlusskommunikation kann unter Umstnden kritisch sein, beinhaltet aber gleichermaen auch Lob, Empfehlungen - weitergereicht an die eigeneNetzgemeinschaft durch "retweets" und "likes". Sie helfen die Reichweite fr journalistische Inhalte zu steigern.

    Damit machen soziale Medien die Aktivitten des Publikums auch fr den Journalismus sichtbar, unter Umstnden sogar "steuerbar". Bei aktuellen Ereignissen oder Nischenthemen knnen Aufzeichnungen, Eindrcke oder Einschtzungen vonNutzerinnen und Nutzern eine wichtige Ergnzung der journalistischen Berichterstattung sein. Das mssen nicht immer spektakulre Flle sein wie die Notlandung eines Flugzeugs im Hudson River im Januar 2009, die zuerst ber Twitter dokumentiert wurde, oder der arabische Frhling, als CNN, Al-Jazeera und Co. auf Handyvideos und Twitter-Meldungen vonDemonstranten vor Ort zurckgriffen.

    Die Praktiken des Journalismus verschieben - und erweitern sich

    Darber hinaus funktioniert das Instrument auch im kleinerem Rahmen: Regional oder lokal. Wie Beispiele aus deutschenLokalredaktionen im Beitrag"Der Souvern wartet nicht" zeigen, kann die Beteiligung von Brgerinnen und Brgern gerade fr dieganz alltgliche Berichterstattung sinnvoll genutzt werden, um an Informationen zu gelangen und um die Leserbindung zustrken. Auf diese Weise knnen Synergien zwischen Redaktion und Publikum entstehen. In "Crowdsourcing"-Aktionen zeigt sichdie Verknpfung von Publikums- und journalistischem Handeln besonders deutlich. Der britische Guardian lud beispielsweiseLeserinnen und Leser ein, bei der Aufbereitung und Sichtung von schier uferlosen ffentlichen Datenbestnden zu denSpendenabrechungen von Abgebordneten mitzuhelfen. Zwar sind Projekte dieser Grenordnung noch eher die Ausnahme alsdie Regel. Generell aber lsst sich beobachten: Mit Hilfe von Social-Media-Werkzeugen kann eine Redaktion in denwechselseitigen Austausch mit dem Publikum treten, die Verbreitungswege fr die eigenen Inhalte vergrern und eine Form des"Themen-Monitoring" betreiben.

    Die Praktiken des Journalismus erweitern und verschieben sich mit dem bergang von den massenmedialen zu denBedingungen digitaler vernetzter Medien: Zum "gatekeeping" tritt das "gatewatching" bzw. "Kuratieren", bei dem dasZusammenstellen, (Ein-)Ordnen und Kommentieren von Quellen und Informationen zu einem bestimmten Thema im Vordergrundsteht. Dabei handelt es sich um gngige journalistische Praktiken, die in den digitalen Medien aber in eigenstndigen "Produkten"sichtbar werden knnen: In thematischen Linklisten zu anderen Informationsquellen, in aufbereiteten Zusammenstellungen vonNutzer-Tweets oder auch in neuen journalistischen Darstellungsformen wie den "Storify"-Texten, fr die nutzergenierte Inhaltegesammelt und um journalistische Einordnungen und Kommentare ergnzt werden knnen.

    Der Social-Media-Redakteur als Nachrichtenkurator

    Diese Vernderungen in den Praktiken des Journalismus gehen, so ist zu erwarten, mittel- und langfristig auch mit einem Wandelin den handlungsleitenden Einstellungen und Erwartungen einher. Medienorganisationen und Redaktionen genauso wie einzelneJournalistinnen und Journalisten mssen ihre Erfahrungen mit den neuen Beteiligungsmglichkeiten erst sammeln. Das Ziel, die

    (Neu-)Verortung im Umgang mit den neuen Kanlen und ffentlichkeiten zu erleichtern, findet beispielsweise Ausdruck in "SocialMedia Guidelines" oder "Community-Richtlinien", die eine steigende Zahl von Medienanbietern formuliert. Sie legen nicht nur fest,ob der User geduzt oder gesiezt wird, sondern geben auch Orientierung, wie mit ffentlichen Diskussionen umgegangen wird, wieund ber welche Kanle, Nachrichten zuerst verbreitet werden. Dazu gehrt auch die persnliche Rolle: In den meistenGuidelines gilt, sich klar als Journalist zu prsentieren.

    Schlielich schlgt sich die Erweiterung von Beteiligungsmglichkeiten auch in vernderten redaktionellen Strukturen undPositionen nieder. Das Beobachten und Filtern von nutzergenerierten Inhalten genauso wie das Moderieren von Diskussionen zu

    Artikeln und Beitrgen ist zeitaufwndig und auf Dauer nur schwer nebenbei zu leisten. Neue Aufgabenbereiche entstehen, die inStellen als "Social Media Redakteur" oder "Community Manager" institutionalisiert werden. Eine Entwicklung, die sich durch alleMedienformen zieht: Vom ffentlich-Rechtlichen Rundfunk bis hin zu Lokalredaktionen wie der Rhein-Zeitung oder demNordbayerischen Kurier entstehen neue Positionen, die nicht mehr an ein klassisches Ressort geknpft sind. WeilRckmeldungen zu den "Offline-Inhalten" einer Print- oder Rundfunkredaktion wohl auch eher ber Online-Kanle geuertwerden, ist zudem der Austausch zwischen den verschiedenen Redaktionen zu organisieren, sofern sie nicht ohnehin schon ingemeinsamen Newsrooms medienbergreifend arbeiten. Und fr die interne Medienforschung eines Verlags oder Sendersergeben sich neue Mglichkeiten, die Reichweite einzelner Artikel innerhalb des eigenen Online-Angebots, aber auch auf Plattformen wie Facebook oder Twitter zu verfolgen und aufzubereiten. Zusammenfassend lsst sich somit festhalten, dass der bergang vom Journalismus der Massenkommunikation zum Journalismus in digitalen, vernetzten Medien das Verhltniszwischen Journalismus und seinem Publikum in allen wesentlichen Bereichen berhrt: In den alltglichen Routinen und Praktiken,in den dahinter liegenden Erwartungen und Einstellungen und nicht zuletzt auch in den rahmenden Strukturen undOrganisationsformen. Dies bedeutet nicht das Ende des Journalismus, wohl aber seine Transformation die wiederum nichtgleichfrmig verlaufen wird, sondern je nach publizistischer und konomisch-strategischer Ausrichtung einer Medienorganisationandere Schwerpunkte setzen wird. Publikumsbeteiligung kann konomisch als Mittel der Kundenbindung oder zur Festigung einer Markenbotschaft ("Das regionale Debattenportal") motiviert sein. Aus publizistischer Sicht knnen hingegen Ziele wie das

    Abbilden von Meinungsvielfalt oder die Strkung der Partizipation an lokalen Belangen wichtige Beweggrnde fr ein Einbindendes Publikums sein.

    Darber hinaus werden die Grenzen des Journalismus offenbar flieender. Bei weitem nicht jeder Nutzer von Twitter, Facebookoder Blogs hat die Absicht und den Anspruch, publizistisch ttig zu sein, denn fr die meisten geht es darum, Konversationen inund mit dem eigenen sozialen Netzwerk zu fhren. Doch gerade in thematisch spezialisierten Nischen und Gegenffentlichkeitenknnen sich neue publizistische Angebote etablieren, die letztlich auch zur Vielfalt der gesellschaftlich verfgbaren Informationenbeitragen. Eine strkere Publikumsbeteiligung, auch und gerade zu regionalen Themen, bedeutet daher nicht zwingendBoulevardisierung oder Provinzialisierung, sondern erfllt vielmehr die Erwartungen der Brgerinnen und Brger an zeitgemen(Lokal-)Journalismus.

    http://www.bpb.de/gesellschaft/medien/lokaljournalismus/151607/unter-strom-der-newsroomhttp://www.bpb.de/gesellschaft/medien/lokaljournalismus/151440/neue-beteiligungsmodelle
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    Weitere Informationen

    Die "(Wieder-)Entdeckung des Publikums" ist auch Titel eines Forschungsprojekts am Hans-Bredow-Institut, das zwischen 2011und 2014 verschiedene Fallstudien zum Wandel von Journalismus durchfhrt. Weitere Informationen finden sich unter http://jpub20.hans-bredow-institut.de.

    Journalist online: Social Media Redakteure: Ein neues Berufsbildhttp://www.journalist.de/ratgeber/handwerk-beruf/menschen-und-meinungen/social-media-redakteure-ein-neues-berufsbild.html

    Asiem El Difraoui: Die Rolle der neuen Medien im Arabischen Frhlinghttp://www.bpb.de/themen/QSBCIZ,0,0,Die_Rolle_der_neuen_Medien_im_Arabischen_Fr%FChling.html

    Journalist online: Social Media Revolutionhttp://www.journalist.de/aktuelles/meldungen/revolution-tagesschau-ard-und-social-media.html

    Drehscheibe: Das Kaninchen und der Reporter - Interview mit Benjamin Lemper http://www.drehscheibe.org/interview-mit-benjamin-lemper.html

    Medium Online: Praxis: Die neuen Kuratier-Toolshttp://www.mediummagazin.de/magazin-plus/praxis-die-neuen-kuratier-tools/

    Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz verffentlicht. by-nc-nd/3.0/de/Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-nc-nd/3.0/de/

    Autor: Jan-Hinrik Schmidt fr bpb.de

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