fermatdeutschclaviec.weebly.com/uploads/3/1/3/1/3131110/synthse_… · Web viewEs gibt demnach kaum...

9
KURIOSE KLISCHEES UND VERWEGENE VORURTEILE ÜBER DIE DEUTSCHEN 1 Der typische Deutsche ist ein notorischer Nörgler und immer auf der Suche nach dem Haar in der Suppe. Er ist blond und blauäugig, leicht unterkühlt, distanziert und ziemlich humorlos. Bier ist ein elementarer Bestandteil seiner Kultur. Dazu verzehrt der Deutsche ungeheure Mengen an Wurst, Sauerkraut und Kartoffeln. 67,6 Kilo im Jahr um genau zu sein, denn pedantisch sind wir außerdem. Aus der Webseite Seniorbook Pünktlichkeit und Effizienz Die Deutschen gelten als besonders pünktlich. Ausländischen Besuchern wird in der Standard-Reiseliteratur empfohlen, sich am besten bereits fünf bis zehn Minuten vor einem Termin am Ort der Verabredung einzufinden. Die Welt da draußen ist allerdings auch felsenfest davon überzeugt, das träfe auf die Deutsche Bahn ebenfalls zu. Die sei absolut zuverlässig und pünktlich und darüber hinaus auch noch sehr bequem und schnell. Der britische Reiseführer Lonely Planet Germany schwärmt sogar, das deutsche Zugsystem sei "das effizienteste in ganz Europa". Lederhosen, Biergarten und FKK Klischees über die Deutschen werden gepflegt und gehätschelt. Was mitunter dazu führt, dass unsere Gäste enttäuscht sind, wenn sie zum Beispiel unsere Landeshauptstadt besuchen und dort weit und breit keine Dirndlträgerin vorfinden. Ja, nicht einmal ein Exemplar dieser typischen Bier in Maßkrügen trinkenden, schenkelklopfenden und mit Krachlederhosen bekleideten Ureinwohner. Und wo sind all die Anhänger der hierzulande angeblich so beliebten Freikörper-Kultur, die sich gerne auch in fortgeschrittenem Alter beim hüllenlosen Grillvergnügen in deutschen Parkanlagen präsentieren? Aber immerhin stimmt das Vorurteil mit den für Ungeübte extrem risikobehafteten Bänken in deutschen Biergärten. Die können den nichtsahnenden Besucher schon mal einen Meter durch die Luft schleudern, wenn am anderen Ende einer aufsteht. Volksmusik Es stimmt. Viele Deutsche lieben schreckliche Musik. Aber seit Heino die „toten Hosen“ covert, besteht immerhin ein Funken Hoffnung. Fußball Uns Deutschen wird eine geradezu fanatische Liebe zu Fußball und Autos nachgesagt. Natürlich ist auch da etwas Wahres dran. Die Deutschen sind besessen von Fußball. Die meisten von ihnen allerdings nur alle vier Jahre. Und die Erfolge der Deutschen auf diesem Gebiet werden neidlos anerkannt. Praktisch überall auf der Welt, wo es Fernsehgeräte gibt, werden reisende Deutsche sofort mit zwei Dingen konfrontiert: mit Hitler und mit den Namen der berühmtesten deutschen Fußball-Ikonen. Autos Deutsche Autos gelten weltweit als begehrte Statussymbole. BMW, Audi & Porsche zeigen, wo es lang geht auf den Straßen dieser Welt - wenn das Geld keine Rolle spielt. Und so mancher Mercedes, der bei uns schon vor Jahrzehnten ausrangiert wurde, dreht irgendwo auf diesem Planeten heute noch seine ewigen Runden. Der Export für den US-Markt wird nur deswegen mit Automatik ausgeliefert, weil die Deutschen glauben, dass Amerikaner keine Kupplung bedienen können. Außerdem kann man die Export-Modelle nicht mit vegetarischem Benzin betanken. Ausländischen Besuchern wird übrigens in der einschlägigen Literatur dringend davon abgeraten, sich an die Karosserie des deutschen Fetisch‘ zu lehnen. Es gibt demnach kaum etwas, das ihm in der Fremde größere Probleme eintragen könnte, als ein Kratzer im Lack. Deutsche lieben Regeln und befolgen sie geflissentlich Nun ja. Eine ganze Reihe von Regeln wie Geschwindigkeitsbegrenzungen, Parkverbote, Radwege und rote Fußgängerampeln werden hierzulande mehr als unverbindliche Empfehlungen aufgefasst und auch das Verhalten beim Anstehen an Schlangen bestätigt diese Regel nicht wirklich. Sicher – gelegentlich werden Sie auch hierzulande noch eine keifende Omi antreffen, die Sie auf Ihr Fehlverhalten hinweist. Oder einen älteren Herren vom Typ Blockwart, der die Kennzeichen falschparkender Mitbürger notiert. Aber auch diese Spezies ist längst vom Aussterben bedroht. Reserviert, distanziert…

Transcript of fermatdeutschclaviec.weebly.com/uploads/3/1/3/1/3131110/synthse_… · Web viewEs gibt demnach kaum...

Page 1: fermatdeutschclaviec.weebly.com/uploads/3/1/3/1/3131110/synthse_… · Web viewEs gibt demnach kaum etwas, das ihm in der Fremde größere Probleme eintragen könnte, als ein Kratzer

KURIOSE KLISCHEES UND VERWEGENE VORURTEILE ÜBER DIE DEUTSCHEN 1

Der typische Deutsche ist ein notorischer Nörgler und immer auf der Suche nach dem Haar in der Suppe. Er ist blond und blauäugig, leicht unterkühlt, distanziert und ziemlich humorlos. Bier ist ein elementarer Bestandteil seiner Kultur. Dazu verzehrt der Deutsche ungeheure Mengen an Wurst, Sauerkraut und Kartoffeln. 67,6 Kilo im Jahr um genau zu sein, denn pedantisch sind wir außerdem. Aus der Webseite Seniorbook

Pünktlichkeit und EffizienzDie Deutschen gelten als besonders pünktlich. Ausländischen Besuchern wird in der Standard-Reiseliteratur empfohlen, sich am besten bereits fünf bis zehn Minuten vor einem Termin am Ort der Verabredung einzufinden. Die Welt da draußen ist allerdings auch felsenfest davon überzeugt, das träfe auf die Deutsche Bahn ebenfalls zu. Die sei absolut zuverlässig und pünktlich und darüber hinaus auch noch sehr bequem und schnell. Der britische Reiseführer Lonely Planet Germany schwärmt sogar, das deutsche Zugsystem sei "das effizienteste in ganz Europa". Lederhosen, Biergarten und FKK Klischees über die Deutschen werden gepflegt und gehätschelt. Was mitunter dazu führt, dass unsere Gäste enttäuscht sind, wenn sie zum Beispiel unsere Landeshauptstadt besuchen und dort weit und breit keine Dirndlträgerin vorfinden. Ja, nicht einmal ein Exemplar dieser typischen Bier in Maßkrügen trinkenden, schenkelklopfenden und mit Krachlederhosen bekleideten Ureinwohner. Und wo sind all die Anhänger der hierzulande angeblich so beliebten Freikörper-Kultur, die sich gerne auch in fortgeschrittenem Alter beim hüllenlosen Grillvergnügen in deutschen Parkanlagen präsentieren? Aber immerhin stimmt das Vorurteil mit den für Ungeübte extrem risikobehafteten Bänken in deutschen Biergärten. Die können den nichtsahnenden Besucher schon mal einen Meter durch die Luft schleudern, wenn am anderen Ende einer aufsteht.VolksmusikEs stimmt. Viele Deutsche lieben schreckliche Musik. Aber seit Heino die „toten Hosen“ covert, besteht immerhin ein Funken Hoffnung. FußballUns Deutschen wird eine geradezu fanatische Liebe zu Fußball und Autos nachgesagt. Natürlich ist auch da etwas Wahres dran. Die Deutschen sind besessen von Fußball. Die meisten von ihnen allerdings nur alle vier Jahre. Und die Erfolge der Deutschen auf diesem Gebiet werden neidlos anerkannt. Praktisch überall auf der Welt, wo es Fernsehgeräte gibt, werden reisende Deutsche sofort mit zwei Dingen konfrontiert: mit Hitler und mit den Namen der berühmtesten deutschen Fußball-Ikonen. AutosDeutsche Autos gelten weltweit als begehrte Statussymbole. BMW, Audi & Porsche zeigen, wo es lang geht auf den Straßen dieser Welt - wenn das Geld keine Rolle spielt. Und so mancher Mercedes, der bei uns schon vor Jahrzehnten ausrangiert wurde, dreht irgendwo auf diesem Planeten heute noch seine ewigen Runden. Der Export für den US-Markt wird nur deswegen mit Automatik ausgeliefert, weil die Deutschen glauben, dass Amerikaner keine Kupplung bedienen können. Außerdem kann man die Export-Modelle nicht mit vegetarischem Benzin betanken. Ausländischen Besuchern wird übrigens in der einschlägigen Literatur dringend davon abgeraten, sich an die Karosserie des deutschen Fetisch‘ zu lehnen. Es gibt demnach kaum etwas, das ihm in der Fremde größere Probleme eintragen könnte, als ein Kratzer im Lack. Deutsche lieben Regeln und befolgen sie geflissentlichNun ja. Eine ganze Reihe von Regeln wie Geschwindigkeitsbegrenzungen, Parkverbote, Radwege und rote Fußgängerampeln werden hierzulande mehr als unverbindliche Empfehlungen aufgefasst und auch das Verhalten beim Anstehen an Schlangen bestätigt diese Regel nicht wirklich. Sicher – gelegentlich werden Sie auch hierzulande noch eine keifende Omi antreffen, die Sie auf Ihr Fehlverhalten hinweist. Oder einen älteren Herren vom Typ Blockwart, der die Kennzeichen falschparkender Mitbürger notiert. Aber auch diese Spezies ist längst vom Aussterben bedroht.Reserviert, distanziert…Was es bedeutet, mit diesem Klischee konfrontiert zu werden, durfte ich persönlich im Rheinland erfahren: An Tag drei nach dem Umzug wurde ich beim Nachbarn an der hinteren Gartengrenze vorstellig. Der wiederum war entrüstet, weil ich ihn nicht schon viel früher begrüßt hatte. Denn während sich der Bayer nur langsam aufwärmt und lieber erst drei Tage lang vorsichtig in seiner neuen Umgebung umschaut, dann aber – wenn er einmal Vertrauen gefasst hat - herzlich und verbindlich wird, trägt der Rheinländer sein Herz auf der Zunge, ist sehr offen und direkt, aber dafür eher unverbindlich. Soviel auch zum Thema "die Deutschen". Aber immerhin kann sich der Zugereiste auch auf eines verlassen: wenn der Deutsche ihn einen Freund nennt, dann meint er das auch. Das gilt in ähnlicher Weise für die Antwort auf die Frage: „Wie geht es Ihnen?“ Einer Redewendung, die eben anderswo nur als eine leere Floskel gilt. Deswegen wird insbesondere in englischsprachigen Reiseführern entschieden davon abgeraten, sich bei Deutschen nach dem Befinden zu erkundigen. Es sei denn man sei gewillt, sich die nächsten 15 Minuten deren Probleme anzuhören.… und humorlos?Ein englisches Paar bekommt ein Kind. Alle medizinischen Tests sind im grünen Bereich mit einer Ausnahme: Das Kind ist deutsch. Es wächst heran, trägt Lederhosen und eine Frisur wie Prinz Eisenherz. Alles andere ist normal. Es läuft, isst und schläft. Aber es spricht nicht. Die Jahre vergehen. Das Kind ist 17 Jahre alt, als ihm ein Teller Tomatensuppe vorgesetzt wird. Plötzlich sagt das Kind: „Mama, die Suppe ist nur lauwarm!“ Die Mutter ist bestürzt und kann es kaum glauben. Sie fragt das Kind: „Du kannst sprechen? Aber warum hast du all die Jahre nichts gesagt?“ Das Kind: “Bisher ist doch alles zufriedenstellend verlaufen.“Sind die Deutschen eigentlich wirklich ausländerfeindlich?Nein. Die Deutschen sind nicht ausländerfeindlich. Sie sind zu Inländern genauso unfreundlich.865 Wörter

Page 2: fermatdeutschclaviec.weebly.com/uploads/3/1/3/1/3131110/synthse_… · Web viewEs gibt demnach kaum etwas, das ihm in der Fremde größere Probleme eintragen könnte, als ein Kratzer

17.03.13 2KlischeesIM ATLAS DER VORURTEILE SIND DEUTSCHE PROLETARIER UND SPARERDer Gestalter Yanko Tsvetkov hat nationale Stereotype in Karten eingezeichnet – und einen "Atlas der Vorurteile" erstellt. Gut weg kommt dabei keiner, aber so richtig schlimm ist es auch nicht. Berliner Morgenpost - 17.03.13

Was vor ein paar Jahren als Witz begann, wurde schnell zum Internet-Lauffeuer: Die Landkarten des bulgarischen Grafikers Yanko Tsvetkov, in die er statt Ländernamen die gängigsten mit ihnen assoziierten Vorurteile einzeichnete, amüsierten und erregten Menschen in ganz Europa. Nun ist sein "Atlas der Vorurteile" als Buch (Knesebeck) erschienen. Mit dem ungewöhnlichen Kartografen sprach Anne Waak.

Berliner Morgenpost: Wie würden Sie Ihre Karten jemandem erklären, der sie nicht kennt?Yanko Tsvetkov: Ich bezeichne sie als Karikaturen. Und die meisten Leute verstehen sie auch als solche. Ich bekomme immer wieder Anfragen von Studenten, die mich in ihren Hausarbeiten zitieren wollen. Ich sage also wann immer ich kann: Meine Karten haben keinerlei wissenschaftlichen Wert.Wie kamen Sie zu dem Wissen darüber, welche Vorurteile herrschen?Ich bin jedenfalls nicht auf die Straße gegangen und habe die Menschen gefragt, was sie von Norwegern oder Portugiesen halten. Die Landkarten enthalten ein Körnchen Wahrheit, und das kann aus einem Film stammen, aus einer Diskussion unter Freunden oder aus den Nachrichten. Die Bezeichnung "Jungfrauenkiller" auf der Karte, die Frankreichs Sicht auf Europa zeigt, basiert auf einem Witz, den ein französischer Freund meines Vaters immer erzählte. Es ging um die Frage, warum Engländer und Franzosen nie miteinander klarkommen werden. Er sagte: Nun ja, sie haben eben unsere einzige Jungfrau umgebracht: Jeanne d'Arc."Aber woher wussten Sie, dass Sie tatsächlich existierende Klischees abbilden und nicht nur Einzelmeinungen?Es handelt sich um eine hochsubjektive Arbeit. Wenn man ein Liebesgedicht schreibt, macht man ja auch keine Umfrage, um zu einem möglichst allgemeingültigen Ergebnis zu kommen. Man schreibt auf, was man wahrnimmt.Ich zitiere Sie: "Wenn man nur so aussieht wie einer, der was vom Ficken versteht, hat man jetzt wahrscheinlich gute Chancen, Präsident zu werden." Provozieren Sie gern?Ja, zum Denken. Und ich denke, was ich da sage, ist wahr – zumindest in Italien, Russland oder auch in meiner Heimat Bulgarien. Berlusconi zum Beispiel personifiziert ein gewisses Ideal: den eitlen Macho, der ständige Bestätigung durch Erfolg oder auch käuflichen Sex braucht. Und viele Leute fühlen sich davon angezogen. Nicht von der Politik, für die er steht, sondern der Art und Weise, wie jemand seinen Erfolg demonstriert. Das hat viel mit Macht zu tun, und Macht wiederum ist stark mit Sex verbunden. Führungsfiguren sind auch Sexsymbole.Sie machen auch deutlich, wie viel unsere Vorurteile mit einer historischen Perspektive zu tun haben.Die Geschichte der Menschheit ist voller so lächerlicher wie beängstigender Klischees. Die Herford-Karte, die aus dem 13. Jahrhundert stammt, eröffnet den Blick auf die Psyche des mittelalterlichen Menschen. Die damals bekannten Teilbereiche der Welt sind darauf mehr oder weniger wirklichkeitsnah dargestellt. Aber darüber hinaus herrschte die pure Einbildung: In Nordskandinavien lebten die Hundsköpfigen, im fernöstlichen Asien das Großfußvolk, in Afrika dagegen Menschen, die vier Augen besaßen. Diese Karte verzeichnet alle damals herrschenden Ängste.Das illustriert das Grundproblem von Vorurteilen: Man spricht von ganzen Personengruppen, die man fälschlicherweise zu kennen glaubt.Niemand wird bestreiten, dass an bestimmten Orten eine andere Atmosphäre herrscht als an anderen. Generalisierungen sind nicht zwangsläufig falsch, aber man muss sehr klar trennen zwischen dem konkreten Fall und seiner Verallgemeinerung. Also zwischen: "Er entspricht dem Stereotyp des italienischen Machos" oder "Der ist ein Macho, weil er Italiener ist". Vorurteilen muss immer mit Zweifeln begegnet werden, aber dafür müssen wir sie erforschen. Sie sind unvermeidlich, weil sie unsere Erfahrung strukturieren, ohne dass wir jede Situation und Begegnung neu analysieren müssen. Wenn es um den Kauf einer Hose geht, mit der wir ein gewisses Image verbinden – gut. Gefährlich wird es, wenn politische Entscheidungen auf ihnen basieren. Menschen tendieren dazu, einfache Wahrheiten zu sehen, wo es keine gibt. Immer, wenn eine bestimmte Personengruppe für irgendetwas verantwortlich gemacht wird, sollte man skeptisch werden.Was haben Sie bei der Arbeit am "Atlas der Vorurteile" gelernt?Diplomatie weist für mich viele Parallelen zur Psychologie auf. Verschiedene Kulturen müssen lernen, miteinander zu reden und mehr noch: Sie müssen verstehen, einander zu verstehen.Ist Diplomatie also eine Übersetzungsleistung?Ja! Etwa wenn Angela Merkel den südlichen Ländern sagt: "Seid diszipliniert!", die Leute dort aber nicht diszipliniert sein wollen – aus guten Gründen. Denn viele Leute übersehen, wie wichtig der psychologische Anteil in der Politik ist. Aber die Europäische Union ist keine homogene Masse. Genau das macht Griechenland zu Griechenland und die Schweiz zur Schweiz. Und nur das kann die EU als Projekt retten.

756 Wörter

Page 3: fermatdeutschclaviec.weebly.com/uploads/3/1/3/1/3131110/synthse_… · Web viewEs gibt demnach kaum etwas, das ihm in der Fremde größere Probleme eintragen könnte, als ein Kratzer

Interview 3TYPISCH DEUTSCH? DIE KRAFT VON KLISCHEESDeutsche trinken Bier, Kreter lügen, Franzosen essen Frösche. Teils uralte Vorurteile prägen nationale Stereotype bis heute. Doch was steckt dahinter? Die Historikerin Ina Ulrike Paul erforscht Vorurteile. Deutsche Welle - 21.05.13

Deutsche, wie sie im Buche stehen?

Fleißig, pünktlich, aber humorlos. Unsere europäischen Nachbarn hegen so manches Klischee über uns Deutsche. Sogar als trinkfeste Haudegen waren wir im 18. Jahrhundert verschrien. Ina Ulrike Paul ist Geschäftsführerin des Zentralinstituts studium plus der Universität der Bundeswehr in München. Im Forschungsprojekt "Alle Kreter lügen. Europäische Nationalstereotypen" geht sie der Entstehung und Veränderung der europäischen Nationalstereotypen nach.

DW: Woher kommt das Klischee des trinkfesten und trinkfreudigen Deutschen?Ina Ulrike Paul: Dieses Stereotyp aus Tacitus' "Germania" wurde seit der Renaissance immer wieder aufgegriffen – von Deutschen und Nicht-Deutschen. Die Deutschen zitierten es, weil man zugleich die vielen Tugenden wie Aufrichtigkeit, Tapferkeit, Freiheitsliebe und Sittenstrenge erwähnen konnte, die Tacitus den Germanen bescheinigt hatte.Von ihm stammt das Vorurteil vom trinkfreudigen Deutschen: Cornelius Tacitus Ausländische Beobachter zitierten diese angeblich nationale Eigenschaft, weil sie allgemein bekannt war, selbst wenn sie sie eigentlich widerlegten. Dazu ein hübsches Beispiel: Ein englischer Gentleman hatte fünf Monate lang Europa bereist und im frühen 17. Jahrhundert eine Reisebeschreibung publiziert. Die Titelillustration zeigt eine "Germania", die die deutsche Nation personifiziert, flankiert von "Gallia" und "Italia". Alle drei tragen einen krönenden Kopfschmuck. Erst auf den zweiten Blick sieht man, dass "Germania" ein Fässchen auf dem Kopf trägt und sich übergibt – wie es die Leserinnen und Leser von "den Deutschen" erwarteten.

Die Deutschen galten also als ein Volk von handfesten Trinkern? Ja, obwohl dieser Reisende namens Thomas Coryat schreibt, dass er bei seiner Reise durch Deutschland nicht mehr Betrunkene gesehen habe als anderswo. Das Titelbild seines Buches widerlegt diese Beobachtung. Tatsächlich funktionieren Stereotypen meist so, dass Eindrücke aus eigener Anschauung als Ausnahme gelten: Man selbst hat zwar keine betrunkenen deutschen Zecher gesehen, aber grundsätzlich trinken sie zu viel – wie ja jeder weiß…

Ihr Forschungsprojekt heißt "Alle Kreter lügen". Der Name bezieht sich auf den Ausspruch des Philosophen Epimenides, der von Kreta stammte, wonach alle Kreter lügen. Dieser Satz gilt als Paradoxon. Er beschreibt einen unauflösbaren Widerspruch: Wenn ein Kreter wie er diesen Satz sagt, was stimmt dann?

Eine wahre Kopfnuss. Aber was hat das mit Stereotypen zu tun?Die Deutschen: ein Volk trinkfester HaudegenAuch Stereotypen bestätigen sich selbst, ihre Widerlegung ist meist vergeblich. Der Beobachter hegt bestimmte Erwartungen und lässt davon seine Wahrnehmung bestimmen. Man kann die gängigen Selbst- und Fremdbilder der heutigen Europäerinnen und Europäer nicht verifizieren oder falsifizieren, weil es sich um Bilder handelt, um Fiktionen, um angebliche Eigenschaften von ein, zwei, zehn Individuen, die undifferenziert auf Abermillionen Menschen übertragen werden.

Warum haben Sie sich trotzdem an dieses große Thema herangetraut?Mir geht es darum zu erforschen, welche stereotypen Bilder die Europäerinnen und Europäer im 17. und 18. Jahrhundert, aber auch im 19. Jahrhundert über sich selbst oder über die anderen Nationen hatten. Wann veränderten sie sich? Oder blieben sie immer gleich? Dabei interessiert mich besonders das 18. Jahrhundert als Zeitalter der Aufklärung in Europa. Von einem Nationalismus in unserem heutigen Sinne kann man erst im 19. Jahrhundert sprechen.

Aber wie sind Sie denn an diese Informationen gekommen?Ich habe als "Filter" der Stereotypen ein Medium ausgewählt, das im 18. Jahrhundert bei Gelehrten wie Gebildeten überaus populär war und das den Wissensstand über alle Gebiete von Wissenschaften und Künsten zum Erscheinungsdatum des jeweiligen Werkes festhält: die neu aufgekommenen Enzyklopädien in den Muttersprachen Europas.Hier steht in einschlägigen Lexikonartikeln über die einzelnen Reiche und Republiken Europas oder im Stichwort "Europa", was die Menschen eines Landes zu diesem Zeitpunkt über sich selbst und über ihre Nachbarn dachten. In den Lexikonartikeln waren die ethnographische, historische und andere Literatur aus der Antike, der Renaissance und der Aufklärung zusammengefasst worden. Und gaben so den Leserinnen und Lesern "verdichtet" wieder, wie sie selbst seien, wie die Polen, die Spanier, die Ungarn und so fort.

Was stand denn beispielsweise in einer solchen Enzyklopädie?

Page 4: fermatdeutschclaviec.weebly.com/uploads/3/1/3/1/3131110/synthse_… · Web viewEs gibt demnach kaum etwas, das ihm in der Fremde größere Probleme eintragen könnte, als ein Kratzer

Ein Holländer las in einer niederländischen Enzyklopädie zum Beispiel: Die Niederländer sind eine freiheitsliebende, kriegerische und kaufmännische Nation. Die positiven Eigenschaften dieses Eigenbildes werden betont und zugleich einige wenige negative Eigenschaften – meist die, die die anderen Europäer den Niederländern zuschrieben, zugegeben – aber heruntergespielt.

Änderten sich die Klischees im Laufe der Zeit? War von der langen Halbwertszeit von Vorurteilen fest überzeugt: Albert EinsteinDurchaus. Die fiktiven Nationalcharaktere änderten sich aus politischen, ökonomischen oder anderen Gründen. In manchen Fällen führte die wechselseitige Lektüre der "Nationalenzyklopädien" – der Ausdruck ist mit Vorsicht zu gebrauchen – auch zu Reaktionen in späteren Auflagen. Kommen wir auf das Vorurteil der deutschen Trunksucht zurück. 1709 finden wir es in einem Leipziger Lexikon. In jüngeren Auflagen dieses Lexikons wurde diese Aussage relativiert: Die Deutschen hätten vielleicht früher zu viel getrunken, heute aber nicht mehr. Blicke man aber über die Grenze nach Polen, so würde da ganz schlimm getrunken. Polnische Leser wiederum fanden, dass eher die Russen maßlose Trinker waren.

Eine letzte Frage: Kann man überhaupt aus Stereotypen ganz ausbrechen? Obwohl Einstein gesagt hat, dass man eher einen Atomkern spalten könne, als ein Vorurteil zu zerstören, kann man Stereotypen ändern. Ich glaube nicht, dass heutzutage Deutsche negative Urteile gegenüber Frankreich abgeben würden oder umgekehrt Franzosen die alten anti-deutschen Stereotype wiederholten: Die so genannte "Erbfeindschaft" wurde tatsächlich überwunden.

Ina Ulrike Paul lehrt Neuere deutsche und europäische Geschichte an der Freien Universität Berlin.

890 Wörter

Page 6: fermatdeutschclaviec.weebly.com/uploads/3/1/3/1/3131110/synthse_… · Web viewEs gibt demnach kaum etwas, das ihm in der Fremde größere Probleme eintragen könnte, als ein Kratzer

Yanko Tsvetkov/Knesebeck Verlag - (25.05.2013 - SpiegelOnline)

5

Vorurteile gegenüber Deutschen – sie essen nur Weißwurst und Sauerkraut

Page 7: fermatdeutschclaviec.weebly.com/uploads/3/1/3/1/3131110/synthse_… · Web viewEs gibt demnach kaum etwas, das ihm in der Fremde größere Probleme eintragen könnte, als ein Kratzer

Peinlich: Tennissocken in Sandalen bei deutsche Urlaubern (Foto: Imago)