[Wehner Josef Magnus] Kepler

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An Biografy of Johannes Kepler

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K L E I N E B I B L I O T H E K D E S W I S S E N S

LUX-LESEBOGEN N A T U R - U N D K U L T U R K U N D L I C H E H E F T E

J O S E F M A G N U S W E H N E R

JOHANNES KEPLER E R F O R S C H E R D E R P L A N E T E N B A H N E N

V E R L A G S E B A S T I A N L U X

M U R N A U - M Ü N C H E N • I N N S B R U C K • B A S E L

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Harmonien im Sonnensystem

Allerseelenritt nach Regensburg

j _ J er einsame Reiter, der am 2. November 1630 auf der Land­straße von Nürnberg nach Regensburg in den Sonnenuntergang hin­einritt, war neben Galilei der berühmteste Astronom Europas: Johannes Kepler, der Entdecker der drei Planetengesetze.

Auf der letzten Anhöhe über dem mächtigen Strom zog er die Zügel an, um die Schönheit der alten Reichsstadt zu genießen, die sich im Talgrund jenseits der Donau vor ihm ausbreitete.

Ein weiter Weg lag hinter ihm. Vor drei Wochen hatte er fern in der schlesischen Stadt Sagan von seiner Familie wehmütigen Ab­schied genommen; Leipziger Fuhrleute hatten seine Bücher, Kleider und Urkunden verpackt und waren dem Reiter vorausgefahren. Seit der Schwedenkönig Gustav Adolf mit einem mächtigen Heer in Deutschland gelandet war, schwebte die Kriegsdrohung auch über Schlesien. Der neunundfünfzigjährige Gelehrte, den der kaiserliche

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Generalissimus Wallenstein*) erst vor zwei Jahren in sein Fürstentum Sagan an der polnischen Grenze berufen hatte, mußte befürchten, Gustav Adolf werde auch Schlesien und Polen überfallen und dieses wichtige Land aus dem Heiligen Römischen Reiche herausbrechen; es bildete ja die Brücke zu dem von den Türken besetzten Ungarn, das ebenfalls auf der Seite der Reichsfeinde stand.

Johannes Kepler, der von Jugend an als Lernender, Forscher und Lehrer ein unstetes Wanderleben geführt hatte, war deshalb aufge­brochen, um seiner Familie wieder einmal eine sichere Heimat zu suchen. In Regensburg~-hoffte er zudem, wenigstens einen Teil der ihm noch zustehenden Gelder zu bekommen; denn der Kaiser schul­dete ihm, seinem Hofmathematikus, die ungeheure Summe von zwölftausend Gulden. Schon seit Monaten verhandelte Kaiser Fer­dinand II. in der Stadt mit den Kurfürsten, um seinem Sohn, der ebenfalls Ferdinand hieß, die Thronfolge zu sichern. Die Kurfürsten verlangten als Gegenleistung vom Kaiser die Absetzung Wallen-steins, der den Herren zu mächtig geworden war, und der Kaiser hatte verhängnisvollerweise den Kurfürsten nachgegeben.

Mit Wallenstein, dem Herzog von Friedland, verlor Kepler einen mächtigen Gönner und Freund. Er hatte dem Fürsten, der blind an den Einfluß der Sterne glaubte, zahlreiche Horoskope gestellt, ihn aber zugleich ermahnt, sich nicht von der Astrologie abhängig zu machen, sondern seine eigene Vernunft zu gebrauchen. Wallenstein hatte die Nachricht von seiner Absetzung gleichmütig hingenommen, weil die Sterne für ihn günstig standen; er war der reichste Mann Europas, viel reicher als der arme Kaiser Ferdinand, dem er sogar die Reisekosten von Wien nach Regensburg hatte vorstrecken müssen.

Die Stadt lag im goldenen Dunst des Spätnachmittags. Die großen und kleinen Herren, die am Reichstag teilgenommen hatten, ritten in ihre Quartiere. Fanfaren, Heroldsrufe, festlich gekleidete Bürger in purpur, weiß und grün, die alte römische Straße der Stadt, die vor anderthalbtausend Jahren Castra Regina hieß, die romantischen Stiftskirchen, das gotische Münster, die massigen Türme der Adels-

*) Vgl. Lux-Lesebogen 340, „Wallenstein, Feldherr und Staatsmann im Dreißigjährigen Kriege".

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paläste, die ganze dröhnende Symphonie von Geschichte und Gegen wart brandete zu dem Reiter hinauf, der seine Zukunft bedacht

In die buntbewimpelten Schiffe und Lastkähne an der Donauländ wurden Ballen und Fässer, Getreide und Vieh, Geschütze und Mu nition verladen. Der Krieg, der nun schon zwölf Jahre durch Deutsch land tobte, hatte Stadt und Land Regensburg bisher verschont; abe was würde geschehen, wenn Wallenstein zum Feinde überging? Ma munkelte, die dänische und die böhmische Königskrone, ja die Kai serkrone seien dem ehrgeizigen Fürsten insgeheim angeboten worden . ..

Wo war der Kaiser? Sein Quartier, das „Goldene Haus", in dem einst Don Juan

d' Austria, der Sieger über die Türken bei Lepanto, geboren worden war, lag leuchtend in der Sonne, aber Kepler gewahrte nur den Turm, ohne die Wachtposten: Der Kaiser schien abwesend zu seih.

Plötzlich sah der Gelehrte zur linken Hand einen bunten Jagdzug mit Hörnerklang aus dem Winzererwald hervorbrechen; die Reiter dort am Waldrand zeigten kaiserliche Uniformen, und nun erblickte er hinter dem Getümmel der Treiber, die die Jagdbeute trugen, ihn selbst, Seine Kaiserliche Majestät Ferdinand II. hoch zu Roß und in bester Laune.

Kepler lenkte sein Rößlein ins Gebüsch, und während der Zug zu Tal brauste, überfielen ihn wieder die schwarzen Gedanken, die seine Zukunft verdüsterten.

Der Kaiser würde ihn vielleicht gar nicht empfangen und die Gulden würde Ferdinand in dieser Stunde vermutlich für notwen­digere Dinge brauchen als für seinen Hausastronomen. So schnitt das Halali der Jagdhörner schmerzlich in die Seele des Reiters: Er sah sich von allen Seiten umstellt, seine ganze Existenz näherte sich der Katastrophe.

Langsam ritt er des Weges. Allerseelennebel wölkte aus dem Strom. Kepler dachte an den Tod.

Schon vor dem Abschied in Sagan war die Todesahnung übermäch­tig in seinem Gemüt aufgestiegen. Er hatte seine eigene Grabschrift in lateinischen Versen verfaßt und sie seinem jungen Schwiegersohn übergeben.

Kepler war ein tiefgläubiger protestantischer Christ; aber das Ho-

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Das Haus des Großvaters Sebald, in dem Johannes Kepler zur Welt kam, lag in einer Gasse vor dem Marktplatz . . .

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roskop, das er sich selber gestellt hatte, erschütterte sein Vertrauen auf einen guten Ausgang seiner Reise. Die Himmelszeichen für das 60. Lebensjahr, das am 27. Dezember beginnen würde, hatten eine merkwürdige Stellung: Alle Planeten hatten fast die gleiche Lage zueinander wie in seinem Geburtsjahr. Was bedeutete das? Ging sein Leben zu Ende oder begann von diesem Jahre an ein neues Leben für ihn?

Dem Reiter wurde heiß, er warf den Mantel über die Schulter zurück, ein Fieberstoß schüttelte ihn. Er kannte dieses Fieber, das im Volksmund Feuerpusteln hieß. Die Ärzte nannten es Sacer ignis, das „böse Feuer". Schon lange litt er an solchen Anfällen, aber als nun endlich unter den Hufeisen seines Rößleins das Pflaster der alten steinernen Donaubrücke aufklang, warf er tapfer sein Haupt j zurück, ja er lächelte: Dort, mitten auf der Brücke stand sein Schü- J ler und Freund, der sechsundzwanzigjährige Mathematiker Stephan I Lansius. Kepler sprang vom Pferde und schloß den treuen Freund, 1 der ihn schon seit Stunden erwartet hatte, in die Arme.

In fröhlichem Gespräch bogen die beiden Männer in die Straße I zur Linken ab; sie kehrten in einer Schenke an der Donau ein, die in der Form eines Kahnes gebaut war, und tranken den Willkomm .] in edlem Weine. Dann geleitete der Schüler den Meister am Weißen Lamm vorbei an das Haus des Kaufmanns Hillebrand Billj, wo be­reits Quartier für Kepler gemacht war.

Es war ein schmales, unauffälliges Haus, eingekeilt in die Häuser­zeile, mit dunklem Toreingang und einem kleinen Erker, der neu­gierig über das Nachbarhaus hervorragte.

Es steht heute noch, dieses kleine, enge Haus, von zahllosen Men- j sehen aus aller Welt besucht.

Es ist das Sterbehaus Keplers.

Das Kind ohne Eltern Johannes Kepler wurde am 27. Dezember 1571 in der kleinen

schwäbischen, von den Staufern gegründeten Reichsstadt Weil, heute „Weil der Stadt" genannt, nachmittags 2 Uhr 30 geboren und auf den Namen des Tagesheiligen, des Apostels Johannes, getauft. Die Familie war lutherisch, die Pfarrkirche in Weil aber katholisch, die protestantische Taufe war in der Stadt verboten. So weiß man nicht

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einmal, ob das kleine Siebenmonatskind, das erstgeborene, nach katholischem oder evangelischem Ritus getauft wurde: Die Pfarr­bücher sind, während der Westfälische Frieden bereits unterzeichnet wurde, verbrannt, als die Franzosen im letzten Augenblick des Dreißigjährigen Krieges die Stadt in Brand schössen.

Der Lebenslauf Johannes Keplers beweist, daß eine trostlose, ver­wilderte und unglückliche Ehe keineswegs auch die Kinder verder­ben muß. Die Umgebung ist nicht allmächtig; sie kann durch den Geist überwunden, der Fluch in Segen verwandelt werden.

Das Haus des Großvaters Sebald, in dem Johannes zur Welt kam, lag in einer Gasse vor dem Marktplatz; von den Fenstern aus konnte man den Marktbrunnen mit dem Standbild Kaiser Karls V. und den westlichen Turm der Kirche sehen. Großvater Sebald war als Kürschner von Nürnberg eingewandet; er wurde Bürgermeister der Stadt und Vorkämpfer der lutherischen Lehre. Unter den Ahnen Keplers haben sich einige Männer als Soldaten Ruhm erworben; ein Friedrich Kepler wurde am Pfingstfest 1433 von Kaiser Sigismund auf der Tiberbrücke in Rom zum Ritter geschlagen; das Adelswappen der Familie zeigt im oberen Feld einen rotgekleideten Engel mit goldenen Flügeln.

Keplers Eltern waren von zweifelhaftem und widersprüchlichem Charakter. Der Vater Heinrich, schroff, leichtlebig und händelsüchtig, hatte nichts gelernt. Johannes war kaum drei Jahre alt, als sein Vater sich als Soldat anwerben ließ und bei Nacht und Nebel nach den Niederlanden ausrückte, wo das Volk gegen den tyrannischen Herzog Alba aufgestanden war. Ein Jahr später folgte ihm auch die Mutter Katharina nach, als sie sich mit den Schwiegereltern übef-worfen hatte. Die Großeltern behandelten den verlassenen Enkel hart; Johannes wurde von den Blattern befallen und war dem Tode nahe. Nach zwei Jahren kehrten zwar die treulosen Eltern zurück; der Vater aber zog nach Leonberg um, verschwand abermals als Soldat nach Belgien, wo er beinahe gehängt worden wäre, trieb sich dann ein paar Jahre zu Hause herum und ließ nach fünf Jahren seine Familie, die inzwischen auf sechs Köpfe angewachsen war, für immer im Stich. Er soll in Neapel Hauptmann geworden und auf der Heimkehr in Augsburg gestorben sein. Sein Grab ist verschol­len.

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Johannes, ein zierliches, dunkeläugiges, schwarzhaariges Kind, hielt sich an die Mutter. Katharina aber tat seltsame Dinge: Sie sammelte Kräuter und kochte Salben daraus. Ihre Base wurde als Unholdin auf dem Scheiterhaufen verbrannt; sie war nicht die einzige, die dem furchtbaren Hexenwahn erlag. Die Chronik meldet, daß in je­nen Jahrzehnten in Keplers Heimat Hunderte von Frauen den Flam­men übergeben wurden. Wir werden sehen, wie auch Keplers Mut­ter später als Hexe und Giftmischerin angeklagt wurde.

Vielleicht hat der kleine Johannes diese schrecklichen Jugender­innerungen verdrängt; viel später erwähnt Kepler jedenfalls zwei andere Erlebnisse, die den stärksten Eindruck auf ihn machten und seinen Lebensweg bestimmten: Beide Erlebnisse waren astronomi­scher Natur. Der Vater führte ihn einst mitten in der Nacht aus dem Haus und zeigte ihm eine Mondfinsternis. Die Mutter aber wies ihm in einer Nacht des Jahres 1577 auf einem Hügel vor der Stadt den großen Kometen mit dem blutroten Schweif, der den Himmel beherrschte und Angst auf die schwarze, von Krieg und Glaubens­not verwirrte Erde warf.

Wahrscheinlich wurde in diesen beiden geheimnisumwitterten Nächten in der Seele des Knaben jene Grundkraft erweckt, die sein gesamtes Werk trug: die tiefe, strahlende Überzeugung von der gesetzmäßigen Harmonie der Sternenwelt im Gegensatz zu allem dämonischen Leid der geschichtlichen Welt und des persönlichen Schicksals hienieden. Die Gesetze dieses sichtbaren Himmels zu er­forschen und die Idee ihrer Harmonie mathematisch genau dazustel-Ien, wurde sein Lebensziel. In seinem Hauptwerk „Fünf Bücher über die Harmonie der Welt" hat Kepler diesen Grundgedanken später verwirklicht. Dieses Werk, eine überwältigende Vision vom Weltall, in der Wissenschaft, Dichtung, Philosophie, Theologie und Mystik vereinigt und als Ausstrahlung des göttlichen Geistes gedeutet sind, wird mit Recht die „Summa — das geistige Gesamtwerk — der Renaissance" genannt.

Der Weg bis zu dieser Lebenshöhe hinauf war allerdings für das schmächtige Knäblein noch weit und beschwerlich. Die Eltern be­stimmten ihn für den geistlichen Stand. Der fleißige Lateinschüler im ärmellosen, über die Knie herabfallenden Mäntelchen, der im Som­mer um vier, im Winter um fünf Uhr aufstehen mußte, kam so

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gut voran, daß er mit dreizehn Jahren in die Klosterschule Adel­berg, mit fünfzehn in das Seminar des von Meisterhand erbauten ehemaligen Zisterzienserklosters Maulbronn aufgenommen wurde.

Schon vom zwölften Lebensjahre an aber quälten ihn religiöse Zweifel; sie verstärkten sich, als er mit siebzehn Jahren die Hohe Schule in Tübingen bezog. Seinem versöhnlichen Gemüt widerstreb­ten die konfessionellen Streitigkeiten der Zeit; wenn seine Profes­soren die Kalvinisten und Katholiken verurteilten, prüfte er ihre Gründe und ließ jedem Bekenntnis Gerechtigkeit widerfahren. Vor allem hatte er über die protestantische Abendmahlslehre, die kalvi-nistische Vorausbestimmung des menschlichen Schicksals und die Wil­lensfreiheit seine eigenen Gedanken, die später zu tragischen Zer­würfnissen mit seiner Kirche führten. Doch nahm er frohen Herzens an Theateraufführungen teil; in einem Stück über Johannes den Täufer spielte er die weibliche Rolle der Marianne, er dichtete und musizierte und bestand als zweitbester das Examen als Magister.

Das deutete daraufhin, daß der junge Theologe bald die Kanzel besteigen würde. Großvater und Mutter sonnten sich schon in dem Glück, ihn als wohlbestallten geistlichen Herren zu sehen, und er selber glaubte, seines Weges sicher zu sein. Er war zwar der beste Mathematiker und Astronom des Stifts; er durfte sogar vor seinem berühmten Professor Mästlin die neue Weltbaulehre des Kopernikus verteidigen, die von den Theologen noch verworfen wurde, und er erfand neue Rechnungsarten in der Mathematik — aber er dachte nicht daran, deshalb seinen Beruf zu wechseln — bis, nach Keplers Oberzeugung, Gott selber eingriff und ihn auf einen ganz anderen Pfad wies.

Das Jahr 1594 brach an. In ein paar Monaten war das theolo­gische Schlußexamen fällig — da traf plötzlich ein Brief aus Graz an den Senat der Tübinger Hochschule ein.

An der evangelischen Stiftsschule der steiermärkischen Landes­hauptstadt Graz war der Mathematiklehrer Georg Stadius gestorben. Die Grazer Stände ersuchten die Universität Tübingen, ihnen einen geeigneten Nachfolger zu schicken, der Senat trat zusammen und wählte den Kandidaten Kepler.

Der junge Mann war wie vom Donner gerührt. Es schien ihm un­möglich, sein Studium so kurz vor dem Abschluß abzubrechen und

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einen weltlichen Beruf zu ergreifen. Die theologische Fakultät legte ihm nahe, er könne sich ja in Graz theologisch weiterbilden. Nach bangen Tagen behielt er sich schließlich das Recht vor, jederzeit zu­rückkehren zu dürfen und sein geistliches Amt anzutreten, und sagte

ja-Dieses Ja hat nicht nur seinem persönlichen Leben, sondern der

Geschichte der Astronomie eine neue, entscheidende Wendung ge­geben.

Der Herzog von Württemberg empfing den scheidenden Kandida­ten in Privataudienz. Kepler lieh sich, da er knapp bei Kasse war, vom Superintendenten des Stifts fünfzig Gulden und bestieg am 13. März 1594 die Reisekutsche. Am 11. April fuhr er in Graz ein. Die schöne Stadt an der Mur mit dem überragenden Schloßberg glich der Neckarstadt Tübingen — würde er hier heimisch werden können?

Kalendermacher und Bräutigam „Wir haben dahin befunden, daß wir gänzlich verhoffen, er werde

dem seligen Magister Stadius würdig nachfolgen können. Doch wol­len wir es mit ihm erst ein bis zwei Monate versuchen, ehe er mit fester Besoldung angestellt wird."

So berichteten die Inspektoren der Stiftsschule an die Stände, nach­dem sie den dreiundzwanzigjährigen Magister Kepler „nach Not­durft" geprüft hatten.

Er wurde ein guter Lehrer. Zwar liefen ihm groteskerweise ge­rade im Mathematikunterricht die Hörer nach kurzer Zeit davon, weil sie seinen sich überstürzenden und allzu reichen Gedankengän­gen nicht folgen konnten, aber dafür übertrug man ihm andere Fächer, in denen er mehr Erfolg hatte.

Wichtiger als der Unterricht aber war eine andere Verpflichtung: Kepler mußte Kalender anfertigen. Die abergläubische Zeit wollte von den Kalendermachern alles Mögliche wissen; nicht nur genaue Angaben über Hitze und Kälte, Hagel, Gewitter, Krankheit, Hun­ger, Saatzeit und Erntezeit; sie erwartete auch Angaben über Krieg und Frieden sowie über politische und religiöse Ereignisse. So war Kepler gezwungen, sich in die Astronomie und Astrologie zu ver­tiefen, deren angebliche Gesetze damals das Leben jedes einzelnen

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beherrschten, bis zu den Kranken hinab, die in manchen Spitälern ge­nau nach den Daten ihrer Horoskope behandelt wurden.

Kepler hat in Graz fünf Kalender gemacht. Er betrachtete zwar die Sterngläubigkeit seiner Zeit als „abergläubisches Affenspiel", war aber anderseits vom allgemeinen Einfluß der Gestirne auf den menschlichen Charakter, auf Schicksal und Geschichte fest überzeugt. Außerdem beherrschte ihn seit seiner Jugend der Drang zu weis­sagen. Schon als Knabe litt er daran, daß ihm wegen seines „un­heiligen Lebenswandels" diese Gabe versagt sei. Jetzt aber glaubte er, daß seine Wissenschaft ihm dazu verhelfen könne, diese Anlage auszubilden.

Mit seinem ersten Kalender hatte er Glück; die große Kälte und die Einfälle der Türken, die er angekündigt hatte, trafen tatsäch­lich ein, und sein Ansehen wuchs. Aus dieser beiläufigen Tätigkeit als Kalendermann aber erwachte nun sein astronomisches Genie, das ihm eingeboren war und das er bisher nicht erkannt hatte; sein Geist entzündete sich am Weltbild des Kopernikus, der nicht wie die bisherige Wissenschaft den winzigen Planeten Erde, sondern die Son­ne als die Mitte und Königin der Welt und ihrer Planeten erkannt hatte.

Er beschäftigte sich zunächst mit den Abständen der damals be­kannten sechs Planeten Erde, Venus, Mars, Jupiter, Merkur und Saturn von der Sonne. Am 19. Juli 1595 entdeckte er unter Tränen der Erschütterung, daß die Zahlenverhältnisse gewisser regelmäßiger Körper, wie des vierflächigen Würfels oder des Sechsflächners, auch für die Abstände der Planeten von der Sonne galten — eine vor­läufige Entdeckung, die er in mühevoller rechnerischer Arbeit begrün­dete. In seinem ersten Buch, dem „Weltgeheimnis" (Mysterium CoS-mographicum) veröffentlichte er die Ergebnisse seiner Forschung (1596) und überreichte Exemplare an die beiden berühmtesten Astro­nomen der Zeit. Galilei antwortete kurz und höflich und schwieg dann; er soll Keplers Gedanken später zum Teil als seine eigenen vorgetragen haben. Der fünfzigjährige Tycho Brahe indessen, der von der dänischen Sternwarte Uraniborg nach Deutschland überge­siedelt war, befaßte sich kritisch mit Keplers Erstling und lud ihn zu einem Besuche ein; er ahnte die Bedeutung des „Weltgeheimnis-

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ses", von dem Kepler viel spater selber sagte, alle seine folgenden Bücher bezögen sich auf irgend ein Kapitel dieses Werkes.

Die Begegnung fand erst drei Jahre später statt; denn inzwischen entwickelte sich in Graz ein Drama, an dessen Ende Kepler aus der Stadt ausgewiesen wurde.

Dieses Drama begann zunächst heiter. Kepler hatte sich in die hübsche, rundliche, dreiundzwanzigjährige Tochter Barbara des rei­chen Mühlenbesitzers Jobst Müller zu Gössendorf verliebt. Barbara war trotz ihrer Jugend bereits zweimal verheiratet gewesen; ihre beiden Männer waren gestorben; sie selbst nahm die zwei Braut­werber, die Kepler nach Gössendorf schickte, wohlwollend auf, aber ihr Vater wollte von dem „armen Schuldiener" Kepler nichts wissen und gab erst nach, als sich die kirchliche Behörde für die Ehe ein­setzte. Die Hochzeit fand am 27. April 1597 statt. Die Schule stiftete dem jungen Ehemann einen silbernen Becher und erhöhte sein Jahresgehalt von hundertfünfzig auf zweihundert Gulden. Trotz­dem schrieb Kepler in seinen Jahresaufzeichnungen ahnungsvoll: „Die Hochzeit ist unter unheilverkündendem Himmel gefeiert wor­den."

Das Söhnchen, das im nächsten Jahr zur Welt kam, hatte ein gün­stiges Horoskop, aber die Sterne trogen — es starb nach sechzig Tagen; das Töchterchen Susanne folgte ihm ein. Jahr später ins Grab; beide Kinder starben an Gehirnhautentzündung.

Die Zeit verdüsterte sich. Man raunte von blutigen Kreuzen, die in Ungarn an den Körpern der Menschen, an Haustüren, Bänken und Wänden erschienen; auch am eigenen Fuß entdeckte Kepler ein kleines blutrotes Kreuz.

Erzherzog Ferdinand hatte geschworen, sein Land wieder zum Katholizismus zurückzuführen. Der alte Streit der Konfessionen ent­brannte neu. In Graz wurden Spottbilder auf den Papst veröffent­licht, Ferdinand hob das protestantische Kirchen- und Schulministe­rium in Graz auf und wies bei Todesstrafe die Prediger und Stifts­lehrer aus der Stadt. Nur Kepler, der mit den Verbannten Graz bereits verlassen hatte, durfte nach einem Monat wieder zurückkeh­ren. Man wußte, daß er nach dem Grundsatz lebte, das „Heilige heilig zu halten". Hetzreden von der Kanzel waren ihm in der Seele zuwider; anderseits zwang ihn sein Gewissen, obwohl er sich

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öffentlich zu Luther bekannte, von einigen seiner Lehren abzurük-ken, die ihm unannehmbar schienen. So stand er nicht über, son­dern zwischen den Parteien.

Auch die Stiftsschule war aufgehoben worden. Kepler bezog in­dessen sein Lehrergehalt weiter, der bayerische Kanzler Herwart von Hohenburg schickte ihm wissenschaftliche Bücher, und er ver­grub sich in die strengste Arbeit, korrespondierte mit Tycho Brahe und erzog sein Stieftöchterchen, das ihm Frau Barbara aus ihrer ersten Ehe mitgebracht hatte, die siebenjährige Regina. Je grau­samer und wirrer die Zeit um ihn tobte, umso klarer ging ihm das Gesetz und die Harmonie der weltbildenden Kräfte auf, der Mathe­matik, der Musik, der Dichtung, des Tanzes und der Farben; er sah die göttliche Harmonie sogar, von der Architektur ausgehend, im menschlichen Körper, ebenso wie in den Himmelserscheinungen und in der Witterung. Die Musik des Weltalls strömte auf ihn ein, er sprach von der Erdseele und der Beseelung des Alls — Gedan­ken, die in unseren Tagen der große französische Paläontologe Teil-hard de Chardin wieder aufgenommen hat.

Am 1. Januar 1600 reiste Kepler nach Prag zu Tycho Brahe, dem Hofmathematiker des Kaisers Rudolph II .

Der weltberühmte Astronom war ein herrischer Edelmann, dessen Nase nach einem Duell so zertrümmert war, daß er sie mit einer Legierung aus Gold und Silber künstlich wiederherstellen lassen mußte. Er gedachte Kepler einfach als schlichten Assistenten in seine wissenschaftliche Arbeit einzuspannen, da er selber, der Dreiund-fünfzigjährige, seine Arbeitskraft schwinden sah. Kepler verwarf in einem heftigen Auftritt das Ansinnen Brahes, einigte sich aber nach drei Wochen mit ihm. Die beiden Männer schlössen einen Arbeits­vertrag. Brahe gab Kepler ein Empfehlungsschreiben an die Stände in Graz mit, daß er nach Prag umziehen dürfe und daß sein Lehrer­gehalt weitergezahlt werden solle.

Die Stände dachten nicht daran. Sie verlangten von Kepler viel­mehr, er möge in Italien Medizin studieren und nach zwei Jahren in der Steiermark eine Praxis eröffnen. Aber schon hatte das Schicksal zum entscheidenden Schlage ausgeholt, um Kepler abermals auf den wesenseigenen Weg zu bringen.

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Am 27. Juli 1600 befahl Erzherzog Ferdinand, alle Einwohner von Graz sollten am 31. Juli 6 Uhr morgens in der Kirche erscheinen.

Rund tausend Bürger, unter ihnen Kepler, standen zur befohlenen Stunde vor den Regierungskommissaren. Mann für Mann wurde nach seinem Bekenntnis gefragt, alle Nichtkatholiken wurden des Landes verwiesen — diesmal auch der Lehrer und Landmathemati-kus der Steiermark, Johannes Kepler. Er erhielt ein Dienstzeugnis und die Besoldung für ein halbes Jahr. Vergeblich schrieb er in sei­ne Heimat nach Tübingen und bat um eine kleine Professur: Tü­bingen antwortete nicht. So verließ er am 30. September mit Frau und Stiefkind die Stadt Graz, um nach Prag überzusiedeln. Sein Haus­rat füllte zwei Lastwagen. Während der Reise erkrankte er an Wech­selfieber. Brahe hatte ihm zwar geschrieben, er habe dem Kaiser die Versetzung Keplers nach Prag vorgeschlagen und der Kaiser habe „genickt", aber die ersten Monate in Prag waren hart.

Der Umzug verschlang hundertzwanzig Gulden, das Leben in der großen Stadt war viermal teurer als in Graz, das Fieber hielt noch neun Monate an. Aber bald änderte sich die bedrückende Sze­nerie. Tycho Brahe stellte seinen jungen Kollegen in der Hoftracht mit dem hohen Spitzenkragen dem Kaiser vor. Bald danach er­krankte Brahe an einem Blasenleiden und starb. Kepler widmete ihm eine feierliche Trauerelegie; sie wurde nach der Leichenrede in der hohen Halle der Teynkirche verlesen, zur tiefsten Ergriffenheit der Trauergemeinde.

Kurz darauf übertrug ihm Seine Majestät die Weiterführung der Tychonischen Berechnungen, er ernannte ihn zum Kaiserlichen Hof-mathematikus und setzte ihm ein Jahresgehalt von fünfhundert Gulden aus.

Am Kaiserhof zu Prag Kaiser Rudolph IL war mehr als nur ein Sonderling, der seinen

Löwen Ottokar an der Kette durch die Prunkzimmer des kaiser­lichen Palastes auf dem Hradschin führte und in seinen Sammlun­gen die Zähne einer Wassernixe und Nägel von der Arche Noah auf­bewahrte. Dieser menschenscheue, unverheiratete Monarch hat viel­mehr Prag zu einem anziehenden, ja glänzenden Zentrum des da­maligen Europa erhoben.

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Er sammelte kostbare Manuskripte und Gemälde, die seine von den Fuggern finanzierten Agenten aus ganz Europa aufkauften. Bilder von Hieronymus Bosch, Breughel, Rubens, Tizian, Coreggio, Raffael, Leonardo da Vinci und Dürer füllten seine Kunstkabinette. Er besaß das schönste Vogelhaus Europas und züchtete die selten­sten Blumen. Seine Krone, vom Hofgoldschmied Jan Vermeyen ge­fertigt, soll siebenhunderttausend Taler gekostet haben. Sein Hof wimmelte von Künstlern und Gelehrten hohen Ranges bis zu den Goldmachern und Alchimisten hinab, die ihre Laboratorien in den Mauern des Hradschin, des hochragenden Kaiserschlosses, eingebaut hatten; der Kaiser selbst destillierte dort und bediente den Blase­balg bei den Versuchen, ein Element in ein anderes zu verwandeln. Selbstverständlich war auch Rudolph ein begeisterter Anhänger der Astronomie und Astrologie; von Kepler erbat er nicht nur Horo­skope des Kaisers Augustus und Mohammeds (wegen der Türken­einfälle in Ungarn), sein Hofmathematikus wurde auch über alle nur denkbaren Tagesfragen zu Rate gezogen.

Als am 11. Oktober ein neuer heller Stern nahe bei Jupiter, Saturn und Mars im Sternbild des Schlangenträgers gesichtet wurde, wollten der Kaiser und ganz Prag von Kepler wissen, was das Himmelszeichen bedeute: den Weltbrand oder das jüngste Gericht, die Bekehrung des neuentdeckten Amerika, den Untergang des Is­lam, die Wiederkehr Christi oder nur die Thronbesteigung eines neuen großen Monarchen?

Kepler schrieb sofort ein kleines Buch über den neuen Stern, warnte vor Aberglauben und brachte das neue Gestirn, die Nova, in Verbindung mit dem Stern der Weisen zur Zeit der Geburt Christi.

Wie in Graz mußte er auch hier Kalender machen und traf manch­mal die Wettervorhersage so genau, daß die Prager etwa beim Aus­bruch eines Sturms den Spruch prägten: „Der Kepler kommt". Er beobachtete die Sonnenflecken und verstieg sich zu dem Satz, man müsse ein Flugzeug erfinden, mit dem die Menschen zum Mond oder zu einer anderen Weltkugel hinauffliegen könnten, da ihnen die Erdkugel bereits zu eng geworden sei.

Leider aber blieb immer wieder sein Gehalt aus. Die Hofkasse in Prag (und auch in Wien) war ständig leer, der Kaiser wurde

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der Schuldner seines Hofastronomen; der Rückstand wuchs allmäh­lich auf dreitausend Gulden an. Auch die Gnadengaben, die ihm der Kaiser anwies, wenn er wieder ein großes wissenschaftliches Werk vollendet hatte — einmal billigte ihm Rudolph zweitausend Taler zu — standen nur auf dem Papier. Lange Zeit lebte Kepler aus den Einkünften vom Vermögen seiner Frau Barbara, und als er einst humorvoll an den bayerischen Kanzler schrieb: „Mein hung­riger Magen schaut wie ein Hündlein zu dem Herrn auf, der es einmal gefüttert hat", schrieb er die nackte Wahrheit. Wenn man be­denkt, daß er sich bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten nicht ein­mal einen ständigen Gehilfen leisten konnte, dann versteht man, daß er sich schon in den ersten Jahren, wenn auch erfolglos, nach einer besser bezahlten Stellung im Reiche umsah.

Umso heller leuchtet sein Idealismus aus dem stolzen Brief her­vor, den er an seinen ehemaligen Astronomielehrer, den Professor Mästlin in Tübingen, schrieb:

„Hohe Ehren und Würden gibt es bei mir nicht. Ich lebe hier auf der Bühne der Welt als einfacher Privatmann. Wenn ich einen Teil meines Gehalts bei Hof herauspressen kann, bin ich froh, nicht ganz aus Eigenem leben zu müssen. Im übrigen stelle ich mich so, wie wenn ich nicht dem Kaiser, sondern dem ganzen Menschengeschlecht und der Nachwelt diente. In dieser Zuversicht verachte ich mit ge­heimem Stolz alle Ehren und Würden und dazu, wenn es nötig ist auch jene, die sie verleihen. Als einzige Ehre rechne ich es mir an, daß ich durch göttliche Fügung an die Tychonischen Beobachtungen gesetzt worden bin."

Die Beschäftigung mit Tycho Brahes Nachlaß bedeutete für Kepler tatsächlich den endgültigen Durchbruch seines Genies. Der verstor­bene Meister war ein kühler und unermüdlicher Rechner gewesen, vor allem in der Beobachtung der verschnörkelten und unregelmä­ßigen Marsbahn'. Sein mehr visionär schauender, intuitiver Nachfolger war nun gezwungen, für die eigenen kühnen Einblicke in die Him­melsmechanik die genauesten rechnerischen Unterlagen und Beweise zu liefern, seine fast dichterische Phantasie zu zügeln und die längst geahnten und behaupteten Gesetze der Planetenbewegungen in un­endlichen Zahlenreihen einwandfrei und für alle Zeit wissenschaft­lich zu untermauern.

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Mit Feuereifer ging er zunächst an den Planeten Mars; er wettete sogar, in acht Tagen werde er die Berechnungen Brahes ergänzt ha­ben. Aus den acht Tagen wurden Jahre.

Er wies Brahe einen Fehler von acht Minuten in der Umlaufzeit des Mars nach; dann gelang es ihm, sowohl Brahe wie Kopernikus eine falsche Theorie über den Weltmittelpunkt nachzuweisen und ebenso ihre unrichtige Vorstellung über die Erdbahn zu korrigieren. Nicht leicht ist Keplers Planetengesetz zu verstehen, das er zuerst in diesen Jahren fand: Der Fahrstrahl (der Planeten) beschreibt in gleichen Zeiten gleiche Flächenstücke.*) Klar und einleuchtend für alle aber lautet das zweite Keplersche Planetengesetz (Ostern 1605): Die Planeten bewegen sich in Ellipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht.

Mit diesem Satz hob der junge Forscher die zweitausendjährige Theorie der Planetenbewegungen aus den Angeln und ließ Ptolo-mäus, Korpernikus und Brahe, die an die kreisförmige Bewegung der Planeten geglaubt hatten, weit hinter sich zurück. Erst jetzt wurde es möglich, den Standort jedes Planeten zeitlich genau vorauszube-stimmen. Johannes Kepler wurde damit der erste Begründer der

*) Bildliche Erklärung dieses Keplerschen Planetengesetzes. Der „Fahrstuhl", die Verbin­dungslinie des Planetenmit­telpunktes mit dem Sonnen­mittelpunkt, bestreicht bei dem ellipsenförmigen Um­lauf des Planeten um die Sonne (S) in der gleichen Zeit immer eine gleichgroße Fläche, gleichgültig wie weit der Planet von der Sonne ent­fernt ist: Der Planet braucht für den längeren Bahn­bogen a nach b genau so lange Zeit wie für den kür­zeren Bahnbogen d nach e, weil er in der Nähe der Sonne seinen Umlauf be­schleunigt. Die Flächen abS

und cdS sind gleichgroß. Das dritte Keplersche Gesetz lautet: Die Quadrate der Umlaufszeiten zweier Planeten verhalten sich wie die Kuben, die dritten Potenzen, ihrer großen halben Bahnachsen (Quadrat = Zahl mal Zahl; Kuben = Zahl mal Zahl mal Zahl; größte halbe Bahnachse = Entfernung c

oder b bis zum Mittelpunkt der Ellipse).

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Himmelsmechanik. Als er die Sonne als Kraftquelle der Planeten­bewegung und als ihren wirklichen Mittelpunkt erkannte und fest­stellte, daß ihre Wirkung je nach der Entfernung der Planeten von der Sonne zu- oder abnimmt, war er nahe daran, auch das Gravi­tationsgesetz zu erkennen, das Newton ein paar Jahrzehnte später entdeckt hat und das heute, im Zeitalter der Weltraumfahrt, in seiner Wirksamkeit vielmals erprobt worden ist.

Die beiden Planetengesetze und die Folgerungen, die sich aus ihnen ergeben, waren eine europäische Sensation ohnegleichen. Der Italiener Galilei weigerte sich zwar, sie anzuerkennen, aber er fiel dadurch, daß er an der alten kreisförmigen Bewegung der Planeten festhielt, wissenschaftlich hinter seinem deutschen Rivalen zurück.

Bei aller angestrengten Arbeit hatte Kepler wieder große ma­terielle Schwierigkeiten zu überwinden, als er seine neuen Erkennt­nisse in Buchform herausbringen wollte. Brahes Schwiegersohn Tengnagel weigerte sich, die Vorarbeiten Brahes für den Druck frei­zugeben, obwohl er nichts von der Sache verstand.

Kepler verglich ihn mit einem Hund, der in der Krippe sitzt und niemand heranläßt, obwohl er selbst kein Heu fressen kann. Auch die kaiserliche Kasse war wieder einmal leer. Endlich gab Tengnagel seine Zustimmung zum Druck; er durfte zum Entgelt die Vorrede des Buches schreiben; im Frühling 1609 flössen auch die kaiserli­chen Gulden wieder, und so konnte im Sommer endlich das erste moderne Astronomiebuch, Keplers „Astronomia Nova", ,die neue Astronomie', erscheinen.

Diesem hochbedeutsamen Werk war 1604 ein Werk über den op­tischen Teil der Astronomie vorangegangen, das später auch Goethe interessierte, als er seine Farbenlehre schrieb; das Buch gab auch über die Lichtmessung, den Vorgang des Sehens, über Kurzsichtig­keit und Alterssichtigkeit und über die kunstgerechte Beobachtung der Sonnen- und Mondfinsternisse neue und überraschende Auf­schlüsse.

Kepler war nun weltberühmt. Viele Fürsten, die an den Hof nach Prag kamen — so die Kurfürsten von der Pfalz und der von Köln — würdigten ihn längerer Unterhaltungen; kaiserliche Hof rate und Prälaten wurden seine Freunde, Gelehrte aus aller Welt standen mit dem mitteilsamen Astronomen im Briefwechsel. Die drei Kinder,

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aber die allgemeine Hochachtung der ganzen Welt siegte vorerst noch einmal über die kleinen Verfolgungen in Linz: Der hochgesinnte Mann beantwortete sie damit, daß er täglich für die Wiedervereini­gung der getrennten Konfessionen betete.

In dieser Zeit dachte er daran, daß er seinen beiden Kindern, der elfjährigen Susanne und dem sechsjährigen Ludwig, eine zweite Mutter geben müsse.

Diesmal ging er mit geradezu wissenschaftlicher Genauigkeit an das Problem der Brautwerbung heran; auch sein ängstlich gewor­denes Gewissen sprach unablässig mit; er prüfte sich streng, um auch in der Wahl seiner zweiten Frau die göttliche Fügung zu erkennen.

Er dachte nacheinander zuerst an drei Frauen aus seiner Prager Zeit; dann rückten einige Linzerinnen in das Gesichtsfeld des be­dachtsamen Freiers. Diese Ehekandidatinnen zu überprüfen, war fast schwieriger als die Berechnung einer Planetenbahn: Er brauchte zwei volle Jahre, ehe er sich für die vierundzwanzigjährige Schrei­nerstochter Susanna Reuttinger aus Eferding entschied. Susanna war Vollwaise. Die Freifrau von Starhemberg hatte sie zwölf Jahre lang in ihrem Haushalt beschäftigt, ehe der berühmteste Astronom der Welt dem bescheidenen Mädchen die Hand fürs Leben reichte.

Es wurde eine überaus glückliche Ehe. Susanna schenkte ihrem Gatten in den vierzehn Jahren seines Linzer Aufenthaltes sechs Kinder. Das jüngste Söhnchen ließ Kepler mit schwäbisch-christli­chem Humor auf den Namen Hildebert taufen, weil ein kirchlicher Schriftsteller aus dem 11. Jahrhundert namens Hildebert „so aus­gezeichnet über die Abendmahlslehre geschrieben habe."

Der glückliche Vater kümmerte sich aufopfernd um die Erziehung seiner Kinderschar. Für den kleinen Ludwig übersetzte er sogar schriftlich das erste Buch aus Cäsars „Gallischem Krieg", ebenso das erste Buch aus den „Historien" des Tacitus; er hielt Hausandachten und schrieb eigens für seine Kinder einen „Unterricht vom H. Sa­krament des Leibs und Bluts Jesu Christi unseres Erlösers" und ließ dies Büchlein drucken.

Der tiefe Frieden, den er in seiner Familie fand, wurde indessen bald durch das finstere Unheil gestört, das über seine Mutter Katha­rina hereinbrach; der siebzigjährigen „Kätherle" fern im schwäbi­schen Leonberg, widerfuhr das Schlimmste, das einer Frau von da-

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mals geschehen konnte: Sie wurde als Hexe angeklagt, und nur mit knapper Not entriß ihr Sohn sie dem Scheiterhaufen.

Die Sache begann mit bösem Weibergeschwätz. Die Glasersfrau Reinbold, wegen ihrer Liederlichkeit schon vorbestraft, behauptete, ihr sei nach einem Kräutertrunk, den ihr Keplers Mutter zubereitet habe, übel geworden. Ein anderes Weib, die „Schinderburga" ge­nannt, sprang der Reinboldin bei und nannte die gute Kräuterfrau Katharina eine Giftmischerin und Hexe. Ein drittes Weib, die Mayerin schwur, der Kräutertrank der Greisin habe ihr tödliches Siechtum gebracht. Die Mayerin starb — und nun wurde das Ge­schwätz gefährlich.

„Sie hat ein Kalb zu Tode geritten; sie hat vom Totengräber den Schädel ihres Vaters verlangt, um daraus ein Trinkgeschirr für ihren Sohn Johannes machen zu lassen." Der lahme Schulmeister Beutler und der Metzger Frick behaupteten, sie hätten plötzlich Schmerzen empfunden bis zur Lähmung, als die Greisin sie nur ge­streift habe. Der Schneider Schmid warf ihr vor, sie sei schuld am Tode seiner Kinder, weil sie sich über ihre Wiege gebeugt habe. „Sie verhext das Vieh, sie kommt durch verschlossene Türen her­ein —", so schwirrten die Gerüchte und Anklagen um das Haupt Kätheries, und je zorniger sie sich zur Wehr setzte, umso üppiger schössen die dummen und gehässigen Verleumdungen ins Kraut.

Im August 1615 jagte der Bruder des württembergischen Herzogs, Prinz Achilles, in den Wäldern um Leonberg. Im Gefolge des Prin­zen befand sich der Vogt Luther Einhorn und der Hofbarbier Urban Kräutlin, der ein Bruder der Reinboldin war. Das böse Weib sta­chelte ihren Bruder auf, die Keplerin vor den Vogt Einhorn zu laden, während dieser Vorladung drang der Barbier Kräutlin mit gezogenem Säbel auf die Greisin ein und schwur, er werde sie um­bringen, wenn sie seine Schwester nicht wieder gesund mache.

Nach dieser häßlichen Szene reichte die Keplerin beim Stadtge­richt in Leonberg eine Klage wegen Beleidigung gegen den Vogt und den Barbier ein und schrieb an ihren Sohn in Linz. Johannes Kepler sandte zwar einen geharnischten Brief an den Rat zu Leon­berg über die „Teufelsleute, die seiner Mutter das Herz ganz und gar benehmen wollten", aber der Rat schob nun einfach die Ver­handlung hinaus, da Kepler ein mächtiger Mann war.

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Mittlerweile geschah der Keplerin ein neues Unglück. Die zwölf­jährige Tochter der Schinderburga behauptete, die „Hexe" habe ihr auf den Arm geschlagen und sie könne seitdem weder Arm noch Finger rühren. Vogt Einhorn untersuchte den Arm des Mädchens und stellte fest, das sei ein „rechter Hexengriff" gewesen und die Keplerin habe das Mädchen gebannt. Obwohl die „Gebannte" als­bald fröhlich und gesund wieder herumlief, ließ der Vogt die Kep­lerin wissen, er werde diese höchst bedenkliche Sache vor den Her­zog bringen. Das eingeschüchterte Weiblein tat nun das Dümmste, was sie tun konnte: Sie bot dem Vogt einen silbernen Becher an, wenn er den Bericht unterlasse. Dann floh sie zu ihrem Sohn nach Linz, Weihnachten 1616.

Die Verfolger nützten sofort diese Torheiten aus. Die Leonberger Hexenjäger forderten hohe Entschädigungen, der Beleidigungspro­zeß Katharinas wurde abermals in die Länge gezogen, die Prozeß­kosten wuchsen an, und so blieb Kepler nichts übrig, als im Okto­ber 1617 selber mit seiner Mutter nach Leonberg zu reisen.

Man machte Ausflüchte und bereitete in aller Stille die Anklage­schrift wegen Hexerei vor; das Protokoll der Zeugen umfaßte 208 Seiten; der Angeklagten wurde die Folter angedroht, wenn sie nicht die „Wahrheit" sage.

Ihr Sohn bat sie, mit ihm nach Linz zurückzureisen; aber sie wei­gerte sich; in einer Julinacht 1620 drangen Häscher in ihre Woh­nung ein, steckten sie in eine Truhe, schlugen den Deckel zu und trugen sie ins Gefängnis.

Die Mutter in Ketten, von zwei Häschern bewacht — dieses schreck­liche Bild ließ Kepler nicht ruhen. Inzwischen war der Dreißigjäh­rige Krieg ausgebrochen; der bayerische Kurfürst Maximilian rückte in Linz ein, die Sache der Protestanten stand übel; der englische Ge­sandte Sir Henry Wotton besuchte Kepler und lud ihn ein, an den Königshof nach London zu kommen, aber der edle Mann weigerte sich, sein Vaterland in der Not zu verlassen; er zog es vor, über Regensburg, wo er seine Familie unterbrachte, zu seiner Mutter in das Gefängnis zu reisen. Dort konnte sie ihren Sohn nicht einmal umarmen, da sie gefesselt war . . .

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Tag und Nacht arbeitete er nun mit befreundeten Rechtsanwälten die Verteidigungsschrift aus. Die Ankläger stellten neues belasten­des Material zusammen; so warf man der Keplerin vor, sie könne nicht mehr weinen — das sicherste Zeichen, daß sie vom Teufel be­sessen sei.

Die Verteidigungsschrift Keplers umfaßte 128 Seiten; er selber trat mit seiner ganzen Autorität im Prozeß auf und widerlegte sämtliche Anklagepunkte — bis der Herzog befahl, den Fall an die juristische Fakultät der Universität Tübingen zu verweisen.

Die Rechtsgelehrten dort urteilten zwar mild, aber zweideutig: Frau Katharina Kepler solle zwar nicht gefoltert, aber zur „Erler­nung der Wahrheit peinlich befragt werden".

So wurde die ahnungslose Greisin eines Tages abgeholt und in die Folterkammer geführt. Dort zeigte ihr der Henker die Mar­terinstrumente und erklärte ihr, sie werde gefoltert, wenn sie nicht gestehe. Katharina, die diese schreckliche Ankündigung glauben mußte, erklärte: „Macht mit mir, was ihr sollt. Auch wenn ihr mir eine Ader nach der anderen aus dem Leibe zieht: Ich habe nichts zu be­kennen. Gott wird die Wahrheit nach meinem Tod an den Tag brin­gen." Dann kniete sie nieder und betete ein Vaterunser. Nach die­sem grausamen Spiel wurde sie abgeführt und auf Befehl des Her­zogs am 4. Oktober 1621 als unschuldig entlassen. Nach einem halben Jahre starb sie.

Nach dem Begräbnis kehrte Kepler nach Linz zurück. Das würt­tembergische Konsistorium schloß ihn endgültig als „dreisten Ver­ächter des Wortes Gottes" aus der Kirche aus; er sagte einen „allge­meinen deutschen Religionskrieg mit Feuer und Schwert" vor­aus. Trotz seiner inneren Erschütterung aber entdeckte er in jenen dunklen Jahren das dritte Planetengesetz (vgl. S. 18), vollendete die bereits erwähnten fünf Bücher über „Die Weltharmonie" und schloß das Werk mit einem Dankgebet an Gott, den „Vater des Lichtes, der ihm die Freude am Werk seiner Hände geschenkt" habe (vgl. Seite 30).

Die Kette des Unglücks riß nicht ab. Drei seiner Kinder starben; er konnte auch in Linz keinen Assistenten finden; wissenschaftliche Sektierer griffen ihn dauernd an; einer seiner Kalender wurde

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öffentlich verbrannt; die Druckerei, die seine Werke herstellte, ging in Flammen auf; in seinem Haus war zeitweilig eine ganze Kom­panie Soldaten einquartiert und seine Bibliothek blieb wochenlang beschlagnahmt.

Trotzdem schrieb er neben der „Weltharmonie" noch eine Reihe genialer Werke über Planeten und Kometen, ein Buch über Loga­rithmen und eine Menge kleinerer Schriften, wie die über „Die Vermessung der Weinfässer". Er machte Bemerkungen über den viel später geprägten Begriff des Strahlendrucks, vollendete die Rudol-phinischen Tafeln und verfaßte noch mehrere Kalender.

Nach der Zerstörung der Druckerei verließ Kepler mit Frau und Kindern am 20. November 1626 die vom Krieg umtoste Stadt und fuhr nach Ulm, um dort in der Druckerei des Jonas Säur die „Ru-dolphinischen Tafeln" in die Presse zu geben. Er selbst hat dieses Buch als sein astronomisches Hauptwerk bezeichnet; es diente hundert Jahre lang den Astronomen und Seefahrern im fernen Osten und im Westen als Grundlage ihrer Berechnungen.

Nach einem Jahr war das Werk ausgedruckt, und Johannes Kep­ler sah sich abermals nach einer Heimat um.

Die letzten Jahre Er reiste nach Prag, um dort dem Kaiser Ferdinand II. sein mit

Bildertafeln geschmücktes Rudolphinisches Planetenwerk zu über­reichen.

In der Residenzstadt herrschte politischer Hochbetrieb. Ferdinands Sohn, der spätere Kaiser Ferdinand III., wurde mit Pracht und Prunk zum König von Böhmen gekrönt. Auch der Generalissismus des Kaisers, Wallenstein, Herzog von Mecklenburg, Friedland und Sagan, genoß in seinem pompösen Palais am Fuße des Hradschin seinen militärischen und politischen Ruhm.

Der Kaiser wies Kepler viertausend Gulden als Ehrengabe an, die freilich niemals ausbezahlt wurden. Verhandlungen über eine Lebensstellung im kaiserlichen Dienst scheiterten aus unbekannten Gründen. Die Entscheidung fiel erst, als Wallenstein ihn rufen ließ.

Kepler hatte schon vor zwanzig Jahren dem sternhörigen, im

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astrologischen Wahn befangenen Offizier das Horoskop gestellt und sich nicht gescheut, die Sterndeutung mit einer offenen und scho­nungslosen Darstellung des Wallensteinschen Charakters zu verbin­den; sechzehn Jahre später, 1624, hatte der Herzog ein neues, aus­führliches Horoskop von Kepler erbeten, und auch diese Arbeit scheint Wallenstein imponiert zu haben; es griff weit in die Zukunft hinein, es mahnte und warnte und sagte für den März des Jahres 1634 „schreckliche Landverwirrungen" voraus.

Jetzt, in den Februartagen 1628 zu Prag, machte Wallenstein dem Astronomen erneut ein Angebot.

Er bat ihn, nach Sagan zu übersiedeln, und versprach ihm ein Jahresgehalt von tausend Gulden und die Aufstellung einer Druck­presse zur alleinigen Verfügung. Seine Stellung als kaiserlicher Hof-mathematikus könne er beibehalten.

Kepler nahm an, verabschiedete sich in Linz und holte seine Fa­milie nach Sagan in Schlesien.

Ein Jahr später schrieb er: „Ich bin Gast und Fremdling, fast völ­lig unbekannt und verstehe kaum den Dialekt, wie ich selbst als Barbar angesehen werde." Und kurz darauf, als Wallenstein seine ersten militärischen Mißerfolge vor Stralsund erlitt: „Wenn der Sturm wütet und der Schiffbruch des Staates droht, können wir nichts Würdigeres tun, als den Anker unserer friedlichen Studien in den Grund der Ewigkeit senken."

Kepler warf sich abermals in die Arbeit. Er gab die Fortsetzung seiner Ephemeriden heraus, schrieb den „Traum oder die Mond­astronomie" und lieferte seine astrologischen Erkenntnisse an Wal­lenstein ab.

Glücklicherweise gewann er in dem jungen Schlesier Jakob Bartsch, Magister und Kandidaten der Medizin, einen ausgezeichneten Ge­hilfen und bald auch Schwiegersohn: Bartsch hielt um die Hand der Keplertochter Susanne an, die er noch nie gesehen hatte, sie hatte eine Stellung als „fürstlich markgräfisches Frauenzimmer" fern in Durlach. Aber Kepler und Susanne nahmen den schüchternen Freier an, und die Hochzeit wurde am 12. März in Straßburg gefeiert.

Es war der letzte schöne Tag im Leben Keplers, wenn er ihn auch nur von Sagan aus im Geiste miterleben konnte. Am Hoch-

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Hier in seinem Quartierhaus zu Regensburg, im Hause des Kaufmanns Billj (Mitte), starb Johannes Kepler am 15. November 1630.

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zeitsmorgen erhielt Bartsch den Doktorhut der medizinischen Fakul­tät an der Straßburger Universität, auch die Ernennung zum Pro­fessor wurde ihm versprochen.

Der Hochzeitszug, an dem der Rektor der Universität mit vielen Professoren teilnahm, bewegte sich durch die geschmückten Straßen; die Zuschauer deuteten mit dem Finger auf die Verwandten des weltberühmten Astronomen-, und der Magistrat stiftete zwei Eimer edlen Weines.

Die Freude der Familie erreichte ihren Höhepunkt, als nach der Heimkehr der Neuvermählten nach Sagan Keplers Frau sie vor eine Wiege führte; in der Wiege lag das Töchterchen Anna Maria, das Frau Susanna senior ihrem Gatten Johannes Kepler am 18. April geboren hatte.

Kehren wir zum Anfang unserer Darstellung zurück: Der einsame Reiter, der am Allerseelentag im Hause des Kauf­

manns Billj zu Regensburg Quartier nahm, unser Johannes Kepler, wird in den nächsten Tagen wohl Fühlung mit den hohen Herren des Reichstags gesucht haben, bis ihn die tödliche Krankheit an sein Lager fesselte. Einige Prediger besuchten ihn und „erquickten ihn mit dem lebendigen Wasser des Trostes". Eines seiner letzten Worte war: „Ich setze alle meine Hoffnung auf das Verdienst meines Er­lösers Jesus Christus." Er starb am 15. November 1630 gegen Mittag.

Die Beisetzung fand mit allen kirchlichen Ehren auf dem prote­stantischen Friedhof St. Peter statt. Der Prediger Donauer hielt die Leichenrede über Lukas 11, 28: „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren."

Auf der Grabtafel wurde er als ein Mann gerühmt, der der gan­zen Christenheit bekannt sei und, den Fürsten der Astronomie bei­gezählt werde: Am Schluß der Inschrift wurden die beiden latei­nischen Verszeilen eingemeißelt, die Kepler noch in Sagan ahnungs­voll verfaßt hatte:

„Himmel durchmaß mein Geist, nun meß ich die Schatten der Erde. Ward mir vom Himmel der Geist, ruht hier der Schatten des Leibs." Am Abend des Begräbnistages sollen in Regensburg und an an­

deren Orten des Reiches feurige Kugeln vom Himmel gefallen sein.

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Als Gustav Adolf nach Bayern zog, wurde der Petersfriedhof befestigt; bei der Eroberung Regensburgs durch Bernhard von Wei­mar wurde er eingeebnet.

Tycho Brahe ruht in der Teynkirche zu Prag, Galilei in Santa Croce in Florenz, Newton in der Westminister-Abtei zu London. Das Grab Keplers, der ihnen ebenbürtig war, ist unsichtbar ge­worden.

Die Familie geriet in Not. Bartsch erhielt die in Aussicht gestellte Professur in Straßburg nicht, er starb 1633 an der Pest, drei Jahre später verschied auch Keplers Gattin zu Regensburg. Sein Nachlaß erlitt denkwürdige Schicksale, bis ihn nach langen Wanderungen Kaiserin Katharina II. von Rußland teilweise erwarb. Er wird heute noch in der Sternwarte Pulkowo bei Leningrad gehütet. Keplers harmonischer Geist indessen strahlt über die Jahrhunderte.

Der junge englische Astronom Horcox sagte von ihm: „Wer Kep­ler hat, hat alles." Der französische Astronom Bailly zählte ihn den größten Männern dieser Erde zu. Leibniz nannte ihn einen „un­vergleichlichen Mann, der nicht wußte, wie reich er war." Goethe, Hölderlin und Mörike rühmten und verehrten ihn. Den schönsten, wahrhaft prophetischen Nachruf aber hat ihm der deutsche Dichter Novalis gewidmet, indem er bekannte:

„Zu dir kehr ich zurück, edler Kepler, dessen hoher Sinn ein ver­geistigtes, sittliches Weltall sich erschuf, statt daß in unseren Zeiten es für Weisheit gehalten wird, alles zu ertöten, das Hohe zu er­niedrigen, statt das Niedere zu erheben, und selber den Geist des Menschen unter die Gesetze des Mechanismus zu beugen."

Keplers Schlußwort

zu seiner Schrift „Das Weltgeheimnis", 1596

Gott, du Schöpfer der Welt, unser aller ewiger Herrscher! Laut erschallet dein Lob ringsum durch die Weite der Erde! Groß fürwahr ist dein Ruhm; er rauschet mit mächtigen Schwingen Durch den herrlichen Bau des ausgebreiteten Himmels.

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Schon das Kind verkündet dein Lob; mit lallender Zunge, Satt der Brust seiner Mutter, stammelt es, was du ihm eingibst, Beugt durch die Kraft seiner Rede den trotzigen Stolz seines Feindes, Der Verachtung hegt gegen dich, gegen Recht und Gesetze. Ich aber suche die Spur deines Geistes draußen im Weltall, Schaue verzückt die Pracht des mächtigen Himmelsgebäudes, Dieses kunstvolle Werk, deiner Allmacht herrliche Wunder. Schaue, wie du nach fünffacher Norm die Bahnen gesetzt hast, Mitten darin, um Leben zu spenden, die Sonne. Schaue, nach welchem Gesetz sie regelt den Umlauf der Sterne, Wie der Mond seine Wechsel vollzieht welche Arbeit er leistet, Wie du Millionen von Sternen ausstreust auf das Himmelsgefilde. Schöpfer der Welt! Wie vermochte der Mensch aus Adams Geschlechte, Er, der so arm und niedrig bewohnt die winzige Scholle, Dich zu zwingen, auf daß du dich kümmerst um all seine Sorgen? Ohne Verdienst ist er; du hebst ihn empor in die Höhe, Über der Engel Geschlecht und schenkst ihm Ehre um Ehre, Krönst annoch sein Haupt mit strahlender Krone, König soll er sein über alles, was du gemacht hast. Was zu Häupten ihm ist, die beweglichen Bahnen des Himmels, Seinem Geist unterwirfst du sie. Was die Erde hervorbringt, Vieh, geschaffen zur Arbeit, bestimmt zum dampfenden Hausherd, Alles andere Getier, das die dunklen Wälder bewohnt, Alles, was in der Luft mit leichtem Flug sich bewegt, Was in den Fluten des Meeres und der Flüsse sich tummelt, die Fische, Alles soll er mit Macht und Gewalt regieren, beherrschen. Gott, du Schöpfer der Welt, unser aller ewiger Herrscher! Laut erschallet dein Lob ringsum durch die Weite der Erde!

(Übersetzt von Max Caspar)

Umsehlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Bildvorlagen: Bildstelle Deutsches Museum, Stadtverwaltung

Weil der Stadt, Verlagsarchiv

L u x - L e s e b o g e n 3 4 3 (Astronomie) H e f t p r e i s 3 0 P f g . Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vierteljährl 6 Hefte DM 1.80) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt. — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vor­rätig - Druck: Hieronymus Mühlberger, Augsburg. — Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München. — Herausgeber: Antonius Lux.

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Aus der Sternenkunde, aus dem Leben der Erde, aus dem Leben der Natur berichten auch die folgenden Lesebogen, die jederzeit nach­bestellt werden können (Heftpreis 25 Pfg., von Nr. 333 an 30 Pfg.):

ErdkundVSternenkunde

7 Die S te rne

16 W a s s e r — W ü s t e — Weizen

31 Arktis

33 Auf dem Mississ ippi

37 Der gute Mond

39 W ü s t e oder Parad ies

41 Der b r ennende Stein

43 Der sechste Erdteil

46 Hel ium

60 Meteore

65 Eisbrecher e r k ä m p ­fen N.O.-Passage

67 Im Reich der Höhlen

69 J a p a n

73 Roald Amundsen

75 Urwald

76 Die Sonne

82 Rätsel der Oster inse l

83 Die großen Kanäle

84 Rätsel des Mars

85 Pygmäen

94 Schätze, die das Meer verschenkt

96 Grüne Hölle am Amazonas

97 Magel lan segel t um die Erde

99 Island, Insel zwi­schen Eis und Feuer

100 Wel t en in se ln

105 Erdöl

114 Wir r i t t en nach Lhasa

126 Tiefsee

127 Grön land

130 Suomi — Finnland

134 Die al te Erde

140 Die K a r a w a n e

141 Die Höhle von Pier re Saint Mar t in

145 O r k a n e u n d Taifune

149 Im ewigen Eis

150 Kanada

156 Braunkohle

157 Moun t Pa lomar

172 Alaska —Zukunf ts ­land am Polarkre is

177 Kongo zwischen ges t e rn und morgen

179 A r a b i e n

180 Das Moor

185 Chinchon, der W u n d e r b a u m

186 Zucker

190 Salzgi t ter

191 Der große Strom St. Lorenz

203 Luftkreuz Nordpol

206 Nege r s t aa t Liberia

209 Die W e l t u h r — Die Erde lebt

211 Die k le inen Vier (Besuch in den Z w e r g s t a a t e n Europas)

224 Die Schildkröten-inseln

229 Kors ika

237 S te rnenrä t se l

239 N o m a d e n des Nordens

245 Admira l Byrd

247 Die neun P lane ten

251 Ghana — Staa t an der Goldküs te

256 Die Entdeckung der Erde

262 Kräfte der Na tu r

265 Kapi täne

272 Mexiko

274 Der Vulkan

275 Der Nil

278 Wel tumseg le r

280 Sta t ion am Südpol

282 Malta

287 New York

291 Naut i lus (Nord-polunterquerung)

292 J a m e s Cook

293 Vater der Ströme (Mississippi)

294 Per len

300 Spi tzbergen

305 Gold in Südafrika

309 Wald läufer und Forscher

313 Eskimos

314 In der W ü s t e Gobi

317 Ir land

334 Ätna

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Anguis _ d e r A a l

9 Gefiederte F r eunde 1 3 Augen auf!

18 Hagenbeck hande l t mit T ie ren

21 W a l e

23/24 Der Räuber Ise­gr im (Doppelheft)

32 Nach tgespens te r 36 Insek ten-Rätse l 38 Tie re und Tie rb i lde r

des Höhlenmenschen

45 A u g e n auf! (2}

47 Das übe r l i s t e t e Tier

52 Tier -Riesen der Urwel t

53 Das v e r w a n d e l t e Tier

57 T ie rvö lke r w a n d e r n

62 Über W a l d und He ide

64 Ringvogel B 32 521

70 Tie r leben

74 Hydra

78 Grimback — der H a m s t e r

88 Unsichtbare Fe inde

92 H e r d e n un te r der Mi t t e rnach t s sonne

93 Mein F reund — der Igel

98 M e r k w ü r d i g e T ie re

102 Bergmann des Ackers

103 W u n d e r de r V e r e r b u n g

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197

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222

V o m Pilz zum Penici l l in

Die W e s p e n k ö n i g i n

Lebende Kris ta l le / A u s der W e l t de r V i r e n

Der Kuckuck

Kle ines T ie rvo lk

Die le tz ten Biber

Der Dachs

Fami l ie Specht

Im Zoo

P ingu ine

Voge lwe l t im Zoo

Fabe l t i e re

Sieg ü b e r d i e Kä l t e

Se l t s ame Käuze

G r a u e Riesen

Türi l i — die Heide­lerche

Ri t ter im Teich / Der Stichling

Baumeis te r der Voge lwe l t

V o m Ins t ink t der T ie re

Tie re im W i n t e r ­schlaf

T i e r e h in t e r G i t t e rn

Die g roßen Räuber

M a u e r s e g l e r

Der he i l ige Käfer / Der S k a r a b ä u s

Elche

V o g e l v o l k

Tier-Rätse l

223 W u n d e r in uns

231 Eu lenvo lk

236 Tiergeschichten

241 Der Baum -

246 Pf lanzenwunder

248 Be rnha rd ine r

253 Der Habicht

254 W e t t e r b a l l o n e

260 Robben

263 Affenvolk

268 Tiere , wie sie k e i n e r k e n n t

269 A m e i s e n

276 W e r k s t a t t de r N a t u r

277 Vöge l am Fens t e r

279 Kaffee

285 Der Hon igvoge l

288 Das b l ü h e n d e J a h r in W a l d und Flur

290 Ura l tes T ie rvo lk

296 A l e x a n d e r v o n Humbo ld t

299 Der Spe rbe r

308 Das M a m m u t

312 H u n d e

314 In de r W ü s t e G o b i

319 Urwi ld der A r k t i s

322 Bienenvolk

324 E i sbä ren

338 Lemming-Züge

339 Pferde

341 W u n d e r w e l t de r I n s e k t e n

V e r l a g S e b a s t i a n L u x , M u r n ' a u v o r M ü n c h e n , S e i d l - P a r k