Weiss 1 – Dezember 2011

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WEISS Magazin der Freien Liste 01/11 1 WEISS Magazin der Freien Liste No. 01, Dezember 2011 freieliste.li Es super- reicht!

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Magazin der Freien Liste

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WEISS – Magazin der Freien Liste – 01/11 – 1

WEISSMagazin der Freien Liste

No. 01, Dezember 2011

freieliste.li

Es super-reicht!

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04 – Empört euch – Der Sozial-Ethiker Hans Ruh fordert die Menschen dazu auf, sich endlich gegen soziale Ungerechtigkeiten zu wehren.

08 – Unser Warren Buffetts – Superreiche, bitte zwecks Staatssanierung melden!

10 – Ein alter Teppich als Zündstoff – Rechts-unsicherheit ist weder für Mieter noch für Vermieter schön. Lackiert fühlt sich am Schluss jemand, nämlich derjenige, der zahlt. Es ist höchste Zeit für ein Mietgesetz.

15 – Mein liebster politischer Gegner – Harry Quaderer ist eine ehrliche Haut, findet Helen Konzett Bargetze. Meinungsver-schiedenheiten in Sachthemen hindern die beiden nicht an gegenseitigem Respekt im Landtag.

16 – Grüner Wohnen – Umweltschutz soll bald an die Eigenheimförderung verknüpft wer-den, wenn es nach der Freien Liste geht.

20 – Hochdütsch bitte – Liechtenstein ist fort-schrittlich in der Sprach-Förderung von Migrantenkindern, wären da bloss nicht Ängste vor liechtensteinischem Identitäts-verlust.

Impressum Herausgeberin Freie Liste Liechtenstein, www.freieliste.li Redaktion WEISS, Landstrasse 140, FL-9494 Schaan Redaktionsleitung Barbara [email protected] Gestaltung Mathias Marxer und Gregor Schneider, mathiasmarxer.li, Triesen Titelseite Mathias Marxer Photografie Barbara Jehle, xxxx xxxx Druck Gutenberg AG, Schaan Schrift Univers und New Baskerville Papier Bavaria, 90 gm/2, FSC Auflage 20‘500 Exemplare

Text [email protected]

Das neue «Weiss» entspringt eigentlich einem Rückblick: Im letzten Jahr wurde die Freie Liste 25 und nahm sich viel Zeit für eine Rückschau auf das politische Geschehen im verstrichenen Vierteljahrhundert. Um es vorwegzunehmen: Die Freie Liste steht weiterhin zu ihren Werten sozial – demokratisch – ökologisch. Da-ran werden auch die nächsten 25 Jahre nicht rütteln. Neu ist die Kommunikation und das Escheinungsbild: frisch, frech und sym-bolträchtig wünschen wir uns den Auftritt. Das neue Logo und das Magazin sollen auch zeigen: Ja, wir sind und bleiben grün, ohne eine intakte Umwelt ist alles Stückwerk! Die Grafiker Mathias Mar-xer und Gregor Schneider haben in den letzten Monaten super Arbeit geleistet. Herzlichen Dank! Als «Magazin der Freien Liste» analysiert «Weiss» wie schon das flinfo das politische Geschehen im Inland, recherchiert aktuelle Themen und kommentiert politi-sche Ereignisse. Weiterhin werden Standpunkte der Freien Liste erklärt. Es soll aber auch Platz haben für leise Töne: Neu in dieser Ausgabe ist die Rubrik «mein liebster politischer Gegner». Eine Studie hat gezeigt, dass sich gerade Frauen durch Machtspiele und Parteigräben in der Politik abschrecken lassen. Sie haben daher oft gar keine Lust, sich einer Wahl für ein politisches Mandat zu stellen. Die neue Rubrik soll zeigen, dass es oft hinter den Kulis-sen des Landtags anders aussieht: nämlich freundschaftlich, trotz unterschiedlicher Ansichten und Parteizugehörigkeiten. «Weiss» versucht auch den Alltag von Menschen zu zeigen: Die Reportage in dieser Ausgabe ist eine Spurensuche, wo und wie Kinder von MigrantInnen in Liechtenstein schulisch betreut werden. Politik ist nichts Abgehobenes, alle bekommen zu spüren, was sie macht oder eben unter den Teppich kehrt . Im Alltag zeigt sich, ob sich politische Entscheide bewähren. Die Freie Liste wird auch künftig Visionen entwickeln und neue Aspekte in die politische Diskussion einbringen. «Weiss» ergänzt daher andere Medien bewusst und möchte in der liechtensteinischen Presselandschaft weiterhin ein unverzichtbares Puzzlestück sein. In diesem Sinne

Wolfgang Marxer

Aus fl-info wird Weiss

EditorialInhalt

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Text Wolfgang Marxer, [email protected]

Man kann es drehen und wenden wie man will: Die Politik der Grossparteien erweckt gerade in der Zusammenarbeit zwischen den politischen Institutionen nicht den Eindruck, Herr der Dinge zu sein. Sie ist so kaum in der Lage, bei der Bevölkerung Vertrauen zu wecken.

Hier ein paar Beispiele von Baustellen in der liechtensteinischen Politik: Rund um das Thema Spitalneubau wird trotz oder gerade wegen des klaren Abstim-mungsergebnisses von verschiedenen Sei-ten eine parteipolitische Polemik entfacht, die der Sache sicherlich nicht dient. Sie belastet die anstehenden Schritte unnötig oder verungmöglicht diese sogar.

Rund um den Finanzplatz und der mit der «Weissgeld-Strategie» angestrebten Ab- kommenspolitik verfolgt die Regierung kon- sequent einen Weg, welcher unser Land von den negativen internationalen Schlag-zeilen fernhält und einen sauberen Fi-nanzplatz garantieren soll. Ein öffentlich-keitswirksamer Teil der Treuhand-Branche kritisiert diesen Umwandlungsprozess laut- stark und findet Unterstützung bei der Treuhänderfraktion des kleinen Koaliti-onspartners FBP.

Spaltpilz HaushaltssanierungRund um den Staatshaushalt sieht sich die Regierung gezwungen, in den nächsten Monaten ein Massnahmen-Paket vorzule-gen, wie Einnahmen und Ausgaben mit-telfristig wieder ins Lot gebracht werden können – nachdem a) die früheren Pro-gnosen über die Einnahmen-Entwicklung revidiert werden mussten und b) der Landtag beim ersten Sparpaket in diver-sen Punkten nicht dem Vorschlag der Regierung folgte und damit die Gesamt-regierung im Regen stehen liess. Rund um das Thema «Steuererhöhungen» ent-

Die aktuelle Liechtensteinische Politik – ein Chaos?

Politischer Kommentar

Es braucht EntschlossenheitUnd all dies in einer Zeit, in der weltweit eine Wirtschafts- und Währungskrise tobt und erste Anzeichen davon auch in Liech-tenstein spürbar werden. Gerade jetzt, wo auch wir Menschen in Liechtenstein eine gute Portion Verunsicherung mit uns tra-gen. Wie wichtig und wohltuend wäre da eine politische Führung, welche Einigkeit, Entschlossenheit und die Sicherheit ver-mittelt.

Immer wieder werden Liechtensteins Stärken wie kurze Wege, direkte Kom-munikation, überschaubare Verhältnisse betont. Es wäre an der Zeit, persönliche Animositäten und parteipolitische Macht-spiele hinter die Gesamtinteressen zurück-zustellen und dazu der liechtensteinischen Bevölkerung den Tatbeweis zu erbringen. Demokratische Meinungsbildungsprozes-se sind wichtig und es ist klar, dass nie alle Parteien zufrieden sein können. Irgend-wann ist der Punkt aber erreicht, an dem im Interesse der Sache ein Kompromiss gefunden werden muss.

wickelt sich der nächste Konflikt. Man sollte davon ausgehen können, dass so zentrale Elemente in einer funktionieren-den Koalition vorbesprochen werden und nach einem gemeinsamen Nenner gesucht wird. Gerade der kleine Koalitionspartner fürchtet Steuererhöhungen: Diese würden die Wirtschaft zu stark belasten, wird ange-führt. Dass momentan der Mittelstand statt der Wirtschaft durch gekürzte staatliche Mittel überproportional belastet ist, wird ausgeblendet. Eine Wiedereinführung der Erbschaftssteuer und eine leichte Erhö-hung der Steuern für Höchstverdiener würde den Mittelstand, den Motor unserer Gesellschaft, schonen und entlasten. Die-se Vorschläge der Freien Liste wurden im letzten Jahr im Landtag praktisch diskussi-onslos weggewischt.

Noch keine Lösung in SichtRund um die Sanierungsmassnahmen des Staatshaushalts entwickelte sich der Punkt «AHV-Staatsbeitrag» zu einem Streitpunkt zwischen Regierung und Landtag. Wäh-rend die Regierung mit dieser Massnahme den Staatshaushalt teilsaniert hat, fordert die Mehrheit des Landtags eine AHV-Re-vision mit einer langfristigen Perspektive, welche diesen wichtigsten Pfeiler der Al-tersvorsorge auch für die Zukunft sichert.Rund um das Thema Kirche und Staat zeichnet sich auch nach Jahren keine Lö-sung ab.

Auf einen Nenner gebracht: Die Politik zeigt sich in vielen Fragen wenig souverän, die Koalitionsvereinbarung wird gerne zi-tiert, der Koalitionsausschuss müsste fast ständig tagen. Und beim Lesen der Partei-zeitungen wähnt man sich bereits im Wahl-kampf, wobei einzelne Journalisten mehr Öl ins Feuer giessen, anstatt sachlich zu berichten.

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Der Sozial-Ethiker Hans Ruh empfiehlt gegen das Auseinanderdriften der Gesellschaft gesunde Empörung – und Ethik von oben. Er träumt von einem Liechtenstein, in dem sich Banker freiwillig eine Lohno-bergrenze setzen und Politiker für faire Mindestlöhne kämpfen.

Interview Barbara Jehle, [email protected] Bild Barbara Jehle

Freie Liste Liechtenstein hat ein für Rei-che freundliches Steuergesetz und die Spar-massnahmen zur Staatshaushaltsanierung treffen vor allem den Mittelstand. Diese Fak-toren führen zu einer Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich. Was hat das für die Gesellschaft für Konsequenzen? Hans Ruh Das ist natürlich gefährlich und es ist unakzeptabel für die Betroffe-nen. Liechtenstein steht damit aber sicher nicht alleine da.

Es stellt sich die Frage, warum all die Nor-mal- und Schlechtverdienenden wegen der hohen Lohnunterschiede und der ungerechten Steuerpolitik nicht auf die Barrikaden gehen. Ich frage mich auch immer, warum Menschen solche Ungleichheiten zulas-sen. Das hat sicher mit Angst zu tun. Viele sagen sich: Ich in froh, habe ich wenigsten 3500 Franken im Monat. Es wird auch ge-droht, damit sich niemand beschwert. Die-jenigen, die abzocken, zeigen auch, was für super Typen sie sind, ohne die es dir armen Tropf ganz schlecht gehen würde. Natürlich gibt es auch Bewunderung für solche finanziellen Überflieger. Franz Jo-sef Strauss in Deutschland war ein Gauner, aber man wollte ihn. Es ist eine Mischung zwischen Bewunderung und Angst, die die Empörung im Zaum hält – die fundamen-tale Verunsicherung der Menschen. Sie wagen es nicht mehr, ihr Schicksal in die Hände zu nehmen. Die Occupy-Bewegung ist eine Ausnahme, die Hoffnung macht.

Herr Ruh, Sie empfehlen wie andere Phi-losophen auch «Empört euch!». Wenn Gewis-se das 1000-fache vom Durchschnitt an Ver-mögen ansammeln und einige sich darüber laut aufregen, werden sie als Neider und als kurzsichtig abgestempelt.

«Empört euch!»

Interview

Banken. Diese könnten mal eine Kon-ferenz machen und entscheiden: Wir in Liechtenstein machen ein Lohnsystem mit einem Deckel, so dass ein Top-Banker in Liechtenstein nicht mehr über 500‘000 Franken pro Jahr verdient.

Die Revolution müsste also von oben kom-men? Ja, es wird ja immer argumentiert, dass es hohe Löhne für den Wettbewerb braucht. Das beste Mittel wäre doch eine Abmachung unter den Banken. Das wäre eine weltweite Sensation, die für positive Schlagzeilen sorgen würde. Ein revolutionärer Akt von oben ist gerade geschehen, indem Schwerreiche wie Warren Buffett oder Liliane Bettencourt forderten, die Reichen endlich stärker zu besteuern. Ja, für Aufsehen sorgen momentan Be-wegungen von oben und unten. Übrigens: Auch im ökologischen Bereich könnte sich Liechtenstein profilieren. Oder es könnte dafür gesorgt werden, dass es unter einer gewissen Grenze keine Löhne mehr gibt. Eine andere Variante wäre, mit gemein-nützigen Stiftungen von sich reden zu ma-chen. Diese Idee habe ich schon mehrfach in Liechtenstein präsentiert. Liechten-stein könnte generell den Bankenplatz so umbauen, dass Geld nachhaltig investiert wird.

In Ihrem neuesten Buch «Ordnung von un-ten, die Demokratie neu erfinden» fordern Sie dazu auf, auf die Politik zu pfeifen und als Ein-zelne Verantwortung zu übernehmen. Ich glaube, dass Menschen durch ihren Konsum ethisch Verantwortung überneh-men wollen. Wenn sie eine Banane kaufen, sich für ein bestimmtes Haus entscheiden

Ja genau: «Du Neider!» ist ein ganz gemeines Killerargument. Es ist natürlich auch so, dass die Menschen oft die Zusam-menhänge nicht verstehen und nicht ein-sehen, warum es ihnen finanziell schlecht geht. Die meisten haben von Tuten und Blasen keine Ahnung. Ich gehe oft an Schulen: Junge haben meist keine Idee, was soziale Marktwirtschaft ist. Man müss-te die Zusammenhänge besser aufzeigen, dann könnte sich etwas verändern. Liechtenstein ist klein. Ist es also beson-ders ohnmächtig? Oder eben gerade beson-ders mächtig, um am Gefälle zwischen Arm und Reich etwas zu ändern? Ich vertrete schon seit Jahrzehnten die Meinung, dass Liechtenstein enorme Chancen hat. Liechtenstein hat Substanz, gute Leute, genügend Geld – und zwar immer noch. Man muss nur schauen, wo es steckt. Liechtenstein könnte im ökologi-schen oder im sozialen Bereich modellhaft tätig werden und das Image so verbessern. Es würde dem Land gut tun. Ich habe ei-nen Nachhaltigkeits-Fonds eingerichtet ...

... den «BlueValue-Fonds». Genau, der wurde nach liechtensteini-schem Recht entwickelt. Wenn ich in der Schweiz dafür werbe, heisst es: Was? Ethik ausgerechnet aus Liechtenstein? Auf den Fonds ist Liechtenstein übrigens nicht so richtig angesprungen. Dabei wären die Chancen einzigartig. Es wäre doch eine dringliche Aufgabe von «Modellstaaten», eben nach neuen Modellen zu suchen.

Ein Buchtitel von Ihnen lautet, «Nur eine ethische Gesellschaft hat Zukunft». Wie könn-te man Liechtenstein ethisch umbauen? Liechtenstein hat meines Wissens 17

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Interview

Die Menschen verstehen oft die Zusammenhänge nicht und warum es ihnen schlecht geht. Hans Ruh weiss: Schuld ist die wirtschaftliche Anarchie.

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Interview

In den 80er Jahren haben sich Manager daran orien-tiert, was ein Bundesrat verdient, das waren 300‘000 Franken pro Jahr.

oder einen Kaffee trinken gehen, treffen sie ethisch relevante Entscheidungen. Kon- sum wirkt. Ein Staat könnte verbieten, dass Dinge verkauft werden, die sozial bedenk-lich sind und der Umwelt Schaden zufü-gen. Eine andere Variante ist, den Konsu-menten eine Orientierung zu geben.

Wie kann man dies tun? Kunden sind doch meist überfordert, weil der nötige Durchblick fehlt. So schwer ist es gar nicht. Haben Sie einen «Spar»-Detailhändler in Liechten-stein?

Ja, einen «Spar» gibt’s. «Spar» ist ein relativ faires Unterneh-men. Ich erarbeite mit Kollegen Analysen, wie sozial und umweltverträglich Unter-nehmen sind. Sogar Produkte, die man in einem Lebensmittel-Geschäft bekommt, werden von uns analysiert. Wir arbeiten daran, dass ihr Handy blinkt, wenn sie zu einem Produkt treten, das durch Fairness und eine ökologische Bilanz überzeugt. So können sie einfach handeln und müssen nicht mehr auf die cheibe Politik warten. Es geschieht eine Ordnung von unten. So kann die Demokratie neu erfunden wer-den.

Kann dies funktionieren, wo doch die Mehrheit der Menschen materielle und eher eigennützige Ziele verfolgt? Soziale Unternehmen sollten ihre ethi-sche Ausrichtung eng mit einer Geschäfts-idee verbinden. Die ethische Orientierung muss gerade den ökonomischen Erfolg si-chern. Wenn ein Unternehmen auf einen hohen Anteil an Behinderten setzt, muss es daraus entstehende wirtschaftliche Ein-bussen kompensieren können.

Sind Sie prinzipiell gegen eine Ordnung von oben, sogar gegen Demokratien, wie es sie eingeschränkt in Liechtenstein gibt? Demokratie in Liechtenstein? Momen-tan machen sie in ihrem Land ja eher mit der Monarchie von sich reden. In der Art, wie ihr Erbprinz sein Veto verwendet, stellt sich für mich natürlich die Frage der Legi-timation. Aber man darf nicht vergessen, dass auch Demokratien nicht immer unbe-denklich sind. Man denke da nur an das nationalsozialistische Deutschland.

Man glaubte und glaubt auch heute fest daran, dass sich der Markt selbst reguliert. Ja, wobei die Neoliberalen auch einen Ordnungswahn haben. Dieser Wahn wirkt aber nicht marktkorrigierend, sondern marktfördernd. Dazu kam die Globali-sierung. Wir können in einer globalisier-ten Welt immer weniger nationalstaatlich durchsetzen. Wir leben leider heute in ei-ner weltweiten Anarchie.

Diese These haben Sie am letzten World-Economic-Forum auch vertreten. Wo zeigt sich das konkret? Sarkozy und Merkel rennen wie Wild-säue durch die Welt, von Berlin nach Brüs-sel und dann nach Paris: Und warum? Weil es keine Institutionen mehr gibt, die legi-timiert sind, Probleme wie die Eurokrise zu lösen. Daher versuchen die Politiker solche Probleme von heute auf morgen notfallmässig zu lösen. Man lässt eine glo-balisierte Welt ohne nötige Institutionen zu. Die G-20 Staaten sind genauso Anar-chisten. Sie sagen der Welt: Wir sind die wichtigsten Staaten. Sie sagen, wo es lang geht. Dies ohne Legitimation. Ende des letzten Jahrhunderts hatten wir den Be-

Bei der Demokratie besteht die Gefahr, dass sich Menschen von Fehlinformationen und Emotionen leiten lassen. Ja, deshalb bin ich dafür, dass in einer Demokratie Argumente einen enorm gros-sen Raum einnehmen und nicht das Schü-ren von Emotionen. Menschen sollen auch lernen, wirklich zu argumentieren. Um auf die ursprüngliche Frage zurück zu kom-men: Ich bin nicht gegen eine Ordnung von oben. Im besten Fall entwickeln sich die Ordnung von oben und die Ordnung von unten zu einem stimmigen Gesamt-konzept.

Kommen wir nochmals auf das Auseinan-derdriften von Arm und Reich: Könnte interna-tional etwas dagegen unternommen werden? Es bräuchte wieder legitimierte Insti-tutionen und mehr Mässigung. Bis in der Mitte der 80er Jahre gab es soziale Markt-wirtschaft und damit in Mitteleuropa den Versuch, den Markt in einen sozialen Ord-nungsrahmen zu betten. In den 80er und 90er Jahren nahm der Neoliberalismus seinen Siegeszug auf und damit ging das Mass verloren. Ich nenne die Entwicklung neoliberalen Radikalismus.

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ginn der Postmoderne, einen Pluralismus, einen Abbau von Bindungen aller Art. Der Untergang der Sowjetunion kam auch dazu: Ich möchte nicht behaupten, dass diese eine anständige Variante gewesen wäre, aber sie war immerhin ein Beispiel für Planwirtschaft.

Heute wird der Untergang der Sowjet-union doch so gedeutet, dass ein für alle Mal gezeigt worden ist, dass Planwirtschaft nicht funktioniert. Ja, ein solches Modell wird nicht mehr als Alternative gesehen. Etwas, was übri-gens auch zum Auseinanderdriften von Arm und Reich beigetragen hat, ist das Auseinanderfallen von Finanzwirtschaft und Realwirtschaft. Die Finanzwirtschaft führt heute ein Eigenleben, was früher verboten war: Anständiges Banking gab es bis Ende der 80er Jahre, dann war’s vorbei. Auch mit dem Mass bei den Löhnen. Ein CEO einer grossen Schweizer Firma hat mir mal erzählt, dass sich Manager in den 80er Jahren daran orientiert haben, was ein Bundesrat in der Schweiz verdient. Das war damals ca. 300‘000 Franken pro Jahr. Diese Summe haben die höchsten CEO’s auch für sich beansprucht. In den 90er Jahren schnellten die Löhne plötzlich in die Höhe.

Herzlichen Dank für dieses interessante Gespräch Herr Ruh.

Hans RuhZürich

Hans Ruh ist Theologe und Ethiker. Er ist Gründer des Ethikfonds «Blue-Value», der nach liechtensteinischem Recht entwickelt worden ist. Ruh war 15 Jahre lang Leiter des Instituts für Sozialethik. Der erimitierte Pro- fessor forscht heute vor allem zu Wirtschaftsthemen und betreibt eine umfangreiche Vortrags- und Publi-kationstätigkeit. In Liechtenstein ist er als Binding-Preisträge und als Referent für Umwelt- und Sozial-themen bekannt. Ruh hat gerade das von Rezensenten hochgelobte Buch «Ordnung von unten» im Versus-Ver-lag herausgebracht.

Interpellation zur Verteilungs-gerechtigkeit

Die Datenbasis zur Einkommens- und Vermögensverteilung ist in Liech-tenstein im Vergleich zu anderen Ländern äusserst dünn. Die Einkom-men und Vermögen sind bisher nicht Teil der öffentlichen Statistik. Die Politik ist also bei Entscheiden, die darauf Einfluss haben, was bei den EinwohnerInnen Ende des Monats übrig bleibt, zum Blindflug verurteilt, der vielleicht zu einer Umverteilung führt. Auch in Liechtenstein kann wie in anderen Ländern beobachtet werden, dass der Mittelstand mit immer grösseren Abgaben belastet wird und die Real-Löhne stagnie-ren. Es liegt auf der Hand, dass die Politik nur dann sinnvoll entscheiden kann, wenn sie die Realität kennt und solche Fehlentwicklungen kor-rigieren kann. Ziel der im November 2011 eingereichten Interpellation zur Verteilungsgerechtigkeit ist es, dass die Regierung gesicherte statisti-sche Grundlagen über die Einkom-mens- und Vermögensstruktur der Wohnbevölkerung in Liechtenstein aufarbeitet. So kann eine Analyse der Verteilungsgerechtigkeit erstellt werden, die als Basis für eine faire und gerechte Politik dient.

Interview

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In Liechtenstein leben viele Reiche: Sie könnten eigentlich, wie in anderen Ländern auch, dagegen ankämpfen, nicht länger von Spar-massnahmen des Staates verschont zu werden.

Text Barbara Jehle, [email protected] Illustration Jürgen Schremser

US-Präsident Barack Obama will zur Entlas-tung des US-Haushalts die Steuersätze für Wohlhabende erhöhen. Die Steilvorlage dazu hat ihm der Milliardär Warren Buffett geliefert. Buffett fordert höhere Steuern für Superreiche. Er hält es für absurd, dass sein Kapitaleinkommen in Millionenhöhe mit einem tieferen Satz besteuert wird, als die Arbeitseinkommen seiner Mitarbeite-rInnen. Er ist auch überzeugt, dass höhere Steuern Investitionen nicht abwürgen wür-den: «Menschen investieren, um Geld zu machen, und mögliche Steuern haben sie noch nie abgeschreckt.»

Bemerkenswerterweise erschienen An-fang 2001 in amerikanischen Tageszeitun-gen grossformatige Anzeigen, bezahlt von MultimilliardärInnen, in denen gegen die von George W. Bush geplante Abschaffung der Erbschaftssteuer Stellung bezogen wurde. Die MilliardärInnen argumentier-ten, dass die Aufhebung der in den USA seit 1916 bestehenden Steuer «schlecht für unsere Demokratie, unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft» wäre. Dabei hät-ten die Superreichen von der Abschaffung enorm profitiert. Da der Höchstsatz bei der Nachlasssteuer um die 50 Prozent be-trägt, hätten sich bei der Abschaffung der Steuer die Erbschaften ihrer Kinder mehr als verdoppelt.

Es superreicht!Auch in Europa fordern immer mehr Su-perreiche, dass endlich Schluss sein muss mit der Verhätschelung der Superreichen. In Frankreich fordern 16 Schwerreiche, darunter die reichste Frau Europas, Lilia-ne Bettencourt, eine höhere Besteuerung für wohlhabende Menschen. In Deutsch-land fordern immerhin vier Superreiche eine Revolution und wollen verhindern, dass die Gesellschaft auseinanderdriftet. In

Wo bleibt unser Warren Buffett?

Leitartikel

Reichtum ohne LeistungDass sich Vermögen mit den Generatio-nen unabhängig von der Leistung weiter-vererbt, dafür sorgt auch die Abschaffung der Erbschaftssteuer. Diese Steuer hat dem Staat bisher etwa 8 Millionen eingebracht und im letzten Jahr sogar 20 Millionen Franken beschert. Wenn man diese Zahl mit Beträgen vergleicht, die sonst einge-spart werden sollen, erscheint sie enorm: Mit der Abschaffung der Mutterschaftszu-lage kann der Staat 200‘000 Franken spa-ren, das ist aber ein bescheidener Beitrag, um das Loch in der Staatskasse zu stopfen.

Liechtenstein ist mit der Abschaffung der Erbschaftssteuer in diesem Jahr der Schweiz nachgezogen, obwohl sie dort von vielen Ökonomen zurückgefordert wird. Einer von ihnen ist Hans Kissling, der Ver-fasser des Buches «Reichtum ohne Leis-tung». Er schreibt, es sei zu hoffen, dass auch in der Schweiz Superreiche erkennen werden, dass eine höhere steuerliche Ent-lastung des unter Druck stehenden Mit-telstandes ein Gebot der Stunde sei: «Sie könnten wie der ehemalige Synthes-Eigen-tümer Hansjörg Wyss, zur Einsicht gelan-gen: Wie die meisten Reichen zahle ich zu wenig Steuern.» Die einsichtigen Reichen könnten nach Kissling grad auch den Tat-beweis bringen, indem sie die Bestrebung zu einer schweizerischen Erbschaftsteuer, der «gerechtesten aller Steuern», unter-stützen. Bei Liechtensteins Reichen wür-den sich solche Bestrebungen ebenfalls gut machen.

Liechtenstein und der Schweiz sind solche Appelle von Superreichen bisher ausge-blieben.

Dies, obwohl die reichsten zehn Schwei-zer im letzten Jahr einen weiteren Vermö-gensschub von fünf Milliarden erfahren haben. Reichtum konzentriert sich immer mehr: Laut «Bilanz» besitzen die Top-Ten nun zusammen 119 Milliarden Franken. Das ist fast das Doppelte jener Summe, welche die 100 Vermögendsten, zu denen auch die Liechtensteiner Superreichen ge-rechnet werden, 1989 gemeinsam auf die Waage brachten.

Im letzten Jahr erschienen drei Namen aus Liechtenstein auf der Liste der reichs-ten SchweizerInnen: Das Vermögen von Fürst-Hans Adam, das nicht versteuert wird, wird auf 6,5 Milliarden geschätzt. Die Fami-lie Hilti vom Befestigungstechnikkonzern figuriert mit 2,5 Milliarden Vermögen auf dieser Liste. Christoph Zeller, der die Ge-schicke von Ivoclar-Vivadent leitet, wird auf 1,7 Milliarden Franken geschätzt. Damit dürfte Liechtenstein punkto Milliardärs-dichte weltweit Spitzenreiter sein: Zum Ver-gleich: Die Schweiz weist einen Milliardär auf 65‘000 Einwohner auf und gilt eigent-lich laut «Bilanz» als milliardärreichstes Land Europas. Über die Vermögensverhält-nisse der liechtensteinischen Bevölkerung ist sonst allerdings wenig bekannt. (Siehe In-terpellation Verteilungsgerechtigkeit). Die Steuerstatistik gibt vor allem über Löhne Aufschluss: Es ist bekannt, dass 2009 106 Alleinstehende über 300‘000 Franken pro Jahr verdient haben und 90 Ehepaare mehr als 600‘000 Franken. Über Vermögen gibt es wenig Information, das wird in Liech-tenstein auch kaum besteuert: Von Im- mobilienbesitz bzw. Mieteinnahmen zwackt der Staat anders als in den meisten ande-ren europäischen Ländern nichts ab.

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10 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 01/11

Liechtensteins Mietrecht ist vage und der Mieterschutz ist schwach. Das führt zu Unsicherheiten und Spannungen auf Mieter- und Vermie-terseite.

Interview Barbara Jehle, [email protected]

Seit fünf Jahren wohnen die Büchels in ei-ner Mietwohnung, dessen Spannteppich seit 20 Jahren seinen Dienst erfüllt. Einige Jahre konnten sie das abgetretene Ding ig-norieren, irgendwann begann es sie aber zu grausen und sie beschliessen: «Ein neu-er Boden muss her». Bloss wer kommt für die Investition auf? Für die Büchels ist es logisch, dass der Vermieter zahlt, der Tep-pich hatte schliesslich seinen Zenit schon überschritten, als sie eingezogen waren. Der Vermieter findet, dass Büchels selbst aufkommen müssen; beim Einzug hätten sie sich nicht beschwert und auf einmal stellten sie Ansprüche.

In Liechtenstein ist nicht geregelt, was unter natürliche Abnützung fällt und wann MieterInnen Anrecht auf Erhaltungsar-beiten wie einen Bodenwechsel haben. In der Schweiz genügt in einem solchen Fall ein Blick auf den Mietvertrag oder eine kleine Recherche im Mietrecht. Die Sache wird dort rein bürokratische angegangen, sie führt nicht zu roten Köpfen und Zan-kereien. Ist ein Fall ein wenig komplexer, können sich Schweizer MieterInnen an ei-nen der viele Mieterverbände wenden. Sie werden dann umfassend beraten und über ihre Rechte aufgeklärt.

Die Büchels in Liechtenstein suchen vergeblich nach der Information, wer denn nun «Recht» hat, denn hierzulande gibt es keine grundlegenden Regelungen für Mie-ter. Wo es kein Recht gibt, existiert auch keine Anlaufstelle und Lobby. Büchels be-zahlen also den Teppich selbst und fühlen sich lackiert. Hätten sie dem Vermieter mit Auszug gedroht und dieser den Teppich bezahlt, hätte er sich wiederum übertölpelt gefühlt. Im rechtsfreien Raum glaubt jeder

Wenn ein alter Teppich zum Zündstoff wird

Reportage

zum Streit kommt. Haben VermieterInnen ein Problem mit säumigen Mietzahlungen, bleibt ihnen fast nichts anderes übrig, als eine Zwangsräumung vorzunehmen.

Siedlungsdruck verstärkt Ruf nach MietrechtIn Liechtenstein wohnen über die Hälfte der EinwohnerInnen in Mietliegenschaf-ten. Die Quote wird in den nächsten Jah-ren ansteigen, weil Baugrund knapp ist. Dies lässt früher oder später auch den Ruf nach einer grundlegenden Regelung in Mietsachen lauter werden.

Lukas Horrer, der Präsident des Mieter-verbandes Graubünden ist überrascht, dass die liechtensteinische Bevölkerung nicht schon längst auf ein Mietrecht gepocht hat. Er begründet sein Erstaunen mit einem Rechenbeispiel: «Von MieterInnen in der Schweiz fliessen ungefähr 20 Prozent des

auf der Seite des Rechts zu stehen, das ist urmenschlich.

Fälle wie diesen gibt es auf Seiten der MieterInnen und der VermieterInnen un-zählige: VermieterInnen nerven sich über sehr kurzfristige Kündigungen. MieterIn-nen beklagen sich über Nebenkostenab-rechnungen, die vorher nicht abgemacht worden sind und sich als eine zusätzliche halbe Miete entpuppen. Oft besonders hart sind Kündigungen von Mietverhält-nissen. In Liechtenstein passiert es immer wieder, dass Mietern – kaum haben sie den Umzug hinter sich gebracht und sind eingerichtet – die Kündigung ausgespro-chen wird. Ein Kündigungsschutz in Liech-tenstein existiert zwar, kann aber nur für «aussergewöhnliche Härtefälle» geltend gemacht werden. Worin diese bestehen, wird im liechtensteinischen Mietrecht aber nicht festgehalten. Peter Nägele, der eine Dissertation zu diesem Thema geschrieben hat, erklärt, dass RichterInnen im Falle ei-ner Verhandlung lediglich wissen, dass sie relativ streng urteilen müssen.

Dass Mietrechtsstreitigkeiten zu Ge-richtsfällen werden, ist aber ohnehin selten. Die Juristen in Liechtenstein, die zu ihren Spezialgebieten auch Mietrechtsstreitigkei-ten rechnen, können sich nicht mehr als an «zwei bis drei Gerichtsfälle» erinnern. Das passt auf den ersten Blick nicht zum Erfah-rungswert, dass es wegen der vagen Geset-zeslage zu vielen Unstimmigkeiten kommt. Peter Nägele erklärt dies so: «Gerade weil es kein differenziertes Mietrecht gibt, geht kaum jemand vor Gericht.»

Noch gibt es in Liechtenstein genü-gend leerstehende Wohnungen, so dass MieterInnen einfach umziehen, wenn es

Im Liechtensteinischen Mietrecht ist nicht geregelt ...

was als Nebenkosten abgerechnet werden kann und was explizit nicht wann es Anspruch auf Erhaltungs-

arbeiten gibt wer und zu welchem Grad für

Instandhaltung von Mietobjekten verantwortlich ist wann ein Kündigungsschutz

besteht wann Mietzinserhöhungen

missbräuchlich sind

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Reportage

Lohnes auf die Vermieterseite, in Liech-tenstein dürfte die Zahl ähnlich sein», das sei doch sicher 10 Prozent mehr, als in Liechtenstein Steuern bezahlt werde. Beim Wohnen herrsche Konsumzwang, genauso wie es einen Steuerzwang gebe. Wohnen muss man irgendwo und Böden sind nicht vermehrbar. VermieterInnen sind nach Horrer in einer sehr mächtigen Position, da sie den Siedlungsdruck ausnützen kön-nen. Horrer empfiehlt Liechtenstein, eine in der Schweiz schon bestehende Regelung für überzogene Mietzinsforderungen ein-zuführen. In der Schweiz haben MieterIn-nen das Recht, den Mietzins für ihre Woh-nung mit den Mitzinsen von fünf Objekten in der unmittelbaren Umgebung verglei-chen zu lassen. VermieterInnen müssen dann ihre Forderungen den ortsüblichen Mietzinsen anpassen. Regelungen, die Spekulation verhindern, sind im Interesse aller. Es geht bei einer Mietrechtsrevision also um mehr als einen persönlichen Streit um einen alten Teppich. Sie dient den Mie-terInnen und der grossen Mehrheit der fairen VermieterInnen. Ein Mietrecht hat grossen Einfluss auf die Erschwinglichkeit von Wohnraum.

Mietrechtsrevision – ein erneuter Versuch

Die Regierung hat den Handlungsbe-darf einer Mietrechtsrevision schon vor einigen Jahren erkannt und versprochen, bis ins Jahr 2011 einen neuen Gesetzesvorschlag vorzulegen. Das Ressort Justiz hat die Ausar-beitung aber mit der Begründung zurückgestellt, dass Wirtschaftsge-setzgebungen momentan vorgezogen werden müssen. Wann es endlich zu einer Revision kommt, die seit zwanzig Jahren mit politischen Vor-stössen der VU und seit drei Jahren von der FL gefordert wird, lässt die Regierung offen: Eine aktuelle Peti-tion weist daher erneut darauf hin, dass das Thema für die Menschen in Liechtenstein dringlich ist. Denkbar wäre die Übernahme des Schweizer Modells, woran sich laut Vernehm-lassungsbericht der Regierung (vom Jahr 1999) viele VermieterInnen orientieren. Eine Gesetzesänderung wäre also eine Anpassung an eine gängige Praxis.

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«Ich kann meinen trotzigen Optimismus ausleben»

Ein langer Afrikaaufenthalt gab ihm seine politische Richtung: den Einsatz für Chancengerechtigkeit. Je grösser das wahrgenommene Leid oder der politische Gegenwind, desto grösser ist die Energie von Pepo Frick.

Text Barbara Jehle, [email protected] Bild Barbara Jehle

Ich erwache oft mit neuen politischen Ideen im Kopf. Es gibt Wochen, in denen ich beinahe 50 Prozent meiner Zeit Politik mache. Bei der Freien Liste zu politisieren, macht enorm Spass. Klar ist es aufwändig, eine Mehrheit im Landtag zu bekommen, aber wenn ich einen Vorstoss mache, muss sich die Politik damit beschäftigen und das löst in irgendeiner Form immer etwas aus. Ein gutes Beispiel ist die Interpellation zum Stimm- und Wahlrecht für Ausland-liechtensteinerInnen. Einen Monat nach der Beantwortung der Regierung forder-ten LiechtensteinerInnen im Ausland mit einer Petition ihr Recht ein. Spätestens seit meinen Studentenjahren in Basel bin ich ein politischer Mensch. Der Bau von Atomkraftwerken im Raum Basel hat mich damals speziell angeregt. Die Ausei-nandersetzung mit gesellschafts- und auch wirtschaftspolitischen Themen macht mir Freude – seit Jahrzehnten. Es ist ein gutes Gefühl, wenn in Schaan etwas weiterver-folgt wird, was ich in meiner Gemeinde-ratszeit in’s Laufen gebracht habe. Ich freue mich beispielsweise über eine funk-tionierende Pachtgenossenschaft.

Die andere Seite der MedailleDie Grossparteien machen oft auf Hah-nenkampf. Als Weisser kann ich frei ent-scheiden. Mein Auftrag ist es, die andere Seite der Medaille zu zeigen. Ich mache das Parteigerangel nicht mit. Momentan arbeitet die Regierung daran, die Staats-haushaltkasse zu sanieren. Wo gespart werden soll, haben wir unterschiedliche Auffassungen, aber wir treffen uns doch

Warum Politik Spass macht

einen Sündenbock zu schieben. Das ver-miest es leider vielen Menschen, sich po-litisch zu outen. Mir persönlich kann man damit nichts mehr anhaben, Drohungen wirken bei mir nicht. Wer aber ein eigenes Geschäft aufbaut, hat damit Mühe. Das lähmt und schadet Liechtenstein, weil es viele daran hindert, frei ihre Meinung zu äussern. Leute schätzen Zivil-CourageDabei könnte es so einfach sein: Wer in Liechtenstein lebt, kann fast alles anreis-sen. Unser politisches System kennt kurze

in einigen Punkten. Ich möchte auch die Mindestertragsteuer erhöhen, wie das ja die Regierung im letzten Jahr vorgeschla-gen hat. Das hat mir prompt an einer Medienkonferenz die Frage eines Journa-listen eingehandelt, ob ich denn mit dem Regierungschef ins Bett steige. Ich zeige meine Position immer klar, ich exponiere mich vor einer Abstimmung. Problema-tisch ist, dass danach oft Schuldige statt Lösungen gesucht werden. Wer mit dem Ergebnis unzufrieden ist, versucht alles auf

«Ich mache das Partei-gerangel nicht mit.»

Wege. Es braucht ein wenig Mut, die Zivil-Courage wird aber letztlich geschätzt. Dass man manchmal nass wird, wenn man den Kopf raus hält, ist aber auch klar. Dass man manchmal unfair behandelt wird, auch. Ich spreche meist mit meiner Frau Anita darüber, wenn so etwas passiert. Mann ver-sucht hierzulande ab und zu, couragierte Menschen mundtot zu machen. Man muss dann eine harte Haut an den Tag legen. Wichtig ist, dass man immer weiss, wo man Schutz findet und dass man sich schnell

wieder öffnet. Mir ist es noch so recht, wenn jemand auch mal politisch rechts argumentiert. Letztlich ist Politik ein ge-meinsames Ringen, das nur funktioniert, wenn Menschen sich positionieren. Ich versuche zu argumentieren, die Leute zu überzeugen. Die Schwarz-Rote-Päckchen-politik ist unselig, sie schränkt viele Parla-mentarier ein. Die Freie Liste gibt mir jede Freiheit. Liechtenstein hat die «totale» Pressefreiheit, sie ist frei von einer freien Presse. Ich bedaure, dass bei uns in den Zeitungen ausserhalb der Leserbriefspal-ten fast nur Parteipolitik betrieben wird

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prägt mich. Als ich 1984 aufbrach, gab es die Vision «eine gemeinsame Welt». Ich bin heute noch für Afrika engagiert und Vizepräsident einer Non-Profit-Organisati-on, die in Afrika 8 bis 10 Millionen jährlich investiert. Wenn ich unsere SolidarMed-Projekte besuche, bin ich innerhalb von 24 Stunden an Orten, die sich noch in der Steinzeit befinden. Dort gibt es kaum me-dizinische Versorgung: ein Arzt auf 30’000 EinwohnerInnen und keine Selbstver-ständlichkeiten wie sauberes Wasser oder genügend Essen. So sieht es in der grossen weiten Welt aus. Ich sehe, dass Arm und Reich auch in Europa auseinander drif-ten. Es gibt auch bei uns Menschen, die an

Warum Politik Spass macht

und PolitikerInnen so kaum ihre eigene Meinung sagen können. Trotzdem: Es gibt auch immer mehr Allianzen zwischen Par-lamentarierInnen aller Parteien. Das finde ich stark. In der Spitalfrage zeigte sich dies sehr gut. Rot, Schwarz und Weiss sind in dieser Sachfrage zusammengekommen und haben gesagt: So nicht! und haben das Referendum ergriffen. Wir fünf Par-lamentarierInnen haben eine intensive Zeit erlebt. Wir haben alle neben unseren Jobs einige Wochen Arbeitszeit aufgewen-det. Journalisten und der Stiftungsrat des Spitals haben von uns gefordert, dass wir nun eine endgültige Lösung für das Spital finden müssen. Für eine solche Aufgabe haben wir aber kein politisches Mandat. Wir fünf sind in den letzten Monaten zu-sammengewachsen und ich schätze die Menschen aus der Gruppe sehr. In diesem Land kann man viele gute Dinge anstos-sen, die Lösungen liegen auf der Strasse, initiative und tatkräftige EinwohnerInnen gibt es genug.

Politik bedeutet Farbe bekennenDie Politik gibt mir eine Möglichkeit, ande-ren Menschen nahe zu kommen. Der gros-se Unterschied zum Alltag ist, dass man irgendwann Farbe bekennen muss. Man muss einen Standpunkt haben und diesen vertreten oder auch verteidigen. Oft wer-de ich als Weisser bewusst missdeutet: Ich bin keineswegs wirtschaftsfeindlich! Wer immer nur auf den unmittelbaren finanzi-ellen Nutzen oder auf finanzielle Einbus-sen fokussiert ist, hat ein eingeschränktes Blickfeld. Man muss in der Wirtschaft vom Irrglauben wegkommen, dass sich ethi-sches Handeln nicht bezahlt macht und dass Umweltschutz nicht auch rentabel sein kann. Man muss alle Konsequenzen einer Massnahme im Auge haben. Um-weltschutz und Wirtschaftlichkeit beis-sen sich ja nicht, im Gegenteil. Ich setze mich für eine intakte Umwelt ein. Für die Wirtschaft wichtige Facharbeiter kommen umso lieber nach Liechtenstein, wenn die Lebens- und Umweltqualität gut ist. Auch wenn ich mich für bezahlten Elternurlaub einsetze, ist das doch nicht wirtschafts-feindlich, sondern ein weiterer Pluspunkt für gut ausgebildete Fachkräfte. Nach der Abtreibungsdebatte wird nun diskutiert, dass Liechtenstein familienfreundliche Strukturen braucht, die Freie Liste fordert

das schon lange. Mit Wirtschaftsleuten komme ich gut zurecht, denn die haben Visionen, die sie sich auch zu vertreten wa-gen. Verantwortungsbewusste Wirtschaft-ler wissen, dass sie nicht nur dauernd bessere Rahmenbedingungen fordern können. Sie wissen, dass sie sich auch auf die gesellschaftlichen Herausforderungen einlassen müssen. Gerade auch durch den Präsidenten der Freien Liste, Wolfgang Marxer, der einen Wirtschaftshintergrund hat, prüfen wir die Wirtschaftsverträglich-keit eines Anliegens. Aktuell setzt sich die Freie Liste mit aller Kraft dafür ein, dass sich hierzulande die Kluft zwischen Arm und Reich nicht vergrössert. Sonst leidet der gesellschaftliche Zusammenhalt. Die-ses Bewusstsein scheint mir in Politik und Wirtschaft noch zu wenig verankert zu sein.

Kein Wasser, aber ein HandySolange ich in der Politik bin, bleibt Fair-ness und Gerechtigkeit mein Thema. Ich habe vier Jahre in Afrika verbracht – das

den Rand gedrängt werden. Sie überleben nur dank Unterstützung wie Mietbeihilfe, Krankenkassenunterstützung oder Sozial-hilfegelder. Die Freie Liste gibt mir wirk-lich die Bühne, mein soziales Engagement, den trotzigen Optimismus, meine gesell-schaftspolitisch linke Position auszuleben. Ich werde von den Menschen der Freien Liste motiviert und gestossen und sicher nirgends eingeschränkt. Wenn ich mor-gens mit einer Idee aufwache, dann finde ich in meinen Politik-KollegInnen Men-schen, die sich für meine Ideen entflam-men lassen. Klar, gehen sie wie ich auch das Risiko ein, sich mal zu verrennen. Wir sind mit Herzblut bei der Sache.

«Bei der Freien Liste zu politisieren, macht enorm Spass.»

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Mein liebster PolitischerGegner: Harry Quaderer

Text Helen Konzett Bargetze, Stellvertretende Landtagsabgeordnete, [email protected]

Im Landtagssaal sitzt links von der Freien Liste die FBP, weiter rechts die VU – aber direkt rechts neben dem Freie Liste-Stuhl sitzt der parteiunabhängige Harry Quade-rer. Bei Landtagssitzungen brauche ich als Stellvertretende Landtagsabgeordnete im-mer ein paar Stunden, bis es mir im Land-tagsstuhl wohl ist. Die Freie Liste hat der-zeit nur einen von 25 Sitzen, und zwischen den grossen VU- und FBP-Fraktionen ist es nicht immer einfach. Für Harry Quaderer ist es wohl ähnlich. Auch er muss alle Trak-tanden allein vorbereiten und vertreten, pro Monat können das über 30 Berichte und Anträge sein. Seit Harry Quaderer aus der VU ausgetre-ten ist, ist ein grosser Druck von ihm ge-wichen. Die Landtagsfraktion der VU ist innerlich gespalten und zieht nicht am glei-chen Strick; es braucht kein grosses Feinge-

Harry Quaderer ist weitgereist, hat im Aus-land gelebt und kann diese Erfahrungen in Liechtenstein einbringen. Harry braucht im Landtag einen kühlen Kopf, nachdem er kurz aufgebraust ist, zum Beispiel, wenn Gesundheitsministerin Renate Müssner auf wiederholte anständige Fragen einfach keine Antworten liefert.

In Sachfragen, in Umweltthemen und in Entwicklungsfragen sind wir nicht gerade auf einer Linie. Harry Quaderer ist sicher kein Linker. Aber Macht braucht Kontrol-le. Und Harry Quaderer ist sich dessen bewusst und tut etwas für diese Kontrolle. Deshalb schätze ich Harry Quaderer im Landtag.

fühl und keine Lupe, um das zu erkennen. Harry Quaderer politisiert authentisch, er ist nur noch sich selbst verpflichtet. Das zeigt sich auch in der Qualität seiner Voten. Harry Quaderer nimmt kein Blatt vor den Mund. Er ist ehrlich, «grad», unverblümt zu sich selbst und zu anderen. Da muss man manchmal schlucken!

Der Landtag insgesamt hat mit dem Par-teiaustritt von Harry Quaderer gewonnen. Durch seine «Fahnenflucht» hat die VU im Landtag bekanntlich ihre absolute Mehr-heit von 13 bei 25 Sitzen verloren. Zum Glück für uns alle. Mit 12 Sitzen braucht sie – sofern sie selber geschlossen ist – immer-hin die Zustimmung mindestens eines wei-teren Abgeordneten, sei es die von Harry Quaderer oder die der FL- oder FBP-Abge-ordneten. Es wird also mehr zusammenge-arbeitet – im Vorfeld und in den Sitzungen.

Wohltuend ist mir Harry’s Votum zu «Hil-fe statt Strafe» in Erinnerung. Er hat die scheinheilige Doppelmoral angeprangert und Worten auch Tagen folgen lassen: Er setzt sich weiterhin für eine Fristenrege-lung ein. Seine Unabhängigkeit von der Regierung und von den grossen Fraktio-nen sind zum Beispiel auch in Finanzfra-gen und bei anstehenden Massnahmen im Gesundheitswesen gut wahrnehmbar und wichtig. Er kämpfte erfolgreich an vorders-ter Front für ein Nein des Stimmvolks bei der Abstimmung zum Spitalkredit und für eine neue Kooperationsstrategie.

Meinung

Liebster Gegner

PolitikerInnen schenken sich in Debatten meist nichts: Gerade zwischen Landtagsabgeordneten unterschiedlicher Parteien fliegen oft die Fetzen. Was nach politisch unüberwindbaren Gräben aussieht, ist meist weniger drastisch als der Schein. Die Serie «mein liebster politischer Gegner» soll zeigen, welche Gemeinsamkeiten und welcher gegenseitige Respekt trotz oft weltanschaulicher Differenzen zwischen GegnerInnen da sind.

Harry Quaderer und Helen Konzett Bargetze, manchmal nebeneinander im Landtag.

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Das Vorarlberger Wohnbau-förderungsgesetzUm gefördert zu werden, müssen bei Vorarlberger Neubauten und Altbausanierungen folgende Förde-rungskriterien erfüllt sein: Ökologischer Standard:

Ein fünfstufiges Förderungs- system, das die Faktoren Planung und Standort, Energie, Haustech- nik, Materialwahl und Innenraum bewertet. Je ökologischer gebaut wird, desto höher ist die Förderung. Kriterien des Haushalts, vor

allem des Einkommens Verdichtungsgrad (nur bei

Neubauten)

Eine ökologische und soziale Wohnbauförderung ist möglich

Die Wohnbauförderung ist wieder ins Visier der Politik gerückt: Von drei Seiten liegen unterschiedliche Vorschläge vor. Worum geht es? Hier eine Übersicht und ein Vergleich mit Vorarlberg.

Text Helen Konzett Bargetze, [email protected]

Seit 1964 werden in Liechtenstein Sub-ventionen für verdichtetes Bauen ausge-richtet, um Familien mit kleinerem Jah-reseinkommen unter 90‘000 Franken pro Jahr zu ermöglichen, Wohneigentum zu erwerben. In den letzten Jahren kostete dies den Staat jährlich im Durchschnitt 3,5 Millionen Franken.

Wohnbauförderung wirkte also bisher auf zweierlei Arten: sozial und bodenspa-rend. Bis ins Jahr 2009 wurden insgesamt 78 Millionen Franken an Subventionen bzw. Wohnbauförderungsgelder ausbe-zahlt. So entstanden in Liechtenstein jähr-lich 80 bis 90 geförderte Bauten.

Die FBP will mehr FörderungenWas wollen nun die drei unterschiedlichen Änderungsvorschläge? Die FBP wollte im November-Landtag mit einer parlamenta-rischen Initiative die Einkommensgrenze um 33 Prozent auf 120‘000 Franken Jah-res-Einkommen und die Subventionen für Kinder um 50 Prozent auf 7‘500 Franken erhöhen. Dies ohne die dadurch entste-henden Mehrkosten beziffern zu können. Klar ist, dass dadurch erheblich mehr Ob-jekte gefördert werden würden und der sich in Schieflage befindende Staatshaus-halt zusätzlich belastet werden würde.

Die Regierung möchte sparenDie Regierung möchte etwas ganz ande-res: nämlich den Staatshaushalt sanieren, indem sie Staatsleistungen abbaut. Sie hat auch die Wohnbauförderung durch-leuchtet und schlägt einen Systemwechsel auf Darlehen zur Förderung von Wohnei-gentum vor. Die Regierung möchte damit langfristig jährlich durchschnittlich 3,5

Ökologisch

Mit seiner ökologisch-sozialen Ausrichtung fördert es seit 10 Jahren Wohnbauten nur noch bei ökologischer Ausführung. Das Vorarlberger Wohnbauförderungsgesetz beinhaltet nur 23 Paragraphen und ist so-mit schlank und einfach verständlich. Der Aspekt der Verdichtung ist berücksichtigt (siehe Kasten). Auch in Liechtenstein sollte verdichtetes Bauen weiterhin förde-rungswürdig sein.

Die Freie Liste kann sich über die Zu-stimmung im Landtag freuen: Das Postulat wurde zur Bearbeitung an die Regierung überwiesen.

Millionen Franken sparen. Zur Zeit läuft dazu eine Vernehmlassung. Damit will die Regierung grundsätzlich weiterhin Wenig-verdienende in ihrem Traum vom eigenen Häuschen unterstützen. Mit der sozialen Brille betrachtet, schlägt die Regierung Än-derungen vor, die vertretbar sind. Mit der ökologischen Brille betrachtet, ist störend, dass die Förderung von verdichtetem Bau-en «aufgrund der geänderten finanzpoliti-schen Gegebenheiten abgeschafft werden soll».

Die FL will UmweltschutzDie Freie Liste möchte in Zeiten von Kli-maveränderung und Fukushima eine zu-kunftsweisende soziale und auch ökolo-gische Wohnbauförderung. Es ist sinnvoll und wichtig, verdichtetes, bodensparendes Bauen weiterhin zu fördern. Die Pläne sollen aber ökologische Mindeststandards erfüllen, um förderungswürdig zu werden. Deshalb hat die Freie Liste im November-Landtag ein Postulat eingebracht und die Regierung eingeladen, «bei der Prüfung der Ausgestaltung der künftigen Wohn-bauförderung ökologische und energeti-sche Aspekte zu berücksichtigen und dem Landtag die entsprechenden Massnahmen in Vorschlag zu bringen». Förderung sollte nur noch erhalten, wer – neben den wirt-schaftlichen Anforderungen – auch fest-zulegende ökologische Anforderungen er-füllt. Wer Fördergelder erhält, kann damit zur Einhaltung bestimmter ökologischer Standards verpflichtet werden. Wer etwa eine Ölheizung einplant, soll keine Förder-gelder mehr bekommen.

Denkbar wäre ein Fördermodell ähn-lich wie es das benachbarte Vorarlberg hat.

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Die alte Angst vor mehr Demokratie

Text Claudia Heeb, [email protected]

Der Landtag hat mal wieder Angst: Er fürchtet sich davor, dass Liechtensteiner-Innen im Ausland Stimmacht bekommen und so die sesshaften LiechtensteinerIn-nen einen Kontrollverlust erleiden. Diese Angst wird aber nicht gern zugeben: Noch im September wurde nämlich als Haupt-argument gegen ein Stimmrecht für Aus-landliechtensteinerInnen vorgeschoben, dass diese gar kein Interesse an Mitsprache hätten. Im Oktober haben die Ausland-liechtensteinerInnen darauf reagiert und eine Petition eingereicht. Das Interesse da ist, war damit also erwiesen. Der Landtag musste seine Argumentationstaktik än-dern: Im Oktober-Landtag hiess es dann, dass das Anliegen der Petitionäre nicht grössenverträglich sei. Liechtenstein sei zu klein, deshalb könne das Land nicht von einer Gruppe bestimmt werden, die die Konsequenzen der Entscheide nicht zu tragen habe. Die Zahlen wurden dabei auf-gebauscht und verzerrt, die stimmwilligen AuslandliechtensteinerInnen als furchtein-flössend grosse Masse dargestellt. Es wurde damit wieder einmal Angst geschürt, wie sie immer geschürt wird, wenn es in Liech-tenstein um demokratische Rechte geht.

Würden AuslandliechtensteinerInnen tat-sächlich anders wählen, wie dies der Land-tag befürchtet?

Etwas zeichnet sich bei Umfragen und Kur-zinterviews ab: LiechtensteinerInnen im Ausland haben durch ihre Erfahrungen im Wahlland ein unverkrampfteres Verhältnis zur Demokratie: Sie sehen sie als Grund-recht, als Selbstverständlichkeit. Das würde sich sicher in ihrem Wahlverhalten nieder-schlagen und eine Öffnung gegenüber demokratischen Prozessen beschleunigen. Der Liechtensteiner Bevölkerung würde diese Öffnung gut anstehen, schreibt Klaus Jehle aus Basel – vor einem Umsturz müsse sie sich nicht fürchten.

Demokratie

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eintragen lassen – das sind in beiden Län-dern etwa 18,5 Prozent – dann wäre der Einfluss der AuslandliechtensteinerInnen etwa bei 2,2 Prozent. Damit ist das Argu-ment der Grössenverträglichkeit widerlegt. Die Grösse beziehungsweise die Kleinheit des Landes kommt hier nicht zum Tragen. Ich gehe davon aus, dass das Wahlverhal-ten der LiechtensteinerInnen im Ausland sich nicht gross vom Inländischen unter-scheidet. Vielleicht würden sich doch ge-rade Kenntnisse und Erfahrungen, die wir im Ausland machen, positiv auswirken.

Wenn man etwas nicht will, ist es immer der falsche Zeitpunkt. Wann wäre denn der richtige Zeitpunkt? Die Initiative wird logischerweise von jenen kommen, die ein Interesse daran haben – also nicht von den Parteien bzw. von innen nach aussen.

Viele wollen nach Liechtenstein zurück-kehrenText Benedikt Marxer, St. Gallen

Ich sehe nicht ein, weshalb Auslandliech-tensteinerInnen kein Stimm- und Wahl-recht haben sollen. Die meisten Auslän-derInnen in Liechtenstein haben in ihrer Heimat auch ein Stimmrecht. Mir persön-lich wäre es sehr wichtig, in Liechtenstein mitbestimmen zu können, weil ich nie weiss, wann ich zurückkehren werde. Vie-le LiechtensteinerInnen in St. Gallen sind nur vorübergehend da und gehen später wieder zurück in die Heimat; gerade die Studenten der Universität St. Gallen. Sie studieren Recht oder Wirtschaft und sind enorm interessiert am politischen Gesche-hen in ihrer Heimat.

Demokratie

Am meisten geärgert hat mich die falsche Zahlen-JonglierereiText Anne-Marie Schafflützel, Zürich

Ich bedaure es jeweils, wenn in Liechten-stein – also bei mir zu Hause – eine Ab-stimmung stattfindet und ich nicht mitbe-stimmen kann. Schon vor Jahren habe ich den Auftrag gefasst, bei der Regierung für das Stimm- und Wahlrecht für Ausland-liechtensteinerInnen vorstellig zu werden. An der letzten Generalversammlung des Liechtensteiner Vereins Zürich wurde eine Arbeitsgruppe gebildet. Als Folge habe ich eine Petition formuliert. In Zusammenar-beit mit den beiden anderen Liechtenstei-ner Vereinen haben wir diese dann ein-gereicht. Ich bedaure, dass der Landtag sich nicht detailliert mit dem Inhalt der Petition auseinandergesetzt hat. Er hätte der Regierung den Auftrag erteilen sol-len, geeignete Vorschläge auszuarbeiten. Am meisten ärgert mich in der Diskussion, wie mit den Zahlen jongliert wurde. Etwas über 3300 LiechtensteinerInnen leben im Ausland; das sind etwa zwölf Prozent aller Liechtensteiner BürgerInnen. Gemäss Be-richterstattung sprach der Abgeordnete Peter Hilti von einer Zahl, die um mehr als 50 Prozent zu hoch ist. Diese stellte er «16‘000 bis 17‘000 StimmbürgerInnen» ge-genüber. Auch diese Zahl ist falsch; sie ist zu tief. Im Juni 2011 waren 18‘840 Liech-tensteinerInnen stimmberechtigt. Hilti folgert dann, dass «das Drittel der Liech-tensteinerInnen im Ausland auf einmal neu in die politische Diskussion eingreifen könnten». Dies sei nicht grössenverträg-lich. Richtig wäre: Wenn von den zwölf Pro-zent im Ausland lebenden Liechtensteine-rInnen gleich viele wie in der Schweiz oder in Österreich sich in ein Stimmregister

Gerechtere Verhält-nisse ohne politischen UmsturzText Nikolaus Jehle, Basel

Das Stimm- und Wahlrecht würde das Inte-resse am politischen Geschehen in Liech-tenstein verstärken. Um korrekt abzu-stimmen, müsste man sich vermehrt über das Geschehen informieren. Ich bin mit Liechtenstein verbunden, da ich einige Besuche pro Jahr bei Verwandten und Freunden in Liechtenstein mache. Ich lese im Internet eine Liechtensteiner Ta-geszeitung und auch das Gemeinderat-sprotokoll meiner Heimatgemeinde Plan-ken. Ausserdem bin ich Mitbegründer und Mitglied des Liechtensteiner Vereins der Region Nordwestschweiz. Eine Überstim-mung der Einheimischen durch die Aus-landliechtensteinerInnen ist nach meiner Ansicht kaum zu befürchten. Es gibt doch nur eine beschränkte Anzahl Ausland-liechtensteinerInnen und diese werden wohl nicht alle, ebenso wenig wie die Ein-heimischen, an den Abstimmungen und Wahlen teilnehmen. Jede Erweiterung des Stimm- und Wahlrechtsrechts, z.B. die Einführung des Frauenstimmrechts, hat bisher wohl gerechtere demokratische Verhältnisse gebracht, ohne jedoch einen politischen Umsturz zu verursachen. Eine Öffnung im politischen Denken dürfte auch der Liechtensteiner Bevölkerung gut anstehen, wenn ich an die Verhältnis-se in meiner Jugendzeit zurückdenke. Ich bin seit 51 Jahren in der Schweiz wohn-haft und seit 18 Jahren Doppelbürger. Ich fühle mich in Basel längst zu Hause, ohne Liechtenstein zu vergessen.

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Hochdütsch bitte!Deutsch und das Verstehen der Kultur sind die Schlüssel für die Integration von Migrantenkindern: Genau da setzt das ganzheitliche und gute Fördermodell an, das in Liechtenstein entwickelt worden ist. Spardruck und Angst vor einer breiten Hochdeutschförderung könnten es bald aus dem Gleichgewicht bringen.

Text und Bild Barbara Jehle, [email protected] Illustration Jürgen Schremser

Die Serbien-Flagge an der Tür der Klasse des «Intensivkurses Deutsch» hängt schief. René Wyttenbach konnte sich noch nicht dazu entschliessen, sie zu entfernen. Es könnte ja sein, dass die drei serbischen Kinder, die vor einigen Wochen mitten im Unterricht von der Polizei abgeholt und mit ihrer Mutter ausgeschafft worden sind, ein zweites Mal zurückkehren.

Neu an der Tür klebt die Japan-Flagge: Seit ein paar Tagen besuchen japanische Geschwister den Kurs. René Wyttenbach muss es gelingen, diese nun mit neun an-deren Kindern und Jugendlichen zwischen acht und 16 Jahren in den Unterricht zu integrieren.

Das Grüppchen gibt ein ungewöhnli-ches Bild einer Schulklasse ab: Die Schüle-rInnen sitzen in einem Halbkreis: Ein Mäd-chen ist noch so klein, dass es hinter dem Pult verloren wirkt. Ganz am Rand sitzt ein grosser Teenager, der auf cool macht. Es ist ein bunt gemischter Haufen, dem der Pä-dagoge mit seinem Deutschunterricht ge-recht wird. Die SchülerInnen haben sechs unterschiedliche Nationalitäten: Einige sind Sprösslinge von Asylsuchenden, ande-re von Fachkräften.

René Wyttenbachs Schützlinge besu-chen in der Regel ein Jahr lang den Inten-sivkurs an den «Weiterführenden Schulen Triesen». Unterrichtet werden sie neben Deutsch auch in Mathematik, Englisch und Sport.

Mentalitäts-TrainingGanz zentral am Neuanfang in einem Land ist etwas, was nicht über den Stundenplan vorschreibbar ist, meint René Wyttenbach: nämlich den Kindern und Jugendlichen verständlich zu machen, wie die Kultur in

fe von KollegInnen und besonderen An-strengungen zu meistern sei, meint René Wyttenbach. Die SchülerInnen seien sehr motiviert, das erleichtere vieles: «Sie müs-sen im Leben mit Deutsch bestehen und strengen sich wirklich an.» Wyttenbachs Gesicht verfinstert sich aber, als er auf die Ausschaffungsaktion seiner drei serbischen Zöglinge angesprochen wird. «Es darf nie mehr passieren, dass Kinder ohne Vorinfor-mation aus dem Kurs genommen werden. Eine Ausschaffung ist immer dramatisch, aber es wäre schonender gegangen, wenn die beteiligten Ämter besser zusammenge-arbeitet hätten.» Alle Kinder des Kurses, auch die älteren, hätten wegen diesem Er-eignis sehr schlecht geschlafen. Es sei zu hoffen, dass in Zukunft eine menschlichere Lösung gefunden wird. Die meisten Schü-lerInnen von René Wyttenbach können ihr Deutsch-Jahr glücklich abschliessen und in reguläre Klassen übertreten. Der Pädago-ge verfolgt die schulische Laufbahn seiner Ehemaligen sehr interessiert und steht in gutem Kontakt mit deren LehrerInnen. Das Gesamtbild über die Migrantenförde-rung beurteilt er als positiv.

Elternförderung wird entdecktNach der Erfahrung der LehrerInnen ist die Deutschpflicht für Eltern ein Meilen-stein in der Integration: Seit 2009 werden für die Niederlassung von Erwachsenen aus Drittstaaten Deutschzertifikate voraus-gesetzt. Weil Deutschkurse für MigrantIn-nen mit einem staatlichen Zuschuss un-terstützt werden, können diese auch von weniger Begüterten belegt werden.

Nicht nur die Kommunikation zwi-schen Eltern und LehrerInnen hat sich so verbessert, sondern nach René Wyttenbach

Liechtenstein funktioniert. Ob eine Schü-lerin bei einer Meinungsverschiedenheit aufbrausend reagiert oder ihre Meinung gar nicht zu sagen getraut, ist stark kulturell abhängig: Der Intensivkurs-Lehrer lebt den SchülerInnen den Umgang in ihrem neu-en Kulturraum vor, damit die Integration gelingen kann. Dies erleichtert später den LehrerInnen von regulären Schulklassen die Arbeit. Bevor die Intensivkurse 1989 eingeführt wurden, hat man die Kinder in den normalen Unterricht gesteckt, ohne Deutsch-Kenntnisse und ohne Ahnung von der liechtensteinischen Lebensart. Das war für alle Beteiligten schwierig und führte manchmal zu Konflikten.

René Wyttenbach ist überzeugt, dass Kinder mit Migrationshintergrund in Liechtenstein heute gute Chancen haben: «Liechtenstein hat mit dem Intensivkurs Pionierarbeit geleistet. Bei der Integration der Erwachsenen hat es etwas länger ge-dauert als in den Nachbarländern, aber das Bildungsangebot ist heute gut.»

Kommt ein Kind vom Intensivkurs Deutsch in eine normale Klasse, wird es weiterhin von LehrerInnen für Deutsch als Zweitsprache unterrichtet. Informationen des Schulamts zeigen, dass SchülerInnen vom Kindergarten bis ins Oberstufen-Gym-nasium in Deutsch als Zweitsprache (DaZ) gefördert werden. «Das momentan gute Angebot darf aber nicht darüber hinweg-täuschen, dass der Spardruck auch in der Deutschförderung spürbar ist», meinen DaZ-LehrerInnen. Die neuen Regelungen erlaubten es nicht mehr, den Intensivkurs mit geringer Schülerzahl in zwei Alterstu-fen gegliedert zu führen. Acht-Jährige mit 16-Jährigen zusammen zu unterrichten, ist aber zweifellos ein Spagat, der nur mit Hil-

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profitieren auch die Kinder, wenn sich die Eltern besser in ihrem Gastland zurechtfin-den. Sollten die Deutschkenntnisse für ein Elterngespräch nicht ausreichen, stehen DolmetscherInnen zur Verfügung. Auch das ist ein sehr gutes Angebot, das für fast alle Migranten-Sprachen besteht.

Der Integrationsbeauftragte René Meier sieht im Integrationsgrad der El-tern, genau wie René Wyttenbach, einen Schlüssel für den Integrationserfolg der Kinder. Dank Einsicht der Eltern sei eine Frühförderung vor der Schulpflicht mög-lich. Kinder von MigrantInnen sollten im besten Fall schon in Spielgruppen Deutsch lernen. Bei den Eltern muss dafür ein Be-wusstsein geschaffen werden: Sie müssen zuerst verstehen, was es für den Schuler-folg der Kinder braucht. «Es gibt Eltern, denen nicht bewusst ist, welche Bedeutung Bildung in Liechtenstein hat und welche Rolle sie als Eltern im Bildungspuzzle spie-

len.» In Liechtenstein haben PädagogIn-nen laut Meier die Erfahrung gemacht, dass Migrantenkinder mit türkischem Hin-tergrund überdurchschnittlich oft schuli-sche Schwierigkeiten haben. Dabei genüg-te oft ein stärkeres Engagement der Eltern: «Es ist einfach und effektiv, wenn Eltern ihr Kind fragen: Hast du deine Hausaufgaben heute schon gemacht?». Beim türkischen Frauenverein stossen solche Ratschläge be-reits auf offene Ohren: Die Frauen – und auch einige Männer – besuchen einen El-ternbildungskurs, der von einem türkisch-stämmigen Pädagogen erteilt wird.

Schära Schta PapierVerliert das Hochdeutschtraining an regu-lären Schulklassen durch dieses vielfältige Förderangebot an Bedeutung? Der Inte-grationsbeauftragte verneint und erklärt, dass sogar Kinder, die relativ gut Dialekt sprechen, mit Deutsch als Bildungsspra-

che nicht zwingend gut vertraut sind. Hochdeutsch im Kindergarten und an der Schule bleibe enorm wichtig, und zwar nicht nur für Migrantenkinder, sondern genauso für Kinder mit deutscher Mut-tersprache. Das Deutsch, das von Pädago-gInnen gesprochen und in Schulbüchern verwendet wird, unterscheide sich stark von dem Deutsch, das Kinder vom Alltag kennen. Eher stirnrunzelnd hat der Inte-grationsbeauftragte das Postulat der FBP zu «Dialekt im Kindergarten» zur Kennt-nis genommen. In Liechtenstein sprechen Kindergärtnerinnen seit zwei Jahren Hoch-deutsch, wobei die Kleinen weiterhin bei ihrer Mundart bleiben dürfen. Zu Rekla-mationen beim Schulamt ist es deswegen bisher nicht gekommen: Im Frühling die-ses Jahres wurde aber in der Schweiz heftig über Hochdeutsch im Kindergarten debat-tiert. Dies hat Wellen bis nach Liechten-stein geworfen: Einige FBP-Abgeordnete

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befürchten, dass durch «Hochdeutsch im Kindergarten» die «Liechtensteiner Kultur und Identität» zurückgedrängt wird. Da-bei wird «Schära Schta Papier» wie schon vor 30 Jahren im breitesten Liechtenstei-ner Dialekt gespielt. Auch Lieder werden auf Mundart gesungen. Alte Traditionen werden mit den Kleinen im Kindsgi ge-pflegt wie nirgends sonst. Für Meier gibt es überhaupt keinen Grund, sich Sorgen zu machen. «In Liechtenstein gab es immer schon zwei Sprachen: Die Alltagssprache und die Bildungssprache Hochdeutsch. Sie stehen nicht in Konkurrenz zueinander.»

Ist Dialektpflege ein Lehrerjob?Das Schulamt schreibt in einer Stellung-nahme, dass der einzige Nachteil der Hochsprache im Kindergarten sei, dass der Dialekt weniger gepflegt werde, stellt aber auch die Frage, ob eine Schule der Ort für Dialektbildung sei: Schliesslich würden Kinder über 50 Prozent ihrer Zeit zuhause oder in Freizeitclubs verbringen und dort Dialekt sprechen. (siehe Box)

Die Frage des Schulamts ist berechtigt, sind doch Schulen in erster Linie für gute schulische und später berufliche Leistun-gen der SchülerInnen verantwortlich. Diese Verantwortung nehmen Schulen speziell auch in der Bildung von Migran-tenkindern wahr. In Liechtenstein gibt es keine Studien, die die schulischen Erfolge von Migratenkindern und damit die Inte-grationsleistungen von Schulen dokumen-tieren. Vergleicht man die Förderangebote aber mit Empfehlungen einer aktuellen

Nationalfonds-Studie, hat das Schulamt in den letzten Jahren die matchentschei-denden Punkte erkannt. Die Studie eines Berner Forscher-Teams zeigt, dass Kinder möglichst früh, schon vor der Einschulung, in der Landessprache gefördert werden müssen und sogar im Gymnasium eine in-tensive Hochdeutschförderung erhalten sollten. Eltern müssen sehr gut über das Bildungssystem und Angebot informiert werden, und: Die folgenreiche Selektion für die Sekundarstufe sollte sehr spät er-folgen oder gar aufgehoben werden. Das Forscherteam gibt der Politik auch eine Utopie mit auf den Weg, welche ausserhalb des Einflussbereichs des Bildungswesens liegt: Nur wenn die Einkommensunter-schiede nicht allzu gross sind und ein Land ausgeglichene Vermögensstrukturen hat, kann für MigrantInnen wirkliche Chan-cengleichheit im Bildungszugang erreicht werden.

Dialekt im Kindergarten

«Die Kultur und Identität Liech-tensteins» werde stark über den Dialekt geprägt, so argumentierten einige Landtagsabgeordnete im November für die Abschaffung der Hochdeutsch-Pflicht im Kindergarten. Kindergärtnerinnen sprechen seit zwei Jahren mit ihren Schützlin-gen Hochdeutsch: Diese Praxis ist eine Reaktion auf das schlechte Abschneiden der Liechtensteiner SchülerInnen am PISA-Test für Leseverständnis vor zehn Jahren. «Sprachfähigkeit ist eine absolute Schlüsselqualifikation», schreibt das Schulamt, deshalb sei der Auftrag der Schule zur Förderung der Sprachfähigkeit deutlicher und dringlicher geworden. Hochdeutsch biete für Kinder mit Migrationshin-tergrund verbesserte Chancen. Aber auch für einheimische Kinder sei Hochdeutsch ein grosses Plus: Viele LiechtensteinerInnen fühlten sich beim Hochdeutsch-Sprechen auch im Erwachsenen-Alter etwas unsicher und gehemmt. Eine frühe Förderung mache auch Einheimische vertrauter mit Hochdeutsch, so dass Hemmun-gen gar nicht entstehen. Beim freien Spielen und in der Pause bleibe den Kindern immer noch genug Raum, um Dialekt zu sprechen, zumal von ihnen kein Hochdeutsch verlangt werde.

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Die Heimat im SprudelbadText Hans-Egon Grindle, [email protected]

sittliche Ordnung durcheinandergebracht werden. Darum darf es uns nicht weiter verwundern, wenn sich der Neid der Rest-welt auf unsere politisch klar strukturierte Staatsform und unsere moralisch stabile Gesinnung in Form von undifferenzier-ten Nachrichtenbeiträgen niederschlägt, die von den gesteuerten Medien der von finanzieller Selbstverschuldung und Steu-ermisswirtschaft gebeutelten Staaten ver-breitet werden. Aber wir können ja einfach die Fernbedienung in die Hand nehmen und zu einem anderen Sender weiter-schalten, wenn uns vor dem Fernseher wieder einmal klar wird, dass sogar unse-re deutschsprachigen Nachbarn offenbar einen grossen Nachholbedarf haben in Sachen objektive Berichterstattung über das souveräne Fürstentum Liechtenstein. Würden diese sogenannten Journalisten aus dem Ausland genau hinsehen, würden sie vielleicht erkennen, dass unser Land eben schon im dritten Jahrtausend ange-kommen ist und wir darum die fehlgeleite-ten Entwicklungen, die im 20. Jahrhundert in den sogenannten modernen Demokra-tien entstanden sind, längst überwunden haben. Wir sind gerne bereit, unsere Hilfe all jenen anzubieten, die aus dem Sprudel-bad des globalisierten Liberalismus raus wollen. Unsere Frotteetücher liegen be-reit, gestaltet in den Farben unseres Lan-deswappens.

Am Anfang ist da vielleicht nur ein diffuses Gefühl, das sich nur schwer in Worte fas-sen lässt. Bei längerem Insichgehen aber entblättert sich langsam die Gewissheit darüber, dass es sich dabei um die wach-sende Sorge um das Weiterbestehen un-serer heimatlichen Eigenart handelt, die uns Unruhe beschert. Schliesslich geht es hier um die Verteidigung unsere nationa-len und kulturellen Identität, die in einem Einmachglas mit versiegeltem Deckel kon-serviert ist, aufbewahrt im Keller der liech-tensteinischen Volksseele. Dieses fragile Behältnis, das schon von unseren Grossvä-tern und Grossmüttern, ja sogar schon von deren Grossvätern und deren Grossmüt-tern behütet und bewacht wurde, ist nicht mehr und nicht weniger als die verlässliche Wegleitung für einen jeden Liechtenstei-ner Bürger. Eine väterlich wohlwollende Orientierungshilfe für alle Entscheidun-gen, die wir im familiären, im gesellschaft-lichen und im politischen Leben treffen müssen. Und weil dieser Keller, wo sich das Einmachglas befindet, nur für Liech-tensteiner zugänglich ist, darf es uns nicht verwundern, dass so manch ahnungslo-sem Ausländer unser politisches Gebaren oft als fremd erscheint. Aber nennen wir doch das Kind beim Namen: ausserhalb von unserer Heimat Liechtenstein, also im Rest der Welt, befinden sich die Heimat-gefühle der verschiedenen Völker nicht in Einmachgläsern, sondern im Sprudel-bad der Globalisierung, wo alle Klarheiten verwirbelt und die gesellschaftliche und

Denken mit Grindle

24 – WEISS – Magazin der Freien Liste – 01/11