VomLabortisch zur Feldforschung:zweiFallstudien ...5934 2 015 Wiley-VCH Verlag GmbH &Co. KGaA,...

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Internationale Ausgabe: DOI: 10.1002/anie.201411741 Patientennahe Diagnostik Deutsche Ausgabe: DOI: 10.1002/ange.201411741 Vom Labortisch zur Feldforschung: zwei Fallstudien kostengɒnstiger Diagnostik Ashok A. Kumar, JonathanW. Hennek, Barbara S. Smith, Shailendra Kumar, Patrick Beattie, Sidhartha Jain, Jason P. Rolland, ThomasP. Stossel, Catherine Chunda-Liyoka und George M. Whitesides* Angewandte Chemie Stichwçrter: Feldstudien · LeberschȨden · Point-of-Care-Diagnostik · SichelzellanȨmie · Technologieɒbertra- gung . Angewandte AufsȨtze G. M. Whitesides et al. 5932 www.angewandte.de # 2015 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2015, 127, 5932 – 5951

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  • Internationale Ausgabe: DOI: 10.1002/anie.201411741Patientennahe DiagnostikDeutsche Ausgabe: DOI: 10.1002/ange.201411741

    Vom Labortisch zur Feldforschung: zwei Fallstudienkostengînstiger DiagnostikAshok A. Kumar, Jonathan W. Hennek, Barbara S. Smith, Shailendra Kumar,Patrick Beattie, Sidhartha Jain, Jason P. Rolland, Thomas P. Stossel,Catherine Chunda-Liyoka und George M. Whitesides*

    AngewandteChemie

    Stichwçrter:Feldstudien · Leberschden ·Point-of-Care-Diagnostik ·Sichelzellanmie ·Technologieíbertra-gung

    ..AngewandteAufstze G. M. Whitesides et al.

    5932 www.angewandte.de Ó 2015 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2015, 127, 5932 – 5951

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  • 1. Einleitung

    Ein zentraler Aspekt von Lab-on-a-Chip-Technologien istdie Entwicklung patientennaher (Point-of-Care-,POC-)Dia-gnostik.[1–3] Verçffentlichungen aus diesem Bereich verzeich-nen einen exponentiellen Zuwachs (Abbildung 1). Trotz alldieser Aktivitten bleibt das Versprechen von Testsystemen,

    die eine personalisierte und bezahlbare Gesundheitsversor-gung ermçglichen sollen, zum großen Teil eben das: einVersprechen.[4, 5] Wie muss man vorgehen, will man die Lîckeschließen zwischen Publikationen îber POC-Tests einerseitssowie vollstndig entwickelten POC-Tests andererseits, dieauch tatschlich fîr die Verbesserung der medizinischenVersorgung eingesetzt werden?

    Der bergang von einem Laborkonzept zu einem pra-xistauglichen Produkt ist meist anspruchsvoll und teuer, ganzbesonders in der Medizin. Sowohl große klinische Studien alsauch komplexe behçrdliche Genehmigungsprozesse bençti-gen eine lange Zeit und erhebliche (finanzielle und mensch-

    Die universitre Forschung an Point-of-Care-Diagnostik fîr dieglobale Gesundheit verzeichnet ein stetes Wachstum, allerdings ver-lassen viele Testsysteme niemals das Labor. Prozesse, die die dia-gnostische Technologie vom Labor ins Feld îberfîhren – Prozesse,mit deren Hilfe Betrieb und Leistungsvermçgen unter realistischenBedingungen evaluiert werden sollen –, sind komplizierter, als siescheinen mçgen. Zwei Fallstudien illustrieren diesen Prozess: dieEntwicklung eines papierbasierten Testsystems zur Messung der Le-berfunktion sowie die eines Testsystems zur Identifikation von Si-chelzellanmie, das auf wssrigen, mehrphasigen Systemen sowieUnterschieden in der Dichte normaler und sichelfçrmiger Zellen be-ruht. Aus den Details der Entwicklung dieser beiden Testsysteme las-sen sich allgemeingîltige Strategien zum Aufbau von Kooperationen,zum Herstellen von Prototypen, zur Validierung, zum Design vonStudien und zur Evaluation von Point-of-Care-Diagnostik ableiten.Die aus diesen Erfahrungen gezogenen (verfahrens)technischenLehren kçnnen Wissenschaftlern nutzen, die diagnostische Tests fîrEntwicklungslnder und – allgemeiner – Technologien fîr den Einsatzbei begrenzten Ressourcen entwerfen.

    Aus dem Inhalt

    1. Einleitung 5933

    2. Ein Leitfaden fír dieEntwicklung 5934

    3. Fallstudie 1: Leberfunktionstest 5940

    4. Fallstudie 2: diagnostischer Testauf Sichelzellen 5944

    5. Schlussfolgerungen undEmpfehlungen 5949

    [*] Dr. A. A. Kumar, Dr. J. W. Hennek, Dr. B. S. Smith,Prof. G. M. WhitesidesDepartment of Chemistry and Chemical BiologyHarvard University12 Oxford St., Cambridge, MA 02138 (USA)E-Mail: [email protected]

    Dr. S. Kumar, P. Beattie, S. Jain, Dr. J. P. RollandDiagnostics for All840 Memorial Drive, Cambridge, MA 02139 (USA)

    Dr. T. P. StosselHematology Division and Center for Biomedical InnovationBrigham and Women’s HospitalOne Blackfan Circle, Boston, MA, 02115 (USA)

    Dr. C. Chunda-LiyokaDepartment of Paediatrics, University Teaching HospitalNationalist Rd., Lusaka (Sambia)

    Prof. G. M. WhitesidesWyss Institute for Biologically Inspired EngineeringHarvard University60 Oxford St., Cambridge, MA 02138 (USA)

    Hintergrundinformationen zu diesem Beitrag sind im WWW unterhttp://dx.doi.org/10.1002/ange.201411741 zu finden.

    Abbildung 1. Die Zahl der Verçffentlichungen mit dem Thema Point-of-Care-Tests oder -Diagnose (Publikationen íber POC-Testsysteme)sowie der Verçffentlichungen von Evaluationen solcher Testsysteme imFeld (Feldevaluationen) im klinischen oder ressourcenbegrenztenUmfeld ist whrend des letzten Jahrzehnts exponentiell gestiegen. Ver-çffentlichungen zu Testsystemen selbst sind 60-mal hufiger als Verçf-fentlichungen zur Evaluation der Testsysteme im Feld. Die Anzahl derPublikationen basiert auf einer Suche im Web of Science (Thomson-Reuter) mit den Suchbegriffen („point-of-care“ AND (diagnostic ORtest)) fír „Publications on POC Devices“ sowie den Suchbegriffen((„point-of-care“ AND (diagnostic OR test)) AND („field trial“ OR„field evaluation“ OR „clinical evaluation“)) fír „Publications on FieldEvaluations“.

    Patientennahe DiagnostikAngewandte

    Chemie

    5933Angew. Chem. 2015, 127, 5932 – 5951 Ó 2015 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

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  • liche) Ressourcen. In einem ersten von vielen Schritten mussein POC-Test vom Labor in die Feldstudie îberfîhrt werden.

    An Universitten hçrt man zuweilen, dass sich akademi-sche Wissenschaftler besser nur mit dem Entdecken neuerMethoden und dem Ermçglichen neuer Technologien be-schftigen, aber die eigentliche Umsetzung in die Praxis, in-klusive Feldstudien, Firmen îberlassen sollten. Dies funk-tioniert (wenn auch nicht perfekt), wenn potenzielle Gewinnegroß und Risiken klein sind. Unter diesen Umstnden werdenMarktkrfte Firmen manchmal dazu bringen, in die kom-plette Entwicklung von Technologien im Frîhstadium zu in-vestieren. Technologien, die das untere Ende der Pyramideanvisieren,[6] passen jedoch nicht in dieses çkonomischeModell, da sie oft nur einen begrenzten finanziellen Anreizund zugleich ein hohes Risiko des Scheiterns bei der beab-sichtigten Anwendung (oft aus Grînden, die wenig mit denTechnologien selbst zu tun haben) mit sich bringen.

    Wenn Wissenschaftler und Ingenieure ihre eigenen erstenFeldevaluationen durchfîhren, kçnnen sie ihre Technologienverbessern, die Kosten fîr die zukînftige Entwicklung ver-ringern und zum Ttigen der fîr eine Realisierung nçtigen,zustzlichen Investitionen motivieren. Dieser bergang istanspruchsvoll, da er Fhigkeiten und Erfahrungen bençtigt,die – anders als z. B. im Gesundheitswesen – in chemischen,biologischen und bioingenieurwissenschaftlichen Fakultten,wo viele der Forschungen im Bereich der POC-Diagnostikdurchgefîhrt wurden, selten anzutreffen sind.

    Publikationen zu Feldstudien und der klinischen Evalua-tion von POC-Testsystemen verdeutlichen die Schwierigkei-ten, die ein Transfer vom Labortisch zum Feldversuch mit sichbringt. Jedes Jahr wird pro sechzig Publikationen zu Testsys-temen fîr die POC-Diagnostik (weltweit) nur eine Arbeit zuFeldtests oder zur klinischen Evaluation von POC-Testsys-temen verçffentlicht. Dieses Verhltnis ist in den letztenbeiden Jahrzehnten relativ konstant geblieben (Abbildung 1).Wir wollen hier von unseren Erfahrungen mit zwei repr-sentativen Technologien berichten, in der Hoffnung, diesesVerhltnis zu verringern, indem wir die – zwar weniger wis-senschaftlichen, dafîr aber umso interessanteren und an-spruchsvolleren – (verfahrens)technischen Aufgaben schil-dern, die es zu îberwinden gilt, um von Publikationenschließlich zu einem im Feld getesteten Prototypen zu ge-langen.

    Hier beschreiben wir einen allgemeinen Leitfaden fîr dieEntwicklung von POC-Diagnostik und illustrieren ihnanhand zweier Fallstudien. In den letzten sieben Jahren haben

    wir zwei Technologien vom Labortisch ins Feld îberfîhrt:1) Wir nutzten papierbasierte Mikrofluidik[7] fîr einen Le-berfunktionstest[8, 9] und evaluierten das Testsystem in einerFeldstudie in einem Krankenhaus in Vietnam.[10] 2) Wir ent-wickelten sich selbst bildende, stufenfçrmige Dichtegradien-ten[11] fîr einen Test auf Sichelzellanmie[12] und evaluiertendiesen Test in einer klinischen Umgebung in Sambia.[13] (Inbeiden Fllen haben wir noch keine behçrdliche Zulassungerhalten oder ein fertiges Produkt entwickelt.) Im einen Fallwurden die Entwicklung und Feldtests im Rahmen einerengen Partnerschaft mit einer gemeinnîtzigen Firma durch-gefîhrt, im anderen leitete unser Labor die Studien. Wirhoffen, dass Forscher, die an der Herstellung von POC-Test-systemen interessiert sind, von unseren Erkenntnissen profi-tieren und einige der Hîrden erkennen werden, die mit derEntwicklung und mit Feldtests neuer, praxistauglicher Tech-nologien verbunden sind.

    1.1. Was ist eine Feldstudie?

    Ein Wissenschaftler, der eine neue Methode entwickelthat, um eine Krankheit mit einem einfachen, tragbarenTestsystem zu diagnostizieren, mag glauben, die beste Art fîreinen Feldtest des Testsystems sei es, zu lndlichen Klinken inLndern mit niedrigem und mittlerem Durchschnittsein-kommen (NMELs) zu reisen und anzufangen, das Testsystembei Patienten einzusetzen. Wenn das Testsystem fîr den POCentworfen wurde, sollte der POC nicht der beste Ort fîr einePrîfung des Testsystems sein? Die Leistungsprîfung desTestsystems am POC ist essenziell, aber nicht notwendiger-weise die erste Arbeit, die im Feld durchgefîhrt werdensollte.

    „Feldstudie“ und allgemeiner „Feldforschung“ beziehensich auf ein breites Spektrum von Aktivitten (Abbildung 2).Feldforschung kann in vier Stufen unterteilt werden:1) Bedarf: ein Problem identifizieren und seinen Kontext

    verstehen2) Evaluation: den Prototypen eines Testsystems im Feld

    testen, um Probleme zu identifizieren3) Validierung: die klinische Leistungsfhigkeit in einer

    Feldsituation demonstrieren4) Wirksamkeit: testen, ob die Verwendung des Testsystems

    einen Einfluss auf die Gesundheit hat

    Die beiden hier diskutierten Flle befanden sich zwischenStufe 2 und 3, als sie im Feld evaluiert wurden. In beidenFllen begann die Feldforschung jedoch bereits viel frîherund schloss die Beurteilung des Bedarfs und die Bewertungvon Designs mit mçglichen Endnutzern ein.

    2. Ein Leitfaden fír die Entwicklung

    2.1. Definieren eines Problems

    Eine erfolgreiche Technologie muss ein echtes Problemlçsen. Damit eine Diagnosemethode eine Wirkung auf dieglobale Gesundheit zeigt, sollte das Problem, zu dessen

    George M. Whitesides studierte an der Har-vard University (BA 1960) und promovierte1964 am California Institute of Technology(bei J. D. Roberts). Er begann seine unab-hngige Karriere am MIT und ist heuteWoodford L. and Ann A. Flowers UniversityProfessor an der Harvard University. Seinederzeitigen Forschungsinteressen umfassen:physikalische und organische Chemie, Mate-rialwissenschaften, Biophysik, Wasser, Selbst-organisation, Komplexitt und Simplizitt,Ursprung des Lebens, dissipative Systeme,preiswerte Diagnostik und Robotik.

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  • Lçsung das Testsystem gedacht ist, nach unserer Erfahrungund laut bersichtsartikeln zur POC-Diagnostik[1,3, 14, 15] imAllgemeinen vier Eigenschaften aufweisen:1) Eine bedeutende Zahl von Menschen sollte von der

    Krankheit betroffen sein, damit das Forschungsprogrammeine angemessene Aufmerksamkeit von Geldgebern,Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Regierungenauf sich zieht. Dies bedeutet, die Krankheit sollte letztlichso wichtig sein, dass eine Organisation, die sich ihrer Be-handlung widmet, bereit ist, sich an der Entwicklung einerLçsung zu beteiligen (und dafîr zu zahlen).[16]

    2) Die diagnostischen Testsysteme sollten nutzbare Infor-mationen liefern, die das Wohlbefinden des Patientenverbessern.

    3) Einfache Maßnahmen zur Behandlung des Patientensollten bereits vorhanden sein oder – bei nicht behandel-baren Krankheiten (z. B. Denguefieber oder, îber diesymptomatische Behandlung hinaus, Ebola) – Interventi-onsmçglichkeiten zum Schutz und zur Verbesserung derçffentlichen Gesundheit aufzeigen, sobald eine Diagnosegestellt wurde.

    4) Vorhandene Lçsungen fîr das Problem sollten unzulng-lich oder unbezahlbar sein.

    Das letzte Kriterium ist besonders wichtig, wenn das Zielletztlich darin besteht, ein nîtzliches Produkt zu entwickeln.Die Analyse des Markts auf vorhandene Lçsungen bietetHinweise auf das Leistungsniveau, das es zu îbertreffen gilt,um einen wesentlichen Unterschied zu machen.

    Um Bedarfslagen und wesentliche Probleme im Bereichder globalen Gesundheit zu identifizieren, bieten Berichte

    der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dieneueste Liste der Grand Challenges der Bill andMelinda Gates Foundation (BMGF) nur einen Aus-gangspunkt. Beide Organisationen fîhren umfang-reiche Nachforschungen vor Ort durch, allerdingsvernachlssigen ihre Listen die Details – und beiPOC-Anwendungen steckt der Teufel im Detail.

    Um die durch Technologie lçsbaren Probleme ineinem Umfeld mit begrenzten Ressourcen besser zuverstehen, ist Erfahrung vor Ort notwendig – sei es inlndlichen Gebieten in Afrika, stdtischen Slums inIndien oder bei einer Militreinheit an der Front. Sinddiese Erfahrungen nicht direkt in einem Universi-ttslabor vorhanden, ist es von unschtzbarem Wert,Partner zu finden, die diese Probleme verstehen undsie im Kontext technischer Herausforderungen er-klren kçnnen.

    2.2. Aufbauen eines Teams

    Die Bildung eines interdisziplinren, globalenTeams erfordert kaum mehr als die Suche nach mçg-lichen Partnern, das Teilen von Ideen und die Wert-schtzung dessen, was jedes Mitglied in die Diskussioneinbringt. Fîr Wissenschaftler und Ingenieure anHochschulen bietet die Teilnahme an medizinischenSymposien oder der E-Mail-Austausch mit ørzten

    und Forschern an lokalen Krankenhusern oder nahe gele-genen Schulen fîr çffentliche Gesundheit einen einfachenWeg, Partner zu finden.

    Oft kann man internationale Kooperationen initiieren,ohne in ein Flugzeug steigen zu mîssen. In den USA undEuropa haben viele Krankenhuser und medizinische Fa-kultten ørzte, die in NMELs gearbeitet haben. Viele dieserørzte arbeiten mit NGOs zusammen, die eine Ressource fîrdie Durchfîhrung von Studien sein kçnnen. In Entwick-lungslndern kçnnen Gesundheitsministerien und lokaleNGOs wertvolle Partner sein.

    Gegenseitiges Vertrauen und Verstndnis sind wichtigeAspekte jeder Partnerschaft, besonders aber bei internatio-nalen Kooperationen. Online-Gemeinschaften und Foren wieGlobal Health Delivery Online (http://www.ghdonline.org)und Engineering for Change (http://www.Engineeringforchange.org) erleichtern das Kennenlernenpotenzieller Partner, aber eine gute, funktionierende Part-nerschaft baut man am besten persçnlich auf. Es gibt jedesJahr eine Vielzahl von internationalen Konferenzen undWorkshops zur POC-Diagnostik. Universitten bieten auchKurse an, die Studenten und Professoren ins Ausland fîhren,um mit verschiedenen Organisationen Feldstudien zu be-treiben. Von diesen Mçglichkeiten Gebrauch zu machen,kann zu Partnerschaften und neuen Forschungsprogrammenfîhren. Sich mit Organisationen, die Erfahrung in der Feld-forschung haben, zusammenzutun, ist eine andere Mçglich-keit. Tabelle 1 listet mehrere Organisationen und Ressourcenfîr die Etablierung von Partnerschaften auf.

    Abbildung 2. Das Spektrum der Feldforschung reicht íber vier Stufen. Ausge-hend von einer ersten Beurteilung des Bedarfs erfordern die weiteren Aktivittenund Meilensteine, die ein Testsystem durchlaufen muss, immer lngere Zeitund ansteigende Ressourcen. Feldstudien einer POC-Diagnosemethode fírNMELs kçnnen sich auf das Testen in NMELs irgendwo oberhalb von Stufe 2beziehen. Feldstudien fír den papierbasierten Leberfunktionstest (LFT) und derTest auf Sichelzellanmie (Sickle Cell Disease, SCD) mithilfe wssriger, mehr-phasiger Systeme (SCD-AMPS) wurden zwischen Stufe 2 und 3 durchgefíhrt.

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  • 2.3. berlegungen zum Design eines diagnostischen Testsystems

    Ein wohldefiniertes Problem hat spezifische Randbedin-gungen, die von seinen Lçsungen eingehalten werdenmîssen. Die ASSURED-Kriterien (affordable, sensitive,specific, user-friendly, robust, equipment-free, delivered), dievon der WHO entwickelt wurden,[17] bieten einen grobenLeitfaden und eine Check-Liste fîr das Design von POC-Testsystemen, sollten aber im speziellen Kontext, in dessenRahmen sie entwickelt wurden, verstanden werden: Kriterienfîr Schnelltests von sexuell îbertragbaren Infektionen ineiner Welt vor den mittlerweile allgegenwrtigen Mobiltele-fonen, in der zudem weniger Elektrizitt zur Verfîgung stand,als sie (an vielen Orten) heute verfîgbar ist. Diese Kriteriensind wichtig, aber sie sind Richtlinien und kein Ersatz fîrAbwgungen und Anforderungen, die fîr jede Krankheitspezifisch sind.[1] Manche Probleme erfordern quantitativeMessungen, andere nur Ja/Nein-Antworten. In manchenFllen kçnnen die ASSURED-Kriterien zu sehr einschrn-ken; z.B. gilt „equipment-free“ in ASSURED unter Um-stnden nicht fîr Testsysteme zur Verwendung in einem Be-zirkskrankenhaus, das kleine Gertschaften betreiben kann.øhnlich kann ein Mobiltelefon als Ausrîstungsgegenstandgelten, aber heute sind einfache Mobiltelefone weit verbrei-tet, sogar in vielen abgelegenen Dçrfern. (FortgeschrittenereMobiltelefone, wie sie heute oft zur Verwendung in ressour-cenbeschrnkten POC-Anwendungen vorgeschlagen werden,sind oft nicht verfîgbar.)[18]

    Entwickler von POC-Technologien kçnnen die Standortebesuchen, an denen ihre Testsysteme genutzt werden sollen,oder sie kçnnen im Rahmen internationaler Kooperationenmit Personen aus dem klinischen Bereich zusammenarbeiten,

    um mehr îber den genauen Kontext ihres diagnostischenZiels zu erfahren.[19, 20] Die Entwicklung eines Testsystemsunter Berîcksichtigung des spezifischen Kontexts und derexakten Problemstellung vermeidet unnçtige Einschrnkun-gen, whrend zugleich Limitierungen, die entscheidend fîrden Erfolg einer Feldevaluation sind, Rechnung getragenwird. Zum Beispiel werden die mçgliche Zeitspanne fîr eineUntersuchung und die Frage, ob Tests individuell oder inGruppen durchgefîhrt werden, vom tglichen Arbeitsablaufdes Endnutzers abhngen. Wichtig ist außerdem zu verstehen,wie Endnutzer îblicherweise ihre Medizinprodukte beziehen,wohin Patienten fîr Tests verwiesen werden, die nicht amPOC verfîgbar sind, wie Behandlungsunterlagen aufbewahrtwerden, welche Infrastruktur vorhanden ist (z. B. Telekom-munikation, Wasser, Elektrizitt) und wieviel Zeit dasKrankenhauspersonal jedem Patienten widmet.

    Außer dem Kontext, in dem ein Testsystem eingesetztwird, ist auch wichtig, bereits frîh das patentrechtlicheUmfeld einer POC-Diagnosemethode zu bedenken. Mit derLiteratursuche sollte bei der Forschung zur Entwicklungpraktischer Technologien auch eine Beurteilung der Freiheit,eine Idee zu entwickeln und zu kommerzialisieren, ohnedabei das geistige Eigentum anderer zu verletzen, einherge-hen. Wenn man an Technologien fîr NMELs arbeitet, mageine solche Handlungsfreiheit weniger klar als in den USAoder in Europa definiert sein. Trotzdem haben wir fîr beidediskutierten Anwendungen Patente angemeldet, 1) um dasFinden kommerzieller Partner fîr die Entwicklung von Pro-dukten fîr nichtkompetitive, entwickelte Mrkte zu erleich-tern,[21] 2) um eine defensive Strategie zur Erhaltung unsererHandlungsfreiheit verfîgbar zu haben[22, 23] und 3) um einWerkzeug zur Kreuzlizenzierung zu erhalten, das unseren

    Tabelle 1: Auflistung mçglicher Partnerorganisationen mit globaler Ausrichtung.

    Organisation Typ Sitz beteiligteLnder

    Erfahrung inder Dia-gnostik-entwicklung

    Bill and Melinda Gates Foundation (BMGF) NGO Seattle, WA, USA >100 jaCenter for Emerging & Neglected Diseases (CEND) Universittszentrum Berkeley, CA, USA weltweit jaCenter for Integration of Medical Innovation and Technology(CIMIT) & Center for Global Health (CGH)

    Konsortium Boston, MA, USA >20 ja

    Clinton Health Access Initiative (CHAI) Stiftung Boston, MA, USA >25 jaD-Lab (MIT) Universittszentrum Cambridge, MA, USA >20 jaEngineers for a Sustainable World (ESW) Netzwerk Pittsburgh, PA, USA >9Engineers Without Borders (EWB) Netzwerk Denver, CO, USA >47Foundation for Innovative New Diagnostics (FIND) NGO Genf, Schweiz >60 jaGlobal Scientific Solutions for Health, Inc. (GSSHealth) Berater MD, USA >15 (Afrika und Asien) jaJohn Snowe Inc. Berater Boston, MA, USA >75 jaM¦decins Sans FrontiÀres (MSF) NGO Genf, Schweiz weltweitNational Center for the Advancement of Translational Sci-ence (NCATS-NIH)

    Regierungsinstitut Bethesda, MD, USA weltweit ja

    National School of Tropical Medicine (Baylor) Universittszentrum Waco, TX, USA >7Partners in Health (PIH) NGO Boston, MA, USA >12Program for Appropriate Technologies in Health (PATH) NGO Seattle, WA, USA >70 jaSandra Rotman Centre (University of Toronto) Universittszentrum Toronto, ON, Canada weltweit jaStanford Biodesign & Center for Innovation in Global Health(Stanford)

    Universittszentrum Stanford, CA, USA weltweit ja

    U.S. Agency for International Development (USAID) Regierungsagentur Washington, DC, USA >100 ja

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  • Zugang zum geistigen Eigentum Dritter vereinfacht.[22] Da esteuer ist, geistiges Eigentum zu erwerben und zu behalten,und da es wegen der Art von Technologie, die wir entwickelnmçchten, in der Tat ein gutes Resultat wre, dass sie kopiertwird und von dritten Parteien in den NMELs entwickelt wird,ist die jeweils beste Patentstrategie nicht immer genau defi-niert.

    2.4. Finanzierung

    Die Finanzierung von Feldstudien ist eine Herausforde-rung: Diese Aktivitten fallen in die Wîstenlandschaft zwi-schen traditioneller, akademischer Forschung und kommer-zieller Entwicklung. Ein erster Schritt ist, die Kosten zu ver-stehen. Je nach Grçße und Umfang der Feldevaluationkçnnen die Kosten von 15000 $ (z. B. ein einwçchiges Pro-gramm in einer lndlichen Umgebung, um Rîckmeldungenvon Endnutzern zu erhalten) bis îber 100 000 $ (z.B. einesechsmonatige klinische Bewertung der Leistungsfhigkeit anmehreren hundert Testpersonen) reichen. Eine ehrliche undoffene Beziehung mit den internationalen Partnern ist not-wendig, um Kosten fîr Personal, Ausrîstung und lokaleTransporte genau abschtzen zu kçnnen. Das Team kanndann den Feldtest in Antrge auf Finanzierung durch Fçr-derorganisationen, wie die NIH (USA) und die EuropischeKommission, oder Stiftungen, wie die BMGF oder TheWellcome Trust, mit einbeziehen.

    Viele Einrichtungen und gemeinnîtzige Organisationenbieten „Beschleunigungs-“ oder „Umsetzungsfçrderungen“,die eine Technologie in einer Art positionieren sollen, die eseinfacher macht, finanzielle Fçrderung durch Firmen undRisikokapitalgeber zu erhalten. Auch Design- oder Innova-tionswettbewerbe kçnnen zu Geld, zu fruchtbarem Austauschmit anderen Forschern auf dem Gebiet sowie zu geeignetenMechanismen fîr den Teamaufbau fîhren.

    Finanzielle Fçrderung kann auch durch NMELs gewhrtwerden, die an Technologien zum Wohl ihrer Bîrger inter-essiert sind. Selbst wenn kein Geld verfîgbar ist, kçnnenSachleistungen – wie der Zugang zu klinischen Labors oderdie Unterbringung in Wohnheimen – die von externenQuellen bençtigten Geldmittel reduzieren. Spenden kçnnendie Kosten von Feldevaluationen weiter verringern; Firmen,die Labor- und Medizinprodukte herstellen, sind manchmalbereit, Hilfsmaterial zu spenden, wenn dies einen mçglichenNutzen fîr die Bevçlkerung bringt.

    2.5. Wann ist ein Testsystem bereit fír die Feldforschung?

    Idealerweise mçchte man ein Testsystem whrend desgesamten Spektrums von Entwicklung und Feldtests frîh undoft im Feld prîfen (Abbildung 2),[24] die zeitlichen und fi-nanziellen Beschrnkungen erfordern jedoch einen vernînf-tigeren Einsatz von Ressourcen. Viel Vorarbeit kann imLabor oder mit Krankenhusern in entwickelten Lnderngeleistet werden. Der Entwicklungsstand, den ein Testsystemvor dem Feldtest erreichen muss, hngt von der jeweiligenProblemstellung und den Zielen der Feldforschung ab. Wie

    kann man beurteilen, ob sich ein Testsystem in einer Phaseder Entwicklung befindet, die von einer Feldevaluation pro-fitieren wîrde?

    Die Feldevaluation eines Prototyps (zwischen Stufe 2 und3) kann die entscheidenden Schwchen des Testsystemsschnell aufdecken. Der Einfluss von Umweltbedingungen(z. B. Temperatur und Luftfeuchtigkeit), Variationen beibiologischen Proben (z.B. Testen von authentischen Probenanstelle von Surrogaten) und Probleme bei der Verwendungoder Interpretation sind alles wesentliche Punkte, die iden-tifiziert werden kçnnen. Diese Art von Studien kann kurz(weniger als ein Monat) sein und bençtigt eine kleinere Zahl(n 30) von Testpersonen als eine hçherstufige Feldstudie, dabei ersterer Studienform das Ziel darin besteht, kritischeProbleme des Testsystems und nicht subtile Einflîsse zuidentifizieren.

    Auch wenn man ein Scheitern bis zu einem gewissen Graderwarten mag, ist doch ein hohes Maß an Vertrauen in dasTestsystem notwendig, um sich fîr eine Feldevaluation zuentscheiden. Ein Machbarkeitsnachweis – die Demonstrati-on, dass das Testsystem in einer Laborumgebung unter Ver-wendung von klinisch relevanten Proben oder von Surrogaten(z. B. Antigen-versetztes Serum) funktioniert – vermittelt eingewisses Maß an Vertrauen, dass das Testsystem, eine richtigeUmgebung und geeignete Bedingungen vorausgesetzt, funk-tionieren sollte. Obwohl eine erste Validierung anhand von 30oder mehr Proben erstrebenswert ist, um eine statistischeAussagekraft zu gewhrleisten,[25] kann eine kleinere Pro-benzahl je nach der Grçße des zu messenden Effekts und derbençtigten Empfindlichkeit immer noch Vertrauen in einResultat geben. Als Minimum sollte man jedoch nicht weni-ger als sieben unabhngige Proben verwenden.[25]

    Es ist wichtig sicherzugehen, dass Experimente mit Sur-rogatproben unabhngig und nicht einfach Replikatesind;[26, 27] z. B. wîrde das Versetzen von Aliquots von Plasmaderselben Probe mit verschiedenen Mengen an Antigenennicht die gleiche Hintergrundvariation bieten wie das Zuset-zen von Antigenen zu Plasma aus verschiedenen Proben.Beim Einsatz von Surrogatproben ist es wichtig zu verstehen,welche Einschrnkungen das Surrogat fîr den Test, den dasTestsystem durchfîhrt, mit sich bringt. Eine Probe, die fîreine Feldprobe reprsentativ ist, bietet den besten Prîfsteinfîr das Testsystem. Ein allein auf Grundlage von Blut auseiner Venenpunktion entwickeltes und geprîftes Testsystemkann sich bei frischem Blut aus einem Fingereinstich andersverhalten. (Der Erhalt einer reproduzierbaren, qualitativhochwertigen Probe aus einem Fingereinstich bençtigt Sorg-falt und die richtige Technik, um eine Hmolyse oder denEinschluss großer Volumina von Gewebsflîssigkeit zu ver-meiden.[28])

    Das Prîfen des Testsystems mit Nutzern, die nicht anseiner Entwicklung beteiligt waren, kann wichtige Informa-tionen îber das Design und die Bedienbarkeit des Testsys-tems liefern. Ein solcher Nutzer gibt nicht nur Rîckmeldun-gen îber die Nutzerfreundlichkeit des Tests, auch bietet einTest durch einen unbedarften Nutzer eine realistischere N-herung an das wirkliche Leistungsvermçgen als ein entspre-chender Test durch die Entwickler. Bei unseren beidenTestsystemen wurden die meisten Tests vor der Feldforschung

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  • unter Beteiligung durch die Entwickler durchgefîhrt. Wrenunbeteiligte Nutzer in die Labortests einbezogen worden,htten wir eventuell die Zeit fîr Pilotstudien reduzieren oderVerbesserungsmçglichkeiten identifizieren kçnnen, bevor dieTestsysteme im Feld evaluiert wurden.

    Testsysteme, die fîr eine binre Ausgabe – d.h. „positiv“oder „negativ“ – entworfen wurden, mîssen empfindlich (inder Lage, positive Treffer zu detektieren) und spezifisch (inder Lage, eine Einstufung negativer als positive Treffer zuvermeiden) sein. Wird ein Grenzwert genutzt, um zu defi-nieren, ob eine Messung als positiv oder negativ einzustufenist, bietet eine Grenzwert-Optimierungskurve ein visuellesHilfsmittel, um das Leistungsvermçgen des Tests zu ermit-teln.[29] Wenn das Testsystem eine quantitative Detektionbietet, kann der Vergleich mit Messungen eines diagnosti-schen Standardtests mithilfe eines Bland-Altman-Diagrammsmçgliche systematische Abweichungen bei der Messungaufdecken.[30]

    Vertraut man erst einmal darauf, dass ein Testsystem inbiologischer und technischer Hinsicht prinzipiell funktionie-ren kann, sollte man die weitere Entwicklungsarbeit auf dieVerringerung von Stçrfaktoren konzentrieren. Bei der Vor-bereitung von Feldevaluationen muss man Qualittskontrol-len entwickeln sowie geeignete Verpackungen, Lagerungs-bedingungen und Versandmethoden identifizieren. Indemman Testsysteme verpackt und sie anschließend in einemOfen oder bei hoher Luftfeuchtigkeit lagert, hat man einenschnellen Test fîr die Stabilitt unter extremen Lagerungs-bedingungen zur Hand. Wenn man mehrere Testsystemeverpackt und sie von einem Kurier mit Rîcksendeserviceverschickt, setzt man sie unterschiedlichen Versandbedin-gungen aus. Der Grad, zu dem all diese Faktoren verstandenund berîcksichtigt werden, ist ausschlaggebend fîr das Maßan Vertrauen, dass ein Testsystem ineiner klinischen Studie die erwar-tete Leistung bringen wird.

    Die whrend dieser Phase vor-genommenen Feldevaluationen vorder Festlegung des endgîltigenDesigns bieten eine wichtige Gele-genheit, ein Testsystem anhand kli-nisch relevanter Proben zu testenund unerwartete Probleme aufzu-decken, bevor eine Feldstudie aufdem Niveau der dritten Stufe derFeldforschung (Abbildung 2), z. B.eine Studie fîr eine behçrdlicheGenehmigung, durchgefîhrt wird.Bei den Fallstudien in den Ab-schnitten 3 und 4 gab es unter-schiedlich umfangreiche Qualitts-kontrollen. Tabelle 2 gibt einenVorschlag fîr einen Zeitplan zurEntwicklung und Feldevaluation.

    Eine Feldstudie auf oder ober-halb der Stufe 3 erfordert großesVertrauen in die Funktionsfhigkeitdes Testsystems sowie ein festge-legtes Design (inklusive Verpa-

    ckungs- und Lagerungsbedingungen). Voraussetzung fîr ers-teres ist die Demonstration von diagnostischer Genauigkeitan einer großen Zahl klinisch relevanter Proben (n> 30) mitTestsystemen, die in verschiedenen Chargen hergestelltwurden. Mehrere Nutzer sollten Tests sowohl durchfîhren alsauch interpretieren. Die Absicht einer Feldstudie auf Stufe 3ist nicht die Fehlersuche, sondern die Demonstration derValiditt des POC-Tests (oft mit dem Zweck, eine behçrdli-che Genehmigung zu erhalten). Eine Feldstudie oberhalb vonStufe 4 setzt voraus, dass ein Testsystem eine Stufe-3-Feld-studie bestanden hat und praktisch ein fertiges Produkt ist.Auf Stufe 4 ist das Ziel der Feldforschung der Nachweis, dassdie Nutzung des Testsystems am POC signifikante Vorteilebietet. Fîr Stufe 3 und darîber ist Unterstîtzung durch eineFirma oft entscheidend, damit zustzlich zur Validierung undWirksamkeitsprîfung auch Produktionsstandards berîck-sichtigt werden und der Produktionsmaßstab vergrçßertwerden kann.

    2.6. Ethische Abwgungen

    Forschung unter Beteiligung menschlicher Testpersonenbençtigt normalerweise die Genehmigung einer Ethikkom-mission (Institutional Review Board, IRB). IRBs sind Ko-mitees, die an Universitten und Kliniken îblich sind; siebegutachten alle Forschungsantrge, die menschliche Test-personen beinhalten, um zu garantieren, dass Studien nachethischen Maßstben gestaltet werden und Teilnehmer ord-nungsgemß informiert und geschîtzt werden. (Eine wichti-ge, fîr die Diagnostik relevante Ausnahme ist die Verwen-dung existierender Proben, die entweder frei verfîgbar sindoder so beschafft werden, dass die Testpersonen nicht iden-

    Tabelle 2: Reprsentativer Zeitplan fír die berfíhrung eines Testsystems vom Labor zu einer Feld-evaluation.

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  • tifizierbar sind.) Auf jeden Fall sollten Forscher, die an einerFeldevaluation beteiligt sind, ein Training zur Arbeit mitmenschlichen Testpersonen absolvieren. Der IRB-Prîfungs-prozess ist, obwohl oft mîhsam, wesentlich, um die Studien-teilnehmer vor physikalischem oder emotionalem Schaden zubewahren. In der Tat kçnnen IRBs wertvolle Orientierungs-hilfen bieten, um eine ethisch angemessene und korrekteDatenerfassung sicherzustellen. Oft sind diese Komiteessachkundig bei behçrdlichen Anforderungen und kçnnendabei helfen, die Studie fîr eine behçrdliche Genehmigunggeeignet zu konzipieren. Genehmigt werden mîssen imAusland durchgefîhrte Feldstudien generell von einem IRBim Land der Studie (wofîr es notwendig sein kann, mit demdortigen Gesundheitsministerium zusammenzuarbeiten) undvon einem IRB im Land, in dem das Forschungsprojekt in-itiiert wurde. Jedes IRB kann unterschiedliche Anforderun-gen und Standards haben, und es kann mehrere Monatedauern, diese in Einklang zu bringen.

    2.7. Studiendesign

    Sobald ein Prototyp bereit fîr den Feldtest ist oder sichoberhalb von Stufe 2 (Evaluation) befindet, tritt das Designder Studie in eine entscheidende Phase. Jetzt muss man klareZiele der Studie ausgeben. Das gesamte Team sollte wissen,welche Stufe der Feldforschung erwartet wird, weil sich Zieleund Anforderungen, wie erwhnt, von Stufe zu Stufe erheb-lich unterscheiden. Whrend des Designprozesses sollte einbereinkommen zwischen der Forschungseinrichtung unddem Ort der Feldforschung getroffen werden. Dieses ber-einkommen kann die Form eines Untervertrags oder einerAbsichtserklrung haben. Klare Erwartungen an die zu leis-tenden Arbeiten, inklusive einer przisen Festlegung von fi-nanziellen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten, solltenfestgehalten werden.

    Whrend einer Feldevaluation kçnnte man das Testsys-tem in eine lndliche Klinik bringen, um Rîckmeldungenîber die Betriebseigenschaften und das Design des Testsys-tems sowie îber die Interpretation des Tests zu erhalten.Derlei Feldforschung fllt in Stufe 1 und bringt verschiedeneAnforderungen an die Partner in NMELs und an den Aufbauder Studie mit sich. Eine Feldevaluation und eine Bewertungder Verwendbarkeit am POC kçnnen gleichzeitig durchge-fîhrt werden, aber beide bençtigen ein einen eigenen Satzvon Zielvorgaben. In manchen Fllen kçnnen beide ge-trennte IRB-Genehmigungen bençtigen.

    Feldevaluationen jenseits von Stufe 2 und vor dem ab-schließenden Test der Leistungsfhigkeit (Stufe 4) schließennormalerweise das berprîfen der Testsystemleistung anklinisch relevanten Proben ein. Das Einschtzen der Leistungerfordert den Vergleich von Messungen durch das Testsystemmit einem „Goldstandard“ (z. B. einem breit akzeptiertenklinischen Standardtest). Oft sind diese Tests am POC nichtverfîgbar. Die Notwendigkeit eines Vergleichs der Ergeb-nisse mit einem Goldstandard kann bedeuten, dass ersteStudien in einem regionalen Krankenhaus im Land der Studieausgefîhrt werden mîssen, wo die notwendige Ausrîstungfîr den Standardtest verfîgbar ist, und nicht einer lndlichen

    Klinik. Wenn man die Leistungsfhigkeit eines Testsystemscharakterisieren mçchte, ist es essenziell, mit bewhrtenVerfahren[31,32] und fundierten Statistiken zu arbeiten[33] (z. B.Sicherstellen einer ausreichenden Anzahl von Proben fîr einestatistische Aussagekraft,[34] richtiges Verblinden vonProben[31] sowie wohldefinierte Einschluss- und Ausschluss-kriterien[31]).

    Die Rekrutierung und das Training von Personal fîr dieDurchfîhrung der Studie kçnnen Wochen oder gar Monatedauern. Zeit in die Suche nach qualifiziertem und engagier-tem Personal zu investieren, wird eine Studie letztlich wi-derstandsfhiger gegen unerwartete ußere Einflîssemachen. Das Training bençtigt klare Anweisungen zu Re-krutierung, Arbeitsschritten, Probensammlung und -vertei-lung, Durchfîhrung des POC-Tests, Durchfîhrung des Stan-dardtests und Aufzeichnung der Ergebnisse. Manchmalkçnnen Organisationen wie die in Tabelle 1 vorgestelltenhelfen, diesen Prozess zu beschleunigen. Zustzlich zur Zeitfîr das Training sollte auch Zeit fîr eine Pilotstudie vorge-sehen werden, bevor die Hauptstudie beginnt. Eine Pilot-phase ermçglicht es, logistische Probleme zu erkennen und zubeseitigen, ohne die Qualitt der Daten aus der Studie zubeeintrchtigen.

    Instrumente, die zur Sammlung von Daten (z. B. Frage-bçgen und Laborprotokolle) verwendet werden, sollten soviele Informationen wie mçglich enthalten, ohne hinderlichzu werden. Der Weg vom Labor und zum Feld fîhrt vieleVariablen ein; wenn diese ußeren Effekte nicht im Augebehalten werden, kann die Studie schwer interpretierbar sein.Ereignisse, die ein Testsystem beeinflussen kçnnen, treten abder Herstellung des Testsystems im Labor bis zum Zeitpunktseines Einsatzes auf, allerdings werden einige Faktoren nichtsofort offenbar. Zum Beispiel wird oft vergessen, einenTemperaturaufzeichner mit den Testsystemen zu versenden(siehe Abschnitte 3.7, 4.7 und 4.10).

    2.8. Kontext und Kultur

    Frîh in der Entwicklung eines Testsystems eine funktio-nierende Beziehung mit den Partnern im Ausland aufzubau-en, verringert das Risiko spterer Missverstndnisse whrendder Umsetzung einer Feldstudie oder Evaluation. Partnerhaben eventuell (vor allem im Klinikbereich) keine festge-legte Zeitspanne fîr die Forschung zur Verfîgung, und ihreArbeit kann sie davon abhalten, ausreichend Zeit in dieStudie zu investieren. In solchen Fllen kann es angebrachtsein, einen eigenen Studienkoordinator fîr das Projekt an-zustellen. Unterschiedliche Lnder haben unterschiedlichehierarchische Strukturen. Das Verstehen der lokalen Kulturkann gesellschaftlichen Fehltritten vorbeugen, die eine Studieuntergraben und eine Partnerschaft gefhrden kçnnen.

    2.9. Herausforderungen

    Angesichts all der Schwierigkeiten bei der Durchfîhrungeiner internationalen Kooperation sind unerwartete Heraus-forderungen unvermeidlich. Streiks, Naturkatastrophen und

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  • regionale Instabilitten sind nur einige wenige Beispiele fîrEreignisse, die ein Projekt bedrohen kçnnen. Das Projektmuss einen Zeitplan haben, aber auch flexibel sein. JedesHindernis, das ohne große Mîhe îberwunden werden kann,ist ein Zeichen dafîr, dass das Testsystem auf einem gutenWeg ist.

    3. Fallstudie 1: Leberfunktionstest

    3.1. Das Problem

    Dank Bemîhungen im Kampf gegen HIV haben NMELsheute Zugang zu antiretroviraler Therapie (ART). 2013 er-hielten mehr als 10 Millionen Menschen ART.[35] Ein vonMedikamenten induzierter Leberschaden (drug-induced liverinjury, DILI) ist eine bedeutende, mit ART einhergehendeNebenwirkung. Nevirapin-basierte ART – in der entwickel-ten Welt weit verbreitet – ist wegen Hepatoxizittsraten(einer Art Leberschaden) von > 13% von besonderemBelang.[36,37] Die berwachung der Leberfunktion bietet einwichtiges Hilfsmittel, um die ART zu kontrollieren;[37,38]

    Dosen und Behandlungen kçnnen angepasst werden, wennZeichen von Leberschden oder Hepatitis auftreten. Tests zurberwachung der Leberfunktion sind in Umgebungen mitgeringen Ressourcen, in denen viele HIV-Patienten behan-delt werden, jedoch oft nicht verfîgbar. Die Bestimmung desSpiegels von Serum-Transaminasen (Aspartat-Aminotrans-ferase, AST, und Alanin-Aminotransferase, ALT) bieteteinen Standard zur berwachung von DILI, erfordert nor-malerweise aber zentralisierte Labors und Venenpunktio-nen.[39]

    3.2. Der Test

    AST und ALT sind innerhalb der Leber in Hepatozytenkonzentriert und normalerweise im Serum nur in niedrigenKonzentrationen (5–40 EnzymeinheitenL¢1 fîr AST und 5–35 EnzymeinheitenL¢1 fîr ALT) vorhanden. Wenn eineVerletzung, ein Giftstoff oder eine Entzîndung die Hepato-zyten beschdigen, sondern diese grçßere Konzentrationenvon Transaminase ins Serum ab. Das Verhltnis von AST zuALT kann zur Bestimmung der Ursache eines Leberschadensdienen; durch Alkohol verursachte Leberschden fîhren z. B.oft zu einem AST/ALT-Verhltnis > 2:1.[39] Durch die Wahlvon Enzymen (in diesem Fall Transaminasen) als Indikatorenfîr Leberschden konnten wir, indem wir fîr jedes Enzym einspezifisches, zu einer Farbnderung fîhrendes Substrat be-reitstellten, einen kolorimetrischen Test entwickeln. DieChemie des Nachweises von AST und ALT beschreiben wirim Detail an anderer Stelle.[8, 9]

    3.3. Das Team

    Wir stellten ein Team auf, das Hochschule, Industrie undMedizin kombinierte. Ein Businessplan-Wettbewerb an derHarvard Business School brachte Wirtschaftsstudenten mit

    Wissenschaftlern der Whitesides-Gruppe zusammen. Diesehatte eine erste Idee fîr 3D-Papier-Mikrofluidik-Testsystemeformuliert, die den technischen Ausgangspunkt fîr die Ent-wicklung des Tests der Leberfunktion boten.[7, 9, 40–42]

    Diagnostics for All Inc. (DFA) wurde in Form einer ge-meinnîtzigen (501-c-3) Organisation gegrîndet, um papier-basierte Testsysteme – oder in der Tat jede Art von Testsys-tem, das fîr die gedachte Aufgabe geeignet ist – zur Dia-gnostik zu entwickeln. Akademische Gruppen sind hervor-ragend bei Grundlagenforschung und Innovation, ihnenfehlen aber normalerweise Ressourcen, Anreize, Motivationund Erfahrung fîr die detailorientierte Entwicklungsarbeit,die fîr Studien, behçrdliche Zulassung, Herstellung undQualittskontrolle eines Produkts notwendig ist. DFA bot einVehikel fîr entsprechende, hochqualitative Ingenieursarbeit.Die Entscheidung, DFA als gemeinnîtzige Firma zu grînden,entsprang der Idee, dass ein gewinnorientierter Rechtstrger,der Investoren Rechenschaft schuldig ist, die wiederum anfinanziellem Ertrag interessiert sind, gezwungen sein kçnnte,sich auf Probleme der entwickelten Welt zu fokussieren, an-statt die Technologie zur Lçsung von Problemen in Ent-wicklungslndern zu nutzen. Ob ein profitorientiertes oderein gemeinnîtziges Modell letztlich effektiver fîr POC-Dia-gnostik fîr ressourcenbeschrnkte Umgebungen ist, wird sichnoch erweisen. Die Entwicklung eines HIV-Tests durch eineGruppe um Sia (an der Columbia University) und Linder (beiClaros, jetzt OPKO) bietet ein Alternativbeispiel.[43] Chin,Liner und Sia verçffentlichten auch eine hilfreiche bersichtîber zahlreiche Firmen, die an der Kommerzialisierung vonPOC-Diagnostik arbeiten, und deren Finanzierungsstruk-tur.[4]

    Frîh identifizierte das Team den Bedarf fîr einen POC-Leberfunktionstest; Diskussionen mit ørzten an Kranken-husern der Bostoner Gegend sowie mit Experten aus demBereich der çffentlichen Gesundheit besttigten die Wich-tigkeit des Problems, vor allem in Lndern, in denen eingroßer Bevçlkerungsanteil wegen HIV behandelt wird.Nachdem zunchst sechs verschiedene Tests in Betracht ge-zogen worden waren, einigte sich das Team letztlich auf ALTund AST.

    DFA entwickelte einen robusten Test und integrierte dieProbenentnahme, -vorbereitung und -auswertung in ein ein-zelnes Testsystem. Dr. Nira Pollock am Beth Israel DeaconessMedical Center (BIDMC) bot medizinische Beratung undleitete die klinische Validierung in Boston. Sie identifizierteeinen Ort in Vietnam, um den Test unter Feldbedingungen zuevaluieren. Nach der ersten Validierung bat DFA BernhardWeigl, den Direktor des NIH-finanzierten Center for Point ofCare Testing beim Program for Affordable HealthcareTechnology (PATH) um Unterstîtzung bei der Durchfîhrungeiner Feldevaluation. (Wir erwhnen einige Personen na-mentlich, die besonders wichtig bei der Entwicklung des Testswaren, um die Zahl und die Vielfalt von Personen, Fhig-keiten und Beziehungen zu betonen, die notwendig sind, umeinen Feldtest erfolgreich zum Abschluss zu bringen.)

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  • 3.4. Entwurf einer Lçsung

    Fîr eine POC-berwachung von DILI entwickeltenwir einen kostengînstigen, schnellen Leberfunktionstest(LFT) auf Serum-Transaminase mithilfe papierbasierterMikrofluidik.[8, 9] Papier bietet einen billigen Trger fîrbiologische Tests. Muster im Papier ermçglichen einenFluss im Parallelbetrieb und kleine Testzonen; diese ver-ringern den Bedarf an großen Volumina teurer Reagen-tien. Papierbasierte Mikrofluidiktestsysteme sind viel-versprechend fîr POC-Tests, bei denen niedrige Kostenein Schlîsselkriterium sind. Tests, die hufig und mçgli-cherweise in großem Volumen durchgefîhrt werden (z. B.Tests zur berwachung der Leberfunktion), sind beson-ders kostenempfindlich.

    Das spezifische Problem der Leberfunktionsmessunggab Richtlinien fîr das Design des Tests vor. Die Stan-dardtests auf Serum-Transaminase ermçglichen zwar einequantitative Messung, allerdings werden diese Tests nor-malerweise in drei Klassen interpretiert. Ein Schnelltestmuss eine halbquantitative Ablesung bieten, die es er-laubt, die Ergebnisse auf die drei Klassen zu verteilen,aber weitere Genauigkeit ist nicht notwendig. Wir ent-wickelten deshalb einen kalorimetrischen Test mit einerAblesehilfe (einem Standardfarbbalken), die es Nutzernmçglich machen wîrde, mit beiden Tests eine halbquan-titative Messung durchzufîhren (Abbildung 3). Die Ver-gleichswerte fîr ALT und AST basieren auf Messungenim Blutserum. Um Serum (fîr den Test bençtigt) vomVollblut zu trennen, integrierten wir eine Plasmatrenn-membran in das Papiertestsystem.

    Das Testsystem wurde entworfen, so einfach wiemçglich bedienbar und mit dem Auge interpretierbar zusein. Es wurde mit Plastik laminiert, um die Testzonen imPapier vor der ußeren Umgebung zu schîtzen. Einkleines Loch in der Laminierung îber der Plasmatrenn-membran bot einen Zugang, um Blut direkt von einemFingereinstich aufzunehmen. Direkt in das Testsystemeingebaute Positiv- und Negativkontrollen boten eineAnzeige fîr die Validitt der Resultate (z. B. „Reagentienwirken“, „Blut wurde nicht lysiert“). Verbesserungen beiNutzerfreundlichkeit, Empfindlichkeit und Interpretationdes Tests flossen in mehrere Iterationen des Designs ein(Abbildung 4).

    3.5. Validierung und Vorbereitung fír die Feldevaluation

    Wir testeten die analytische, operative und klinischeLeistung der LFT-Testsysteme.[8, 9] Diese Studien umfasstendas Definieren der Nachweisgrenzen, Beurteilen der Wie-derholbarkeit, berprîfen von Kreuzreaktionen und Inter-ferenz, Optimieren der Testdauer, Entwerfen von Methodenzur Probenablesung, Vergleichen der Testleistung mit der vonGoldstandardmethoden sowie Testen der Umweltstabilittdes Testsystems. Ziel dieser Studien war es, das Testsystem zuvalidieren und den Zeitpunkt fîr Feldtests festzulegen.

    Whrend dieser Zeit reisten Mitglieder des Teams vonDFA ins Ausland zu Konferenzen und Treffen mit mçglichen

    Endnutzern. Eine Reise nach Indien 2010 ermçglichte einemDFA-Mitarbeiter, dortigen klinischen Laborangestellten dasdamalige Design des LFT (Abbildung 4, Iteration 2) vorzu-fîhren. Diese empfanden das Testsystem als zu klein undwiesen darauf hin, dass Deckenventilatoren in der heißenUmgebung mçglicherweise die Verdampfung beschleunigenund die Dynamik des Tests verndern konnten. Sptere Ite-rationen vergrçßerten das Testsystem und fîgten einen klei-nen weißen Streifen hinzu, um das Greifen des Testsystems zuvereinfachen (Abbildung 4, Iteration 3 und spter). Revi-

    Abbildung 3. Der Aufbau eines papierbasierten Leberfunktionstests bieteteinen halbquantitativen Test auf Serum-Transaminasen. A) Das briefmarken-große Testsystem nimmt eine Blutprobe auf der Auftragungsseite auf undbietet eine kolorimetrische Ablesung auf der Ableseseite. B) Der gesamteProzess der Durchfíhrung des Tests erfordert minimale Probenbearbeitung.C) Gíltige Resultate werden basierend auf der berschreitung der Ober-grenze fír die Normalwerte (upper limit of normal, ULN) unter Nutzungeiner Ablesehilfe interpretiert und in drei Klassen unterteilt.

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  • dierte Vorschriften zur Testdurchfîhrung schrieben dasPlatzieren des Testsystems unter ein Glas vor, um Verdamp-fung zu minimieren.

    Nach drei Jahren Entwicklung entschied das Team, eineFeldevaluation durchzufîhren, um qualitativ hochwertigeDaten fîr das Verfeinern des Testsystems zu sammeln. DieFeldevaluation wîrde auch dabei helfen, Designaspekte, diesich als vorteilhaft erwiesen hatten, zu fixieren; dieser Schrittwîrde zukînftige Studien fîr die behçrdliche Validierungermçglichen. Vor allem aber hofften wir, dass die Feldstudieuns zeigen wîrde, wie gut das Testsystem in einem Umfeldfunktioniert, in dem es eine Auswirkung auf die Gesund-heitsversorgung haben kçnnte.

    3.6. Finanzierung der Studie

    Erste Entwicklungsarbeiten wurden durch eine For-schungsbeihilfe der BMGF unterstîtzt. Diese Zuwendungermçglichte auch einige frîhe Reisen in Lnder, in deneneine große Zahl mit ART behandelter Patienten von einerDILI-berwachung profitieren kçnnte. Dr. Pollock wurdevon einem NIH K23 Grant unterstîtzt, um die klinische Va-lidierung in Boston durchzufîhren. Durch die Zusammenar-beit mit PATH waren wir in der Lage, die Feldevaluationdurch ihr NIH-finanziertes Center to Advance Point-of-CareDiagnostics for Global Health zu finanzieren

    3.7. Studienaufbau

    Um genîgend Daten zu erhalten, wollten wir mit600 Patienten in einem kontrollierten Feldversuchsrahmenarbeiten. In Zusammenarbeit mit dem BIDMC suchten wireinen internationalen Partner, der mit einer großen Zahl vonART-behandelten Patienten arbeitete und der von einemPOC-LFT profitieren wîrde. Auch musste bei dem Partnerdie Infrastruktur vorhanden sein, um Serum-Transaminase alsGoldstandard vergleichend mit unseren Tests zu messen. DasBIDMC hatte durch die Harvard AIDS Initiative in Vietnameine langjhrige Partnerschaft mit dortigen Krankenhusernaufgebaut. Dr. Pollock brachte uns in Kontakt mit Dr. DonnColby, der als Teil dieses Programms jahrelang in Vietnamgelebt und mit dortigen Krankenhusern zusammengearbei-tet hatte. Dr. Colby bot uns eine unerlssliche Verbindungzwischen dem medizinischen Team, das das Testsystem ent-wickelte, und den çrtlichen Einrichtungen in Vietnam. MitDr. Colbys Hilfe wurde das Hospital for Tropical Diseases(HTD) in Ho-Chi-Minh-Stadt als Ort fîr die Tests identifi-ziert.

    Die HIV-Klinik am HTD bot die richtige Kombinationvon ausreichender Patientenzahl und unterstîtzender Infra-struktur. Die von uns gewhlte Klinik hatte 3000 HIV-posi-tive Patienten pro Jahr, die mit ART behandelt wurden. Vondiesen befand sich ein signifikanter Anteil in Nevirapin-ba-sierter ART (die ein bekanntes DILI-Risiko aufweist) oder inGefahr einer Koinfektion mit Hepatitis B (HBV, 15 % Hu-figkeit) und/oder Hepatitis C (HCV, 25% Hufigkeit), diebeide Leberschden verursachen kçnnen und von einerberwachung der Leberfunktion profitieren wîrden. Auchfîhrte die Klinik eine Routineîberwachung von Transami-nase (einmal alle sechs Monate) bei der HIV-Behandlung vonPatienten durch. In der Konsequenz hatte die Klinik die F-higkeit, Standardtests durchzufîhren, konnte aber auch voneinem POC-LFT fîr hufigeres und kostengînstigeres Testenprofitieren.

    Bei der Studie wurde mit Patienten gearbeitet, die vonihren ørzten einen Termin fîr eine klinische Routineunter-suchung von ALT (durch Venenpunktion gewonneneProben) erhalten hatten; nach der Venenpunktion erhieltendie Patienten noch einen Fingereinstich fîr den LFT. DasTeam whlte als Zielpersonen Erwachsene aus, da diese Be-vçlkerungsgruppe die grçßte wre, die vom LFT profitierenwîrde, und zudem in der Lage wre, eigenstndig ihr Ein-

    Abbildung 4. Iterationen des Designs eines schnellen Leberfunktions-tests (1–5). Jede Abbildung hat denselben Maßstab. Die Charakteristi-ka jeder Iteration demonstrieren Verbesserungen fír die Entwicklungeines nutzerfreundlichen Testsystems.

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  • verstndnis auf Basis der ihnen zur Verfîgung gestellten In-formationen zu geben (eine wichtige berlegung, um IRB-Genehmigungsprozesse und Zustimmungsprozeduren zuvereinfachen). Die Feldstudie in Vietnam wurde sowohl vonden Institutional Review Boards am HTD als auch von denResearch Ethics Committees des PATH und am BIDMCgenehmigt.

    Die Zusammenarbeit mit dem HTD anstelle einer lnd-lichen Klinik ermçglichte die Validierung von Resultaten mitStandardtests. Ressourcen am HTD (Roche Cobas 6000Analyzer) erlaubten automatisches Testen auf ALT. DieStudie sammelte nach Mçglichkeit noch weitere klinischeInformationen mit Relevanz fîr die Leistung des Testsystems:HBV-Erkrankung, HCV-Erkrankung, derzeitige HIV-Medi-kamente, derzeitige Tuberkulosemedikamente, aktuellsteCD4-Zahl. Auch die Ergebnisse von allen Labortests, die amTag des Studienbeitritts gleichzeitig mit ALT angefordertwurden, wurden gesammelt (z. B. in Bezug auf AST, Hmo-globin, Hmatokrit, Thrombozytenzahl und Kreatinin).

    Abgesehen von klinischen Informationen zeichneten wirauch andere Variablen auf, die die Leistungsfhigkeit desLFT htten beeinflussen kçnnen. Verpackte LFTs wurdenunter Umgebungsbedingungen gelagert, und ein Temperatur-und Feuchtigkeitsaufzeichner in Kombination mit Wetter-aufzeichnungen von Weather Underground (http://www.wunderground.com) lieferte ein Protokoll der Umgebungs-bedingungen. Anfangs wurden whrend des Versands vonLFTs nach Vietnam keine Datenaufzeichner beigelegt; diesgeschah erst bei der zweiten Lieferung.

    Drei Aktivitten fanden am Ort der Studie statt: 1) Trai-ning, 2) Pilotphase und 3) Studienphase. Das Training wardazu gedacht, das gesamte Personal mit der Studie vertraut zumachen und Kompetenzen bei der LFT-Ablesung aufzubau-en. An der Pilotphase sollten 50 Probanden teilnehmen; diesePhase sollte sicherstellen, dass der Studienablauf wie erwartetfunktionierte, bevor wir die Studienphase starteten und600 Patienten fîr sechs Monate anwarben.

    3.8. Umsetzung

    Ungefhr einen Monat vor Beginn der Studie reistenReprsentanten von PATH und DFA ans HTD, um Kran-kenschwestern fîr die Mitarbeit in der Studie zu trainieren.Der Trainingsplan umfasste die Zielvorgaben der Studie, dasAnwerbeverfahren, einen berblick îber die Funktionen desTestsystems, das Prozedere von Fingereinstich und Transferder Probe auf das Testsystem sowie die Ablesung von Test-attrappen zu bungszwecken. Die Krankenschwesternwurden speziell darauf hingewiesen, die Testergebnisse al-leine, ohne Kontakt mit einer andern Person, abzulesen undaufzuzeichnen. Die Krankenschwestern mussten einen Leis-tungstest mit Attrappen bestehen (> 80% Klassifizierungs-genauigkeit und 100 % Bestimmung von ungîltigen Tests),bevor die Anwerbung von Patienten beginnen konnte.Scheiterten sie bei diesem Test, wurden sie erneut an denTestattrappen trainiert und geprîft. Jede Krankenschwesterhatte nur zwei Versuche, den Test zu bestehen. Whrend derPilotphase erhielten die Krankenschwestern von einem DFA-

    Reprsentanten sofortige Rîckmeldung zur korrekten oderinkorrekten Verwendung (inklusive der Probentransferpro-zedur und der Ablesung vom Testsystem). Es gab keine zu-stzlichen Trainingsmaßnahmen oder Rîckmeldungen,sobald die Aufnahme von Patienten in die Studie begann.

    Die Temperaturen waren whrend der Pilotphase ofthçher als der Temperaturbereich, fîr den der LFT entwickeltworden war (4–30 88C). Die Ablesezeit des Testsystems wurdean die hçhere Temperatur angepasst, und der AST-Test wurdewegen ungenîgender Temperaturstabilitt der hierfîr benç-tigten Reagentien entfernt. (Aktuelle Verbesserungen imAST-Test haben sich mit diesen Problemen befasst undwerden in zukînftigen Studien evaluiert werden.)

    Alle Tests erfolgten gemß einer Gebrauchsanweisung,die DFA jedem Produkt beilegte; deren Details sind an an-derer Stelle beschrieben.[10] Insbesondere wurde jeder Testvon zwei Krankenschwestern abgelesen. Weder die Patientennoch deren ørzte wurden von den Ergebnissen der Finger-einstichtests informiert. Obwohl die Feldforschung nur einenZeitraum von sechs Monate umfasste, dauerten die Planungder Studie, der Erhalt der IRB-Genehmigungen und dasDurchfîhren der Arbeit vor Ort lnger als ein Jahr.

    3.9. Kontext und Kultur

    Mit mehreren Partnern zu arbeiten – Akademikern(Harvard und BIDMC), einer gemeinnîtzigen Firma (DFA),einer NGO (PATH) und einem Krankenhaus (HTD) – botden Vorteil, dass auf das Spezialwissen und die Erfahrungjedes der verschiedenen Partner zurîckgegriffen werdenkonnte. Das Abstimmen solch einer multiinstitutionellenKooperation bringt jedoch auch Schwierigkeiten mit sich.Jeder Partner hat seine eigenen Bedîrfnisse und seinen ei-genen Zeitrahmen. Akademiker wollen Ergebnisse verçf-fentlichen, Krankenhuser mîssen genug Personal fîr ihrenprimren Betrieb außerhalb der Studie zur Verfîgung haben,Firmen wollen so viel wie mçglich îber ihren Test fîr dieAnwendung in der Entwicklung lernen, und NGOs mîssensichergehen, dass das Testsystem genîgend ausgereift ist, umdie Investition von Zeit und Ressourcen in eine Studie zurechtfertigen. In Fall der Feldstudie in Vietnam glauben wir,dass wir allen diesen Bedîrfnissen gerecht geworden sind,aber ein solcher Erfolg erfordert klare, offene und hufigeKommunikation zu Beginn und whrend der Studie. ZumBeispiel hatten DFA und PATH zehn Krankenschwesternhaben wollen, die die Tests unabhngig ablesen sollten, umdie bereinstimmung beim visuellen Test abzuschtzen. DasHTD war jedoch wegen seiner limitierten Ressourcen nichtbereit, der Studie so viele Krankenschwestern zur Verfîgungzu stellen. Ein Kompromiss wurde erreicht, indem das HTDder Studie drei Krankenschwestern bereitstellte. Anstatteiner Anstellung der Krankenschwestern durch DFA oderPATH erhielt das HTD als Subunternehmer Geldmittel undteilte der Studie Krankenschwestern zu.

    Jedes Gesundheitssystem arbeitet unterschiedlich, undUnterschiede in den Normen kçnnen eine Studie erheblichstçren. Am HTD rotieren Krankenschwestern alle sechsMonate ihre Positionen. Als das Team von PATH und DFA

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    5943Angew. Chem. 2015, 127, 5932 – 5951 Ó 2015 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.angewandte.de

    http://dx.doi.org/10.1146/annurev.bioeng.10.061807.160524http://dx.doi.org/10.1146/annurev.bioeng.10.061807.160524http://www.angewandte.de

  • ankam, begann es, whrend der Pilotphase Krankenschwes-tern in der Mitte eines Rotationszyklus zu trainieren; so wredas gesamte ausgebildete Personal wegen der Rotationmitten in der Studie aus der Klinik abgerufen worden, was zuwesentlichen Inkonsistenzen htte fîhren kçnnen. Die Praxisder Personalrotation wurde glîcklicherweise whrend derPilotstudie von PATH-Trainern bemerkt. Es gelang ihnen, mitdem HTD auszuhandeln, dass der Großteil des trainiertenSchlîsselpersonals whrend der Dauer der Studie am Kran-kenhaus verblieb.

    Manchmal kçnnen Patienten zçgern, an einer Studieteilzunehmen, wenn es keine direkte Kompensation gibt. DieArbeit mit einer HIV-Klinik, an der Patienten sowieso schonregelmßig auf DILI untersucht werden, minimiert die Er-fordernis, den mçglichen zukînftigen Vorteil eines schellenLFT zu erklren.

    3.10. Herausforderungen

    Die Studie identifizierte eine Reihe von Parametern desLFT, die verbessert werden kçnnten. Einige betrafen dieNutzerfreundlichkeit (z.B. das fîr korrekte Klassifizierungnotwendige Training). Andere bezogen sich auf die Quali-ttskontrolle der Komponenten (mehrere Tests waren un-gîltig, da eine Charge Plasmatrennmembranen fehlerhaftwar). Obwohl DFA den Einfluss von Umweltbedingungen(Feuchtigkeit und Temperatur) auf die Haltbarkeitsdauertestete, wiesen die Resultate der Studie darauf hin, dass dieStabilitt (îberraschenderweise der Reagentien, nicht derEnzyme) weitere Verbesserungen bençtigte. Die çrtlichenTemperaturen erreichten im Verlauf der Studie 36 88C undwaren damit hçher als fîr die Lagerung empfohlen.

    Zu Beginn der Studie empfanden die Krankenschwesterndie Testsysteme als schwer ablesbar; am Ende der Studieberichteten sie jedoch, dass die Tests in 90 % der Flle leichtzu lesen seien und dass die Anweisungen, die dem Test bei-lagen, „sehr klar und einfach zu befolgen“ seien. Die amhufigsten erwhnte Schwierigkeit war der Abgleich derFarbe auf dem Testsystem mit der Farbskala der Ablesehilfe(Abbildung 3).

    3.11. Gelernte Lektionen

    Die Feldevaluation identifizierte mehrere Aspekte, dieVerbesserungen bençtigten. Zum Beispiel bençtigte dieKlassifizierung eine Erweiterung der Dynamikumfangs desTests, um deutlichere visuelle Farbunterschiede zwischenverschiedenen Werten von ALT darzustellen. Die Minimie-rung der Zahl ungîltiger Tests erforderte verbesserte Quali-ttsprîfungen bei kommerziellen Materialien, die zur LFT-Fertigung verwendet wurden, und eine Verschrfung derkontrollierten Umgebungsbedingungen whrend der Ferti-gung, um die Variabilitt zwischen den Chargen zu verrin-gern. Auch die Stabilisierung der Reagentien auf dem Test-system war erforderlich, um die Haltbarkeit zu verbessern.

    Wie viele Schnelltests erfordert der LFT, dass die Resul-tate whrend eines spezifischen Zeitfensters (nach 12–

    14 min) abgelesen werden. Mehrere Krankenschwesterndrîckten den nachvollziehbaren Wunsch aus, dass Tests we-niger zeitempfindlich sein sollten; idealerweise wollten sieeinen Test, der jederzeit îber einen Zeitraum von mehrerenStunden nach der Durchfîhrung abgelesen werden kçnne.

    POC-Diagnostik auf Grundlage papierbasierter Mikro-fluidik war zwar ausfîhrlich in akademischen Studien er-forscht worden, jedoch war diese Studie die erste Feldeva-luation eines Testsystems dieses Typs in großem Maßstab. Sielieferte den Beweis, dass ein papierbasiertes Testsystem inNMELs praxistauglich ist. Im Besonderen konnte sie nach-weisen, dass Krankenhauspersonal, das Tests an einer klinischrelevanten Bevçlkerungsgruppe durchfîhrt, gute berein-stimmungen bei den Ergebnissen der visuellen Ablesung er-zielt. Eine Weiterentwicklung dieses Testsystems fîr die kli-nische Verwendung wird allerdings noch weitere iterativeOptimierungen erfordern. Diese ersten Feldevaluationenhaben die Richtung fîr die weitere Entwicklung gewiesen.

    3.12. Nchste Schritte

    Die neuesten Prototypen haben eine bessere Genauigkeit,eine geringere Empfindlichkeit gegenîber Umweltbedin-gungen und – was noch wichtiger ist – eine Haltbarkeitsdauervon mehr als einem Jahr bei 20–30 88C. Die meisten der inVietnam identifizierten Probleme wurden gelçst. Wir berei-ten im Moment eine Feldstudie des neuen Prototyps vor undbeginnen den Prozess der Validierung des Produkts fîr diebehçrdliche Zulassung (CE-Kennzeichnung).

    Das intensive Training der Nutzer, das im Kontext derersten Studie mçglich war, wird außerhalb eines Studienhin-tergrunds wahrscheinlich nicht durchfîhrbar sein. Ein um-fassendes Verstndnis der minimalen Trainingsanforderun-gen fîr neue Nutzer wird letztlich entscheidend sein, um dieBandbreite klinischer Umgebungen, in denen dieser Testverwendet werden kann – ob in zentralisierten Kliniken miterfahrenem Personal, dezentralisierten klinischen Umfeldernmit minimal trainierten Gesundheitsarbeitern oder sogar zuHause –, zu erkennen. DFA plant im Moment eine Studie mituntrainierten Nutzern mit 50–100 Teilnehmern, um die Cli-nical-Laboratory-Improvement-waived-Zertifizierung fîr dasLFT-Testsystem zu erhalten.

    4. Fallstudie 2: diagnostischer Test auf Sichelzellen

    4.1. Das Problem

    Sichelzellanmie (Sickle cell disease, SCD) ist eineKrankheit, bei der eine frîhe Diagnose einen großen Einflussauf den Gesundheitszustand haben kann. Jedes Jahr werdenîber 300000 Kinder mit SCD geboren, davon die meisten inAfrika sîdlich der Sahara und in Indien.[44] In Lndern ohneFrîherkennung und -behandlung liegen die Sterblichkeitsra-ten von Kindern mit dieser Krankheit unter fînf Jahren bei50–90%.[45] Solch einfache Vorgehensweisen wie die pro-phylaktische Verabreichung von Penicillin und die Aufkl-rung der Eltern kçnnen die Kindersterblichkeitsrate signifi-

    ..AngewandteAufstze

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  • kant beeinflussen.[46] Das Fehlen eines kostengînstigen POC-Schnelltests fîr SCD bedeutet jedoch, dass das Potenzialdieser Vorgehensweisen kaum verwirklicht worden ist.

    4.2. Der Test

    Die Dichteverteilung roter Blutkçrperchen ist bei SCD,anders als die von Blutkçrperchen einer gesunden Person,heterogen.[47, 48] Bei SCD fîhren Sichelung und Dehydratationzur Bildung von Blutkçrperchen (1> 1.12 gcm¢3), die dichterals die dichtesten roten Blutkçrperchen eines gesundenMenschen (1 1.10 gcm¢3) sind.[47–50] Wir entwickeltenwssrige, mehrphasige Systeme (aequeous multiphase sys-tems, AMPSs) – Mischungen von Polymeren in Wasser, diesich spontan in nicht mischbare, flîssige Phasen trennen – umfîr SCD charakteristische, dichte Zellen zu trennen und ihrePrsenz visuell nachzuweisen. Wir entwarfen ein zweiphasi-ges (1top = 1.078 g cm

    ¢3 ; 1bot = 1.129 gcm¢3) und ein dreipha-

    siges System (1top = 1.077 gcm¢3 ; 1mid = 1.108 gcm

    ¢3 ; 1bot =1.120 gcm¢3), sodass nur dichte, fîr SCD charakteristischeZellen in der Lage sein wîrden, durch die unterste (dichteste)Phase hindurch zu sinken und eine sichtbare rote Schichtzwischen der untersten Phase und dem Verschluss am unterenEnde des Behlters zu bilden. Die Details dieser Methodesind an anderer Stelle zusammengefasst.[12, 13]

    4.3. Das Team

    Die Whitesides-Gruppe hatte AMPSs entwickelt.[12,51]

    Eine zufllige Begegnung mit Dr. Thomas Stossel (Brighamand WomenÏs Hospital, Boston)lieferte den Anstoß, ernsthaft îberSCD nachzudenken. Dr. Stosselhatte fast ein Jahrzehnt als Medizi-ner im lndlichen Sambia gearbei-tet. Auch verstand er die Randbe-dingungen, die ein Test einhaltenmîsste, um in lndlichen Gebietenvon Nutzen zu sein.

    Sobald das Team den mçglichenNutzen eines dichtebasierten Testszur Diagnose von Sichelzellanmieerkannte, kontaktierten wir Dr.Carlo Brugnara (ChildrenÏs Hospi-tal, Boston) als Experten bezîglichder Dichte roter Blutzellen beiSCD.[52, 53] Dr. Stossel brachte dasTeam mit Dr. Catherine Chunda-Liyoka, einer ørztin am UniversityTeaching Hospital (UTH) inLusaka (Sambia) in Kontakt.Chunda-Liyoka komplementiertemit ihrer Erfahrung bei der Be-handlung von SCD-Patienten inSambia Dr. Stossels Kenntnisseîber die zu erfîllenden Bedingun-gen fîr eine Sichelzelldiagnostik.

    Drei Jahre vergingen vom Aufstellen eines ersten Kon-zepts bis hin zur Feldevaluation (Tabelle 3). Das Tempo derEntwicklung wurde zum Teil durch die Einfachheit derTechnologie sowie durch effiziente Zusammenarbeit derTeammitglieder beim Design und Umsetzen der Feldtestsangetrieben.

    4.4. berlegungen zum Design

    Unter Verwendung von AMPSs generierten wir einenthermodynamisch stabilen, stufenfçrmigen Dichteverlauf, umbei SCD vorhandene Zellen zu trennen und einen visuellenTest zu entwickeln.[12] Der Stufenverlauf, der sich in AMPSsbeim gravitationsbedingten Absetzen oder – schneller – durchZentrifugation bildet, ermçglicht es uns, große Mengen dieserPolymermischungen herzustellen und in Mikrohmatokrit-Kapillarrçhrchen zu fîllen. Die Dichte von roten Blutkçr-perchen kann sich als Reaktion auf die Eigenschaften desMediums (z. B. pH und Osmolalitt) ndern. Wir enwarfendeshalb unseren ersten Test derart, dass er einem physiolo-gischen pH-Wert (7.40 0.02) und physiologischer Osmola-litt [(295 15) mOsmkg¢1] entspricht.[54] (Auch andereWerte dieser Parameter kçnnten fîr einen Schnelltest nîtz-lich sein. Die Vernderung eines der Werte kann eine An-passung der Phasendichten nçtig machen, um auf Dichte-verschiebungen, die bei roten Blutkçrperchen auftretenkçnnen, zu reagieren.)

    Diskussionen mit Dr. Stossel und Dr. Chunda-Liyokazeigten auf, dass es wichtig war, die Anforderungen an dieelektrische Leistung fîr den Test sowie an seine Dauer zuminimieren, sodass er in lndlichen Kliniken durchgefîhrt

    Tabelle 3: Zeitverlauf von der Konzeptualisierung eines dichtebasierten Schnelltests auf Sichelzellan-mie bis zur Feldevaluation in Sambia.

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  • werden kçnnte. Zentrifugation ist wichtig, damit sich Zellenin einer ausreichend kurzen Zeit (Minuten anstatt Stunden)durch ein AMPS bewegen kçnnen. Je schneller die Zentri-fuge, desto hçher die Leistung, die bençtigt wird, aber destokîrzer die Zeit, die fîr den Test erforderlich ist. Wir kamen zudem Schluss, dass die Verkîrzung der Dauer wichtiger war alsdie Reduzierung des Stromverbrauchs.

    Wir konnten den AMPS-basierten Test in weniger als15 min durchfîhren, indem wir eine Zentrifuge mit einerSchleuderziffer von 13700 g verwendeten; solch eine Zentri-fuge bençtigt Leistung. Distrikt- und Provinzkrankenhuserin Sambia haben Zugang zum elektrischen Netz; viele Sam-bier erhalten ihre Gesundheitsversorgung jedoch in lndli-chen Kliniken. In lndlichen Kliniken und Dçrfern kann manoft Solarmodule finden, die Autobatterien aufladen. Wirnutzten daher einen Gleichspannungswandler, um die Zen-trifuge mit einer Autobatterie anzutreiben.

    Der gesamte Prozess der Interaktion eines Patienten miteinem Diagnoseverfahren – von der Probengewinnung biszum Ablesen der Ergebnisse – muss sorgfltig auf Nutzer-freundlichkeit und Sicherheit ausgelegt werden (Abbil-dung 5). Wir nutzten ein Polycarbonat- anstatt eines Glas-rçhrchens, um Brechen und die Gefahr von Stichwunden zuvermeiden. Wir entwarfen den Test so, dass die Rçhrchen mitPolymerlçsungen vorgefîllt werden sollten. Es ist nicht ein-fach, die Blutprobe von einem Fingereinstich zu sammeln undsie auf einfache und praktische Weise in das Testsystem zuîberfîhren. Wir durchliefen mehrere Entwîrfe (Abbil-dung S1 der Hintergrundinformationen), bis wir eine Me-thode – unter Nutzung von Kapillarwirkung – fanden, umeine Kapillare, die am einen Ende bereits versiegelt undteilweise mit einem AMPS gefîllt war, mit einem genauenVolumen von Blut zu versetzen. Visuelle Ablesung machtezustzliche Ausrîstung oder Computer unnçtig. Die Einbin-dung von Aspekten der Probengewinnung und Ablesung indas Design des Testsystems gewhrleistete eine problemloseVerwendung durch den Endnutzer: Ein Nutzer mîsste nureinen Tropfen Blut einfîllen und das kleine Testsystem in derZentrifuge schleudern lassen.

    4.5. Validierung besttigt die Eignung der Technologie fírFeldstudien

    Von unseren Kooperationspartnern am ChildrenÏs Hos-pital Boston bereitgestellte Proben ermçglichten uns schnelleVerbesserungen erster Iterationen des dichtebasierten Tests.Sobald AMPS-Dichten identifiziert wurden, die zu Unter-schieden zwischen normalem Blut und Blut kranker Personenmit Sichelzellanmie fîhrten, wurde das Design festge-schrieben, und es wurden Tests an einer großen Anzahl vonProben (n = 59) durchgefîhrt. Um diese Probenmenge zuerreichen, arbeiteten wir mit Sergey Sheykoplyas, damals ander Tulane University, und Dr. Julie Kantner, damals amSickle Cell Center of Southern Louisiana, zusammen.

    Fîr den ersten Machbarkeitsnachweis bezogen wir diebeiden Hauptgenotypen von SCD (HbSS und HbSC) ein undtesteten auch nichterkrankte Trger (HbAS) zusammen mitanderen Personen ohne Sichelzellen (HbAA). Erste Resul-

    Abbildung 5. AMPSs ermçglichen einen einfachen, dichtebasiertenSCD-Schnelltest. A) Eine mit AMPS vorgefíllte Kapillare saugt ein fest-gelegtes Volumen Blut in das Testsystem. Nach dem Verschließen desEinfíllochs mit einer Hílse ermçglicht Zentrifugation eine schnelleAblagerung von Zellen durch die AMPSs hindurch und liefert ein Re-sultat, das mit bloßem Auge abgelesen werden kann. Eine rote Schichtoberhalb des Siegels am unteren Ende des Rçhrchens lsst auf einVorliegen von SCD schließen. B) Der gesamte Prozess, inklusive Zen-trifugation, bençtigt ca. 12 min.

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  • tate belegten die vielversprechende Fhigkeit, nach nur10 min Zentrifugation mit nur einem Bluttropfen (ca. 5 mL)zwischen SCD und nicht-SCD zu unterscheiden. Wir began-nen auch, an Verpackung und Lagerung zu forschen. Dazunutzten wir verschiedene Verpackungsmaterialien und be-schleunigten den Lagerungstest zur Beurteilung des Ver-dunstungsrisikos in einem Ofen, bevor wir uns fîr ein be-stimmtes Verpackungssystem zur Evaluation in Sambia ent-schieden.[13]

    4.6. Finanzierung der Studie

    Whrend der klinische Bedarf fîr einen SCD-Schnelltestoffensichtlich war, war es der Weg zur Finanzierung einersolchen Forschung nicht. Im Allgemeinen ist die Finanzie-rungssituation bei SCD schlecht, wie dies oft bei vernachls-sigten tropischen und seltenen Krankheiten der Fall ist. Wirbegannen daher, uns fîr einige Innovationspreise im Bereichder globalen Gesundheit zu bewerben. Eine Schwierigkeit beidiesen Zuschîssen war der Druck, Daten aus der Feldfor-schung vorweisen zu kçnnen, um die Preisverleihung zu be-grînden – Forschung, die solche Daten zur Verfîgung stellt,muss jedoch wiederum erst finanziert werden. Dieses Henne-Ei-Szenario ist charakteristisch fîr Projekte in der transla-tionalen Medizin, also bei der berfîhrung vom Labor in diePraxis.

    Um unsere erste Finanzierung fîr den Bereich der SCDzu erhalten, mussten wir erst îber andere Anwendungen fîrdie AMPS-Technologie nachdenken, die fîr die Fçrderorga-nisationen interessanter sein kçnnten. Indem wir vorschlu-gen, AMPSs sowohl zur Diagnose von SCD als auch zurAnreicherung von zirkulierenden Tumorzellen zu verwenden,waren wir in der Lage, einen erfolgreichen Projektvorschlagfîr den Blavatnik Biomedical Accelerator Fund zusammen-zustellen. Dieser Preis unterstîtzte die Entwicklung des Testsund die Feldstudie am UTH. Ein kleinerer Preis vom HarvardGlobal Health Institute ermçglichte es uns, eine Evaluationder Nutzerfreundlichkeit des Test mit Endnutzern an lndli-chen Kliniken in Sambia durchzufîhren.

    Daten unserer Feldstudie halfen uns, die Finanzierungeiner zweiten Feldstudie durch das Consortium for Afforda-ble Medical Technologies (ein Teil des Center for GlobalHealth des Massachusetts General Hostpital) zu sichern.

    4.7. Studienaufbau

    Dr. Stossels Verbindung nach Sambia war eine der Mo-tivationen, die Arbeit an einem SCD-Diagnosetestsystem zubeginnen, weshalb Sambia eine natîrliche Wahl fîr dieFeldevaluation war. Das Team aus Harvard begann in Ver-bindung mit Dr. Chunda-Liyoka am UTH, Zuschussantrge,Studienprotokolle und IRB-Antrge zu entwerfen.

    Der Ort fîr die Feldevaluation war das Department ofPaediatrics am Department of Haematology am UTH inLusaka (Sambia). Das UTH war in der Lage, die Ausrîstungfîr die Durchfîhrung einer Goldstandardmessung von SCD(d.h. Hmoglobinelektrophorese) zu unterhalten und hatte

    auch eine große Anzahl von SCD-Patienten. Das UTHîberwacht Patienten mit SCD in einem Programm, das re-gelmßige Untersuchungen umfasst. 2014 betreute das UTHmehr als 3000 Patienten mit SCD und bot jeden Freitag un-gefhr 50 von ihnen Untersuchungen an.

    Die grçßte Relevanz hat ein SCD-Schnelltest bei Kin-dern, weshalb bei der Studie nur Personen unter 18 Jahrenaufgenommen wurden. Die Arbeit mit Kindern erforderte dieZustimmung eines Vormunds und ab einem gewissen Alterauch die Einwilligung der Kinder. Die Berîcksichtigung vonUnterschieden in Lese-/Schreibfhigkeit und Sprache kam zuden Anforderungen des Zustimmungsprozesses hinzu, umeinen angemessenen Schutz der Testpersonen zu gewhrleis-ten. Die enge Zusammenarbeit mit sowohl dem lokalen IRBin Sambia als auch dem Committee on the Use of HumanSubject in Harvard war entscheidend, um sicherzugehen, dassalle ethischen Forschungsaspekte berîcksichtigt wurden.

    SCD-Untersuchungen am UTH basierten vor allem aufLçslichkeitstests. Auf positive Befunde folgte Gelelektro-phorese. Die Elektrophoreseausrîstung war jedoch relativ altund unzuverlssig. Ein Teil des Studienbudgets wurde deshalbfîr die Aufrîstung des klinischen Labors mit einer halbau-tomatischen Hmoglobinelektrophoreseeinheit (SAS1/2,Helena) verwendet. Dieses Testsystem ermçglichte quanti-tative Messungen von verschiedenen Hmoglobintypen, in-klusive fçtalem Hmoglobin (HBF) – ein Parameter, der fîrden dichtebasierten Test von Interesse ist. Wir nahmen beiallen Testpersonen routinemßig auch das komplette Blutbild(complete blood cound, CBC) auf und nutzten einen Frage-bogen, um einfache demographische Daten sowie Informa-tionen îber mçgliche Stçrfaktoren fîr unsere Methode (wieeine kîrzlich erfolgte Sichelzellkrise) zu sammeln.

    Außer der Sammlung medizinischer Daten entwickeltenwir auch Methoden zur Erfassung von Testsystemen mitVerpackungsversagen, der Temperatur am Testtag sowie derZeiten zwischen Blutabnahme und Einsatz des Schnell- undGoldstandardtests. Richtlinien fîr die Verwendung vonProben fîr verschiedene Tests (CBC, Hmoglobinelektro-phorese und der Schnelltest) wurden basierend auf den Vor-gaben der Hersteller oder, im Fall des Schnelltests, aufGrundlage der ersten Validierung festgelegt. Proben, die mitegal welcher Methode außerhalb des empfohlenen Zeitrah-mens untersucht wurden, sollten ungîltig sein. Eine Variable,die in der Designphase dieser Studie îbersehen wurde, wardas Hinzufîgen von Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsauf-zeichnern whrend des Versands.

    Durch das Harvard-Catalyst-Programm beriet sich dasTeam mit einem Biostatistiker, um die Grçße der Gruppe, diefîr die Studie rekrutiert werden sollte, festzulegen. Die Studiewurde so konzipiert, dass etwa 600 Testpersonen îber sechsMonate rekrutiert werden sollten. Der Prozess von Studien-design, Erhalt der IRB-Zustimmung und Aufbau der H-moglobinelektrophorese-Ausrîstung dauerte mehr als neunMonate.

    Zustzlich zur Evaluation der Leistung des Tests wolltenwir ihn auch auf seine Nutzerfreundlichkeit prîfen. In Zu-sammenarbeit mit dem UTH und dem U.S. Peace Corps inSambia identifizierten wir lndliche Kliniken fîr Besuche undentwarfen ein Programm, um den Test zu erklren und

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  • Rîckmeldungen zu bekommen. Das IRB in den USA er-klrte, dass die Umfrage wegen ihres minimalen Risikos undder Art der gesammelten Informationen von einer vollstn-digen berprîfung als Forschung mit menschlichen Testsub-jekten ausgenommen sei; das IRB in Sambia forderte jedocheine vollstndige berprîfung der Umfragen.

    4.8. Umsetzung

    Ein Forscher aus Harvard reiste zu Beginn der Studienach Lusaka. Der Aufbau der Studie dauerte eine Woche. Einvoller Trainingstag fîr das Studienpersonal umfasste das ge-samte Studiendesign, den Arbeitsablauf, die Rekrutierung,die Nutzung des Schnelltests und das Datenmanagement.Vier Ableser (zwei Labortechniker und zwei Kranken-schwestern) wurden anhand von Aufnahmen der Resultatevon Schnelltests sowie anhand von Vorfîhrungen durch einenerfahrenen Ableser trainiert. Ein Poster, das jeden Schritt desSchnelltests zeigte, wurde an einer gut sichtbaren Stelle desLabors aufgehngt. Eine zweiwçchige Pilotphase folgte.

    Die Pilotphase war entscheidend fîr den Erfolg derStudie. Whrend dieser Zeit bewerteten wir die anfnglichebereinstimmungsrate zwischen Ablesern am UTH und demerfahrenen Ableser. Wir identifizierten und behoben mçgli-che Probleme bei Probenhandhabung und Arbeitsablauf.Zum Beispiel wurden Blutproben in Vacutainers (BectonDickinson) gesammelt, die Ethylendiamintetraessigsure(EDTA) als Antikoagulans enthielten. Von jeder Probewurde ein Teil in ein zweites Rçhrchen gefîllt. Ein Rçhrchenging anschließend an das Labor, das die Hmoglobinelek-trophorese durchfîhrte, und das andere an das Labor, das denSchnelltest ausfîhrte. Die Verwendung von getrennten La-boren half beim Verblinden der Studie. Zu Beginn enthieltauch das zweite Rçhrchen, das mit Blut befîllt wurde, EDTA.Dieses zustzliche EDTA htte eine Dehydratation derZellen verursachen und so den Test beeintrchtigen kçnnen.Dieses mçgliche Problem wurde whrend der Pilotphase er-kannt, weshalb alle folgenden Proben auf unbehandelteRçhrchen aufgeteilt wurden, nachdem sie in mit Antikoagu-lans behandelten Rçhrchen gesammelt worden waren.

    In der Mitte der Studie kehrte der erfahrene Ableserzurîck und fîhrte einen Test zur bereinstimmungsrate mitdrei lokalen Ablesern durch. Whrend der Studie fertigte dasTeam in Harvard Chargen von AMPS-Lçsungen und stelltePakete mit hunderten Schnelltests zum Versand nach Sambia(von Hand) zusammen.

    4.9. Kontext und Kultur

    Die Rekrutierung von Testpersonen mit SCD war vieleinfacher als die Rekrutierung von Testpersonen ohne SCD,da Patienten mit dieser Krankheit und ihre Eltern mehrWissen îber SCD und den Bedarf an einem diagnostischenTest als der Rest der Bevçlkerung hatten. Gelegentlich ent-schieden die Eltern, nicht an der Studie teilzunehmen, da sieBedenken hatten, was mit dem Blut ihres Kindes gemachtwerden kçnnte. Einige Eltern glaubten, ein Mensch besitze

    whrend seines gesamten Lebens nur eine endliche MengeBlut, und befîrchteten daher, ihrem Kind bleibe nicht genî-gend Blut îbrig, wenn sie der Studie îber die medizinischnotwendige Blutabnahme hinausgehend Blut zur Verfîgungstellten.

    4.10. Herausforderungen

    Mehrere unerwartete Hindernisse stellten sich der Voll-endung der Studie in den Weg, aber alle konnten glîckli-cherweise bewltigt werden. Zweimal whrend der sechs-monatigen Studie streikten die Krankenschwestern am UTH.Obwohl die an der Studie beteiligten Krankenschwesternnicht streikten, vergrçßerte sich doch ihre Arbeitsbelastungdurch ihre nicht studienbezogenen Verpflichtungen. Dass dieRekrutierung von Testpersonen whrend dieser Zeit weiter-ging, ist ein Zeugnis des Einsatzes dieser Krankenschwesternfîr die Studie.

    Ungefhr in der Mitte der Studie brach ein großes Feuerim Nairobi International Airport in Kenia aus. Obwohl weitvon Lusaka entfernt, war dieser Flughafen Teil der Versand-route fîr die Testchargen, die nach Sambia verschicktwurden. Das Feuer brach direkt nach dem Verschicken einerder Chargen aus, und infolgedessen brauchte diese Chargeeine zustzliche Woche, um am UTH anzukommen. DieTestsysteme wurden durch diese zustzliche Versandzeit unddie stark erhçhten Temperaturen, whrend sie auf Weiter-versand durch den beschdigten Flughafen warteten, even-tuell beschdigt. Die Bedingungen whrend des Versandswurden leider nicht aufgezeichnet. In der Tat war die Leis-tungsfhigkeit der verspteten Charge signifikant schlechterals die der anderen Chargen,[13] aber wir konnten ohne zu-stzliche Informationen keinen Ausschluss von der Daten-analyse rechtfertigen. Diese Erfahrung demonstriert, wiewichtig es ist, klare Parameter festzulegen – inklusive Ver-sand- und Lagerungsbedingungen unter Verwendung vonTemperatur- und Luftfeuchtigkeitsaufzeichnern –, um gîltigeResultate zu erhalten.

    Whrend der Streik der Krankenschwestern die Studienicht unterbrach, verursachten Probleme in der Versor-gungskette einen temporren Stillstand. Wir kauften ur-sprînglich 20 % mehr Elektrophoresegel, als wir fîr dieStudie fîr notwendig hielten. Ein Fehler im Heizelement desElektrophoresetestsystems fîhrte aber dazu, dass nur achtvon zwçlf Spuren ordnungsgemß liefen. Verzçgerungen beider Beschaffung eines Technikers zur Reparatur des Test-systems fîhrten dazu, dass uns das Gel ausging, bevor dieRekrutierung beendet war. Daraus resultierte ein einmona-tiger Stillstand der Studie, whrend wir auf zustzliches Gelvom Anbieter warteten. Diese Verzçgerung hinderte unsdaran, die ursprînglich geplante Anzahl von Teilnehmernaufzunehmen, aber wir waren dennoch in der Lage, genugProben zu sammeln, um statistische Aussagekraft zu erzielen,bevor das Budget der Studie ausgeschçpft war. Die Abhn-gigkeit des Goldstandardtestsystems von Wartung und tech-nischen Fachkenntnissen unterstrich den Bedarf an einemeinfachen Design von POC-Testsystemen.

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  • 4.11. Gelernte Lektionen

    Die Details zur Leistung des Testsystems und zu Nutzer-rîckmeldungen sind an anderer Stelle beschrieben.[13] Vonden beiden untersuchten Testsystemen hatte das bessere einediagnostische Genauigkeit von 77 %. Diese Genauigkeit warein ermutigender erster Schritt hin zu einem praktikablenTest, aber ein Anstieg der Genauigkeit (auf vielleicht 90%)wird noch immer bençtigt, bevor der Test fîr den klinischenGebrauch akzeptabel wird. Im Allgemeinen waren falsch-positive Resultate hufiger als falsch-negative (hufiger, als inden ersten Validierungsstudien gefunden wurde). Schwan-kungen zwischen Chargen waren erheblich. Wir arbeitenderzeit an der Verbesserung der Qualittskontrolle und derEntwicklung von Standards bei der Verwendung derSchnelltests, um die Abweichungen zwischen Chargen zuverringern. Die bereinstimmungsrate zwischen den Able-sern war groß, kçnnte aber mit eindeutigeren Ablesehilfenund ausfîhrlicherem Training noch verbessert werden.

    Zustzlich zum technischen Wissen als Resultat derFeldevaluation gewannen wir auch signifikantes kontextuel-les Wissen. Der Besuch der lndlichen Kliniken war beson-ders informativ. Wir konnten verifizieren, dass an lndlichenKliniken angemessene Behandlungsmçglichkeiten fîr denTest auf SCD sowie ein netzunabhngiger Zugriff auf elek-trische Energie mithilfe von durch Solarkollektoren gelade-nen Batterien vorhanden waren.

    Vielleicht einer der interessantesten Befunde der Feld-evaluation kam whrend der Schlussinterviews mit dem Per-sonal der Studie in Sambia ans Licht. Eine Reihe von Per-sonen bemerkte – ohne besondere Aufforderung –, dass sienun eine neue Perspektive htten, wenn sie an die Entwick-lung von Technologien mit Relevanz fîr ihr Land dchten:Wenn Forscher im Ausland in der Lage sind, kostengînstigeSchnelltests zu ersinnen, kçnnten vielleicht auch die Sambierselbst nîtzliche Technologien entwickeln. Zwar ist es imbesten Fall schwierig, die Auswirkungen von Inspiration undInnovationsmodellierung zu quantifizieren, allerdings ist dasdirekte Teilen von Wissen und Fhigkeiten whrend solcheiner internationalen Zusammenarbeit ein willkommenerNebeneffekt.

    4.12. Nchste Schritte

    Die Entwicklung der nchsten Generation von SCD-Schnelltests ist im Gange. Daten aus der Feldevaluation underste Forschungsarbeiten haben es uns ermçglicht, neue Fi-nanzierungsantrge zu verfassen, und haben Gesprche mitFirmen angeregt, die an der Weiterentwicklung der Techno-logie interessiert sind.

    5. Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    5.1. Gelernte allgemeine Lektionen

    Die beiden hier vorgestellten Technologien haben nochnicht zu fertigen Produkten gefîhrt, aber die Feldevaluatio-

    nen haben die POC-Testsysteme signifikant verbessert undspezifische zu lçsende Schwachstellen identifiziert. Zusam-mengefasst lassen sich aus unseren Erfahrungen folgendeLehren ziehen:1) Fange frîh an, zu planen und Partnerschaften aufzubauen.

    Idealerweise sollten Partnerschaften schon stehen, b