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Herrschaft durch Sprachherrschaft?

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Berliner Beiträge zur Linguistik

Band 4

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Vitor Zimmerer

Herrschaft durch Sprachherrschaft?

Was uns die Psycholinguistik über die „Macht der Wörter“ sagen kann

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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Gedruckt auf holz- und säurefreiem Papier, 100 % chlorfrei gebleicht.

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Alle Rechte vorbehalten Umschlagbild: Birgit Glasmacher Printed in Germany ISSN 1612-8524 ISBN 3-89998-086-7

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort 9

1. Einleitung 13

1.1 Aufbau 17

2. Sprachkritik und sprachliche Relativität 19

2.1 Sprachkritik 19

2.1.1 Die Geschichte der Sprachkritik – ein Überblick 22

2.1.2 Der Nationalsozialismus 23

2.1.3 „1984“ und „Newspeak“ 24

2.1.4 „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ 28

2.1.5 Sprachreflexive Topoi 30

2.1.6 Zusammenfassung: Thesen der Sprachkritik 35

2.2 Sprachliche Relativität 36

3. Pinker: „The Language Instinct“ 41

3.1 Studien zur mentalen Objektrotation 43

3.2 Pinkers Schlussfolgerung 45

3.3 Kritik an Pinker 45

4. Präzisere Fragestellung und die Modulhaftigkeit des Denkens 49

5. Weitere empirische Studien zur sprachlichen Relativität 57

5.1 Farbwörter 58

5.2 Räumliche Relationen 62

5.3 Zahlenwörter 64

5.4 Die „Syntax“ der Mathematik 68

5.5 Zusammenfassung und weitere Diskussion 70

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6. Assoziation und Affekt 75

7. Versuch 81

7.1 Versuchsanordnung und Durchführung 83

7.2 Auswertung 90

7.3 Diskussion 94

8. Resümee 99

9. Literaturverzeichnis 103

10. Anhang 109

11.

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Vorwort

Vor wenigen Monaten bat mich eine Schülerin, die ihre Matura-Arbeit über die

politische Manipulation eines Volkes durch Sprache schreiben wollte und über

das Internet auf mich gestoßen war, um Hilfe. Sie hatte durchaus konkrete Vor-

stellungen von dem, was sie bei ihrer Arbeit erwarten würde: Wissenschaftlichen

Anspruch sollte die Arbeit haben, zu viel Arbeit sollte sie aber nicht bereiten. Sie

fragte mich, ob ich nicht ein Buch empfehlen könnte, das erklärt, wie die Politik

mit Hilfe von Sprache das Volk manipuliert.

Es tat mir ein wenig Leid, sie zu enttäuschen. Ich sagte, dass es viele

Bücher von Sprachkritikern mit Vorwürfen an die Politik und Behauptungen

über die Wirkung von Sprache gäbe. Doch wenn man mit wissenschaftlichem

Anspruch arbeiten wollte, hieße die Frage zunächst nicht „wie manipuliert die

Politik mit Sprache?“, sondern „wie steht es überhaupt um die Möglichkeiten der

Politik, mit Sprache zu manipulieren?“, und eben diese Frage sei noch nicht zu-

frieden stellend beantwortet. Es sei nicht möglich, ein einziges Buch zu finden,

das ihre Erwartungen erfüllt. Also gab ich ihr eine kurze Liste von Literatur, die

ich für den Umfang ihrer Arbeit geeignet hielt und Anweisungen darüber, welche

Teile sie am Besten zu lesen habe. Leider schien sie mir nicht so recht zu glau-

ben.

Wochen später schrieb mir eine verzweifelte Maturientin mit einer immer

näher rückenden und rücksichtslosen Deadline, dass ich leider Recht hatte. Sie

hatte viele Bücher zu dem Thema gefunden, aber keines, das ihren Vorstellungen

entsprach. Es gebe immer nur Behauptungen, aber keine vernünftigen Beweise.

Nun bliebe ihr nur wenig Zeit, und das Thema könne sie auch nicht mehr

wechseln. Sie würde trotzdem versuchen, mit dem, was sie sich angelesen hat

und dem, was ich ihr empfohlen hatte, eine solide Arbeit zu produzieren. Nun

würde ich diese Geschichte gerne mit einem Happy End abschließen, aber zu der

Zeit, in der ich dieses Vorwort schreibe, ist sie wahrscheinlich selbst im größten

Abgabestress. Ich wünsche ihr alles Gute für ihren Abschluss.

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Manipulation über Sprache ist ein Thema mit hohem Anspruch. Während der

Schulzeit wird dies nicht ganz klar vermittelt. Da werden Reden der NS-Zeit,

Lieblingskind der Schullehrpläne für Deutsch und Geschichte, analysiert und

über die verheerende Wirkung einer pervertierten Sprache gesprochen, die Grup-

pen stigmatisiert und Scheußlichkeiten beschönigt; einer Sprache, die selbst über

die Mittel der Rhetorik hinaus das Denken und Fühlen lenkt. Die Herangehens-

weise an das Thema ist dabei so einfach wie falsch. Hier ist die Beschreibung der

sprachlichen Form gleich der Erklärung, wie sie wirkt. Die Grundannahme, dass

es die manipulative Sprache sei, die ein Volk dazu verleitet, furchtbaren politi-

schen Idealen zu folgen, wird als allgemeiner Konsens präsentiert und nicht

hinterfragt, obwohl es in der Forschung unterschiedliche Positionen dazu gibt.

Auf der anderen Seite gibt es die Psycholinguistik, die versucht, auch mit

empirischen Methoden konkrete Hinweise für die Wirkung des verwendeten

Sprachsystems auf die Teile der Kognition zu finden, die an sich nichts mit

Kommunikation zu tun haben. Dies ist wichtig – wer die Frage nach der Mög-

lichkeit von Manipulation durch Sprache stellt, kommt nicht drumrum, sich zu

fragen, welchen Einfluss Sprache auf das Denken haben kann. Doch geht es für

die Psycholinguistik zunächst nicht um Begriffe wie Freiheit oder sozial, sondern

erst einmal um die Wirkung von Wörtern wie blau, links oder und, und ihre

Anwendung frei von jeder politischen Semantik. Auf den ersten Blick klafft eine

gewaltige Lücke zwischen den Annahmen der Sprachkritiker, die vor der Beein-

flussung des Volkes warnen, und Versuchen um die Verarbeitung der hier ge-

nannten Wörter. Dieses Buch soll einen Beitrag dazu leisten, die Lücke zu

schließen.

Dabei gibt es eine Anzahl von Leuten, denen ich zu danken habe, da ohne sie

dieses Buch in dieser Form nicht möglich wäre: Von den Sprachwissenschaftlern

an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf danke ich vor allem Martin

Wengeler und Martina Penke für ihre Unterstützung, sowie Rudi Keller für seine

hilfreichen Anmerkungen. Dazu danke ich Birgit Glasmacher für das Titelbild,

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Sandra Ronkartz für ihre Stimme, und Anja Lütte, Doris Gerland, Sima

Niroomand und Johannes Rappman für ihre Korrekturen und Vorschläge.

Berlin, im Juni 2006 Vitor Zimmerer

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Einleitung

Fast täglich werden wir durch die Medien Zeugen eines Kampfes um Sprache.

Viele gesellschaftliche Diskussionen, und erst recht politische Debatten, befassen

sich nicht nur mit Ereignissen und Ideen an sich, sondern kritisieren auch die

Ausdrücke, mit denen auf sie referiert wird. Ein einziges Wort kann dabei schon

große Aufmerksamkeit erregen. Als zum 60. Jahrestag der Bombardierung

Dresdens Mitglieder der NPD von einem Bombenholocaust der Alliierten spre-

chen, bekämpfen andere Parteien das Wort und wollen überprüfen, ob die

„Reden der NPDler den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen“ (Stern

21.1.2005). Doch Wörter werden nicht nur angegriffen, sondern auch erobert.

Man nehme als Beispiel die begehrte Hochwertphrase soziale Gerechtigkeit:

Durch unterschiedlich gewichtete Definitionen versuchen Parteien, sie für sich zu

beanspruchen: „Die Stärkeren müssen mehr leisten als die Schwächeren“, erklärt

Franz Müntefering (SPD), während für Guido Westerwelle (FDP) im Mittelpunkt

steht, dass „sich Politik vor dem Verteilen um das Erwirtschaften kümmert.“ Er

fährt fort: „Eine Neidkultur, die Fleiß und Anstrengung bestraft, ist sozial unge-

recht“ (Stern 1.4.2004).

Dieser Kampf um Begriffe basiert auf Annahmen, die man zusammen-

gefasst „These von der Macht der Wörter“ (Mayer 2002:24) nennen kann. Der

Grundgedanke ist der, dass die Sprache, in der wir miteinander reden, einen Ein-

fluss auf das Denken und Fühlen und damit auch auf Handlungsweisen ausübt.

Natürlich bietet Sprache grundsätzlich Möglichkeiten des Einflusses, doch hier

ist nicht die Wirkung gemeint, die man über bloße Bitten und Befehle oder über

den Austausch von richtigen oder falschen Informationen erzielen kann. Gemeint

ist die Wahl der Bezeichnung für diese Inhalte oder die Grammatik einer

Sprache, also welche Wörter und Sätze benutzt werden, um Konzepte zu

vermitteln. Im obigen Beispiel der sozialen Gerechtigkeit ändert sich freilich

nichts an den einzelnen Punkten des Parteiprogramms. Die Politiker kämpfen

vielmehr um die Wörter, die mit dem Programm in Verbindung gebracht werden

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sollen und hoffen, dass eine positiv konnotierte Bezeichnung, die auf Zeit mit der

Partei assoziiert wird, sie attraktiver macht.

Da der Umgang mit Sprache ein Vorgang ist, der ohne große Mühe und

meistens ohne bewusste Reflexion geschieht, gibt es unter Sprachkritikern die

Befürchtung, Opfer einer sehr subtilen Manipulation zu werden, die durch ein-

fache Benennungen einzelner Konzepte, aber auch durch umfangreiche Sprach-

planung ausgeführt werden kann. Hinter „Herrschaft durch Sprachherrschaft“

steckt also die Idee, dass durch einen manipulativen Gebrauch von Sprache und

durch Veränderung der Sprache das einzelne Individuum, und durch es die

Gesellschaft, kontrolliert werden kann. Schnell ist in sprachkritischen Werken

vom Nationalsozialismus die Rede, dem man vorwirft, genau das getan zu haben.

Ein Teil der Lenkung sei damals auch über die Sprache erfolgt (Vgl.

Kaltenbrunner 1975:27). Die Ängste gipfeln im orwellschen Alptraum mit dem

Namen „Newspeak“ (dt.: Neusprech, vgl. Orwell 1949). In Orwells Dystopie soll

„Newspeak“ als einzige zu verwendende Sprache eingesetzt werden, um

bestimmte Denkprozesse ein für alle mal unmöglich zu machen. Sprachkritiker

hoffen, dass eine Sensibilisierung für die Sprache ein Mittel gegen solche

Eingriffe ist. Manchmal setzen sie auch selbst auf eine Veränderung der Sprache

und fordern zum Beispiel Verbesserungen am Wortschatz, am Genus oder an der

Verbflexion.

Dabei reichen die verschiedenen Annahmen zur Macht der Wörter von

sehr schwachen Thesen, die lediglich besagen, dass die Wahl des Wortes unser

Empfinden beeinflusst, bis zu streng sprachdeterministischen Vorstellungen, die

davon ausgehen, dass wir unserem Sprachsystem vollkommen unterworfen sind,

und dass Denken außerhalb dieses Systems unmöglich ist.

Es stellt sich die Frage, wie berechtigt diese Sprachkritik ist. Beeinflusst die

Sprache unser Denken und Fühlen, und wenn ja, bis zu welchem Grade, und wie

lässt sich dieser Einfluss beschreiben? Denkt der Mensch sogar ausschließlich in

Sprache? Oder ist Sprache lediglich ein Mittel zur Formulierung von fertigen

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Gedanken, die mit anderen Sprechern kommuniziert werden sollen, und dadurch

nicht fähig, einen Einfluss auf die Gedanken selbst auszuüben? Manche Antwor-

ten, die zu diesen Fragen gegeben werden, beruhen auf Intuition oder persönli-

cher Erfahrung. So spricht schon von Kleist von der Erfahrung der „allmäh-

liche[n] Verfertigung der Gedanken beim Reden“ (von Kleist 1978:453), vor

allem mit seiner Schwester. Als Argument gegen die Macht der Wörter werden

aber auch Situationen aufgeführt, in denen wir etwas ausdrücken und dann das

Gefühl haben, dass es nicht das ist, was wir denken (Pinker 1994:57f). Doch für

alle Argumente, die aus der Introspektion kommen, gilt das Gleiche: „[D]as, was

die Leute sagen, was in ihnen vorgeht, ist nicht das, was tatsächlich passiert“

(Werlen 2002:22). Sprechen und Denken geschehen so schnell und beinhalten so

viele automatische Prozesse, dass bloße Introspektion nicht ausreicht, um sie

genau zu beschreiben.

Das Verhältnis zwischen Sprache und Denken ist seit Platon ein traditionelles

Thema der Philosophie. Doch mit der kognitiven Revolution der 50er Jahre, die

in den Sprachwissenschaften vor allem mit Chomsky (1957) in Verbindung

gebracht wird, wird ein Teil der Linguistik zunehmend mentalistischer. Mit der

Frage, was beim Sprachverstehen und bei der Sprachproduktion im Gehirn

geschieht, und auch mit empirischen Studien zur Untermauerung von Thesen,

kann das Verhältnis zwischen Sprache und Denken in einer neuen Weise

untersucht werden. Wichtig für die Sprachkritik und die These der Macht der

Wörter sind dabei Versuche zur Überprüfung von Whorfs Theorie der sprach-

lichen Relativität (Whorf 1969), die besagt, dass Sprachen grundsätzliche Regeln

zur Verarbeitung von Eindrücken vorgeben, die sich auf das Denken nieder-

schlagen.

So werden in diesem Buch die Behauptungen der Sprachkritiker aus einer

psycholinguistischen Perspektive betrachtet, um anschließend empirische Studien

heranzuziehen und zu ergründen, was die Methoden und Ergebnisse der Psycho-

linguistik über die Macht der Wörter sagen können. Erkenntnisse aus anderen

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wissenschaftlichen Bereichen sollen damit nicht automatisch diskreditiert wer-

den. Vielmehr soll die Psycholinguistik einen Beitrag ergänzend zu anderen Aus-

einandersetzungen mit der Sprachkritik leisten.

Die Gegenüberstellung von Sprachkritik und Psycholinguistik ist in zwei-

erlei Hinsicht nützlich: Zunächst dient sie der Hinterfragung von Thesen, die

stark in den Medien vertreten werden und deshalb in der Gesellschaft bedeutend

sind. Auf der anderen Seite zeigt sie, dass sich die Psycholinguistik mit Unter-

suchungen zur sprachlichen Relativität nicht mit allen Fragen intensiv befasst,

die die These der Macht der Wörter aufwirft. Sprachkritische Argumente können

so zu neuen psycholinguistischen Fragestellungen führen.

Für die Psycholinguistik hat die Gegenüberstellung zudem einen sehr

positiven Nebeneffekt: Noch dieses Jahr hat Stephen Levinson vom Max-Planck-

Institut in Nimwegen auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Sprach-

wissenschaft in Bielefeld daran erinnert, dass Linguisten immer noch eine be-

drohte Spezies seien. Die Sprachwissenschaft müsse immer wieder ihre gesell-

schaftliche Relevanz unter Beweis stellen. Die Auseinandersetzung mit einem

Thema, das viel Beachtung bekommt, ist eine solche Möglichkeit gesellschaft-

licher Relevanz.

Dieses Buch übt selbst keine Sprachkritik. Es werden hier keine Aussagen über

den Verwendungszweck der Sprache gemacht, und damit fehlt der Maßstab einer

jeden Wertung. Die hier gewonnenen Erkenntnisse eignen sich aber dazu, den

Hintergrund zu einer linguistisch begründeten Sprachkritik zu liefern, und kön-

nen auch verwendet werden, um sprachkritische Aussagen auf ihre linguistische

Richtigkeit hin zu überprüfen.

Dabei sprechen die Ergebnisse dafür, dass manche Behauptungen der

Sprachkritiker tatsächlich richtig sind, jedoch nicht in dem Umfang, vor dem oft

Angst gemacht wird. Der Geist ist nicht der absoluten Willkür einer Sprache

angewiesen. Im Gegenteil, in vielen Bereichen hat sich die Sprache nach der

nichtsprachlichen Gedankenwelt zu richten.

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1.1 Aufbau

Dies ist nicht der erste Versuch, Erkenntnisse aus der Psycholinguistik in einer

solchen Form zu nutzen. Zimmer beschreibt in seinem sprachkritischen Buch

„Sprache in Zeiten ihrer Unverbesserlichkeit“ (2005) einige der Studien, die auch

hier von Bedeutung sind, und kommt zum Schluss: „Nicht nur metaphorisch,

sondern ganz konkret kann […] jede Einzelsprache, ihre besondere Grammatik

und ihr besonderes Vokabular […] das Denken beeinflussen, leiten, struktu-

rieren. Sie hilft […] beim Denken, indem sie das mutmaßliche Gewaber und

Gebrodel unserer verflochtenen Konzepte konkretisiert, fixiert und stabilisiert,

sie zu Begriffen zuspitzt und die Kombinationen dieser Konzepte mit der

Grammatik in eine Ordnung bringt.“ (Zimmer 2005:269f.) Zimmers Buch soll

hier nicht umfassend kritisiert werden. Ich hoffe jedoch zu zeigen, dass ein

methodischeres Vorgehen, das zwischen der Beschreibung der Studien und dem

Fazit mehr Zwischenschritte beinhaltet, zu genaueren Beschreibungen führen

kann, die über unklare Metaphern wie „Gewaber und Gebrodel“ hinausgehen.

Ausgangspunkt ist hier die Sprachkritik. Im zweiten Teil befasse ich mich

zunächst mit dem Begriff der Sprachkritik um vor allem zu bestimmen, welche

Art der Sprachkritik hier von Interesse ist. Es folgt ein kurzer Überblick über ihre

Geschichte, der ihren kulturellen Hintergrund beleuchtet. Anschließend sollen

aus der Sprachkritik heraus psycholinguistisch überprüfbare Annahmen über die

Macht der Sprache formuliert werden. Dazu gibt es Einblicke in die unter

Sprachkritikern sehr populäre Dystopie „1984“ (Orwell 1949), in das bedeutende

sprachkritische Werk „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ (Sternberger et

al. 1957) und einen Blick in die Untersuchung sprachreflexiver Topoi in

Zeitungsartikeln und Aufsätzen (Wengeler 1996), dessen Ziel es ist, gängige

Argumentationsmuster zu identifizieren, die in öffentlichen Debatten auftreten.

Im Anschluss wird die Theorie der sprachlichen Relativität vorgestellt, die für

die Psycholinguistik von großer Bedeutung ist.

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Im dritten Teil des Buches beschäftige ich mich mit der Position Steven

Pinkers, die er im Kapitel „Mentalese“ aus seinem Buch „The Language Instinct“

(1994) vertritt. Pinker argumentiert als Psycholinguist, unter Zuhilfenahme von

Empirie, vor allem gegen die sprachliche Relativität. Er beginnt ebenfalls mit

einem Blick auf die Sprachkritik und versucht, die Sorgen der Sprachkritiker auf-

zugreifen. Seine Vorgehensweise zeigt jedoch sowohl im Umgang mit der

Sprachkritik als auch in der Interpretation empirischer Ergebnisse einige

Schwachstellen, die hier herausgestellt werden.

Um diese zu vermeiden schlage ich im vierten Teil ein Modell vor, das

ermöglicht, die Zusammenhänge zwischen Sprache und Denken besser zu

erfassen und eventuelle Einflüsse der Sprache genauer zu beschreiben. Mit Hilfe

des Modells werden im fünften Teil Studien zur sprachlichen Relativität betrach-

tet und zusammengebracht. Es handelt sich um Arbeiten zur mentalen Objekt-

rotation, zur Farbwahrnehmung, zur Raumwahrnehmung und zum mathema-

tischen Denken.

Im sechsten Teil widme ich mich zwei Aspekten der Sprachkritik, die

streng genommen nicht in den Bereich der sprachlichen Relativität fallen, doch

trotzdem wichtig für die Frage nach der Macht der Wörter sind: Hier geht es um

die Wirkung von Wörtern auf Assoziationen und Emotionen. Zu beiden Punkten

gibt es psycholinguistische Untersuchungen, die Aufschluss über diese Prozesse

geben können. Zur emotionalen Wirkung stelle ich eine eigene Studie vor, in der

die Möglichkeiten der Manipulation von Meinungen durch positiv beziehungs-

weise negativ konnotierte Sprache überprüft werden. Da die reine Wirkung der

Wörter im Mittelpunkt steht, werden Faktoren wie Sprecher, Betonung und zu-

letzt auch Unwissenheit über die mit den Wörtern referierten Inhalte ausge-

schlossen. Zu diesem Zweck wurden Versuchspersonen unterschiedliche Ver-

sionen eines Films gezeigt, die sich nur in den Kommentaren, die das Gesehene

beschreiben, unterscheiden. Eine Version verwendet dafür positiv konnotierte,

die andere negativ konnotierte Wörter. Anschließend sollten die Versuchs-

personen das Gesehene bewerten.