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Niebuhr

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  • Vorrede.

    Dieser Theil einer rmischen Geschichte, und ein zweyter welcher ihm bald folgen wird, sind aus

    Vorlesungen entstanden die ich im verflossenen Winter auf der hiesigen Universitt hielt. Sie

    wurden ohne einen Gedanken an eine allgemeinere Publicitt als die des ffentlichen Vortrags

    begonnen: als ich mich zur Herausgabe entschlo, war es anfnglich meine Absicht sie unter einem

    Titel erscheinen zu lassen der von ihrer ursprnglichen Entstehung hergenommen war, und dies ist

    vorlufig angezeigt worden. Es zeigte sich aber da die Vernderung und Erweiterung ihrer

    Bestimmung eine durchgngige Umarbeitung notwendig machte, und so verlohr der anfangs

    erwhlte Titel seine Wahrheit, und mute, obgleich durch Anspruchslosigkeit empfohlen, gegen

    einen andern vertauscht werden unter dem das Werk mit der ganzen || Schwierigkeit einen groen

    Nahmen zu behaupten hervortritt.

    Daher hat sich am Anfang des Eingangs eine Andeutung des entworfenen Umfangs dieser

    Geschichte erhalten welche nur fr die Vorlesungen gilt. Diese ist es allerdings mein Vorsatz bis zu

    dem Zeitpunkt fortzufhren wo das Mittelalter zu Rom vllig eintritt, und die letzten glimmenden

    Funken des Alterthums erlschen: nicht so die Bearbeitung als historische Schrift. Vergnnt es mir

    das Schicksal diese zu vollenden, so wird sie aufhren wo Gibbons Geschichte beginnt: welche eine

    neue Bearbeitung zuverlssig sehr entbehrlich und verwegen macht. Was diesem Werk fr den

    ferneren Zeitraum fehlt und fehlen durfte, knnen, ohne die Anmaaung eines Wetteifers,

    Abhandlungen ber Verfassung, Verwaltung und hnliche Gegenstnde ersetzen.

    Zu abgesonderten Abhandlungen wrden vielleicht, nach der Meisten Urtheil, auch viele der in

    die Geschichte der ltesten Zeit, welche in den beyden ersten Bnden enthalten ist, episodisch

    verflochtenen Untersuchungen sich besser geschickt haben. Der Verdru eine angelegte Arbeit

    aufzulsen und gnzlich umzubilden, kann, wenn er auch verzeihlich ist, den Schriftsteller nicht

    rechtfertigen das Zweckmigere || versumt zu haben. Htte ich aber auch, ohne da dieser

    Verdru zu bekmpfen gewesen wre, mit vollstndigen Vorarbeiten, die Ausfhrung des Werks

    vom Anfang beginnen knnen, so wrde ich dennoch geglaubt haben den Plan vorziehen zu

    mssen, welcher sich jetzt fast unwillkhrlich gebildet und erhalten hat. Die entscheidenden Grnde

    sind an einer Stelle dieses Werks selbst angedeutet: vielleicht ist es hier noch eigentlicher der

    gebhrende Ort sie vorzutragen.

    Die Geschichte der vier ersten Jahrhunderte Roms ist anerkannt ungewi und verflscht. Es wre

    sehr thricht deswegen Livius zu tadeln da er sie dennoch, wenige Zweifel ausgenommen, als

    reinhistorisch dargestellt hat: die Vortrefflichkeit seiner Erzhlung macht seine Rechtfertigung, und

    auch in dieser Hinsicht war es sehr richtig ihn mit Herodot zu vergleichen. Wir aber haben eine

    andre Ansicht der Historie, andre Forderungen: und wir mssen es entweder nicht unternehmen die

    lteste Geschichte Roms zu schreiben, oder eine ganz andre Arbeit unternehmen als eine,

    nothwendig milingende, Nacherzhlung dessen, was der rmische Historiker zum Glauben der

    Geschichte erhob. Wir mssen uns bemhen Gedicht und Verflschung zu scheiden, und den Blick

    anstrengen um die Zge der Wahrheit, befreyt von jenen Uebertnchungen, zu erkennen. Je- || nes,

    die Trennung der Fabel, die Zerstrung des Betrugs, mag dem Kritiker gengen: er will nur eine

    tuschende Geschichte enthllen, und er ist zufrieden einzelne Vermuthungen aufzustellen,

    whrend der grere Theil des Ganzen in Trmmern bleibt.

  • Der Historiker aber bedarf Positives: er mu wenigstens mit Wahrscheinlichkeit Zusammenhang,

    und eine glaublichere Erzhlung an der Stelle derjenigen entdecken welche er seiner Ueberzeugung

    aufopfert. Trennt er nun von seinem Werk die Untersuchungen wodurch er glaubt Schatten der

    untergegangenen Zeiten hervorgerufen zu haben, fo mu er entweder dem Gebrauch ihrer Resultate

    entsagen, oder er luft Gefahr den Schein zu tragen, anmaassend und verwegen fr historische

    Wahrheit auszugeben, was nur Hypothese oder schwankende Mglichkeit sey: eine theure Bue fr

    hhere Concinnitt der allgemeinen Abfassung.

    Die Begebenheiten der Geschichte setzen die Verfassung und Grundgesetze als Ethos der Nation

    voraus: ihre Kunde ist aber fr die alten Zeiten noch dunkler und verworrener als jene verflscht

    sind. Vielleicht ist es mglich ber ihre Wahrheit zu einer weit strkeren Helle zu gelangen als, im

    Allgemeinen, ber die Geschichte im engeren Sinn: was aber nur durch Combinationen gefolgert,

    wre es auch selbst || erwiesen, werden kann, darf wenigstens erst dann als historisch, ohne

    ausfhrlichen Beweis, erscheinen wenn es schon einmal allgemeine Aufnahme, und Besttigung

    durch vielfach bereinstimmende Ueberzeugung gewonnen hat, welche allerdings so gut wie neue

    Beweisstellen eine verstrkte Beglaubigung ist. Bis dahin drfen die Untersuchungen ihre

    furchtsamere Gestalt nicht ndern.

    Auch diese werden Verschiedene verschieden behandeln: eben so eines Andern Arbeit und

    Verfahren beurtheilen. Manchen mag es nothwendig scheinen sich auf Sammlungen der

    verstmmelten Fragmente alter Nachrichten zu beschrnken, ohne eine Auflsung ihrer Rthsel zu

    versuchen: dem Trieb zu widerstehen durch Anstrengung des Blicks die Form des Ganzen zu

    errathen dem sie angehrten. Eine solche leblose Zusammenstellung ist aber ganz nutzlos: und doch

    htte nur der welcher sich vllig bey ihr beruhigt ein Recht den Versuch zu tadeln Sinn und

    Zusammenhang zu entdecken wo er unfehlbar einst war, und vielleicht aus einzelnen Spuren

    entdeckt werden kann, wenn auch der Erfolg der Bestrebung zweifelhaft scheint: jeder Andre kann

    nicht fordern da die Grnze welche er sich selbst zieht oder fr sich gelten lt, allgemein

    verbindlich seyn solle.

    Neuere Bearbeitungen der rmischen Geschichte habe ich weder bey frherem Studium noch

    whrend des Fortgangs der Vorlesungen benutzt: dieses hat der historischen Ausarbeitung die

    Versuchung zu Controversen erspart, welche die Beschaffenheit des Werks nicht duldete, und die

    an sich der Wissenschaft wenig fruchten, besser durch mglichst vollstndige Untersuchung ersetzt

    werden: ist die aufgestellte Meinung als wahr oder als die wahrscheinlichste erwiesen, so bedarf es

    keiner namentlichen Widerlegung des Gegentheils. Wo aber, und dieses ist mit Beauforts kritischer

    Abhandlung allerdings der Fall, gleiche Prfung gleiche Resultate gewhrt hat, war doch die

    bestimmte Erwhnung des Andern theils unmglich, theils berflssig. Denn ich las sie erst als

    dieser Theil schon weit im Druck vorgerckt war, und fr das brige, so wie fr den nchsten Band

    war die Uebereinstimmung ohne eine mittelbare oder unmittelbare Benutzung ganz unabhngig

    entstanden; so da mir jener mehr Gewhrsmann als Vorgnger gewesen war.

    Nicht frher als jenes gehaltvolle Werk kam Levesques Geschichte in meine Hnde. Beauforts

    Untersuchungen und Zweifel sind hier aufgenommen; wenn man diese absondert, werden sich,

    ausgenommen in der Vermuthung des etruskischen Ursprungs || der Stadt, wenige Punkte finden wo

    unsre Ansichten ber die verborgene Wahrheit der alten Geschichte zusammentrfen.

    Micalis Geschichte des alten Italiens hat meine Wnsche so wenig erfllt als die Vortheile

    benutzt wodurch ein italienischer Geschichtsforscher alle Transalpiner von der Mitbewerbung

    abschrecken knnte. Doch mu man ihm fr seinen Atlas Dank wissen.

  • Ein Werk welches mehr Anspruch macht ein gelehrtes zu seyn als ein Kunstwerk darf eine

    schonende Beurtheilung der Sprache und Darstellung fordern. Auch einem Meister mchte es

    schwer geworden seyn die Schwerflligkeit weitluftiger Untersuchungen zu heben, und die

    zusammengebrachten starren Theile frey zu behandeln. Ungleichheiten der Orthographie und

    Interpunction, wovon dieser Band keineswegs frey ist, sind an sich Unwesentlichkeiten, die nur das

    durch die Regelmigkeit der gedruckten Werke verwhnte Auge beleidigen, den Alten sehr

    geringfgig erschienen. Eine aufmerksame und unbefangne Erwgung und Prfung des Inhalts darf

    der fordern welcher sich bewut ist da er Wahrheit suchte, ohne alle Parthey und Polemik schrieb.

    Es giebt eine Begeisterung die von der Gegenwart und dem Umgang geliebter Personen ausgeht:

    || eine unmittelbare Einwirkung wodurch sich uns die Musen offenbaren, Lust und Kraft wecken,

    und den Blick erhellen: der ich in meinem ganzen Leben das Beste was ich war verdankte. So

    verdanke ich es den Freunden in deren Mitte ich zu lange aufgegebenen oder schwach gehegten

    Studien zurckkehrte, wenn es mit Erfolg geschehen ist. Dafr segne ich das geliebte Andenken

    meines verewigten Spalding: dafr gestattet mir Euch ffentlich Dank zu sagen, Savigny,

    Buttmann und Heindorf, ohne welche und unsern hingeschiedenen Freund ich mich wohl nie zu

    diesem Werk ermuntert gefhlt htte, ohne deren liebende Theilnahme und belebende Gegenwart es

    schwerlich ausgefhrt wre.