Wandel in der Osteosynthesetechnik bei Frakturen des Tibiakopfs

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Trotz großer therapeutischer Fortschrit- te sind die Behandlungergebnisse von Tibiakopffrakturen in bis zu 30% der Fälle unbefriedigend [1, 4, 7]. Die Wundinfektionsrate liegt bei bis zu 13%. Komplikationen sind neben Wundhei- lungsstörungen und Osteonekrosen v. a. schmerzhafte posttraumatische Ar- throsen mit Gelenkeinsteifung, Defor- mität oder Instabilität. Bei den durch das Trauma häufig stark geschädigten Weichteilen stellen v. a. große chirur- gische Zugänge mit z. T. ausgedehnten Weichteilablösungen sowie voluminö- se Implantate ein besonderes Problem dar. Hier bieten sich zunehmend Mög- lichkeiten zur Verbesserung des chirur- gischen Managements dieser anspruchs- vollen Frakturen. Lösungsmöglichkei- ten liegen im Einsatz minimalinvasi- ver Zugänge sowie indirekter Reposi- tions- und Osteosynthesetechniken [2, 3, 6]. Der Einsatz von Implantaten wird auf das biomechanisch erforderliche Minimum beschränkt [5]. Planung des minimalinvasiven operativen Vorgehens Zur Planung eines minimalinvasiven operativen Vorgehens sind präoperati- ve Spiral-CT-Untersuchungen mit fron- talen, sagittalen und 3D-Rekonstruk- tionen besonders wertvoll. Durch Sub- traktion der Femurkondylen läßt sich die Gelenkfläche des Tibiaplateaus di- rekt beurteilen. MRT-Untersuchungen sind zur präoperativen Diagnostik von ligamentären und Meniskusbegleitver- letzungen bei Luxationsfrakturen hilf- reich. Eine exakte Klassifizierung in Plateaufrakturen (P) (AO) und Luxa- tionsfrakturen (L) [4] ist zu Festlegung der Operationstaktik nach wie vor un- abdingbar. Minimalinvasive Techniken Als minimalinvasive Techniken stehen arthroskopisch und radiologisch assi- stierte Verfahren zur Verfügung. Für die intraoperative radiologisch kon- trollierte Reposition bewähren sich hochauflösende Durchleuchtungsein- heiten (BV) (100-Hz-Monitor, 23 cm Bildformat, Bildspeicher, gepulste Druchleuchtungsoption). Arthroskopie und BV können in vielen Situationen auch mit Vorteil kombiniert eingesetzt werden. Geeignete Frakturformen sind Plateaufrakturen P1 und P2 sowie Luxa- tionsfrakturen L1 und L2. In Einzelfäl- len können auch P3- und L4- sowie L5- Frakturen arthroskopisch/radiologisch reponiert werden. Die Reposition er- folgt über kleine Zugänge bis hin zu Stichinzisionen. Über kleine Knochen- fenster können Knochenstößel zur An- hebung von eingedrückten Gelenkan- teilen eingebracht werden. Unterstüt- zend können der Distraktor oder per- kutan eingebrachte Beckenreposition- Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] : S13–S14 © Springer-Verlag 2000 Wandel in der Osteosynthesetechnik bei Frakturen des Tibiakopfs Reinhard Hoffmann Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Charité, Humboldt-Universität Berlin Priv.-Doz. Dr. R. Hoffmann, Zentrum für Schwerbrandverletzte, Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Städtische Klini- ken Offenbach, Akademisches Lehrkranken- haus der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt, Starkenburgring 66, D-63069 Offen- bach Tel.: 069-84053980, Fax: 069-84053912 S13 Zusammenfassung Bei der operativen Versorgung von Tibiakopffrakturen rücken zuneh- mend minimalinvasive Techniken in den Vordergrund. Die Gelenk- flächenrekonstruktion erfolgt ar- throskopisch und radiologisch kon- trolliert über kleine Zugänge. Ge- lenkfragmente werden über Stich- inzisionen mit kanülierten Schrau- bensystemen stabilisiert. Bei der Auffüllung spongiöser Defektzonen bewähren sich Knochenersatzma- terialien wie Hydroxylapatit. Zur Stabilisierung des rekonstruierten Gelenkblocks nach meta- bzw. dia- physär werden eingeschobene Plat- ten- und Hybridfixateursysteme eingesetzt. Voluminöse Implantate werden vermieden. Insgesamt kann hierdurch das operationsbedingte Weichteiltrauma verringert wer- den. Klar definierte Indikationen, weiterentwickelte Implantate und standardisierte Techniken werden den minimalinvasiven Osteosyn- theseverfahren bei Tibiakopffrak- turen in Zukunft einen zentralen Stellenwert einräumen. Schlüsselwörter Tibiakopffraktur · Minimalinva- siv · Kanülierte Schrauben · Hy- bridfixateur · Plattenosteosynthese · Knochenersatz UNFALLCHIRURGIE AKTUELL

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Trotz großer therapeutischer Fortschrit-te sind die Behandlungergebnisse vonTibiakopffrakturen in bis zu 30% derFälle unbefriedigend [1, 4, 7]. DieWundinfektionsrate liegt bei bis zu 13%.Komplikationen sind neben Wundhei-lungsstörungen und Osteonekrosen v.a. schmerzhafte posttraumatische Ar-throsen mit Gelenkeinsteifung, Defor-mität oder Instabilität. Bei den durchdas Trauma häufig stark geschädigtenWeichteilen stellen v. a. große chirur-gische Zugänge mit z. T. ausgedehntenWeichteilablösungen sowie voluminö-se Implantate ein besonderes Problemdar. Hier bieten sich zunehmend Mög-lichkeiten zur Verbesserung des chirur-gischen Managements dieser anspruchs-vollen Frakturen. Lösungsmöglichkei-ten liegen im Einsatz minimalinvasi-ver Zugänge sowie indirekter Reposi-tions- und Osteosynthesetechniken [2,3, 6]. Der Einsatz von Implantaten wirdauf das biomechanisch erforderlicheMinimum beschränkt [5].

Planung des minimalinvasiven operativen Vorgehens

Zur Planung eines minimalinvasivenoperativen Vorgehens sind präoperati-ve Spiral-CT-Untersuchungen mit fron-

talen, sagittalen und 3D-Rekonstruk-tionen besonders wertvoll. Durch Sub-traktion der Femurkondylen läßt sichdie Gelenkfläche des Tibiaplateaus di-rekt beurteilen. MRT-Untersuchungensind zur präoperativen Diagnostik vonligamentären und Meniskusbegleitver-letzungen bei Luxationsfrakturen hilf-reich. Eine exakte Klassifizierung inPlateaufrakturen (P) (AO) und Luxa-tionsfrakturen (L) [4] ist zu Festlegungder Operationstaktik nach wie vor un-abdingbar.

Minimalinvasive Techniken

Als minimalinvasive Techniken stehenarthroskopisch und radiologisch assi-stierte Verfahren zur Verfügung. Fürdie intraoperative radiologisch kon-trollierte Reposition bewähren sichhochauflösende Durchleuchtungsein-heiten (BV) (100-Hz-Monitor, 23 cmBildformat, Bildspeicher, gepulsteDruchleuchtungsoption). Arthroskopieund BV können in vielen Situationenauch mit Vorteil kombiniert eingesetztwerden. Geeignete Frakturformen sindPlateaufrakturen P1 und P2 sowie Luxa-tionsfrakturen L1 und L2. In Einzelfäl-len können auch P3- und L4- sowie L5-Frakturen arthroskopisch/radiologischreponiert werden. Die Reposition er-folgt über kleine Zugänge bis hin zuStichinzisionen. Über kleine Knochen-fenster können Knochenstößel zur An-hebung von eingedrückten Gelenkan-teilen eingebracht werden. Unterstüt-zend können der Distraktor oder per-kutan eingebrachte Beckenreposition-

Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] :S13–S14 © Springer-Verlag 2000

Wandel in der Osteosynthesetechnik bei Frakturen des Tibiakopfs

Reinhard HoffmannUnfall- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Charité, Humboldt-Universität Berlin

Priv.-Doz. Dr. R. Hoffmann, Zentrum fürSchwerbrandverletzte, Klinik für Unfall- undWiederherstellungschirurgie, Städtische Klini-ken Offenbach, Akademisches Lehrkranken-haus der Johann-Wolfgang-Goethe-UniversitätFrankfurt, Starkenburgring 66, D-63069 Offen-bachTel.: 069-84053980, Fax: 069-84053912

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Zusammenfassung

Bei der operativen Versorgung vonTibiakopffrakturen rücken zuneh-mend minimalinvasive Technikenin den Vordergrund. Die Gelenk-flächenrekonstruktion erfolgt ar-throskopisch und radiologisch kon-trolliert über kleine Zugänge. Ge-lenkfragmente werden über Stich-inzisionen mit kanülierten Schrau-bensystemen stabilisiert. Bei derAuffüllung spongiöser Defektzonenbewähren sich Knochenersatzma-terialien wie Hydroxylapatit. ZurStabilisierung des rekonstruiertenGelenkblocks nach meta- bzw. dia-physär werden eingeschobene Plat-ten- und Hybridfixateursystemeeingesetzt. Voluminöse Implantatewerden vermieden. Insgesamt kannhierdurch das operationsbedingteWeichteiltrauma verringert wer-den. Klar definierte Indikationen,weiterentwickelte Implantate undstandardisierte Techniken werdenden minimalinvasiven Osteosyn-theseverfahren bei Tibiakopffrak-turen in Zukunft einen zentralenStellenwert einräumen.

Schlüsselwörter

Tibiakopffraktur · Minimalinva-siv · Kanülierte Schrauben · Hy-bridfixateur · Plattenosteosynthese ·Knochenersatz

UNFALLCHIRURGIE AKTUELL

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zangen eingesetzt werden. Die Osteo-synthese der Gelenkfragmente erfolgtmit über Stichinzisionen eingebrach-ten kanülierten Schraubensystemen.Spongiosadefekte werden mit Knochen-ersatzmaterialien (z. B. Hydroxylapa-tit) aufgefüllt. Hierdurch läßt sich dieMorbidität der Spongiosaentnahmestel-len am Beckenkamm vermeiden.

Zur Abstützung des rekonstruiertenGelenkblocks nach meta- sowie dia-physär werden eingeschobene Titan-großfragment-LC-DC-Platten einge-setzt. Diese werden an die Kontur derproximalen Tibia anmodelliert und überStichinzisionen auf das Periost einge-schoben. Das Besetzen der Platten-löcher mit Schrauben erfolgt ebenfallsüber Stichinzisionen unter BV-Kon-trolle. Falls biomechanisch erforder-lich, kann auf der gegenüberliegendenKortikalisseite supportiv ein Klam-merfixateur angebracht werden. Hiererfüllt bereits häufig der AO-Handfixa-teur mit seinen kleinen Schanz-Schrau-ben die biomechanischen Anforderun-gen, die an ein supportives Implantatgestellt werden. Die Technik der einge-schobenen Platten ist anspruchsvoll, daFehler in der Plattenvorbiegung leichtzu Achsfehlstellungen führen können.Die Nachbehandlung muß differenziert,mit entsprechenden Anforderungen andie Patientencompliance, erfolgen.

Der Hybridfixateur ist ein alternati-ves Verfahren zur Stabilisierung desTibiakopfs gegen den Tibiaschaft. Erbewährt sich v. a. bei höhergradigemWeichteilschaden z. B. im Rahmen ei-nes Komplextraumas. Wegen seiner bio-mechanischen Besonderheiten eigneter sich aber auch besonders bei höher-gradiger Osteoporose und bei geringerPatientencompliance.

Sekundäre Achskorrekturen sind pro-blemslos möglich. Die proximalen Kirschner-Drähte müssen zur Vermei-dung von Gelenkinfekten, die sich überPin-tract-Infektionen entwickeln kön-nen, mindestens 2 cm vom Gelenkspaltentfernt plaziert werden.

Resümee

Aufgrund ihrer offensichtlichen Vor-teile haben sich die minimalinvasivenTechniken bereits in kurzer Zeit einenfesten Stellenwert in der operativenBehandlung von Tibiakopffrakturen ge-sichert. Offene Fragen betreffen nochdie differenzierte Indikationsstellungfür die einzelnen Verfahren sowie ihreAbgrenzung gegenüber den in Einzel-fällen nach wie vor indizierten „klassi-schen“ Techniken. Die Implantatwei-terentwicklung läßt in naher Zukunftvorgefertigte eingeschobene und win-kelstabile Plattensysteme mit inte-griertem Führungs- und Zielbügel er-warten. Randomisierte und Outcome-Studien müssen in Zukunft den Wertder minimalinvasiven Techniken ge-genüber den herkömmlichen Osteo-synthesetechniken dokumentieren.

Literatur

1. Hertel P (1997) Tibiakopffrakturen. Unfall-chirurg 100:508–523

2. Koval KJ, Sander R, Borelli J, Helfet D, DiPasquale T (1992) Indirect reduction and per-cutaneous screw fixation of displaced tibialplateau fractures. J Orthop Trauma 6:340–346

3. Lobenhoffer P, Schulze M, Tscherne H (1996)Die minimal-invasive Osteosynthese vonTibiakopffrakturen. Unfallchirurg 99:569–575

4. Moore TM (1981) Fracture-dislocation of theknee. Clin Orthop 156:128–140

5. Raschke M, Hoffmann R, Khodadadyan C,Fournier C von, Südkamp NP, Haas NP(1995) Kombination des Ilisarov-Ringfixa-teurs mit dem unilateralen AO-Rohrfixateur.Erste klinische Erfahrungen mit dem Hy-bridsystem. Unfallchirurg 98:627–632

6. Raschke M, Hoffmann R, Khodadadyan C,Südkamp N, Haas NP (1996) SupportiveComposite-Hybridfixation perkutan ver-schraubter Tibiakopffrakturen. Unfallchirurg99:855–860

7. Tscherne H, Lobenhoffer P (1993) Tibialplateau fractures. Management and expectedresults. Clin Orthop 291:87-100

S14

UNFALLCHIRURGIE AKTUELL

Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] :S13–S14© Springer-Verlag 2000

Advances in fixation techniques for tibial plateau fractures

R. Hoffmann

Abstract

Minimally invasive fixation tech-niques are growing in importancein internal fixation of tibial plateaufractures. Reconstruction of thejoint surface is accomplishedthrough small surgical incisionswith arthroscopic and fluoroscop-ic control. Cannulated screw sys-tems are inserted through stab in-cisions to fix fracture fragments.Cancellous bone defects are graft-ed with ceramic bone substitutessuch as hydroxy apatites. The jointreconstruction is neutralised to-wards the tibial shaft by means ofpush-in preshaped plates insertedthrough small incisions or hybrid-type external fixators. This reducessurgical soft tissue trauma signifi-cantly. Well-defined indications,improved implants and standard-ised techniques will validate therole of these minimally invasivefixation procedures in the future.

Key words

Tibial plateau fractures · Minimal-ly invasive surgery · Cannulatedscrews · Hybrid external fixator ·Plate osteosynthesis · Bone substi-tutes