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Generalvikar und Offizial auf Grund des Codex Iuris Canonici Von Dr.theol. Erwin von Kienitz

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Generalvikar und

Offizialauf Grund des Codex Iuris Canonici

VonDr.theol. Erwin von Kienitz

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Kanonistisches Seminar der phil. ihcoi. Hschschuie Bamberg Nr.̂ -Sd_________________

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herD E R

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Imprimatur:München, den 9. April 1931.

M. Dunstmair Generalv

ikar.

Fischer.

Druck der

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Alfred Arnold

in dankbarer Liebe zugeeignet

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Vorwort.Die vorliegende Arbeit will ein

Beitrag sein zur wissenschaftlichen Auswertung des neuen kirchlichen Rechtsbuches, die neben den Gesamtdarstellungen des Kirchenrechts einer monographischen Behandlung der einzelnen Rechtsinstitute nicht entraten kann. Das Thema verdanke ich meinem hochverehrten Lehrer Herrn Geheimrat D. Dr. E. Eichmann, München, der auch weiterhin die Entstehung der Arbeit mit regem Interesse begleitet und gefördert hat. Dafür, wie auch ganz besonders für die methodische Schulung in wissenschaftlicher Arbeit, für die Vertiefung der Kenntnisse und Weckung der Freude am Kirchenrecht und seiner Geschichte, die ich in so reichem Maße während dreijähriger Teilnahme an seinen Vorlesungen und seinem Seminar erhalten habe, sei ihm auch an dieser Stelle innigster Dank gesagt

Nicht minder habe ich zu danken meinen anderen hochverehrten Lehrern für die reichen wissenschaftlichen Anregungen und für das große persönliche Wohlwollen, das ich in so ausgedehntem Maße von ihnen erfahren durfte, sowie der Hohen Theologischen Fakultät der Universität München, die mir auf Grund vorliegender Arbeit am 1 7. XII. 1930 die Würde eines Doktors der Theologie verliehen hat

Größten Dank schulde ich auch meinem hochwürdigsten Ober-hirten Seiner Eminenz Michael

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Kardinal von Faulhaber, Erz-bischof von München-Fr eising, ohne dessen gütiges Entgegenkommen bei Erteilung der heiligen Subdiakonatsweihe es mir nicht möglich gewesen wäre, bereits in einem so frühen Zeitpunkt zu promovieren und diese Arbeit vorzulegen.

Freis ing, am Fest des heiligen Raimund von Penafort 1931.

Der Verfasser.

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Inhaltsübersicht.Seite

Vorwort . . . . . . . .V

Quellen und Literatur .VIII

Einleitung . . . . . . . .1I. Teil: Geschichtliche und dogmatische Grundlegung.I. Kapitel. Ursprung und erste Entwicklung von Generalvikar und Offizial.

§ 1. Die Entstehung des Offizials . . . .5

§ 2. Das bischöfliche Offizialatsgericht ... 16

§ 3. Ursprung des Generalvikars . . . . 2 2

§ 4. Das Generalvikariat oder „Ordinariat“ . . 32

II.Kapitel. Wesen und Aufbau des Ordinariates.

§ 1. Die Rechtsnatur der Diözesanbehörden . . 36

§ 2. Überblick über die Verfassung der deutschen

Ordinariate . . . . . . 49III. Kapitel. Die Theorie der Stellvertretung im römischenund kanonischen Recht.

§ 1. Mandat und Delegation im römischen Recht .54

§ 2. Mandat und Delegation im kanonischen Recht . 59

§ 3. Die Lehre von der Gewaltübertragung nach

geltendem Recht. . . . .71

II. Teil: Darstellung des geltenden gemeinen Rechtes.

I. Kapitel. Der Generalvikar als Stellvertreter des Bischofsin der Verwaltung.

§ 1. Das Amt und die Voraussetzungen seiner Verleihung 77 § 2. Inhalt und Umfang der Jurisdiktion ... 93 I. Rechtsstellung des Generalvikars bei erweiterter Vollmacht . . . . .

94 Ü. Rechtsstellung des Generalvikars bei gewöhnlicher Vollmacht . . . . . 98 III. Tätigkeitsbereich seiner Amtsgewalt . . 102 § 3. Befugnisse und Rechte des

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VIII

Generalvikars . . 105II.Kapitel. Der Offizial als Stellvertreter des Bischofs im Gericht.

§ 1. Der Offizial als EinzelrichterI.Amt und Amtsrechte des Offizials . .

116II.Das Verhältnis von Bischof und Offizial .

123 III. Das Verhältnis von Generalvikar und Offizial

125§ 2. Der Offizial als Haupt des

Kollegialgerichtes . 126

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Quellen und Literatur.I. Quellen.

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S. Romanae Rotae decisiones seu sententiae cura eiusdem S. Tribu- nalis editae. 12 Bde. Rom 1912—1927.

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II. Literatur.Badii C., Institutiones iuris canonici3. 2

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Staatslexikon im Auftrag der Görresgesellschaft herausgegeben vonH. Sacher, 5 Bde. Bish. ersch. 4 Bde. 5.

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Einleitung.Eine Rechtsentwicklung von 700

Jahren ist vorübergegangen seit der Zusammenfassung des Kirchenrechts in den Sammlungen des Hochmittelalters. Sie hat geendet mit einer Kodifikation, die es unternommen hat, altes Material in systematischer Ordnung in einem neuen Gesetzbuch zusammenzufassen. Die Theorie des kirchlichen Rechtes hat damit festen, vielfach neuen Boden unter die Füße bekommen, sodaß eine fruchtbare Analyse der einzelnen Rechtsinstitute möglich gemacht und notwendig geworden ist. Denn es lag dem Codex im wesentlichen fern, durch Legaldefinitionen und theoretische Darlegungen eine Stellung zu den Streitfragen der Rechtsdogmatik einzunehmen. Wesentlich praktischen Zwecken dient das Gesetzbuch der Kirche in erster Linie — Aufgabe der Wissenschaft ist es nun, die rechtliche Natur der einzelnen Institute und Rechssätze in monographischer Behandlung darzustellen. Gerade bei den verhältnismäßig jungen Ämtern des Generalvikars und Offizials ist eine solche Einzelbetrachtung notwendig, einmal ihrer zentralen Bedeutung im heutigen Recht, in der Praxis des täglichen Lebens wegen, dann aber gilt es gerade hier eine Darstellung des geltenden Rechtes zu geben, da die alten klassischen Quellen fast schweigen. Freilich dürfen die verhältnismäßig wenigen Anhaltspunkte, die uns die Quellen des Hochmittelalters bieten, nicht außer Acht gelassen werden. Sind sie doch entstanden in einer Zeit, die auch die Entstehung und erste Entwicklung von Generalvikar und Offizial gesehen hat.

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Tatsächlich werden uns die Daten aus der Entstehungsgeschichte der uns hier beschäftigenden Ämter wichtige Aufschlüsse geben über deren rechtsdogmatischen Charakter.

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Ein großer Raum ist in unserer Untersuchung rein theoretischen Erörterungen eingeräumt worden, weil sich an den beiden Ämtern eine Fülle von

Rechtsgedanken aufzeigeni 1

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läßt. Ulrich Stutz hat es daher für zweckmäßig gehalten, seiner Einführung in den Geist des neuen kirchlichen Rechtsbuches einen Abschnitt über den Generalvikar anzufügen, der fast eine Monographie geworden ist. Er hat es wohl aus dem Grunde getan, weil die Behandlung des Generalvikars rechtsdogmatisch besonders fruchtbar ist und tiefe Einblicke gewährt in Absichten und Grundgedanken des neuen kirchlichen Gesetzbuches. Besonders werden uns die Fragen beschäftigen nach dem Amts Charakter beider Beamten und nach dem Umfang ihrer Vertretungsmacht. Daß oft das für den G.-V. Gesagte auch für den Offizial gilt, ergibt sich aus der inneren Verwandtschaft beider Behörden von selbst. Wiederholungen sind deshalb vermieden worden.Die Rechtsdogmatik soll dem Leben dienen — sie soll die toten

Formulierungen des Gesetzes für alle anschaulich machen. Denn ein Recht für alle hat die Kirche geschaffen —und ein Recht, das nicht nur im Gesetzbuch ein Schattenleben fristen soll. Was seit dem Vaticanum als dringender Wunsch der Oberhirten aller Länder geäußert wurde,6 ist erfüllt: es ist eine Sammlung des geltenden Rechtes und eine Ordnung des gesamten Rechtsstoffes nach einheitlichen Gesichtspunkten vorgenommen worden. Es ergibt sich daher wegen dieser Kontinuität der Rechtsentwicklung die Notwendigkeit das bis zum C.I.C. geltende Recht zum Verständnis heranzuziehen7 — außerdem aber nimmt der Codex selbst Bezug auf die „opinio doctorum“, auf das,

6

Vgl. Praefatio zum C.I.C. p. XV ff.7 Vgl. die Studienordnung der S. Cong. de Sem. et Univ. vom 7. August 1917, A.A.S. IX 439.

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was gesicherte wissenschaftliche Lehrmeinung ist.8 Daß Vergleiche zum römischen Recht, der „ratio scripta“, angezeigt sind, ist selbstverständlich bei dem Charakter des römischen Rechtes als dem Mutterboden aller modernen Rechte, des kanonischen Rechtes aber ganz besonders: „Ecclesia vivit lege Romana“.

8 Vgl. can. 6 n. 2.

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Nach diesen Gesichtspunkten ist auch die vorliegende Arbeit aufgebaut. Es ist der geschichtlichen Grundlegung beider Ämter ein weiter Raum gelassen. Es ist ferner bei der Dar-stellung einiger Lehren, z. B. bei der Lehre von der Stellvertretung und der Erörterung des Jurisdiktionsbegriffes etwas näher auf die einschlägigen Sätze des römischen Rechtes eingegangen worden. Außerdem hat in der geschichtlichen Grundlegung eine umrißweise Darstellung des geltenden Partikularrechtes ihren Platz gefunden. Gerade in der Ausbildung einer Ordinariatsbehörde ist ja, Deutschland eigene Wege gegangen.Das gemeine Recht hat diese

partikularen Notwendigkeiten und Traditionen in weitem Umfang geschont. Im wesentlichen freilich soll die Hierarchie der bischöflichen Gehilfen nach den Vorschriften des Codex gestaltet werden. Es ist kein Zeichen wahrer Katholizität, wenn ein Mensch im Glauben nur annimmt, was formell definierte Lehre ist, sonst aber mit Vorliebe „verwegene Meinungen“ teilt.4 Es entspricht auch nicht dem wahren „sentire cum Ecclesia“, wenn im Rechtsleben ein ungesunder Partikularismus gepflegt wird. Und es ist nicht alles Partikularrecht darum auch gut und schützenswert, weil es nun einmal historisch so geworden ist! Es sollen z. B. Justiz und Verwaltung möglichst getrennt werden, auch im Bereiche der Diözesanverwaltung — es braucht nicht näher betont zu werden, dass es sich nicht um eine Trennung der Gewalten als solche handelt, sondern nur um die Verteilung ihrer Ausübung an verschiedene Organe! Wie oft

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geschieht es aber nicht! Eine Zerspaltung des General vikaramtes soll nach der Absicht des C.I.C. vermieden . werden: aber in manchen französischen Diözesen besteht eine Mehrzahl von Generalvikaren, in manchen deutschen wird der Generalvikar fast verdrängt durch ein Ratskollegium, in j dem er nur „primus inter pares“ ist. —

4 Vgl. can. 1324.

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Die Stellung von G.-V. und Offizial nach gemeinem Rechte zu zeichnen ist Zweck dieser Arbeit. Auf die partikulären Verhältnisse soll, wie gesagt, nur andeutungsweise eingegangen werden; eine erschöpfende Darstellung des Partikularrechtes ist auch nicht möglich wegen der Differenzierung des Stoffes und wegen des Mangels an zugänglichen Quellen und Vorarbeiten. Dies gilt auch von dem historischen Teil der Arbeit, der eben nur eine „Grundlegung“ sein will, soweit es für das Verständnis des geltenden Rechtes notwendig ist. Gerade in der historischen Durchforschung unseres Themas wird in letzter Zeit viel gearbeitet. Es ist von uns versucht worden, ein Bild vom Stand der gegenwärtigen geschichtlichen Erkenntnisse zu geben, eine völlig abschließende Darstellung ist aber zur Zeit noch nicht möglich. Aus diesen Grundsätzen ist also die Einteilung der vorliegenden Arbeit erwachsen. Die rechtsgeschichtlichen und rechtsdogmatischen Wurzeln beider Ämter, die Eckpfeiler der Diözesankurie sind, werden zunächst untersucht, worauf die Darstellung von Generalvikar und Offizial nach geltendem Rechte folgt. So ergeben sich die beiden Ämter als Ausdrucksformen der einen bischöflichen Hirtengewalt, als die Organe, durch die der Bischof in Verwaltung und Rechtspflege tätig wird.

I. Teil.Geschichtliche und

dogmatische Grundlegung.

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I. Kapitel. Ursprung und erste Entwicklung von Generalvikar und Offizial.

§ 1. Die Entstehung des Offizials.I.

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Um die Frage nach den historischen Grundlagen der Diö- zesankurie zu klären, müssen wir zunächst das hier vortragen, was bis vor einigen Jahren noch herrschende Lehre über den Ursprung des Offizials und den Charakter seiner Amtsbefugnisse war. Thomas sin,9 der Vater der kirchlichen Rechtsgeschichte, meinte, weder im Decretum Gratiani noch im Liber Extra finde sich eine Spur des Offizials oder des G.-V., der vielmehr erst im Liber Sextus begegne. Mißhellig-keiten von Bischof und Archidiakon hätten das Bedürfnis nach einem bischöflichen Beamten erzeugt; die erste Erwähnung des neuen Amtsträgers sei in der Vorschrift des Later. IV can. 910 (i. J. 1215) zu finden, wo der Bischof zur Ernen-nung von Gehilfen ermahnt werde. Im Liber Sextus sei dann zuerst der Terminus „Officialis“ oder „Vicarius generalis“ aufgekommen, der ein und dasselbe Amt bezeichnen wolle. Diese Lehre Thomassins von der ursprünglichen Identität von Generalvikar und Offizial wurde u.a. auch von Benedikt XIV11 vertreten. Er sah in der Einführung eines vom G.-V. verschiedenen Offizials nur ein transalpines Sonderrecht und erblickte in der italienischen Praxis der Einheit beider Beamten die dem „Recht angemessenere Ordnung“.

Ein Artikel in den Analecta Juris Pontificii4 behandelte die Entstehungsgeschichte des Offizials unter einem besonderen Gesichtspunkt. Auch hier wird ausgegangen vom can. 6 des Lateran. IV. Die Aufstellung von Vikaren und Offizialen habe gar nicht im Recht der Bischöfe gelegen, da das Recht zur Schaffung solcher „Ordinarii“, die 9 Ancienne et nouvelle disc. de l^glise II c. 8 p. 40 ff.10 c. 14 u. 15 X, 1. 31.11 Vgl. De synodo dioecesana I, 3 c. 3 no. 2.

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„alter ego“ des Bischofs sind, nur dem Papst, als dem einzigen Souverän in der Kirche, zustehe. Demgegenüber wäre zu sagen, daß nach heutigem Recht das Amt des Offizials nur ein „officium minus“ ist, und daß grundsätzlich der Bischof zur Schaffung solcher officia minora „praeter ius commune“ berechtigt ist: der rechtlichen Bewegungsfreiheit der Bischöfe waren aber im Frühmittelalter erheblich geringere Schranken gesetzt. Der Artikel geht von Rechtsauffassungen aus, die für jene Zeit gar nicht zutreffen — und wegen dieses methodischen Fehlers sind auch die Folgerungen verkehrt. Es findet sich tatsächlich in den Quellen nicht der mindeste Anhaltspunkt für die These: die Bischöfe hätten das Amt des Offizials aus päpstlicher Bewilligung geschaffen. Als einziger Beleg wird angeführt der can. 9 Lateran. IV — aber dieses Zitat ergibt nichts, aber auch gar nichts zur Begründung der erwähnten Theorie. Der Canon mahnt nur zur Aufstellung von Gehilfen in Ausübung des bischöflichen Predigtamtes, zumal in Diözesen mit gemischter Sprache und gemischtem Ritus. Seelsorgehilfe sollen also die neuen Beamten dem Bischof gewähren: gerade mit Seelsorge sollen aber der Generalvikar und der Offizial ihrem ganzen Aufgabenkreis nach nichts zu tun haben! Vom Offizial (und G.-V.) ist also an unserer Stelle gar keine Rede — folglich kann in dem fraglichen Canon auch keine „päpstliche Ermächtigung gesehen“ werden, Offiziale aufzustellen.

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Im wesentlichen trägt auch Wernz5 die oben genannten Anschauungen Thomassins und Benedikts XIV. noch einmal

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vor. Freilich gibt er eine transalpine Entstehung des Offizials bereits im 13. Jahrhundert zu, wenngleich er ausdrücklich bemerkt dieser „Vicarii generales“ oder „Officiales“ werde im Liber Extra nicht gedacht, das Institut sei also noch nicht ins gemeine Recht jener Zeit aufgenommen worden.12 Mit seiner Vordatierung der Entstehungszeit des Offizials berücksichtigt Wernz das bahnbrechende Werk von Paul Four- nier13 mit dessen Thesen wir uns noch weiter unten näher befassen müssen.

II.Es ist Paul Fournier gelungen, auf Grund eingehender

Urkundenstudien das erste Auftreten von bischöflichen „Offi-ciales“ für Frankreich bereits in der zweiten Hälfte des

12 Diese Ansicht vertritt von neueren Kanonisten Chelodi, De perso- nis, p. 305, Anm. 3. „In decr. Gregor. IX est titulus de officio archidia- coni, sed nondum mentio fit vicarii generalis.“13 „Les officialités au moyen âge“.

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12. Jahrhunderts nachzuweisen. Und zwar handelt es sich hier schon um einen „officialis“ im engeren Sinne; das Wort bedeutet hier nicht mehr bloß den „Amtsträger“ überhaupt — auch der Archidiakon konnte den Titel Offizial im weiteren Sinne führen — sondern bedeutet den bischöflichen Stellvertreter, besonders den Stellvertreter in Gerichtssachen. Seit 1170 ist die Existenz von derartigen Offizialen für Reims gesichert, seit ca. 1200 für Rouen, Cambrai, Chartres u. a., seit 1210 für Arras, Sens, Paris, Bourges, Verdun. In England ist das Vorkommen eines bischöflichen Offizials für 117314 festgestellt, ferner für 1180. Auch in Italien begegnen Offiziale, z.B. in Acerenza i. J. 1199.15 Im 13. Jahrhundert be- S kommt dann das Wort Offizial den ausschließlichen Sinn, den es heute noch hat: ein Kleriker, der kraft eines Mandates die Gerichtsbarkeit des Bischofs stellvertretend ausübt. Man

14 Cone. Westmonast. c. I. (vgl. Mansi XXII, 142) : Nullus praesumat intrare ecclesiam absque praesentatione advocati Ecclesiae et impersona- tione dioecesani episcopi, vel officialis eius per ipsum.15 » Vgl. Migne P. L. 214 col. 713, 714.

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unterschied zwischen „officiales principales“ und „Officiales foranei“. Letztere waren untergeordnete bischöfliche Richter in den einzelnen Dekanaten — eine Appellation an den officialis principalis war möglich. Die Gewalt des Officialis fo- raneus war nur eine delegierte, während der officialis principalis ordentliche Gewalt16 hatte und dem bischöflichen Ge-richt am Bischofssitz selbst präsidierte. In der Regel war nur ein officialis principalis aufgestellt, doch begegnen auch mitunter mehrere, z. B. in Arras, Amiens, Paris, Reims, Sens. Auch in manchen deutschen Diözesen finden sich im Anfang des 13. Jahrhunderts mehrere „officiales“ oder „iudi- ces“, so in Speyer, Worms, Mainz.17 G es eher18 weist den Offizial als bischöflichen Richter nach für Lüttich i. J. 1204, Trier i. J.1221, Köln i.J.1252. Über die möglicherweise abweichende Rechtsnatur dieser bischöflichen Richter in Deutschland ist im weiteren Verlauf noch die Rede. Bei jenen deutschen „officiales“ begegnet nämlich der Ausdruck „iudices delegati“ nicht allzu selten, und das würde einen Unterschied zu der französischen Auffassung bedeuten, die, wie gesagt, dem Offizial potestas ordinaria zuerkannte. Auch in Frankreich ist übrigens in jener Zeit die Terminologie noch nicht 16Thomassin hält, wie wir noch sehen

werden, irriger Weise, die Gewalt dieser Offiziale in ihrem Ursprung für eine delegierte, gibt aber zu, daß sie bald als eine mit dem Amt verbundene potestas ordinaria betrachtet wurde: die Offiziale übernahmen die Gewalt „eam videlicet, quam cum vice et delegatione arbitraria Episcopi olim obtinuissent, con- stanti deinde titulo et officio explicuissent, tanquam sibi propriam et agnatam“ a. a. O. II c. 8 p. 40—41.17Vgl. Riedner, Speierer Offizialatsgericht,

S. 22 f. u. 35 ff.18Das Offizialat der Erzbischöfe von Köln,

A.H.V. 115, S. 137 f.

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ganz einheitlich. Wenn auch „officialis“ vorwiegt, so finden wir doch auch „iudex“, „allocatus“ „administrator curiae“ „procurator“ und „minister“. Wir können also abschließend f feststellen, daß es trotz manchen Schwankens der Terminologie und trotz mancher Unklarheit in der Abgrenzung der Befugnisse gegen Ende des 12. Jahrhunderts in Frankreich

und England, im Anfang des 13. Jalirh. auch in Deutschland einen bischöflichen Beamten gegeben hat, der den Bischof in Ausübung der Gerichtsbarkeit vertrat.

III.Nachdem wir so das erste Auftreten des Offizials in der Rechtsgeschichte verfolgt haben, ist es nötig, die von der älteren Theorie vertretene Behauptung auf ihre Richtigkeit zu prüfen, daß der Offizial in den Rechtsquellen des gemeinen kanonischen Rechtes, d. h. also in den Dekretalen Gregors IX. nicht erwähnt werde. Tatsächlich befaßt sich schon die Glosse zum Decretum Gratiani mit der Frage, ob der Bischof einen Teil seiner Befugnisse auf einen anderen übertragen könne und entscheidet „ea vero, quae iurisdictionis sunt, pot- est etiam demandare“.19 Auch die Dekretalen geben dem Bischof dieses Recht. So stellt Alexander III. 1180 das alleinige Recht des Erzbischofs von Canterbury, bezw. seiner Suf- fragane, und ihrer Offiziale fest, Benefizien zu verleihen.20 Dasselbe Recht verlieh den Offizialen des dortigen Erzbischofs die Synode von Rouen 1189. Die klassische

19c. 1. vo. concedimus D. 95.20c. 3X3,7: Ex frequentibus querelis didicimus, in partibus vestris con- suetudinem pravam a multis retro temporibus invaluisse, quod clerici ecclesiastica beneficia sine consensu episcopi dioecesis vel officialium suorum, qui hoc de iure possunt, recipiunt.

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Stelle für das Vorkommen der Offiziale in den Quellen des gemeinen Rechtes um die Mitte des 13. Jahrhunderts ist die Konstitution Innozenz5 IV. „Romana Ecclesia“.21 Hierin wird die Exi-

21c. 3 in VIto 2, 15: Quum suffraganeorum Remensis ecclesiae, suo- rumque officialium, qui generaliter de causis ad forum ipsorum pertinenti- bus eorum vices supplendo cognoscunt, unum et idem consistorium sive auditorium sit censendum: ab ipsis officialibus non ad dictos suffraga- neos, ne ab eisdem ad se ipsos interponi appeilatio videatur, sed de iure adRemensem est curiam appellandum. §1: Ab archidiaconis vero aliisque inferioribus praedatis suffraganeis subiectis eisdem, et eorum officialibus, ad suffraganeos ipsos debet . . . appellari. Vgl. auch c. 25X1,29: Insi- nuante R. . . ad audientiam nostram pervenit quod . . . Vigoriensi epi- scopa et coniudicibus suis obtinuerit delegari; postmodum . . . ante defi- nitivae sententiae calculum idem episc. dictum R. in familiarem admisit,

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stenz eines ständigen bischöflichen Gerichtsbeamten, bekleidet mit der Machtfülle, die er dann die ganze Folgezeit hindurch behielt, bereits im 13. Jahrhundert klar bezeugt. Diese Offiziale waren das „alter ego“ der Bischöfe, und eine Appellation von ihrem Forum war nur an den Metropoliten bezw. dessen Offizial, möglich. Es geht ferner aus dieser Stelle die Tatsache hervor — die auch anderweit geschichtlich bezeugt ist16 — daß auch die niederen Prälaten (Archi- diakone) ihre Offiziale hatten.

IV'Was dagegen den von der

älteren Theorie immer wieder angeführten can. 9 Lateran. IV (=c. 14 u. 15 X 1, 31) anbetrifft, der Anlaß gewesen'sein soll, daß die Bischöfe auf diese päpstliche Initiative hin zur Aufstellung von Generalvikaren und Offizialen schritten, so haben wir bereits dargetan, daß dieser Canon in unserer Frage gar nicht einschlägig ist. Wir werden noch einmal darauf zurückkommen müssen bei Untersuchung der Ursprünge des G.-V. Ebenso sparen wir uns die Analyse der Stellen über den Offizial, die sich im Liber Sextus finden, auf, denn mit der Streitfrage über die behauptete ursprüngliche Identität von G.-V. und Offizial ist die Interpretation jener Stellen aufs engste verknüpft.

V.Wir müssen uns noch kurz mit dem Inhalt de,s Amtes befassen, das

der Offizial bekleidete. Auf Grund eines bischöf- I liehen Mandates übt er die Jurisdiktion als Stellvertreter

sine quo alli coniudices ... in causa procedere non valebant, et alter ipsorum coniudicum officialis est episcopi supradicti, propter quod adver- sae parti poterat suspectus haberi. Unde, cum tarn episcopus quam officialis praedictus, utpote idem R. in iudices postularat, et

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ipse famiiiaris eius est effectus, ab adversa parte possent merito recusari, decisionem ipsius causae vestrae petiit discretioni committi. Vgl. c. 66X2,28: Sed quia officialis archiep. huiusmodi exceptionem admittere denegabat, ad nostram audientiam appellarunt. Vgl. weitere Belege bei Schmalz, De instituto officialis, S. 10 f.

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16 Für deutsche Archidiakonate nachgewiesen bei Löhr a.a.O. S. 167 und Riedner a. a. 0., S. 40.

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des Bischofs aus, dessen „alter ego“ er ist. Er ist Iudex Ordi-narius, was schon sein qualifiziertes Alter andeutet (25 Jahre — delegierte Richter durften jünger sein —). Er hat als ihm wesentlichen Aufgabenkreis die streitige Gerichtsbarkeit, doch kann ihm auch ein Teil der freiwilligen Gerichtsbarkeit, besonders notarielle Geschäfte zugewiesen werden. In der Regel ist er ohne Kollegen. Finden sich mehrere Offiziale, so sind sie „in solidum“ beauftragt. Ob wir es bei den in Deutschland im Anfang des 13. Jahrhunderts auftretenden „iudices delegati“ mit eigentlichen Offizialen (also iudices ordinarii) zu tun haben, steht noch nicht ganz fest. Möglicherweise ist hier ein anderer Einfluß am Werke gewesen, der sich die päpstlichen „iudices palatini“ zum Vorbild genommen hat. Dieser Meinung sind Riedner und Hilling. Hil- ling schreibt: „Wir stoßen demnach auf die rechtsgeschichtlich überaus wichtige und interessante Erscheinung, daß fast gleichzeitig zwei verschiedenartige Organisationen für die Ausübung der bischöflichen Gerichtsbarkeit in den deutschen Bistümern errichtet wurden. Die eine leitete ihren Ursprung von dem Westen (Frankreich) her, die andere hatte ihr Vorbild im Süden (Rom). Beide Institutionen stimmen zwar darin überein, daß sie das frühmittelalterliche System des kirchlichen Benifizialwesens aufgegeben und sich nach neuen Rechtsprinzipien organisiert haben. Sie unterscheiden sich aber dadurch von einander, daß die norddeutsche Rechtsbildung das französische System des

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weltlichen Beamtentums zur Grundlage genommen hat, während die süddeutsche auf der iurisdictio delegata des kanonischen Rechtes aufgebaut worden ist.“22

22Die Offiziale der Bischöfe von Halberstadt, S. 6.

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Es wird Aufgabe der kirchlichen Rechtsgeschichte sein, die Zusammenhänge aufzuhellen, die zwischen den süddeutschen bischöflichen Richtern und Rom, bezw. zwischen ihnen und den französischen Offizialen, bestanden haben. NachGescher23 sollen auch die französischen Einzel-Offiziale ihre letzte geschichtliche Wurzel in den päpstlichen „iudices de- legati“ haben. Mainz scheint bereits Ende des 12. Jahrhunderts dem französischen Beispiel gefolgt zu sein, und so wäre Mainz denn die Brücke, über die sich der französische Einzel- offizial-Typ die süddeutschen Bistümer eroberte. Auf Grund der bisherigen Forschungsergebnisse kann eine abschließende Charakteristik der süddeutschen ,iudices delegati“ noch nicht gegeben werden. Jedenfalls aber steht fest, daß im 14. Jahrhundert in Deutschland nur noch die Form des französi-schen Offizials bekannt ist. Es ist nur mehr ein einziger Offizial, wenn auch der pluralistische Titel „iudices Spiren- ses, Wormatienses etc.“ im Siegel des Gerichtes mitunter formelhaft noch lange beibehalten wird.24 Dieser Offizial ist dann auch zweifellos nicht mehr bloß delegierter Richter, j sondern iudex Ordinarius. Wichtig ist, daß der Offizial nie ein Benefizium hat, sondern ein widerruflicher Beamter ist, der ein Gehalt bezieht oder Tischgenosse des Bischofs ist.25

VI.

23Offizialat der Erzbischöfe von Köln, A.H.V. 115, S. 154.24Riedner a. a. O. S. 39.25Vgl. Löhr, Verwaltung des Arch. Xanten, S. 190.

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Welches waren nun die Gründe zur Aufstellung eines Offizials? Die bisher herrschende Lehre fand die Erklärung im Kampf der Bischöfe gegen die Archidiakone. Um den Übergriffen dieser „Gehilfen“ zu steuern, die an Macht, Rang und Einkommen oft mit ihren Bischöfen wetteiferten, hätten diese sich in den Offizialen gefügige Kampfinstrumente ge-schaffen. Diese Ansicht vertraten in neuerer Zeit Hin- schius,26 Paul Fournier,27 Baumgartner,28 Hilling,29 Krieg30 u. a. Gegen sie wandte sich Eduard Fournier,31

26Kirchenrecht I, S. 205 ff.27a. a. O. p. 7 ff.28Archidiakonat i. d. oberrhein. Bist. S. 216.29a. a. O. S. 13.30Kampf gegen die Archidiakone in Würzb. S. 47.31 2* a. a. O. p. 27 f. 62, 63, 113.

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der zum Zweck seiner Untersuchung der Ursprungsgeschichte des Generalvikars auch die Forschungsergebnisse über den Offizialatsursprung nachzuprüfen unternahm und zu ganz neuen Resultaten gelangte auf Grund einer umfassenden Verwertung bisher unbekannten oder unbeachteten Materials. In seiner Besprechung schreibt F. Gescher32: „Eine untadelige, umsichtige Methode bewahrte Fournier vor der Gefahr, sich durch die herrschende Lehre in den Bann ihrer Sprüche nehmen zu lassen; überall läßt er den Quellen das erste Wort — und diese sagen manchmal ganz anders aus, als es die Schule bisher gelehrt hat.“ Fournier hält also, wie gesagt, die Offiziale nicht für das Produkt eines Kampfes der Bischöfe gegen die Archidiakone. Nach ihm erfolgte ihr Entstehen zwangsläufig, als die wachsende Last der Prozesse beim bischöflichen Gericht einen juristisch geschulten Richter nötig machte, der den Bischof in diesem Zweig der Jurisdiktion vertreten konnte. Wichtig ist es, darauf zu achten, daß um die Wende des 12. Jahrhunderts nicht nur quantitativ die Arbeitslast der bischöflichen Gerichte gewaltig wuchs, sondern auch das Eindringen des neuen römisch-ka- nonischen Rechtes qualitativ höhere Anforderungen an den Richter stellte, das Bedürfnis nach einem fachlich besonders vorgebildeten Berufsrichter immer dringender erscheinen ließ. Riedner geht freilich in seiner Betrachtung den umgekehrten Weg und möchte das Eindringen der romanistischen Rechtspraxis in den transalpinen Ländern aus dem Institut der Offiziale 32 Zeitschrift Savigny-St. kan. Abt. 48, S. 611 ff.

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erklären. Doch wird man seiner Behauptung nicht beipflichten können: „Nicht das neue Recht brachte das neue Amt, sondern das neue Amt brachte das neue Recht.“33 Die Gründe für das siegreiche Vordringen des neuen romanistischen Rechtes liegen doch tiefer: in dem Übergewicht des kurialen Einflusses in Gerichtssachen bei der großen Zahl päpstlicher Delegationen und Entscheidungsanweisungen, und

in der inneren rechtsdogmatischen

Überlegenheit des neuen Rechtes. Das Ergebnis Fourniers

dürfte also im wesentli- j chen richtig sein: die Komplizierung

der Rechtspflege durch i das neue Recht und die wachsende

Geschäftslast zwangen I die Bischöfe dazu, einen fachlich vorgebildeten, hauptamtlich

tätigen Richter anzustellen, den Offizial. Er ist kein „Bene- fiziat“,

sondern wie der Name schon sagt: Inhaber eines officium —

Berufsbeamter,

33 2* a. a. O. S. 21.

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Damit kommen wir aber zu einer anderen Erkenntnis. Wenn auch der Offizial seinen Ursprung in administrativen und prozessualen Bedürfnissen hat, und nicht als Kampfinstrument gegen die Archidiakone geschaffen ist, war er nicht als solches immerhin sehr zweckmäßig?! Das ist nicht zu bestreiten — und dieser Umstand hat auch wohl die ältere Doktrin zu ihrer irrigen Auffassung vom Entstehungsgrund des Offizials gebracht. Daß der neue bischöfliche Gehilfe und Stellvertreter als Beamter, ohne Benefizium, eingesetzt wurde, zeigt, daß die Bischöfe die Erfahrungen, die sie mit den Archi- diakonen gemacht hatten, nicht wiederholen wollten. Denn diese, ursprünglich Mitarbeiter und Vertreter des Bischofs auf dem platten Lande, waren zu seinen gefährlichsten Rivalen geworden, die den Diözesanverband zu sprengen drohten. Tatsächlich haben die Archidiakone ihrerseits den Offi-zial als Gegner betrachtet, wie aus der bitteren Klage des Peter von Blois erhellt, der sich beklagt über das Schwinden des archidiakonalen Ansehens und die Degradierung des alten, vom Archidiakon geleiteten Sendgerichtes durch den Offizial.34 Das Vorbild für die juristische Konstruktion derneuen Magistratur gaben die weltlichen Höfe ab,35 wo in jener

34Migue P.L. 207, epist. 209: Hi sunt viperae officiales iniquitatis, omnem malitiam aspidis et basilisci transcendentes. Vadit bodie solus ad synodum vel cum paucissimis archidiaconus, officialis autem cum dra- cone, qui de coelo cecidit, trahit secum tertiam partem stellarum, atque decanos et sacerdotes secum trahens . . . manifeste non ovium pastor, sed luporum.35Hilling a.a.O. s: 13. „Nach dem

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Zeit der Einfluß auf die Regierung gleichfalls von den lehenstragenden großen Vasallen auf die „Palatinen“ oder „Ministerialen“ hinüberglitt. Auch hier also sehen wir das Bestreben des Territorialherren, sich frei zu machen von den Schranken des Feudalsystems, und eine Beamtenhierarchie neuen Rechtes aufzubauen, der ein fester Lehensrückhalt fehlte. Die Nachbildung dieses weltlichen Beamtentypus auf kirchlichem Rechtsgebiet mußte den Bischöfen umso näher liegen, als sie in ihrer zweiten Eigenschaft als weltliche Fürsten solche Beamte („baillys“ und „prévôts“) einzusetzen bereits gewöhnt waren.

VII.Folgende Sätze ergeben sich aus unserer Untersuchung:1. Bereits im 12. Jahrhundert tritt uns, zuerst in Frank- I reich, ein bischöflicher Beamter entgegen, der die strei- \ tige Gerichtbarkeit als iudex Ordinarius übt.2. Im 13. Jahrhundert findet er sich allgemein. Möglicherweise hat es in Südwestdeutschland während einer kürzeren Periode eine andersartige bischöfliche Gerichtsbehörde gegeben, die „iudices delegati“. Gegen Ende des Jahrhunderts ist aber auch dort der Offizial französischen Gepräges verbreitet.3. Der Grund zur Aufstellung von Offizialen liegt in der / anwachsenden Geschäftslast des bischöflichen Gerichtes, | sowie in der durch das neue Recht bedingten Notwendig- j keit eines Berufsrichters.4. Vorbilder der neuen Magistratur waren die Ministe-Gesagten ist der iuristische Typus der bischöflichen Offiziale dem der weltlichen Beamten nachgebildet und beide stehen im Gegensatz zu den älteren Kategorien der Lehensbeamten und der Benefiziaten.“

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rialen und Palatinen der weltlichen Verwaltung.5. Durch den Bruch mit dem Benefizialsystem war der Bischof im Stande, den Offizial als Kampfmittel gegen die • Arehidiakone zu benutzen.

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§ 2. Das bischöfliche Offizialatsgericht.

Der Offizial war das Haupt einer Gerichtsbehörde. Von seinem Beamtenstab, von seiner „Curia“, soll im Folgenden die Rede sein.I.

Wir finden im 13. Jahrhundert schon in manchen Diözesen einen „Vices-gerens officialis“, der als Stellvertreter des Offizials zunächst nur für den Fall aufgestellt wird, daß der Offizial selbst behindert ist, der aber bald zu einem ständigen Beamten wird.36

II.Kein eigentlicher Beamter ist

der Assessor, er ist vielmehr ein rechtsgelehrter Beirat des Offizials. Er wird nach Bedürfnis oder auf Wunsch der Parteien ernannt, die auch die Kosten seiner Zuziehung zu tragen haben.37 Im Assessor haben wir vielleicht eine Erinnerung aus altrömischer Zeit vor uns, denn auch dort stand jai dem Praetor ein „consilium“ von Rechtsgelehrten zur Seite, die lediglich rechtsberatende Funktion hatten, wie auch unser Assessor.

III.

36

Die Belege für das Auftreten eines Vicesgerens in Bourges 1217, Cambrai 1226, Reims 1236 siehe bei P. Fourrier p. 25, Anm. 1.37c. 11 in VIo 1, 3 § 5: Assessorem autem,

ut faciunt aliqui fraudulen- ter, nisi eo indigeat, quod conscientiae relinquatur eiusdem, sibi nequáquam adiungat; alioquin de suo proprio providere tenetur eidem. Si autem indigeat, ipsum neutri parti suspectum adsumens, ei de competenti salario, provide moderando ab eo, faciat a partibus communiter pro- videri.

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Der wichtigste Beamte des Offizialates war der Sigillif er, auch Sigillator genannt.38 Alle Dokumente, Urteile, u. dgl. müssen sein Siegel tragen, wenn sie rechtliche Bedeutung

38 Vgl. Privilegia curie Remensis ed. Varin „Archives législatives de Reims“ p. 19.

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haben sollen.39 Er korrigiert etwaige Formfehler in den Ur-kunden des Offizials, er überwacht die Notare. Das Siegel wird niemals verpachtet (was mit anderen Ämtern häufig geschah), sondern der Sigillifer bezieht ein festes Gehalt. Sein Gehalt ist dem des Offizials oft gleich, auch er ist oft Commensale des Bischofs. Manchmal rückte der Träger des Amtssiegels in eine noch bedeutendere Stellung ein: in Xanten z. B. stand er als „General vikar“ des Archidiakons über dem Offizial. Er stellte den Offizial an, nahm ihm den Treu-eid ab und vereinigte mitunter das Amt des Offizials mit dem seinigen.40Freilichwar diese Überordnung des Sigillifer nicht das Normale, und wir finden gewöhnlich den Sigillifer als Chef der bischöflichen Kanzlei in abhängiger Stellung vom Offizial.41

IV.

39

Uber die große Wertschätzung, die das Offizialatssiegel als „sigil- lum authenticum“ genoß, vgl. Gescher, Das Offizialat der Erzbischöfe von Köln A.H.V. 115, S. 163.40 3& Vgl. Löhr a. a. 0. S. 188 ff.41In manchen kleineren Diözesen scheint kein sigillifer bestanden zu haben, so z. B. nicht in Halberstadt; vgl. Hilling, Offiziale der Bischöfe von Halberstadt, S. 124.

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Das Institut der Notare ist sehr alt in der kirchlichen j Verwaltung. Schon in der Martyrerzeit gab es kirchliche Notare für die einzelnen stadtrömischen Regionen, denen die ? Redaktion der Martyrerakten oblag.42 Man nahm wohl be- v sonders qualifizierte Männer zu diesem Amt, die bald ein | Kollegium, einen klerikalen Ordo, bildeten, wie die Inhaber von so vielen anderen niederen Kirchenämtern auch. Nach der Verfolgungszeit fiel die Redaktion von Martyreraktennaturgemäß weg, aber der Kreis der notariellen Befugnisse erweiterte sieh und deckte sich ziemlich mit dem Inhalt des heutigen Notaramtes.43 Die Namen „Primicerius“ und „Se- cundicerius“ begegnen in den Quellen — die Wurzeln des späteren Kollegs der Apostolischen Protonotare liegen hier. Bei einer großen Anzahl von gerichtlichen Akten ist die An-wesenheit der Notare vorgeschrieben. Genau so wie in Rom lagen die Verhältnisse auch an den anderen größeren Bi-schofskurien. Auch das „Archiv“, 42Clemens I (ca. 92—98) . . . fecit VII

regiones, dividit notariis fidelibus ecclesiae, qui gestas martyrium sollicite et curiose, unusquis- que per regionem suam, diligenter perquirerent. Lib. Pont if. I, 123. An ter os (236—256). Hic gestas martyrum diligenter a notariis exquisi- vit et in ecclesia recondit. Lib. Pont. I 147. Fa bi anus (236—'250) . . . fecit VII subdiaconos qui septem notariis imminerent, ut gestas marty-rum in integro fideliter colligerent. Lib. Pont. I 148 (ed. Duchesne).43 Julius I (337—352). Hic constitutum fecit, ut null us clericus causam quamlibet in publico ageret, nisi in Ecclesia, et notitia, quae omnibus pro fide ecciesiastica est, per notarios colligeretur, ut omnia monumenta m ecclesia per pr.micerium notariorum confectio celebraretur, sive cautio- nes sive extrumenta aut donationes vel commutationes vel traditiones aut scrinium sanctum celebrarentur. Lib. Pont. I, 205. per scrinium sanctum celebrarentur. Lib. Pont. I 205.

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die Sammelstelle aller Urkunden, ist eine uralte Einrichtung, welche die Kirche aus der römischen Verwaltungspraxis übernahm. Die Einrichtung des päpstlichen Archives in einem besonderen Hause geschah durch den Papst Damasus44; sein „Staatssekretär“ Hieronymus erwähnt es als „chartarium Ecclesiae Romanae“.*0 Das Wort „Cancellarii“, als Bezeichnung für die Vorstände von Archiv und Staatskanzlei, stammt wohl aus der Beamtentitulatur der karolingischen Palasthierarchie.

44 \gl. seine Inschrift an S. Lorenzo in Damaso zu Rom: Lib. Pont.I 213, Anm. 7.

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\ on unteren Beamten der Offizialatskanzlei wären zu er-wähnen der „Receptor actorum“ und der „Registrator“. Ersterer war Vorstand der bischöflichen Schreibstube, in dessen „camera“ alle Dokumente ausgestellt und in Empfang genommen wurden. Einen unangenehmen Dienst — wie alle zeitgenössischen Quellen betonen — hatte der „Registrator“. Ihm lag es ob, die Register derer zu führen, die sich eine Geldstrafe zugezogen hatten, und für die Beitreibung dieser Strafgelder zu sorgen. Er übersandte auch die Exkommunikationssentenzen an die Landdekane zur Weiterleitung an die je

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weils zuständigen Pfarrer. Später trennte sich das Kanzlei- personal vom Offizial und bildete eine selbständige Behörde: die Kanzlei.

V.Ein Promotor, ein Amtsanwalt, taucht erst seit dem 14.

Jahrhundert in den Quellen auf, und hat vorher als ständiges Amt wohl nicht existiert. Jedenfalls schweigen die „Priviligia curie Remensis“ (aus dem 13. Jahrhundert)45 von ihm, die doch sonst alle Beamten des Offizialates und ihre Kompetenzen ausführlich behandeln. Auch aus Deutschland liegen wenig Nachrichten über ihn vor; Hilling und Ried- ner haben ihn für Halberstadt bezw. Speyer nicht nachwei- sen können. Paul Fournier meint, ihr Ursprung liege wohl in den Agenten und Prokuratoren, welche große weltliche und geistliche Herren bei den Gerichten ständig unterhielten. Möglicherweise ist der Promotor nach dem Vorbild des „Pro- curator fisci“ eingesetzt worden, welches altrömische Institut Friedrich II. in Sizilien wieder erweckt hatte. Noval46 hin-gegen vermutet, daß der Promotor aus dem kirchlichen Inqui-sitionsprozeß übernommen sei.

VI.

45ed. Var in, „Archives législatives de Reims“.46De processibus no. 140 p. 77 f.

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Dem Offizial lag es ob, die Geschäftsordnung für die Tätigkeit seiner Beamten aufzustellen, dieselben anzustellen und zu überwachen.47 Im weiteren Verlauf der Entwicklung nahm das Offizialat in den einzelnen Diözesen recht verschiedene Formen an. Aus einer nach dem Bürosystem organisierten Behörde entwickelte sich, besonders in Deutschland, eine Kollegialbehörde.48 Eine Reihe von ständigen Räten trat dem Offizial zur Seite; vielfach wurden

diese Beisitzer aus den Reihen der Domkapitulare genommen — doch war das alles

47 z. B. Statuten des Offizialates Köln aus dem Jahre 1356, des Offizialates Xanten 1452.48Scherer, Kirchenrecht I 608.

2 1

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partikularrechtlich äußerst verschieden. Um diese Zeit kam auch vielerorts für das Offiziant der Name „Consistorium“ auf. Ursprünglich war das Konsistorium identisch mit dem modernen Begriff der Diözesankurie, umfaßte also die Gesamtheit der bischöflichen Beamten, vor allem auch den Generalvikar. Im Lauf der Zeit aber glitt der Name über auf einen Zweig der Diözesanverwaltung, auf das bischöfliche Gericht. Das Offizialat — „Konsistorium“ genannt — trat dem Generalvikariat — vielfach „Ordinariat“ genannt — ge-genüber. In den Stürmen der Revolutions- und Säkularisa-tionsperiode brach dann mit der alten Diözesanorganisation auch das Offizialatswesen älteren Stiles zusammen — nicht zum Schaden für die kirchliche Rechtspflege! Es hatten sich nämlich im Lauf der Jahrhunderte auf dem Territorium einer Diözese verschiedene Gerichte entwickelt; das Offizialat selbst war aus einem einheitlichen Bischofsgericht zu einem System verschiedener „Dikasterien“ geworden, deren Zuständigkeiten meist ganz unklar abgegrenzt waren. Durch die kirchliche Neuordnung, w7elche in einem großen Teile Europas durchgeführt werden mußte, verschwanden diese alten bischöflichen Gerichtsbehörden und es war Raum geschaffen zur allmählichen Einrichtung eines einheitlich organisierten bischöflichen Gerichtes 1. Instanz, eben des „Offizialates“. Wichtig war auch, daß die Kirche freie Hand bekam in der Gestaltung ihrer Rechtspflege, da die Staaten mehr und mehr die „res mixtae“ vor ihr eigenes Forum zogen, ja z.T. überhaupt der kirchlichen Rechtsprechung jede Verbindlichkeit für den staatlichen Rechtsbereich aberkannten. Dieser Prozeß der Scheidung von geistlicher und

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weltlicher Gerichtsbarkeit hatte das Gute a)n sich, daß die Oberhirten ohne die staatliche Einmischung rein kirchliche Gerichtshöfe nach den Grundsätzen des Kirchenrechtes aufbauen konnten. Zum Abschluß ist diese ganze Entwicklung freilich erst in unserm Jahrhundert gekommen.

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In Frankreich empfahlen eine Reihe von Provinzialkonzilen die Neuerrichtung von Offizialaten, so die Konzile vonParis 1849,49 Reims 1849,50 Avignon 184951 u. a. Auch auf deutschem Gebiet ging man gegen Mitte des 19. Jahrhunderts an eine Neuordnung der Verhältnisse. Für die österreichischen Diözesen wurde maßgebend eine von Kardinal Rauscher 1856 verfaßte „Instructio de iudiciis ecclesiasticis quoad causas 49Decr. Conc. Prov. Paris, a. 1849 tit. 3 c.

1: Cum aliunde tarn late pateat hodierna dioeceseon circumscripto tantusque inde exurgat negotiorum numerus, ut omnimodam Episcoporum curam excedere plerumque videatur, statuimus ut in unaquaque dioecesi provinciae, quamprimum opportune fieri poterit, tribunal Episcopale instituatur, cui viros erudi- tione, prudentia atque animi moderatione commendatos Episcopi praefi- ciant, quorum ipsi et numerum et munera pro rerum natura aut gravitate assignent. (Coll. Lacensis IV 21b.)50Decr. Conc. Prov. Remensis a. 1849 tit. 17 c. 1: Quamvis Episcopi soli ex proprio munere sint causarum ecclesiasticarum iudices, quoniam innumeris propemodum negotiis vacare tenentur, hodiernis praesertim temporibus, ne ulla causa alicuius momenti moram patiatur, expedire videtur ut in variis dioecesibus instituatur Auditorium episcopale, ad instar tribunalis, quod pronuntiet de omnibus causis ad contentiosae iurisdictionis exercitium pertinentibus, quas sibi non reservaverit Epi- scopus. Curent igitur Episcopi ut in unaquaque Remensis provinciae dioecesi constituatur auditorium ecclesiasticum, in quo iudex seu Officialis ab Episcopo deputatus, ac duobus saltem assessoribus adiutus, cognos- cat . . . ita ut nec ab Officiali ad Episcopum, nec ab Episcopo ad Officia- lem appellari queat. (Coll. Lacensis IV 145 a.)51Decr. Conc. Prov. Avenion. a. 1849 tit. 6 c. 7. Officialitatis institutum, a longo quidem tempore vigens ad ordinariam iurisdictionem Episcoporum contentiosam exercendam, tempore autem perturbationis rerum in Galliis intermissum, Provincialis haec Synodus, restituit quantum prae- senti Ecclesiae statui accomodari potest, sperans plura exinde nascitura esse emolumenta. (Coll. Lacensis IV, 349—350.)

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matrimoniales“,52 die besondere Ehegerichte schuf. Auch in manchen süddeutschen Diözesen (München, Augsburg) ersetzte ein Ehegericht oder „Konsistorium“ das Offizialat im älteren Sinn. Es erklärt sich dais aus der Tatsache, daß eben die weitaus meisten anfallenden Sachen Ehesachen waren. Für andere Sachen wurden, wenn sie nicht im Verwaltungswege entschieden wurden, von Fall zu Fall die

52 Vgl. Coll. Lac. V 1286—1316; die Instructio wurde auch auf Venetien ausgedehnt, vgl. Coll. Lac. VI. 338 a.

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Richter ernannt. Für die preußischen Offizialatsverhält-nisse haben wir die eingehenden, vorzüglichen Untersuchungen von L. Kaas53. Nur einige seiner Ergebnisse können hier berücksichtigt werden. Auch in einer Reihe von preußischen Diözesen fehlten eigentliche Offizialate bis in die neuere Zeit, so in Posen, Fulda, Hildesheim, Osnabrück, Münster und Pa-derborn,54 meist ersetzt durch, ein Ehegericht („Konsistorium“) — weitgehend wurden die Sachen auch auf administrativem Wege erledigt durch den Generalvikar. Die Gedanken einer Kompetenztrennung waren eigentlich nur in der Kölner Kirchenprovinz nach der persönlichen und sachlichen Seite durchgeführt. Wie sich aus der bescheidenen oder ganz fehlenden Besoldung ergibt, betrachtete man das Offizialat bis in neuere Zeit hinein als Nebenamt. Eine juristische Spe-zialvorbildung des Offizials, wie auch der geistlichen Räte des bischöflichen Gerichtes, war bei den preußischen Offizialaten äußerst selten.55 So war der Stand der Dinge in den deutschen Diözesen, bis durch die Gesetzgebung Pius’X. und die Kodifikation eine Reform der bischöflichen Gerichtsverfassung im Sinne des gemeinen Rechtes angebahnt und zum großen Teil auch durchgeführt wurde.§ 3. Ursprung des Generalvikars.

I.

53

Die geistliche Gerichtsbarkeit der katholischen Kirche in Preußen. Vgl. auch Müller, Bischöfl. Diözesanbehörden.54 60 Kaas a.a. O. II 201 ff.55 60 Kaas a.a. O. II 204f.

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Wie schon erwähnt, machte die ältere Doktrin zwischen Generalvikar und Offizial keinen Unterschied, und zwar sowohl was die historische Entwicklung anbetrifft, wie auch hinsichtlich des damals geltenden gemeinen Rechtes. „Vica- rius et officialis idem significant et in effectu nulla, inter eos, nisi in nomine versatur differentia“ — so Barbosa56. Ihm

56Vgl. De officio et potestate episcopi III no 53 f.

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folgt u. a. Thomassin und Benedikt XIV., welcher meint, der G.-V. werde auch manchmal vom Recht Offizial genannt, und nur in transalpinen Ländern, besonders in Frankreich und Belgien, habe sich eine Trennung des Generalvikars und Offizials herausgebildet gemäß der Zuweisung der streitigen Gerichtsbarkeit an den Letzteren und der freiwilligen an den Ersteren. Diese Praxis entspreche aber nicht dem allgemeinen Recht.57 Dieselbe Ansicht wurde dann auch von neueren Kanonisten vertreten, z.B. Paul Fournier: „Im 13. und 14. Jahrhundert sind die Ausdrücke ,Vicarius‘ und ,Offi- cialis1 oft synonym und vermischen sich in den Texten“.58 Gegen diese These wendet sich nun Eduard Fournier mit aller Schärfe.59 Es liegt uns ob, an Hand der Quellen die Stichhaltigkeit seiner Aufstellungen zu prüfen, um aus der Analyse der Quellen nicht nur ein Bild über die historischen Anfänge des G.-V. zu gewinnen, sondern vielleicht auch einige Aufschlüsse über die Rechtsnatur dieses Beamten auf Grund seines geschichtlichen Ursprungs zu erhalten.

57

De synodo dioecesana III c. 3 no. 2 : Vicarius generalis episcopi, quamquam a iure quandoque dicatur Officialis, attamen in aliquibus re- gionibus ultra montes, praesertim in Gallia et Belgio, usus obtinuit, ut ab Officiali distinguatur et „Vicarius“ nuncupatur, qui ea exercet, quae sunt iurisdictionis voluntariae, Officialis vero, qui iurisdictionis praeest contentiosae . . . Apud nos autem, unus et idem Episcopi vices, in utrius- que iurisdictionis exercitio, gerere consuevit, quod etiam iuris conformius58 observât Guilelmus Lyndevvode.59 64 Vgl. Les officialités au moyen âge,

p. 24.

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II.

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Der Liber Se*tus befaßt sich mit einer Beamtenkategorie, f die er den „Vicarius in spiritualibus generalis“ nennt, an ver-schiedenen Stellen. So gibt er z. B. bei Abwesenheit des Bischofs diesen Vikaren das Recht, Weihedimissorien auszustellen. Nicht aber fällt dieses Recht unter die Befugnisse des Offizials — es wird vielmehr dies ausdrücklich als nicht

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zu dessen Amtsaufgabenkreis gehörig, bezeichnet.60 Eine De- kretale Gregors X. von 1273 regelt das Benefizienkollations- recht der Bischöfe für die Fälle, wo Benefizien „in Curia“ vacant werden und dehnt die Rechte der Bischöfe, wenn sie abwesend sind, auch auf ihre Generalvikare aus. Ausdrücklich bemerkt sei, daß diese Rechte dem „Vicarius generalis“ nur bei Abwesenheit des Ordinarius eingeräumt sind.61 Wie das Gesetz, so machen auch die Rechtslehrer jener Zeit einen Unterschied zwischen G.-V. und Offizial. „Officialis vero episcoporum est ille cui, per commissionem officii, com* petit cognitio causarum, subaudi: et definitio et decisio . . . officialis non habet potestatem circa actus spirituales et ex- traiudiciales, quia illud pertinet ad vicarium in spirituali- bus.“62 Gerade in Frankreich wurde die Erkenntnis des Unterschiedes von G.-V. und Offizial besonders leicht und klar gewonnen bei Betrachtung der 60Les origines du vicaire général, passim.

66 c 3 inVIo 1,9: Quum nullus clericum alienae parochiae praeter su- perioris ipsius licentiam debeat ordinäre: superior intelligitur in hoc casu episcopus . . . Inferiores quoque praelati . . . vel officialis epi- scopi, quum ad hoc se ipsius officium non extendat, huiusmodi nequeunt licentiam impartiri. Episcopo autem in remotis agente, ipsius in spiritualibus vicarius generalis . . . seu is, ad quem tune temporis admini- stratio spiritualium noscitur pertinere, dare possunt licentiam ordinandi.61c 3 in VIo 3,4: Statutum Clementis Papae ... de dignitatibus et beneficiis in Curia Romana vacantibus nequaqum per alium quam per Romanum Pontificem conferendis decernimus taliter moderandum, ut ii, ad quos eorundem beneficiorum et dignitatum spectat collatio, demum post mensem a die, quo dignitates seu beneficia ipsa vacaverint, numeran- dum, ea conferre valeant tantum modo per se ipsos vel, ipsis agentibus in remotis, per suos vicarios generales, in eoruita dioecesibus exsistentes, quibus id canonice sit commissum.62Vgl. Friedrich von Siena, zit. Ed. Fournier a.a.O. p. 69.

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Verwaltungspraxis der Päpste in Avignon. Und zwar handelt es sich hier nicht um die allgemeine Kurialverwaltung, sondern um die Regierung der Diözese Avignon. Im Jahre 1317 wurden vom Papst zwei Generalvikare für die Diözese ernannt und zur selben Zeit be-gegnen wir auch einem „Generalis vicarius Summi Pontificis in spiritualibus in Urbe Romana“ — der Vorläufer des späte

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ren Kardinalvikars. Dieser Generalvikar des Bischofs von Rom wird genau unterschieden vom Vertreter des Papstes als Herrscher des Kirchenstaates. Dieser ist „Vicarius in tiemporalibus“,63 wie man ihn auch zuweilen in den großen deutschen Diözesen aufstellte, wo der Bischof zugleich Landesherr war. Der „Vicarius generalis in temporalibus“ des Papstes für Rom trug später den Titel „Gubernator Ur- bis“ — der „Vicarius generalis in spiritualibus“ für Rom war und ist der bereits erwähnte Kardinalvikar. Eine Identifizierung der oben erwähnten päpstlichen Generalvikare für Avignon mit Offizialen lag aber ganz fern, da der Papst die Rechtspflege durch delegierte Richter üben ließ. Warum nun aber doch schon einige Kanonisten jener Zeit den Versuch machten, den offenkundigen Unterschied des c. 3 in VIo 1,9 wegzudeuten,64 werden wir weiter unten zu erklären haben bei Erörterung der Frage, ob es sich bei dieser Trennung von G.-V. und Offizial um gemeines Recht oder um Sondergewohnheiten einzelner Länder handelte.III.

63Einsetzung eines „Generalvikars“ für die Temporalien durch den Papst in Toskana am 14. März 1314: Clemens episcopus (V.) . . . Roberto regi Sicilie illustri, vicario imperii a nobis in Italie partibus subiec- tis imperio constituto salutem . , . te de fratrum nostrorum consilio in partibus ipsis dicto tarnen subiectis imperio . . . vicarium in temporali- )us usque ad sedis apostolice beneplacitum constituimus generalem. (M.G. Const. IV, 2 p. 1205 f.)64So z. B. Johannes Andreae, vgl. E. Fournier p. 111.

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Nicht nur aus der Zeit des Liber Sextus, sondern auch in früheren Perioden schon finden wir einen „Vicarius generalis“ in den Quellen des gemeinen Rechtes erwähnt. Einen wichtigen Beleg dafür haben wir in einer Entscheidung Ho- nonus’ III. Es handelte sich hier um zwei Modenser Kleriker, die von ihrem abwesenden Bischof als Generalbevollmächtigte bestellt waren, mit der Vollmacht alle administrativen und prozessualen Dinge in seiner Vertretung zu erledigen. Der Papst erkannte die Gültigkeit dieser Vollmacht an und

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weist die entgegenstehende »Einrede als unbegründet zurück.65 Die „Vicarii generales“ sind also berufen, als Alter ego des abwesenden Bischofs dessen gesamte Geschäfte zu führen. Und das schreibt sich der Generalvikar des Bischofs von Cambrai auch ausdrücklich zu (bereits im Jahre 1207) :C2 „quod de mandato venerabilis patris et domini Dei gratia Cameracensis episcopi ageret in episcopatu Cameracensi in potestatis plenitudine.“— Nachdem E. Fournier für Frank-reich das Auftreten des Generalvikars im 13. Jahrhundert, als eines Stellvertreters des abwesenden Bischofs nachge-wiesen hat, sind wir durch die ausgezeichneten eingehenden Quellenstudien von A. Güttsches66 in der Lage, das Auftreten des G.-V. in der Kölner Diözese von Anfang an verfolgen zu können. Als erster Generalstellvertreter des abwesen- denBischofs erscheint Bruno v. Berg,67 Dompropst 1164—1191. Güttsches möchte ihn freilich nicht als Vorläufer des G.-V. betrachten. Ihm sei nur die „vices ecclesiasticae audientiae“ übertragen gewesen, das heißt3 er sei nur Stellvertreter des Bischofs im Gericht gewesen. Allein gerade

65c. 9 X1,38: Petitio vestra nobis exhibita continebat, quod, cum Mu- tinensis episcopus in Livoniam profecturus vos vicarios suos et procurators constituerit generales, vobis volentibus agere contra detentores bonorum episcopi Mutinensis vel contra illum agentibus respondere fre-quenter opponitur, quod hoc facere non potestis, pro eo, quod in instrumento vicariae sive procurationis huiusmodi non exprimitur, quod episcopus ipse constituerit vos syndicos vel actores: Nos igitur ex tenore ipsius instrumenti liquido cognoscentes, quod intentio fuerit ipsius episcopi dare vobis agendi et respondendi pro ipso liberam potestatem, exceptionem huiusmodi penitus reprobamus.66 Die Generalvikare der Erzbischöfe von Köln bis zum Ausgang des Mittelalters.67Güttsches, a. a. O. § 4 A. 1.

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die angeführte Urkunde68 zeugt gegen diese Interpretation, weil sie Bruno bei einem Stiftungsgeschäft tätig zeigt — also in Ausübung von „iurisdictio voluntaria“, die dem G.-V. zusteht. Als „vices gerentes“ des nach Rom gereisten Erzbischofs Konrad von

68 66 a.a.O. §4A. 1.

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Hochstaden erscheinen 1239 Dompropst Konrad und Domdekan Goswin.66 Als „vices gerens“ des abwesenden Bischofs — sogar mit dem Vorsitz auf der Diözesansynode betraut — erscheint 1308 der Domdekan Ernst von Rennenberg. Eine kollegiale Stellvertretung des zum Konzil von Vienne gereisten Bischofs treffen wir 1312; 1315 bezeichnet sich Heinrich von Virneburg67 als „Vicarius generalis in spiritualibus et temporalibus“, und Winand von Gennep69 zeichnet 1350 als „vicarius generalis episcopi in remotis agentis“. Gegen die Verfügungen dieser Vizegerenten ist nur Appell an den Papst möglich, nicht an den Bischof, dessen „Alter ego“ der Vicarius ist.70 Trotzdem möchte Güttsches in diesen Stellvertretern noch nicht den eigentlichen G.-V. erkennen, sondern nur einen Vorläufer desselben. Seine Hauptgründe sind: die Bestellung eines Vices gerens nur bei Abwesenheit des Bischofs und die öfters vorkommende Bestellung mehrerer Stellvertreter. Doch ist der erste Grund nicht entscheidend: wenn auch ganz ungewöhnlich, so erscheint die Bestellung eines Vertreters für die Zeit der bischöflichen Abwesenheit, der doch in allem ein echter G.-V. wäre, auch nach geltendem Recht als durchaus möglich. Güttsches selbst bringt aus der Zeit völliger Konsolidierung des Amtes noch ein Beispiel für Bestellung eines G.-V. auf Zeit: Heinrich Vriese, zu Pfing-sten 1475 ernannt mit befristeter Vollmacht bis Weihnachten 1475.71 Und was die Solidarberechtigung^ mehrerer G.-V. anlangt, so entspricht dies «war nicht der

69 ee a. a. O. § 4 A. 2. 67 a. a. O. §4 A. 3. es a. a. O. § 4 A. 4.70 Vgl. die Appellation der Kanoniker von St. Gereon, 1315 an den Papst, Güttsches, a. a. O. § 4 A. 3.71Güttsches, a. a. 0. § 9 A. 3.

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deutschen, wohl aber der französischen Praxis bis in die jüngste Zeit. Man wird also die beiden Gründe nicht für hinreichend erachten können, um den ersten „eigentlichen“ G.-V. in Hugo von Hervorst (um 1390) zu erblicken: der Generalvikar tritt auch in Köln in derselben Zeit auf wie in Frankreich (Bruno v. Berg 1164 — 1191).

Auch im weltlichen Rechtsbereich war übrigens das Institut solcher Stellvertreter mit weitgehenden Vollmachten, welche wie die bischöflichen Vertreter die Bezeichnung von Generalvikaren trugen, allgemein üblich. So ernannte z.B. Friedrich II. seinen Sohn Heinrich 1239 zum „Legaten a latere und Generalvikar“ für die Romagna, wobei er ihm eine ganz umfassende Vertretungsmacht, auch in militärischen Dingen übertrug. Heinrich soll durchaus als „Alter ego“ des abwesenden Kaisers in Italien gelten, soll als Legat a latere gleichsam ein Abbild des Kaisers sein, wie der päpstliche Legat der „wandelnde Papst“ ist.72 Ferner ernannte Friedrich II. im Februar 1246 seinen Sohn Friedrich von Antiochien zum kaiserlichen Generalvikar für Toskana und die Maritima,73 den Graf Thomas von 72Constitutio Vicarii Generalis Romaniolae

1239: Quia tarnen circa alias partes imperii ad presens necessario detinemur . . . ecce de tua prudentia et fidelitate confisi, te de latere nostro legatum generalem tocius comitatus predicti ad eum velut conscientie nostre conscium pro conservatione pacis et iustitie specialiter destinamus, ut vices nostras universaliter geras ibidem. Nec tarnen te sola vicarii potestate volumus esse contentum, licet solo vicarii nomine censearis, sed tibi usque ad aliud mandatum nostrum adicimus officium presidatus, concedentes tibi merum imperium et gladii potestatem. (M. G. Const. II p. 299.) Am 25. Juli 1239 wurde diese Vollmacht Heinrichs auf ganz Italien ausgedehnt. (M.G. Const. II p. 301.)73Promulg. Vicarii Gen. per Tusciam: Quia tarnen emergentibus aliis curis imperii . . . presencialiter ibi esse non possumus: ecce de fide et constancia Friderici de Antiochia

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Savoyen im November 1248 zum Generalvikar der Lombardei74 unter Verleihung ähnlicher Vollmachten. Wir sehen also, daß die weltlichen Fürsten in gleicher Weise wie die geistlichen im Fall längerer Abwesenheit ihre ganze Gewalt einem Stellvertreter übertrugen, der als ihr

dilecti filii nostri plenissime confiden- tes, ipsum in provincia ipsa generalem vicarium duximus statuendum, ut vices nostras universaliter gerat ibidem. (M. G. Const. II, 373.)74Const. Vicarii Gen. in Lombardia a Papia superius: Ecce quidem per patentes litteras nostras damus universis decrete tibi provincie firmiter in mandatis, ut tibi super exercendo ipso officio tanquam persone nostre obediant et intendant et ut generali eorum vicario a nostra maiestate statuto ad honorem et fidelitatem nostram. (M. G. Const. II, 380.)

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Alter ego in ihrem Namen handeln sollte. Die Bezeichnung für diesen auf Zeit ernannten Stellvertreter mit außerordentlichen Vollmachten war stets „Vicarius generalis“ — nie aber „Officialis“!In dieser Stellvertretung des abwesenden Herrn liegt also der Urspung des Generalvikars der Sache und Bezeichnung nach. Ganz verfehlt ist der schon erwähnte Versuch mancher älteren Kanonisten, den Ursprung des G.-V. aus der Bestimmung des Lateranense IV ableiten zu wollen. Das Konzil hat Diözesen mit verschiedenem Ritus und ver-schiedener Sprache im Auge, und der Bischof soll für Gehilfen und Stellvertreter in seinem pflichtmäßigen Predigtamt sorgen. Er soll „cooperatores“ für Beichthören und ähnliche reine Seelsorgsangelegenheiten haben; nie aber kann in diesen Vorläufern des Canonicus poenitentiarius und des Weihbischofs der Ursprung eines G.-V. in unserm Sinn, d. h. einesGehilfeninderDiözesanregierung erblickt werden.74

IV.Zusammenfassend ergibt sich also folgendes Bild. Die häufige Abwesenheit des Ordinarius machte seit dem 12. Jahrhundert eine Stellvertretung mit fest umschriebenem Vollmachtenkreis besonders notwendig. Diese Stellvertreter waren die Procuratores oder Vicarii generales, die mit der Fülle74 Die Bestimmung des Lateranense IV aufgenommen ins Corp. Jur. Can. = c. 14 X 1, 31 : Quoniam in plerisque partibus infra eandem civita- tem et dioecesim permixti sunt populi diversarum linguarum, habentes sub una fide varios ritus et mores, districte praecipimus ut pontifices huiusmodi civitatum . . . provideant viros idoneos, qui secundum diver- sitates rituum et linguarum divina illis officia celebrent. und = c. 15 X

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1, 31 : . . . quum saepe contingat quod episcopi. . . per se ipsos non suffi- ciunt ministrare populo verbum Dei . . . sancimus, ut episcopi viros idoneos ad sanctae praedicationis officium salubriter exsequendum assumant . . . Unde praecipimus, tam in cathedralibus quam in aliis conven- tualibus ecclesiis viros idoneos ordinari, quos episcopi possint coadiuto- res et cooperatores habere, non solum in praedicationis officii, verum etiam in audiendis confessionibus et poenitentiis iniungendis, ac ceteris, quae ad salutem pertinent animarum.] der bischöflichen Gewalt ausgestattet waren. Manchmal war nur einer, meistens aber mehrere „in solidum“ zu solchen Vicarii bestellt. Gewöhnlich nahm man zu diesem Amt angesehene Persönlichkeiten, wie Suffraganbischöfe, Äbte, Kanoniker u. dgl. Anfangs war das Amt des Generalvikars nicht ständig; die lange Abwesenheit vieler Bischöfe, die zum Teil überhaupt nicht mehr Residenz hielten, ließ aber j die Institution sich immer mehr festigen, sodaß wir den G.-V. | im 14. Jahrhundert dauernd im Amte sehen — selbst bei Anwesenheit des Bischofs, so z. B. im päpstlichen Avignon. Ein Konzil von Salamainca75 vom Jahre 1335 stellt ausdrücklich fest, daß die Jurisdiktion der G.-V. fortbestehen kann, auch wenn der Prälat anwesend ist, aber selbst die Regierung nicht ausübt.Nach allem Gesagten ergibt sich der Unterschied von G.-V. und

Offizial, wie er in deren Entstehungszeit schon bestand, mit aller Deutlichkeit. Wir können daher das Ergebnis unserer Betrachtungen in folgende Sätze zusammenfassen:1. Der G.-V. hat die plenitudo 75. . . Ideo sacro approbante concilio

statuimus, ut episcopi . . . viros providos de gremio ecclesiae cathedralis litterarum scientia praeditos, si reperire potuerint, ad exercendum eorum vices, eligere teneantur. Qui cum ipsi fuerint absentes, vel praesentes, et sua iurisdictione uti non valuerint, istae personae sic electae vices suas possint in omnibus exer- cere. (Vgl. Man si XXV col. 1048.)

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potestatis episcopi, der Offizial ist nur Alter ego des Bischofs in seiner Eigenschaft als Richter.2. Der G.-V. tritt bis ins 14. Jahrhundert nur in Tätigkeit bei Abwesenheit des Bischofs, der Offizial ständig.3. Im Anfang — in Frankreich auch in der Folgezeit — werden meist mehrere G.-V. eingesetzt, die „in solidum“ berechtigt sind, der Offizial ist dagegen ohne Kollegen.

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4. Die G.-V. sind meist höhere Prälaten, der Offizial ist gewöhnlich einfacher Kleriker. — Der Offizial und der G.-V. haben also in ihrer Genesis nicht das Mindeste miteinander zu schaffen — Letzterer stellt keine Abspaltung des Er- steren dar. Das Amt des G.-V., das etwas jünger ist, ist vielmehr hervorgegangen aus der zeitweiligen Stellvertretung des abwesenden Bischofs. Seine rechtliche Stellung ist zu beurteilen nach den Grundsätzen der Lehre von der Stellvertretung, was weiter unten noch eingehend zu erörtern sein wird.V.

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Trotz dieser scharfen theoretischen Trennung vonG.-V. und Offizial darf es uns doch nicht wundern, daß wir öfters der Bezeichnung begegnen: „N.N. vicarius generalis et officialis“. In der Tat war es nämlich sehr häufig, daß unter den mehreren Generalvikaren auch der Offizial als einer von ihnen bestellt wurde. Es erklärt sich diese Bestellung aus seiner Geschäftsund Rechtskenntnis und aus der engen Verbindung, in der er mit dem Bischof stand. Auf die Vereinigung beider Ämter in einer Person macht Paul Fournier aufmerksam und fährt dann fort: „aber in solchem Fall erwähnt der Offizial, wenn er ein Geschäft vornimmt, die neuen Gewalten (seil, die des Generalvikars!), die er vom Bischof empfangen hat.“76 Damit widerlegt sich P. Fournier aber eigentlich selbst, denn gerade daß der Offizial in diesem Fall sich einer Erhöhung seiner Befugnisse und seiner neuen Stellung bewußt ist, zeigt, daß Eür gewöhnlich Offizial und G.-V. doch nicht „Synonyma“ gewesen sein können, wie er auf der folgenden Seite dann behauptet. Und auch die Anführung von Beispielen aus Ita-lien,77 die Zitierung so vieler italienischer Kanonisten für iie Identitätstheorie, ist nicht weniger unglücklich. Denn in [talien waren, bei der Kleinheit der Diözesen, tatsächlich fast mmer beide Ämter in einer Hand vereinigt, wie es bis heute geblieben ist—eine Ordnung der Dinge, der ja auch derC.I.C. Rechnung trägt (can.1573 §1 u. §6). Es ist also festzustellen: iine Identität von Generalvikar und Offizial hat, iußer in Italien, nicht bestanden. Wo beide Ämter in

76a. a. O. p. 23.77 Vgl. z. B. die Ausdrucksweise des Provinzialkonzils von Bergamo m Jahre 1311. (Mansi XXV p.488, p. 493, 499, 501.)

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einer Hand vereinigt sind, handelt es sich um eine zufällige Personalunion.

§ 4. Das Generalvikariat oder „Ordinariat

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Ähnlich wie beim Offizialat verlief auch die Entwicklung beim General vikariat. Auch hier kristallisierte sich um die Person des G.-V. eine Behörde: das Generalvikariat, auch I „Ordinariat“ genannt.78 Die Quellen über die Entwicklungs-geschichte dieser speziell deutschen Behörde sind überaus spärlich.79 Die Räte waren oft Domkapitulare — ein Recht, da-s sie sich manchmal in Wahlkapitulationen ertrotzten. Auch die Ämter des G.-V. und des Offizials waren Gegenstand des Ehrgeizes und Machtstrebens der Domkapitel. Zeuge dessen sind die Wahlkapitulationen, in denen der Bischof versprechen mußte, das eine oder gar beide Ämter nur mit Kanonikern zu besetzen. So erlangte das Kapitel zu Trier das ausschließliche Recht auf das Amt des Offizials bereits 1286, des G.-V. allerdings erst 1729;80 das Kapitel zu Konstanz das Offizialat 1294, das G.-V. 1491 ;81 das Kapitel zu Würzburg das Offizialat 1345, das G.-V. 1423;82 das Kapitel zu Eichstätt Offizialat und G.-V. 1415;83 das Kapitel zu Bamberg das G.-V. 1422;84 das Kapitel zu Breslau dasOffizialat und G.-V. 1456 ;85 das 78 Der Ausdruck „ordinariatus“ begegnet in den lateinischen Quellen nicht, sondern ist immer durch Curia wiedergegeben.79Weder im Corp. Jur. Can., noch im

Tridentinum, noch in römischen Entscheidungen findet sich etwas. Vgl. zu der ganzen Materie Müller, Bischöfl. Diözesanbehörden, S. 3 ff.80 Kremer, Studien zur Geschichte der Trierer Wahlkapitulationen, S. 51 und 56.81 Brunner, Wahlkapitulationen der Bischöfe von Konstanz (1294 — 1496). Zeitschr. f. d. Geschichte des Oberrheins, NF XIII, S. 3, 31.82 Abert, Die Wahlkapitulationen der Würzburger Bischöfe bis zum Ende des 17. Jahrhunderts, S. 133 f.83 Bruggaier, Die Wahlkapitulationen der Bischöfe und Reichsfürsten von Eichstätt, S. 128.84 Witt mann, Wahlkapitulationen der

Bischöfe von Bamberg, Arch.85 f. k. K.R.49 (1883), S. 339.

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Kapitel zu Mainz das G.-V. seit 1459;86 das Kapitel zu Köln das G.-V. 1463.87 Jedenfalls aber mußte der Generalvikar bei Amtsübernahme schwören, nichts gegen die Rechte des Kapitels unternehmen zu wollen. Wir sehen hier eine Parallele zu den weltlichen Höfen; auch dort der Gegensatz zwischen dem bürgerlichen Verhältnissen entstammenden Minister (Mazarin, Colbert u. a.) und den frondierenden großen Vasallen, der Kampf zwischen dem Ex-ponenten des Absolutismus und den Vertretern der Feudal-oligarchie. Die Domkapitulare waren übrigens durchaus nicht immer als beisitzende Räte (mit beratender oder beschließender Stimme) im Generalvikariat tätig. Sie widmeten sich oft lediglich der Verwaltung des weltlichen Territo-riums;88 wie denn überhaupt die Bedeutung der Kapitel in der alten deutschen Kirche mehr auf weltlich-politischem Gebiet lag, denn in der Teilnahme am geistlichen Regiment. Erst die Säkularisation und kirchliche Neuordnung hat die Kapitel, wenngleich nicht als solche, so doch ihre einzelnen Mitglieder zu ihrer eigentlichen Aufgabe zurückgeführt, Räte und Gehilfen des Bischofs, bezw. des Generalvikars, bei der geistlichen Verwaltung der Diözese zu sein.

86 Sepp eit, Die Anfänge der Wahlkapitulationen der Breslauer Bi-schöfe, S, 210, 219.86 Stimming, Die Wahlkapitulationen der Erzbischöfe und Kurfürsten von Mainz, S. 142.87A. Gutt sch es, Die Generalvikare der Erzb. v. Köln, §5 A. 4.88Vgl. Müller a.a.O., S. 15f.

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In Frankreich konnte es ohnehin kaum zu einer kollegialen Generalvikariatsbehörde kommen, da dort in den größeren Diözesen die solidarische Beauftragung mehrerer Generalvikare die Regel war. In Italien waren alle Geschäfte in der Hand des Bischofs, bezw. seines einzigen Generalvikars, vereinigt, der zugleich auch das Amt eines Offizials bekleidete. Für Ausbildung einer Ordinariatsbehörde wäre hier kaum die nötige Grundlage gewesen. Eine monographische Darstellung dieser Diözesansonderrechte und ihrer ge- schichtlichen Entwicklung ist hier nicht möglich, weil eine derartige

Arbeit den Rahmen unseres Themas weit ü ^er schreiten würde. Auch sind auf diesem Gebiete kaum or arbeiten geleistet worden. Für einen kurzen Überblick über die Entwicklung der Ordinariate in Deutschland in jüngster Zeit und über ihren gegenwärtigen Aufbau, sei auf das näc ste Kapitel verwiesen.Wir stehen am Ende unserer Betrachtung über den i- sprung und die erste geschichtliche Entwicklung der bei en wichtigsten Faktoren der bischöflichen Kurie: des Offiziös und des Generalvikars. Denn um G.-V. und Offizial gruppie ren sich, unter wechselndem Namen, in Deutschland jene beiden Kollegien, die entsprechend den Intentionen Pius ^ auch im Bereich der Diözesankurie die Auseinanderlegung von Gericht und Verwaltung verkörpern. Es war angezeigt, diesen historischen Rückblick etwas auszudehnen, m

der Entstehungsgeschichte wertvolle Hinweise auf die Rec ts natur beider Institutionen liegen: weiter aber war die sicht maßgebend zu zeigen, daß die Ordnung des Codex ie

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ursprüngliche Organisation allenthalben wiederherstellt, m Verlauf der Untersuchung wurde das Werk von Ed. Fournier öfters herangezogen — denn im wesentlichen dürfte es en wahren geschichtlichen Verlauf, einer irrigen Schultradition gegenüber, in überzeugender Weise klargestellt haben, e tailfragen bleiben natürlich noch zu klären, so besonders ie Frage nach der Rechtsnatur der ersten „Offiziale in ü Westdeutschland. Dem Kampf gegen die Archididiakone iat Ed. Fournier wohl nicht die genügende Wichtigkeit ^eige messen, wenn er auch erkannt hat, daß die eine Trieb e er zur Schaffung der beiden neuen Beamten in der Abkehr vom Benefizialsystem und in der Einführung eines neuen „Beam tentypus“ zu suchen ist. Diese von Hilling zuerst hervor gehobene Neuerung, die Abkehr vom Benefizial- und in wendung zum Offizialsystem, war aber ein Teil des Kamp es der Bischöfe gegen die Archidiakone. Die andere Würze at Ed. Fournier für den Offizial in der rechtlichen Komplizie

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rung, für den G.-V. in der Stellvertretung des abwesenden Bischofs gesehen. Beides mit vollem Recht, wie wir gezeigt zu haben hoffen. Das neue Recht brachte das neue Amt — das ist gegen Riedner festzuhalten. Wie die Stellung des G.-V. in der Lehre von der Stellvertretung wurzelt, und wie hier Ed. Fournier einen erheblichen Fehler gemacht hat in der näheren Charakterisierung der Procuratur, wird im dritten Kapitel der Grundlegung zu zeigen sein. F. Gescher möchte in seiner Besprechung des Buches von Ed. Fournier die Entstehung des „eigentlichen“ Generalvikars erst in den Anfang des 14., nicht schon des 13. Jahrhunderts verlegen. Im „Vi- carius generalis“ des 13. Jahrhunderts möchte er nur einen Vorläufer des späteren G.-V. erblicken. Gewiß ist der Unter-schied zwischen dem für die Abwesenheit des Ordinarius bestellten Generalvertreter und dem Generalvikar der späteren Zeit, der sich mit dem Bischof in die Diözesanregierung teilt, sein rechtlicher Doppelgänger in etwa ist, von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Dennoch glauben wir an unserer Auffassung festhalten zu sollen. Wir sehen im „Vicarius generalis“ des 13. Jahrhunderts bereits alle Wesenselemente des späteren G.-V. vorgebildet — und auf die Gleichwesentlichkeit beider Vertreter sollte u. E. das Hauptaugenmerk gerichtet werden. Wir erblicken das Wesentliche in der Ernennung eines Stellvertreters mit derart weitgehenden Vollmachten; denn in der Eigenschaft „Alter ego episcopi“ zu sein, liegt auch heute noch das wahre Wesen des General - vikar-Amtes begründet, während das Amt eine sonderliche Stabilität auch heute noch nicht besitzt, sondern in seinem Bestände ganz abhängt vom Willen, der Regierungsfähigkeit und

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Regierungsfreudigkeit des vertretenen Bischofs. Wie gesagt : es erscheint uns als etwas zu weitgehend, im Moment der Ständigkeit oder Nichtständigkeit einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Vicarius generalis des 13. und des 14. Jahrhunderts zu erblicken.

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II. Kapitel.Wesen und Aufbau des

Ordinariates.§ 1. Die Rechtsnatur der

Diözesanbehörden.Es war im Vorausgehenden

bereits die Rede von der Aus-bildung einer Generalvikariatsbehörde in Deutschland: dem „Ordinariat“. Von dieser Behörde soll im Folgenden eingehender die Rede sein, ehe die Stellung des Generalvikars selber besprochen wird. Schon hier sei bemerkt, daß Ordinariat vielfach mit „Bischöflicher Kurie“ synonym gebraucht wird, und dann auch dais Offizialat und die Kanzlei mitumfaßt. Der Ausdruck „Ordinariatus“ begegnet einmal im Konkordat Pius’ IX. mit dem König von Württemberg vom 8. April 1857,89 sonst ist der Begriff in den Quellen mit „Curia dioecesana“ wiedergegeben. Einen Beweis für die Richtigkeit unserer These von der Synonymität von Ordinariat und Curia dioecesana finden wir im Bayrischen Konkordat vom24. Januar 1925,90 wo wiederholt Ordinariat mit Curia dioecesana übersetzt worden ist.

89 vgl. Concordat, Art. 4 b (Mercati, Raccolta p. 854).90 vgl. Art. 10 § 1 b:

„Ordinariatsdienst“ = servizio della Curia dio- cesana“. Art. 10 §lg: wird gleichfalls Ordinariat mit Curia diocesana übertragen (AAS XVII no2).

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Die Darlegungen über das Ordinariat haben ihren Platz in der geschichtlichen Grundlegung gefunden, obwohl vielfach auch geltendes Recht zu besprechen sein wird, da diese partikulare Rechtsentwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Dann aber steht auch die Darstellung des Sonderrechtes einzelner Gebiete ihrem Wesen nach der Rechtsgeschichte näher, als der Behandlung des geltenden „ius commune“, weil sich in ersterem die wechselnden und mannigfaltigen Erscheinungen viel reiner niederschlagen als in dem allgemeinen Recht der Weltkirche. Die Sätze des „ius commune“ wollen ja die ideale Norm sein, die, in sich unverändert, das festeRückgrat darstellt für die Rechtsbildung der einzelnen Län-der und Diözesen. Das „ius commune“ ist ferner in hohem Maße durchlebt und getragen von der Theorie und somit vor-züglich geeignet für eine rechtsdogmatische Behandlung, während dem auf die einmaligen, praktischen Verhältnisse gerichteten Partikularrecht eine geschichtliche Betrachtungs-weise viel eher angemessen ist. Ein weiterer methodischer Grund für die Darstellung der deutschen Ordinariatsverfassung im einleitenden, geschichtlichen Teil unserer Arbeit wurde darin erblickt, daß von dem Allgemeinen auf das Besondere zu gehen sei. Es soll gezeigt werden, wie beide Stellvertreter des Bischofs sich eingliedern in den Behördenapparat der Diözesankurie, dessen wichtigste Grundpfeiler sie sind. Weiter unten wird dann, nach einem Exkurs über die theoretische Fundierung beider Ämter in der Theorie der Stellvertretung, vom Generalvikar und Offizial im Einzelnen zu handeln sein.

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Wie gesagt: es ist ein Charakteristikum der deutschen Kurialverfassung, daß dem G.-V. eine Behörde — „General-vikariat“ oder „Ordinariat“ — zur Seite tritt, die in manchen Diözesen noch konkurriert mit einem „Allgemeinen Geistlichen Rat“. Die Ursachen dieser Entwicklung liegen vor allem wohl in der Größe der deutschen Bistümer und der dadurch gesteigerten Arbeitslast; von Einfluß waren ferner vielleicht auch historische Reminiszenzen an eine Zeit, wo die mit dem Bistum verbundene Territorialherrschaft einen großen Behördenapparat nötig machte. Und wie man sich ge-wöhnt hatte die weltlichen Angelegenheiten im „Conseil“, in der „Geheimen Kanzlei“ und vielen „Dicasterien“ zu erle-digen, so behielt man auch diesen Verwaltungsstil bei, als die Jurisdiktion auf das rein geistliche Gebiet beschränkt wurde. Die Gerichtsbehörden bieten ein vom gemeinen Rechte heute fast gar nicht mehr abweichendes Bild und wir können daher auf die Ausführungen über die allgemeinrechtliche Ge-richtsverfassung, die sich weiter unten finden, verweisen.

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Die erste Frage ist die nach der juristischen Persönlichkeit der Curia dioecesana (Ordinariat im weiteren Sinne) wie auch des Generalvikariates (Ordinariat im engeren Sinn). Unter den juristischen Personen unterscheidet der Codex zwei Gruppen: „personae morales collégiales“ und „personae non collégiales“ (can. 99). Erstere werden gebildet aus einem Verband physischer Personen. Es können auch juristische Personen ihrerseits wieder Glieder einer kollegialen juristischen Person sein, die Gesamtkirche z. B. umfaßt die einzelnen Diözesen ; eine Ordensgenossenschaft kann bestehen aus mehreren Provinzen oder Häusern. Auch die „personae morales non collégiales“ begreifen nicht nur Sachen im Rechtssinn unter sich, sondern auch Personen, oft sogar hauptsächlich diese, wie es z. B. bei der Gesamtkirche, der Diözese, der Pfarrei, demSeminar derFa.ll ist. Der Unterschied ist eben der, daß bei der ersten Kategorie eine kollegiale Verfassung besteht. Die Mitglieder des Kollegiums haben besondere Rechte, was die Willensbildung und Willensbe-tätigung des Kollegiums anbetrifft; während bei den nicht kollegialen juristischen Personen den unter ihr mitbegriffenen physischen Personen keine Einflußnahme auf die Akte der Gesamtperson gewährt wird. Es ist unbedingt nötig zum Entstehen einer juristischen Person des kirchlichen Rechtes, daß sie formell und schriftlich vom zuständigen kirchlichen Oberen errichtet wird, wenn nicht das Recht selbst ihr diese Eigenschaft schon beilegt oder sie dieselbe kraft göttlichen Rechtes besitzt (z. B. die Gesamtkirche). Als Wirkung der Errichtung ergeben sich die Rechts-, Erwerbs-, Prozeß- und Deliktsfähigkeit der juristischen

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Person: als Rechtssubjekt wird sie mit einem rechtlich relevanten Willen ausgestattet, wenigstens was den Effekt anbetrifft, wobei hier offen bleibe, ob das kanonische Recht auf dem Standpunkt der Fiktions- hypothese (Stutz) steht oder der juristischen Person eine reale Persönlichkeit beilegt (Lammeyer). Die Verleihung der Rechtspersönlichkeit durch den Codex braucht nicht mit ausdrücklichen Worten gesagt zu sein; es genügt, wenn der

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Codex ein Institut so behandelt, als ob es eine juristische Person wäre.91 Ist dem Institut weder vom Recht noch vom kirchlichen Oberen Rechtspersönlichkeit verliehen worden, so haben wir nie eine wahre und eigentliche juristische Person nach can. 100 § 1 vor uns, sondern höchstens eine nicht rechts- und geschäftsfähige „Kollektivperson“,92 eine „com- munitas“, die zwar eine zu einer bestimmten Einheit verbundene Personengesamtheit sein kann, z. B. ein nicht rechtsfähiger Verein, die Alumnen eines Seminars, der aber der eigene Personalcharakter : das selbständige Fürsichsein abgeht. Als Elemente der juristischen Person nach kanonischem Recht ergeben sich also: die Verleihung der Rechtspersönlichkeit durch den Oberen oder das Recht, die Scheidung in kollegiale und nicht kollegiale Personen, die unbeschränkte Geschäfts- und Deliktsfähigkeit derselben.

91 Maroto, Institutiones no460 p. 542.92 Maroto, a.a.O. no475 p. 557,

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Lassen sich diese Begriffsbestimmungen nun anwenden auf die Curia dioecesana? Die Bezeichnung „Curia“ ist der alt- römischen Verwaltungssprache entnommen und hier bedeutete sie den Verwaltungskörper einer Stadtgemeinde — etwa dem Magistrat der preußischen Stadt Verfassung entsprechend. Wie das Municipium selbst, so war auch die „Curia“ eine juristische Person.93 Diese Analogie der Bezeichnung hat nun vielleicht Gillet dazu verführt, auch eine Analogie des rechtlichen Charakters anzunehmen, und der Diözesan- kurie juristische Persönlichkeit beizulegen.94 Abgesehen von diesen rechtshistorischen, vermeintlichen Zusammenhängen, die ihn bewußt oder unbewußt beeinflußt haben mögen, stützt er sich auf can. 1572 § 2.95 In gleicher Weise tritt Lammey er für die juristische Persönlichkeit der.Diözesankurie ein. Auch er beruft sich auf can. 1572 §2: „Nach dem neuesten Recht partizipiert die curia dioecesana am Charakter der juristischen Persönlichkeit. Klar und deutlich wird im Codex von den Rechten und Zeitlichen Gütern der curia dioecesana gesprochen und letzterie streng von den Rechten und zeitlichen Gütern des Bischofs und der nüensa geschieden . . . Somit ist die bisherige Kontroverse zugunsten der Rechtspersönlichkeit des Ordinariates entschieden. Dem 93 Gillet, La personnalité juridique p. 9.94 a. a. O. p. 241.95 can. 1572 §2: Si vero agatur de

iuribus aut bonis temporalibus Epi- scopi aut mensae vel Curiae dioecesanae, controversia dirimenda defera- tur vel, Episcopo consentiente, ad dioecesanum tribunal collégiale quod constat officiali et duobus iudicibus synodalibus antiquioribus, vel ad iudicem immédiate superiorem.

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Rechtscharakter nach ist die curia dioecesana zu den kollegialen moralischen Personen zu rechnen.“96

96 a. a. 0. S. 176.

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Wie steht es nun mit den Gründen, die man auf Grund des geltenden Rechtes für die These der juristischen Person* lichkeit der Kurie anführen kann? Denn welche Stellung die frühere Doktrin einnahm, werden wir weiter unten noch eingehend zu betrachten haben. Es ist zunächst auffällig, daß an keiner anderen Stelle des C.I.C., auch in den cajn. 363—390 nicht, wo ex professo über die Diözesankurie gehandelt wird, sich auch nur die leichteste Andeutung einer juristischen Per-sönlichkeit findet.97 Es werden nur auf gezählt alle Personen, „quae Episcopo aliive, qui, loco Episcopi, dioecesim regit, opem praestant in regimine totius dioecesis.“ Unter diesen Personen fehlen auch die „cursores“ und „apparitores“ (Amtsdiener, Briefträger und dgl.) nicht. Alle jene Personen, auch diese untergeordneten Hilfskräfte, in den Verband einer kollegialen juristischen Person eintreten zu lassen, geht doch nicht wohl an! Wir hätten dann keine „persona moralis colle- gialis“ vor uns, sondern ein „irreguläre aliquod corpus et monstro simile“. Das Recht setzt außerdem voraus, wie es auch ganz natürlich ist, daß es sich bei der persona moralis collegialis um eine Vereinigung von Personen handelt, von denen jede ein gewisses Mitbestimmungsrecht hat: daß die physische Person also durch ihr Votum Einfluß auf die Gestaltung der Handlungen der juristischen Person nehmen kann, welcher sie angehört. Daher die Bestimmungen des can. 101. Ein solches Mitbestimmungsrecht der 97 „Darüber, ob andere kirchliche

Verbände und Amtsstellen ... ob vielleicht auch die römischen Gerichtshöfe, Kongregationen und Ämter, sowie die bischöflichen Behörden moralische Personen sind oder nicht, schweigt sich das Gesetzbuch aus.“ Stutz, Geist des Codex, S. 204.

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Mitglieder der Diözesankurie anzunehmen, wäre geradezu absurd. Die Kurie als solche hat überhaupt keinen Willen und äußert keinen Willen und die Pfarrkonsultoren, Notare, Amtsdiener und Briefträger nehmen absolut keinen Einfluß auf die Gestaltung der administrativen Verfügungen und Urteilssprüche des Generalvikariates bezw. Offizialates! Als persona moralis eollegialis ist also die Curia dioecesana vom Recht nicht errichtet worden, und vom Ordinarius könnte ihr eine solche Persönlichkeit gar nicht verliehen werden, auch wenn der Bischof hier etwa eine „Lücke“ des Codex schließen wollte: denn Voraussetzung einer solchen speziellen Verleihung wäre, wie can. 100 § 1 ausdrücklich sagt, ein religiöser oder karitativer Zweck. Die Besorgung der bischöflichen Amtsgeschäfte kann aber nur als „finis spiritualis“, nie aber als „finis religiosus vel caritativus“ bezeichnet werden. Die These Lammeyers und Gillets: es habe die Diözesankurie die Rechtsnatur einer persona moralis collegialis, ist also mit aller Entschiedenheit abzulehnen.

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Es wäre immerhin noch denkbar, das Ordinariat als eine persona moralis non collegialis, als eine Anstalt oder Stiftung, aufzufassen. Tatsächlich scheint das auch Noval98 zu meinen, wenn er schreibt: „Curia dioecesana: id est massa bonorum ex quibus honoraria solvuntur illis personis quae Episcopo . . . opem praestant in regimine totius dioecesis, ut sunt Vicarius Generalis, Officialis“. Noval scheint also die Curia für eine festdotierte Anstalt, für eine Stiftung zum Unterhalt der Diözesanbeamten zu halten. Diese Theorie ist aber völlig abwegig. Einer Stiftung oder Anstalt ist es zunächst wesentlich, daß der Wille des Stifters in den „tabulae

98De processibus no 111 p. 59.

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fundationis“ zum Ausdruck kommt — bei der Diözesankurie fehlt aber eine solche Urkunde und ein solcher Stiftungswille gänzlich. Sodann kann man ein besonders eigentümliches Merkmal der Stiftung darin erblicken, daß sie passiver Träger von Vermögen sein soll, während die persona moralis collegialis ein Personenverband zum Zweck gemeinsamen Handelns in erster Linie ist. Es fehlt nun aber der Curia als solcher jegliches Vermögen, wie ein Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse zeigt — die Curia soll gar nicht Vermö-gensträger, sondern Verwaltungsorgan sein. Die verfehlte Definition Novals : „Das Ordinariat ist eine Stiftung zum Unterhalt der Diözesanbeamten“, erledigt sich also völlig. Und auch der vielberufene can. 1572 § 2, wo von den „iura aut bona temporalia Curiae dioecesanae“ die Rede sein soll — womit folglich der Kurie die Rechtspersönlichkeit zuerkannt wäre —, wird zu Unrecht angeführt. Es ist zugegeben, daß die Ausdrucksweise des can. 1572 § 2 gewiß mißverständlich ist — aber man darf die Terminologie des Codex nicht pressen, da der Codex nicht in demselben Maß, wie etwa das Bürgerliche Gesetzbuch, eine streng einheitliche Terminologie hat. Curia bedeutet hier wie in can. 242 nur den Behördenorganismus zur Regierung der Diözese. Persönliche Rechte des Bischofs, Rechte seines Tafelgutes (welches juristische Person ist) und Rechte seines Bistums (welches gleichfalls juristische Person ist), stehen in Frage. Und can. 1572 §2 will nur diese Doppelstellung des Bischofs als Nutznießer und Vertreter seines Tafelgutes und als Herr und Vertreter der Diözese und ihrer Güter hervorheben. Es soll vermieden werden, daß der Bischof selbst richterlich

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entscheidet, wenn er selbst, seine Mensa oder seine Bistumsgüter in einen Rechtsstreit verwickelt werden, denn er darf nicht Richter in eigener Sache sein.99 Das ist der Sinn des etwas unklar formu-lierten can. 1572 § 2, nicht aber die Verleihung der Rechtsper

99Vgl. die Entsch. der Rota vom 8. Aug. 1928, AAS XX, 57.

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sönlichkeit an die Curia dioecesana, die weder persona mo- ralis collegialis noch persona moralis non collegialis ist.Zur Ablehnung der Theorie von der juristischen Persönlichkeit der Diözesankurie bestimmt uns aber auch noch ein methodischer Grund. Es sind zweifelhafte Stellen im Rechtsbuch nach dem alten Recht zu interpretieren, gestützt auf die Meinung anerkannter Autoren.100 Nun ist aber die Stellungnahme der Theorie für das bisher geltende Recht einhellig die: den Ordinariaten die Natur einer juristischen Person abzusprechen. Im selben Sinn sind auch mehrere Ent-scheidungen weltlicher Gerichte ergangen. Die Annahme der These Gillets und Lammeyers würde also einen glatten Bruch mit der Vergangenheit in Theorie und Praxis bedeuten — und zu diesem revolutionären Schritt glauben wir auf Grund des can. 1572 § 2 durchaus nicht berechtigt zu sein.

100

can. 6 no 4: In dubio, num aliquod canonum praescriptum cum ve- teri iure discrepet, a veteri iure non est recedendum.

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Es war schon gesagt worden, daß die Rechtspersönlichkeit der Ordinariate von Theorie und Praxis einmütig abgelehnt wurde. Berühmt geworden ist der „Bamberger Fall“, der wegen seiner Konsequenzen vielfach in der Literatur erörtert worden ist.101 Es handelte sich hier um die Erbeinsetzung des „Erzbischöflichen Ordinariates Bamberg“, die in allen Instanzen für nichtig erklärt wurde, da das Ordinariat keine juristische Person sei, mithin auch nicht zum Erben eingesetzt werden könne. In der Verneinung der juristischen Persönlichkeit hat sich die Theorie einmütig auf die Seite der Gerichtsurteile gestellt.102 „Das Ordinariat ist, zunächst keine Corporation . . . Die ganze Entwicklungsgeschichte des Ordinariatsweist auf einen physischen Träger, und die später hervortretende Vielheit läßt durchgehends das Collegialitätsprinzip vermissen. Man müßte somit das Ordinariat unter dem Gesichtspunkte des Institutes oder der Anstalt begreifen. Hierfür fehlt aber zunächst der selbständige Zweck: das Ordinariat ist nur der Mandatar des Bischofs, seine Aufgabe geht somit in dem umfassenderen Amt des Bischofs auf. Dem Ordinariat mangelt ferner auch die Dauerhaftigkeit seines besonderen Zweckes, diese ist vielmehr durch eine revocable Geschäftsübertragung völlig ausgeschlossen. Die Privat-rechtsfähigkeit einer Anstalt ist

101 Schulte, Die juristischen Persönlichkeiten der katholischen Kir-che, S. 175ff. Hirschei, im Archiv für kath. K.R. 27, 1—42. Meurer, Begriff und Eigentümer der heiligen Sachen II, S. 212 f. Müller, Bischof 1. Diözesanbehörden, S. 94 f. Kiesel, Die rechtliche Stellung des Generalvikars, S. 60.102 Eine ähnliche Entscheidung, die die

juristische Persönlichkeit des

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schließlich gemeinhin Folge einer vermögensrechtlichen Aufgabe, diese ist aber beim Ordinariat gewiß ebensowenig nachweisbar, als ein festdotiertes Stiftungsvermögen vorhanden.“103

103 Ordinariates Freiburg verneint, bei Meister, Beamtenrecht der Erzdiözese Freiburg, S. 131—165.

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Diesen Ausführungen Meurers ist durchaus beizupflichten. Es steht damit auch nicht im Widerspruch, daß dem Ordinariat manchmal ein besonderes Amtsgebäude zugewiesen wird. So legte das bayrische Konkordat vom 5. Juni 1817 dem Staat die Verpflichtung auf, für ein geeignetes Ordinari-atsgebäude Sorge zu tragen;104 dasselbe ist im lettischen Kon-kordat vom 30. Mai 1922 bestimmt worden. Die lettische Regierung stellt der katholischen Kirche ein passendes Gebäude für den Erzbischof und das Kapitel, sowie für die Büros der erzbischöflichen Kanzlei und des Konsistoriums zur Verfügung. Unter Kanzlei und Konsistorium sind Behörden zu verstehen, die wir im Ordinariat (im weiteren Sinn) zusammen-fassen. Rechtsträger dieser Gebäude ist aber nicht etwa das Ordinariat, sondern die katholische Kirche, d. h. das Landeserzbistum Riga.105 Auch im bayrischen Konkordat vom 24. Ja-nuar 1925 ist dem Ordinariat ein Haus zur Verfügung gestellt, ohne daß das Ordinariat etwa selbst Eigentümer des Hauses wäre, geradesowenig wie das Archiv, für dessen Zwecke das Haus gleichfalls dienen soll.106 Wir 104 Meurer a. a. O. II, S. 212 f.16 Concordat Art. 4 : Pro curia Archiepiscopali et Episcopali pro capi- tulo et archivio Maiestas Sua domum aptam assignabit (Mercati Rac- colta p. 593).105 Concordat Art. 7 : La République de Lettonie de son côté s’engage . , . b.) à donner un immeuble convenable pour servir de résidence à106 ]’Archevêque et au Chapitre avec

les bureaux de la Chancellerie et du Consistoire. Art. 20. En cas de dénonciation du Concordat, les immeubles dont parle le Concordat . . . restent acquis à l’église catholique et les personnes visées par le Concordat rentrent dans le droit commun de Lettonie (AASXIV p. 577 f.).

« Konkordat Art. 10 § lg: Für die erzbischöflichen und bischöflichen Ordinariate, für das Kapitel und das Archiv wird ein geeignetes Gebäude überlassen (AAS XVII).

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hören in den Konkordaten öfters von Zuschüssen an die Ordinariate, vom Diözesanver- mögen und seinen Trägern ist ausgiebig die Rede, doch begegnet uns keinerlei Anzeichen dafür, daß etwa das Ordinariat als juristische Person betrachtet würde. Das gilt von dem badischen Konkordat vom 28. Juni 1859107 und vom würt- tembergischen Konkordat,108 wo vom Gut der mensa, des Kapitels, der Kathedralkirche die Rede ist, aber nicht von Gütern und Rechten des Ordinariates. Auch das polnische Konkordat vom 10. Februar 1925 kennt als juristische Personen nur das Bistum, die mensa episcopalis, das Kapitel, nicht aber die Diözesankurie.109 Der polnische Staat gibt Zuschüsse für die kirchliche Verwaltung, wobei Visitationskosten, Kosten für die kirchliche Verwaltung (Portokosten, Pfarr-Re- gister, Konsistorien) nebeneinander aufgeführt sind,110 woraus sich schon ergibt, daß die Konsistorien (Ordinariate) als reine Verwaltungsorgane betrachtet werden, aber ebensowenig juristische Personen sind, wie die Pfarr-Registraturen.

107 Vgl. Mercati Raccolta p. 880 ff.108 Vgl. Mercati Raccolta p. 853ff.109 Vgl. Art. 24,2,3,5 des polnischen Konkordates (AAS XVII p. 273ff.)110 Vgl. Annex zum polnischen

Konkordat, A. 4.

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Das Ordinariat als solches kann also kein Vermögen besitzen, und das etwa für seine Zwecke bestimmte Gebäude steht im Eigentum des Ordinarius, oder der Diözese, die als solche ja eine juristische Person ist. Für eine Privatrechtsfähigkeit des Ordinariats liegt auch gar kein Bedürfnis vor.„Das Ordinariat ist eine kirchliche Verwaltungsstelle, welche sich als Beraterin und Hilfsorgan des Bischofs mit Behandlung der Diözesanaingelegenheiten befaßt und ihre Tätigkeit nur im Bereich des öffentlichen Rechtes entfaltet, ohne nach ihrem Zweck oder ihrer inneren Verfassung dazu berufen zu sein, unter dem Schutz der juristischen Persönlichkeit als Rechtssubjekt mit selbständigem Vermögen in den Privatverkehr einzutreten.“111 Das Ordinariat (im weiteren Sinne als der umfassende Behördenorgamismus oder im engeren Sinne als Generalvikariat) ist also keine juristische Person, und da das Ordinariat der Curia dioecesana des Codex entspricht, so gilt auch hier ganz das Gleiche.

111 Schulte a.a.O. S. 20Qf.

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Der „Bamberger Fall“ läßt aber noch einige weitere Erkenntnisse gewinnen. Wenn man sich nämlich auch einig ist über den Mangel der juristischen Rechtspersönlichkeit beim Ordinariat, so wollten doch manche Autoren das Testament dennoch gültig sein lassen, also dem Ordinariat doch eine Erbfähigkeit zusprechen. Zwar nicht dem Ordinariat als juri-stischer Person, aber wohl als Vertreter der Diözese. Für letztere These ist besonders Schulte eingetreten, gegen ihn wenden sich Hirschei und Müller. Hirschei betont mit Recht,112 daß das Ordinariat (wie der Generalvikar) nicht Vertreter des Bistums „in abstracto“ (der „sedes episcopa- lis“), sondern des Bischofs „in concreto“ sei. Repräsentant der Diözese, des Bistums, „in abstracto“ ist allein der Bischof. Dieser Ansicht ist auch Müller:113 „Repräsentant der Diözese ist einzig und allein der Bischof. Eine doppeltje Repräsentanz würde der vom Kirchenrecht so nachdrücklich betonten und festgehaltenen Einheit der Diözesanregierung widersprechen. Im Bischof allein konzentriert sich die Rechts-persönlichkeit der Diözese; er ist demnach der Vertreter der Diözese auch in vermögensrechtlicher Beziehung.“ Das ist ganz richtig. In der Tat ist das Ordinariat nicht Vertreter der Diözese, sondern des Bischofs. Aber der Kampf wird von

beiden Autoren in erster Linie gegen eine These geführt, die Schulte gar nicht in dem Sinne aufstellt: auch Schulte erkennt dem Ordinariat ain sich keine juristische Persönlichkeit, also auch keine Erbfähigkeit zu. Wenn Hirschei schreibt, daß letztwillige Zuwendungen an das Ordinariat aufrechtzuerhalten seien, wenn der Erblasser im Sinne gehabt

112 Vgl. Archiv für kath. K.R. 27, S. 9 ff.113 « a. a. O. S. 94.

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habe, das Vermächtnis der „Kirche“ (besser wohl: dem Bistum) zuzuwenden, so gibt er damit faktisch doch der These Schultes recht. Denn Schulte hält Ordinariat und Bischof („Ordina-rius“) für schlechthin synonyme Ausdrücke. Die Ordinariate „fallen juristisch zusammen mit dem Bischof, mit der Kirche der Diözese. Von einer besonderen Rechtspersönlichkeit des Ordinariates ist darum keine Rede.“114 Aber weil das Ordinariat identisch ist mit dem Ordinarius, darum kann es Zuwendungen erhalten — die Schenkung will der Schenker dem Bischof zuwenden, gerade wie man auch den Pfarrer für die Pfarrei, den Landesherren für den Staat mit Zuwendungen bedenken kann. So die Rechtslage — ob es praktisch ist, die immerhin unsichere Form (wegen der entgegenstehenden Entscheidungen) der Erbeinsetzung des „Ordinariates“ zu wählen, ist eine andere Frage.

114 Schulte a.a.O. S. 174.

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Zum Schluß ist noch die Frage zu erörtern, ob wir bei den Ordinariatsbehörden von „Behörden“ im eigentlichen Sinn reden können. Es handelt sich um das Generalvikariat, das Offizialat, den Allgemeinen Geistlichen Rat, die Kanzlei, evtl. noch die Finanzkammer und das Metropoliticum. Allgemein ist zu sagen, daß der Ausdruck „Behörde“ nur im uneigentlichen Sinn gebraucht werden kann. Das Wort hat im kirchlichen Rechtsbereich nicht dieselbe Bedeutung, wie im staatlichen Verwaltungsrecht.115 „Auf dem Gebiete des Kirchenrechtes haben sie gar keine Stellung, sie sind keine Behörden,sind keine Ämter im Sinne des Staatsrechtes, sie sind der Bischof in einem einzelnen Fall, für ein einzelnes Geschäft durch ein bestimmtes Organ handelnd gedacht.“116 Aus dieser Verschiedenheit ergeben sich Rechtssätze und Verwaltungs-gewohnheiten, die vom weltlichen Verwaltungsrecht stark abweichen, auf den ersten Blick sogar befremdend erscheinen mögen, so z. B. die mangelnde Unabhängigkeit des kirchlichen Gerichtes. Man darf eben die Parallellen nicht zu schematisch ziehen. „Die ungehörigste Analogie, welche denkbar ist, wäre die, jene Personen, deren sich der Bischof bei Leitung der Diözese bedient, denen nach der Natur der Sache eine bestimmte Organisation gegeben werden 115 „Behörde ist die büromäßig oder

kollegial organisierte Trägerschaft eines öffentlich-rechtlichen Gemeinwillens von bestimmter örtlicher und sachlicher Zuständigkeit, wo der jeweilige Träger mit seinem

Vorgänger und Nachfolger im Amt eine Einheit und in dieser Einheit gegenüber anderen Trägern des öffentlich-rechtlichen Gemeinwesens ein selbständiges Ganzes darstellt.“ Hatschek, Verwaltungsrecht, S. 79.116 Schulte a.a.O. S. 162.

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muß, analog den Staatsbehörden aufzufassen. Sie haben nichts mit den letzteren gemein, als den Schein. Die Staatsbehörden beruhen auf dem Gesetze; ihre Organisation, ihre Kompetenz u.s.f. ist regelmäßig sogar jeder Einwirkung des Landesherren ent-zogen. Für die Gerichte gilt dies unbedingt, für die Admini-strativbehörden regelmäßig. Dem Landesherren bleibt nur die Einsetzung der Person. Der Staatsbeamte ist daher mit dem Amte nicht identisch, er ist nichts als die mit der Verwaltung des Amtes betraute Person.“117 Der Unterschied zum kirchlichen Verwaltungsrecht ist augenfällig: hier ist die Ingerenz des Bischofs auf administrativem Gebiet die Regel — und auf judizialem Gebiet wenigstens nicht ausgeschlossen. Ämter gibt es ferner nur insoweit, als Amtsträger für sie angestellt sind: Amt und Beamter sind also identisch. Wie die juristische Persönlichkeit, so geht dem Amtsorganismus der Diözese also auch der eigentliche Behördencharakter ab.Beiläufig zu erwähnen wäre noch, daß selbst, wenn es sich bei den Diözesanbehörden um Behörden im eigentlichen Sinne handeln würde, ihnen auch dann keine juristische Per-

117 Schulte a.a.O. S. 159.

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sönlichkeit zukäme. Für die weltlichen Behörden ist dies wie-derholt in Theorie und Praxis ausgesprochen worden.118

Zusammenfassend ergibt sich also:1. Die Diözesankurie oder das „Ordinariat“ i. w.S. ist der Inbegriff aller bischöflichen Hilfsbeamten.2. Das Ordinariat ist ein loses Aggregat von Beamten, und Verwaltungsstellen, das den Namen einer „Behörde“ nur im uneigentlichen Sinne führt.3. Weder dem Ordinariat in seiner Gesamtheit, noch seinen einzelnen Verwaltungsstellen (Generalvikariat, Offizialat, Kanzlei) kommt die Rechtsstellung einer juristischen Person zu, es ist vielmehr nichts anderes als der Vertreter des konkreten Bischofs.4. Das Verhältnis des Bischofs zu seinen Diözesanbehör- den, die als Organe seiner einen und ungeteilten Hir- tengewalt tätig werden, ist dasselbe, in welchem der Papst zu den Römischen Kongregationen, Ämtern und Tribunalen steht, die auch nur Modalitäten der einen Primatialgewalt sind, nicht aber selbständige juristische Personen (can. 7).§ 2. Überblick über die Verf assung der deutschen Ordinariate.Unter den deutschen

Ordinariatsverfassungen lassen sich zwei Typen unterscheiden. Wir wollen sie Ordinariate des älteren und des jüngeren Rechtes nennen. Die Bezeichnung „Ordinariate des älteren Rechtes“ ist deswegen gewählt worden, weil sie einen Typus darstellen, der bis ins 18. Jahrhundert oder wenigstens in die Organisationsperiode am 118

Belege dafür siehe bei Lammeyer a.a.O. S. 177, Anm. 1.

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Anfang des 19. Jahrhunderts zurückreicht. In der Hauptsache gehören zu dieser Gruppe die bayrischen Diözesen: München, Augsburg, Regensburg, Bamberg, Eichstätt, Speyer; zu ihr gehört aber auch das Erzbistum Breslau.119

119 Für die einzelnen Angaben zu vgl.: Kirchliches Handbuch für das katholische Deutschland.

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Für Bayern hat das alte Konkordat die Richtlinien der Kurialverfassung vorgezeichnet. Das Bestreben der Regie-

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rung ging dahin, dem Domkapitel als solchem jede Re-gierungsgewalt zu nehmen, andererseits aber die einzelnen Kapitulare zur Mitarbeit an der Diözesanverwaltung heran-zuziehen.120 Als Organ der Diözesanregierung sollte da,s „Or-dinariat“ fungieren, eingeteilt in drei Sektionen: 1. den „All-gemeinen Geistlichen Rät“; 2. das „Generalvikariat“;3. das „Konsistorium“ oder bischöfliche Gericht für Ehesachen in erster Instanz. Die Titulatur wurde in einer kgl. Entschließung Ludwigs I. vom 1. März 1826 festgelegt.121 Im interkurialen Verkehr sind die Schriftstücke zu richten an das „Ordinariat“ und zwar je nach der Sektion mit dem Zusatz „Generalvikariat“ oder „Allgemeiner Geistlicher Rat“. Streitsachen gehen an das „Konsistorium“, bezw. bei den Erzdiözesen in der Appellationsinstanz an das „Metropoliticum“. Die weltlichen Behörden adressieren schlechthin an das Ordinariat.122 Alle Kapitulare sind in der Regel Mitglieder des Geistlichen Rates, doch können noch weitere Mitglieder, die nicht 120 Vgl. die Instruktion an den

bayrischen Gesandten in Rom in „Con- cordat und Konstitutionseid“ p. 79 f.: „Wir haben zu gewichtige Gründe . . . warum wir darauf bestehen, daß die sämtlichen Mitglieder der Domcapitel geistliche Räthe des Bischofs seyn sollen, als daß wir von der Fassung dieses Art. im Ultimatum abgehen könnten. Bei der obigen Fassung dieses Art. würde unsere wohlgemeinte Absicht in dem Zwecke der künftigen Domcapitel, daß sie nämlich in ihrer Gesammtheit den geistlichen Rath des Bischofs bilden sollen, nicht erreicht. Wenn nur jene Mitglieder des Domcapitels bischöfl. geistliche Räthe seyn sollen, welchen der Bischof den Vorzug geben wird ... so läßt sich die Bestimmung der übrigen Mitglieder nicht absehen, da es . . . zum bloßen Chorsingen keine Domcapitularen mehr geben soll.“121 Vgl. Kiesel, Rechtliche Stellung des Generalvikars, S.66.122 In einem erzbischöflichen Erlaß vom 23. Juli 1832 wurde die Beob

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dem Domkapitel angehören, vom Bischof ernannt werden (im Unterschied von den Titular-Geistl. Räten, sog. „fre-

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quentierende Räte“). Dasselbe gilt vom Generalvikariat. Wir haben also „zwei verschiedene Körperschaften in Bayern, den Geistlichen Rat und das Kapitel, beide bestehen regelmäßig aus denselben Mitgliedern. Werden die Kapitulare zum Rat versammelt, so nennt man die Versammlung Ordinariat, Geistlicher Rat, nie aber Kapitel.“123 Wegen der sachlichen *** Identität steht nichts im Wege, alle Sachen, die na.ch dem Codex vor das Kapitel gehören (weil das Kapitel in manchen Dingen ein Beispruchsrecht hat), vor den Geistlichen Rat zu bringen, nur dürften in diesem Fall nur Kapitulare, nicht aber „frequentierende Räte“, die nicht canonici sind, teilnehmen. Das Kapitel braucht als solches nicht berufen werden, es genügt zur Beschlußfähigkeit des Kollegiums, wenn alle Ka-noniker tatsächlich versammelt sind (can. 105 u. 2 mit 162 §4). Dennoch ist diese Ersetzung des Kapitels durch den Geistl.Rat ein juristischer Schönheitsfehler der betreffenden Ordinariats-verfassungen, und sie erzeugt eine gewisse Unklarheit wegen der Doppelfunktion des Geistlichen Rates: Bischofssenat124 und 123 achtung der gehörigen Titulaturen noch einmal eingeschärft. „ . . . Nur diejenigen Eingaben, welche sich zum Metropoliticum und Konsistorium eignen, werden unmittelbar an die Behörde selbst, alle übrigen aber an Se. Erzbischöfliche Exzellenz gerichtet, und auf dem Umschlag mit dem Zusatz: zum hoch würdigsten Ordinariate bezeichnet . . .“ Vgl. Saedt, Kirchliche Erlasse der Erzdiözese München, S. 1.124 Vgl. Kiesel a.a.O. S.66.36 Vgl. den Bericht des Münchener Ordinariates an das Ordinariat Rottenburg vom 18. Juni 1856 (zit. bei K. Hofmantn, Freiw. Gerichtsbarkeit, S. 93 Anm. 1): „Auch pflegten bisher

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Verwaltungssektion125 des Ordinariates zu sein. Auch die Abgrenzung der Kompetenzen des Geistlichen Rates war immer etwas unklar und tat den Befugnissen des Generalvikars Eintrag. Zuständig war der Geistliche Rat in München zu Zeiten für Pfarrei-Dismembrationen, Schulsachen, Semi-

die hoch würdigsten Erzbischöfe besonders wichtige allgemeine Prinzipienfragen dem Allg. Geistl. Rat, welcher als das Plenum capituli in sich vereinigend, seinen beständigen Senat bildet, zur Beratung vorzulegen.“125 Vgl. Allerh. Verordnung vom 7. Mai 1826 (zit. bei K. Weber, Neue Ges. u. Verordn, für das Königreich Bayern II. Bd. S. 347): „Wenn es die Bischöfe für notwendig und zweckmäßig erachten, kann die Ordinariatsstelle sich weiter in ein Generalvikariat und in einen Allg. Geistl. Rat unterabteilen und jeder dieser beiden Stellen eine besondere Geschäftssparte zugewiesen werden.“

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nar- und Studienangelegenheiten, Emeritenfonds u. s. w.126 Die ideale Regelung wäre es wohl, sich den Bestimmungen des Codex anzupassen und die vom C.I.C. dem Kapitel zugewiesenen Angelegenheiten dem „Kapitel“, die vom Ordinarius selbst zu verfügenden Sachen dem „Generalvikar“ (der beliebig viele, nicht zeichnungsberechtigte, nicht beispruchsberechtigte Hilfskräfte — „Generalvikariatsräte“ — haben kann) zuzuweisen. Der Geistliche Rat würde dann als überflüssig wegfallen und eine klare Trennung der Kompetenzen nach der Norm des kirchlichen Rechtsbuches erreicht sein.Als zweite Ordinariatssektion steht neben dem Geistlichen Rat

das Generalvikariat. Den Vorsitz führt hier der Generalvikar. Die Räte sind Inhaber von Ämtern im weiteren Sinn („munera“). Eine Bestellung von Laien ist dann möglich, wenn keine iurisdictio in spiritualibus ausgeübt wird, zu welcher Funktion ja Laien unfähig sind.127 In der Behandlung von tem- porellen Fragen aber (FinanzVerwaltung) können sie so-gar ein „votum decisivum“ haben; sie können ferner auch als Justitiare und Syndici angestellt sein. In manchen bayrischen Diözesen ist in neuester Zeit die Finanzverwaltung einer be-sonderen Finanzkammer, als einer neuen Sektion im Ordinariat, übertragen worden, so in Bamberg, München, Passau, Regensburg.

126 Vgl. Hof mann a. a. O. S. 91, Anm. 1.127 Über die Unzulässigkeit der

Teilnahme von Laien als Assessoren im Offizialatsgericht ist speziell für Breslau im Jahre 1918 eine römische Entscheidung ergangen, die weiter unten noch besprochen wird (vgl. AAS XI, 128). In Breslau saßen auch in der Geheimen Kanzlei und im Generalvikariat früher weltliche Räte.

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Mit dem Namen der Ordinariate des neueren Rechtes bezeichnen wir diejenigen, die in ihrem Aufbau den Gedanken des Codex mehr entsprechen. Ihre Umbildung hat meist erst in diesem Jahrhundert aus älteren Formen stattgefunden, von denen sich in den Amtsbezeichnungen noch Spuren erhalten haben. Allen Ordinariaten dieses Typus gemeinsam ist diereinliche Trennung von Generalvikariat und Offizialat. Gemeinsam ist ihnen ferner, daß dem G.-V. und seinen Mitarbei-tern keine Konkurrenz im Geistlichen Rat erwächst. Eine zusammenfassende Bezeichnung, wie „Ordinariat“, „Bischöfliche Kurie“, fehlt meist. Diese Art der Verfassung ist allen deutschen Ordinariaten gemeinsam mit Ausnahme der oben genannten Diözesen München, Augsburg, Regensburg, Bamberg, Eichstätt, Speyer, Breslau. —

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Ein kurzer Überblick soll die wichtigsten Ergebnisse zu- sammenfassen. In Deutschland bildete sich, der Größ(e der Diözesen entsprechend, ein reichgegliederter Behörden-organismus aus. In älteren Zeiten bevorzugte man das System des Geistlichen Rates, einer Gesamtbehörde, in der alle Kapitulare tätig waren. Aber auch dieser Versuch, das Kapitel als Ganzes am Regiment teilnehmen zu lassen, erwies sich als nicht vollkommen zweckmäßig. Die monarchische Tendenz der neuesten Kirchenrechtsentwicklung stärkte die bischöflichen Stellvertreter: Generalvikar und Offizial immer mehr. Es kam zur Beseitigung des Geistlichen Rates in den Diözesen Norddeutschlands und Südwest-deutschlands. Im Generalvikariat und Offizialat arbeiteten nur mehr einige Kapitulare als Räte mit. Die Trennung von Verwaltungs- und Justizajigelegenheiten wurde scharf durchgeführt. Unsere Darstellung mußte sich leider auf die Morphologie der bischöflichen Behörden beschränken: die Darstellung des faktischen Geschäftsganges kann leider aus Mangel an erreichbarem Material nicht gegeben werden. Aus denselben Gründen ist auch eine nur umrißweise Geschichte des Werdegangs der einzelnen Ordinariate nicht möglich.

III. Kapitel.Die Theorie der

Stellvertretung im römischen und kanonischen

Recht.§ 1. Mandat und Delegation im

römischen Recht.Der Begriff der Jurisdiktion, wie

ihn das kanonische und moderne Recht anwendet, hatte im altrömischen Sprachgebrauch

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nicht ganz den gleichen Sinn. „Jurisdictio“128 bedeutete hier vor allem die zivilrechtliche Tätigkeit eines Beamten, während die Schwertgewalt, die Ausübung öffentlicher Hoheitsrechte, „imperium“ genannt wurde. Da nun aber eine Reihe von Beamten (z. B. der Pxätor) sowohl Träger der öffentlichen Gewalt waren, also „imperium“ hatten, anderer-seits aber auch Gerichtsherrn waren und in der Gewährung von Klagerechten und Besitzeinweisungen eine jurisdiktioneile Tätigkeit ausübten, so legte man ihnen ein „imperium mixtum“ bei.129 Diese Amtsgewalt war streng getrennt von dem „munus iudiciarium“, das nur den Geschworenen (iudi- ces dati) zustand. Diese hatten keine Amtsgewalt, sondern prüften nur den Sachverhalt und fällten das Urteil im Rahmen der ihnen vom Gerichtsherrn, dem Prätor, gegebenen Rechtsbelehrung oder Anweisung (formula). Eine Exekutionsgewalt hatten sie nicht.

128 Vgl. L 1 D. 1, 21; L<2 § 23 D. 1, 2; L1 D. 2, 1. Vgl. zu dem Thema des ganzen Kapitels Kämpf e, Die Begriffe der iurisdictio ordinaria; Coniad H. I., Die iurisdictio delegata im römischen und kanonischen Recht, 1930.129 L 3 D. 2, 1, Ulpianus: Imperium aut merum aut mixtum est. Merum est habere gladii potestatem ad animadvertendum facinorosos homines, quod etiam potestas appellatur. Mixtum est imperium, cui etiam iurisdictio inest, quod in danda bonorum possessione consistit. Iurisdictio est etiam iudicis dandi licentia.

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Die den Inhabern von „imperium merum“ (Straf- und Militärgewalt) „imperium mixtum“ (Gewalt des Prätors und Prokonsuls) und „iurisdictio“130 (Zivilgewalt) zustehende Macht, die ihnen mit dem Amt übertragen wurde, nannteman „iurisdictio ordinaria“.131 In

kaiserlicher Zeit traten dann diesen „iudices ordinarii“ — „iudices“ hat hier wie im kanonischen Recht nicht den ausschließlichen Sinn von „Rich-ter“, sondern von Jurisdiktionsträger — sogenannte „iudices sacri“132 gegenüber. Sie waren ursprünglich ständige kai-serliche Delegaten und wurden erst seit Diokletian „delegati a iure“, wobei ihre Jurisdiktion sich von der „iurisdictio ordinaria“ nicht mehr wesentlich unterschied. Eine Parallele zu diesen nachdiokletianischen „iudices sacri“ würde etwa die tridentinische Bestimmung sein, welche die Bischöfe in Sachen von Exemten „tamquam Sedis Apostolicae delegati“ tätig werden ließ.Die „iudices“ hatten das Recht zum Man dier en ihrer Ge-

richtsbarkeit, und zwar war diese völlige oder teilweise Übertragung der eigenen Gewalt aiuf einen Stellvertreter bei den vielbeschäftigten Prätoren und Prokonsuln sogar die Regel.133 Zum näheren Verständnis der damit verbundenen Befugnisse und des Verhältnisses zwischen

130 Im engeren Sinn gebraucht.131 L 21, Cod. 7, 62.132 6 So genannt, weil sie „vice sacra“, d. h. in Stellvertretung des Kaisers ihr Amt ausübten.133 L17D. 2, 1, Ulpianus: Praetor, sicut

universam iurisdictionem man- dare alii potest, ita et in personas certas vel de una specie potest.

L16D.2, 1, Ulpianus: Solet praetor iurisdictionem mandare: et aut omnen mandat aut speciem unam. Et is cui mandata iurisdictio est fungetur vice eius qui mandavit non sua.

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Auftraggeber und Beauftragtem muß kurz auf die Lehre vom Mandat im römischen Recht eingegangen werden, wie sie auf dem Boden des Zivilrechtes ausgebildet worden ist.

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Eine „eigentliche Stellvertretung“ in dem Sinne, daß der Vertreter seinen eigenen Willen erklärt, was als Willenser-klärung des Vertretenen betrachtet wird und rechtliche Wir-kungen für den Vertretenen erzeugt, gab es im römischen Zivilrecht nicht. Wir haben hier nur eine „verdeckte“ Stellvertretung: der Vertreter schließt in eigenem Namen Rechtsgeschäfte ab, die rechtliche Wirkungen nur für ihn mit sichbringen. Im Innenverhältnis ist der Vertreter freilich verpflichtet, die Wirkungen des Rechtsgeschäftes auf den Ver-tretenen (den „Principal“) zu übertragen. Die rechtliche Grundlage dafür bildet das „mandatum“, unter welche Ge-samtbezeichnung die römische Rechtssprache unsere Begriffe der „Vollmacht“, also eines einseitigen Rechtsgeschäftes, und des Auftrages, also eines zweiteiligen Vertrages subsum- miert.134 Das römische Recht betrachtete das Mandat in letzte-rem Sinne als einen wesensmäßig unentgeltlichen zweiseitigen Vertrag.135 Sein Inhalt kann sehr verschieden sein, ja ganz allgemein die Besorgung aller Angelegenheiten des Auftrag-gebers zum Gegenstand haben (sog. „mandatum incertum“).9 Es erlischt durch Ablauf der Zeit, Rücktritt des Beauftragten oder Auftraggebers vom Vertrag, oder durch Tod einer der V 134 Die Scheidung eines

Innenverhältnisses und eines Außenverhältnisses ist eine spezifisch deutsche Erkenntnis. Sie tauchte zuerst in den Beratungen der Nürnberger Kommission für die Schaffung eines Handelsgesetzbuches (1857/58) auf und ist selbst im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht vollkommen klar durchgeführt. Die ausländischen Rechte haben diese begriffliche Trennung noch nicht, z. B. ist der englische Begriff des „agent“ sehr vieldeutig.135 LI §4 D. 17, 1. 9L46D. 17,1.

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ertragsparteien.

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Keine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der Unzu-lässigkeit jeder echten („offenen“) Stellvertretung bildet die Tatsache, daß Gewaltunterworfene (Ehefrau, Kinder, Sklaven) alle Rechtshandlungen mit Wirkung für den Gewalthaber Vornahmen. Denn diese Rechtshandlungen galten gar nicht als eigene Willenserklärungen der gewaltunterworfenen Personen, sondern ohne weiteres als Willenserklärung des Gewalthabers. Keine Ausnahme ist auch die Besitzergreifung durch einen Vertreter. Es handelt sich ja hierbei nicht um eine Vertretung in der Willenserklärung, sondern um eine Vertretung in der tatsächlichen Ergreifung der Sache, also um eine Willensbetätigung. Auch bei dem mit der Besitzergreifung unter Umständen verbundenen Eigen-tumserwerb handelt der Vertreter nicht in eigenem Namen —

er überbringt nur als speziell beauftragter Bote den Willen des Vertretenen zum Eigentumserwerb an dieser Sache. Erst das justinianische Recht bildet diesen Eigentums- und Besitzerwerb durch einen Vertreter zu einem Fall echter Stellvertretung fort, welchem dann die „bonorum possessio“, der Antritt einer Erbschaft, gleichgestellt wurde. Abgesehen von diesen zwei Ausnahmen gilt aber auch im justinianischen Recht der Satz in vollem Umfang: „excepta possessionis causa, per liberam personam, quae alterius iuri non est sub- dita, nihil acquiri posse, indubitati iuris est.“Wie im allgemeinen, so verneint das römische Recht die Zulässigkeit der Stellvertretung auch bei obligatorischen Verträgen — kein Vertreter kann also einen Vertrag durch eigene

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Willenserklärung zu Stande bringen, die als der Wille des Vertretenen, als eine Willenserklärung in dessen Namen gelten soll und nur diesen berechtigt und verpflichtet.136 — Fassen wir zusammen: der wesentliche Zug der römischen Lehre von der Stellvertretung ist die völlige Ersetzung der Person des Prinzipals durch den Vertreter. Wie ein alter ego wird er dem Principal substituiert — dessen Wille, ja dessen Existenz ist dem Rechte gleichgültig. Es gibt nur ein Handeln in eigenem Namen nach eigenem Willen mit Wirkung für das eigene Ich — während unser Recht ein Handeln in eigenem Namen, nach eigenem Willen mit Wirkung für einen Anderen kennt.

136 L9 §8 D. 12, 1; L2, Cod.4, 27.

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Wie wir sahen, bilden Mandant und Mandatar eine Person im Rechtssinn. Als öffentlich-rechtliche Folge dieser zivil-rechtlichen Lehre vom Mandat ergibt sich somit die Unmög-lichkeit eines Rekurses vom Stellvertreter an den Mandanten. Die Appellation muß vielmehr an die über dem Mandanten stehende höhere Instanz direkt gehen.137 Über das Erlöschendes Mandates gelten die oben

behandelten allgemeinen Regeln: als Besonderheit sei hier erwähnt, daß der Mandatar des öffentlichen Rechtes die ihm übertragene Amtsgewalt nicht weiter mandieren konnte.138 Das aus der Zeit der Republik stammende Institut der Mandationsbefugnis der hohen Magistrate blieb auch in der Kaiserzeit, ja im justinianischen Recht noch erhalten, was zu Unrecht von manchen Autoren bestritten worden ist.139 Im justinianischen Recht taucht zu-erst der Name „vicarii“ für diese Mandatare auf. Im speziellen Sinn waren die „vicarii“ die Nachfolger der „legati pro- consulares“, der Stellvertreter der Pr ovinzialstatthalter. Diese Legaten, bezw. Vikare hatten die gesamte Amtsgewalt des Prokonsuls140 inne,, von gewissen gesetzlichen Ausnahmen ab-gesehen.141 Ihr Aufgabenkreis war also gesetzlich festgelegt, die Umgrenzung ihrer Befugnisse 137 L1 D. 49, 3, Ulpianus § 1: ab eo cui

quis mandavit iurisdictionem, non ipse provocabitur: nam generaliter is erit provocandus ab eo, cui mandata est iurisdictio, qui provocaretur ab eo qui mandavit iurisdic- tionem.138 L5 D. 1, 21, Paulus: mandatam sibi iurisdictionem mandan alten non posse manifestum est.139 Nachweis bei Kämpfe, Die Begriffe der iurisdictio ordinaria, S. 38 ff.140 LI § 4 D. 26, 10; L 1, Cod. 1, 35. 16 L 6 D. 1, 16.141 Über den Gebrauch des Wortes „delegare“, vgl Kämpfe, S. 79,

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durch ein Mandat war dem Mandanten entzogen. Ob ein Prokonsul sich einen Legaten ernannte, stand in seinem Belieben; wenn er ihn aber ein-setzte, so stand seinem Stellvertreter eine gesetzlich normierte Amtsgewalt zu.Im Eingang war schon die Rede

von der bloß richterlichen Aufgabe („mundus iudicariüm“) der Geschworenen. Die Richter des Formularprozesses werden vom Prätor bestellt von Fall zu Fall (sog. „iudices dati“). In der Kaiserzeit vollzog sich dann eine Umbildung der Geschworenen in richterliche Beamte, die vom Gerichtsherrn bevollmächtigt wurden — man nannte auch sie „iudices dati“ oder „delegati“.142 Das „munus iudiciarium“ dieser Delegaten ist wesentlich verschieden von der übertragenen Jurisdiktion der Mandatare. Im Unterschied von der „iurisdictio mandata (vicaria)“ der prokonsularischen

142 Anm. 3.

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Legaten und Vikare (um nur diese zu nennen) endet die Ge-walt des „iudex datus“ nicht mit dem Erlöschen der Amtsgewalt seines Deleganten.143 Vom „iudex delegatus“ kann an den Deleganten appelliert144 werden, was beim „vicarius“ unmöglich ist. Der Gegensatz von „iurisdictio mandata (vi- caria)“ und „iurisdictio delegata“ ergibt sich also klar aus den Quellen: die eine ist die Übertragung der Amtsgewalt an einen Amtsträger in gesetzlich genau bestimmtem Umfang. Der Mandatar ist das alter ego des Mandanten, sodaß seine Gewalt vom Bestand der Jurisdiktion des Mandanten abhängig, ein Rekurs gegen ihn an Letzteren ausgeschlossen ist. Wenn auch der Stellvertreter nicht dieselbe Ständigkeit seines Amtes besitzt wie der Auftraggeber, so ist auch ihm eine mit dem Amt verbundene, ordentliche Gewalt nicht abzu-sprechen.145 Der Delegat hingegen wird für einzelne Angele-genheiten von Fall zu Fall bevollmächtigt. Die Gewalt wird nicht einem Amtsinhaber übertragen, sondern einer Per-son. Er ist nicht rechtlich identisch mit seinem Vollmachtgeber: seine Delegation überlebt daher den Deleganten, eine Appellation an diesen ist möglich. So unterscheidet das römische 143 L49 D.5, 1, Paulus §1: iudices a praeside dati solent etiam in tempus successorum eius durare.144 L 1 D. 49, 3, Ulpianus §1: quod dicitur eum appellari, qui dedit iudicem, sic accipiendum est, ut et successor eius possit appellari.145 Ob man diese Gewalt mit Kämpfe

a.a.O. S.59ff. als „iurisdictio quasi ordinaria“ bezeichnen soll, ist ebenso zu verneinen, wie im Kirchenrecht, wo Hinschius, dem Kämpfe hier folgt, diesen Begriff eingeführt hat. Die Gründe gegen die Zulässigkeit des neuen Terminus werden in §2 eingehend dargelegt werden.

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Recht scharf zwischen Mandat und Delegation. Erst einer späteren Zeit war es Vorbehalten, das römische Recht in diesem Punkt gründlich mißzuverstehen und Mandat und Delegation zu vermengen.

§ 2. Mandat und Delegation im kanonischen Recht.

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.Für den Bereich der kirchlichen Rechtsgestaltung spielte das Institut der Jurisdiktionsübertragung eine viel größere

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Rolle als im römischen Recht. Erklärlich ist dies einerseits durch die straff monarchische Zusammenfassung aller Kir-chengewalt im Papst bezw. im Bischof, wie andererseits durch die räumliche Ausdehnung der Kirche und die Menge der Aufgaben, die den Gewalthabern, den Ordinarii göttlichen Rechtes, die persönliche Ausübung ihrer Befugnisse vielfach unmöglich machten.Es ist bereits hervorgehoben worden, daß der Begriff der

Jurisdiktion im kanonischen Recht ein weiterer ist als im römischen Recht, entsprechend der Tatsache, daß die Kirche nicht nur ein Rechtsorganismus ist, sondern eine Heilsanstalt. Zum Bereich der Jurisdiktion gehört daher die Lehrgewalt, die nicht nur die Gewalt in sich schließt, autoritativ Entscheidungen zu treffen in Sachen des Glaubens und der Sitte, sondern die auch die Gewalt in sich birgt, alle Gewaltunterwor-fenen, d.h. alle Gläubigen zum Gehorsam diesen Entscheidungen gegenüber zu verpflichten und nötigenfalls zu zwingen.146 Es gehört zur kirchlichen Jurisdiktionsgewalt ferner als sehr wesentlicher Bestandteil die Gesetzgebungsgewalt, die in der römisch-rechtlichen „iurisdictio“ nicht enthalten war. Wir können also zusammenfassend sagen: im kirchlichen Recht verstehen wir unter Jurisdiktion die Summe der Lehrgewalt, Gesetzgebungsgewalt, Strafgewalt, die Gewalt über die kirchlichen Güter und Ämter, kurz 146 „Potestas magisterii“, si spectetur

in concreto prout inseparabiliter annexuni habet ius imperandi subditis oboedientiam fidei, ab ipsa pote- state iurisdictionis adaequate non distingquitur et hac de causa usu satis. communi recepta est bimembris divisio potestatis ecclesiasticae in po- testatem ordinis et potestatem iurisdictionis. Billot, De ecclesia Christi, Romae 1903 p. 343.

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alles, was nicht der Weihegewalt unterliegt und was zu seiner Ausübung einen Ordo vor-aussetzt.147

147 Vgl. zu dieser Frage Bouix, Tractatus de principiis iuris canonici, Paris 1862 p. 544 ff. Dictiolnna^re de theol.: Jurisdiction, tome8 col. 1976 ff. Chelodi, De personis p. 25 ff. Eichmann, I3 S. 110 ff.

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Wie bereits hervorgehoben, machten die Umstände eine Gewaltübertragung schon frühzeitig in großem Umfang notwendig. Daß man in der rechtlichen Konstruktion an die rö-mische Lehre von Mandat und Delegation anknüpfte, ist selbstverständlich. Weil aber, wie schon gesagt, die römischen Quellen irrig interpretiert wurden, so ergaben sich in der kanonischen Doktrin bedeutende Abweichungen von den Sätzen des römischen Rechtes.Die römischen Juristen hatten einen Unterschied zwischen

„iurisdictio mandata“ und „iurisdictio delegata“ gemacht. Da man nun diese Zweiteilung nicht mehr verstand, die andererseits aber zu klar aus den Quellen sich ergab, als daß man sie hätte hinwegleugnen können, so suchte man den Unterschied beider Arten in einer „delegatio ad unam causam“ und einer „delegatio ad universitfltem causarum“. Und da letztere gewisse Ähnlichkeit hatte mit dem Mandat des römischen Rechtes, so bezeichnete man letztere auch als „iurisdictio mandata“.148 Das Institut der Delegation war in der klassischen Periode des kanonischen Rechtes von ungeheurer Bedeutung bei der Fülle von päpstlichen Delegationen. Auch für das Eindringen des neuen römisch-kanonischen Rechtes ist es von ausschlaggebender Bedeutung gewesen und hat einen Einfluß ausgeübt^ wie etwa daß prätorische Edikt aui die Fortbildung des römischen Rechtes, da oft eine Entschei-dungsanweisung nach bestimmten, damals neuen Rechtsgrundsätzen der Delegation beigefügt wurde.

148 Hinschius I S. 181 f. Kaempfe a.a.O. S.94ff.

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In tridentinischer Zeit erhielt das Institut der Delegation dann neue Bedeutung durch die Ausstattung der Bischöfe mit delegierter Gewalt, um so als „tamquam Sedis Apostoli- cae delegati“ wirksamer dem Unwesen der allzuweit ausge-dehnten Exemtionen entgegentreten zu können.149 Damit trat neben die ältere Form der Delegation durch den Papst („delegatio ab homine“) die Gewaltübertragung kraft Rechtssatzes („delegatio a iure“).

Über die Rechtssätze der Delegation und die Terminologie ist unendlich viel gestritten worden; uns interessieren die Kontroversen nur insoweit, als sie Aufschluß geben können über die Rechtsstellung der bischöflichen Stellvertreter: Generalvikar und Offizial. Es wird uns also vor allem die Frage interessieren, ob ein Unterschied zwischen „iurisdictio mandata und delegata“ besteht im kanonischen Recht, und wenn ja, welcher Art dieser Unterschied ist.

Von neueren Autoren stellt C.F.Mache den Unterschied zwischen „iurisdictio mandata“ und „iurisdictio delegata“ auf. Er definiert letztere als „ea, quae a iudice ordinario cui- dam, qui vicem illius gerat, delata est. Itaque nunquam vi proprii officii exerceri potest, sed e gratia vel ,commissionec alterius.“150 Da er aber hiermit ausdrücklich sagt, die „iurisdictio mandata“ beruhe auf persönlicher Übertragung und nicht auf Amt, so wird er 1. dem römisch-rechtlichen Begriff der „iurisdictio mandata“ nicht gerecht und verliert 2. die differentia specifica gegenüber der „iurisdictio delegata“. Der Unterschied ist nach ihm auch wohl kein sehr tiefgehender, und 149 Über diese Entwicklung vgl. Mache, De delegata episc. iurisdic- tione, p. 13 ff.150 a. a. O. p. 9.

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deshalb faßt er die „iurisdictio mandata“ und „delegata“ unter einen Oberbegriff zusammen, den er als iurisdictio extraordinaria (oder mandata im weiten Sinne) der iurisdictio ordinaria, der ursprünglich mit dem Amt verbundenen Gewalt gegenübersteilen möchte. Beachtlich ist, daß er die Identität von Mand ata,r und Vikar erkannt hat,151 wenn auch seine Gegenüberstellung von Mandatar und Ordinarius irrig ist.152

151 a. a. O. p. 11.152 Sed licet mandata et vicaria iurisdictio inter se non differant, alia autem sit mandata, alia delegata tarnen, quum neutra neque vicaria sive mandata, neque delegata in propria iudicantis contineatur auctoritate ex aliquo potius pendeat mandato, me errasse non puto si hanc proposuerim distinctionem: iurisdictioni ordinariae opponitur extraordinaria sive mandata (sensu latissimo) quae est aut vicaria aut delegata. p. 12.

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Hinschius hat diesen Gegensatz „iurisdictio ordinaria — iurisdictio extraordinaria“ (mandata i. w. S.) nicht aufstellenwollen. Er leugnet auch, daß

Delegation (Bevollmächtigung ad unam causam) und Mandat153 (Bevollmächtigung ad Uni-versitäten! causarum) verschiedene Dinge seien, die unter den einen Oberbegriff „iurisdictio mandata“ i. w. S. subsum- miert werden könnten.„Es ergibt sich zur Genüge, daß die Aufstellung eines allgemeinen

Begriffes der ,iurisdictio mandata* keine Realität hat und kein praktisches Bedürfnis ist . . . Das gilt natürlich auch von der mit der iurisdictio mandaita zusammenfallenden iurisdictio vicaria der Älteren.“154 Hinschius sieht richtig die Unmöglichkeit ein, Delegation und Mandat unter einen Oberbegriff zu zwingen. Er sieht auch richtig, daß der Vikar eine iurisdictio mandata besitzt. Verfehlt aber sind die Konse-quenzen, die er daraus zieht. Im richtigen Gefühl, daß der Vikar — z. B. der Generalvikar —als Inhaber einer iurisdictio mandata in Hinschius* Sinn doch nicht wohl Delegat genannt werden könne, was sich aus einer Identifizierung von Mandat und Delegation ergäbe, suciht er einen Ausweg. Er findet ihn, indem er dem Vicarius (z. B. dem Generalvikar, Apost. Le-gaten) eine iurisdictio quatSi-ordinaria beilegt; es bleibt ihm also unklar, daß diese vikariale Gewalt eine ordentliche, weil mit dem Amt verbundene, ist, wenn sie auch keine eigenberechtigte, sondern bloß stellvertretende (vicaria) ist. Er kommt also zu der Vierteilung: iurisdictio ordinaria; quasi-ordinaria; a iure delegata; specialiter ab homine dele- gata.153 Mit dieser Definition gibt er die herrschende (siehe oben) ältere Lehre wieder.154 Hinschius a.a.O. S. 183 und Anm.2.

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Der große Fortschritt in dieser Einteilung liegt darin, daß ein neues Glied der Kette geschaffen ist, die iurisdictio quasi ordinaria. Diese neue Form nähert sich der iurisdictio ordinaria bereits soweit, daß praktisch Unterschiede kaum mehr bestehen. Dankenswert ist die Erkenntnis, daß der General-vikar dieser Gruppe und nicht den Delegaten zuzurechnen ist. Hinschius5 falsche Gleichung: Mandat-Delegation hat ihn

freilich verhindert, zu sehen, daß dieser „quasi Ordinarius“ ein Vikar, d. h. ein Mandatar ist, weil der Mandatar die ganze Rechtsstellung des Mandanten hat, nur in stellvertretender Weise. Daß also im stellvertretenden Charakter (in der potestas vicaria) des Quasi-Ordinarius das unterscheidende Merkmal zu sehen ist, — was nicht zuläßt, die Gewalt des Quasi-Ordinarius und des Ordinarius schlechtin zu identi-fizieren, — hat also Hinschius nicht erkannt, wenn er auch die generische Gleichartigkeit beider Gewalten und ihren Gegensatz zur delegierten Gewalt richtig gefühlt hat. Daß die delegierte Gewalt in sich ebenfalls generisch einheitlich ist und daß der Unterschied „delegatio ab homine“ und „delegatio a iure“ kein wesentlicher, sondern nur ein spezifischer ist, sei nur nebenbei bemerkt. So können wir also sagen: potestas ordinaria und delegata stehen sich als Gegensätze gegenüber (genera). Die potestas ordinaria tritt in zwei Formen auf, als potestas propria und potestas mandata-vi- caria. Eine besondere iurisdictio quasi-ordinaria hat als gleichwertiger Faktor neben der iurisdictio ordinaria keinen Sinn; der Begriff fällt sachlich zusammen mit der potestas ordinaria vicaria: in der

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Stellvertretung ist die Wurzel des „Quasi“ zu erblicken.Wir hatten im vorausgehenden

behauptet, daß auch nach kanonischem Recht zwischen Mandat und Delegation ein we-sentlicher, nicht spezifischer Unterschied bestehe (was Mache, Hinschius, Kaempfe verneinen); wir hatten ferner behauptet, daß iurisdictio mandata und vicaria identische Begriffe seien. Es bleibt uns also die Klärung des Begriffes der iurisdictio mandata noch übrig. Wie die römischen Quellen zeigen, ist der von vielen Kanonisten gemachte Versuch abzulehnen, den Unterschied von iurisdictio mandata und delegata dahin zu interpretierten: delegatio ad omnia — delegatio ad unum. Wenn auch „mandare“ übertragen heißt und die Delegation eine Gewaltübertragung ist, so ist doch der

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vorgeschlagene155 Generalbegriff der iurisdictio man data (im weiteren Sinn) höchst unglücklich! Die iurisdictio mandata im wahren, richtig verstandenen Sinn ist vielmehr eine stellvertretende ordentliche Gewalt (iurisdictio vicaria ordinaria). Denn sie wird verliehen durch ein Mandatum; da<s Mandatum wird von einem iudex Ordinarius verliehen, es deckt sich mit unserem Begriff „Vollmacht“. Der Inhalt der Voll-macht ist vom Recht festgelegt — er ist ein officium; der Auftrag ist also identisch mit dem übertragenen Amt. Der Mandatar ist der beamtete Bevollmächtigte eines or- ordeutlichen Amtsträgers. Da nach den allgemeinen Grundsätzen die Stellung des Mandatars identisch ist mit der Stellung des Mandanten, und da ferner der Mandatar stellvertretend handelt: so ergibt sich, daß die Gewalt des Mandatars eine ordentliche stellvertretende Gewalt ist. So ist also bewiesen, daß der Mandatar eine ordentliche Gewalt besitzt und daß er ein Vikar ist. Also finden umgekehrt auf einen Vikar*, z. B. den Generalvikar, d’ie Sätze des Mandates Anwendung. Aus der eingehenden Betrachtung dieser Sätze aber wird sich ergeben, daß die „iurisdictio ordinaria vicaria“ (= mandata im wahren Sinne) vollkommen verschieden ist von der iurisdictio delegata.156

155 Von Kaempfe a. a. 0. S. 196.156 Vgl. Chelodi, De personis, p.(203: ordinariam esse potestatem vicariam, nullum amplius dubium est.

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„Qui facit per alium est perinde a,c si faciat per se ipsum,“ so präzisiert die 72. Reg. iur. im Liber Sextus den Standpunkt des kanonischen Rechtes.157 An Stelle und im Interesse des Principáis führt der Stellvertreter die Geschäfte des Herrn als eigene.158 Die Grundlage dieser Vertretungsmacht nach außen bildet ein Vertrag oder eine einfache Vollmacht —

157 Im folgenden wird nur die Lehre des älteren Rechtes berücksichtigt, da nur sie zur Erklärung des Generalvikar-Charakters historisch in Betracht kommt und es methodologisch verfehlt wäre, im geltenden Recht der Stellvertretung Aufschluß suchen zu wollen.158 Reif f enstuel, Ius can. univ. 1, 38 §

1 no 1.

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auch das kanonische Recht mapht keinen Unterschied und nennt beides „mandatum“. Der Vertreter unterscheidet sich dadurch vom bloßen „negotiorum gestor“, vom „Geschäftsführer ohne Auftrag“, wie ihn das B. G. B. bezeichnend nennt. Gegen den Prokurator ist die actio mandati zulässig, sofern er auf Grund eines Vertrages, eben des Mandates im engeren Sinn, tätig geworden ist. Als Qualifikationen verlangt das kanonische Recht ein bestimmtes Alter, und setzt für den Vertreter vor Gericht 25 Jahre, für den außergerichtlichen Vertreter 17 Jahre fest. Es können auch mehrere Prokuratoren bestellt werden, sei es als „procuratores simplices“, die nur gemeinsam gültig handeln können, sei es als Beauftragte „in solidum“.Es ist ein verschiedener Inhalt der Vertretungsmacht möglich. So kann ein Vertreter für einen bestimmten Einzelfall bestellt werden, es kann aber auch ein Vertreter zur Besorgung aller Geschäfte befugt werden — sog. „proeura- tor generalis ad omnia“. Auch bei der Generalprokura ist ein sehr wichtiger Unterschied zu beachten: es gibt nämlich eine „procura generalis cum libera“, (nämlich mit der freien Verfügung, alles zu tun, was auch der Herr selbst vermag,) und eine „procuratio ge'meralis sine libera“, wobei der Vertreter gewissen Einschränkungen, bei sonst allgemeiner Vertretungsmacht, unterworfen ist. Reif fenstuel159 sagt bezüglich des ersten Falles: „Procurator generalis cum libera, seu cui generaliter libera administratio rerum com- missa est, potest omnia faeere, quod dominus ipsemet facere potest.“ Diese 159 Reiffenstuel a. a. O. S. 1, 38 § 1, no 18.

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Formulierung hat nun Ed. Fournier 160 dazu geführt, im Generalvikar einen „procurator generalis cum libera“ zu erblicken.

160 a. a. O. S. 123, les origines du vicaire général.

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So dankenswert aber auch der Hinweis auf den Prokurator als juristischen Prototyp des

Generalvikars ist, so ist diese Gleichsetzung von Procurator generalis „cum libera“

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und Generalvikar unserer Ansicht nach falsch. Wir müssen den Unterschied beachten zwischen dem Procurator generalis „cum libera“, der eine Vollmacht hat zu allen Dingen ohne Ausnahme, eine Macht, die der des Vertretenen gleichsteht, und dem Procurator generalis „sine libera“, der also gleichfalls eine General Vollmacht hat, aber eben in bestimmten Dingen nidht frei ist. In diesen Fällen braucht er ein Spezialmanda,t des Vertretenen, und zwar sind diese Fälle entweder von der Rechtsordnung,161 oder durch den im Mandatsinstrument kundgegebenen Willen des Auftraggebers seiner Vertretungsmacht entzogen. Dieser Unterschied wird von Reiffenstuel162 klar herausgearbeitet — Ed. Fournier163 hat ihn aber übersehen, wenn er dem Generalvikar schrankenlose Vollmacht zuschreibt, die dieser doch in einigen Fällen, wo er ein Spezialmandat braucht, nicht hat. Er denkt an ein anderes Moment, das Engel, auf den sich Fournier stützt, hervorhebt, — aber Fournier mißversteht Engel. Dieser schreibt:164 „in certis negotiis et causae articulis maioris mo- menti . . . non sufficit aliquem generaliter esse constitutum procuratorem.“ Engel denkt hier ganz richtig am den Procurator generalis sine libera, wenn er das auch nicht ausdrücklich sagt. Dann fährt er fort:165 „limitatio tarnen communis ponitur, nisi mandatum generale fiat cum potestate plena ac libera, quäle mandatum sic clausulatum habens procurator ,cum libera* vocatur,

161 z. B. gewisse Veräußerungen darf er nicht tätigen.162 Reiffenstuel a.a.O. S. 1, 38, no 16—19.163 3? a. a. O. S. 123 ff.164 Ius can. 1, 38, no 13.165 a. a. 0. S. 1, 38, no 14.

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atque ea etiam, quae alias speciale mandatum requirunt, regulariter fasere potest, nisi valde ardui praeiudicii sint, de quibus probabiliter non fuit cogitatum tempore mandati.“ Also dieser Procurator generalis „cum libera“ bedarf keines Spezialmandates, seinem Walten sind keine Schranken gesetzt. Nur wenn besondere Umstände anzei- gen, daß sein Mandat wohl nicht einen solch weiten Kreisder Vertretungsmacht umfassen sollte, darf der Prokurator (trotz seiner libera potestas) nicht tätig werden. In diesem Fall ist der Vertretene zu fragen, ob er das Mandat auf einen solchen Umfang ausdehnen wolle, d.h.ies ist um eine authentische Interpretation der Vollmacht einzukommen.Die Interpretation einer

Vollmacht, die nur bei außer-gewöhnlichen Fällen besonderer Wichtigkeit, an die der Mandant nicht denken konnte oder wahrscheinlich nicht gedacht hat, ist aber etwas ganz) anderes als ein Spezialmandat. Ein Spezialmandat wird vielmehr in einer ganzen Reihe von Fällen nötig, an die der Mandant bei Erteilung des Auftrages sehr wohl gedacht hat: stehen ja doch die spezialmandatsbedürftigen Fälle meist im Text der Vollmacht, wenn sie nicht schon durch die allgemeine Rechtsordnung festgelegt worden sind. Spezialmandate sind also nötig für einen „Pro- curator generalis sine libera“; sie sind bei dem Procurator generalis cum libera begrifflich ausgeschlossen, denn ein Vertreter mit gänzlich unbeschränkter Vertretungsmacht kann nicht in einzelnen Fällen in seiner Vertretungsmacht doch beschränkt sein. Wenden wir diese Feststellungen in einem konkreten Fall, z. B. auf den Generalvikar an, so ergibt sich, daß er ein Prokurator ist — denn ier ist das

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Alter ego des von ihm vertretenen Bischofs und seine Handlungen gelten als die des Ordinarius. Es ergibt sich ferner, daß er ein Procurator generalis ist, denn er ist zur Besorgung aller Angelegen-heiten ermächtigt kraft eines Generalmandates. Es ergibt sich aber auch schließlich, daß der Generalvikar ein Procurator generalis sine libera ist, weil seiner Generalvollmacht durch die Rechtsordnung und evtl. durch bischöfliche Reservate Schranken gezogen sind — in welchen Fällen er ein Spezialmandat braucht. Damit ist die These Fourniers widerlegt, der Generalvikar sei entstanden aus einem Procurator generalis cum libera.Es sei schon hier die Frage kurz gestreift, die weiter unten bei der Darstellung des Generalvikars näher behandelt werden soll: welche Rechtsstellung der Prokurator in diesen

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Fällen des Spezialmandates einnimmt. Bei der Generalpro-kura „sine libéra “ sahen wir den Vertreter prinzipiell zu allem befugt — der Inhalt seiner potentiell allumfassenden Vertretungsmacht wird durch den Willen des Mandanten nur teilweise aktualisiert, indem er einige Fälle abgrenzt von der allgemeinen Vollmacht und einem Sonderauftrag vorbehält. Bei diesem Sonderauftrag aber kommt nicht ein neues Rechts-verhältnis zu Stande, sondern es vollzieht sich bloß eine Er-weiterung des ursprünglichen. So genügt z. B. nach dem Recht des C.I.C. für gewisse Rechtshandlungen die allgemeine Vertretungsmacht des Prokurators nicht, sondern dieser muß neben seinem „mandatum generale“ noch ein „mandatum spéciale“ von seinem Vollmachtgeber haben, um rechtswirksam handeln zu können, z. B. bei Amtsverzicht (can. 186), Eheschließung (1089 § 1), Prozeßführung (1659 §1).166 In all diesen Fällen des „speciale mandatum“ redet kein Vernünftiger von „Delegation“ — warum sollen aber die Amtshandlungen des G.-V., der mit „speciale mandatum“ tätig wird, anders bewertet werden? Auch der G.-V. handelt in den Fällen des Spezialmandats als Mandatar (mit ordentlicher stellvertretender Gewalt) und nicht als Delegat. Im Fall des Spezialmandates liegt eine Erweiterung seiner gewöhnlichen Amtsbefugnisse vor, und nicht eine spezielle Delegation, was die Entstehung eines ganz neuen, andersartigen Rechtsverhältnisses bedeuten würde.

166 Vgl. Eich mann I3 165^66.

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Was den Inhalt der Vollmacht anbelangt, so soll sie schriftlich sein, den Namen von Mandant und Mandatar, sowie die einzelnen Fälle des Spezialmandates enthalten.167 Wer in Überschreitung seiner Vollmacht handelt, handelt unwirksam.168 Die Wirkung der Vollmacht ist wie im römischen Recht: die Wirkungen treten zunächst in der Person des Vertreters ein, und müssen von ihm dann auf den Vertretenenübertragen werden.169 Das kanonische Recht hat freilich hier mitunter eine Ausnahme zugelassen, die eine Verwischung der Konstruktion bedeutet: es ließ beim „procurator iudi- cialis“ ein Urteil gegen beide, Prokurator und Prinzipal zu, obwohl der Prokurator nach der von ihm abgeschlossenen Litiskontestation „Dominus litis“ geworden war. Da« Amt des Prokurators erlischt durch Tod oder Widerruf der Vollmacht, bezw. Rücktritt eines Teiles vom Vertrag.

167 Reiffenstuel a.a.O. I 38 no72.168 45 Reiffenstuel a. a. O. I 38 no 91 u, 92.169 Reiffenstuel I 38 no 108: Mandati

procuratorii effectus est, quod Procurator, dum ipsemet agit an verba in suam personam concipiendo contrahit . . . actiones Domino, seu Principali suo, cedere debet.

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Wir haben im vorausgehenden die Lehre vom Mandat behandelt in besonderer Bezugnahme auf den Generalvikar (bezw. Offizial, von dem das Meiste in analoger Weise gilt). Als Ergebnis darf betrachtet werden die Identität von Generalvikar und Generajprokurator, auf die Ed. Fournier mit Recht hingewiesen hat. Entschieden abzulehnen war nur seine Behauptung, der G..-V. sei rechtsdogmatisch ein Generalbevollmächtigter „cum libera“. Das Gegenteil ist vielmehr richtig — der G.-V. ist ein Procurator generalis sine libera.170 Im Anschluß daran stellt sich die Frage nach der Rechtsnatur seiner Handlungen auf Grund eines Spezialmandates. Wir hoffen gezeigt zu haben, daß das ursprüngliche Mandatsver-hältnis auch in diesem Falle das gleiche bleibt, daß es sich um die Ausdehnung der ursprünglichen Vertretungsmacht und nicht um die Schaffung einer neuen Vollmacht handelt.

Es ergab sich ferner der tiefe Unterschied von Mandat und Delegation: seine Grundlage, seine tiefste Wurzel ist diese: es besteht rechtliche Identität zwischen Mandant und Mandatar, nicht aber zwischen Delegant und Delegat. Daß darum die Gewalt des Vikars

170 Eine schöne privatrechtliche Parallele zum Institut des G.-V. finden wir im Prokuristen unseres Handelsrechtes. Auch der Prokurist ist „Alter ego“ seines Prinzipals (H.G.B. § 49^, ohne jedoch gewisse Geschäfte von besonderer Wichtigkeit tätigen zu können (z. B. Veräußerung des ganzen Unternehmens). Zur Erweiterung seiner Vollmacht braucht er in gewissen Fällen (Grundstücksgeschäften z. B.) ein Spezialmandat (§ 492). Er hat eine Vertrauensstellung inne, die ihm, genau wie dem G.-V., die Weitergabe seiner höchstpersönlich erteilten Procura an einen Dritten verbietet (§ 522); aus demselben Grunde ist auch der Prokurist jederzeit frei amovibel (§ 52x). Die Bestellung soll in einer gewissen Form ge-schehen (§ 53).

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keine delegierte ist, sondern eine man- dierte und somit eine ordentliche, ergibt sich aus diesem Fundamentalunterschied mit aller Evidenz. Das Recht des Codex, dem wir uns jetzt zuwenden, hat diesen Unterschied zwischen ordentlicher stellvertretender Gewalt (Mandat) und persönlich übertragener Gewalt (Delegation) sehr klar herausgearbeitet.§ 3. Die Lehre von der Gewaltübertragung nach geltendem

Recht.Aus göttlicher Anordnung leitet sich die Gewalt der Kirche ab, die

das Rechts- und Gewissensgebiet in gleicher Weise umgreift und die sich näherhin als Lehr- und Zuchtgewalt, als Gesetzgebungs- und Verwaltungsma,cht charakterisiert und in gleicher Weise auch die umfassendste Gewalt sakramentaler und nicht sakramentaler Heilsvermittlung in sich birgt.171 Wir haben uns hier nur mit der potestas iurisdictio- nis zu befassen, und zwar mit einem ihrer Teilgebiete, der potestas administrativa. Charakteristisch ist dem neuen Recht die Klarheit mit der die Jurisdiktionsarten eingeteilt werden: alle Gewalt ist entweder ordentlich oder übertragen. Unter diesen zwei Gattungsbegriffen stehen dann je zwei Arten: die iur. ordinaria propria und die iur. ordinaria vicaria auf der einen Seite, und die iur. delegata ab homine und die

171 can. 196: Potestas iurisdictionis seu regiminis quae ex divina insti- tutione est in Ecclesia, alia est fori interni, alia fori externi, seu con- scientiae, sive sacramentalis sive extra-sacramentalis. Über die Lehre der Kirche vom Ursprung und Umfang ihrer Gewalt vgl. auch die Konst. Pius’ VI. „Auctorem fidei“ vom 28. Aug. 1794 (Gasparri, Fontes II p. 687) und die ausführlichen Darlegungen Pius* X. in der Antimodernistenency- clicia „Pascendi“ no 23—25 vom 8.Sep. 1907 (Gasparri, Fontes III p.702ff.)

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iur. delegata a iure auf der anderen Seite. Über den Begriff der

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Jurisdiktion im Allgemeinen brauchen wir nur auf § 2 zu verweisen. Den Kreis der Ordinarii, die kraft ihres Amtes mit der Gewalt ausgerüstet sind, zählt der Codex in can. 198 erstmalig auf und macht dadurch allem Streit über den rechtlichen Charakter der Jurisdiktionsgewalt mancher Amtsträger (z.B. Generalvikar, Apostolischer Administrator) ein Ende. Erschöpfend ist freilich die Aufzählung nicht; so bezeichnet z. B. eine Rundverfügung des S. Off. v. 20. Febr. 1988 auch die Offiziale als Ordinarien.172 Wenn unter „Offizial“ hier der Generalvikar zu verstehen ist, so wäre das nichts Bemerkenswertes, wohl aber, wenn das S. Offizium unter Offizial den bischöflichen Richter meint. Mangels einer er-schöpfenden Aufzählung der Ordinarien, d. h. der Amtsträger mit ordentlicher Gewalt, dürfte man nicht schließen, der Offizial z. B. sei kein iudex Ordinarius, was vielmehr can. 1573 § 1 ausdrücklich feststellt. Das Gleiche gilt von den Apostoli-schen Delegaten und Legaten,, denen neben ihren zahlreichen delegierten Fakultäten die Überwachung der kirchlichen Zu-stände und (mit Ausnahme der Apostolischen Delegaten) die Pflege der Beziehungen zwischen Kirche und Staat als Auf-gabenkreis zugewiesen ist., den sie potestate ordinaria ver-walten.173 Auch sie sind also

172

Appellatione Ordinarii venire Episcopos . . . eorum que officiales seu Vicarios in spiritualibus generales . . . Vicarium capitularem . . . eas quoque dispensationes exequi posse, quae remissae fuerint Episcopo aut Vicario eius Generali, vel Officiali, nondum executioni mandatas (Gasparri, Fontes IV p. 435) ; vgl. auch das Decr. S. Off. vom 20. April 1898 (Gasparri, Fontes IV p. 500).173 can. 267 § 1 no 3: Praeter has duas

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iudices ordinarii, aber nicht Or-dinarius im technischen Sinne des can. 198. Dasselbe ist zu sagen von der ordentlichen Gewalt der Kardinäle, des Pö- nitentiars, und des Pfarrers für daß Gewissensgebiet.174 Daß von diesen Amtsträgern eine Reihe zwar ordentliche, aber nur stellvertretende Gewalt ausübt, so z. B. der Apostolische Nuntius und Apostolische Delegat, Apostolische Administra-

ordinarias potestates, alias plerumque obtinent facultates quae tarnen sunt omnes delegatae.174 Vgl. can. 873 § 1 und can. 401 § 1.

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\tor, die Apostolischen Präfekten und Vikare, der Generalvikar, Offizial und Pönitentiar, ergibt sich aus dem Wesen der von ihnen bekleideten Ämter ganz von selbst.175

175

Als Fälle einer Prokuratur im Codex zählt Eichmann, Kirchenrecht I, S. 165 auf die can. 275, 287 § 2, 293 § 2, 299, 313, 334 § 3, 339 § 4, 342, 466 §5, 1088, 1089, 1226, 1445, 1655—1666, 1892 no3, 2018, 2076.

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Wer ordentliche Gewalt besitzt, kann diese einem anderen ganz oder teilweise übertragen, wenn das Recht dieser Delegation kein Hindernis in den Weg legt.176 In der Regel bezieht sich die Delegationsbefugnis nur auf die potestas iuris- dictionis und nicht auf die potestas ordinis; eine Übertragung der Weihegewalt wird meist ausdrücklich verboten durch das Recht.177 Verweigert ist es durch das Recht auch dem Kardinal, dem Pönitentiar und dem Pfarrer ihre Gewalt für das Gewissensgebiet an andere Priester zu übertragen.178 Daß Generalvikar und Offizial ihre Gewalt gleichfalls nicht ständig delegieren können, werden wir bei der Behandlung beider Ämter noch sehen. Grund dafür ist, daß ihre stellvertretende Gewalt ihnen höchstpersönlich gehört.179

176 c. 7 in VIo 1,16: Quum episcopus in tola sua dioecesi iurisdictionem ordinariam noscatur habere dubium non exsistit, quin in quolibet loco ipsius dioecesis . . . per se vel per alium possit pro tribunali sedere.177 61 c. 9X3,40: . . . quia licet episcopus committere valeat quae iuris- dictionis exsistunt, quae ordinis tarnen episcopalis sunt, non potest inferiores clericis gradus demandare. Vgl. die Encycl. Benedikt XIV. „Apo- stolicum ministerium“ vom 30. Mai 1753 § 4: Sed ut ad Vicarios Aposto- licos revertamur ... S. Sedes facultates secundae formulae ipsis elargi- tur, cum potestate illas simplicibus Sacerdotibus, qui idonei videbuntur, communicandi, iis tarnen exceptis, quae in Ordinem Episcopalem unice spectant (Gasparri, Fontes IV p. 392).178 Vgl. die Interpretationsentsch. der Comm. Pont, vom 16. Okt. 1919: Utrum ad normam canonuni 199 § 1 et 874 § 1 Parochi possint sacerdotibus . . . delegare iurisdictionem ad Confessiones recipiendas ... an ad id egant speciali facultate seu mandato Ordinarii loci ? Resp. Negative ad primam partem, affirmative ad secundam (AAS XI, p. 477).179 M „Ausnahmen von der Regel finden sich ferner bei der potestas ordi- naria vicaria, weil die Stellvertretung etwas Höchstpersönliches ist, also ohne Einverständnis des Vertretenen nicht

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Die Gewalt,die vom Papst, als dem Ordinarius universalis Eeclesiae

delegiert worden ist, kann subdelegiert werden*180 wenn die Delegation nicht unter besonderen Einschränkungen erteilt worden ist oder der Apostolische Stuhl ein Interesse daran bekundet, daß gerade der Delegat persönlich tätig wird („electa industria personae“), (can. 199 §2). Die Gewalt hingegen, die der Bischof, der Ordinarius loci, überträgt, kann nur unter zwei Voraussetzungen subdelegiert werden, 1. daß es sich um eine delegatio ad universitatem negotiorum handelte;2. daß die Subdelegation nur für einen einzelnen Fall gelten soll (199 §3). Eine „subdelegatio ad omnia“ ist also ausgeschlossen, wenn die Delegation vom Orts Ordinarius erteilt wurde und nicht vom Papst. Der Delegat und der Subdelegat müssen sich legitimieren, im Gegensatz zum Inhaber der ordentlichen Gewalt, den die Beweislast für die Rechtmäßigkeit seines Handelns nicht trifft (can. 200 § 2).55 Der Delegat, der seine Vollmacht überschreitet, handelt ohne Rechts Wirksamkeit (can. 203 §1).

weitergegeben werden soll.“ Eichmann, Kirchenrecht I3 S. 159.

180 *

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Im Gegensatz zur ordentlichen Gewalt, die eine Summe von Befugnissen ist, die mit dem Amt von Rechtswegen verbunden sind, stellt sich die delegierte Gewalt als eine solche dar, die einer Person übertragen ist; sie ist also nicht Ausfluß des Amtes oder mit dem Amte verbunden, sondern haftet an der Person. Sie kann nun entweder „ab homine“ oder „a iure“ delegiert sein. Im Codex begegnet nur die erste Art. Es wird sich aber zeigen, daß auch die zweite Art dem heutigen Recht nicht unbekannt ist. In diesem Falle der Delegatio a iure ist die Gewalt zwar einer Person verliehen, aber nicht der Person an sich, sondern der Person mit Rücksicht auf eine bestimmte Stellung, „ratione officii seu dignitatis“. Hierher gehört z. B. das Recht eines einfachen Bischofs das Pallium zu tragen „ex privilegio sedi concesso“; das frühere Recht des Salzburger Erzbischofs auf Besetzung seiner Suf- fraganbistümer; auch die den Bischöfen eingeräumten „facui- tates habituales“ zählen hierher,181 weil sie dem Bischof als Inhaber eines bestimmten Sitzes übertragen sind.182 Der Begriff der delegatio a iure lebt zwar also noch, aber gewissermaßen im Verborgenen. Die von Eichmann183

181 Für das frühere Recht vgl. c. 31 X 1, 29: Praeterea quaesivisti, quum tibi super mandato Apostolico haesitanti ab aliquo non fit facta fides, an man datum huiusmodi exsequi tenearis? Super quo tibi huiusmodi da- mus responsum, quod, nisi de mandato sedis Apostolicae certus exstiteris, exsequi non cogeris quod mandatur.182 Vgl. Maroto, Institutiones, p. 628 no

699.183 Vgl. Kirchenrecht I3 S. 160, wo folgende Fälle „gesetzlicher Delegation“ angeführt sind: can.81, 239 § 1, 274 no 2, 294 § 2, 349 § 2, no 2, 882, 884, 1043—45, 1245, 2252. Die gesetzliche Ermächtigung der Ordinarien zu Ehedispensen unter bestimmten Umständen bezeichnet Eichmann selbst als Dispens kraft „ordentlicher Gewalt“ (II3 S. 104). Als

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behauptete Fortexistenz einer eigentlichen delegatio a iure im Rahmen des Codex erscheint als zweifelhaft. Er betont selbst: „Die Unterscheidung hat indessen nur mehr theoretischen Wert, denn praktisch ist der Unterschied zwischen delegatio a iure und ordentlicher Gewalt völlig verwischt. Die potestas dele- gata a, iure wird als ordentliche mit dem Amt verbundene Gewalt behandelt (potestas ordinaria vicaria“.)

ähnliche Fälle wären noch zu nennen: can. 990, 1176 § 3, 1402 § 1.

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Nun gilt aber „ubi lex non distinguit, et nos distinguere non debemus“. Wir können daher der These einer Fortexistenz einer delegatio iure im Codex schon aus diesem Grunde nicht beipflichten. Aber der Codex schweigt nicht nur, sondern bezeichnet in can. 912 diese „gesetzlich delegierte“ Ge-walt geradezu als potestas ordinaria. Und tatsächlich trifft

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diese Bezeichnung auch das allein Richtige, weil es sich um Gewalten handelt, die ein Teil der Jurisdiktionsbefugnisse sind, die dem Amtsträger eben auf Grund seines Amtes, und nicht auf Grund persönlicher Übertragung zustehen. Gerade darin liegt, wie wir gesehen haben, der entscheidende Unterschied zwischen der potestas ordinaria und delegata; verwischt man aber diese Distinktion zu Gunsten einer gesetzlichen Delegation, so höhlt man den Begriff der ordentlichen Gewalt in einer bedenklichen Weise aus. Es wird daher Stutz184 beizupflichten sein, der sich gegen die Annahme einer formellen delegatio a iure im Codex wendet. Andererseits hat aber das Institut der gesetzlichen Delegation im früheren Recht eine zu große Rolle gespielt, als daß es ganz tot wäre, und insofern hat die These Eichmanns von einer (freilich latenten) delegatio a iure ihre sachliche Begründung. Ja es scheint sich sogar eine Auferstehung des Begriffes an-zubahnen.185 Es sind nämlich in dem Decr. der Sakramenten- kongregation vom 7. Mai 1923186 Vorschriften erlassen worden, nach denen die Richter als päpstliche Delegaten (can. 1606 ff.) —und zwar als „delegati a iure“ — das Beweisverfahren im Prozeß der nichtvollzogenen Ehe

184 Geist des Codex, S. 269.185 Vgl. den Artikel von Hilling: „Die Wiedereinführung der Delegatio a iure in das geltende Kirchenrecht“. Archiv für kath. K.R. 103, (1923) S. 130 ff. Neben Eich mann tritt F. Ge sc her (Theol. Revue 1930 Nr. 9/10 Sp. 402) dafür ein, im Interesse der kanonistischen Theorie auch schon auf Grund des Codex an der Fortexistenz einer delegatio a iure festzuhalten.186 . . . at quin preces ad hanc Sacram Congregationem remittantur pro obtinenda consueta commissione facultatum, fit potestas iudici vi huius praescriptionis seu ex delegatione a iure causam instruendi iuxta regulas heic determinatas (AAS XV, p. 392).

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leiten sollen. Das dürfte wohl der erste Fall sein, wo seit Einführung des Codex wieder von einer gesetzlichen Delegation die Rede ist.

II. Teil.Darstellung des

geltenden gemeinen Rechtes.

I. Kapitel. Der Generalvikar als Stellvertreter

desBischofs in der Verwaltung.

§1. Das Amt und die Voraussetzungen seiner

Verleihung.

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Einen zweifachen Sinn hat der Begriff des Amtes im kirchlichen Recht. Im weiteren Sinn ist es jede geistliche Tätigkeit überhaupt, „quodlibet munus, quod in finem spiritualem legitime exercetur“ (can. 145). Im engeren Sinn hingegen ist es eine durch göttliche oder kirchliche Rechtsnormen getrof-fene Einrichtung, die absolut oder relativ dauernd und un-abhängig von ihren Trägern existiert. Die Unterscheidung von absolut oder relativ dauerndem Amt erweist sich als berechtigt, wenn man z. B. das auf göttlichem Rechte beruhende Amt des Papstes, das seinem Wesen nach so dauerhaft ist wie die Kirche selbst, vergleicht mit einem Amt, das nicht notwendig bestehen muß, so z. B. gerade eines G.-V., das aber dennoch einer gewissen Dauer nicht entbehrt. Wesentlich ist dabei die Ausstattung des Amtes mit einer gewissen Juris- diktions- oder Weihegewalt. Kein „officium“ in diesem engeren Sinne haben also inne die Träger von ganz vorübergehenden Befugnissen, wie der Delegat für einen Spezialfall; ein officium in diesem Sinne hat auch der gewöhnliche Beichtvater nicht inne, obwohl er Jurisdiktion ausübt, weil seine Tätigkeit eine vorübergehende Handlung, keine Dauerbeschäf- tigung ist. Anders liegen die Dinge naturgemäß bei dem Pöni- tentiar der Kathedral- oder Kollegiatkirche, weil hier durch den Bischof nach den Vorschriften des gemeinen Rechtes ein wahres und eigentliches „officium“ errichtet wird. Ob der Prediger ein officium hat,187 wird nach der Lage der Dinge verschie-en zu beurteilen sein; in der

Regel ist es zu verneinen, dann 187 Vgl. Chelodi, lus de personis, p. 208, Anm. 4.

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nämlich, wenn nur gelegentlich ein Prediger, und dies nicht in hauptamtlicher Eigenschaft seine

Tätigkeit ausübt; es wird zu bejahen sein für festangestellte Prediger, z. B. Dom-Stifts- niversitätsprediger, die

hauptamtlich tätig sind und dafür ein Honorar beziehen. Kein officium haben selbstverständlich ie Inhaber von

ganz untergeordneten Kirchendiensten, wie üster, Organisten und derartige Funktionäre. Vom Bene- iizium

unterscheidet sich das Amt im technischen Sinne dadurch, daß es nicht mit einer gebundenen Vermögensmasse ausgestattet

ist. Es ist daher zwar jedes Benefizium ein Offizium, aber nicht umgekehrt.

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Hat nun der G.-V. ein „officium“ im engeren Sinne des ortes oder nur ein „munus“? Bei ihm handelt es sich um ein Amt, das zwar als solches („in genere“) vom Rechte fest errichtet ist. Auch kann der Inhalt und Umfang seiner Ge-waltsphäre vom Bischof nicht nach völlig freiem Ermessen gestaltet, etwa der G.-V. zum reinen Delegaten herabgedrückt werden.188 Der Ordinarius ist durch das gemeine Recht und seine Sätze gebunden und „diese Normen beziehen sich auf die Art der Verleihung, den zuständigen Verleiher, bestimmte echte und Pflichten des Beliehenen“.189 Die Jurisdiktionsge- ( walt des G.-V. leitet sich unmittelbar von der Rechtssatzung, nicht vom Bischof ab, der nur die Designation der Person, die ihn vertreten soll, und, in gewissen Schranken, die Befugnis zu accidentellen Modifikationen der Gewaltfülle des G«-V. hat.190 Wesentliche Änderungen kann der Bischof an den Normen der can. 366—371 nicht treffen, da nicht er, sondernallein der Papst der „Herr der

Canones“ ist. Trotzdem kann man beim Amt des Generalvikars Bedenken haben, es als ein „officium stricto sensu“ zu betrachten, da ihm die objektive Perpetuität fehlt.5 Das Amt als solches existiert eben nur, wenn und solange es dem Ordinarius beliebt, wenngleich das Wie dieser Existenz, wie gesagt, seinem

188 Toso, Comm. p. 165. Stutz, Geist des Codex, S. 307.189 Eichmann, Kirchenrecht I3 103.190 Badii, Jus can. I, p. 219, Anm. 2:

Quare non est tenendum iurisdic- tionem directe in Vicarium Generalem derivari ab episcopo creante et instituente vicarium, et tantum indirecte a lege, quatenus lex episcopo at auctoritatem sibi instituendi Vicarium generalem. Etenim vicarius generalis vi nominationis suae independenter ab episcopo habet iuris- ictionem certo modo determinatam, quam episcopus pro suo arbitrio mutare nequit.

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Willen im wesentlichen entzogen ist. Es gibt keine Bestimmung, die den Bischof zwingt, das Amt unter allen Umständen zu errichten und fortbestehen zu lassen. Tatsächlich sind die Fälle nicht gar so selten, wo es keinen Generalvikar gibt, so z. B. in manchen kleineren Diözesen Italiens, so in Deutschland in den Bistümern Meißen und Danzig. Es klingt daher hart, von einer „Vakanz des General vikariates“ zu sprechen: handelt ) es sich doch um kein Amt, das seinen Träger überdauern und auf einen neuen Inhaber gleichsam warten könnte! Anderer Meinung ist besonders Maroto,G der das Amt ,,in genere“ für dauernd errichtet hält und daher ganz allgemein als Offizium im engeren Sinne bezeichnen möchte. Nun schafft aber die Vorschrift des Codex noch kein reales Amt — es bleibt ein Amt in der Potenz, und ob der Bischof diese Möglichkeit auswerten will, hängt ganz allein von seinem Belieben ab. Mangels eines realen dauernden Fundamentes wird man also wohl nicht von einem „officium“, sondern nur von einem ,munus“ (= officium lato sensu) reden dürfen. Die wech-selnde Terminologie des Codex gibt leider keinen Aufschluß, indem bald von einem „munus Vicarii Generalis“ die Rede ist (can. 367 §3, can. 370 § 2), bald von einem „officium“ (can. 368). Wo, wie bei uns in Deutschland, der Generalvikar eine ständige Einrichtung geworden ist, kann man eher von officium reden.Das Amt des Generalvikars stellt sich ferner dar als ein

„officium minus“ (im Gegensatz zum officium maius des Bi-schofs). Es ist ferner ein „officium saeculare“, weil es nur

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an Weltkleriker vergeben werden soll (can. 367 §1), sowie ein „officium eminenter sacrum“, weil die Priesterwürde als Voraussetzung gefordert ist. Es war schon die Rede von einigen Modalitäten der Verleihung: das Amt des G.-V. ist nur ein temporäres, da es in seinem Bestände vom Willen des Ordinarius abhängt (can. 366 § 2) und ein jederzeit widerrufliches Amt ist. An sich könnte die Amtsdauer bei der Verleihung wohl zeitlich begrenzt werden, was aber tatsächlich nicht geschieht. Eine eigentliche Institut!o ist nicht üblich, so wenig als bei anderen nicht benefizialen Ämtern. Schon mit der Ernennung, die schriftlich zu geschehen hat (can. 364 § 1), erhält der G.-V. ein „ius in re“, d. h. die Vollmacht, sein Amt auszuüben. Der Ernannte muß aber den Amtseid leisten (364 §2).

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Das Recht zur Aufstellung eines Generalvikars haben alle Orts-Ordinarien, also alle Bischöfe, aber auch die gefreiten Äbte und Prälaten. Der dauerjid bestellte Apostolische Administrator hat gleichfalls das Recht, einen Generalvikar einzusetzen, was sich aus can. 315 § 1 ergibt, der ihm dieselben Rechte zuerkennt, wie die residierenden Bischöfe sie haben. Auch die Apostolischen Vikare und Präfekten sind Orts-Ordinarien nach can. 198 § 1. Ihnen aber, die selbst nur Inhaber einer iurisdictio vicaria, wenngleich ordinaria, sind, steht nicht das Recht zu, einen eigentlichen Generalvikar zu er-nennen. Aus praktischen Gründen hat Benedikt XV. ihnen die Erlaubnis gegeben, sich einen „Vicarius Delega,tus“ aufzustellen, welcher dieselben Befugnisse haben soll, wie der Generalvikar. Kardinal van Rossum betont aber in seinem Schreiben191 ausdrücklich, daß diese Vicarii Delegati nur

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Schreiben des Kardinals Rossum, Präfekt der Propaganda, vom Ä. De-zember 1919: „Iuxta cau. 198 C.I.C. Vicariis et Praefectis Apostolicis ius non competit sibi eligendi Vicarium generalem sicut fas est Episcopis residentialibus; sed ipsis potestas est tantum nominandi, cum muneribus in singulis casibus determinandis, delegatum qui etiam alius esse potest quam provicarius de quo in can. 309 . . . Sed cum opportunum videatur... Benedictus P. P. XV. concessit . . . Ordinariis Missionum potestatem no-

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„practice“ dieselbe Jurisdiktion haben sollen. Also ist nicht daran gedacht, die Vicarii Delegati mit einer potestas ordinaria auszustatten (nach can. 198 § 1). Sie haben, wie schon der Name sagt, nur delegierte Gewalt. Diese „Quasi-General- vikare“ der Missionsprälaten sind aber nicht zu verwechseln mit den Provikaren; beide Eigenschaften können in einer Person vereinigt sein, müssen es aber nicht. Es ist mit dieser Regelung eine bedeutsame Neuerung gegen früher getroffen worden, denn früher war der Generalvikar (der Titel Vica- rius Delegatus ist ganz neu) des Missionsprälaten auch immer zugleich dessen Provikar, d. h. er folgte dem verstorbenen Missionsbischof in der Leitung des Sprengels bis zur Ankunft des Nachfolgers. Daß der Provikar ordentliche, stellvertretende Gewalt besitzt, nicht aber Delegat ist, braucht kaum besonders erwähnt zu werden.

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Das Institut wurde geschaffen durch eine Breve Benedikts XIV. vom 26. Januar 1753192 an die Apostolischen Vikare von Indien; ausgedehnt wurden seine Bestimmungen auf sämtliche Missionssprengel durch die Encyclica „Quam ex sublimi“ vom 8. August 1755.193 Es wird den Missionsbischöfen zur Pflicht gemacht, einen G.-V. aufzustellen, der im Todesfall des Prälaten die Leitung des Missionssprengels übernimmt, und zwar als Delegat des Apostolischen Stuhles (de- legiatio a iure). Seine Befugnisse sollen in allem den Rechten eines Kapitelsvikars gleich sein — abgesehen davon, daß auch nach früherem Recht schon der Kapitelsvikar Ordinarius war und nicht Delegat des Papstes. Dieser „Generalvikar“ ist der Vorläufer des Provikars, welcher unter dieser Bezeichnung

192

minandi Vicarium delegatum, si eo indigeant, cui practice concessa sit omnis iurisdictio in spiritualibus et temporalibus qua ex C.I.C. uti potest Vicarius generalis in dioecesi“ (AAS XII, p. 120). Auch die nicht dauernd bestellten Apostolischen Administratoren haben wohl das Recht sich einen solchen Vicarius Delegatus zu ernennen; vgl. Hofmeister Ph Von den Apostolischen Administratoren. Archiv für kath. K R 110 (1930)

S. 337 ff.193 Collectanea S. Sedis, Paris. Semin. p. 95.9Gasparri, FontesII, p. 4B7.

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seit 1786 vorkommt. Durch Dekret der Propaganda vom 20. Mai 1786 wurde bestimmt, daß der Missionsprälat sich zwei Provikare bestellen könne,,damit auch für den Todesfall des 1. Provikars (=^General vikars“) ein Stellvertreter in der Person des 2. Provikars vorhanden wäre. Hat der Bischof die Bestellung eines 2. Provikars unterlassen, so kann der 1. Pro- vikar von sich aus einen Nachfolger bestellen; die beiden Provikare sollen aber nicht zusammen („non simul et cumula- tive“), sondern nur successive ihre Jurisdiktion ausüben dürfen. Über die rechtliche Natur dieses Missionsgeneralvikars sagen die Quellen nichts: doch scheint es, als sei er nur als Delegat seines Missionsbischofs, nicht aber als Ordinarius betrachtet worden, weil er nämlich von den päpstlichen Fakultäten (z.B. Quinquennalien) erst nach dem Tode des Bischofs Gebrauch machen durfte, darin also anders wie ein gewöhnlicher G.-V. gestellt war.

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Die Unterschiede und Parallelen zur Rechtslage, wie sie durch den Codex und die Verfügung vom 8. Dezember 1919 geschaffen worden ist, fallen in die Augen. Früher hatte der Mis si o ns bis chof die Pflicht, einen Gehilfen und Stellvertreter (Vicarius generalis) zu ernennen, heute hat er nur das Recht im Bedürfnisfalle einen Vicarius Delegatus zu bestellen. Früher war dieser Generalvikar zugleich auch Stellvertreter für den Fall der Verwaisung des Sprengels (Provikar), heute ist das nicht mehr notwendig verbunden (can. 309 §2). Früher war der Provikar nach dem Tod des Missionsbischofs Delegat a iure, heute ist er Ordinarius (can. 198 § 1). Früher bestellte der Missionsprälat selbst in der Regel den zweiten Provikar, heute bestellt der Provikar seinen Eventualnachfolger allein (can. 309 §3). Sowohl der frühere Missionsgeneralvikar als der heutige Vicarius Delegatus haben praktisch die Befugnisse eines ordentlichen G.-V., wenn auch beide rechtlich nicht Ordinarien, sondern Delegaten sind. Da also das Recht, von diesem dogmatischen Unterschied abgesehen, den Vicarius Delegatus als wirklichen G.-V. fingiert, so wird seiner im Weiteren nicht mehr besonders gedacht werden.

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Jeder Orts-Ordinarius hat da© Recht, einen G.-V. zu ernennen, sobald er selbst nur im Besitz der bischöflichen Jurisdiktionsgewalt ist. Völlig gleichgültig ist es dabei, ob der Bischof seine Regierungsrechte im Augenblick persönlich ausüben kann oder ob er durch Krieg, Krankheit, Konzil oder dergleichen vom Gebiet seiner Diözese entfernt gehalten wird.194 Der Bischof ist völlig frei in der Ernennung seines G.-V. Niemand, weder weltliche Gewalten noch kirchliche Instanzen, etwa dais Kapitel195 dürfen sich darin irgendwie einmischen oder können ein Recht geltend machen, gehört zu werden, geschweige denn ihre Zustimmung zu geben. Der Grundsatz, daß der Bischof seine Gehilfen frei von staatlicher Einmischung ernennen könne, hat sich erst allmählich durchgesetzt bei den staatskirchlichen Machtgelüsten vieler Regierungen. In Preußen fiel das Beispruchsrecht der Regierung seit der Verfassung des Jahres 1849, in Bayern seit der Allerh. Entschl. vom 8. April 1852. In Baden, Württemberg, Hessen hielt man dagegen noch länger an einem Einspruchsrecht der Regierung gegen politisch mißliebige Kandidaten fest.196

194 Vgl. die Entsch. der S. Congr. Conc. vom 20. Juni 1646: I) An valeal institutio seu deputatio Vicarii Generalis facta ab Episcopo quando ab regno exsulat . . . R. S. C.C. ad 1. respondit affirmative (Coll. Prop. Fidel, p.71).195 Vgl. den schroffen Verweis an das Kapitel von Ariano durch die S. Cong. Ep. et Reg. vom 17. Mai 1583 . . . il che e parso molto strano a qu. m. SS. 111. et incredibile, percio che non e officio loro d'impicciarsi in questo, ma di Mos. Vescovo a cui tocca di provvedersi di Vicario a sua soddisfattione (Gasparri, Fontes IV, p. 605—606); ferner die Entscheidung für die maronitische Kirche vom 29. Dezember 1812 (Coll. Prop. Fide I, p. 415).

196 Vgl. Hinschius II, 210 und Longner, Rechtsverh. S. 420.

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Der Grundsatz, daß die Kirche in der Regelung ihrer inneren Angelegenheiten, also gerade in der Ernennung von Beamten, völlige Freiheit haben müsse, ist dann in der modernen Gesetzgebung und den modernen Konkordaten in steigendem Maße zur Anerkennung gelangt. Das den Regierungen mit-unter eingeräumte Erinnerungsrecht erstreckt sich bei den „officia minora“ in aller Regel nur auf Pfarrbenefizien, nicht aber auf Ämter der Diözesankurie — iso nach Art. 21 des italienischen Konkordates vom 11. Februar 1929,13 und nach Art. 18 des litauischen Konkordates vom 10. Mai 1927.u Lediglich die Anzeige der Ernennung eines Geistlichen zum G.-V. an die Staatsregierung ist vorgeschrieben nach Art. 8 des rumänischen Konkordates vom 10. Mai 1927197 und nach Art. 10, 2 des preußischen Konkordates. Ein Einspruchsrecht der Staatsregierung ist damit aber nicht gegeben, das ergibt sich ganz klar aus den Verhandlungen der parlamentarischen Verfassungskommissionen, dem Text der Gesetze und Verträge, der Praxis der Regierungen und der Rechtsprechung der Obergerichte.198 Die Doktrin hält dagegen meist199 an der alten staatskirchlichen Anschauung fest, wonach dem Staat ein Einspruchsrecht gegen mißliebige Kandidaten zustehe.Der Ordinarius hat die Pflicht, einen G.-V. zu ernennen, wenn die ordnungsmäßige Regierung der Diözese dies erfordert. Sollte er einem tatsächlichen Bedürfnis durch die Ernennung eines G.-V. nicht abhelfen wollen, so wäre es 197 ™ AAS XXI, p. 441.198 Ebers G. J. Staat und Kirche, S. 346 ff.

für die staatskirchenrechtl. Lage in Deutschland.199 So Anschütz, Giese, Kahl, Stier-Somlo, Stutz.

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Sache des Apostolischen Stuhles (und zwar der Konsistorialkon- gregation nach can. 248 § 3) für Abhilfe zu sorgen. Dies hätte zu geschehen durch eine Anweisung an den Ordinarius, einen G.-V. zu ernennen, oder wenn dieser Weg nicht tunlich erscheint, durch Bestellung eines Apostolischen Administrators (can. 248 §2 mit can. 312).Ausdrücklich bestimmt can. 366 § 3, daß nur ein G.-V. bestellt

werden soll, wenn nicht die Größe der Diözese oder rituelle Verschiedenheiten die Ernennung von mehreren G.-V. anraten. In allen anderen Fällen wäre die Bestellung mehrerer G.-V. ohne besonderes Apostolisches Indult unzulässig,

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wie aus den Quellen wohl interpretiert werden muß.200 In Ländern, wo die Bestellung mehrerer Generalvikare üblich ist (z. B. in Frankreich), kann es nach den allgemeinen Normen des can. 5 beim bisherigen Rechtszustand bleiben, da diese Regelung zwar dem gemeinen Recht zuwiderläuft, aber nicht reprobiert ist und auf eine sehr lange Geschichte zurückblicken kann (siehe oben), also immemorabilis im Sinne des can. 5 ist. Eine andere Frage ist, ob wirklich diese traditionelle Übung beibehalten werden muß! Und es ist zu sagen, daß die vom Codex geforderte Einzigkeit des Generalvikars in der Regel allein dem Ideal entspricht.

200 Entsch. der S. C. Ep. et Reg. vom 6. September 1748: . .. non potendo

iVescovi senza espresso indulto della S. Sede deputare in una medesima diócesi due Vicari Generali (Gasparri, Fontes IV, p. 829); vgl. ferner die Entsch. der S. C. Conc. vom 6. Mai 1893 bezüglich der Frage: roglia com- piacersi di significare a questo S. Tribunale, se in Italia possano nelle stessa Diócesi esser nominati due Vicari generali aeque principales — Resp. Negative (Coll. Conc. Pallottini XVII, p. 110).

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Im Fall der Ritenverschiedenheit läßt der Codex, wie erwähnt, die Aufstellung mehrerer G.-V. zu. Ja, wie dies sich aus der Betrachtung der Quellen ergibt, wünscht dies die Kirche in einem solchen Falle geradezu. Der für die Untergebenen des anderen Ritus zu bestellende G.-V. soll möglichst diesem Ritus selbst angehören und im Einverständnis mit den Gläubigen des anderen Ritus vom Bischof ernannt wer-den (eventuell auf Grund einer Vorschlagsliste oder durch Wahl) ; die Angehörigen des anderen Ritus haben dann auch die entstehenden Mehrkosten für die Besoldung des zweiten G.-V. zu tragen.201 Aber auch in diesem Falle ist der zweite G.-V. grundsätzlich für das Gesamtgebiet der Diözese bestellt; er ist in seiner Machtsphäre prinzipiell nicht beschränkt, sondern nur praktisch mit der Bearbeitung eines bestimmten Ressorts betraut. Dies ist überhaupt bei der Ernennung mehrerer G.-V. unerläßliche Voraussetzung: ihre Stellung als Solidarberechtigte. Die Aufteilung des Diö-

201 Vgl. die Konst. Benedikts XIV. „Etsi pastoralis“ vom 26. Mai 1742 § 9 no 21 (Gasparri, Fontes I, p. 754).

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zesangebietes ist zu wiederholten Malen als unzulässig erklärt worden. Stellt der Bischof einen Generalbevollmächtig-

ten für einen bestimmten Teil seines Gebietes auf, so ist die-

ser lediglich als bischöflicher Delegat, nicht aber als G.-V. zu betrachten.202 Der innere Grund dafür liegt darin, wie schon der Name Vicarius Generalis andeutet, daß der G.-V. eine ganz umfassende Vertretungsmacht besitzt, die ihn als Alter ego des Bischofs erscheinen läßt. Wie nun der Bischof selbst Macht in der ganzen Diözese hat, überall Ordinarius loci ist, so ist auch der G.-V. Ordinarius loci (= Ordinarius totius territorii) und nicht nur einfach Ordinarius, wie z. B. der Abt, der zwar Ordinarius in einem bestimmten Bereich (seinem Kloster), aber nicht Ordinarius loci ist.

I

202 Entsch. der S. C. Ep. et Reg. vom 22. Dezember 1628: se il Vicario constitutio in .. - parte della dioecesi con facoltä generali per tutte le cause . . . s'intenda esser delegato o pur Vicario generale del Vescovo ... S. Congr. censuit Vicarium ut proponitur deputatum esse delegatura non autem Vicarium Episcopalem Generalem (Gasparri, Fontes IV 753).

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Wie es bei der Wichtigkeit des Amtes selbstverständlich ist, stellt der Codex für den zu Ernennenden eine Reihe von persönlichen Erfordernissen auf. Der Generalvikar muß Priester sein, wie es der Würde und der Wichtigkeit seines Amtes, und dem allgemeinen Grundsatz entspricht, daß die übrigen Weihegrade nur Durchgangsstufen zum Priestertum sind. Wie für das Kardinalat, Kanonikat, Pfarramt erstmals durch das neue Recht der Priestercharakter vorgeschrieben ist, so auch für das Amt eines Generalvikars. Früher war es gemeinrechtlich nicht der Fall. Für Spanien hatte die Konstitution Clemens3 VIII. „Ecclesiastici ordinis“ vom 1. Fe-bruar 1601 den Besitz einer höheren Weihe vorgeschrieben, dasselbe hatte das Mailänder Provinzialkonzil von 1582 (in can. 67) getan;203 da»s Provinzialkonzil von Bordeaux ging darüber noch hinaus und forderte die Priesterweihe.204 FürKöln haben die Untersuchungen von Güttsches ergeben, daß schon im Mittelalter die G.-V. meist Priester waren.205

Der G.-V. soll Weltpriester sein, da sein Amt ein „officium saeculare“ ist und der Grundsatz gilt: „saecularia sae- cularibus, regularía regularijbus.“ Eine innere Unvereinbarkeit des Amtes Init dem Ordensstand, seinem Geist und seinen Pflichten liegt dagegen nicht vor, wenngleich das behauptet worden ist.206 Das ergibt sich schon daraus, daß der Vicarius Delegatus der Missionsländer fast immer Ordensmann der

203 Vgl. Hardouin X, 1130.204 Vgl. Hardouin X, 1352.205 Vgl. „Die Generalvikare der Erzbischöfe von Köln“ §6 A. 5.206 z.B. von Hinschius II, p. 212 und Noval, De proc. in Bezug auf

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betreffenden Missionsgesellschaft sein wird. Im Fall, daß einer Ordensgenossenschaft die Leitung einer Diözese anvertraut ist, was bei den gefreiten Abteien und Prälaturen häufig der Fall sein wird (Brasilien), gibt der Codex sogar ausdrücklich die Erlaubnis, den G.-V. aus den Reihen der Religiösen zu nehmen (can. 367 § 2).Da der G.-V. das Alter ego des Bischofs ist, so gilt auch für ihn die Vorschrift eines Mindestalters von 30 Jahren, er soll, wie der Bischof, ein „vir perfectae aetatis“ sein, wie die Quellen sagen. In gleicher Weise wird auch von ihm der Nachweis besonderer wissenschaftlicher Leistungen und eingehender Kenntnis der Geschäfte verlangt. Der Doktorgrad des kanonischen Rechtes ist daher vorgeschrieben oder doch wenigstens eine besondere Vertrautheit mit Verwaltungs- und Rechtsangelegenheiten; der G.-V. soll eben das Haupt der ganzen bischöflichen Verwaltung sein; auf seine Amtserfahrung legt der Codex fast noch mehr Gewicht als auf die ver-waltungstechnischen und juristischen Kenntnisse des Bi-schofs (der Bischof muß Doctor theologiae aut iuris canonici sein gem. can. 331 § 1 no 5, der G.-V. dagegen Doctor theol. et iur. can. nach can. 367 § l).207 Mit der Konzession, die der j

207 den Offizial.

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Codex macht, daß im Notfall der akademische Grad auch durch wirkliche Erfahrung ersetzt werden könne, ist eine Milderung gegenüber dem früheren Rechte eingetreten. Hier wurde durch mehrere römische Entscheidungen ein Nichtgraduierter als ungeeignet für das Amt des G.-V. bezeichnet208 und nur für Missionsgegenden eine Ausnahme gemacht.209

208

Der Codex hat wohl die römischen Verhältnisse im Auge, wo das kanonische Recht kein Bestandteil der vom Dr. theol. zu beherrschenden Disziplinen ist. Da in Deutschland aber das kanonische Recht Prüfungs-209 Encycl. Benedikts XIV: „Quam ex sublimi“ vom 8. August 1755: Verum probe intelligentes, haud facile in iisdem locis (d. h. in Missionsgegenden) reperiri Ecclesiasticos viros, qui sive Doctores sive Licentiati in Iure Canonico in aliqua studiorum universitate fuerint, quemadmodum pro Vieariatus Generalis muñere obeundo requiritur ... so wollen wir dulden, daß ein ad „gubernium et regimen habilis et idoneus“ bestellt werde (Gasparri, Fontes II, p. 489—490).

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Unvereinbar ist das Amt des G.-V. mit dem Amt des Pöni- tentiarkanonikers und des Pfarrers, überhaupt eines Seel-sorgegeistlichen. Höchstens im Fall einer ganz dringenden Notwendigkeit läßt der Codex, im Unterschied vom früheren Recht, das auch dann keine Ausnahme machte, die Vereinigung beider Funktionen in einer Hand zu. Der Grund ist im ersten Falle der, daß jede unzulässige Vermischung von Rechtsforum und Beichtforum vermieden werden soll, der G.-V. soll über jeden Verdacht erhaben sein, als verwerte er als Ver-waltungsmann Kenntnisse, die er als Seelenführer gewonnen habe. Ein weiterer Grund ist wohl der, daß eine innere Unvereinbarkeit besteht zwischen der Stellung eines Seelenhirten und dem Amt eines Jurisdiktionsträgers.210 Für die Inkom- patibilität von Pfarramt und Generalvikariat ist der Grund Ln erster Linie in der Residenzpflicht des Pf arrers zu suchen.20 Außerdem soll auch der Pfarrer nicht durch die kurialen Geschäfte seinem eigentlichen Wirkungsbereich, der Pfarrseel- sorge, entzogen werden. Auch hier spielt naturgemäß die Rücksicht auf das forum internum eine Rolle, wenn auch nicht im selben Grade wie beim Pönitentiar. Das Beichthören an

210

Entsch. der S. C. Ep. et Reg. vom 13. Mai 1611: Sarebbe stato bene, ch'Ella avesse fatto provvisione d’altro Vicario nella sua Chiesa di Ri- mini per essere il presente penitenziero di quella Cattedrale, acció si levi via ogni occasione di suspezione, che il foro esteriore si possa valersi nella notizia delle eccessi del foro interiore (Gasparri, Fontes IV, p. 718). Entsch. der S. C. Ep. et Reg. vom 5. Februar 1706 . . . il canonico Peni- tentiere non debba esercitare la carica di Vicario per non togliere la liberta ai Penitenti nelle confessioni . . . essendo Toffitio di pastore direttamente opposto al Ministro che esercita gli atti della giustitia (Gasparri, Fontes IV, p. 800).

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sich ist dem G.-V. übrigens nirgends verboten oder abge-raten.

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Der G.-V. darf ferner nicht mit dem Bischof verwandt sein.211 Ein besonderer Grund für dieses Verbot gerade im Fall des G.-V. ist nicht leicht einzusehen. Die besondere Vertrauensstellung des G.-V. zum Bischof und der Rückblick auf die Frühgeschichte des Rechtsinstitutes würden eher das Gegenteil erwarten lassen: denn hier erscheinen häufig die nächsten Verwandten der Bischöfe als deren G.-V.; ganz ähnlich wie später die wichtigsten Ämter der Kurie (Staatssekretariat) mit den Kardinalnepoten des jeweiligen Papstes bestezt w'urden. Es ist also auch wohl in unserm Fall nur die

allgemeine Abneigung des modernen Kirchenrechtes gegen Nepotismus in jeder Form als ratio legis anzunehmen (vgl. can. 232 § 2 u. 2 u. 3). Über die Notwendigkeit legitimer Abkunft ist im Gesetze nichts gesagt, sie ist daher als Qualifi-kationserfordernis auch, nicht anzunehmen. Auch der Hinweis lauf die Notwendigkeit der legitimen Abkunft beim Bischof wäre nicht stichhaltig, da es sich beim Amt des G.-V. um ein „officium minus“ handelt, auf welches die Rechtssätze über die officia maiora (Bischof) und Dignitäten (Kardinal) nicht analog angewendet werden dürfen. Eine andere Streitfrage, ob der G.-V. der Diözese angehören dürfe oder nicht, ist durch can. 367 § 3 gegen die frühere Praxis entschieden: der G.-V. darf aus der eigenen Diözese, für die er bestellt wird, genommen werden. Die früheren Entscheidungen für die entgegengesetzte Praxis212 haben wohl vor allem an Italien gedacht, 211 Vgl. die Entsch. der S. C. Ep. et Reg. vom 12. November 1666 (Gasparri, Fontes IV, p. 786) und 2. Dezember 1578 (a. a. O. p. 583).212 Vgl. Entsch. vom 16. November 1640 (Gasparri, Fontes IV, p. 765).

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wo es im Unterschied von den großen transalpinen Diözesen leicht möglich war, einen geeigneten Mann in der Nachbardiözese zu finden, und wo außerdem der, durch die kleinen Verhältnisse bedingte, allzu enge Konnex der Diö- zesanen dem G.-V. vielleicht nicht immer die wünschenswerte und nötige Handlungsfreiheit ließ.Das Amt erlischt: 1. durch Verzicht, 2. durch Amotion,

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3. durch Erlöschen der Jurisdiktion des Bischofs. Wie auf jedes Amt, so kann man auch auf das Generalvikariat aus einem gerechten Grund unter Beobachtung der Vorschriften der can. 183—191 verzichten. Der Verzicht des G.-V. bedarf der Annahme seitens des Bischofs (can. 371 mit 187 § 1). Der Grund, warum hier von den allgemeinen Regeln der Stellvertretung abgegangen wird, liegt im Beamtencharakter des G.-V. Er übt nicht nur, wie der Mandatar des Privatrechts eine lediglich die Parteien angehende Funktion, sondern er ist Stellvertreter eines Jurisdiktionsträgers, er hat ein öffentliches Amt. Daher wandeln sich die allgemeinen Mandats-grundsätze hier ab. Neben diesem mehr formalen Grund, der im öffentlich-rechtlichen Charakter der Stellvertretung des G.-V. (und de« Offizials) liegt, kommen für den G.-V. (kaum für den Offizial) noch andere praktische Erwägungen für die Regelung des can. 371 in Betracht. Im Interesse der Stetig-keit der Regierungsführung und der Verhinderung unlauterer Amtsschiebungen ist die Kirche dem Resignationsrecht der Amtsträger überhaupt nicht günstig; die Oberen, denen in aller Regel ein Beispruchsrecht zusteht, sollen ihre Zustimmung nur in ganz bestimmten Fällen gewähren (vgl. die const. Pius V. vom 1. April 1568: „Quanta Ecclesiae“ bei Gas- parri, Fontes I, p.225f.). Es ist ferner zu erwägen, daß der G.-V. eine erhebliche Verantwortung trägt. Hat er aber Maßnahmen getroffen, die sich als Fehlgriff herausstellen, Un-annehmlichkeiten bringen und dergleichen, so will ihm das Recht die Flucht vor der Verantwortung nicht erleichtern durch Gewährung eines freien Resignationsrechtes. Umgekehrt

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ist es denkbar, daß der Verzicht des G.-V. das Ersuchen um ein Vertrauensvotum sein soll, das dann in der Nichtannahme des Verzichtes durch den Bischof zu erblicken ist (ein im politischen Leben bei sogenannten Regierungskrisen sehr häufiger Fall).Die Amotion ist jederzeit

möglich, da es sich um ein ad nutum amovibles Amt handelt. Sie darf natürlich nicht aus Willkür geschehen, sondern fordert einen gerechten Grund, unter Wahrung der natürlichen Billigkeit (can. 192 § 3). Gegen die Amotion ist Rekurs an den Apostolischen Stuhl — aber ohne Suspensivwirkung — zulässig, sowie Klage auf Ersatz des durch die diffamatio etwa erlittenen materiellen oder moralischen Schadens.32 Ein besonderer modus proce- dendi für die Amtsenthebung des G.-V. besteht nicht. Abgesehen von dieser „amotio brevi manu“ nach dem Ermessen des Ordinarius bestehen natürlich alle Grundsätze über die32 Vgl. die Entsch. der Rota vom 9. Juni 1911 Dec. XXVI no20 (Dec. S. R. Rotae III, p. 275): die Entscheidung stützt sich auf zwei ähnliche frühere Entsch. der S. C. Ep. et Reg. vom 1. Juli 1610 und 8. Oktober 1649.

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strafweise Entziehung kirchlicher Ämter auch für den G.-V. zu Recht.213

Das Erlöschen der Jurisdiktion des Ordinarius durch Tod, Verzicht, Absetzung, Versetzung endet auch die Amtsgewalt des G.-V., da er als alter ego, „Schatten des Bischofs“ diesem in allen Stücken folgt. Deswegen wird auch bei Suspension der bischöflichen Regierungsgewalt die Jurisdiktion des G.-V. gleichfalls suspendiert (can. 371). Wenn der Ordinarius verhindert ist durch Gefangenschaft, Verkehrssperre oder andere Umstände, Regierungshandlungen in seiner Diözese auszuüben, so ruht die ganze Leitung der Geschäfte auf den Schultern des G.-V. Und alle seine Rechtshandlungen sind gem. can. 430 § 2 gültig, bis man sichere Kenntnis erlangt hat vom Enden der bischöflichen Gewalt; ausgenommen ist nur die Verleihung von Benefizien und Ämtern, weil wegen der besonderen Wichtigkeit dieser Materien den Rechten des Nachfolgers kein Eintrag geschehen soll. Es wird also vom Recht fingiert, daß die Gewalt des Ordinarius noch fortbestehe bis zu dem Zeitpunkt sicherer Kenntnis vom Ende der bischöflichen Jurisdiktion, damit der stellvertretenden Gewalt des G.-V. die rechtliche Grundlage nicht entzogen werde.

213 Gründe zur strafweisen privato officii sind aufgezählt in den can. 2314 § 1 u. 2, 2320, 2324, 2331 §2, 2336 § 1, 2340 § 2, 2345,2347 no2, 2350, 2354 § 2, 2355, 2359 § 2, 2360 § 2, 2368, 2369, 2381, 2388 § 1, 2394, 2401, 2403, 2405, 2406, 2408.

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Als die wesentlichen Bestimmungen über das Amt des G.-V7. und die Voraussetzungen seiner Verleihung ergeben sich also: das Amt ist je nach dem Grad der Stabilität als „munus“ oder als „officium“ zu bezeichnen. Die Ernennung erfolgt schriftlich, es ist vom Ernannten der Amtseid zu leisten; eine feierliche Institution findet nicht statt. Das Recht zur Aufstellung eines wirklichen G.-V. mit ordentlicher Gewalt haben die Bischöfe, die gefreiten Äbte und Prälaten, sowie die dauernd bestellten Apostolischen Administratoren, nicht aber die Apostolischen Vikare und Präfekten, die sich mit einem Vicarius Delegatus begnügen müssen. Das

Ernennungsrecht des Bischofs ist vollkommen unbeschränkt und nicht an die Zustimmung und den Rat dritter Personen gebunden. Es muß kein G.-V. bestellt werden; Pflicht wird das für den Bischof erst dann, wenn die Diözese sonst nicht ordnungsgemäß regiert werden kann. Es ist nur ein G.-V. zu ernennen, nur bei Ritenverschiedenheit mehrere; entgegenstehendes Gewohnheitsrecht kann geduldet werden. Wenn mehrere bestellt werden, so sind sie solidarisch berechtigt, der Bevollmächtigte für einen besonderen Teil der Diözese ist nur Delegat, nie G.-V. Persönliche Voraussetzungen des zu Ernennenden sind: Priestercha-rakter, Nichtzugehörigkeit zu einer Religiosen-Genossen- schaft, Alter von 30 Jahren, akademische Graduierung. Unvereinbar mit seinem Amt ist das Amt eines Pöniten- tiars, sowie jede Seelsorgestellung. Er darf ferner nicht Verwandter des Bischofs sein; er darf aber Angehöriger der Diözese sein. Sein Amt erlischt durch Verzicht, durch jederzeit mögliche Enthebung aus einem gerechten Grund, durch Vakanz

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des bischöflichen Stuhles. — Seine Jurisdiktion wird zugleich mit der des Bischofs suspendiert.

§ 2. Inhalt und Umfang der Jurisdiktion.

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Nachdem wir das Amt des G.-V. als solches charakterisiert und die Voraussetzungen und die näheren Modalitäten seiner Verleihung erörtert haben, liegt es uns in diesem Paragraphen ob, die Rechtshandlungen des G.-V. in ihrem inneren Wesen darzustellen, ehe wir den Kreis seiner Befugnisse und Rechte selbst beschreiben. Vorauszusetzen sind dabei die allgemeinen Erörterungen über die ordentliche und delegierte Gewalt (siehe oben), die Lehre vom Mandat und die Modifikationen, die sich aus etwaigen Reservaten für die Stellung des Mandatars ergeben, sowie über den Einfluß, den das Spezialmandat auf die Rechtsstellung und die Voll-machten des Beauftragten hat. Um Wiederholungen zu ver- meiden, sind also alle

grundsätzlichen Ausführungen in diesem Abschnitt ausgeschieden und nur die besondere Anwen-dung der allgemeinen Grundsätze auf Amt und Rechtsstellung des G.-V. ist dargestellt worden.I. Rechtsstellung des Generalvikars bei erweiterter

Vollmacht.Der G.-V. ist nach can. 198 § 1 mit ordentlicher, stell-

vertretender Gewalt ausgestattet; einer langen Kontroverse hat damit der Codex ein Ende gemacht. Nicht aber ist es in gleicher Weise entschieden, wie weit diese ordentliche Gewalt geht. Dem Handeln des G.-V. sind nämlich durch das Recht gewisse Schranken gezogen, denen der Ordinarius nach seinem Gutdünken noch weitere Reservatfälle anfügen kann. Die Fragestellung lautet also: handelt der G.-V. in den Fällen, die ein Spezialmandat des Ordinarius erfordern, mit ordentlicher oder mit übertragener Gewalt?

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Erstere Ansicht wird vertreten von Stutz, Maroto, Eich- mann, auch wohl von Wernz-Vidal. Stutz214 schreibt: „So wenig die Bestallung die Amtsrechte schafft, sie vielmehr höchstens umschreibt und an eine bestimmte Person gibt, so wenig schafft das Spezialmandat die ja auch bereits vom Gesetz gegebenen Jurisdiktionsmöglichkeiten; es umschreibt sie nur und überträgt sie bloß zu den ordentlichen Vollmachten hinzu an die zum Generalvikar bestellte Person.“ Und ebenso bestimmt auch Maroto:215 „Adiectio potestatis quan- doque praerequirit specialem veniam seu mandatum alicuius superioris quo supposito potestas censetur competere non vi ipsius mandati vel veniae a Superiore datae, sed vi iuris et ex officio, ipsaque potestas habenda est ut ordinaria ita- que Vicarius Generalis in iis, quae Episcopi mandatum spe- ciale requirunt, non potest agere sine ipso mandato; post- quam vero Episcopus illud mandatum praestiterit, tune Vicarius Generalis agit ut Vicarius et potestate ordinaria, non

214 Geist des Codex, S. 327.215 Institutiones Jur. can. p. 830 no 699.

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ut Delegatus Episcopi.“ Denselben Standpunkt nimmt auch Eichmann216 ein, der besonders auf can. 2002 hinweist, wo der G.-V. in Kanonisationsprozessen ausdrücklich dann als Ordinarius bezeichnet wird, wenn er ein Spezialmandat hat.217

216 Kirchenrecht I, S. 230.217 can. 2002: In canonibus qui sequuntur, nomine Ordinarii non intelli- gitur Vicarius Generalis, nisi habuerit mandatum speciale.

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Gegen diese Ansicht Chelodi,218 Koeniger219 und vor allem Hilling.220 Die von letzterem vorgebrachten Gründe vermögen aber nicht zu überzeugen, da sie den Text des Codex zu sehr pressen; der hochwichtige can.2002, der eine sehr klare Sprache führt, wird dabei ganz übersehen. Außerdem geht es nicht an, daß Hilling in allen Fällen, wo der Codex von „mandatum“ speciale spricht (can. 152, 429 § 1, 953 u. a.), diesen Ausdruck, der ihm unbequem ist, durch „delegatio“ specialis ersetzen möchte und die Wahl dieses angeblich unrichtigen Terminus (mandatum sp.) auf die Art der benutzten Quellen zurückführt. Es ist Hilling entgangen, daß sich in einer Entscheidung der Rota221 tatsächlich die Bezeichnung „delegatio specialis“ für das Spezialmandat findet, das der G.-V. zur Errichtung einer Bruderschaft benötigt hätte, aber freilich ist diese Ausdrucksweise ganz vereinzelt und würde auch höchstens von Bedeutung sein für die Interpretation der Rechtslage vor dem Codex. In sämtlichen neueren Entscheidungen wie vom Codex selbst wird nur mehr das Wort „mandatum speciale“ gebraucht. Es sollte eben aus-gedrückt werden, daß es sich um ein Mandatsverhältnis handelt; und da der Mandatar ordentliche stellvertretende Gewalt hat, so sagt das Gesetzbuch damit, daß in diesen Fällen keine Delegation anzunehmen sei. Zu dem mandatum generale tritt eben nur ein mandatum speciale hinzu. Schon

218 De personis, p. 307.219 Kirchenrecht, S. 222.220 Personenrecht, S. 183 und im Archiv für kath. K.R.104 (1924) S. 199f.221 Entsch. der Rota vom 4. Januar 1915 (Dec. S. R. Rotae VII, p. 1 ff.)

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sprachlich verdient diese Auslegung den Vorzug. Mit evi-denter Klarheit läßt sich freilich das Problem auf dem Boden des Codex und seiner Terminologie allein nicht lösen: nur in den Zusammenhang der Lehre von der Stellvertretung eingeordnet, ist uns ein abschließendes Urteil über die Frage ermöglicht. Diesem Zwecke diente die ausführliche Darstellung dieser Lehre. Gegen die im Vorausgehenden vorgetra-gene Ansicht, der G.-V. handle auch in den Fällen des Spe-zialmandats „potestate ordinaria“, wendet sich auch Ver- meersch-Creuseji.222 Es soll nach ihm beim Spezialmandat unterschieden werden, ob die Fälle einer speziellen Bevoll-mächtigung in der Bestallungsurkunde enthalten sind, d.h. dem Amt als solchem übertragen sind, oder nicht: d.h. ob im letzteren Falle die Praxis befolgt wird, in jeder Angele-genheit von neuem die Vollmacht speziell zu übertragen. Im ersten Fall will er eine potestas ordinaria, im zweiten Fall eine potestas delegata, annehmen. Unser Autor beruft sich für diese Unterscheidung auf eine ähnliche Meinung vieler früherer Kanonisten.223 Trotzdem erscheint sie gekünstelt und nicht im Sinne des Codex. Sie ist gekünstelt und formalistisch, denn alles wird darauf abgestellt, ob der Bischof die Formel „Tibi, vicario meo, committo“ gebraucht hat oder 222 Epitome, p. 255 no 436.223 z. B. Reiffenstuel Jus can. I, 28 no

94—96 erblickt das Unterschei-dungsmerkmal darin, ob der Ordinarius die Formel gebraucht: „Tibi, Vicario, committo“ oder nicht. Im ersteren Falle sei potestas ordinaria, im letzteren potestas delegata anzunehmen, weil erstere Vollmacht intuitu officii gegeben werde, letztere aber nicht, nur in spezieller Bevollmächtigung einer Person bestehe, die Vollmacht also intuitu per-sonae gegeben werde.

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nicht. Hat er nämlich das getan, die Vollmacht also „intuitu officii vicariatus“ gegeben, also als Accessorium des Amtes, so soll eine ordentliche Gewalt des G.-V. vorliegen; hat er aber nur im Spezialfall den G.-V. ermächtigt, freilich nicht „als Generalvikar“ (wie aus dieser speziellen Bevollmächti-gung im Einzelfall hervorgehen soll!), sondern nur „als Pri-vatperson“ : so hätten wir angeblich nur eine delegierte Gewalt anzunehmen! Diese subtilen Unterscheidungen scheinen aber durchaus nicht im Interesse einer gesunden Rechtsordnung zu liegen, die klare Verhältnisse braucht, und ist auch nicht vom kirchlichen Rechtsbuch beabsichtigt. Einem Dritten wäre die Art der erteilten Vertretungsmacht vollkommen unerkennbar, weil die Bevollmächtigung sehr wohl in bloß mündlicher Form erteilt werden kann. Die ganze Theorie von Vermeersch-Creusen ist also abzulehnen. Auch Wernz-Vidal44 nimmt wohl diesen Standpunkt ein, wenn auch nicht mit der wünschenswerten Deutlichkeit und Konsequenz. Auch er fällt noch etwas in jene Distinktion zurück, die er selbst „aliquantulum subtilis“ nennt, wenn er meint, in der Regel handle der mit Spezialmandat ausgerüstete G.-V. zwar mit erweiterter potestas ordinaria224 aber in manchen Spezial- mandatsfällen könne der Bischof doch, wenn er es so lieber wolle, „expresse“ den G.-V. zum Delegaten machen. Auch das kann der Bischof in Wahrheit nicht, denn wenn die Rechts-ordnung dem G.-V. überhaupt eine Erweiterung seiner or-224 6 a. a. O. S. 319. « a. a. O. S. 317.

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dentlichen Gewalt ermöglicht, so muß der Bischof diesen Weg gehen. Er braucht ja die Gewalt seines G.-V. überhaupt nicht zu erweitern, indem er einfach kein Spezialmandat gibt; tut er es aber doch, so ist die Art der Jurisdiktion, die der G.-V. nunmehr übt, der formenden Gewalt des Ordinarius entzogen. Es sei hier erinnert an die Darstellung der Lehre vom Spezialmandat weiter oben.45 Um eine Erweiterung des ? ursprünglichen Rechtsverhältnisses handelt es sich auch hier. ; dem allgemeinen Auftrag werden noch Spezialaufträge angefügt, wobei der Vertreter in diesen neuen Fällen mit derselben Vertretungsmacht handelt, wie im ursprünglichen und normalen Umkreis seiner Befugnisse. Nicht um das Entstehen44 Jus can. II, p. 678 no 640.

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46 Vgl. oben S. 68 und die dort gegebenen Beispiele aus dem geltenden Recht.eines neuen Rechtsverhältnisses, einer neuen delegierten Ver-tretungsbefugnis handelt es sich also bei der Erteilung eines Spezialmandates, sondern um die Aktualisierung von Befugnissen, die der G.-V. auf Grund seines Amtes, mit ordentlicher Gewalt, schon potentiell besitzt.

II. Rechtsstellung des Generalvikars bei gewöhnlicher Vollmacht.

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Wenn nun aber auch die Gewalt des G.-V. eine ordentliche ist, so ist sie doch, wie der Name sagt, eine stellvertretende, eine potestas vicaria, die „vice et nomine alterius“ geübt wird. Damit ist gegeben, daß der G.-V. rechtlich das „Alter Ego Episcopi“ ist, gegen den ein eigentlicher Rekurs an den Bischof nicht möglich ist. Weitgehend verneinte die frühere Doktrin auch die Möglichkeit einer Beschwerde an den Bischof, die sich gegen seinen G.-V. richten sollte. Stutz46 hin-gegen möchte eine solche Möglichkeit annehmen — doch ent-spricht dies wohl nicht der Absicht des Gesetzgebers, der dem G.-V. die Stellung eines „Ordinarius loci“ gibt, ihn also nicht als bloßen und vollkommen abhängigen Gehilfen des Bischofs kennzeichnen will. Die Annahme der Meinung von Stutz würde auch in der Praxis zu einer nicht endenden Reihe von Beschwerden „a Vicario male informato ad Episcopum melius informandum“ führen — und wir hätten dann doch die uneingeschränkte Rekursmöglichkeit an den Bischof, statt direkt an den Apostolischen Stuhl. Stutz beruft sich47 auf can. 1573 §2, da hier nur noch vom Offizial gesagt werde, er bilde ein Tribunal mit dem Bischof. Und er läßt richtig dasselbe gelten auch für den G.-V., wenn und soweit dieser in richterlicher Eigenschaft auftritt (z. B. in Disziplinar- sachen). Aber dem Fehlen jener ausdrücklichen Identifizierung von Bischof und G.-V. als Administrativbeamten (analog can. 1573) wird die Bedeutung nicht beigemessen werden

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können, die Stutz darin erblickt. Die Identität beider Amtsträger geht genugsam aus der allgemeinen Auffassung des Codex hervor: sodaß also gegen den G.-V. kein Rekurs und keine Beschwerde an den Bischof, sondern nur an den Apostolischen Stuhl möglich ist. Eine gerichtliche Klage gegen Verwaltungsakte der Ordinarien ist unzulässig, selbst wenn sie erhoben werden sollte unter dem Gesichtspunkt des Scha-denersatzes. Das Verwaltungs streit verfahren gehört dem Be-reich der administrativen Gerichtsbarkeit an, die nur von den Römischen Kongregationen geübt wird.225 Der Rekurs geht also nach can. 1601 an die Kongregationen und nicht an die Rota (die ja nur Apellationsinstanz ist). Näher- hin ist er zu richten an die Hl. Konsistorial- bezw. Konzils-kongregation (can. 248 u. 250). Nicht aufgehoben ist damit selbstverständlich die Möglichkeit sonstiger Zivilklagen und Strafklagen gegen einen G.-V., der sich eines Amtsvergehens schuldig gemacht hat. Diese Sachen gehen an das bischöfliche Kollegialgericht, das ausschließlich zuständig ist. Dem Bischof ist es nach Entscheidung der Rota vom 8. August 1927 226 ausdrücklich 225 Entsch. der Comm. Pontif. vom 22.

Mai 1923: 1. Utrum ad norman can. 1552—1601 instituí possit actio iudicialis contra Ordinariorum decreta . . . quae ad regimen dioecesis spectent ... et quatenus negative: utrum ob eiusmodi decreta actio iudicialis possit instituí saltern ratione refectionis damnorum . . . Resp. Negative ad utrumque et ad mentem: mens est exclusive competere S. Congregationibus cognitionem tum huius- modi decretorum, actuum, dispositionum, tum damnorum, quae quis prae- tendat ex iis sibi illata esse (AAS XVI, p. 251).226 Attento Episcopi decreto . . . quo controversias omnes contra suum Vicarium Generalem introductas sive introducendas sive criminales sive contentiosas sibi reservat, easque subtrahit iudiciali Officialis iudicum- que prosynodalium potestati, die 8. Aug. Turnus decrevit acta causae esse eidem

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verwehrt, sich derartige Klagen zu reservieren und unter Ausschluß des Kollegialgerichtes den Fall selbst als Einzelrichter zu entscheiden. Grund dafür ist: „Nemo iudex in propria causa.“

Episcopo remittenda ut ad normam can. 1572 procedat (AAS XX, 57—58).

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Bei der rechtlichen Identität des Bischofs und seines Vertreters kann ersterer Handlungen seines G.-V. nur insoweit annullieren, als er das bei eigenen Handlungen könnte (Zwang, Furcht, Irrtum etc.). Besonders praktisch kann das werden, wenn der G.-V. in Überschreitung seiner Vertre-tungsmacht handelt, z. B. tätig wird in Fällen, die ein Spezial-mandat verlangen, ohne dieses jedoch zu besitzen. Eine Ent-scheidung der S. Congr. Conc. vom 4. Dezember 1655 hat sich für die Nichtigkeit (absolute Ungültigkeit) solcher Handlungen ausgesprochen — Scherer50 nimmt dagegen nur Anfechtbarkeit (relative Ungültigkeit) an. Die Frage der Rechtsbeständigkeit von Handlungen des Generalvikars ohne genügende Vertretungsmacht ist zu entscheiden im Hinblick auf die Tatsache, daß der G.-V. nicht Vertreter des Privatrechts ist (wenngleich diesem in allem sehr ähnlich), sondern ein öffentlich-rechtlicher Vertreter, und daß seine Akte Jurisdiktionsakte sind. Es besteht nun eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das rechtmäßige Handeln eines Jurisdiktionsträgers ; man wird daher den für das staatliche Verwaltungsrecht geltenden Grundsatz auch im kirchlichen Rechts bereich anwenden können: alle Jurisdiktionsakte sind grundsätzlich so lange rechtsverbindlich (mögen sie auch in der Tat rechtswidrig sein), bis sie wieder aufgehoben werden. Dem entspricht auf der anderen Seite aber auch ein besonderer Vertrauensschutz im Interesse der vom Jurisdiktionsakt betroffenen Person. Diese soll in ihrem Vertrauen auf die Rechts-beständigkeit amtlicher Rechtshandlungen weitgehend ge-schützt werden; wie im staatlichen Verwaltungsrecht,51 so

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wird auch für das Kirchenrecht der aus dem Bürgerlichen Recht stammende Grundsatz vom Vertrauensschutz Geltung haben: „Wer im Vertrauen auf einen äußeren Tatbestand rechtsgeschäftlich handelt, der zufolge Gesetzes oder Ver-kehrsauffassung die Erscheinungsform eines bestimmten

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60 Kirchenrecht I, S. 613. « Hatschek, S.96 f.

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Rechtes, Rechtsverhältnisses oder eines anderen rechtlich relevanten Momentes bildet, ist in seinem Vertrauen geschützt, wenn jener Tatbestand mit Zutun desjenigen zustande gekommen ist, dem der Vertrauensschutz zum Nachteil ge-reicht.“227 Aus jenem Vertrauensschutz aber ergibt sich ein Wahlrecht der betroffenen Person, ob sie den rechtswidrigen Jurisdiktionsakt vernichten will oder nicht (bloße Anfechtbarkeit des Aktes). Nur ingewissen Fällen liegt kein schutzwürdiges Vertrauen vor, wlenn nämlich die Rechtswidrigkeit des Jurisdiktionsaktes offen am Tage lag (Nichtigkeit des Aktes). Gemäß diesen Grundsätzen wird man alle Handlungen des G.-V., zu denen er ein Spezialmandat braucht, die er aber ohne solches vorgenommen hat, nur anfechtbar sein lassen, denn es ist für das Publikum schwer festzustellen, ob der G.-V. in jedem Fall die nötige Erweiterung seiner Vollmacht besitzt oder nicht.228 Nimmt aber der G.-V. Handlungen vor, die ausschließlich dem Bischof oder dem Apostolischen Stuhl Vor-behalten sind, oder die ihm die Rechtsordnung gänzlich entzogen hat, so sind seine Handlungen nichtig; hier darf niemand ohne Gründe (d.h. ohne sichere Kenntnis einer etwa besonders erteilten Delegation) auf eine dem G.-V. normalerweise nicht zustehende Befugnis vertrauen.229 227 Wellspacher, Vertrauen auf äußere Tatbestände im bürgerlichen Recht 1906, S. 115.228 Beisp.: Der G.-V. hat die

Kirchenbauerlaubnis erteilt ohne Spezial-mandat zu besitzen (c. 1162 § 1). Der Berechtigte (Bauherr) kann, etwa um lästigen mit der Bauerlaubnis verbundenen Auflagen zu entgehen und eine neue Prüfung seines Gesuches zu ermöglichen, die rechtswidrige Bauerlaubnis anfechten. Oder: der G.-V. hat ohne Spezialmandat einen Pfarrvikar entfernt (c. 477 § 1), der Pfarrvikar kann diese Amotion anfechten.229 Beisp.: Der G.-V. hat einen

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Dieser Vertrauensschutz ist getroffen im Interesse des vom Jurisdiktionsaktes betroffenen Dritten, nicht aber kann der vertreteneBischof seinerseits die rechtswidrigen Handlungen seines „Alter ego“ anfechten, während er die Nichtigkeit von Akten des G.-V. auch seinerseits geltend machen kann. Es ist nicht angängig, unter Hinweis auf can. 209, die rechtswidrigen an-fechtbaren Handlungen des G.-V., dem z.B. beim Handeln ohne das notwendige Spezialmandat die Jurisdiktion fehlen würde, durch eine Supplierung der Kirche für geheilt zu halten. Ganz abgesehen davon, daß can. 209 den Fall eines allgemeinen Irrtums über die Jurisdiktionsgewalt eines Amtsträgers überhaupt im Auge hat, würde eine solche Heilung der anfechtbaren Handlungen den oben erwähnten Prinzipien vom Vertrauensschutz des Publikums und von der Rechtmäßig- keitsvermutung bei obrigkeitlichen Akten, die beide im Interesse der Rechtssicherheit gelten müssen, zuwiderlaufen. Außerdem wäre eine solche Heilung von Rechts Widrigkeiten, die für das Publikum schwer zu durchschauen sind, geradezu ein Anreiz, die dem G.-V. vom Recht gezogenen Schranken zu übertreten, da ja trotz dieser Vollmachtsüberschreitungen seine Handlungen immer geheilt würden, zum Schaden des diesen Willkürlichkeiten ausgesetzten Publikums und eventuell auch zum Schaden das so vor vollendete, selbst durch Dritte nicht mehr anfechtbare Tatsachen

Geistlichen zum Kanoniker ernannt, er hat von einer dem Apostolischen Stuhl specialissimo reservierten Zensur absolviert, er hat in einem beim bischöfl. Gericht anhängigen Prozeß eine Ladung ergehen lassen, — diese Akte sind sämtlich nichtig.

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gestellten Bischofs. Es bleibt also bei der Nichtigkeit, bezw. Anfechtbarkeit der vom G.-V. gesetzten Handlungen, die er ohne die nötige Vertretungsmacht oder sonstig delegierte Gewalt vorgenommen hat. Wie der Bischof an die rechtswidrigen Handlungen seines G.-V. gebunden ist, diese selbst also im Fall der Anfechtbarkeit nicht anfechten kann, nur im Fall ihrer Nichtigkeit diese geltend machen kann, so haftet er auch für unerlaubte, im Amt begangene Handlungen seines G.-V.

III. Tätigkeitsbereich seiner Amtsgewalt.

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Ehe auf die einzelnen Befugnisse und Rechte des G.-V. eingegangen werden soll, dürfte eine Betrachtung des eigentlichen Tätigkeitsbereiches seiner Jurisdiktion am Platze sein: es ist das Gebiet der „iurisdictio voluntaria“. Der Unterschied zwischen iurisdictio voluntaria und contentiosa liegt vor allem im Verfahren. Bei der „nicht streitigen“ Gerichtsbarkeit fehlt es an den strengen Formen des gerichtlichen Prozesses. Ihr weiter Kreis wird verschieden bestimmt: nach einigen Autoren gehören die gesetzgebende, die verwaltende, die disziplinäre und die gnadenerweisende Jurisdiktion zu ihr. So meint Toso:55 „Legislatore nostro quaevis iurisdictio, quae forma a,c strepitu iudiciali non exerceatur, voluntaria est, etiamsi exerceatur in invitum, veluti ex. c. contingere pot- est in amotione non-iudiciali clericorum.“ Maroto56 weist darauf hin, daß die bisher übliche Definition mit dem Sprachgebrauch des Codex nicht mehr ganz harmoniert: „Ex dictis patet nimirum insistendum non esse in illo verbo voluntaria, et veram non esse definitionem quam verbo decepti plures proponere solent appellando iurisdictionem volunta- riam illam, quae exercetur in volentes et petentes: potestas voluntaria in nostro iure, ut optime ait Codex, idem prorsus est ac ,non iudicialis*.“ Das trifft aber nur eine, und nicht einmal die wesentlichste Seite der Sache. Mit Recht weist Eich- mann57 darauf hin, daß can. 201 § 3 keine Einteilung der Jurisdiktionsgebiete geben wolle und nur eine Gegenüberstellung der streitigen und nicht streitigen Rechtspflege beabsichtige. Auch Hofmann58 stellt sich auf diesen Standpunkt. Wie schon erwähnt, handelt can. 201 von der Ausübung der Jurisdiktion und von der Verschiedenheit, die hinsichtlich

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der Ausübung der iurisdictio iudicialis und voluntaria besteht; can. 201 will keine Einteilung geben . . . Eine Einteilung, die zwei Begriffe einfach in einen kontradiktorischen Gegensatz bringt, hat praktisch keinen Wert, da sie die Schwierigkeit nur um eine Stufe tiefer verlegt, nämlich in die Untereinteilung der iurisdictio non-iudicialis, die der wissenschaftlichen Bearbeitung des C.I.C. doch nicht erspart bleibt.“ Die Zweiteilung ist daher zu Gunsten einer

65 Comment. p, 171. ** a.a.O. p.864 no725.M a. a. O. S. 133. 88 a. a. 0. S. 40.

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Dreiteilung230 aufzugeben: potestas legislativa, iudiciaria, coactiva (can. 355 § 1). Den Bereich der freiwilligen Gerichts-barkeit bestimmt Eichmann in erschöpfender Fassung derart :231 „Die freiwillige Gerichtsbarkeit ist ein Bestandteil der potestas iudiciaria; sie ist eine Art von Rechtssprechung (ius dicere), insofern ein Recht zugesprochen oder indem von rechtlichen Verpflichtungen befreit wird, sie ist einfache Rechtsanwendung oder Rechtsverfügung durch die zuständige Verwaltungsbehörde in Sachen, welche nicht streitig sind, und zwar auf Anrufen oder Bitten einer Partei zu deren Gunsten oder auch von Amtswegen. Es scheiden also aus: alle im Wege des Prozesses zu erledigenden Streitsachen (po-testas iudicialis), Straf- und sonstige Zwangssachen (p. co-activa) und die Gesetzgebung (p. legislativa) ... Zu den Ei-gentümlichkeiten der freiwilligen gegenüber der streitigen Gerichtsbarkeit gehört: a) daß ihr Inhaber sie auch zum eigenen Vorteil gebrauchen kann; der Inhaber der Dispensgewalt kann sich selbst dispensieren; b) daß sie von einem fremden Territorium aus geübt werden kann; c) daß sie grundsätzlich auch über abwesende Untergebene außerhalb des Territoriums geübt werden kann/1

230

69 So auch Ha ring, Grundzüge des katholischen Kirchenrechtes3, S. 851 u. J. B. Sägmüller, Lehrbuch des kath. Kirchenrechtes I4 S. 33.231 a. a. 0. S. 134.

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Der Inhalt und Umfang der Jurisdiktion des G.-V. ist also ein sehr weiter. Er ist Alter ego des Bischofs; nur nach Rom ist Rekurs und Beschwerde gegen ihn möglich; für die Handlungen des Generalvikars steht der Bischof ein, wie für eigene. Er ist Ordinarius looi, d.h. er hat als Stellvertreter des Bischofs Gewalt über Klerus und Volk der Diözese, mit ordentlicher Gewalt auch in den Fällen ausgestattet, wo seine Machtbefugnisse auf Grund bischöflichen Sonderauftrages sich erweitern. Er ist Ordinarius, aber auch Vicarius, d.h. er übt sein Amt als Stellvertreter und engster Mitarbeiter des Bischofs aus. Sein Tätigkeitsbereich ist das Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

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§ 3. Befugnisse und Rechte des Generalvikars.

Bei der Darstellung der Tätigkeitsgebiete des G.-V. isind drei Gruppen zu unterscheiden: eine Gruppe von Geschäften, die ihm überhaupt entzogen ist; eine zweite, die ihm nur durch Spezialmandat eröffnet wird; eine dritte endlich, die ihm schon kraft seines Amtes zugewiesen ist.I. Schlechthin entzogen sind seiner Jurisdiktion zwei besonders wichtige Angelegenheiten, in denen der Bischof selbst und nicht durch einen Stellvertreter handeln soll. Es sind dies die Ernennung von Kanonikern (can. 406 § 1) Und die Errichtung von Religiösen-Kongregationen (can. 492 § 1). Entzogen sind ihm ferner alle jene Angelegenheiten, welche der Bischof sich ausdrücklich reserviert hat (can. 368 § 1), wobei ihm das Recht keine Beschränkungen auf erlegt. Ferner solche Dinge, die in einem gewissen Gegensatz zu seinem eigentlichen Aufgabenkreis stehen: entzogen sind ihm also die Angelegenheiten der Seminarverwaltung und Seminar-aufsicht (can. 1359), insofern er nicht Mitglied des „coetus deputatorum“ sein darf, sowie alles, was zu den Aufgaben des Offizials gehört (can. 1573 § 1).II. Sehr groß ist der Kreis der Geschäfte, für die der G.-V. ein Spezialmandat bedarf. Wenn es bisher Sache der Doktrin war, den Kreis der Spezialmandatsfälle zu bestimmen, so macht der Codex jetzt allen Kontroversen ein Ende, indem er eine große Liste solcher Fälle auf stellt, die wohl als er-schöpfend anzusehen ist. Alle Angelegenheiten also, die der Codex nicht als solche qualifiziert, bedürfen hinfort keines Spezialmandates mehr.A. Was zunächst das rein spirituelle, mitunter das „forum

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internum“ mitberührende Gebiet anbetrifft, so bedarf der G.-V. ein Spezialmandat:1. zur Reservation von Sünden (can. 893 §1) ;2. zur Rekonziliation von Häretikern, Schismatikern und Apostaten (can. 2314 §2);

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3. zur Gestattung einer Gewissenehe (can. 1104);4. zur Konsekration von Kirchen, öffentlichen Kapellen und Altären (can. 1155 §1), wobei weitere Voraussetzung ist, daß er die Bischofsweihe besitzt, da durch das Spezialmandat nur seine Jurisdiktionsgewalt erweitert, nicht aber ihm Weihegewalt übertragen wird. Die Benediktion einer Kirche kann der G.-V. dagegen auf Grund seiner gewöhnlichen Amtsrechte vornehmen und bedarf dazu keines Spezialmandates }5. zur Kirchenbauerlaubnis (can. 1162 § 1) — nicht dagegen zur Setzung und Benediktion des Grundsteines, die ein Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist und dem Ordinarius loci (mithin auch dem G.-V.) schlechthin zusteht;6. zur Festsetzung vonZelebrationsgebühren (can. 1303 §3);7. zur Echtheitiserklärung von Reliquien (can. 1283 § 2 und can. 1285 §1) ;8. auch in Heilig- und Seligsprechungsprozessen gilt er nicht als Ordinarius ohne Spezialmandat (can. 2002).B. Auf dem Gebiet der allgemeinen Kirchenverwal- tung bedarf der G.-V. eines Spezialmandates:1. zur Einberufung der Diözesansynode (can. 357 § 1);2. zur Errichtung kirchlicher Vereine (can. 686 § 4);3. zur Exkardination und Inkardination von Klerikern (can. 113);4. zur Erteilung von Weihedimissorien (can. 958 § 1);5. zur Verleihung von kirchlichen Ämtern (can. 152);6. zur Ernennung von Pfarrern (can. 455 § 3);7. zur Amotion von Pfarrvikaren (can. 477 § 1), während zur Ernennung solcher Vikare allem

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Anschein nach kein Spezialmandat nötig ist.

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8. Auch, hat der G.-V. ohne Spezialmandat nicht das Recht, Strafen zu verhängen (can. 2220 § 2). Der G.-V. kann auch, ohne Spezialmandat, keine Strafen erlassen. Hof mann61 behauptet dies zwar, gibt aber keinen Grund an. Es ist auch keiner einzusehen, abgesehen vom allgemeinen Grundsatz: derG.-V. ist zu allem befugt, was ihm

nicht ausdrücklich durch das Recht oder den Bischof entzogen ist. Dies ist freilich in diesem Punkt indirekt der Fall: Strafen kann er nur mit Spezialmandat verhängen, und da Straf- und Begnadigungsgewalt Korrelate sind, so wird man auch für das Begnadigungsrecht des Generalvikars ein Spezialmandat fordern müssen. Um so mehr, als die Begnadigung eine „violatio legis“ darstellt, wo der G.-V. doch zum Strafen „secundum legem“ schon eine Erweiterung seiner Vollmachten braucht!C. Auch im Benefizialrecht

begegnen uns eine Reihe von Fällen, in denen ein Spezialmandat erforderlich ist zur Erweiterung der Amtsvollmachten des G.-V.:1. die Errichtung von Benefizien (can. 1414 § 3) ;2. die Union von Benefizien (can. 1423 § 1);3. ihre Verleihung (can. 1432 § 2) ;4. die Gestattung eines Benefizientausches (can. 1487 § 1);5. die Erteilung der Institution an einen Präsentierten (can. 1466 §2).Es sind also eine ganzie Reihe von Angelegenheiten, und

besonders wichtige und häufige darunter, die ein Spezialmandat verlangen. Gerade die Häufigkeit mancher Fälle, z. B. die Erteilung von Ex- und Inkardinationen, von Weihedimis- sorien, sowie Benefizienverleihungen, läßt uns fragen nach der Form des Spezialmandates. Die Aufzählung aller Fälle der Ermächtigung im Bestallungsdekret ist nicht nötig,

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überhaupt Sehr iftform, auch bei der Einzelbevollmächtigung, nicht notwendig. Es ist sehr wohl denkbar, daß der Bischof den G.-V. mündlich oder schriftlich bevollmächtigt „zu allem, was ein Spezialmandat verlangt“.232 Doch widerspricht diese Praxis eigentlich dem Sinn des ganzen Institutes, da doch die vorgesehenen Spezialmandate nicht durch ein Generalmandat ersetzt werden sollen. Der Codex wünscht ja gerade in den wichtigeren Fällen die Rücksprache mit dem Bischof, damit dieser eine spezielle Bevollmächtigung erteilen, oder wenn

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Über diese bisher öfters geübte Praxis, vgl. Stutz a.a.O. S. 298.

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er da« lieber will, die Sache selbst erledigen kann. Und dieser Wunsch des Gesetzbuches wird vereitelt, wenn der G.-V. durch ein derartiges Generalmandat zum „Procurator generalis cum libera“ gemacht würde. Das Recht engt ja deshalb die Macht des G.-V. so vielfach ein, um den Bischof nicht zum Schattenherrscher seiner Diözese zu machen; es will ihm die Möglichkeit geben, seine Regierungskraft und seinen Regierungswillen in der ihm zusagenden Weise zu betätigen, durch eine wenigstens dirigierende Oberaufsicht und Vollmachtserteilung an das ausführende Organ, den Generalvikar. Andererseits wird man aber auch nicht in jedem Fall ein Gesuch um das Spezialmandat fordern dürfen. Sonst wird auch durch diese Übertreibung die ratio legis zunichte gemacht, indem der Bischof dann doch mit jeder Angelegenheit behelligt würde. Die ideale Lösung dürfte die sein, daß dem G.-V. schriftliche Vollmacht erteilt wird für eine Reihe gleichartiger , häufig anfallender Angelegenheiten, wie z.B. Benefizienverleihungen, Weihedimissorien, Inkardinationen, Aufnahme von Konvertiten und dergleichen, die in der Vollmachtsurkunde namentlich und erschöpfend aufzuzählen wären. Es wird damit einerseits die Überlastung des Bischofs, andererseits auch eine Unklarheit über die Vollmachten des G.-V. vermieden. Bestehen dennoch Zweifel über die Reich-weite der Spezialmandate, so sollen sie durch persönliche Rücksprache geklärt werden. Der Codex will überhaupt eine solch enge Verbindung von G.-V. und Bischof, dem über alles Wichtigere ständig referiert werden soll (can. 369 § 1).

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III. Welches sind nun die Rechte, die dem G.-V. ohne besonderen Auftrag, auf Grund seines Amtes, zustehen? Dem G.-V. wird das Recht zur Visitation „vi officii“ zuzubilligen sein. Denn da die Visitation zu den Rechten des Bischofs gehört, so steht sie in gleicher Weise seinem G.-V. zu, da von einer Reservierung für den Bischof oder der Notwendigkeit eines Spezialmandates nirgends die Rede ist. Eine Vertretung durch den Weihbischof — weil etwa die Visitation ein höchst-persönliches Recht der konsekrierten Bischöfe sei, — ist von

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dem kirchlichen Recht nicht beabsichtigt. „Episcopus“ ist hierin can.343 § 1 synonym mit „Ordinarius loci“ gebraucht.233 Und daß faktisch die Visitation häufig vom Weihbischof gehalten wird, erklärt sich einfach damit, daß man Visitationsund Firmungsreise verbindet. Hält der Weihbischof aber die Visitation, so ist er bloß „alius“ im Sinne des can. 343 § 1, also bloß Delegat. Eine solche bloß delegierte Gewalt möchte Stutz234 auch für den visitierenden G.-V. annehmen: „Wird der Generalvikar damit beauftragt (nämlich mit der Visitation), so ist er wie dieser (nämlich der Weihbischof) nicht kraft seines Amtsauftrages, sondern als bischöflicher Delegierter tätig. Die Nennung des Generalvikars in can.343 § 1 geht nicht sowohl auf diesen, als vielmehr auf die Person, die gerade das Amt des Generalvilcars bekleidet.“ Diese These ist aJber abzulehnen aus denselben Gründen, die gegen die unglückliche Lehre von der „delegatio intuitu officii vicaria- tus“ vorgebracht wurden. Der Codex will vielmehr in can. 343 nur betonen: in erster Linie ist der Bischof zur Visitation berufen, aber Stellvertretung ist möglich. Der geborene Stellvertreter ist der Generalvikar — und diesen nennt can. 343 beispielsweise. Als Ordinarius wird der G.-V. auch in diesem Fall potestate ordinairia vicaria tätig, eben auf Grund seiner allgemeinen Amtsbefugnisse. Aber noch eine weitergehende Stellvertretung ist möglich, denn es kann auch ein „anderer“ visitieren, also z. B. auch der Weihbischof. Diese „alii“ 233 can. 343 § 1: . . . tenentur Episcopi

obligatione visitandae quotannis dioecesis vel ex toto vel ex parte, ita ut saltem singulis quinquenniis uni- versam vel ipsi per se vel, si fuerint legitime impediti, per Vicarium Generalem aliumve lustrent.234 a. a. O. S. 303 mit Anm. 3.

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sind freilich bloße Delegaten, weil eine Visitation in keiner Weie in deji Bereich der ihnen eigentümlichen Amtsgewalt fällt. So der klare Sinn des can.343 § 1 — dem G.-V. kann also das Recht zur Visitation, und zwar potestate ordinaria vicaria, bei Verhinderung des Bischofs, nicht abgesprochen werden. Das Visitationsrecht des G.-V. ergibt sich aber noch aus einem anderen Grund. Denn er übt ja, in derselben Weise wie der Bischof dessen Recht zur Aufsicht über Lehre, Kultus, Lebensführung der Geistlichen, über die Religiösen (soweit hier die Rechte des Ordinarius nicht beschränkt sind), über die Vereine, über die Vermögensverwaltung der Einzelkirchen-, Anstalts-, Genossenschaftsvermögen, sowie über die Ausführung von Testamenten und Stiftungen zu frommen Zwecken. Das vornehmste Mittel zur Durchführung dieser den Bischof und den G.-V. treffenden Aufsichtspflicht ist neben der einzufordemden Rechnungslegung (in Vermögenssachen) die Visitatio personarum et locorum. Darum steht also die Visitation dem G.-V. auf Grund seiner elementarsten Amtsbefugnisse zu.Auf Grund seines Amtes kann der G.-V. Apostolische Re- scripte ausführen, welche dem Bischof zur Execution zugestellt werden. Er kann auch als Delegat des Apostolischen Stuhles, nicht als Subdelegat des Bischofs, von den bischöflichen Quinquennalfakultäten Gebrauch machen. Es ist dies in einer ganzen Reihe von Entscheidungen, ausgesprochen worden; doch betonen die Quellen, daß zum erlaubten (nicht zum gültigen!) Gebrauch dieser Fakultäten in wichtigeren Fällen der Bischof verständigt werden solle, wie es sich aus der vom Codex

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gewünschten engen Zusammenarbeit (vgl. can. 369) von Bischof und G.-V. von selbst ergibt.65 Auch das Recht, Gnaden zu erweisen, steht ihm zu (can. 369); doch kann er gültig nicht solche Gnaden erteilen, die der Bischof verweigert hat (can. 44 §2), da durch die bischöfliche Ent-scheidung die Angelegenheit definitiv erledigt, der G.-V. in der Sache ausgeschaltet ist.

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Auf Grund seines Amtes stehen dem G.-V. ferner gewisse Ansprüche und Ehrenrechte zu. So hat er Anspruch auf Zahlung eines Gehaltes,, da ja mit seinem Amt keine Benefizial- einkünfte verbunden sind, und er andererseits nicht zu un-entgeltlicher Tätigkeit verpf lichtet ist. Das Gehalt kann nicht bestehen in einer Anweisung auf die Kanzleigebühren, um betrügerische Unregelmäßigkeiten zu vermeiden.235 Vielfach bestehen auf Grund eines Konkordates Verpflichtungen des Staates zur Zahlung oder Ergänzung des Gehaltes.236

235 Vgl. die Encycl. des S. Off. vom 20. Februar 1888 (Gasparri, Fontes IV p.434); Decr. des S. Off. vom 22. August 1906 (Gasparri, Fontes IV p. 546—547) : Quo posito, petit utrum recte sentiant D. D. qui affirmant... ipsum Vicarium absque ulla delegatione vel communicatione facta ab Cpiscopo gaudere praedictis facultatibus eisque servatis servandis sem- per valide uti. Resp. Affirmative, quoad facultates de quibus in dubio proposito, servato tarnen, quoad licitum usum, debito subordinationis officio erga proprium Epifecopum.236 Bayern hat sich verpflichtet, dem Generalvikar e^Qe Dienstentschädigung anzuweisen, vgl. Konk. vom 24. Januar 1925, art. 10 § 1 c. (AAS XVII, p. 48). Preußen besoldete ihn gleichfalls auf Grund der Bulle „De salute animarum“ vom 16. Juli 1821 (Mercati, Raccolta p. 663). Das neue Konkordat bestimmt in seinem Art. 4 nichts über die Dienstentschädigung des G.-V. Sie bleibt näherer Vereinbarung Vorbehalten gem. Art. 4, Abs. 1. In den Ländern der oberrhei nischen Kirchenprov. war es nicht einheitlich geregelt: in Mainz war für den Generalvikar ein Gehalt ausgesetzt (Mercati, Raccolta, p. 672); in Rottenburg sollte der Kanoniker oder Dignitär, der zugleich Generalvikar war, eine Zulage erhalten (Mercati, Raccolta, p. 673). Vgl. für die Gehaltszahlungen auf Grund dieser Bestimmungen vor dem Kriege: Kirchliches Handbuch VI, S. 419.

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Unter den Ehrenrechten des G.-V. ist das wichtigste die Präzedenz vor allen Klerikern der Diözese, die Dignitäre der Kapitel nicht ausgenommen. Diese Regelung tut in keiner Weise wohlerworbenen Rechten und Privilegien der Kano-niker und Dignitäre Abbruch. Der Codex will grundsätzlich die innere Verfassung der Kapitel in keiner Weise modifizieren (can. 393, 408). Aber bei der Feststellung der Präze- denzordnung handelt es sich gar nicht um interne Verfas-sungsfragen des Kapitels, sondern um Dinge, an denen die Öffentlichkeit interessiert ist. Durch die Vorschrift des can. 370 über den Vortritt des G.-V. wird denn auch der erste Dignitär in seiner Stellung innerhalb des Kapitels nicht beeinträchtigt. Er wird nicht zum zweiten Dignitär herabgedrückt, sondern bleibt, was er ist, nur daß er das Recht des

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Vortritts vor allen anderen Klerikern an den G.-V. verliert. Würde man das nicht zugeben, so wäre ja die Vorschrift des can. 370 in all den Fällen gegenstandslos, wo der G.-V. nicht zugleich der erste Domdignitär wäre. Es macht für die Frage nach dem Vortrittsrecht des G.-V. auch nichts aus, ob er als Kanoniker oder als G.-V. (etwa als Protonotar) gekleidet erscheint. Can. 370 ist nur die Anwendung der Regel des can. 106 auf den Spezialfall. Demgemäß hat der G.-V. den Vortritt: 1. weil er die Person des Bischofs vertritt, 2. weil er Jurisdiktion über alle Kleriker der Diözese ohne Aus-nahme hat.237 Der G.-V. hat im Chor und bei Handlungen des Kapitels den Vortritt auch dann, wenn er nicht Kanoniker sein sollte.238 Es soll ihm im Chor ein besonders bevorzugter Platz angewiesen werden, wie es beim Besuch von Apostolischen Gesandten und auswärtigen Bischöfen üblich ist.239

237 Vgl. die Entsch. der S. Congr. Conc. vom 17. Mai 1919 (AAS XI 349): Konkordatäre Berechtigungen gehen natürlich gem. can. 3 der Bestimmung des can. 370 vor; so ist in Spanien die Präzedenz des Kapitelsde^ kans konkordatär festgelegt (vgl. Wernz-Vidal no642, Anm. 30).

238 Entsch. der S. Congr. Conc. vom 15. Dez. 1923 (AAS XVI, p. 371 f.).239 Vgl. Caeremoniale Episc. I, 13 cap. 9—12.

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Für die Dauer seiner Amtsführung hat der G.-V. die Rechte des Apostolischen Protonotars der vierten Rangklasse. Er hat also das Recht, wenn er nicht Dignitär oder Kanoniker ist und deren Amtstracht bevorzugt, im Chor das Kleid der Protono- tare zu tragen, d. h. den schwarzen Talar mit der Cauda, die jedoch nicht entfaltet werden darf, sowie Rochett und Man- telet. Er macht als Titularprotonotar vor Kreuz und Bischof keine Kniebeugung, sondern nur Inklination, und hat das Recht auf Inzensation in zwei Zügen. Auch außerhalb der Diözese kann der G.-V. von diesen Rechten und Privilegien Gebrauch machen; Voraussetzung dafür ist, daß er seine Ernennung dem Kolleg der Protonotare „de numero participan- tium“ mitgeteilt und vor dem eigenen Ordinarius Glaubensbekenntnis und Treueid abgelegt hat. Unterläßt er das, so kann er nur innerhalb seines eigenen Gebietes seine Privilegien ausüben.240

240 Vgl. Motuproprio PiusX: „Inter multiplices“ vom 21. Februar 1905 (Gasparri, Fontes III p. 633 ff.).

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Eine Sonderstellung nimmt der Kardinalvikar von Rom ein. Er ist in allem ein Generalvikar des Papstes als Bischofs von Rom, nur daß er regelmäßig in seiner Person die Funktionen des Weihbischofs mit den generalvikarialen Befugnissen vereinigt. Ausserdem erlischt sein Amt nicht mit der Vakanz des päpstlichen Stuhles.241 Der Grund dafür liegt darin, daß er nicht in so engem Verhältnis zum Papst steht, wie der G.-V. zum Bischof: der Kardinalvikar ist ja nicht „pro- curator generalis“ des Papstes, sondern nur mit der stellver-tretenden Wahrnehmung eines verhältnismäßig unwichtigen Teiles der päpstlichen Obliegenheiten betraut: mit der Stellvertretung des Papstes als Hirt der Diözese Rom. Ein Vertreter (wenn auch kein procurator generalis) des Papstes, der eher mit dem G.-V. aus sachlichen und besonders historischen Gründen verglichen werden könnte, ist der Kardinal- Staatssekretär. Beim Kardinalvikar erlischt auch das Amt des Stellvertreters, des Vicegerente, nicht mit der Vakanz des Kardinalvikariates,242 wenngleich sonst der Vicegerente ähnliche Befugnisse hat wie sonst ein G.-V.: er ist also gewissermaßen Generalvikar eines Generalvikars. Das Recht kennt solche dauernde Stellvertretung eines gewöhnlichen G.-V. nicht, wenngleich es dem Bischof freisteht, zeitweise einen Ersatzmann für den G.-V. zu ernennen (can. 366 §3). Der Kardinalvikar hat auch insofern eine bischofsähnliche Stellung, als er ordentlicher Richter ist und sich in Prozeßsachen durch einen Quasioffizial („Auditor“) vertreten

241 Const. Vacante Sede (App. C.I.C.) cap. 3 no 19.242 Man kann davon in diesem Fall

sprechen, weil es sich beim Kardi-nalvikariat, anders als sonst beim Amt des G.V., um ein fest und dauernd errichtetes „officium“ handelt.

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läßt.243 Durch die Konstitution „Etsi nos“ vom 1. Januar 1912ist das Vikariat von Rom in vier „Officia“ eingeteilt worden: für den Kultus, für Disziplinarsachen, für Gerichtssachen, für die Finanzverwaltung. An ihrer Spitze stehen der Kommissar (Vicegerent), Assessor, Auditor, Präfekt. Für den Bereich der aus der Diözese Rom exemteln Cittä del Vaticano ist ein zweiter Generalvikar des Papstes einge-setzt worden.Werfen wir einen kurzen

Rückblick auf das Amt, die Juris-diktion, die Befugnisse des G.-V., wie sie sich nach dem Codex darstellen. Eine ungeheuer wichtige Materie ist durch die Arbeit der Redaktoren aus dem Kampf des gelehrten Streites, aus der Unklarheit praktischer Kompetenzabgrenzungen, aus der verwirrenden Vielfalt partikularer Bestimmungen und Gewohnheiten hinausgehoben worden in die Klarheit festgefügter rechtlicher Ordnung. Denn mag in manchen Einzelheiten noch Spielraum für die Arbeit der Wissenschaft gelassen worden sein: im allgemeinen steht das Bild des G.-V., wie ihn das Recht der Kirche denkt und will, scharf umrissen vor uns. „Es ist beachtenswert, daß das neue Gesetzbuch uns zum ersten Male eine gemeinrechtliche Regelung dieses wichtigen Amtes bietet. Dasselbe gehört nicht zu dem alten, ins hohe Mtfttelalter zurückreichenden Rüstzeug der Kirche . . . Die Doktrin und vor allem die Praxis . .. sind es gewesen, die die für die Stellung des Generalvikars maßgebenden gemeinrechtlichen Grundsätze entwickelt haben. An diese, aus Lehre und Leben geborenen Sätze hält sich im allgemeinen der Codex. Indem er sie kurz zusammenfaßt und ausbaut,

243 Vgl. die Const. „Etsi nos“ vom 1. Jan. 1912, no 58 ff. (AAS IV, p. 19).

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erhebt er, was bisher nur ,vigens Ecclesiae dis- ciplina* war, zum Kirchengesetz und stellt es auf sichere Grundlage. Schon das bedeutet einen Fortschritt/475 In der Tat ein Fortschritt! Die rechtsbildende Arbeit fast eines Jahrtausends ist zusammengefaßt, um von der neugefestigten Grundlage aus eine möglichst wirksame Arbeit zu ermöglichen. Unter modernen Gesichtspunkten haben die Redakto-75 Vgl. Stutz a. a. O. S. 283f.

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ren geschaffen: Trennung richterlicher und administrativer Tätigkeit. Sie haben dem Amt eine feste Grundlage gegeben. Sie haben Übersichtlichkeit geschaffen im weitverzweigten System der Sondervollmachtsangelegenheiten. Gerade die letztere Regelung ist es, die der rechtlichen Satzung jene Elastizität verleiht, die das Recht der weltumspannenden Kirche mehr denn ein anderes Recht braucht. Mit dem System der Reservate undSpezialmandate kann der Herr der Diözese sich den Mitarbeiter schaffen, den er wünscht und braucht. Und doch sinkt dieser nicht herab zur bischöflichen Kreatur, sondern seine Gewalt ist eine ordentliche Gewalt, sie wurzelt im Boden des allgemeinen Rechtes. In weiser Anpassung zieht der Codex nicht zu enge Grenzen, Raum lassend für territoriale Sonderart, für spezielle Bedürfnisse: doch kann es nur den einen Wunsch geben, daß die Praxis sich leiten lasse vom Geist des allgemeinen Rechtes und die Dinge gestalte nach jener allgemein verbindlichen „causa exemplaris“, nicht aber festhalte an Sonderbildungen, die in den tatsächlichen Verhältnissen keine Begründung finden.

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II. Kapitel.Der Offizial als

Stellvertreter des Bischofs im Gericht.

§ 1. Der Offizial als Einzelrichter.I. Amt und Amtsrechte des

Offizials.

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Der Bischof ist „vom Heiligen Geist gesetzt, die Herde Gottes zu regieren“. Ein notwendiger Bestandteil jeder Leitungsgewalt ist die Pflege der rechtlichen Beziehungen einer Gemeinschaft. Auf Grund göttlichen Rechtes ist er daher Richter in seinem Teilgebiet und zwar für alle Sachen, die ihm nicht durch die Rechtsordnung entzogen sind (can. 1572 § 1), weil der Papst als Ordinarius aller Bischöfe und Gläubigen von der Gewalt Gebrauch machen kann, gewisse Dinge vor sein Forum zu ziehen (can. 1569 § 1 u. 1570 § 1). Das Bestreben, die richterliche Gewalt des Bischofs als des Richters der ersten Instanz möglichst wenig einzuschränken, tritt deutlich hervor in den päpstlichen Kundgebungen aus neuerer Zeit.244 Freilich konnte der Bischof schon im frühen Mittelalter nicht mehr persönlich alle Sachen entscheiden, sondern war gezwungen, zur Ausübung seiner richterlichen Gewalt einen Stellvertreter, ja einen ganzen Behördenorgamismus zu bestellen. Ein Überblick über Ursprung und Entwicklung der bischöflichen Gerichte ist schon oben gegeben worden. Hier liegt es uns nunmehr ob, den Aufbau des Offizialates nach geltendem Recht zu behandeln.245

244

Vgl. die Const. Leos X.: „Regimini universalis“ vom 4. Mai 1515 (Gasparri, Fontes I p. 111) und die Const. Benedikts XIV „Ad militan- tis“ vom 30. März 1742 § 42 volumus . . . quod causae omnes, tarn civiles, quam criminales, ad forum ecclesiasticum pertinentes . . . coram Ordi- nariis locorum dumtaxat in prima instantia cognoscantur (Gasparri, Fontes I p. 731).245 Vgl. Eichmann, Kirchenrecht II S. 330 ff.; über alle Einzelheiten vgl. auch die Monographie von Eichmann; Das Prozeßrecht des Codex Jur.

Can., Paderborn 1921; Noval, De processibus, p. 56 ff., Vermeersch-

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Partikularrechtliche Sondergestaltungen finden sich jetzt viel weniger als früher und die

bunte Mannigfaltigkeit der Offizialats- und Konsistorial- verfassungen246 ist den Vorschriften des Codex gewichen, der die Einsetzung eines besonderen Offizials vorschreibt und die Besetzung in Form des Kollegialgerichtes für eine Reihe von Prozessen sogar zwingend vorschreibt.

CreusenHI, p. 13, Wernz-Vidal V, p.70; F.Roberti, De processibus, Rom 1926.246 Vgl. Kaas, Die Gerichtsbarkeit II

S. 265 ff.

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Wie sonst das Leben der Kirche, so ist auch ihre Gerichts-verfassung beherrscht vom hierarchischen Prinzip. Jedem Amtsträger in der Stufenfolge der Hierarchie entspricht eine Gerichtsbehörde, die als Appellationsinstanz des Unterge-richtes fungiert. So erhebt sich über dem Gericht der ersten Instanz, dem bischöflichen Offizialat, als zweite Instanz das Metropoliticum. Doch findet sich bei exemten Bistümern und Erzbistümern die zweite Instanz mitunter am Sitz des Bischofs selbst. Diese Regelung widerspricht aber der Rechts-vernunft, da beide Gerichte nur als Stellvertreter des Bischofs iudizieren, der selbst immer der eigentliche Richter bleibt: der Bischof in derselben Sache also eigentlich Richter der Vorinstanz und der Berufungsinstanz zugleich ist; die erwähnte Praxis steht außerdem im Widerspruch zu can. 1571. Als dritte Instanz erhebt sich über dem Metropoliticum (oder dem erwähnten bischöflichen Gericht der zweiten Instanz) die Rota Romana; wenigstens ist das die Regel, die freilich mitunter durchbrochen wird, z. B. in Bayern, wo auf Grund be-sonderer päpstlicher Delegation ein deutsches Diözesange- richt als Gericht der dritten Instanz eingeschaltet ist. Wenn aber auch das Metropoliticum als zweite Instanz übergeordnet ist, so steht doch diesem keinerlei Aufsichts- oder Dis- ziplinarrecht über das bischöfliche Gericht, bezw. den Offizial zu. Wenn die Parteien durch eine Nachlässigkeit oder ein Delikt des Offizials geschädigt sind, so kann sich das Metropoliticum nur an den Ordinarius des schuldigen Offizials wenden mit der Bitte um

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Abhilfe.247 Der schuldige Offizial kann vom Bischof in Strafe genommen werden (can. 1625). Wenn der Bischof selbst das Urteil gefällt hat, und ihn ein Verschulden trifft, so wäre die Strafe vom Apostolischen Stuhl zu verhängen. Das Amt des Offizials stellt sich also im Aufbau der Gerichtsverfassung als das Tribunal der untersten Stufe und der ersten Instanz dar. »

Es ist ein officium. Zwar hat auch hier der Codex keine feste Terminologie und redet bald von „munus“, bald von „officium“, aber der Charakter des Amtes legt es nahe, an ein „Amt“ im technischen Sinne, d. h. an ein officium zu denken: im Unterschied vom Generalvikar muß ein Offizial bestellt werden (can. 1573 §1). Das Amt ist also im Recht nicht bloß „in genere“ errichtet, sondern auch „in specie“ für jede einzelne Diözesankurie vorgeschrieben und mit objektiver Perpetuität ausgestattet. Es ist dem Belieben des Ordinarius entzogen, ob und wann er einen Offizial ernennt: er ist dazu verpflichtet, sobald eine „Vakanz“ des Offizialates eintritt, ein Begriff, der auf das Generalvikariat nur im uneigentlichen Sinne angewendet werden konnte, wie wir sahen. Näherhin ist das Amt des Offizials ein „officium minus, saeculare, eminenter sacrum“, weil der Offizial Weltgeistlicher und zwar Priester sein soll, wie weiter unten bei der Besprechung der persönlichen Qualifikationserfordernisse noch zu sagen sein wird.Wer das Recht hat, einen Offizial zu ernennen, ist vom

247 Vgl. Wernz-Vidal a.a.O. p. 75 no 74.

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C. I. C. nicht ganz eindeutig festgelegt. Noval248 meint, es stünde dieses Recht nur den gefreiten Äbten und Prälaten, sowie den eigentlichen Bischöfen zu, nicht aber den Apostolischen Vikaren und Präfekten. Denn es werde ausdrücklich in can. 1572 § 1 gesagt: „In unaquaque dioecesi . . . iudex primae instantiae est loci Ordinarius.“ Nun aber seien die Missionssprengel keine Diözesen im eigentlichen Sinn (can.215 § 2, 216 § 2) und deshalb finde can. 1572 § 1 keine An-wendung auf die Missionsprälaten. Demgegenüber ist zu sagen, daß can. 294 § 1 den Apostolischen Vikaren und Präfekten alle Rechte und Vollmachten gewährt für ihr Territorium, welche den Bischöfen in ihren eigenen Sprengeln zustehen, vorausgesetzt, daß es sich nicht um päpstlich reservierte Dinge handelt. Durch can. 294 § 1 ist also in dieser Beziehung der Unterschied zwischen Missionssprengel und Diözese beseitigt, und da weder ein Verbot des gemeinen Rechtes noch ein Reservat des Apostolischen Stuhles vorliegt, so ist nicht einzusehen, warum die Missionsprälaten nicht das Recht haben sollten, sich einen Offizial zu ernennen. Man kann sich auch nicht auf eine Analogie in der Bestellung eines Generalvikars durch die Missionsprälaten berufen, denen ja, wie oben dargetan ist, nur die Ernennung eines Vicarius Delegatus freisteht. Die Rechtslage ist hier eine andere: denn dort handelt es sich darum, daß der Missionsprälat, selber päpstli-cher Vikar, seine stellvertretende ordentliche 248 B a. a. O. p. 58 no 110.

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Gewalt in ihrer ganzen Fülle nicht generell auf einen anderen Vikar übertragen kann, wodurch auch dieser zum Ordinarius loci würde. Hier aber, bei der Bestellung des Offizials, wird nur eine Seite der bischöflichen Gewalt, die potestas iudiciaria, übertragen und der Offizial nicht zum Ordinarius loci gemacht, wenn er auch iudex Ordinarius ist nach can. 1573 § 1. Diese teilweise Übertragung seiner ordentlichen Gewalt kann aber auch der päpstliche Stellvertreter, der Missionsprälat, vornehmen. Man wird also „Episcopus“ in can. 1573 § 1 weit dahin zu interpretieren haben, daß auch die Apostolischen Vikare und Präfekten das Recht und die Pflicht haben einen Offizial zu ernennen.

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Der Offizial hat auf Grund seines Amtes stellvertretende, ordentliche Gewalt. Zum Unterschied vom G.-V. sind der Jurisdiktion des Offizials in seinem Gebiet vom Recht fast keine Schranken gezogen worden. Er kann konkurrierend mit dem Bischof in allen Sachen entscheiden, welche dieser sich nicht ausdrücklich Vorbehalten hat (can. 1573).Diese Reservation ist dem Bischof verboten in allen Pro-zessen, wo es sich um weltliche Güter und Rechte seiner Mensa oder seiner Diözese handelt (can. 1572 § 2),249 denn niemand soll Richter in eigener Sache sein. Mit diesen Prozessen sind nicht zu verwechseln Besch werden gegen Verwaltungsakte des Bischofs, bezw. des G.-V., die gar nicht Gegenstand einer Klage sein können. In diesen Sachen ist also der Offizial ausschließlich zuständig; in den Fällen der can. 1946 § 2 u. 1954 hingegen, wo es sich um die Einleitung eines Strafverfahrens handelt, kann der Offizial nur tätig werden auf Grund eines bischöflichen Spezialmandates. Es sind dies auch die beiden einzigen Fälle, wo er ein solches braucht: wir sehen den Unterschied zur Vollmachtsabgrenzung des G.-V., wo das Spezialmandat eine so außerordentlich große Rolle spielt. Wenn der Offizial tätig wird in einer Sache, die der Ordinarius sich Vorbehalten hat oder die nach der Rechtsordnung ein Spezialmandat verlangt, ohne jedoch ein solches zu besitzen, so ist sein Urteil nichtig und wird mit der 249 Derartige Prozesse sind an das

Diözesankollegialgericht oder an das Metropoliticum zu überweisen. Bezüglich des Verbotes einer Reservation solcher Sachen durch den Bischof vgl. die bereits oben zitierte Entsch. der S. R. Rota vom 8. August 1927 (AAS XX, p. 57).

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Nichtigkeitsklage der can. 1892 no3, 1893 angefochten.

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Der Offizial soll in der Regel hauptamtlich tätig sein: be-sonders soll eine Verbindung der Ämter von G.-V. und Offizial vermieden werden (can. 1573 § 1). Neben der Rücksicht auf die Arbeitsüberbürdung des G.-V. lässt die Möglichkeit eines Interessenkonfliktes zwischen freiwilliger und streitiger Gerichtsbarkeit, zwischen Verwaltung und Justiz, dies geraten erscheinen. Der Codex übernimmt damit, im Geist der Reformen Pius’X., den modernen Grundsatz von der Trennung beider Sphären auch für den kirchlichen Rechtsbereich. Er stellt ferner die Praxis, die im allgemeinen schon bisher in den transalpinen Ländern üblich war, unzweideutig als die dem gemeinen Recht entsprechende Übung fest. Der Kleinheit mancher Diözesen, besonders in Italien, trägt er

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hingegen Rechnung, wenn er in diesen Fällen eine Kompatibilität von Generalvikariat und Offizialat in einer Person zulässt. Daß mit der Anordnung der Trennung beider Ämter keine ,,Neuerung“ getroffen worden ist, wie vielfach be-hauptet wird, und daß die bisher herrschende Lehre von der Identität des G.-V. und Offizials auch nach dem alten Rechte bereits eine durchaus irrige ist, glauben wir im grundlegenden Teil bereits überzeugend nachgewiesen zu haben.Zur Unterstützung können dem

Offizial dauernde Stellvertreter, sog. Vizeoffiziale, beigegeben werden (can.1573 § 3). Ihre Ernennung ist sogar erwünscht, weil im Fall der Ablehnung des Offizials durch eine Partei wegen Befangenheit (can. 1604) oder im Fall, daß der Offizial sich selber für befangen erklärt, Ersatzrichter dasein sollen. Offizial wie Vizeoffiziale werden vom Bischof frei ernannt. Vor Antritt ihres Amtes haben sie den Amtseid zu leisten (can. 1621). Sie sind außerdem, wie alle übrigen Gerichtspersonen, zur Wahrung der Amtsverschwiegenheit verpflichtet, und zwar in Strafsachen unbedingt, in Zivilsachen dann, wenn aus dem Bruch der Verschwiegenheit der einen Partei Nachteile erwachsen könnten (can. 1623).

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Zum Richteramt sind eine Reihe von persönlichen Eigenschaften erfordert, die teils positiver, teils negativer Art sind. Ausgeschlossen sind alle jene, die nicht den vollen Besitz der Ehre oder der kirchlichen Mitgliedschaftsrechte haben: die an einer infamia iuris oder facti leiden (can. 1931, 2294, 2256 no2), alle Exkommunizierten (can. 2263) und generell Suspendierten (can. 2279 § 1 u. 2), womit selbstverständlich auch die Unfähigkeit von Häretikern, Schismatikern und Apostaten (can. 2314) für dieses Amt gegeben ist. Die Amts-handlungen der Genannten sind unerlaubt, und wenn die Verfehlung, bezw. Zensur durch deklaratorisches oder kon- demnatorisches Urteil festgestellt war, auch ungültig (can. 2264, 2284, 2294 §1). Unter denselben Voraussetzungen ist auch die Übertragung des Amtes unerlaubt und ungültig.

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Durch die Natur der Dinge ausgeschlossen sind alle die, welche sich nicht im Vollbesitz ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten befinden,250 ferner Laien,251 die zur Ausübung kirchlicher Jurisdiktion ja unfähig sind. An positiven Eigenschaften werden verlangt Priestercharakter, guter Ruf, bestimmtes Alter, akademische Graduierung. Das Erfordernis des Priestertums entspricht der allgemeinen Tendenz des Codex zu allen irgendwie wichtigen Ämtern nur Priester zuzulassen, deren abgeschlossene berufliche und asketische Vorbildung eine gewissenhafte und kluge Amtsführung eher verbürgt. Die Voraussetzung persönlicher Integrität und eines tadellosen Leumundes ist selbstverständliche Forderung für jeden Geistlichen, doppelt aber für den kirchlichen Richter, dessen Person jeglichen Angriffen entrückt sein muß im Interesse des Ansehens, der Wirksamkeit und der Vertrauenswürdigkeit der kirchlichen Rechtspflege. Das Alter von 30 Jahren und die akademische Graduierung (oder doch wirkliche Er-fahrung) sind gefordert für den Offizial als Stellvertreter des Bischofs — er soll die gleichen persönlichen Qualitäten ins 250 Vgl. die interessante

Aufzählung der Ausschließungsgründe im Speyerer Ordo „Antequam“; vgl. Riedner Otto, Die geistlichen Ge-richtshöfe zu Speyer im Mittelalter, 1915 II, 5 ff.: Tria sunt, quae impe- diunfc aliquem esse iudicem: natura, lex et mores. Natura prohibet sur- dum, mutum et furiosum esse iudicem. Lex prohibet excommunicatum, irregulärem, hereticum, paganum esse iudicem. Mores prohibent mulie- rem esse iudicem propter ipsius inconstantiam.251 Vgl. AAS XI, 128 ff.

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Richteramt mitbringen wie dieser. Wie jeder Richter, so kann auch der Offizial wegen Befangenheit im Einzelfall ab- gelehnt werden; die Gründe prüft der Bischof (can. 1614 §l).252 Derartige Gründe zur Ablehnung wegen Befangenheit sind Blutsverwandtschaft zwischen Offizial und einer Prozeßpartei in allen Graden der direkten und bis zum zweiten Grade der Seitenlinie; ferner ein Vormundschafts- und Pflegschafts-

Verhältnis, enge Lebensgemeinschaft und Vertrautheit zwischen dem Offizial und einer Prozeßpartei; endlich kann Befangenheit geltend gemacht werden in allen Fällen, wo der Offizial an der Streitsache irgendwie interessiert ist (can. 1613).Wie der Bischof den Offizial frei ernennt, so kann er ihn

auch jederzeit vom Amt entheben — natürlich unter Wahrung der natürlichen Billigkeit und aus gerechter Ursache (can. 192 § 3).253 Gegen die Enthebung ist Rekurs an den Apostolischen Stuhl (aber ohne Suspensivwirkung) und Klage wegen des durch die diffamatio verursachten sachlichen und intellektuellen Schadens („dommage moral“) zulässig. Neben dieser freien Amotion ist natürlich noch die Amtsentsetzung auf Grund richterlicher Sentenz möglich.254 Die Jurisdiktion des Offizials

252 c. 4 in VIo 1, 14: . . . recusationis causa coram episcopo est pro- banda. Idem est, si iofficialis recusetur eiusdem, licet ad ipsum ab eodem officiali nequeat appellari.253 Vgl. die betreffs der Entlassung des Generalvikars gefällte Ent-scheidung der Rota vom 19. Juni 1911 (Dec. S. R. Rotae Dec. XXVI, Bd. III, p. 275).254 Vgl. die Gründe einer privatio

officii oben S. 92 Anm. 33.

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endet, zum Unterschied vom G.-V., nicht mit der Sedisvakanz. Um des ungestörten Fortgangs der Rechtspflege willen, also aus praktischen Gründen, überlebt er den Bischof (can. 1573 § 6) ; seine Jurisdiktion ist also gesetzlich verlängert für die Zeit der Sedisvakanz. Freilich auch er ist zu sehr als Gehilfe und Vertreter an die Person seines Ordinarius gebunden, als daß die Sedisvakanz ganz ohne Einfluß auf sein Amt bleiben könnte. Er bleibt zwar im Amt, kann auch vom Kapitelsvikar nicht entfernt werden, er bedarf aber der Bestätigung des Nachfolgers. —

II. Das Verhältnis von Bischof und Offizial.

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Wir haben im Vorausgehenden das Amt des Offizials, seine Rechte und persönlichen Qualitäten behandelt und müs-sen nun noch eingehen auf sein Verhältnis zum Bischof. Der Bischof ist „iudex Ordinarius“ seiner Diözese, doch wünscht der C.I.C. offenbar nicht, daß er sich allzusehr in die Rechts-sprechung einmische (vgl. z. B. can. 1578). Im Unterschied vom

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Amt des G.-V. ist das Amt des Offizials obligatorisch.. Für eine Reihe von Sachen ist sogar der Offizial allein zur Erledigung berufen und nicht der Bischof (can. 1572 § 2); für alle übrigen Angelegenheiten ist er vollkommen unabhängig und an kein Spezialmandat des Bischofs gebunden, mit Ausnahme der Strafsachen (can. 1946 § 2, 1954). Es würde das auch nur den neuzeitlichen Bestrebungen in Staat und Kirche entsprechen, die eine möglichst weitgehende Trennung von Justiz und Verwaltung wünschen und eine „Kabinettsjustiz“ zu vermeiden suchen. Die Unbefangenheit des Bischofs, der zugleich Verwaltungs- und Regierungschef ist, könnte zu leicht durch administrative und kirchenpolitische Erwägungen getrübt sein; andererseits will man dem Bischof, dem geistli-chen Vater seiner Diözesanen, auch das Odium abnehmen, das mit der Rechtspflege verbunden ist. Das bischöfliche Amt soll aus der Leidenschaft der streitenden Parteien, aus einer auch im kirchlichen Rechtsbereich möglichen „Vertrauenskrise der Justiz“ durchaus entrückt bleiben. Zu beachten bleibt freilich, daß diese tatsächliche Entziehung der Gerichtssachen aus der Einflußsphäre des Bischofs nicht in einem falschen Sinn gedeutet werden darf. Eine Analogie zur Stellung der staatlichen Gerichte ist durchaus unzulässig. Grun d- sätzlich bleibt der Bischof „iudex Ordinarius“ seiner Diözese und kann alle Sachen in jedem Stadium des Prozesses bis zur definitiven Sentenz vor sein persönliches Forum ziehen. Auch die Unabhängigkeit und Unabsetzbarkeit des Richters kennt das Kirchenrecht nicht. Die Rechtspflege soll eben, wie

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die Verwaltung, in Unterordnung unter den Bischof und nicht selbstherrlich geführt werden: denn in seiner Person vereinigt sich die Fülle der Gewalt im Bereiche seines Territoriums. Der Offizial ist nur Stellvertreter des Bischofs, hat aber wie der Generalvikar ordentliche Gewalt — Ordinarius loci ist er freilich nicht, weil er den Bischof nicht allseitig vertritt, kein Vicarius generalis ist, sondern Vertretungsmacht nur für einen bestimmten Bereich hat, darin ähnlich dem Pönitentiar. Da er in Ausübung seiner richterlichen Ge

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walt „mit dem Bischof auf demselben Stuhle sitzt“, so ist naturgemäß von seinem Tribunal keine Appellation an den Bischof möglich, c. 2 in Vio 1, 4: Non putamus illam consue- tudinem . . . consonam rationi, quod ab officiali episcopi ad eundem episcopum valeat appellari: ne ab eodem ad seipsum quum sit idem auditorium utriusque, appellatio interposita videatur. Vgl. ferner die bereits zitierten Stellen: c. 3 in VIo2, 15 u. c. 4 in Vio 1,14, sowie die Entscheidung der S. R. Rota vom 5. Juli 1910: Iure canonico autem Officialis Episcopi, qui integram habet, immo eandem, Episcopi iurisdictionem cen- setur unum idemque tribunal cum Episcopo constituere, et hinc est Ordinarius et non datur ab eo ad Episcopum appellatio.255 Zu beachten ist, daß diese vor dem CIC ergangene Entscheidung den Offizial als Ordinarius bezeichnet, während der Codex diesen Ausdruck auf den Offizial nicht anwendet, wohl um den Irrtum zu vermeiden, als sei der Offizial Ordinarius loci, sondern ihm lediglich potestas ordinaria zu-schreibt. Die früher vielfach übliche „Bestätigung“ der Urteile des Offizials durch den Bischof ist gänzlich überflüssig, zeugt vom Mißverstehen der Rechtslage und ist nach dem neuen Recht nicht mehr angängig. Die Gewalt des Offizials unterliegt denselben Einschränkungen, wie die bischöfliche Gerichtsgewalt, in territorialer (can. 201 § 2 u. can. 1637) und sachlicher Hinsicht (can. 1557 u. 1569).III. Das Verhältnis von Generalvikar und Offizial.

255 Lega, Dec. X no 6, p. 149.

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Welche Parallelen bestehen zwischen Generalvikar und Offizial? Beide sind Hilfsbeamte des Bischofs, ausgestattet mit ordentlicher stellvertretender Gewalt. Beide sind rechtlich identisch mit dem Ordinarius, sein Alter ego — Rekurs, bezw. Appellation gegen ihre Entscheidungen sind daher nicht möglich. Beide werden frei vom Bischof ernannt und beide sind „ad nutum“ amovibel. Bei beiden werden dieselben Amtseigenschaften gefordert: Priestercharakter, qualifizier

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tes Alter, akademische Graduierung. Es sind aber auch wesentliche Unterschiede vorhanden. Der G.-V. ist Stellvertreter des Bischofs seiner ganzen Gewaltfülle nach, er ist wie dieser Ordinarius loci — der Offizial ist nur Stellvertreter für die Gerichtssachen, ist nicht Ordinarius loci. Das Amt des G.-V. kann nach Gutdünken des Bischofs und nach Maßgabe der Verhältnisse errichtet werden, das Amt des Offizials ist pflichtgemäß. Der Umkreis der Jurisdiktionsvollmachten ist beim G.-V. sehr variabel, durch das Erfordernis des Spezialmandates können die Grenzen nach dem freien Ermessen des Bischofs weit oder eng gesteckt werden. Das Amt des G.-V. erlischt von selbst bei eintretender Sedisva- kanz, der Offizial überlebt (unter gewissen Modifikationen) den Bischof. Der G.-V. hat Rang und Vortritt vor allen anderen Priestern der Diözese, mit seinem Amt ist ein päpstlicher Titel verbunden — der Offizial hat als solcher keinerlei Prä- zedenz- und Ehrenrechte. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß G.-V. und Offizial nicht aiuf derselben Stufe stehen, daß ihre Ämter nicht von gleicher Bedeutung und gleichem Wert sind. Der G.-V. hat bischöfliche Herrschaftsrechte über Klerus, Volk, Gebiet der ganzen Diözese — der Offizial hat nur den ihm zugewiesenen Aufgabenkreis zu bearbeiten. Er ist einer der vielen bischöflichen Stellvertreter, wie der Pöni- tentiar und der Weihbischof es sind — nur daß sein Amt von der Rechtsordnung, seiner größeren Bedeutung halber, eine eingehendere Behandlung gefunden hat. Der Offizial ist also sozusagen Beamter, während der Generalvikar Mitregent minderen Rechtes ist.

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§ 2. Der Offizial als Haupt des Kollegialgerichtes.

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Eine wesentliche Eigenschaft des Offizialamtes ist es, daß es schon frühe nicht bloß die Amtsgewalt eines einzelnen Mannes verkörperte, sondern zur Behörde, zum Offizialat ausgeweitet wurde. So darf denn auch nach geltendem Recht in einer Reihe von Sachen, und zwar gerade den wichtigtsen und häufigsten, der Offizial nicht als Einzelrichter tätig wer

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den, sondern als Haupt des bischöflichen, kollegial besetzten Gerichtes, wo er nur „primus inter pares“ ist.Auch wenn der Offizial als Einzelrichter fungiert, ist es ihm unbenommen, noch andere Personen zu seiner Unter-stützung hinzuzuziehen. Unter diese Hilfspersonen des Offizials sind die Assessoren zu rechnen. Sie müssen aus der Zahl der Synodalrichter genommen werden (can. 1575). Die Bestellung eines Laien256 ist also nach dem geltenden Recht nicht mehr zulässig, was früher öfter geschah,257 weil der Priestercharakter notwendige Voraussetzung zum Amt des Synodalrichters ist. Das Amt der Assessoren ist kein öffentliches (lediglich ein „munus“), sie haben keine Jurisdiktion, sondern sind lediglich Rechtsberater des Offizials. Gerade aus der Tatsache, daß sie keine Jurisdiktion ausüben, wurde von der früheren Doktrin die Zulässigkeit von Laien als Assessoren begründet.258 Da sie naturgemäß durch ihre beratende Tätigkeit einen großen Einfluß auf die Fällung des Urteils ausüben, so können sie wegen Befangenheit von den Parteien abgelehnt werden. Die Kosten der Beiziehung haben die Parteien zu tragen, da der Richter in der Berufung von Assessoren von einem Rechte seines Amtes Gebrauch macht, und der Assessor nicht zu seiner privaten Inf ormation dient.259

256 Über die Frage der Teilnahme von Laien am kirchlichen Gericht überhaupt vgl. die weiter unten besprochene Entscheidung der S. Congr. Conc. vom 14. Dezember 1918.257 Vgl. Kaas, a. a. 0. und Müller,

a.a.O.258 Vgl. Wernz, Jus decr. VI no 148 und Reif f enstuel, Jus can. II, c. 1 no 2.259 Da der Codex über diese Punkte schweigt, so ist c. 11 § 5 in VIo 1, 3 ergänzend heranzuziehen.

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Dem Offizial können ferner, sowohl als Einzelrichter wie als Präsident des Kollegialgerichtes Auditoren beigegeben werden. Im Einzelfall kann der Offizial selbst einen Auditor bestellen. Sie sind immer der Zahl der Synodalrichter zu entnehmen (can. 1581). Die Auditoren sind Hilfsrichter, denen die Instruktion und Exekution von Prozessen, die Füh

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rung der Untersuchung, Zeugenverhöre und dergleichen übertragen werden können (can. 1582). Als Instruktionsrichter haben die Auditoren für diesen Teil des Prozesses jurisdik- tionelle Gewalt, freilich nicht ordentliche auf Grund ihres Amtes, sondern bloß delegierte. Da die Untersuchungsrichter Jurisdiktion ausüben, so ist schon aus diesem Grunde eine Bestellung von Laien zu dieser Tätigkeit absolut unzulässig und jede andere Gewohnheit als reprobiert aazuse- hen.260 Im Besitz der Jurisdiktion unterscheiden sich die Auditoren auch vom Relator oder Ponens, der in einem Kollegialgericht als Referent tätig wird. Der Referent entbehrt als solcher natürlich jeder Jurisdiktion — das Referieren ist kein jurisdiktioneller Akt — er hat sie nur als Mitglied des Richterkollegiums. Es soll hier eine Kontroverse wenigstens gestreift werden, die in ihrer näheren Darstellung in das Prozeßrecht gehört. Noval261 beanstandet nämlich die unklare Terminologie des Codex und meint, das Amt eines Referenten (Relator, Ponens), und eines Instruktionsrichters (Auditor), seien in derselben Sache nicht kompatibel. Er weist auf die Praxis der Rota* hin, wo der Auditor, also der Richter, der die Prozeßinstruktion geleitet hat, nicht identisch sein darf mit dem Richter, der im Kollegialgericht das Prozeßreferat hat, ja wo der Instruktionsrichter dem Gericht, das die Sentenz fällt, nicht einmal angehören darf. Dieser Ansicht schließt sich Vermeersch-Creusen an,262 wel-cher zudem noch meint, auch der Vorsitzende des Kollegiums, also 260 « Vgl. AAS XI, 132.261 a. a. O. p. 71 no 132.262 a. a. O. HI, p. 19 no 40.

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der Offizial (bez. Vizeoffizial) dürfe nie zugleich Referent in einer Sache sein. Dagegen hält Wernz-Vidal263 es sehr wohl für möglich, daß einer der Kollegialrichter (also auch der Offizial selbst), sowohl Instruktionsrichter wie Referent ist. Besonders in Zivilsachen dürfe man nicht leicht die Voreingenommenheit eines Richters annehmen. Aus derTatsache, daß der referierende Richter (Ponens) zugleich Instruktionsrichter (Auditor) gewesen sei, lasse sich nicht leicht ein unzulässiger „suggestiver“ Einfluß auf das Kollegium folgern, andererseits sei aber der Vorteil nicht zu unterschätzen, der aus der intimeren Kenntnis entspringe, die der Referent durch die persönliche Führung der Untersuchung gewonnen habe. Entscheidend ist wohl die Bestimmung des can. 1941 § 3, nach welcher der Untersuchungsrichter nicht zugleich Richter in dem Kollegium sein darf, welches das Urteil fällt. Es ist also Noval und Vermeersch Recht zu geben, wenn sie die Zulässigkeit einer Vereinigung von Prozeß-instruktion und Prozeßreferat in der Hand eines der Kolle-gialrichter verneinen.Es war schon wiederholt die Rede vom Institut der Syno-dalrichter. Ihr Ursprung reicht in frühe Zeiten zurück — Bonifaz VIII.264 gab zuerst Bestimmungen über die Aufstellung von delegierten Richtern. Der Codex ordnet in can. 1574 die Wahl von Synodalrichtern in den einzelnen Diözesen an. Es sollen erprobte und rechtserfahrene Priester sein, die der Diözese nicht anzugehören brauchen (can. 1574 § 1) ; auf der 263 Vgl. a. a. 0. p. 89 no 98.264 Vgl. c. 11 in VIo 1, 3.

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Diözesansynode sind sie nach einem Vorschlag des Bischofs zu wählen. Es gelten dieselben Bestimmungen für sie, wie für die Synodalexaminatoren und Pfarrerkonsultoren (can.

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1574 §2 mit can. 385—388). Außerhalb der Diözesansynode sind vom Bischof Prosynodalrichter nach dem Rat des Kapitels zu ernennen. Die Synodalrichter haben im Unterschied von ihrem Vorsitzenden, dem Offizial, keine ordentliche, sondern nur delegierte Gewalt. Da aber die Synodalrichter wahre kirchliche Jurisdiktion ausüben, so ist eine Mitwirkung von Laien im geistlichen Gericht unmöglich, da Laien nie Träger kirchlicher Jurisdiktion, auch nicht als Delegaten sein können. Die Ernennung von weltlichen Räten ist nach geltendem Recht unmöglich, wie überhaupt die Zusammensetzung und Kompetenz der Kollegialgerichte dem Belieben

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des Bischofs jetzt durchaus entzogen ist. Für das Gegenteil könnte man sich auch nicht auf eine nach can. 5 geschützte „consuetudo immemorabilis contra ius commune“ berufen, wie ausdrücklich auf eine Anfrage von Breslau entschieden worden ist.265 Voraussetzung eines Rechtserwerbes durch Er-sitzung ist nämlich, daß das ersitzende Subjekt überhaupt fähig ist, dieses Recht zu haben, sonst liegt nur langjähriger „abusus“, nicht aber „praescriptio legitima“ vor. Der Laie ist nun aber unfähig, irgendwelche geistliche Gerichtsbarkeit auszuüben,266 eine Unfähigkeit, die nur durch päpstliche Ver-fügung für den Einzelfall behoben werden könnte. Wegen dieser wesensmäßigen Unfähigkeit des Laien zur Bekleidung kirchlicher Jurisdiktionsämter kann also die Usurpation solcher Rechte nie einen gesetzlich anerkannten Zustand, nie ein Gewohnheitsrecht schaffen. Ein derartiges Gewohnheitsrecht ist vom Gesetzgeber ausdrücklich verworfen und damit für unvernünftig erklärt, mithin am Entstehen überhaupt verhindert.267* Selbst wenn es 265 Vgl. die Entsch. der S. Congr. Conc. vom 14. Dezember 1918 (AAS XI, 128 ff).266 c. 2 X 2, 1: Decemimus, ut laici

ecclesiastica tractare negotia non praesumant. Sed . . . ecclesiarum praelati de negotiis ecclesiasticis, má-xime de illis, quae spiritualia esse no9cuntur, laicorum iudicio non dis- ponant.267 c. 3 X1, 4: Ad nostram audientiam noveris pervenisse, quod in tua dioecesi etiam in causis ecclesiasticis consuetudo minus rationabilis ha- beatur quod ... a praesentibus litteratis et illitteratis, sapientibus et insipientibus, quid iuris sit quaesitur, et quod illi dictaverint vel aliquis eorum, praesentium consilio

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sich aber um ein Gewohnheitsrecht handeln sollte, so wäre der Ordinarius nach can. 5 doch verpflichtet, es zu beseitigen wegen seiner großen Unangemessenheit. Die Entscheidung der Konzilskongregation betrachtet die Teilnahme von Laien als eine Gefahr für die Prin-zipienfestigkeit der kirchlichen Judikatur und als unvereinbar mit der Würde des geistlichen Gerichtes.268 Die Synodal

requisito pro sententia teneatur. Nos igitur ...268 Nam praeterquam, quod non semper laici, etiam in iure canonico periti, principia sana et firma de potestate Ecclesiae habent, obnubilan

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richter haben, wie gesagt, nur delegierte Gewalt; treten sie freilich mit dem Offizial zum Kollegialgericht zusammen, so bildet ihr Gericht ein „tribunal ordinarium“, da die Juris-diktionsgewalt des Offizials maßgebend ist und in diesem Fall das Gericht nur eine Entfaltung der richterlichen Gewalt des Offizials darstellt.Das Kollegialgericht ist zuständig und zwingend vorge-

schrieben in allen Prozessen, bei denen es sich handelt um die Gültigkeit einer höheren Weihe oder einer Ehe, um zeitliche (weltliche) Interessen der Kathedrale, um strafweise Amotion inamovibler Benefiziaten, um gerichtliche Verhängung einer Exkommunikation. Hier ist eine Besetzung mit drei Richtern (Offizial und zwei Synodalrichter) vorgeschrieben (can. 1576 §1 nol). Bei Degradations- und Absetzungsprozessen ordnet der Codex, angesichts der Wichtigkeit der Sache, eine Besetzung mit fünf Richtern an (can. 1576 § 1 no2). Diese Materien müssen, bei Strafe der Nichtigkeit der Sentenz, von den Kollegialgerichten in der erwähnten Besetzung entschieden werden. Alle entgegenstehenden Ge-wohnheiten sind ausdrücklich verworfen, sodaß sie sich auch in Zukunft nicht mehr bilden können. Andere wichtige Ma-terien können nach dem freien Ermessen des Ordinarius dem Kollegialgericht überwiesen werden. Unter Ordinarius ist hier nur der Bischof (bezw. Quasibischof) zu verstehen, nicht aber der Generalvikar, da diesem nicht die richterliche Gewalt des Ordinarius, sondern nur dessen sonstige Amtsgewalt auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit und reinen

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Verwaltungstätigkeit zusteht. Der geborene Präsident des erweiterten wie des einfachen Kollegialgerichtes

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videtur, si tale Consilium ineatur, perfecta independentia Ecclesiae in suis negotiis ... praeterea decens est, ut sacerdotes sint plures in iure canonico ac etiam civili bene periti, quibus reserventur negotia eccle- siastica, vel quae aliquam necessitudinem praeseferunt cum iure civili, prout e contrario videtur incongruum dignitati Ecclesiae ut indigeat opera iurisperitorum laicorum pro causis ecclesiasticis decernendis (AAS XI, p. 132).

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ist der Oifizial, bezw. Vizeoffizial. Die Beisitzer sind aus der Zahl der Synodalrichter nach einem Turnus zu nehmen. Der Vorsitz des Bischofs selber ist zwar erlaubt, wird aber vom Codex nicht gewünscht (can. 1578).In manchen Prozessen treten außerdem als notwendige Prozeßbeteiligte der „Promotor iustitiae“ und der „Defensor vinculi“ auf (can. 1586). Der Promotor iustitiae entspricht dem Staatsanwalt des weltlichen Gerichtes. Er ist ein „publicus officialis ecclesiasticus pro iustitiae et legis tutela“. Der Codex schreibt seine Aufstellung an allen Diözesankurien vor. Unter dem Namen „Procurator fiscalis“ oder „Promotor“ bestand er mancherorts Schon lange. Er hat das Anklage-monopol in Strafsachen (can. 1934, 1955). In wichtigeren Zivilsachen ist nach can. 1587 § 1 seine Anwesenheit zwingend vorgeschrieben. Eine Unterart des Promotor iustitiae ist der „Defensor vinculi“, der als Amts Verteidiger für die Gültigkeit des Weihe- oder Ehebandes auftritt. Beide Ämter sind compatibel (can. 1588 § 1) und in der Tat ist das Amt des Promotors oft mit dem des Defensors vereinigt, so daß erstere Bezeichnung in den Schematismen mitunter fehlt. Die erforderlichen Eigenschaften, die Dauer der Jurisdiktion, die Amts Verpflichtungen sind analog denen des Offizials (can. 1589 u. 1590). Notwendig bei allen Akten des Offizialates beteiligte Prozeßperson ist ferner der Notar, auch Aktuar genannt (can. 1585). Von den Notaren und ihrem Amt kann im Rahmen dieser Arbeit nicht die Rede sein. Ein kurzer geschichtlicher

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Überblick ist bereits oben gegeben worden, soweit das Institut der Notare von Wichtigkeit gewesen ist für die Ausbildung der mittelalterlichen Offizialate.

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Umgeben von einer reichgegliederten Schar von Gerichts- persönen erscheint so der Offizial als Zentralpunkt des bischöflichen Gerichtes. Aus der Rechtssprechung des Bischofs, aus dem frühmittelalterlichen Sendgericht, hat sich im weite-ren geschichtlichen Verlauf das bischöfliche Tribunal in seiner heutigen Gestalt entwickelt. Es ist ein Charakteristikum dieser Behörde, daß sie auch nach dem gemeinen Recht schoneine kollegiale Form besitzt, im Gegensatz zum „Generalvika- riat“, das dem Codex als Behörde überhaupt unbekannt ist, und das auch nach deutschem Partikularrecht wohl in den allermeisten Fällen bürokratisch und nicht kollegial organisiert ist. Wegen der grundsätzlichen Kollegialität des Offizialats ist daher auf die einzelnen Mitglieder des Gerichtes näher eingegangen worden, um ihre Beziehung zum Offizial darzustellen — ex professo konnten und sollten sie nicht be-handelt werden, da der Gegenstand unserer Arbeit dem Personen- und nicht dem Prozeßrecht angehört.

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im öffentlich-rechtlichen Charakter der Stellvertretung des G.-V. (und de« Offizials) liegt, kommen für den G.-V. (kaum für den Offizial) noch andere praktische Erwägungen für die Regelung des can. 371 in Betracht. Im Interesse der Stetigkeit der Regierungsführung und der Verhinderung unlauterer Amtsschiebungen ist die Kirche dem Resignationsrecht der Amtsträger überhaupt nicht günstig; die Oberen, denen in aller Regel ein Beispruchsrecht zusteht, sollen ihre Zustimmung nur in ganz bestimmten Fällen gewähren (vgl. die const. Pius V. vom 1. April 1568: „Quanta Ecclesiae“ bei Gas- parri, Fontes I, p.225f.). Es ist ferner zu erwägen, daß der G.-V. eine erhebliche Verantwortung trägt. Hat er aber Maßnahmen getroffen, die sich als Fehlgriff herausstellen, Un-annehmlichkeiten bringen und dergleichen, so will ihm das Recht die Flucht vor der Verantwortung nicht erleichtern durch Gewährung eines freien Resignationsrechtes. Umgekehrt ist es denkbar, daß der Veizicht des G.-V. das Ersuchen um ein Vertrauensvotum sein soll, das dann in der Nichtannahme des Verzichtes durch den Bischof zu erblicken ist (ein im politischen Leben bei sogenannten Regierungskrisen sehr häufiger Fall).Die Amotion ist jederzeit

möglich, da es sich um ein ad nutum amovibles Amt handelt. Sie darf natürlich nicht aus Willkür geschehen, sondern fordert einen gerechten Grund, unter Wahrung der natürlichen Billigkeit (can. 192 § 3). Gegen die Amotion ist Rekurs an den Apostolischen Stuhl — aber ohne Suspensivwirkung — zulässig,

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sowie Klage auf Ersatz des durch die diffamatio etwa erlittenen materiellen oder moralischen Schadens.269 Ein besonderer modus proce- dendi für die Amtsenthebung des G.-V. besteht nicht. Abgesehen von dieser „amotio brevi manu“ nach dem Ermessen des Ordinarius bestehen natürlich alle Grundsätze über die4 Anal. Jur. Pontif., Rom, 1854.6 Vgl. Ius decretal. II no. 800.40 Siehe Migne P. L. 33 col. 412.62Vgl. E. Fournier, a.a.O. p. 80.64 Für das frühere Recht vgl. c. 3. 3 X 1,

29: . . . Si tractandis causis, quae tibi a Sede Apostólica committuntur, interese non poteris, liberum tibi sit personis discretis et idoneis vices tuas committere; vgl. ferner c. 27 u. 28 X 1,29, sowie das Decr. S. Off. vom 14. Dezember 1898: An pos- sit Episcopus dioecesanus subdelegare, absque speciali concessione, suis Vicariis Gen. aut aliis ecclesiasticis viris modo generali, vel saltern particular^ facultates ab Apostólica Sede sibi ad tempus delegatis: Resp. Affirmative dummodo id in facultatibus non prohibeatur (Gasparri, Fontes IV p. 510).

56 Vgl. das Decr. der S. Congr. Consist. (AAS X, p. 190 ff.).

ö So Eichmann a.a.O. S. 103; für das frühere Recht Scherer, Kirchenrecht I, S. 614.

6 a. a. 0. p. 677 no 581; ähnlich auch Badii, p. 219 u. Stutz, S. 238.« AAS XXI, p. 275 f. 14 AAS XIX, p. 425 f.

fach bei der Promotion zum Dr. theol. ist, so dürfte der einfache deutsche Dr. theol. dem Verlangen des Codex genügen.

26Entsch. der S. C. Ep. et Reg. vom 2. Dezember 1578: . . . che non si debba permettere si per essere cosa insólita e che ha poca convenienza (Gasparri, Fontes IV, p. $83). Entsch. der ß. C. Ep. et Reg. v. 28. Juli 1587: Piü volte fü risoluto che li Vicarii di Vescovo devono esser dottori (Gasparri, Fontes IV, p. 613). Entschl. der S. C. Ep. et Reg. v. 5. Februar 1591. • • Quanto al Vicario che per ogni modo habbia V. S. da tenerlo 269 Vgl. die Entsch. der Rota vom 9. Juni 1911 Dec. XXVI no20 (Dec.

S. R. Rotae III, p. 275): die Entscheidung stützt sich auf zwei ähnliche frühere Entsch. der S. C. Ep. et Reg. vom 1. Juli 1610 und 8. Oktober 1649.

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dottpre (Gasparri, Fontes IV, p. 625).29Entsch. der S. C. Ep. et Reg. vom 20.

März 1576: E tanto necessaria la residenza delli Parochi nelle loro proprie chiese per la cura delle anime, che hanno, e cosi strettamente é comandata . . . dal Concilio di Trento, che questa Congregazione non ha mai tollerato, che chi ha cura delle anime possa servire altrove, né ancor nella medesima Diócesi per Vicario del Vescovo (Gasparri, Fontes IV, p. 573—574). Die Residenzpflicht als Grund betonen ferner die Entsch. der S. C. Ep. et Reg. vom4. August 1578 (a. a. O. p. 581), 3. Mai 1593 (a. a. O. p. 643), 16. Nov. 1640 (a. a. O. p. 765).

66 Vgl. die Entsch. der S. Congr. Conc. vom 16. Oktober 1604 (bei Ferraris, Bibliotheca prompta „Vicarius gen.“, art. 2 nol6).