Von Gazellen und Nilpferden: Neues aus dem KMU-Biotop

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00 KMU-Magazin Nr. 7/8, Juli/August 2013 Forschung & Entwicklung Immer häufiger ist in der betriebswirt- schaftlichen Literatur von sogenannten «unternehmerischen Gazellen» die Rede. Dieser Begriff, der dem MIT-Ökonom Da- vid Birch zugeschrieben wird, beschreibt junge Unternehmen, die innerhalb kür- zester Zeit ein immenses Wachstum vor- weisen. Zwar gibt es keine einheitliche Definition, wann ein Unternehmen als Gazelle gilt, doch schlägt die OECD fol- genden Standard vor: Als Gazelle gilt ein Unternehmen dann, wenn es weniger als fünf Jahre alt ist, wenn die Mitarbeiter- zahl über einen Zeitraum von drei Jahren um mehr als 20 Prozent pro Jahr steigt und wenn es am Anfang des Betrach- tungszeitraums mindestens zehn Mitar- beiter hatte. Zweifelsohne sind solche Wachstumszahlen beeindruckend und wichtig. Dies gilt umso mehr für die schweizerische Wirtschaft, die fast zu 100 Prozent aus KMU besteht. Hier auf der Unternehmensseite schnell-wachsenden Nachwuchs zu etablieren, ist von grosser Bedeutung. Rapides Wachstum Ebenso wichtig, wenn nicht sogar wichti- ger, als die besagten Gazellen, sind unse- rer Meinung nach allerdings diejenigen Firmen, die wir in Anlehnung an die Ga- zellen «Nilpferde» genannt haben. Nil- pferde sind nach unserer Definition KMU, die lange Zeit auf den Heimmarkt fokus- siert waren, sich jedoch dann plötzlich in- ternationalisieren und so rapide Wachs- tumszahlen vorweisen, insbesondere auch hinsichtlich ihrer Mitarbeiterzahlen. In unserer Forschung haben wir über mehrere Jahre hinweg sieben solcher un- ternehmerischer Nilpferde in den ver- schiedensten Branchen beobachtet und begleitet . Wir haben Unternehmenszah- len analysiert, Veröffentlichungen über diese Firmen ausgewertet und durften Gespräche mit dem Top-Management dieser Firmen führen. Diese Unterneh- men, die in der Fachliteratur oftmals auch «Reborn-Globals» bzw. «Born-Again Glo- bals» genannt werden, haben eines ge- meinsam: sie waren über Jahre hinweg nicht an internationalen Märkten prä- sent, bis ein «Trigger» die Internationali- sierung einläutete. In den von uns unter- suchten Firmen waren dies Zeiträume von 24 bis 139 Jahren. Vor dem Trigger-Event – und auch hier gibt es Parallelen – sind das biologische wie auch das organisatorische Nilpferd angespannt. Beim tierischen Nilpferd können Eindringlinge, die ins Revier vor- rücken und dem Biest seinen Nahrungs- Dr. Patrick Schüffel, Prof. Rico Baldegger Internationalisierung Von Gazellen und Nilpferden: Neues aus dem KMU-Biotop Wie internationalisieren sich eigentlich alteingesessene Schweizer KMU? Dieser Fragestel- lung wurde in einem mehrjährigen Forschungsprojekt an der Hochschule für Wirtschaft in Fribourg nachgegangen. Die Ergebnisse des Projektes konnten so manche vorgefasste Mei- nung entkräften, und sie lassen sich auch noch mit Parallelen zur Tierwelt veranschaulichen. kurz & bündig Als Gazelle gilt ein Unternehmen dann, wenn es weniger als fünf Jahre alt ist, wenn die Mitarbei- terzahl über einen Zeitraum von drei Jahren um mehr als 20 Pro- zent pro Jahr steigt und wenn es am Anfang des Betrachtungs- zeitraums mindestens zehn Mit- arbeiter hatte. Nilpferde sind KMU, die lange Zeit auf den Heimmarkt fokus- siert waren, sich jedoch dann plötzlich internationalisieren und so rapide Wachstumszahlen vor- weisen. Schweizer KMU-Nilpferde auf in- ternationalen Märkten eine ähn- liche Dynamik entwickeln kön- nen wie ihre tierischen Counter- parts. !

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Von Gazellen und Nilpferden: Neues aus dem KMU-Biotop

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KMU-Magazin Nr. 7/8, Juli/August 2013

Forschung & Entwicklung

Immer häufiger ist in der betriebswirt-schaftlichen Literatur von sogenannten «unternehmerischen Gazellen» die Rede. Dieser Begriff, der dem MIT-Ökonom Da-vid Birch zugeschrieben wird, beschreibt junge Unternehmen, die innerhalb kür-zester Zeit ein immenses Wachstum vor-weisen. Zwar gibt es keine einheitliche Definition, wann ein Unternehmen als Gazelle gilt, doch schlägt die OECD fol-genden Standard vor: Als Gazelle gilt ein Unternehmen dann, wenn es weniger als fünf Jahre alt ist, wenn die Mitarbeiter-zahl über einen Zeitraum von drei Jahren um mehr als 20 Prozent pro Jahr steigt und wenn es am Anfang des Betrach-tungszeitraums mindestens zehn Mitar-beiter hatte. Zweifelsohne sind solche Wachstumszahlen beeindruckend und wichtig. Dies gilt umso mehr für die schweizerische Wirtschaft, die fast zu 100 Prozent aus KMU besteht. Hier auf der Unternehmensseite schnell-wachsenden Nachwuchs zu etablieren, ist von grosser Bedeutung.

Rapides Wachstum

Ebenso wichtig, wenn nicht sogar wichti-ger, als die besagten Gazellen, sind unse-

rer Meinung nach allerdings diejenigen Firmen, die wir in Anlehnung an die Ga-zellen «Nilpferde» genannt haben. Nil-pferde sind nach unserer Definition KMU, die lange Zeit auf den Heimmarkt fokus-

siert waren, sich jedoch dann plötzlich in-ternationalisieren und so rapide Wachs-tumszahlen vorweisen, insbesondere auch hinsichtlich ihrer Mitarbeiterzahlen.

In unserer Forschung haben wir über mehrere Jahre hinweg sieben solcher un-ternehmerischer Nilpferde in den ver-schiedensten Branchen beobachtet und begleitet . Wir haben Unternehmenszah-len analysiert, Veröffentlichungen über diese Firmen ausgewertet und durften Gespräche mit dem Top-Management dieser Firmen führen. Diese Unterneh-men, die in der Fachliteratur oftmals auch «Reborn-Globals» bzw. «Born-Again Glo-bals» genannt werden, haben eines ge-meinsam: sie waren über Jahre hinweg nicht an internationalen Märkten prä-sent, bis ein «Trigger» die Internationali-sierung einläutete. In den von uns unter-suchten Firmen waren dies Zeiträume von 24 bis 139 Jahren.

Vor dem Trigger-Event – und auch hier gibt es Parallelen – sind das biologische wie auch das organisatorische Nilpferd angespannt. Beim tierischen Nilpferd können Eindringlinge, die ins Revier vor-rücken und dem Biest seinen Nahrungs-

› Dr. Patrick Schüffel, Prof. Rico Baldegger

Internationalisierung

Von Gazellen und Nilpferden: Neues aus dem KMU-BiotopWie internationalisieren sich eigentlich alteingesessene Schweizer KMU? Dieser Fragestel-

lung wurde in einem mehrjährigen Forschungsprojekt an der Hochschule für Wirtschaft in

Fribourg nachgegangen. Die Ergebnisse des Projektes konnten so manche vorgefasste Mei-

nung entkräften, und sie lassen sich auch noch mit Parallelen zur Tierwelt veranschaulichen.

kurz & bündig

› Als Gazelle gilt ein Unternehmen dann, wenn es weniger als fünf Jahre alt ist, wenn die Mitarbei-terzahl über einen Zeitraum von drei Jahren um mehr als 20 Pro-zent pro Jahr steigt und wenn es am Anfang des Betrachtungs-zeitraums mindestens zehn Mit-arbeiter hatte.

› Nilpferde sind KMU, die lange Zeit auf den Heimmarkt fokus-siert waren, sich jedoch dann plötzlich internationalisieren und so rapide Wachstumszahlen vor-weisen.

› Schweizer KMU-Nilpferde auf in-ternationalen Märkten eine ähn-liche Dynamik entwickeln kön-nen wie ihre tierischen Counter-parts.

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KMU-Magazin Nr. 7/8, Juli/August 2013

Forschung & Entwicklung

quellen streitig machen, diesen Stress auslösen. Im Falle der unternehmeri-schen Nilpferde war es unseren Studien zufolge fast ausnahmslos der kleine Schweizer Heimmarkt, der die Firmen dazu bewog, nach neuen Märkten Aus-schau zu halten.

Analogien zur Tierwelt

Einem Nilpferd ähnelnd sind KMU-Nil-pferde oftmals vermeintlich behäbige Ge-bilde, die ihre Komfortzone verlassen, um dann plötzlich zu einem Spurt anzuset-zen. Während das tierische Nilpferd has-tig dem Wasser entsteigt, fokussieren die KMU-Nilpferde plötzlich auf ausländi-sche Märkte. Um eine solche Verhaltens-änderung hervorzurufen, sind jedoch Auslöser, die besagten «Trigger», notwen-dig. Dies ist beim Tier ebenso der Fall wie bei der Organisation. Dieser Trigger war bei den von uns untersuchten Unter-nehmen in erster Linie ein Wechsel an der Führungsspitze des Unternehmens (CEO) und in einem Fall ein wichtiger Kunde, der ins Ausland ging. Die Spurts, die dann folgten, waren beachtlich: Im Durchschnitt wuchs die Mitarbeiter-anzahl dieser Firmen in jedem Jahr seit ihrer Internationalisierung um 15,7 Pro-zent, bei einer Firma sogar um 55,5 Pro-zent p.a. Ganz ähnlich fielen die Wachs-tumszahlen betreffend Umsatz aus: Diese stiegen um über 7,4 Prozent p.a., in der Spitze sogar um über 13,8 Prozent p.a.

Auch hier bewahrheiten sich somit die Analogien zur Tierwelt. Sicher, eine Ga-zelle, die eine Geschwindigkeit von na-hezu 100 km / h erreichen kann, ist deut-lich schneller als jedes Nilpferd. Aber Nilpferde kommen im Spurt auf knapp 50 km/h. Hinzu kommt, dass das biologi-sche wie auch unternehmerische Nilpferd wesentlich mehr Masse bewegt. Der po-

tenzielle Einfluss eines KMU-Nilpferds sollte daher nicht unterschätzt werden. Ein Zahlenbeispiel verdeutlicht diesen Ba-siseffekt: Wächst eine Unternehmensga-zelle über drei Jahre mit einer Wachstums-rate von 20 Prozent von zehn Mitarbeiter auf 17 an, so stellt dies ein relatives Drei-jahreswachstum von 70 Prozent dar, das sicherlich beeindruckend ist. Wächst je-doch ein Nilpferd-KMU nicht einmal an-nährend derselben Geschwindigkeit (15% p.a.) innerhalb von drei Jahren von 100 Angestellten auf 152, so mag das relative Wachstum nicht so beeindruckend sein, die Anzahl der geschaffenen Arbeitsplätze ist mit 52 absolut gesehen jedoch deutlich beeindruckender als die besagten sieben.

Unterschätzte Nilpferde

Aber auch eines hat unsere Forschung er-geben: Der Zwischenspurt, den Unter-nehmensnilpferde hinlegen können, ist

begrenzt. Während das tierische Nilpferd nach wenigen Hundert Metern seinen Spurt abbricht, waren es bei unseren KMU-Nilpferden drei bis fünf Jahre, in denen der Wachstumsmotor auf Hoch-touren lief. Danach gingen die Wachs-tumsindikatoren wieder auf normale Levels zurück und die Unternehmen kon-solidierten sich auf einem neuen, wesent-lich höheren Niveau.

Darüber hinaus ist es bemerkenswert, dass sämtliche CEOs der besagten Unter-nehmensnilpferde zuvor im Ausland substanzielle Ausbildungs- oder Berufs-erfahrungen gesammelt hatten und/oder zumindest für längere Zeit in multinatio-nalen Unternehmen gearbeitet hatten. Wir gehen davon aus, dass diese Erfah-rung die internationale unternehmeri-sche Sensorik gefördert und geprägt hat. Der Level, den der oben erwähnte Trigger erreichen muss, um die Internationalisie-

›KMU-Nilpferde sind vermeintlich behäbige Gebilde, um dann plötzlich –

auf ausländische Märkte fokussiert – zu einem Spurt anzusetzen.

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Forschung & Entwicklung

Porträt

Dr. Patrick SchüffelProfessor

Dr. Patrick Schüffel ist Professor für International Entre-preneurship am Institut für Entrepreneurship und KMU an der Hochschule für Wirtschaft, Fribourg.

Prof. Rico BaldeggerHochschul-Rektor

Prof. Rico Baldegger, PhD., ist Rektor der Hochschule für Wirtschaft, Fribourg und Direktor des Instituts für Entre-preneurship und KMU.

Kontakt

[email protected] [email protected] www.heg-fr.ch

rung anzustossen, ist bei diesem Perso-nenkreis somit wahrscheinlich geringer als bei Unternehmern, die keinerlei inter-nationale Erfahrung sammeln konnten.

Eine weitere Tatsache hat unsere For-schung zutage gefördert: Wir konnten keinerlei Faktoren identifizieren, die ein alteingesessenes KMU in eine besonders gute Ausgangslage für die Internationali-sierung gebracht hätten. Sei es Umsatz, Mitarbeiteranzahl, Gewinn, Netzwerke, Strategie, Wettbewerbssituation, Econo-mies of Scale – all diese Einflussgrössen variierten extrem in den untersuchten Fallbeispielen und brachten keinerlei Hinweise darauf, ob die späteren Interna-tionalisierungsanstrengungen von Erfolg gekrönt sein würden oder nicht. Im Ge-genteil, Netzwerke wie auch operative Strategien prägten sich in den weitaus meisten Fällen erst während der Interna-tionalisierung heraus.

Nilpferde werden regelmässig aufgrund ihrer Grösse und vermeintlichen Behä-bigkeit unterschätzt. Aufgrund ihrer

Dynamik entwickeln können wie ihre tierischen Counterparts. Sollten diese Schweizer KMU erst mal zum Sprint an-setzen, könnte es für die einheimische Konkurrenz sehr gefährlich werden. «

Masse und der Geschwindigkeit, die sie gleichwohl erreichen können, sind sie je-doch extrem gefährlich. Wir sind über-zeugt, dass Schweizer KMU-Nilpferde auf internationalen Märkten eine ähnliche

‹«Unternehmerische Gazellen» be-schreiben junge Unternehmen, die in kurzer Zeit schnell wachsen.