Was Sie schon immer über die Mindestlohn-Initiative wissen wollten (FAQ)
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Transcript of Was Sie schon immer über die Mindestlohn-Initiative wissen wollten (FAQ)
Was Sie schon immer über die
Mindestlohn-Initiative (und ver-
wandte Themen) wissen wollten
Was ist ein Mindestlohn?
Ein Mindestlohn ist der tiefste rechtlich zulässige Lohn für geleistete Arbeit.
Die Festsetzung erfolgt durch ein Gesetz oder durch einen Gesamtarbeits-
vertrag. Ein Mindestlohn kann sich auf den Stundenlohn oder den Monats-
lohn bei Vollzeitbeschäftigung beziehen. Neben nationalen Mindestlöhnen
gibt es auch solche, die sich nur auf bestimmte Regionen oder Städte be-
ziehen. Eine weitere Erscheinungsform sind branchenspezifische Mindest-
löhne, die nur für eine bestimmte Branche gelten, zum Beispiel den Bau
oder die Reinigungsbranche.
Die Schweiz kennt bis heute keinen gesetzlichen nationalen Mindestlohn.
Was ist ein Gesamtarbeitsvertrag (GAV)?
Ein Gesamtarbeitsvertrag (GAV) ist eine schriftliche Vereinbarung zwi-
schen Gewerkschaften und einzelnen Arbeitgebern oder Unternehmerver-
bänden. Der GAV legt Arbeitsbedingungen fest und regelt das gegenseitige
Verhältnis der Parteien – man nennt das auch Sozialpartnerschaft. Einzelar-
beitsverträge dürfen nicht schlechter sein, als das, was im Gesamtarbeits-
vertrag geregelt ist. Im Gesamtarbeitsvertrag werden in der Regel Arbeits-
zeiten, Ferien, Kündigungsfrist, Mindestlöhne und weitere Arbeitsbedingun-
gen festgelegt. Es gibt sowohl gesamtschweizerische wie auch kantonale
Gesamtarbeitsverträge.
Man kennt im Wesentlichen folgende Arten von Gesamtarbeitsverträgen:
Gesamtarbeitsvertrag, der nur für die Unternehmen bindend ist, die
Mitglied des jeweiligen Unternehmerverbands sind.
Gesamtarbeitsvertrag, der nur für das Unternehmen bindend ist, das
den Vertrag abgeschlossen hat.
Gesamtarbeitsvertrag, der von der Kantonsregierung für allgemein-
verbindlich erklärt worden ist. Dieser ist dann für alle Arbeitgeber im
Kanton verbindlich.
Die Schweiz kennt bis heute keinen Mindest-lohn.
Auch in Gesamt-arbeitsverträgen gibt es Mindest-löhne.
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Gesamtarbeitsvertrag, der vom Bundesrat für allgemeinverbindlich
erklärt worden ist. Dieser ist dann für alle Arbeitgeber verbindlich.
In der Schweiz profitieren etwa 50 Prozent aller Beschäftigten vom Schutz
eines Gesamtarbeitsvertrags.
Gibt es Mindestlöhne nur in links regierten Ländern?
Nach einer Statistik der internationalen Arbeitsorganisation (ILO), einer Or-
ganisation der UNO, gibt es in über 90 Prozent ihrer 182 Mitgliedstaaten
einen Mindestlohn. Länder ohne Mindestlohn wie die Schweiz sind also eher
die Ausnahme als die Regel. 20 der 27 Länder der EU kennen einen Min-
destlohn.
Sind Mindestlöhne eine „neue Erfindung“?
Erste lokale Mindestlohnregelungen gab es bereits gegen Ende des 19.
Jahrhunderts. Ab 1894 vergab die Stadt Amsterdam öffentliche Aufträge nur
noch an Unternehmen, die ihre Beschäftigten nicht unter einem Mindestlohn
bezahlten. 1896 wurden in Neuseeland Lohnschlichtungsstellen eingeführt,
gefolgt von Australien im Jahre 1899 und Grossbritannien im Jahre 1909.
Das argentinische Mindestlohnsystem hat seinen Ursprung im Jahre 1918.
Auch eine Reihe von Entwicklungsländern beschloss in der ersten Hälfte des
20. Jahrhunderts Mindestlöhne, darunter Sri Lanka im Jahre 1927. Zu ande-
ren Ländern mit einer langen Erfahrung mit Mindestlöhnen gehören u.a. die
Vereinigten Staaten (seit 1938), Frankreich (1950) oder die Niederlande
(1968).
In der Schweiz gibt es seit über 100 Jahren Mindestlohnregelungen in Ge-
samtarbeitsverträgen. 1911 wurde der Gesamtarbeitsvertrag auf Bundes-
ebene rechtlich geregelt. Seit den 1940er Jahren gibt es Gesamtarbeitsver-
träge mit allgemeinverbindlichen Mindestlöhnen.
Was sagen die Ökonomen zur Idee eines Mindestlohns?
In den 1990er Jahren setzte bei den Ökonomen ein Meinungswandel in Be-
zug auf Mindestlöhne ein. Vorher waren viele der Ansicht, dass Mindestlöh-
ne zu mehr Arbeitslosigkeit führen. Seither wurden unzählige Studien ge-
macht. Sie zeigen: Höhere Mindestlöhne sind möglich, ohne dass die Ar-
beitslosigkeit steigt.
Ein Hauptargument für Mindestlöhne ist die Verbesserung der Einkommens-
situation von Beschäftigten im Niedriglohnsektor. Ein Hauptargument da-
90 Prozent aller Länder kennen Mindestlöhne.
Mindestlöhne gibt es seit 1894.
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gegen ist der mögliche Verlust von Arbeitsplätzen. Die Wirkung von Mindest-
löhnen auf das Beschäftigungsniveau ist allerdings sehr umstritten. Während
einige Ökonomen glauben, dass die Einführung eines Mindestlohns Arbeits-
plätze kostet, sind andere überzeugt, dass dank Mindestlöhnen die Zahl der
Arbeitsplätze sogar wachse.
Diese zweite These wird von neueren Studien bestätigt. So zeigt eine jetzt
veröffentlichte Mammut-Untersuchung des Arbeitsmarkt-
Forschungszentrums der US-Eliteuniversität Berkeley: Höhere Mindestlöhne
haben in den Vereinigten Staaten in den vergangenen 16 Jahren keine Jobs
vernichtet. "Wir finden keine negativen Beschäftigungseffekte", lautet das
Fazit der Arbeit mit dem Titel Minimum Wage Effects Across State Borders.
Welche ökonomischen Argumente werden denn gegen einen Mindest-
lohn angeführt?
Für manche Ökonomen (und Unternehmer) sind Löhne nichts anderes als
Kosten. Jeder Arbeitnehmer ist somit ein Kostenfaktor. Wenn die Kosten für
die Beschäftigung des Arbeitnehmers und für seinen Arbeitsplatz tiefer sind
als das, was dieser Arbeitnehmer durch seine Arbeit erwirtschaftet, dann
lohnt es sich (aus Sicht des Unternehmers) einen solchen Arbeitnehmer zu
beschäftigen.
Wenn aber der Lohn und die Arbeitsplatzkosten höher sind, als das, was der
Arbeitnehmer erarbeitet, dann lohnt sich eine Weiterbeschäftigung oder eine
Anstellung nicht.
Durch die Festlegung eines staatlichen Mindestlohnes – so die Theorie –
könne es nun geschehen, dass ein Unternehmer gezwungen werde, seinen
unproduktiven, weil gering qualifizierten Arbeitnehmern einen höheren Lohn
zu zahlen, als er mit ihnen verdienen könne. Also werde er diese Arbeits-
plätze so schnell wie möglich abbauen. Unternehmen seien schliesslich kei-
ne Wohlfahrtseinrichtungen.
Was ist gegen diese Arbeitsplatzverlust-Theorie zu sagen?
Zunächst einmal, dass sie lediglich eine Theorie ist, die von der Realität wi-
derlegt wird. Ein Beispiel: Der US-Bundesstaat New Jersey hatte den Min-
destlohn um fast 20 Prozent erhöht, im benachbarten Pennsylvania verharr-
te er auf dem bisherigen Niveau. In einer Untersuchung stellten Forscher
dann fest: Obwohl einfache Arbeit in New Jersey erheblich teurer wurde, fie-
len dort keine Jobs weg. Im Gegenteil: Fast-Food-Restaurants in New Jer-
sey stellten mehr Personal ein als ihre Konkurrenten in Pennsylvania.
Unter den Öko-nomen gibt es Be-fürworter und Gegner eines Mindestlohns.
Mehr Arbeitsplät-ze dank Mindest-löhnen.
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Das Fazit der Forscher: Höhere Mindestlöhne haben tatsächlich die sozial-
politisch gewünschte Wirkung. Wenn ein Bundesstaat den Mindestlohn er-
höhte, stiegen danach die Einkommen der betroffenen Beschäftigten auch
deutlich an – die Arbeitgeber konnten die Gesetze also nicht umgehen. Auf
die höheren Lohnkosten reagierten sie dennoch nicht mit Entlassungen.
Das ist aber nicht logisch. Oder doch?
Auf den ersten Blick nicht. Diese Ergebnisse stützen jedoch die Theorie des
britischen Arbeitsmarkt-Forschers Alan Manning. Der Professor der renom-
mierten London School of Economics propagiert seit mehr als zehn Jahren,
dass wirkliche Arbeitsmärkte nicht so perfekt funktionieren, wie es Ökono-
men in ihren Modellen und Theorien unterstellen. Im wirklichen Leben wür-
den die Arbeitgeber gerade im Niedriglohnsektor über grosse Marktmacht
verfügen – diese erlaube es ihnen, die Löhne ihrer Beschäftigten weit unter
das Produktivitätsniveau zu drücken. Wenn das so ist, können staatliche
Lohnuntergrenzen die Einkommen von Geringqualifizierten erhöhen, ohne
dass Arbeitsplätze verloren gehen.
Das ist aber noch nicht alles: Mindestlöhne steigern auch die Motivation der
Mitarbeiter, sie senken die Personalfluktuation und bringen dadurch eine
bessere Produktivität.
Selbst gesamtwirtschaftlich bringen Mindestlöhne Vorteile und kurbeln das
Beschäftigungswachstum an: Dank der Mindestlöhne verfügen auch tiefere
Einkommen über eine höhere Kaufkraft, was ihnen erlaubt, mehr zu konsu-
mieren. Das wiederum führt wegen der gestiegenen Nachfrage zu einem
Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum.
Dass es keinen Zusammenhang zwischen Mindestlohn und Arbeitslosigkeit
gibt, zeigt auch diese Grafik. So gibt es offenbar Länder mit hohem Mindest-
lohn und niedriger Arbeitslosigkeit und solche mit tiefem Mindestlohn und
hoher Arbeitslosigkeit. Und es gibt auch alles dazwischen...
Mindestlöhne steigern die Pro-duktivität und Motivation der Mitarbeiter.
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Vermutlich gibt es aber noch mehr Einwände gegen einen Mindest-
lohn?
Ein anderes Ökonomenargument ist die Behauptung, die Unternehmer wür-
den die Mehrkosten, die ihnen ein Mindestlohn verursache, dadurch kom-
pensieren, dass sie die Löhne derjenigen kürzen, die knapp über dem Min-
destlohn liegen. Ein Mindestlohn habe zudem die Tendenz, sich zum „Nor-
mallohn“ zu entwickeln. Das allgemeine Lohnniveau sinke deshalb.
Stimmt das auch nicht?
Arbeitgeber, die so handeln, würden sich ins eigene Fleisch schneiden. Wer
den ohnehin schon tiefen Lohn seiner Angestellten kürzt, torpediert deren
Motivation. Ihre Produktivität ginge stark zurück.
Ausserdem setzt diese Argumentation voraus, dass ein Mindestlohn die üb-
lichen Lohnfindungsmechanismen quasi ausser Kraft setzen würde. Das ist
aber nicht der Fall. Nach wie vor werden die Konjunkturlage, die allgemeine
Produktivität bzw. ihr Wachstum, die Stärke der Gewerkschaften, das Ni-
veau der Arbeitslosigkeit usw. Einfluss auf die Lohnbildung haben. Der ein-
zige Unterschied: Es wird keine Löhne unter dem Existenzminimum mehr
geben.
Löhne werden auch in Zukunft ausgehandelt werden müssen – aber es wird kei-ne Hungerlöhne mehr geben.
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Die Initiative will zudem eine Stärkung der Gesamtarbeitsverträge. Damit
sollen alle Löhne – nicht nur die ganz tiefen – geschützt werden.
Dann gibt es doch noch das Argument, dass niedrige Löhne gesamt-
wirtschaftlich sinnvoll seien?
Niedrige und sinkende Löhne haben nach dieser Lehrmeinung eine ge-
samtwirtschaftlich sinnvolle Funktion: Sie würden ein Überangebot an Ar-
beitskräften in dem betroffenen Bereich signalisieren und die arbeitswilligen
Menschen veranlassen, sich anderen Branchen, bzw. Berufen sowie Qualifi-
zierungs- und Weiterbildungsmassnahmen zuzuwenden. Diese Signalfunkti-
on des Lohnes werde durch eine Mindestlohnregelung behindert.
Dazu ist zu sagen, dass eine solche Argumentation äusserst zynisch ist und
ein verqueres Menschenbild voraussetzt. Sie geht nämlich davon aus, dass
Menschen freiwillig in einem Beruf oder in einer Branche arbeiten, in dem sie
so wenig verdienen, dass sie davon nicht leben können. Aber auch ein Min-
destlohn wird kein Leben in Luxus erlauben. Er wird knapp über dem Exis-
tenzminimum liegen. Allein aus der Tatsache, dass ein Arbeitnehmer mit
Mindestlohn nicht mehr auf die Sozialhilfe angewiesen sein wird, gleich zu
schliessen, ihm fehle dann auch jede Motivation zur Verbesserung seiner
Lebenssituation, ist herabwürdigend.
Manche behaupten doch auch, ein Mindestlohn führe zu mehr
Schwarzarbeit?
Ja. Es wird gesagt, ein Mindestlohn untersage Arbeitsverhältnisse, die so-
wohl vom Arbeitgeber als auch vom Arbeitnehmer freiwillig eingegangen
worden wären, und von dem sich beide Seiten Vorteile versprochen hätten.
Da also offenbar Bereitschaft besteht, zum vereinbarten Lohn unter dem
Mindestlohnniveau zu arbeiten bzw. jemanden so zu beschäftigen, der Staat
das aber verbietet, wird eine Zunahme von Schwarzarbeit befürchtet.
Dieser Theorie ist entgegenzuhalten, dass wohl eher das Gegenteil richtig
ist. Wenn Menschen auch im Niedriglohnbereich für ihre Arbeit anständig
bezahlt werden müssen, dann fehlt ihnen der Anreiz, in ihrer Freizeit noch
schwarz zu arbeiten. Auch die Notwendigkeit, noch in einem Zweitjob Geld
verdienen zu müssen (wie z.B. Putzen am Abend, Zeitung vertragen am
Morgen, Verkauf am Samstag etc.), fällt weg, was wiederum dazu führt,
dass diese Jobs jemand anderem zur Verfügung stehen.
Niemand will sein Leben lang frei-willig auf dem Mindestlohn-niveau bleiben.
Weniger Schwarzarbeit dank Mindestlöh-nen.
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Welche Schlüsse kann man aus der Uneinigkeit der Ökonomen zum
Mindestlohn ziehen?
Ökonomen sind sich nicht grundsätzlich uneinig – es gibt Minderheitsmei-
nungen gegen den Mindestlohn. Je höher der Mindestlohn, desto mehr
Ökonomen haben Bedenken.
Ob die Einführung eines Mindestlohns in der Schweiz wünschbar ist oder
nicht, ist aber nicht in erster Linie eine Frage der Ökonomie. Sie kann uns
keine eindeutige Antwort geben, auch wenn immer mehr Experten die Auf-
fassung vertreten, dass ein staatlicher Mindestlohn auch ökonomisch eine
gute Sache wäre.
Die Notwendigkeit eines Mindestlohns lässt sich deshalb besser mit dem
Gebot der Gerechtigkeit als nur mit ökonomischen Überlegungen begrün-
den.
Es ist ungerecht, wenn jemand, der Vollzeit arbeitet, vom Lohn für seine Tä-
tigkeit nicht anständig leben kann. Es ist entwürdigend, wenn ein Mann oder
eine Frau nach acht, neun oder zehn Stunden harter Arbeit noch bei der So-
zialhilfe um Geld betteln muss, damit er oder sie über die Runden kommt. Es
ist falsch, wenn die Allgemeinheit über ihre Steuern quasi die Arbeitgeber
subventioniert und ihre zu tiefen Löhne über die Sozialhilfe aufstockt.
Armut macht krank und schliesst die Betroffenen vom gesellschaftlichen Le-
ben aus. Mit anderen Worten: Wer wenig verdient, lebt schlecht und stirbt
früh. „Ein Mensch muss von seiner Arbeit leben können und sein Lohn muss
wenigstens existenzsichernd sein!“ forderte darum Adam Smith, der Urvater
der liberalen Wirtschaftstheorie und des freien Marktes, bereits 1776.
Weshalb wollen die Gewerkschaften für die Schweiz einen gesetzlichen
Mindestlohn?
Es ist die Aufgabe der Gewerkschaften, die materielle Situation ihrer Mitglie-
der und aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verbessern. Sie tun
das, indem sie mit den Arbeitgebern verhandeln. Im Notfall greifen sie auch
zu Kampfmassnahmen wie Demonstrationen oder Streiks. Auf diese Weise
ist es ihnen immer wieder gelungen, die Situation der Arbeitnehmenden zu
verbessern, zum Beispiel durch die Festschreibung von Mindestlöhnen in
Gesamtarbeitsverträgen.
Leider gibt es Branchen oder auch Unternehmen, in denen es für die Ge-
werkschaften aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist, Einfluss zu
nehmen. Entweder weigern sich die Unternehmen grundsätzlich, mit den
Gewerkschaften zu verhandeln. Oder die Branche ist so strukturiert, dass es
Mindestlöhne sind eine Frage der Gerechtigkeit und nicht der Ökonomie.
Die Gewerkschaf-ten sind nicht überall gleich stark – darum braucht es einen gesetzlichen Min-destlohn.
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auf Arbeitgeberseite gar keine Organisationen gibt, mit denen die Gewerk-
schaften ins Gespräch kommen könnten (z.B. Privathaushalte).
Oft sind es solche gewerkschaftsfeindlichen Branchen, in denen die tiefsten
Löhne bezahlt werden und in denen der Niedriglohnbereich besonders gross
ist. Für rund 60 Prozent der Arbeitnehmenden ist kein Mindestlohn festge-
legt. In Branchen ohne GAV kommt es zudem immer wieder zu skandalösen
Fällen von Lohndumping. Skrupellose Arbeitgeber drücken die Löhne, um
sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen – zu Lasten der Beschäftigten,
der Qualität, der Kunden und nicht zuletzt der fairen Arbeitgeber, die an-
ständige Löhne zahlen.
Aus diesen Gründen haben die Gewerkschaften beschlossen, eine Mindest-
lohn-Initiative zu lancieren, die zwei Ziele verfolgt:
1. Der Staat soll mit geeigneten Massnahmen den Abschluss von Ge-
samtarbeitsverträgen mit Mindestlöhnen fördern, und dort wo das
nicht möglich ist soll er
2. einen gesetzlichen Mindestlohn vorschreiben.
Machen sich die Gewerkschaften mit einem gesetzlichen Mindestlohn
nicht überflüssig?
Nein. Die Mindestlohn-Initiative geht ausdrücklich davon aus, dass Lohnver-
handlungen in erster Linie eine Sache der Sozialpartner und nicht des Staa-
tes sind. Deshalb fordert das Volksbegehren die Förderung der Gesamtar-
beitsverträge. In solchen Verträgen werden nicht nur die Löhne, sondern
auch viele andere Arbeitsbedingungen (Ferien, Arbeitszeit, Sozialleistungen
usw.) geregelt. Die Gewerkschaften werden darum auch mit einem gesetzli-
chen Mindestlohn nicht überflüssig.
Aber kommen mit einem gesetzlichen Mindestlohn nicht die Mindest-
löhne in den GAVs unter Druck?
Auch Branchen, in denen bereits heute höhere GAV-Mindestlöhne gelten,
würden von einem guten gesetzlichen Mindestlohn profitieren: Wenn jede
Arbeit anständig bezahlt werden muss, können die Unternehmen nicht mehr
so leicht bestehende GAV umgehen und Lohnkosten auf dem Buckel der
Beschäftigten «sparen», indem sie notwendige Arbeiten in Tieflohnbranchen
«outsourcen» oder von «billigeren» temporär Beschäftigten erledigen las-
sen.
Gesamtarbeits-verträge und Mindestlöhne er-gänzen sich.
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Ein gesetzlicher Mindestlohn stärkt darum die bestehenden Gesamtarbeits-
verträge und erleichtert den Abschluss neuer Verträge in bisher ungeregel-
ten Branchen. Die Gewerkschaften können auf der Basis eines guten ge-
setzlichen Mindestlohns auch für qualifizierte Arbeitskräfte bessere Löhne
durchsetzen.
Vernünftige Arbeitgeber werden dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter von ei-
nem Lohnsystem profitieren, in dem Ausbildung, Berufserfahrung usw. wei-
terhin existieren. Damit steigen gerade die mittleren Löhne über dem Min-
destlohn ebenfalls an.
Ein gesetzlicher Mindestlohn ist keineswegs eine einseitige Angelegenheit
des Staates. Gewerkschaften und Arbeitgeber werden an der regelmässigen
Anpassung des gesetzlichen Mindestlohnes beteiligt.
Wer würde eigentlich am ehesten von einem Mindestlohn profitieren?
Folgende Personengruppen sind einem überdurchschnittlich hohen Niedrig-
lohnrisiko ausgesetzt:
Beschäftigte in Kleinbetrieben oder bestimmten Wirtschaftszweigen
wie Handel und Dienstleistungen oder Landwirtschaft
Frauen,
jüngere Arbeitnehmer,
Hilfsarbeitskräfte wie z.B. Reinigungskraft, Hilfsarbeit in der Land-
wirtschaft,
Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Berufsausbildung,
Teilzeitbeschäftigte.
Gibt es eigentlich einen Zusammenhang zwischen Lohnhöhe und Qua-
lität der Arbeit?
Die Qualität am Arbeitsplatz steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der
Höhe der Löhne. Je tiefer der Lohn, desto schlechter sind in der Regel die
Arbeitsbedingungen. Niedriglohn wird somit immer mit schlechten Arbeits-
bedingungen, unzureichender sozialer Absicherung (niedriger Lohn = niedri-
ge Rente im Alter) und keinerlei Chancen auf Weiterbildung, Qualifizierung
und berufliche Karriere gleichgesetzt.
Niedrige Löhne haben zudem ungenügende Lohnersatzleistungen bei Ar-
beitslosigkeit und Krankheit zur Folge. Aus sozialer und gesellschaftlicher
Frauen würden am meisten profi-tieren.
Mindestlöhne sind wichtig für die Bekämpfung der Armut.
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Sicht sind Niedriglöhne nicht nur Auslöser für Altersarmut, sondern sie sind
eine wichtige Ursache für Armut überhaupt.
Mit anderen Worten: Ein Mindestlohn ist ein wichtiges Instrument im Kampf
gegen Armut und soziale Ausgliedrung.
Wie hoch muss ein Mindestlohn sein?
Ausgangspunkt für die Forderung nach einem Mindestlohn ist das Existenz-
minimum. Jemand, der 100 Prozent arbeitet, soll mit dem Lohn seinen Le-
bensunterhalt finanzieren können.
Es gibt viele Arten, wie dieses Existenzminimum berechnet werden kann. So
kennt man in der Schweiz das Existenzminimum gemäss der Richtlinien der
Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS). Daneben gibt es auch
das so genannte betreibungsrechtliche Existenzminimum. Das ist der Be-
trag, der einem Schuldner im Falle einer Pfändung wegen Schulden auf je-
den Fall belassen werden muss und nicht gepfändet werden darf.
Zur materiellen Grundsicherung zählen gemäss SKOS folgende Positionen:
Wohnkosten (samt üblichen Nebenauslagen), Medizinische Grundversor-
gung (samt Selbstbehalten und Kosten nötiger Zahnbehandlung), Grundbe-
darf für den Lebensunterhalt.
Existenzminimum gemäss SKOS plus 10 Prozent (2008)
Grundbedarf 990 Franken
Wohnen (2-Zimmer-Wohnung) 910 Franken
Berufsauslagen 400 Franken
diverse situationsbedingte Ausgaben 200 Franken
Steuern/Sozialversicherung/Krankenversicherung 750 Franken
Risikomarge 10 Prozent 320 Franken
Total (2008) 3570 Franken
Total (2011) 3800 Franken
In der Schweiz braucht es also mindestens 3800 Franken um über die Run-
de zu kommen.
Es gibt noch eine andere, international übliche Berechnungsmethode, um
herauszufinden, wie hoch ein Mindestlohn sein sollte. Die Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat die Tief- oder
Niedriglohnschwelle folgendermassen definiert: Als Niedriglohn wird ein
Es braucht min-destens 4000 Franken pro Mo-nat oder 22 Franken pro Stunde.
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Bruttolohn bezeichnet, der unterhalb von zwei Dritteln des nationalen Medi-
anbruttolohns aller Vollzeitbeschäftigten liegt.
Was ist aber ein Medianbruttolohn? Der Medianbruttolohn ist der Lohn, bei
dem eine Hälfte aller Beschäftigten mehr verdient, und die andere dement-
sprechend weniger. Der Medianlohn liegt also genau in der Mitte. Von die-
sem Lohn nimmt man zwei Drittel und man hat die Niedriglohngrenze. Es ist
sinnvoll, diese Grenze auch gleichzeitig als Mass für einen Mindestlohn zu
nehmen.
In der Schweiz beträgt dieser Medianlohn 5823 Franken. Zwei Drittel davon
sind 3882 Franken.
Ausgehend von diesen Zahlen (SKOS-Richtlinien zum Existenzminimum,
Niedriglohngrenze gemäss OECD) wird in der Initiative der Gewerkschaften
ein Mindestlohn von 22 Franken pro Stunde gefordert. Das sind bei einer bei
einer 42 Stunde-Woche 4000 Franken pro Monat.
Zur Erinnerung: Mit diesem Lohn kann man ein einigermassen anständiges
Leben führen. Die Summe liegt aber nur knapp über dem Existenzminimum,
so dass der Lohn sicher nicht als zu hoch bezeichnet werden kann.
Sind Niedriglöhne in der reichen Schweiz überhaupt ein Problem?
In der Schweiz arbeiten heute rund 400‘000 Menschen zu Armutslöhnen,
d.h. sie verdienen weniger als 3'500 Franken im Monat. Viele von ihnen sind
„working poor“, das heisst sie sind trotz Arbeit arm und auf Sozialhilfe ange-
wiesen. Steigende Krankenkassenprämien und hohe Mietkosten liegen
schwer auf dem Familienbudget, wenn der Lohn nicht reicht.
Rund 300'000 Tieflohnbezügerinnen sind Frauen. Mindestlöhne sind also
auch ein wichtiger Schritt in Richtung Lohngleichstellung!
In der Schweiz wachsen 233'000 Kinder in Armut auf, viele von ihnen, ob-
wohl ihre Eltern Arbeit haben. Oder anders gesagt: Wer zu wenig verdient,
kann sich keine Kinder «leisten». Das ist ein sozialpolitischer Skandal. Ein
Lohn von mindestens 4000 Franken hilft darum nicht nur den Direktbetroffe-
nen, sondern auch den Familien.
Tiefstlöhne haben auch im Alter schlimme Folgen: Sie führen zu Armutsren-
ten. Darum ist der gesetzliche Mindestlohn auch im Pensionsalter wichtig,
speziell auch für viele Frauen: Denn wer im Erwerbsleben einen anständigen
Lohn erhält, hat im Alter eine existenzsichernde Altersvorsorge.
Fast eine halbe Million bekommt nur einen Hun-gerlohn.
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Ist es nicht so, dass die Löhne steigen, und das Problem der Niedrig-
löhne immer kleiner wird?
Nein, das Gegenteil ist der Fall.
Die Löhne der Arbeitnehmenden mit mittleren und tiefen Einkommen sind
nach Abzug der Teuerung in den letzten Jahren kaum gestiegen. Profitiert
haben nur die hohen Einkommen. So hat die Zahl derjenigen, die eine Milli-
on Franken und mehr verdienen stark zugenommen. Die Normalverdienen-
den hingegen verspüren steigenden Lohndruck.
Was sind die Ursachen dieses Lohndrucks?
Es gibt mehrere Gründe:
Höhere Arbeitslosigkeit. Das ist unter anderem eine Folge von Rati-
onalisierungen in den Betrieben. Mehr Arbeitslose bedeutet mehr
Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Lohnerhöhungen sind schwieri-
ger.
Lohndiskriminierung der Frauen: Bei gleicher Arbeit verdienen die
Frauen rund 10 Prozent weniger als die Männer. In den letzten 20
Jahren ist der Anteil der Frauen an der Gesamtbeschäftigung von
rund 41 auf 45 Prozent gestiegen. Die Firmen haben auf Kosten der
Frauen mehr Gewinn gemacht.
Auslagerung von Arbeiten in Billigfirmen: Viele Firmen haben einen
Teil ihrer Tätigkeiten in externe Firmen, die tiefere Löhne zahlen,
ausgelagert. So zum Beispiel die Reinigung. Bis in den 1990er Jah-
re hatten die Banken das Reinigungspersonal selber angestellt. Mitt-
lerweile putzen externe Reinigungsfirmen die Banken.
Sparprogramme der öffentlichen Hand: Wegen diesem künstlichen
und unnötigen Spardruck hinken die öffentlichen Löhne den Löhnen
in der Privatwirtschaft hinterher.
Verbilligung der Temporärarbeit: Temporärbüros können wegen der
Personenfreizügigkeit Grenzgänger und Kuraufenthalter aus dem
Ausland an Schweizer Firmen verleihen. Wenn die Temporärbüros
den Temporärbeschäftigten aus dem Ausland keine Schweizer Löh-
ne zahlen, wird die Temporärarbeit billiger. Bei Lohnkontrollen wird
oft Lohndumping bei Temporären festgestellt. Der Anteil der Tempo-
rären an der Gesamtbeschäftigung in der Schweiz hat sich innerhalb
von 10 Jahren fast verdoppelt und beträgt heute mehr als 2 Prozent
– in einzelnen Branchen (z.B. Bau) ist es fast ein Viertel.
Lohndruck ist ge-stiegen.
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Bonus-Zahlungen: Von den Boni profitieren vor allem die hohen Ein-
kommen auf Kosten der tieferen Einkommen. Es ist daher kein
Wunder, dass die Lohnschere genau in den Branchen mit dem
höchsten Bonus-Anteil (Banken, Versicherungen) aufgegangen ist.
Ist nicht auch die Personenfreizügigkeit schuld am Lohndruck und den
vielen tiefen Löhnen?
Seit der Personenfreizügigkeit hat der Druck auf die Löhne tatsächlich zuge-
nommen. Die Gewerkschaften haben daher für flankierende Massnahmen
gekämpft, und wollen diese und die damit verbundenen Kontrollen weiter
verbessern. Aber gerade in Branchen ohne Mindestlohn kommt es immer
wieder zu Fällen von Lohndumping.
Die Einführung eines Mindestlohns wäre deshalb eine wichtige Ergänzung
zu den bestehenden flankierenden Massnahmen. Mit einem gesetzlichen
Mindestlohn wird es nicht mehr möglich sein, in der Schweiz zu einem Lohn
von 10, 12 oder 15 Franken pro Stunde zu arbeiten – auch nicht in den
Branchen in denen die Gewerkschaften noch schwach sind.
Ein Mindestlohn ist die beste Prävention gegen Lohndumping. Wer in der
Schweiz arbeitet, soll für die gleiche Arbeit auch den gleichen Lohn erhalten
und davon anständig leben können!
Ist es nicht so, dass die Löhne in der Schweiz im internationalen Ver-
gleich schon jetzt zu hoch sind?
Die Schweiz ist sicher kein billiges Land. Wie haben hohe Lebensmittelprei-
se, die Medikamente sind teurer als im Ausland, die Mieten sind hoch und
die Krankenkassenprämien sind kaum mehr zu bezahlen. Es braucht des-
halb auch Löhne, mit denen man das Leben in unsrem Land finanzieren
kann.
Für die internationale Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft ist aber nicht
die Höhe der Löhne der entscheidende Faktor. Viel wichtiger ist, wie viel die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer bestimmten Zeit produzieren.
Es geht um die Produktivität. Und hier liegen wir weit vorne. Wir produzieren
ein Stück Ware drei, vier und fünf Mal so schnell wie die Konkurrenz im Aus-
land – und erst noch in besserer Qualität. Entscheidend sind also die Lohn-
stückkosten (der Anteil Lohn pro produziertes Stück Ware) und nicht der
Lohn an sich.
Mindestlöhne sind wichtig als flankierende Massnahme bei der Personenfrei-zügigkeit.
Es kommt auf die Lohnstückkosten an.
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Aber werden bei einem Mindestlohn nicht Arbeitsplätze im Tieflohnbe-
reich ins Ausland verlagert?
Nein, denn Niedriglohn-Jobs sind vor allem bei ortsgebundenen Dienstleis-
tungen zu finden (Coiffeur, Gastgewerbe, persönliche Dienstleistungen,
Landwirtschaft usw.), die nicht ins Ausland verlagert werden können.
Ist es nicht falsch, einen einheitlichen Mindestlohn für das ganze Land
festzulegen, ohne Rücksicht auf die regionalen Unterschiede?
Ziel der Initiative ist ein nationaler Mindestlohn, deshalb soll es auch so we-
nige Ausnahmen wie möglich geben.
Gegen eine Kantonalisierung der Löhne sprechen zahlreiche Argumente:
sehr viele Preise sind national gleich hoch; viele Dienstleistungen werden
über die Kantonsgrenzen hinweg angeboten bzw. ein beträchtlicher Teil der
Dienstleistungen wird in den Kantonen von ausserkantonalen Anbietern er-
bracht (Bau usw.); kantonal unterschiedliche Mindestlöhne wären zudem
schwieriger zu kontrollieren. Was soll entscheidend sein, der teure Wohn-
kanton des Arbeitnehmers oder der Sitz des Unternehmens, für das er arbei-
tet, in einem anderen, „billigeren“ Kanton?
Um aber Kantonen, die über den nationalen Mindestlohn hinaus einen höhe-
ren kantonalen Mindestlohn einführen wollen, diese Möglichkeit zu geben,
ist in der Initiative zusätzlich eine entsprechende Kompetenz eingefügt. Ab-
schläge sind aber nicht zulässig.
Bleibt der Mindestlohn für alle Zeiten gleich hoch?
Der Mindestlohn muss regelmässig an die Lohn- und Teuerungsentwicklung
angepasst werden – und zwar nach dem gleichen Mechanismus wie bei der
AHV, dem so genannten Mischindex. Er steigt nicht nur im Ausmass der
Teuerung, sondern berücksichtigt auch die Lohnerhöhungen zur Hälfte. Um
die Teilanpassung an die Lohnentwicklung zu kompensieren, soll eine An-
passung über den Mischindex hinaus möglich sein. Der Mischindex ist das
Minimum. Die Initiative verlangt zudem, dass bei einer Anpassung an die
Lohn- und Preisentwicklung die Sozialpartner mitwirken dürfen.
Der Mindestlohn gilt also für alle Kategorien von Erwerbstätigen?
Nicht ganz. Der Mindestlohn stellt eine zwingende Lohnuntergrenze dar, die
in keinem Arbeitsverhältnis unterschritten werden darf. Branchenausnahmen
sind nicht möglich. Auch für unter 25-Jährige soll es keine Ausnahmerege-
Kantone können den Mindestlohn aufstocken.
Der Mindestlohn wird der Teue-rung und der Lohnentwicklung angepasst.
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lungen geben. Ausnahmen von der Einhaltung des gesetzlichen Mindestloh-
nes sollen jedoch für bestimmte Anstellungen möglich sein.
Unter der Bezeichnung „besondere Arbeitsverhältnisse“, die nicht unter den
Geltungsbereich des Mindestlohnes fallen sollen, versteht die Initiative fol-
gende Anstellungen:
Berufslehre
Arbeitsverhältnisse mit Minderjährigen (z.B. Ferienjobs)
Anstellungen mit überwiegendem Ausbildungscharakter (Praktikum,
Einarbeitungszeit)
Anstellungen im eigenen Familienbetrieb
Anstellungen mit überwiegendem gemeinnützigem Charakter (Frei-
willigenarbeit)
Wie werden eigentlich die Gesamtarbeitsverträge in der Initiative be-
rücksichtigt?
Die Initiative nennt das wichtigste Instrument zum Schutz der Löhne: die
Mindestlöhne in Gesamtarbeitsverträgen. Für die Gewerkschaften bleiben
die Gesamtarbeitsverträge der Königsweg für anständige Löhne – erst wenn
der Abschluss eines Gesamtarbeitsvertrages nicht möglich ist, gelten die
gesetzlichen Mindestlöhne. Um den Abschluss von GAV mit Mindestlöhnen
voranzutreiben, verlangt die Initiative, dass der Bund diese fördert.
Wie ist das zu verstehen?
Unter Förderung des Abschlusses und der Einhaltung von Mindestlöhnen in
GAV sind u.a. folgende Massnahmen zu verstehen:
GAV-Pflicht bei öffentlichen Aufträgen von Bund, Kantone oder Ge-
meinden. Ein Unternehmen, das einen öffentlichen Auftrag von
Bund, Kanton oder Gemeinde will, muss einen GAV abgeschlossen
haben.
GAV-Pflicht bei Erteilung von Konzessionen und Finanzhilfen. Auch
bei der Erteilung von Konzessionen, zum Beispiel für Radio- oder
Fernsehsender oder Personentransport muss das gesuchstellende
Unternehmen nachweisen, dass es einen GAV abgeschlossen hat.
Auslagerungen bzw. Privatisierungen nur unter der Auflage einer
GAV-Einhaltung.
Lehrlinge und Familienbetriebe sind ausgenom-men.
Öffentliche Auf-träge nur noch mit Gesamtar-beitsvertrag.
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Was verlangt die Initiative genau?
Ein neuer Verfassungsartikel (Art. 110a neu) gibt Bund und Kanto-
nen den Auftrag, Massnahmen zum Schutz der Löhne zu treffen.
Das geschieht in erster Linie über eine Förderung von Mindestlöh-
nen in Gesamtarbeitsverträgen und in zweiter Linie über einen nati-
onalen gesetzlichen Mindestlohn.
Der gesetzliche Mindestlohn beträgt 22 Fr./h (2011).
Er wird an die Lohn- und Teuerungsentwicklung angepasst.
Die Kantone erhalten die Kompetenz, höhere Mindestlöhne als der
nationale Mindestlohn festzulegen.
Wie lautet der Text der Initiative?
I. Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:
Art. 110a Schutz der Löhne
1 Bund und Kantone treffen Massnahmen zum Schutz der Löhne auf dem
Arbeitsmarkt.
2 Sie fördern zu diesem Zweck insbesondere die Festlegung von orts-, be-
rufs- und branchenüblichen Mindestlöhnen in Gesamtarbeitsverträgen und
deren Einhaltung.
3 Der Bund legt einen gesetzlichen Mindestlohn fest. Dieser gilt für alle Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer als zwingende Lohnuntergrenze. Der
Bund kann für besondere Arbeitsverhältnisse Ausnahmeregelungen erlas-
sen.
4 Der gesetzliche Mindestlohn wird regelmässig an die Lohn- und Preisent-
wicklung angepasst, mindestens aber im Ausmass des Rentenindexes der
Alters- und Hinterlassenenversicherung.
5 Die Ausnahmeregelungen und die Anpassungen des gesetzlichen Min-
destlohnes an die Lohn- und Preisentwicklung werden unter Mitwirkung der
Sozialpartner erlassen.
6 Die Kantone können zwingende Zuschläge auf den gesetzlichen Mindest-
lohn festlegen.
II. Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt
geändert:
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Art. 197 Ziff. 8 (neu)
8. Übergangsbestimmungen zu Art. 110a (Schutz der Löhne)
1 Der gesetzliche Mindestlohn beträgt 22 Franken pro Stunde. Bei der In-
kraftsetzung von Artikel 110a wird die seit dem Jahr 2011 aufgelaufene
Lohn- und Preisentwicklung nach Artikel 110a Absatz 4 hinzugerechnet.
2 Die Kantone bezeichnen die Behörde, die für den Vollzug des gesetzlichen
Mindestlohnes verantwortlich ist.
3 Der Bundesrat setzt Artikel 110a spätestens drei Jahre nach dessen An-
nahme durch Volk und Stände in Kraft.
4 Falls innert dieser Frist kein Ausführungsgesetz in Kraft gesetzt wird, er-
lässt der Bundesrat unter Mitwirkung der Sozialpartner die nötigen Ausfüh-
rungsbestimmungen auf dem Verordnungsweg.
Wer unterstützt alles die Initiative?
SGB – Schweizerischer Gewerkschaftsbund
Unia
SEV – Gewerkschaft des Verkehrspersonals
Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD)
Syndicom – Gewerkschaft Medien und Kommunikation
Personalverband des Bundes PVB
Musikpädagogischer Verband
garaNto
AvenirSocial
Schweizer Syndikat Medienschaffender – SSM
kapers – Vereinigung des Kabinenpersonals
Schweizerischer Musikerverband SMV
Schweizerischer Bühnenkünstlerverband SBKV
SIT – Syndicat interprofessionnel de travailleuses et travailleurs
KABBA – Komitee der Arbeitslosen und Armutsbetroffenen
Alternative Liste / Linke
LCH – Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer
SAH – Schweizerisches Arbeiterhilfswerk
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Liste 13
SP
Grüne
CSP
JUSO Schweiz
Junge Grüne
VASOS – Vereinigung aktiver Senioren- und Selbsthilfe-
Organisationen der Schweiz
IG Sozialhilfe
Wann wird über die Initiative abgestimmt?
Für die Mindestlohn-Initiative werden seit dem 25. Januar Unterschriften ge-
sammelt. Die Initianten haben bis zum 25. Juli 2012 Zeit, die benötigten
100‘000 Unterschriften zu sammeln. Nach dem Zustandekommen der Initia-
tive muss der Bundesrat dem Parlament einen Vorschlag machen, wie mit
der Initiative zu verfahren ist. Er die Annahme oder die Ablehnung empfeh-
len. Er kann auch einen direkten oder indirekten Gegenvorschlag machen.
Anschliessend entscheidet das Parlament. Und dann erst kann das Volk
über die Initiative und eventuell einen Gegenvorschlag abstimmen. Wann
diese Abstimmung stattfinden wird, kann heute noch nicht gesagt werden.
pc/27.1.2011