Was Sie schon immer über die Mindestlohn-Initiative wissen wollten (FAQ)

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Was Sie schon immer über die Mindestlohn-Initiative (und ver- wandte Themen) wissen wollten Was ist ein Mindestlohn? Ein Mindestlohn ist der tiefste rechtlich zulässige Lohn für geleistete Arbeit. Die Festsetzung erfolgt durch ein Gesetz oder durch einen Gesamtarbeits- vertrag. Ein Mindestlohn kann sich auf den Stundenlohn oder den Monats- lohn bei Vollzeitbeschäftigung beziehen. Neben nationalen Mindestlöhnen gibt es auch solche, die sich nur auf bestimmte Regionen oder Städte be- ziehen. Eine weitere Erscheinungsform sind branchenspezifische Mindest- löhne, die nur für eine bestimmte Branche gelten, zum Beispiel den Bau oder die Reinigungsbranche. Die Schweiz kennt bis heute keinen gesetzlichen nationalen Mindestlohn. Was ist ein Gesamtarbeitsvertrag (GAV)? Ein Gesamtarbeitsvertrag (GAV) ist eine schriftliche Vereinbarung zwi- schen Gewerkschaften und einzelnen Arbeitgebern oder Unternehmerver- bänden. Der GAV legt Arbeitsbedingungen fest und regelt das gegenseitige Verhältnis der Parteien man nennt das auch Sozialpartnerschaft. Einzelar- beitsverträge dürfen nicht schlechter sein, als das, was im Gesamtarbeits- vertrag geregelt ist. Im Gesamtarbeitsvertrag werden in der Regel Arbeits- zeiten, Ferien, Kündigungsfrist, Mindestlöhne und weitere Arbeitsbedingun- gen festgelegt. Es gibt sowohl gesamtschweizerische wie auch kantonale Gesamtarbeitsverträge. Man kennt im Wesentlichen folgende Arten von Gesamtarbeitsverträgen: Gesamtarbeitsvertrag, der nur für die Unternehmen bindend ist, die Mitglied des jeweiligen Unternehmerverbands sind. Gesamtarbeitsvertrag, der nur für das Unternehmen bindend ist, das den Vertrag abgeschlossen hat. Gesamtarbeitsvertrag, der von der Kantonsregierung für allgemein- verbindlich erklärt worden ist. Dieser ist dann für alle Arbeitgeber im Kanton verbindlich. Die Schweiz kennt bis heute keinen Mindest- lohn. Auch in Gesamt- arbeitsverträgen gibt es Mindest- löhne.

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Was Sie schon immer über die

Mindestlohn-Initiative (und ver-

wandte Themen) wissen wollten

Was ist ein Mindestlohn?

Ein Mindestlohn ist der tiefste rechtlich zulässige Lohn für geleistete Arbeit.

Die Festsetzung erfolgt durch ein Gesetz oder durch einen Gesamtarbeits-

vertrag. Ein Mindestlohn kann sich auf den Stundenlohn oder den Monats-

lohn bei Vollzeitbeschäftigung beziehen. Neben nationalen Mindestlöhnen

gibt es auch solche, die sich nur auf bestimmte Regionen oder Städte be-

ziehen. Eine weitere Erscheinungsform sind branchenspezifische Mindest-

löhne, die nur für eine bestimmte Branche gelten, zum Beispiel den Bau

oder die Reinigungsbranche.

Die Schweiz kennt bis heute keinen gesetzlichen nationalen Mindestlohn.

Was ist ein Gesamtarbeitsvertrag (GAV)?

Ein Gesamtarbeitsvertrag (GAV) ist eine schriftliche Vereinbarung zwi-

schen Gewerkschaften und einzelnen Arbeitgebern oder Unternehmerver-

bänden. Der GAV legt Arbeitsbedingungen fest und regelt das gegenseitige

Verhältnis der Parteien – man nennt das auch Sozialpartnerschaft. Einzelar-

beitsverträge dürfen nicht schlechter sein, als das, was im Gesamtarbeits-

vertrag geregelt ist. Im Gesamtarbeitsvertrag werden in der Regel Arbeits-

zeiten, Ferien, Kündigungsfrist, Mindestlöhne und weitere Arbeitsbedingun-

gen festgelegt. Es gibt sowohl gesamtschweizerische wie auch kantonale

Gesamtarbeitsverträge.

Man kennt im Wesentlichen folgende Arten von Gesamtarbeitsverträgen:

Gesamtarbeitsvertrag, der nur für die Unternehmen bindend ist, die

Mitglied des jeweiligen Unternehmerverbands sind.

Gesamtarbeitsvertrag, der nur für das Unternehmen bindend ist, das

den Vertrag abgeschlossen hat.

Gesamtarbeitsvertrag, der von der Kantonsregierung für allgemein-

verbindlich erklärt worden ist. Dieser ist dann für alle Arbeitgeber im

Kanton verbindlich.

Die Schweiz kennt bis heute keinen Mindest-lohn.

Auch in Gesamt-arbeitsverträgen gibt es Mindest-löhne.

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Gesamtarbeitsvertrag, der vom Bundesrat für allgemeinverbindlich

erklärt worden ist. Dieser ist dann für alle Arbeitgeber verbindlich.

In der Schweiz profitieren etwa 50 Prozent aller Beschäftigten vom Schutz

eines Gesamtarbeitsvertrags.

Gibt es Mindestlöhne nur in links regierten Ländern?

Nach einer Statistik der internationalen Arbeitsorganisation (ILO), einer Or-

ganisation der UNO, gibt es in über 90 Prozent ihrer 182 Mitgliedstaaten

einen Mindestlohn. Länder ohne Mindestlohn wie die Schweiz sind also eher

die Ausnahme als die Regel. 20 der 27 Länder der EU kennen einen Min-

destlohn.

Sind Mindestlöhne eine „neue Erfindung“?

Erste lokale Mindestlohnregelungen gab es bereits gegen Ende des 19.

Jahrhunderts. Ab 1894 vergab die Stadt Amsterdam öffentliche Aufträge nur

noch an Unternehmen, die ihre Beschäftigten nicht unter einem Mindestlohn

bezahlten. 1896 wurden in Neuseeland Lohnschlichtungsstellen eingeführt,

gefolgt von Australien im Jahre 1899 und Grossbritannien im Jahre 1909.

Das argentinische Mindestlohnsystem hat seinen Ursprung im Jahre 1918.

Auch eine Reihe von Entwicklungsländern beschloss in der ersten Hälfte des

20. Jahrhunderts Mindestlöhne, darunter Sri Lanka im Jahre 1927. Zu ande-

ren Ländern mit einer langen Erfahrung mit Mindestlöhnen gehören u.a. die

Vereinigten Staaten (seit 1938), Frankreich (1950) oder die Niederlande

(1968).

In der Schweiz gibt es seit über 100 Jahren Mindestlohnregelungen in Ge-

samtarbeitsverträgen. 1911 wurde der Gesamtarbeitsvertrag auf Bundes-

ebene rechtlich geregelt. Seit den 1940er Jahren gibt es Gesamtarbeitsver-

träge mit allgemeinverbindlichen Mindestlöhnen.

Was sagen die Ökonomen zur Idee eines Mindestlohns?

In den 1990er Jahren setzte bei den Ökonomen ein Meinungswandel in Be-

zug auf Mindestlöhne ein. Vorher waren viele der Ansicht, dass Mindestlöh-

ne zu mehr Arbeitslosigkeit führen. Seither wurden unzählige Studien ge-

macht. Sie zeigen: Höhere Mindestlöhne sind möglich, ohne dass die Ar-

beitslosigkeit steigt.

Ein Hauptargument für Mindestlöhne ist die Verbesserung der Einkommens-

situation von Beschäftigten im Niedriglohnsektor. Ein Hauptargument da-

90 Prozent aller Länder kennen Mindestlöhne.

Mindestlöhne gibt es seit 1894.

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gegen ist der mögliche Verlust von Arbeitsplätzen. Die Wirkung von Mindest-

löhnen auf das Beschäftigungsniveau ist allerdings sehr umstritten. Während

einige Ökonomen glauben, dass die Einführung eines Mindestlohns Arbeits-

plätze kostet, sind andere überzeugt, dass dank Mindestlöhnen die Zahl der

Arbeitsplätze sogar wachse.

Diese zweite These wird von neueren Studien bestätigt. So zeigt eine jetzt

veröffentlichte Mammut-Untersuchung des Arbeitsmarkt-

Forschungszentrums der US-Eliteuniversität Berkeley: Höhere Mindestlöhne

haben in den Vereinigten Staaten in den vergangenen 16 Jahren keine Jobs

vernichtet. "Wir finden keine negativen Beschäftigungseffekte", lautet das

Fazit der Arbeit mit dem Titel Minimum Wage Effects Across State Borders.

Welche ökonomischen Argumente werden denn gegen einen Mindest-

lohn angeführt?

Für manche Ökonomen (und Unternehmer) sind Löhne nichts anderes als

Kosten. Jeder Arbeitnehmer ist somit ein Kostenfaktor. Wenn die Kosten für

die Beschäftigung des Arbeitnehmers und für seinen Arbeitsplatz tiefer sind

als das, was dieser Arbeitnehmer durch seine Arbeit erwirtschaftet, dann

lohnt es sich (aus Sicht des Unternehmers) einen solchen Arbeitnehmer zu

beschäftigen.

Wenn aber der Lohn und die Arbeitsplatzkosten höher sind, als das, was der

Arbeitnehmer erarbeitet, dann lohnt sich eine Weiterbeschäftigung oder eine

Anstellung nicht.

Durch die Festlegung eines staatlichen Mindestlohnes – so die Theorie –

könne es nun geschehen, dass ein Unternehmer gezwungen werde, seinen

unproduktiven, weil gering qualifizierten Arbeitnehmern einen höheren Lohn

zu zahlen, als er mit ihnen verdienen könne. Also werde er diese Arbeits-

plätze so schnell wie möglich abbauen. Unternehmen seien schliesslich kei-

ne Wohlfahrtseinrichtungen.

Was ist gegen diese Arbeitsplatzverlust-Theorie zu sagen?

Zunächst einmal, dass sie lediglich eine Theorie ist, die von der Realität wi-

derlegt wird. Ein Beispiel: Der US-Bundesstaat New Jersey hatte den Min-

destlohn um fast 20 Prozent erhöht, im benachbarten Pennsylvania verharr-

te er auf dem bisherigen Niveau. In einer Untersuchung stellten Forscher

dann fest: Obwohl einfache Arbeit in New Jersey erheblich teurer wurde, fie-

len dort keine Jobs weg. Im Gegenteil: Fast-Food-Restaurants in New Jer-

sey stellten mehr Personal ein als ihre Konkurrenten in Pennsylvania.

Unter den Öko-nomen gibt es Be-fürworter und Gegner eines Mindestlohns.

Mehr Arbeitsplät-ze dank Mindest-löhnen.

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Das Fazit der Forscher: Höhere Mindestlöhne haben tatsächlich die sozial-

politisch gewünschte Wirkung. Wenn ein Bundesstaat den Mindestlohn er-

höhte, stiegen danach die Einkommen der betroffenen Beschäftigten auch

deutlich an – die Arbeitgeber konnten die Gesetze also nicht umgehen. Auf

die höheren Lohnkosten reagierten sie dennoch nicht mit Entlassungen.

Das ist aber nicht logisch. Oder doch?

Auf den ersten Blick nicht. Diese Ergebnisse stützen jedoch die Theorie des

britischen Arbeitsmarkt-Forschers Alan Manning. Der Professor der renom-

mierten London School of Economics propagiert seit mehr als zehn Jahren,

dass wirkliche Arbeitsmärkte nicht so perfekt funktionieren, wie es Ökono-

men in ihren Modellen und Theorien unterstellen. Im wirklichen Leben wür-

den die Arbeitgeber gerade im Niedriglohnsektor über grosse Marktmacht

verfügen – diese erlaube es ihnen, die Löhne ihrer Beschäftigten weit unter

das Produktivitätsniveau zu drücken. Wenn das so ist, können staatliche

Lohnuntergrenzen die Einkommen von Geringqualifizierten erhöhen, ohne

dass Arbeitsplätze verloren gehen.

Das ist aber noch nicht alles: Mindestlöhne steigern auch die Motivation der

Mitarbeiter, sie senken die Personalfluktuation und bringen dadurch eine

bessere Produktivität.

Selbst gesamtwirtschaftlich bringen Mindestlöhne Vorteile und kurbeln das

Beschäftigungswachstum an: Dank der Mindestlöhne verfügen auch tiefere

Einkommen über eine höhere Kaufkraft, was ihnen erlaubt, mehr zu konsu-

mieren. Das wiederum führt wegen der gestiegenen Nachfrage zu einem

Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum.

Dass es keinen Zusammenhang zwischen Mindestlohn und Arbeitslosigkeit

gibt, zeigt auch diese Grafik. So gibt es offenbar Länder mit hohem Mindest-

lohn und niedriger Arbeitslosigkeit und solche mit tiefem Mindestlohn und

hoher Arbeitslosigkeit. Und es gibt auch alles dazwischen...

Mindestlöhne steigern die Pro-duktivität und Motivation der Mitarbeiter.

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Vermutlich gibt es aber noch mehr Einwände gegen einen Mindest-

lohn?

Ein anderes Ökonomenargument ist die Behauptung, die Unternehmer wür-

den die Mehrkosten, die ihnen ein Mindestlohn verursache, dadurch kom-

pensieren, dass sie die Löhne derjenigen kürzen, die knapp über dem Min-

destlohn liegen. Ein Mindestlohn habe zudem die Tendenz, sich zum „Nor-

mallohn“ zu entwickeln. Das allgemeine Lohnniveau sinke deshalb.

Stimmt das auch nicht?

Arbeitgeber, die so handeln, würden sich ins eigene Fleisch schneiden. Wer

den ohnehin schon tiefen Lohn seiner Angestellten kürzt, torpediert deren

Motivation. Ihre Produktivität ginge stark zurück.

Ausserdem setzt diese Argumentation voraus, dass ein Mindestlohn die üb-

lichen Lohnfindungsmechanismen quasi ausser Kraft setzen würde. Das ist

aber nicht der Fall. Nach wie vor werden die Konjunkturlage, die allgemeine

Produktivität bzw. ihr Wachstum, die Stärke der Gewerkschaften, das Ni-

veau der Arbeitslosigkeit usw. Einfluss auf die Lohnbildung haben. Der ein-

zige Unterschied: Es wird keine Löhne unter dem Existenzminimum mehr

geben.

Löhne werden auch in Zukunft ausgehandelt werden müssen – aber es wird kei-ne Hungerlöhne mehr geben.

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Die Initiative will zudem eine Stärkung der Gesamtarbeitsverträge. Damit

sollen alle Löhne – nicht nur die ganz tiefen – geschützt werden.

Dann gibt es doch noch das Argument, dass niedrige Löhne gesamt-

wirtschaftlich sinnvoll seien?

Niedrige und sinkende Löhne haben nach dieser Lehrmeinung eine ge-

samtwirtschaftlich sinnvolle Funktion: Sie würden ein Überangebot an Ar-

beitskräften in dem betroffenen Bereich signalisieren und die arbeitswilligen

Menschen veranlassen, sich anderen Branchen, bzw. Berufen sowie Qualifi-

zierungs- und Weiterbildungsmassnahmen zuzuwenden. Diese Signalfunkti-

on des Lohnes werde durch eine Mindestlohnregelung behindert.

Dazu ist zu sagen, dass eine solche Argumentation äusserst zynisch ist und

ein verqueres Menschenbild voraussetzt. Sie geht nämlich davon aus, dass

Menschen freiwillig in einem Beruf oder in einer Branche arbeiten, in dem sie

so wenig verdienen, dass sie davon nicht leben können. Aber auch ein Min-

destlohn wird kein Leben in Luxus erlauben. Er wird knapp über dem Exis-

tenzminimum liegen. Allein aus der Tatsache, dass ein Arbeitnehmer mit

Mindestlohn nicht mehr auf die Sozialhilfe angewiesen sein wird, gleich zu

schliessen, ihm fehle dann auch jede Motivation zur Verbesserung seiner

Lebenssituation, ist herabwürdigend.

Manche behaupten doch auch, ein Mindestlohn führe zu mehr

Schwarzarbeit?

Ja. Es wird gesagt, ein Mindestlohn untersage Arbeitsverhältnisse, die so-

wohl vom Arbeitgeber als auch vom Arbeitnehmer freiwillig eingegangen

worden wären, und von dem sich beide Seiten Vorteile versprochen hätten.

Da also offenbar Bereitschaft besteht, zum vereinbarten Lohn unter dem

Mindestlohnniveau zu arbeiten bzw. jemanden so zu beschäftigen, der Staat

das aber verbietet, wird eine Zunahme von Schwarzarbeit befürchtet.

Dieser Theorie ist entgegenzuhalten, dass wohl eher das Gegenteil richtig

ist. Wenn Menschen auch im Niedriglohnbereich für ihre Arbeit anständig

bezahlt werden müssen, dann fehlt ihnen der Anreiz, in ihrer Freizeit noch

schwarz zu arbeiten. Auch die Notwendigkeit, noch in einem Zweitjob Geld

verdienen zu müssen (wie z.B. Putzen am Abend, Zeitung vertragen am

Morgen, Verkauf am Samstag etc.), fällt weg, was wiederum dazu führt,

dass diese Jobs jemand anderem zur Verfügung stehen.

Niemand will sein Leben lang frei-willig auf dem Mindestlohn-niveau bleiben.

Weniger Schwarzarbeit dank Mindestlöh-nen.

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Welche Schlüsse kann man aus der Uneinigkeit der Ökonomen zum

Mindestlohn ziehen?

Ökonomen sind sich nicht grundsätzlich uneinig – es gibt Minderheitsmei-

nungen gegen den Mindestlohn. Je höher der Mindestlohn, desto mehr

Ökonomen haben Bedenken.

Ob die Einführung eines Mindestlohns in der Schweiz wünschbar ist oder

nicht, ist aber nicht in erster Linie eine Frage der Ökonomie. Sie kann uns

keine eindeutige Antwort geben, auch wenn immer mehr Experten die Auf-

fassung vertreten, dass ein staatlicher Mindestlohn auch ökonomisch eine

gute Sache wäre.

Die Notwendigkeit eines Mindestlohns lässt sich deshalb besser mit dem

Gebot der Gerechtigkeit als nur mit ökonomischen Überlegungen begrün-

den.

Es ist ungerecht, wenn jemand, der Vollzeit arbeitet, vom Lohn für seine Tä-

tigkeit nicht anständig leben kann. Es ist entwürdigend, wenn ein Mann oder

eine Frau nach acht, neun oder zehn Stunden harter Arbeit noch bei der So-

zialhilfe um Geld betteln muss, damit er oder sie über die Runden kommt. Es

ist falsch, wenn die Allgemeinheit über ihre Steuern quasi die Arbeitgeber

subventioniert und ihre zu tiefen Löhne über die Sozialhilfe aufstockt.

Armut macht krank und schliesst die Betroffenen vom gesellschaftlichen Le-

ben aus. Mit anderen Worten: Wer wenig verdient, lebt schlecht und stirbt

früh. „Ein Mensch muss von seiner Arbeit leben können und sein Lohn muss

wenigstens existenzsichernd sein!“ forderte darum Adam Smith, der Urvater

der liberalen Wirtschaftstheorie und des freien Marktes, bereits 1776.

Weshalb wollen die Gewerkschaften für die Schweiz einen gesetzlichen

Mindestlohn?

Es ist die Aufgabe der Gewerkschaften, die materielle Situation ihrer Mitglie-

der und aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verbessern. Sie tun

das, indem sie mit den Arbeitgebern verhandeln. Im Notfall greifen sie auch

zu Kampfmassnahmen wie Demonstrationen oder Streiks. Auf diese Weise

ist es ihnen immer wieder gelungen, die Situation der Arbeitnehmenden zu

verbessern, zum Beispiel durch die Festschreibung von Mindestlöhnen in

Gesamtarbeitsverträgen.

Leider gibt es Branchen oder auch Unternehmen, in denen es für die Ge-

werkschaften aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist, Einfluss zu

nehmen. Entweder weigern sich die Unternehmen grundsätzlich, mit den

Gewerkschaften zu verhandeln. Oder die Branche ist so strukturiert, dass es

Mindestlöhne sind eine Frage der Gerechtigkeit und nicht der Ökonomie.

Die Gewerkschaf-ten sind nicht überall gleich stark – darum braucht es einen gesetzlichen Min-destlohn.

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auf Arbeitgeberseite gar keine Organisationen gibt, mit denen die Gewerk-

schaften ins Gespräch kommen könnten (z.B. Privathaushalte).

Oft sind es solche gewerkschaftsfeindlichen Branchen, in denen die tiefsten

Löhne bezahlt werden und in denen der Niedriglohnbereich besonders gross

ist. Für rund 60 Prozent der Arbeitnehmenden ist kein Mindestlohn festge-

legt. In Branchen ohne GAV kommt es zudem immer wieder zu skandalösen

Fällen von Lohndumping. Skrupellose Arbeitgeber drücken die Löhne, um

sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen – zu Lasten der Beschäftigten,

der Qualität, der Kunden und nicht zuletzt der fairen Arbeitgeber, die an-

ständige Löhne zahlen.

Aus diesen Gründen haben die Gewerkschaften beschlossen, eine Mindest-

lohn-Initiative zu lancieren, die zwei Ziele verfolgt:

1. Der Staat soll mit geeigneten Massnahmen den Abschluss von Ge-

samtarbeitsverträgen mit Mindestlöhnen fördern, und dort wo das

nicht möglich ist soll er

2. einen gesetzlichen Mindestlohn vorschreiben.

Machen sich die Gewerkschaften mit einem gesetzlichen Mindestlohn

nicht überflüssig?

Nein. Die Mindestlohn-Initiative geht ausdrücklich davon aus, dass Lohnver-

handlungen in erster Linie eine Sache der Sozialpartner und nicht des Staa-

tes sind. Deshalb fordert das Volksbegehren die Förderung der Gesamtar-

beitsverträge. In solchen Verträgen werden nicht nur die Löhne, sondern

auch viele andere Arbeitsbedingungen (Ferien, Arbeitszeit, Sozialleistungen

usw.) geregelt. Die Gewerkschaften werden darum auch mit einem gesetzli-

chen Mindestlohn nicht überflüssig.

Aber kommen mit einem gesetzlichen Mindestlohn nicht die Mindest-

löhne in den GAVs unter Druck?

Auch Branchen, in denen bereits heute höhere GAV-Mindestlöhne gelten,

würden von einem guten gesetzlichen Mindestlohn profitieren: Wenn jede

Arbeit anständig bezahlt werden muss, können die Unternehmen nicht mehr

so leicht bestehende GAV umgehen und Lohnkosten auf dem Buckel der

Beschäftigten «sparen», indem sie notwendige Arbeiten in Tieflohnbranchen

«outsourcen» oder von «billigeren» temporär Beschäftigten erledigen las-

sen.

Gesamtarbeits-verträge und Mindestlöhne er-gänzen sich.

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Ein gesetzlicher Mindestlohn stärkt darum die bestehenden Gesamtarbeits-

verträge und erleichtert den Abschluss neuer Verträge in bisher ungeregel-

ten Branchen. Die Gewerkschaften können auf der Basis eines guten ge-

setzlichen Mindestlohns auch für qualifizierte Arbeitskräfte bessere Löhne

durchsetzen.

Vernünftige Arbeitgeber werden dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter von ei-

nem Lohnsystem profitieren, in dem Ausbildung, Berufserfahrung usw. wei-

terhin existieren. Damit steigen gerade die mittleren Löhne über dem Min-

destlohn ebenfalls an.

Ein gesetzlicher Mindestlohn ist keineswegs eine einseitige Angelegenheit

des Staates. Gewerkschaften und Arbeitgeber werden an der regelmässigen

Anpassung des gesetzlichen Mindestlohnes beteiligt.

Wer würde eigentlich am ehesten von einem Mindestlohn profitieren?

Folgende Personengruppen sind einem überdurchschnittlich hohen Niedrig-

lohnrisiko ausgesetzt:

Beschäftigte in Kleinbetrieben oder bestimmten Wirtschaftszweigen

wie Handel und Dienstleistungen oder Landwirtschaft

Frauen,

jüngere Arbeitnehmer,

Hilfsarbeitskräfte wie z.B. Reinigungskraft, Hilfsarbeit in der Land-

wirtschaft,

Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Berufsausbildung,

Teilzeitbeschäftigte.

Gibt es eigentlich einen Zusammenhang zwischen Lohnhöhe und Qua-

lität der Arbeit?

Die Qualität am Arbeitsplatz steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der

Höhe der Löhne. Je tiefer der Lohn, desto schlechter sind in der Regel die

Arbeitsbedingungen. Niedriglohn wird somit immer mit schlechten Arbeits-

bedingungen, unzureichender sozialer Absicherung (niedriger Lohn = niedri-

ge Rente im Alter) und keinerlei Chancen auf Weiterbildung, Qualifizierung

und berufliche Karriere gleichgesetzt.

Niedrige Löhne haben zudem ungenügende Lohnersatzleistungen bei Ar-

beitslosigkeit und Krankheit zur Folge. Aus sozialer und gesellschaftlicher

Frauen würden am meisten profi-tieren.

Mindestlöhne sind wichtig für die Bekämpfung der Armut.

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Sicht sind Niedriglöhne nicht nur Auslöser für Altersarmut, sondern sie sind

eine wichtige Ursache für Armut überhaupt.

Mit anderen Worten: Ein Mindestlohn ist ein wichtiges Instrument im Kampf

gegen Armut und soziale Ausgliedrung.

Wie hoch muss ein Mindestlohn sein?

Ausgangspunkt für die Forderung nach einem Mindestlohn ist das Existenz-

minimum. Jemand, der 100 Prozent arbeitet, soll mit dem Lohn seinen Le-

bensunterhalt finanzieren können.

Es gibt viele Arten, wie dieses Existenzminimum berechnet werden kann. So

kennt man in der Schweiz das Existenzminimum gemäss der Richtlinien der

Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS). Daneben gibt es auch

das so genannte betreibungsrechtliche Existenzminimum. Das ist der Be-

trag, der einem Schuldner im Falle einer Pfändung wegen Schulden auf je-

den Fall belassen werden muss und nicht gepfändet werden darf.

Zur materiellen Grundsicherung zählen gemäss SKOS folgende Positionen:

Wohnkosten (samt üblichen Nebenauslagen), Medizinische Grundversor-

gung (samt Selbstbehalten und Kosten nötiger Zahnbehandlung), Grundbe-

darf für den Lebensunterhalt.

Existenzminimum gemäss SKOS plus 10 Prozent (2008)

Grundbedarf 990 Franken

Wohnen (2-Zimmer-Wohnung) 910 Franken

Berufsauslagen 400 Franken

diverse situationsbedingte Ausgaben 200 Franken

Steuern/Sozialversicherung/Krankenversicherung 750 Franken

Risikomarge 10 Prozent 320 Franken

Total (2008) 3570 Franken

Total (2011) 3800 Franken

In der Schweiz braucht es also mindestens 3800 Franken um über die Run-

de zu kommen.

Es gibt noch eine andere, international übliche Berechnungsmethode, um

herauszufinden, wie hoch ein Mindestlohn sein sollte. Die Organisation für

wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat die Tief- oder

Niedriglohnschwelle folgendermassen definiert: Als Niedriglohn wird ein

Es braucht min-destens 4000 Franken pro Mo-nat oder 22 Franken pro Stunde.

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Bruttolohn bezeichnet, der unterhalb von zwei Dritteln des nationalen Medi-

anbruttolohns aller Vollzeitbeschäftigten liegt.

Was ist aber ein Medianbruttolohn? Der Medianbruttolohn ist der Lohn, bei

dem eine Hälfte aller Beschäftigten mehr verdient, und die andere dement-

sprechend weniger. Der Medianlohn liegt also genau in der Mitte. Von die-

sem Lohn nimmt man zwei Drittel und man hat die Niedriglohngrenze. Es ist

sinnvoll, diese Grenze auch gleichzeitig als Mass für einen Mindestlohn zu

nehmen.

In der Schweiz beträgt dieser Medianlohn 5823 Franken. Zwei Drittel davon

sind 3882 Franken.

Ausgehend von diesen Zahlen (SKOS-Richtlinien zum Existenzminimum,

Niedriglohngrenze gemäss OECD) wird in der Initiative der Gewerkschaften

ein Mindestlohn von 22 Franken pro Stunde gefordert. Das sind bei einer bei

einer 42 Stunde-Woche 4000 Franken pro Monat.

Zur Erinnerung: Mit diesem Lohn kann man ein einigermassen anständiges

Leben führen. Die Summe liegt aber nur knapp über dem Existenzminimum,

so dass der Lohn sicher nicht als zu hoch bezeichnet werden kann.

Sind Niedriglöhne in der reichen Schweiz überhaupt ein Problem?

In der Schweiz arbeiten heute rund 400‘000 Menschen zu Armutslöhnen,

d.h. sie verdienen weniger als 3'500 Franken im Monat. Viele von ihnen sind

„working poor“, das heisst sie sind trotz Arbeit arm und auf Sozialhilfe ange-

wiesen. Steigende Krankenkassenprämien und hohe Mietkosten liegen

schwer auf dem Familienbudget, wenn der Lohn nicht reicht.

Rund 300'000 Tieflohnbezügerinnen sind Frauen. Mindestlöhne sind also

auch ein wichtiger Schritt in Richtung Lohngleichstellung!

In der Schweiz wachsen 233'000 Kinder in Armut auf, viele von ihnen, ob-

wohl ihre Eltern Arbeit haben. Oder anders gesagt: Wer zu wenig verdient,

kann sich keine Kinder «leisten». Das ist ein sozialpolitischer Skandal. Ein

Lohn von mindestens 4000 Franken hilft darum nicht nur den Direktbetroffe-

nen, sondern auch den Familien.

Tiefstlöhne haben auch im Alter schlimme Folgen: Sie führen zu Armutsren-

ten. Darum ist der gesetzliche Mindestlohn auch im Pensionsalter wichtig,

speziell auch für viele Frauen: Denn wer im Erwerbsleben einen anständigen

Lohn erhält, hat im Alter eine existenzsichernde Altersvorsorge.

Fast eine halbe Million bekommt nur einen Hun-gerlohn.

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Ist es nicht so, dass die Löhne steigen, und das Problem der Niedrig-

löhne immer kleiner wird?

Nein, das Gegenteil ist der Fall.

Die Löhne der Arbeitnehmenden mit mittleren und tiefen Einkommen sind

nach Abzug der Teuerung in den letzten Jahren kaum gestiegen. Profitiert

haben nur die hohen Einkommen. So hat die Zahl derjenigen, die eine Milli-

on Franken und mehr verdienen stark zugenommen. Die Normalverdienen-

den hingegen verspüren steigenden Lohndruck.

Was sind die Ursachen dieses Lohndrucks?

Es gibt mehrere Gründe:

Höhere Arbeitslosigkeit. Das ist unter anderem eine Folge von Rati-

onalisierungen in den Betrieben. Mehr Arbeitslose bedeutet mehr

Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Lohnerhöhungen sind schwieri-

ger.

Lohndiskriminierung der Frauen: Bei gleicher Arbeit verdienen die

Frauen rund 10 Prozent weniger als die Männer. In den letzten 20

Jahren ist der Anteil der Frauen an der Gesamtbeschäftigung von

rund 41 auf 45 Prozent gestiegen. Die Firmen haben auf Kosten der

Frauen mehr Gewinn gemacht.

Auslagerung von Arbeiten in Billigfirmen: Viele Firmen haben einen

Teil ihrer Tätigkeiten in externe Firmen, die tiefere Löhne zahlen,

ausgelagert. So zum Beispiel die Reinigung. Bis in den 1990er Jah-

re hatten die Banken das Reinigungspersonal selber angestellt. Mitt-

lerweile putzen externe Reinigungsfirmen die Banken.

Sparprogramme der öffentlichen Hand: Wegen diesem künstlichen

und unnötigen Spardruck hinken die öffentlichen Löhne den Löhnen

in der Privatwirtschaft hinterher.

Verbilligung der Temporärarbeit: Temporärbüros können wegen der

Personenfreizügigkeit Grenzgänger und Kuraufenthalter aus dem

Ausland an Schweizer Firmen verleihen. Wenn die Temporärbüros

den Temporärbeschäftigten aus dem Ausland keine Schweizer Löh-

ne zahlen, wird die Temporärarbeit billiger. Bei Lohnkontrollen wird

oft Lohndumping bei Temporären festgestellt. Der Anteil der Tempo-

rären an der Gesamtbeschäftigung in der Schweiz hat sich innerhalb

von 10 Jahren fast verdoppelt und beträgt heute mehr als 2 Prozent

– in einzelnen Branchen (z.B. Bau) ist es fast ein Viertel.

Lohndruck ist ge-stiegen.

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Bonus-Zahlungen: Von den Boni profitieren vor allem die hohen Ein-

kommen auf Kosten der tieferen Einkommen. Es ist daher kein

Wunder, dass die Lohnschere genau in den Branchen mit dem

höchsten Bonus-Anteil (Banken, Versicherungen) aufgegangen ist.

Ist nicht auch die Personenfreizügigkeit schuld am Lohndruck und den

vielen tiefen Löhnen?

Seit der Personenfreizügigkeit hat der Druck auf die Löhne tatsächlich zuge-

nommen. Die Gewerkschaften haben daher für flankierende Massnahmen

gekämpft, und wollen diese und die damit verbundenen Kontrollen weiter

verbessern. Aber gerade in Branchen ohne Mindestlohn kommt es immer

wieder zu Fällen von Lohndumping.

Die Einführung eines Mindestlohns wäre deshalb eine wichtige Ergänzung

zu den bestehenden flankierenden Massnahmen. Mit einem gesetzlichen

Mindestlohn wird es nicht mehr möglich sein, in der Schweiz zu einem Lohn

von 10, 12 oder 15 Franken pro Stunde zu arbeiten – auch nicht in den

Branchen in denen die Gewerkschaften noch schwach sind.

Ein Mindestlohn ist die beste Prävention gegen Lohndumping. Wer in der

Schweiz arbeitet, soll für die gleiche Arbeit auch den gleichen Lohn erhalten

und davon anständig leben können!

Ist es nicht so, dass die Löhne in der Schweiz im internationalen Ver-

gleich schon jetzt zu hoch sind?

Die Schweiz ist sicher kein billiges Land. Wie haben hohe Lebensmittelprei-

se, die Medikamente sind teurer als im Ausland, die Mieten sind hoch und

die Krankenkassenprämien sind kaum mehr zu bezahlen. Es braucht des-

halb auch Löhne, mit denen man das Leben in unsrem Land finanzieren

kann.

Für die internationale Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft ist aber nicht

die Höhe der Löhne der entscheidende Faktor. Viel wichtiger ist, wie viel die

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer bestimmten Zeit produzieren.

Es geht um die Produktivität. Und hier liegen wir weit vorne. Wir produzieren

ein Stück Ware drei, vier und fünf Mal so schnell wie die Konkurrenz im Aus-

land – und erst noch in besserer Qualität. Entscheidend sind also die Lohn-

stückkosten (der Anteil Lohn pro produziertes Stück Ware) und nicht der

Lohn an sich.

Mindestlöhne sind wichtig als flankierende Massnahme bei der Personenfrei-zügigkeit.

Es kommt auf die Lohnstückkosten an.

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Aber werden bei einem Mindestlohn nicht Arbeitsplätze im Tieflohnbe-

reich ins Ausland verlagert?

Nein, denn Niedriglohn-Jobs sind vor allem bei ortsgebundenen Dienstleis-

tungen zu finden (Coiffeur, Gastgewerbe, persönliche Dienstleistungen,

Landwirtschaft usw.), die nicht ins Ausland verlagert werden können.

Ist es nicht falsch, einen einheitlichen Mindestlohn für das ganze Land

festzulegen, ohne Rücksicht auf die regionalen Unterschiede?

Ziel der Initiative ist ein nationaler Mindestlohn, deshalb soll es auch so we-

nige Ausnahmen wie möglich geben.

Gegen eine Kantonalisierung der Löhne sprechen zahlreiche Argumente:

sehr viele Preise sind national gleich hoch; viele Dienstleistungen werden

über die Kantonsgrenzen hinweg angeboten bzw. ein beträchtlicher Teil der

Dienstleistungen wird in den Kantonen von ausserkantonalen Anbietern er-

bracht (Bau usw.); kantonal unterschiedliche Mindestlöhne wären zudem

schwieriger zu kontrollieren. Was soll entscheidend sein, der teure Wohn-

kanton des Arbeitnehmers oder der Sitz des Unternehmens, für das er arbei-

tet, in einem anderen, „billigeren“ Kanton?

Um aber Kantonen, die über den nationalen Mindestlohn hinaus einen höhe-

ren kantonalen Mindestlohn einführen wollen, diese Möglichkeit zu geben,

ist in der Initiative zusätzlich eine entsprechende Kompetenz eingefügt. Ab-

schläge sind aber nicht zulässig.

Bleibt der Mindestlohn für alle Zeiten gleich hoch?

Der Mindestlohn muss regelmässig an die Lohn- und Teuerungsentwicklung

angepasst werden – und zwar nach dem gleichen Mechanismus wie bei der

AHV, dem so genannten Mischindex. Er steigt nicht nur im Ausmass der

Teuerung, sondern berücksichtigt auch die Lohnerhöhungen zur Hälfte. Um

die Teilanpassung an die Lohnentwicklung zu kompensieren, soll eine An-

passung über den Mischindex hinaus möglich sein. Der Mischindex ist das

Minimum. Die Initiative verlangt zudem, dass bei einer Anpassung an die

Lohn- und Preisentwicklung die Sozialpartner mitwirken dürfen.

Der Mindestlohn gilt also für alle Kategorien von Erwerbstätigen?

Nicht ganz. Der Mindestlohn stellt eine zwingende Lohnuntergrenze dar, die

in keinem Arbeitsverhältnis unterschritten werden darf. Branchenausnahmen

sind nicht möglich. Auch für unter 25-Jährige soll es keine Ausnahmerege-

Kantone können den Mindestlohn aufstocken.

Der Mindestlohn wird der Teue-rung und der Lohnentwicklung angepasst.

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lungen geben. Ausnahmen von der Einhaltung des gesetzlichen Mindestloh-

nes sollen jedoch für bestimmte Anstellungen möglich sein.

Unter der Bezeichnung „besondere Arbeitsverhältnisse“, die nicht unter den

Geltungsbereich des Mindestlohnes fallen sollen, versteht die Initiative fol-

gende Anstellungen:

Berufslehre

Arbeitsverhältnisse mit Minderjährigen (z.B. Ferienjobs)

Anstellungen mit überwiegendem Ausbildungscharakter (Praktikum,

Einarbeitungszeit)

Anstellungen im eigenen Familienbetrieb

Anstellungen mit überwiegendem gemeinnützigem Charakter (Frei-

willigenarbeit)

Wie werden eigentlich die Gesamtarbeitsverträge in der Initiative be-

rücksichtigt?

Die Initiative nennt das wichtigste Instrument zum Schutz der Löhne: die

Mindestlöhne in Gesamtarbeitsverträgen. Für die Gewerkschaften bleiben

die Gesamtarbeitsverträge der Königsweg für anständige Löhne – erst wenn

der Abschluss eines Gesamtarbeitsvertrages nicht möglich ist, gelten die

gesetzlichen Mindestlöhne. Um den Abschluss von GAV mit Mindestlöhnen

voranzutreiben, verlangt die Initiative, dass der Bund diese fördert.

Wie ist das zu verstehen?

Unter Förderung des Abschlusses und der Einhaltung von Mindestlöhnen in

GAV sind u.a. folgende Massnahmen zu verstehen:

GAV-Pflicht bei öffentlichen Aufträgen von Bund, Kantone oder Ge-

meinden. Ein Unternehmen, das einen öffentlichen Auftrag von

Bund, Kanton oder Gemeinde will, muss einen GAV abgeschlossen

haben.

GAV-Pflicht bei Erteilung von Konzessionen und Finanzhilfen. Auch

bei der Erteilung von Konzessionen, zum Beispiel für Radio- oder

Fernsehsender oder Personentransport muss das gesuchstellende

Unternehmen nachweisen, dass es einen GAV abgeschlossen hat.

Auslagerungen bzw. Privatisierungen nur unter der Auflage einer

GAV-Einhaltung.

Lehrlinge und Familienbetriebe sind ausgenom-men.

Öffentliche Auf-träge nur noch mit Gesamtar-beitsvertrag.

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Was verlangt die Initiative genau?

Ein neuer Verfassungsartikel (Art. 110a neu) gibt Bund und Kanto-

nen den Auftrag, Massnahmen zum Schutz der Löhne zu treffen.

Das geschieht in erster Linie über eine Förderung von Mindestlöh-

nen in Gesamtarbeitsverträgen und in zweiter Linie über einen nati-

onalen gesetzlichen Mindestlohn.

Der gesetzliche Mindestlohn beträgt 22 Fr./h (2011).

Er wird an die Lohn- und Teuerungsentwicklung angepasst.

Die Kantone erhalten die Kompetenz, höhere Mindestlöhne als der

nationale Mindestlohn festzulegen.

Wie lautet der Text der Initiative?

I. Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:

Art. 110a Schutz der Löhne

1 Bund und Kantone treffen Massnahmen zum Schutz der Löhne auf dem

Arbeitsmarkt.

2 Sie fördern zu diesem Zweck insbesondere die Festlegung von orts-, be-

rufs- und branchenüblichen Mindestlöhnen in Gesamtarbeitsverträgen und

deren Einhaltung.

3 Der Bund legt einen gesetzlichen Mindestlohn fest. Dieser gilt für alle Ar-

beitnehmerinnen und Arbeitnehmer als zwingende Lohnuntergrenze. Der

Bund kann für besondere Arbeitsverhältnisse Ausnahmeregelungen erlas-

sen.

4 Der gesetzliche Mindestlohn wird regelmässig an die Lohn- und Preisent-

wicklung angepasst, mindestens aber im Ausmass des Rentenindexes der

Alters- und Hinterlassenenversicherung.

5 Die Ausnahmeregelungen und die Anpassungen des gesetzlichen Min-

destlohnes an die Lohn- und Preisentwicklung werden unter Mitwirkung der

Sozialpartner erlassen.

6 Die Kantone können zwingende Zuschläge auf den gesetzlichen Mindest-

lohn festlegen.

II. Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt

geändert:

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Art. 197 Ziff. 8 (neu)

8. Übergangsbestimmungen zu Art. 110a (Schutz der Löhne)

1 Der gesetzliche Mindestlohn beträgt 22 Franken pro Stunde. Bei der In-

kraftsetzung von Artikel 110a wird die seit dem Jahr 2011 aufgelaufene

Lohn- und Preisentwicklung nach Artikel 110a Absatz 4 hinzugerechnet.

2 Die Kantone bezeichnen die Behörde, die für den Vollzug des gesetzlichen

Mindestlohnes verantwortlich ist.

3 Der Bundesrat setzt Artikel 110a spätestens drei Jahre nach dessen An-

nahme durch Volk und Stände in Kraft.

4 Falls innert dieser Frist kein Ausführungsgesetz in Kraft gesetzt wird, er-

lässt der Bundesrat unter Mitwirkung der Sozialpartner die nötigen Ausfüh-

rungsbestimmungen auf dem Verordnungsweg.

Wer unterstützt alles die Initiative?

SGB – Schweizerischer Gewerkschaftsbund

Unia

SEV – Gewerkschaft des Verkehrspersonals

Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD)

Syndicom – Gewerkschaft Medien und Kommunikation

Personalverband des Bundes PVB

Musikpädagogischer Verband

garaNto

AvenirSocial

Schweizer Syndikat Medienschaffender – SSM

kapers – Vereinigung des Kabinenpersonals

Schweizerischer Musikerverband SMV

Schweizerischer Bühnenkünstlerverband SBKV

SIT – Syndicat interprofessionnel de travailleuses et travailleurs

KABBA – Komitee der Arbeitslosen und Armutsbetroffenen

Alternative Liste / Linke

LCH – Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer

SAH – Schweizerisches Arbeiterhilfswerk

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Liste 13

SP

Grüne

CSP

JUSO Schweiz

Junge Grüne

VASOS – Vereinigung aktiver Senioren- und Selbsthilfe-

Organisationen der Schweiz

IG Sozialhilfe

Wann wird über die Initiative abgestimmt?

Für die Mindestlohn-Initiative werden seit dem 25. Januar Unterschriften ge-

sammelt. Die Initianten haben bis zum 25. Juli 2012 Zeit, die benötigten

100‘000 Unterschriften zu sammeln. Nach dem Zustandekommen der Initia-

tive muss der Bundesrat dem Parlament einen Vorschlag machen, wie mit

der Initiative zu verfahren ist. Er die Annahme oder die Ablehnung empfeh-

len. Er kann auch einen direkten oder indirekten Gegenvorschlag machen.

Anschliessend entscheidet das Parlament. Und dann erst kann das Volk

über die Initiative und eventuell einen Gegenvorschlag abstimmen. Wann

diese Abstimmung stattfinden wird, kann heute noch nicht gesagt werden.

pc/27.1.2011