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Was ist Diskurs?
„Unter dem S3chwort ‚Diskurs‘ führte ich die durch Argumenta3on gekennzeichnete Form der Kommunika3on ein, in der problema3sch gewordene Geltungsansprüche zum Thema gemacht und auf ihre Berech3gung hin untersucht werden.“ Jürgen Habermas: Wahrheitstheorien (Wikipedia, Diskurs)
Michel Foucault Wahrheit, Diskurs, Archäologie
Truth "One night when we were talking about the truth of myth, he [Foucault] said that the great ques3on, according to Heidegger, was to know what was the ground of truth; according to WiXgenstein, it was to know what one was saying when one spoke the truth; "but in my opinion," he added (..) "the ques3on is: how is it that there is so liXle truth in truth?” P. Veyne 1993, 231, in: Foucault and his Interlocutors.
Michel Foucault (1926-‐1984)
Franz. Philosoph, Historiker, Ideengeschichtler
Werke: Die Ordnung der Dinge, Sexualität und Wahrheit, Archäologie des Wissens, Disposi3ve der Macht „Unerträglich sind: die Gerichte, die Bullen, die Krankenhäuser, die Irrenanstalten, die Schule, der Wehrdienst, die Presse, das Fernsehen, der Staat“ (nach: Eribon 1989, ZeitschriE. InformaIonsgruppe über die Gefängnisse).
Les Mots et les choses. Une archéologie des sciences humaines (1966) Die Ordnung der Dinge Das Buch beginnt mit einer längeren Besprechung des Bildes Las Meninas von Diego Velázquez und seiner komplexen Anordnung von Sichtlinien, Verborgenem und Sichtbarem. (Wikipedia über Ordnung der Dinge)
Diego Velázquez Las Meninas Die Hoffräulein (1656)
Machtanaly3sche Aspekte nach Foucault -‐ Wie regieren, regeln GesellschaEen ihr FunkIonieren?
Disziplinartechnologie (souveräne Macht) Biomacht (Kontrolle) 17Jh/18Jh – Auoommen einer neuen MachXechnologie, die die räumliche Verteilung, Ausrichtung und Serialisierung der Körper organisiert (in Architekturen, Gesetzen, Kleidung etc.) und sie so (dauerhaq) formt und ordnet. Formung/Disziplinierung der individuellen Körper (in Ins3tu3onen wie Schule etc.)
Karikatur von 1904: „Das Reformkleid ist vor allem hygienisch und erhält den Körper tüchBg für die MuDerpflichten.“
Macht
Disp 110
Macht-‐Wahrheit-‐Aussagen-‐Wissen Wahrheit ist als ein Ensemble von geregelten Verfahren für Produk3on, Gesetz, Verteilung und Weitergabe von Aussagen errichtet
(Foucault, Disposi3ve 41)
Was ist Diskurs?
EXKURS: L. Wittgenstein „(...) Und diese Mannigfaltigkeit ist nichts Festes, ein für allemal Gegebenes; sondern neue Typen
der Sprache, neue Sprachspiele, wie wir sagen können, entstehen und andre veralten und werden vergessen. (....)
Das Wort Sprachspiel soll hier hervorheben, dass das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer
Tätigkeit, oder einer Lebensform.
Führe dir die Mannigfaltigkeit der Sprachspiele an diesen Beispielen, und anderen, vor Augen:
Befehlen, und nach Befehlen handeln – Beschreiben eines Gegenstandes nach dem Ansehen, oder nach Messungen – Herstellen eines Gegenstandes nach einer Beschreibung (Zeichnung) – Berichten eines Herganges – Über den Vorgang Vermutungen anstellen – Eine Hypothese aufstellen und prüfen – Darstellen der Ergebnisse eines Experimentes durch Tabellen und Diagramme – Eine Geschichte erfinden; und lesen – Theater spielen – Reigen singen – Rätsel raten – Einen Witz machen; erzählen – Ein angewandtes Rechenexempel lösen – Aus einer Sprache in die andere übersetzen – Bitten, Danken, Fluchen, Grüßen, Beten.“[1].
[1] Wittgenstein PU, §23.
FOUCAULT -‐ Diskurs Diskurs = eine Menge von Aussagen, die zur selben diskursiven Forma3on gehören. Diskurs ist historisch. Diskursive Praxis = eine Gesamtheit von anonymen, historischen, stets in Raum und Zeit determinierten Regeln, die in einer gegebenen Epoche und für eine gegebene soziale, ökonomische, geographische oder sprachliche Umgebung die Wirkungsbedingungen der Aussagefunk3on definiert haben (Sabine Maasen, nach Arch 171)
„Diskurs ist eine ins3tu3onell verfes3gte Redeweise , insofern eine solche Redeweise schon Handeln bes3mmt und verfes3gt und also schon Macht ausübt.“ Jürgen Link (1982)
„Der Begriff Diskurs bezeichnet bei Foucault eine Praxis. Diskursive Praxis meint die Praxis der symbolischen Herstellung von Gegenständen, deren Materialisierung sowie deren Re-‐Produk3on durch Kons3tu3on von Bedeutung und Sinn in einer komplexen gesellschaqlichen Praxis“ (Hanelore Bublitz 1998, 9)
„Diskurse erscheinen bei Foucault als symbolische Ordnungen, die sich zwischen die fundamentalen Codes einer Kultur, die ihre Sprache, ihre Wahrnehmungsschemata, ihren Austausch, ihre Techniken, ihre Werte, die Hierarchie ihrer Prak3ken beherrschen, und wissenschaqliche Theorien und Erklärungen schieben“ (Bublitz 1998, 12)
„Diskurs (...) ist auch nicht bloß das, was die Kämpfe oder Systeme der Beherrschung übersetzt, er ist dasjenige, worum und womit man kämpq." (Foucault Ordnung D, 8; zit. nach: Huffschmid 2001, 39) „Die symbolischen Ordnungen einer gesellschaqlichen Kultur(epoche) beinhalten eine historisches Archiv der Geschlechterverhältnisse. Es bezeichnet das Gesetz dessen, was über das Verhältnis der Geschlechter zu einem bes3mmten Zeitpunkt gedacht oder gesagt werden kann.“ (Bublitz 1998, 15)
„Es [ist] eine Aufgabe, die darin besteht, nicht -‐ nicht mehr -‐ die Diskurse als Gesamtheit von Zeichen [...], sondern als Prak3ken zu behandeln, die systema3sch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen. Zwar bestehen diese Diskurse aus Zeichen; aber sie benutzen diese Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnung der Sachen. Dieses mehr macht sie irreduzibel auf das Sprechen und die Sprache. Dieses Mehr muß man ans Licht bringen und beschreiben.“ Michel Foucault: Archäologie des Wissens. Frankfurt am Main 1981, S. 74
Performa3vität
„Vielmehr erscheint dort, wo der Körper miXels diskursiver Prak3ken begrifflich erzeugt
wird, Natur“ (Hannelore Bublitz 1999, über Butler, 51)
Das Disposi3v
Disposi3ve sind bei Foucault „ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Ins3tu3onen, architektonische Einrichtungen, reglemen3erte Entscheidungen, Gesetze, administra3ve Maßnahmen, wissenschaqliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes, umfasst. Soweit die Elemente des Disposi3vs. Das Disposi3v selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpq werden kann“. (Foucault Disposi3ve, 120.)
Literatur Michel Foucault, Disposi3ve der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin 1978. Hannelore Bublitz, Das Geschlecht der Moderne. Genealogie und Archäologie der Geschlechterdifferenz, Frankfurt 1998. Hannelore Bublitz, Das Wuchern der Diskurse. Perspek3ven der Diskursanalyse Foucaults, Frankfurt 1999. Arnold I. Davidson, Foucault and his Interlocutors, Chicago 1997. Anne Huffschmid, Diskursguerilla. Wortergreifung und Widersinn. Die Zapa3stas im Spiegel der mexikanischen und interna3onalen Öffentlichkeit, Heidelberg 2004. Anne Huffschmid, Wider-‐Sprechen. Zur zapa3s3schen Selbstbehauptung, in: KultuRRevolu3on Nr. 41/42, August 2001, S. 39-‐49. Jürgen Link, Kollek3vsymbolik und Mediediskurse, in: KultuRRevolu3on 1/1982, S. 6-‐21. Ludwig WiXgenstein, Philosophische Untersuchungen, in: Tractatus Logico Phiosophicus (TLP)......, Frankfurt 1984.
Sabine Maasen / Universität Basel, ppt im Netz Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens
Es geht um eine neue Methodologie, die Historizität des Wissens und der Wissenssysteme zu analysieren.
Die diskursiven Regelmäßigkeiten 1. Die Einheiten des Diskurses
• Es geht nicht um: Tradi3on, Einfluß, Entwicklung / Evolu3on, Mentalität/ "Geist", Kon3nuität des Diskurses
• Generelles Ziel: unausgewiesene Konstruk3onen ihrer Quasi-‐Evidenz zu entreissen (40) – Synthesen und reflexive Kategorien, wie Ordnungsprinzipien, norma3ve Regeln, ins3tu3onalisierte Typen,
Iden3täten aller Art (Disziplinen, Autoren, Werke): → sie sind stets variabel & rela3v. → konkretes Ziel: reine Beschreibung der diskursiven Ereignisse als Horizont für die sich dazu
bildenden Einheiten (41) → Frage: Wie kommt es, dass eine besBmmte Aussage erschienen ist und keine andere an ihrer
Stelle? (42)
Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens
• Es geht nicht um die Interpreta3on der (soziohistorisch spezifischen) Aussagefakten, sondern die Analyse richtet sich auf die Beschreibung:
• ihrer Koexistenz, ihrer Abfolge, ihres wechselsei3gen Funk3onierens, ihrer reziproken Determina3onen, ihrer korrela3ven Transforma3on
2. Die diskursiven Transforma7onen • Wie bes3mmt man die Beziehungen zwischen Aussagen einer (?) Gruppierung? • Man beschreibt “Systeme der Streuung”: • "Eine Ordnung in ihrer sukzessiven Erscheinung, Korrela3onen in ihrer Gleichzei3gkeit,
bes3mmbare Posi3onen in einem gemeinsamen Raum, ein reziprokes Funk3onieren, verbundene und hierarchisierte Transforma3onen.“
• Foucault gibt damit 4 “Forma3onsregeln” (bzw. Existenzbedingungen) für Diskurse an: Die zielen auf
• Gegenstände / Äußerungsmodalitäten / Begriffe / themaIsche Wahlen
Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens
3. Die Forma7on der Gegenstände • Was sind die
– Oberflächen ihres Auqauchens? – Instanzen der Abgrenzung? – Spezifika3onsraster?
• Eine solcherart beschriebene diskursive Forma3on besteht, wenn und solange sie gleichzei3g oder nacheinander sich einander ausschließende Gegenstände hervor-‐bringen kann, ohne dass die diskursive Forma3on sich selbst verändern müßte (67). Jedes Objekt exis3ert (nur)
– 1. durch ein Bündel von Beziehungen – 2. diese Beziehungen sind nicht im Gegenstand präsent, sondern ihm äußerlich. – 3. Sie sind diskursiv
→ Es geht darum zu zeigen, dass man zu einer gegebenen Zeit von besBmmten Gegenständen reden, sie benennen, sie behandeln, sie klassifizieren, sie erklären kann
→ Es geht nicht um eine Welt “hinter” den Dingen, ihren “eigentlichen” Sinn. Es handelt sich vielmehr um die Beschreibung der PrakBken, die systemaBsch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen.
Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens
4. Die Forma7on der Äußerungsmodalitäten
• Fragen: • Wer spricht? Welchen Status (welches Recht, ...) haben die Sprecher? • Von wo aus wird gesprochen? Ins3tu3onelle Plätze? • Welche Posi3onen haben die Subjekte im Diskurs?
• Der (z.B. klinische) Diskurs setzt zwischen einzelnen Elementen (z.B. den Status der Mediziner, den Ort den Labors, ...) ein Beziehungen her, die – auf konsistente Weise angewandt – ein System bilden. (80)
→ Das Bezugssystem dieser Beziehungen ist nicht das einheitss3qende Bewußtsein, sondern die Spezifität einer diskursiven Praxis.
Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens
5. Die Forma7on der Begriffe
• Wie ist das Feld organisiert, in dem Aussagen auqauchen und zirkulieren? Die Analyse richtet sich auf:
• Die Abfolge von Aussagen(Anordnung von Aussagen verfolgen, Schemata) • Ihre Koexistenz (Feld der Präsenz, Feld der Begleitumstände, Erinnerungsgebiet) • Die Prozeduren der Interven3on (Neubeschreibung, Methoden der Transkrip3on,
Abgrenzung, etc.)
→ So organisiert der Diskurs auf ‚vorbegriffliche Weise‘ die Begriffe: als eine Menge von Regeln, die regelmäßig prak3ziert, eben diese Begriffe erzeugen.
Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens
6. Die Forma7on der Strategien
• Was sind die "Bruchpunkte" des Diskurses? – Punkte der Inkompa3bilität – Äquivalenzbeziehungen – Anknüpfungspunkte für eine Systema3sierung
• Welches ist die "Ökonomie der diskursiven Konstella3on"? – Ausschluß – Wahlmöglichkeiten – Modifika3on
• Welche Funk3onen übt ein Diskurs in einem Feld nicht-‐diskursiver Prak3ken aus? – System und Prozesse – Welches "Begehren" weckt den Diskurs?
Michel Foucault 1969/1973: Archäologie des Wissens
• Apriori = Gesamtheit der Regeln, die eine diskursive Praxis charkterisieren. – Historisches Apriori = jedes Apriori hat eine spezifische Geschichte (Tempo, Ak3vität,
Dauer) – Archiv = Die Aussagensysteme einer Zeit (inklusive der Ereignisse und der Dinge; 187
• Das System der Aussagbarkeit • Das System des Funk3onierens • Das, was die Diskurse eienr Zeit in ihrer vielfachen und verschiedenar3gen Existenz
differenziert und in ihrer genauen Dauer spezifiziert • Praxis • Allgemeines System der Forma3on und Transforma3on von Aussagen (188)
• Die Archäologie beschreibt den allgemeinen Hintergrund der jeweils untersuchten Diskurse. Sie beschreibt
– die diskursive Forma3on, die Posi3vitäten, die Aussagefelder • Die Archäologie beschreibt die Diskurse als spezifische Prak3ken im Element des Archivs.
Analyse von Diskurs nach Foucault
Nach Gilles Deleuze, Foucault, Frankfurt 1997.