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TAZ THEMA, DIE VERLAGSBEILAGE DER TAGESZEITUNG, E-MAIL: ANZEIGEN @TAZ.DE, FAX: 030 - 25 106 94 W 1 SONNABEND/SONNTAG, 3./4. MAI 2008 ANZEIGE Ätsch! Madonna hat sich den Gipsy-Punker Eugene Hütz von Gogol Bordello geschnappt, um auf der Balkanwelle zu surfen FOTO: DDP ls Madonna beim „Live- Earth“-Spektakel im ver- gangenen Juli auf die Bühne des Wembley-Sta- dions trat, hatte sie eine Überra- schung mitgebracht: Der ukrai- nischstämmige Gitarrist Eugene Hütz und ein bärtiger Geiger von der New Yorker „Gipsy-Punk“- Band Gogol Bordello kamen mit ihr, um ihren Hit „La Isla Bonita“ in eine wilde Balkanserenade zu verwandeln. Es war einer dieser Momente, die noch Wochen spä- ter auf YouTube Furore machen und mit hunderten von Kom- mentaren bedacht werden. Er zeigte, dass Madonna die Zei- chen der Zeit zu lesen vermag. Denn Balkanmusik liegt derzeit fraglos im Trend. Wenn jemand heute wissen will, wo er mehr Musik von Gogol Bordello und verwandten Kapel- len finden kann, braucht er nur in den nächsten Plattenladen zu gehen und in der Weltmusik-Ab- teilung im Osteuropa-Regal zu stöbern: Dort wird er fündig. Das war nicht immer so einfach. Denn der Begriff wurde erst vor rund zwanzig Jahren erfunden, um Musikstilen aus aller Welt den Weg in die Plattenläden zu bahnen. Aus diesem Grund tra- fen sich 1987 in einem Pub in London eine Handvoll Konzert- veranstalter, Musikjournalisten und Labelchefs: Sie suchten ei- nen Begriff, der es ihnen erleich- tern sollte, so unterschiedliche Dinge wie bulgarische Frauen- chöre, Soukous-Musik aus dem Kongo oder Dangdut-Pop aus In- donesien unter die Leute zu brin- gen. So kam das Wort von der „Weltmusik“ in die Welt. Dieser Sammelbegriff ist im- mer umstritten gewesen, selbst ein Szenepapst wie David Byrne hadert mit ihm. Doch die Schub- lade hat sich als ungemein prak- tisch erwiesen, um ganz unter- schiedliche Musikstile zu popu- larisieren. Wer hätte gedacht, dass portugiesischer Fado und kubanischer Son, aber auch Blas- musik vom Balkan oder Afrobeat aus Nigeria plötzlich wieder so ein Comeback erleben, von DJs in den Mixer geworfen und welt- weit ein neues, urbanes Publi- kum finden würden? In ihren je- weiligen Heimatländern waren sie schließlich schon abgeschrie- ben, galten als angestaubt und hoffnungslos altmodisch. Eigentlich gäbe es deshalb et- was zu feiern: Zwanzig Jahre Weltmusik, das ist eine Erfolgsge- schichte. Nicht nur, weil lokale Stars wie Cesaria Evora, Youssou N’Dour oder der Buena Vista So- cial Club dadurch international Karriere gemacht haben. Oder, weil inzwischen jede Metropole ihre Tango-, Salsa- oder Balkan- szene hat. Sondern auch, weil aus der urbanen Vermischung der Genres ständig neue Hybride entstehen; Elektro-Tango, Fla- menco-Funk, Afro-House, Latin- Hiphop, Orient-Pop, Mestizo- Rock oder eben Gipsy-Punk, um nur einige zu nennen. Die Entdeckung lokaler Pop- stile, das Revival und Recycling traditioneller Musiken sowie die lokale Adaption globaler Musik- trends, das war – neben der Aus- differenzierung elektronischer Musik in ihre diversen Spielar- A ten – vielleicht die wichtigste Be- wegung, die die musikalische Entwicklung der letzten Deka- den geprägt hat. Offenbar gibt es ein Bedürfnis nach Geschichte, Tradition und, ja, auch Exotik – auch das Revival des Roots-Reg- gae muss man in diesem Zusam- menhang sehen. Im Rückgriff auf die musikalische Vielfalt der Welt und „exotische“ Moden der Vergangenheit dürfte neben der weiteren technologischen Entwicklung – deshalb auch der Schlüssel zu den musikalischen Trends der Zukunft liegen. Einen Vorgeschmack auf diese Entwicklung gab es vor zwanzig Jahren. Damals, 1988, stürmte eine Sängerin aus Israel namens Ofra Haza mit der Popversion ei- nes jemenitischen Volkslieds an die Spitze der Charts, und der Lambada aus Brasilien avancier- te für eine Saison zum Modetanz. Es folgte ein Griot-Sänger aus Mali namens Mory Kanté, dessen technoid aufgepumptes „Yeké Yeké“ zu einer frühen Ravehym- ne aufstieg: auch so ein Hybrid, bei dem elektronische Innova- tion und die Rückbesinnung auf das Erbe afrikanischer Griots Das vergessene Jubiläum Vor 20 Jahren wurde der Begriff „Weltmusik“ erfunden, um Musikstilen aus aller Welt den Weg zu einem urbanen Publikum zu ebnen. Daraus wurde einer der wichtigsten Trends der letzten Dekaden Hand in Hand gingen. Pop ist eben ein gefräßiges Monster, das sich alles einverleibt, was es in die Hände bekommt. Dass die deutsche Musikpres- se das runde Jubiläum verschla- fen hat, ist allerdings sympto- matisch: Was allzu sehr nach Weltmusik aussieht, wird geflis- sentlich ignoriert und fällt unter verschärften Folkloreverdacht. Auch im Radio und im Fernse- hen sieht es, von ein paar Ni- schen abgesehen, nicht viel bes- ser aus. Das liegt nicht nur am Fremdeln mit allem Fremden. Es liegt auch an der Segregation der Szenen, die in Deutschland be- sonders ausgeprägt ist. Ein Festi- val wie im dänischen Roskilde, wie das Sziget in Budapest oder praktisch alle Festivals in Frank- reich, wo Rockbands und Hip- hop-Acts einträchtig neben afri- kanischen Musikern, Balkan- Trompetern oder Salsabands aufspielen, das gibt es hierzulan- de einfach nicht. Doch allmählich kommt Be- wegung in die Fronten. Der Trend zur Vermischung lässt sich schließlich nicht mehr ignorie- ren, wenn sich britische Musiker wie Damon Albarn oder Björk und US-Bands wie Vampire Weekend in Afrika nach Inspira- tion umsehen, eine Band wie Ca- lexiko mit Mariachi-Trompetern antritt oder sich ein Indie-Held wie Beirut aus Balkan-Traditio- nals bedient. Oder eben Madon- na den Zigeunertanz übt. Klar, das hat mit der Globali- sierung zu tun. Als Paul Simon in den Achtzigerjahren nach Südaf- rika fuhr, um dort sein „Grace- land“-Album aufzunehmen, Pe- ter Gabriel seinen Fans einen afrikanischen Freund namens Youssou N’Dour präsentierte oder David Byrne mit der Salsa- sängerin Celia Cruz im Duett sang, da ging es ihnen allen noch darum, diese Musik bekannter zu machen. David Byrne und Pe- ter Gabriel gründeten zu diesem Zweck sogar eigene Plattenfir- men. Inzwischen hat sich die „Weltmusik“-Sparte etabliert, zu- gleich finden neue, hybride Mu- siktrends aus allen Ecken der Welt dank YouTube, MySpace & Co schnell weltweit ein wachsen- des Nischenpublikum. Ob Reg- gaeton, Baile-Funk, japanischer Manga-Pop oder der Siegeszug des Bollywood-Kinos – die Triba- lisierung der Szenen schreitet unaufhaltsam voran, und die Grenzen zwischen „hier“ und „dort“ verschwimmen. Von alt- hergebrachten Vorstellungen von „Tradition“ und „Authentizi- tät“ muss man sich da wohl ver- abschieden. Aber so gesehen, hat die Weltmusik nicht nur eine Vergangenheit. Sie hat auch noch eine glanzvolle Zukunft vor sich. Ach ja, und Madonna? Sie wählte Eugene Hütz von Gogol Bordello als Hauptdarsteller für ihren Film „Filth and Wisdom“ – ihr Regiedebüt, das sie im Früh- jahr schon mal auf der Berlinale vorstellte. Sie hätte ihn auch für ihr neues Album „Hard Candy“ engagieren sollen: Dann wäre es vielleicht etwas aufregender ge- raten als der matte R -’n’-B-Ab- klatsch, den sie mit Hilfe von Starproduzenten wie Timbaland und Pharell Williams sowie Jus- tin Timberlake als Duettpartner abgeliefert hat. DANIEL BAX taz Verlags- und Vertriebs GmbH Kochstr. 18, 10969 Berlin V.i.S.d.P.: Bascha Mika Redaktion: Daniel Bax WELT MUSIK

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TAZ THEMA, DIE VERLAGSBEILAGE DER TAGESZEITUNG, E-MAIL: [email protected], FAX: 030 - 25 106 94W 1 SONNABEND/SONNTAG, 3./4. MAI 2008

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Ätsch! Madonna hat sich den Gipsy-Punker Eugene Hütz von Gogol Bordello geschnappt, um auf der Balkanwelle zu surfen FOTO: DDP

ls Madonna beim „Live-Earth“-Spektakel im ver-gangenen Juli auf dieBühne des Wembley-Sta-

dions trat, hatte sie eine Überra-schung mitgebracht: Der ukrai-nischstämmige Gitarrist EugeneHütz und ein bärtiger Geiger vonder New Yorker „Gipsy-Punk“-Band Gogol Bordello kamen mitihr, um ihren Hit „La Isla Bonita“in eine wilde Balkanserenade zuverwandeln. Es war einer dieserMomente, die noch Wochen spä-ter auf YouTube Furore machenund mit hunderten von Kom-mentaren bedacht werden. Erzeigte, dass Madonna die Zei-chen der Zeit zu lesen vermag.Denn Balkanmusik liegt derzeitfraglos im Trend.

Wenn jemand heute wissenwill,woermehrMusikvonGogolBordello und verwandten Kapel-len finden kann, braucht er nurin den nächsten Plattenladen zugehen und in der Weltmusik-Ab-teilung im Osteuropa-Regal zustöbern: Dort wird er fündig. Daswar nicht immer so einfach.Denn der Begriff wurde erst vorrund zwanzig Jahren erfunden,um Musikstilen aus aller Weltden Weg in die Plattenläden zubahnen. Aus diesem Grund tra-fen sich 1987 in einem Pub inLondon eine Handvoll Konzert-veranstalter, Musikjournalistenund Labelchefs: Sie suchten ei-nen Begriff, der es ihnen erleich-tern sollte, so unterschiedlicheDinge wie bulgarische Frauen-chöre, Soukous-Musik aus demKongo oder Dangdut-Pop aus In-donesien unter die Leute zu brin-gen. So kam das Wort von der„Weltmusik“ in dieWelt.

Dieser Sammelbegriff ist im-mer umstritten gewesen, selbstein Szenepapst wie David Byrnehadert mit ihm. Doch die Schub-lade hat sich als ungemein prak-tisch erwiesen, um ganz unter-schiedliche Musikstile zu popu-larisieren. Wer hätte gedacht,dass portugiesischer Fado undkubanischer Son, aber auch Blas-musik vomBalkan oder Afrobeataus Nigeria plötzlich wieder soein Comeback erleben, vonDJs inden Mixer geworfen und welt-weit ein neues, urbanes Publi-kum finden würden? In ihren je-weiligen Heimatländern warensie schließlich schon abgeschrie-ben, galten als angestaubt undhoffnungslos altmodisch.

Eigentlich gäbe es deshalb et-was zu feiern: Zwanzig JahreWeltmusik, das ist eine Erfolgsge-schichte. Nicht nur, weil lokaleStars wie Cesaria Evora, YoussouN’Dour oder der Buena Vista So-cial Club dadurch internationalKarriere gemacht haben. Oder,weil inzwischen jede Metropoleihre Tango-, Salsa- oder Balkan-szenehat. Sondern auch,weil ausder urbanen Vermischung derGenres ständig neue Hybrideentstehen; Elektro-Tango, Fla-menco-Funk, Afro-House, Latin-Hiphop, Orient-Pop, Mestizo-Rock oder eben Gipsy-Punk, umnur einige zu nennen.

Die Entdeckung lokaler Pop-stile, das Revival und Recyclingtraditioneller Musiken sowie dielokale Adaption globaler Musik-trends, das war – neben der Aus-differenzierung elektronischerMusik in ihre diversen Spielar-

A

ten – vielleicht die wichtigste Be-wegung, die die musikalischeEntwicklung der letzten Deka-den geprägt hat. Offenbar gibt esein Bedürfnis nach Geschichte,Tradition und, ja, auch Exotik –auch das Revival des Roots-Reg-gae muss man in diesem Zusam-menhang sehen. Im Rückgriffauf die musikalische Vielfalt derWelt und „exotische“ Moden der

Vergangenheit dürfte – nebender weiteren technologischenEntwicklung – deshalb auch derSchlüssel zu den musikalischenTrends der Zukunft liegen.

Einen Vorgeschmack auf dieseEntwicklung gab es vor zwanzigJahren. Damals, 1988, stürmteeine Sängerin aus Israel namensOfra Hazamit der Popversion ei-nes jemenitischen Volkslieds an

die Spitze der Charts, und derLambada aus Brasilien avancier-te für eine Saison zumModetanz.Es folgte ein Griot-Sänger ausMali namensMoryKanté, dessentechnoid aufgepumptes „YekéYeké“ zu einer frühen Ravehym-ne aufstieg: auch so ein Hybrid,bei dem elektronische Innova-tion und die Rückbesinnung aufdas Erbe afrikanischer Griots

Das vergessene JubiläumVor 20 Jahren wurde der Begriff „Weltmusik“ erfunden, umMusikstilen aus aller Welt den Weg zueinem urbanen Publikum zu ebnen. Darauswurde einer der wichtigsten Trends der letzten Dekaden

Hand in Hand gingen. Pop isteben ein gefräßiges Monster, dassich alles einverleibt, was es indie Hände bekommt.

Dass die deutsche Musikpres-se das runde Jubiläum verschla-fen hat, ist allerdings sympto-matisch: Was allzu sehr nachWeltmusik aussieht, wird geflis-sentlich ignoriert und fällt unterverschärften Folkloreverdacht.

Auch im Radio und im Fernse-hen sieht es, von ein paar Ni-schen abgesehen, nicht viel bes-ser aus. Das liegt nicht nur amFremdelnmit allem Fremden. Esliegt auch an der Segregation derSzenen, die in Deutschland be-sonders ausgeprägt ist. Ein Festi-val wie im dänischen Roskilde,wie das Sziget in Budapest oderpraktisch alle Festivals in Frank-reich, wo Rockbands und Hip-hop-Acts einträchtig neben afri-kanischen Musikern, Balkan-Trompetern oder Salsabandsaufspielen, das gibt es hierzulan-de einfach nicht.

Doch allmählich kommt Be-wegung in die Fronten. DerTrend zurVermischung lässt sichschließlich nicht mehr ignorie-ren, wenn sich britische Musikerwie Damon Albarn oder Björkund US-Bands wie VampireWeekend in Afrika nach Inspira-tion umsehen, eine Band wie Ca-lexiko mit Mariachi-Trompeternantritt oder sich ein Indie-Heldwie Beirut aus Balkan-Traditio-nals bedient. Oder eben Madon-na den Zigeunertanz übt.

Klar, das hat mit der Globali-sierung zu tun. Als Paul Simon inden Achtzigerjahren nach Südaf-rika fuhr, um dort sein „Grace-land“-Album aufzunehmen, Pe-ter Gabriel seinen Fans einenafrikanischen Freund namensYoussou N’Dour präsentierteoder David Byrne mit der Salsa-sängerin Celia Cruz im Duettsang, da ging es ihnen allen nochdarum, diese Musik bekannterzu machen. David Byrne und Pe-ter Gabriel gründeten zu diesemZweck sogar eigene Plattenfir-men. Inzwischen hat sich die„Weltmusik“-Sparte etabliert, zu-gleich finden neue, hybride Mu-siktrends aus allen Ecken derWelt dank YouTube, MySpace &Co schnell weltweit ein wachsen-des Nischenpublikum. Ob Reg-gaeton, Baile-Funk, japanischerManga-Pop oder der Siegeszugdes Bollywood-Kinos – die Triba-lisierung der Szenen schreitetunaufhaltsam voran, und dieGrenzen zwischen „hier“ und„dort“ verschwimmen. Von alt-hergebrachten Vorstellungenvon „Tradition“ und „Authentizi-tät“ muss man sich da wohl ver-abschieden. Aber so gesehen, hatdie Weltmusik nicht nur eineVergangenheit. Siehat auchnocheine glanzvolle Zukunft vor sich.

Ach ja, und Madonna? Siewählte Eugene Hütz von GogolBordello als Hauptdarsteller fürihren Film „Filth and Wisdom“ –ihr Regiedebüt, das sie im Früh-jahr schon mal auf der Berlinalevorstellte. Sie hätte ihn auch fürihr neues Album „Hard Candy“engagieren sollen: Dann wäre esvielleicht etwas aufregender ge-raten als der matte R -’n’-B-Ab-klatsch, den sie mit Hilfe vonStarproduzenten wie Timbalandund Pharell Williams sowie Jus-tin Timberlake als Duettpartnerabgeliefert hat. DANIEL BAX

taz Verlags- und Vertriebs GmbHKochstr. 18, 10969 BerlinV.i.S.d.P.: Bascha MikaRedaktion: Daniel Bax

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W 2 DIE TAGESZEITUNG 3./4. MAI 2008 weltmusik E-MAIL: [email protected]

VON KNUT HENKEL

Im Licht der aufgehenden Sonnesteht Sofia Blanco auf einemschmalen Steg im Hafen vonDangriga: eine Szene, wie einerkitschigen Postkarte entsprun-gen. Die 54-jährige Sängerin hältAusschau – sie erwartet eine klei-ne Flottille von Fischerbooten,die in den Hafen der Kleinstadtim Süden von Belize einlaufensollen. Leise summt sie eine Me-lodie vor sich hin. „Es ist ein altesFischerlied, das die Frauen frü-her sangen, wenn die Männer indie Kanus stiegen und zum Fi-schen hinausfuhren“, erklärtSofia Blanco. Das schwermütig-swingende Stück stimmt SofiaBlanco heute noch an, wenn sieihren Mann Gregorio morgenszumBoot begleitet.

„Fischfang und Ackerbau, da-von leben wir Garifuna traditio-nell“, erklärt die Frau, die selbstausGuatemala stammt.DieGari-funa sind eine kleineMinderheitin Mittelamerika. Woher dieschwarzen Kariben, wie sie auchgenannt werden, ursprünglichstammen, ist umstritten. Nebenvielen Mythen und Legenden istdie St.-Vincent-These die glaub-würdigste Variante. Danach sol-len 1635 vor der Küste der gleich-namigen Karibikinsel zwei Skla-venschiffe gesunken sein. Dortansässige karibische Stämmenahmen die Überlebenden desUnglücks auf, vermischten sichmit ihnen und entwickelten eineeigene Kultur, bis sie von der bri-tischen Kolonialmacht von derInsel vertriebenwurden.

„Damals begann unsere Odys-see, die uns über die Küsten Mit-telamerikas verstreute“, glaubtauch Desere Diego, eine Freun-din von Sofia Blanco. Vom Klein-staat Belize, der im Süden dermexikanischen Halbinsel Yu-catán liegt, die Karibikküste ent-lang bis nach Panama hat sichdas kaum 300.000 Menschenzählende Volk auf fünf Staaten

verteilt. Einige sind, wie DesereDiego, in Belize zu Hause. SofiaBlanco dagegen lebt mit ihremMann in Guatemala – in derKüstenstadt Livingstone, wo um1802 die Garifuna in ihren Kanusgelandet sein sollen.

„Am 26. November haben dieersten Familien dort ihren Fußauf den Strand gesetzt“, ist SofiaBlanco überzeugt. In Dangriga,wo sie am heutigen Tag zu Gastist, wird dagegen der 19. Novem-ber als „Garifuna SettlementDay“ gefeiert. Schon sind amHorizont die ersten mit Palm-wedeln und den großblättrigenCassavapflanzen geschmücktenBoote am Horizont zu sehen,während am Ufer polyrhyth-mische Trommelschläge er-klingen. Die ganze Stadtscheint am Ufer versammeltzu sein. Rumgläser und Bier-flaschen machen die Runde,das Stimmengewirr übertöntdie Rhythmen der Trommeln.Fotohandys werden gezückt, umden Regenbogen festzuhalten,der sich amHimmel abzeichnet.

Als die Boote den natürlichenHafen von Dangriga, die Fluss-mündung, erreicht haben, hörtman auch vondort die Trommel-wirbel. Sofia Blanco und ihreFreundinnen Desere Diego undChella Torreswiegen ihreHüftenim Takt. Nur Desere Diegostammt aus Dangriga, der heim-lichen Hauptstadt der Garifuna.Chella Torres dagegen ist inHon-duras geboren und später ausge-wandert. Was sie verbindet, sinddie gemeinsame Sprache, dasIgñeri – ein Dialekt, der aus in-digenen, europäischen und afri-kanischen Sprachen geborenwurde –, undnatürlich dieMusikund die Rituale der Garifuna.

Die Kultur der Garifuna istlängst zum Weltkulturerbe er-klärt und in die berühmteUnesco-Liste aufgenommenworden. Doch ihre Sprache, dasIgñeri, droht zwischen Englischund Spanisch, den dominantenSprachen der Region, zerrieben

Soul der schwarzen KaribikVom Schiffbruch verweht: Die Kultur des Garifuna-Volks in Mittelamerika erlebt derzeit ein Revival.Das Garifuna Women’s Project und sein Album „Umalali“ bilden die Speerspitze dieser Bewegung

zu werden. „Viele Kinder lernenihre Muttersprache kaum noch“,beklagt Sofia Blanco. DemUnter-gang ihrer Kultur will sie jedochnicht tatenlos zu sehen. So bil-den die Garifuna-Frauen dieSpeerspitze einer Bewegung, dieihr Erbe bewahrenmöchte.

ZumGarifuna Settlement Dayschlängelt sich ein langer Pro-zessionszug im Rhythmus derTrommeln durch die StraßenvonDangriga zur Kirche. Im Zen-trum der Zeremonie stehen dieInsignien der Garifuna-Kultur:die schwarz-gelb-weiße Flagge,die Cassavapflanze und die bei-den Trommeln, Primeiro undSegundo genannt.

Nicht nur in Belize, auch inHonduras und Guatemala feiertdie Garifuna-Kultur ein Revival.Den ersten Schritt, um den Soulder schwarzen Kariben einerbreiteren Öffentlichkeit bekanntzumachen, unternahmder Gari-funa-Botschafter und MusikerAndy Palacio. Mit dem GarifunaCollective scharte er die bestenMusiker dieser Minderheit umsich und nahm, unter der Ägidedes Musikproduzenten Ivan Du-ran, das Album „Wátina“ auf. DerTitel bedeutet so viel wie „Wirsind hier“ undwar der klingendeAppell, diese Minderheit undihre Kultur endlich wahrzuneh-men: einmusikalischer Weckruf.Dafür gab es einen der wichtigs-ten Weltmusikpreise, den Wo-mex Award, und viel internatio-nale Aufmerksamkeit dazu.

Völlig überraschend erlag imJanuar der Garifuna-MentorAndy Palacio mit nur 47 Jahreneinem Herzinfarkt. So kann erjetzt nicht mehr miterleben, wiesein Traum in die zweite Etappegeht. Denn mit den Frauen umSofia Blanco nahm Ivan Duran

im vergangenen Jahr „Umalali“auf: ein Album, das beste Chan-cen hat, noch mehr Zuhörer fürdie Balladen der Garifuna zu be-geistern.

Jahrelang hatte Ivan Duran,als Sohn spanischer Eltern inMexiko geboren und in Belizeaufgewachsen, die passendenStimmen für sein Projekt ge-sucht undwarmit seinemRekor-der durch ganz Mittelamerikagereist. „Als er die Frauen dannbeisammenhatte, haben wir nureinige Kilometer weiter von hierin einer kleinen Hütte ihren Ge-sang aufgenommen“, erinnertsich der Musiker Rolando Sosa,der seit Jahrenmit Duran imStu-

dio arbeitet.„Um unsere Stimmen ha-

ben die beiden ein Kleid ge-schneidert, das mir sehr gutgefällt“, fügt Desere Diego la-chend hinzu. Für die 32-jähri-geHausfrau, die sonst eher bei

religiösen Feierlichkeiten dieStimme erhebt, wie auch für So-fia Blanco und Chella Torres wares die erste Studioerfahrung ih-res Lebens. Bald folgten die ers-ten Auftritte in Belize, um nun„Umalali“ vorzustellen.

„Hier in Dangriga standen wirnoch im November mit AndyPalacio erstmals auf der Bühne“,erinnert sichDesereDiego andieBegeisterung eines durchwegjungen Publikums, das vieleihrer Songs mitsingen konnte.Ein Zeichen dafür, dass sich derWunsch des Garifuna-Prophetenerfüllen könnte. Denn AndyPalacio warb für die Wieder-entdeckung der Garifuna-Roots,kämpfte für einen bilingualenUnterricht und sah die Musik alswichtigstes Medium kulturellerBewusstwerdung. Auf seinenSpuren wandeln nun Sofia Blan-co und das Umalali-„GarifunaWomen’s Project“.

Umalali: The GarifunaWomen’s Project

(Cumbancha/Exil). Deutschlandtour:

1. 8. München, 2. 8. Karlsruhe,

3. 8. Nürnberg, 5. 8. Frankfurt

Hüter des Garifuna-Erbes am Strand von Belize: Hier wurden ihre Vorfahren vor 200 Jahren an Land gespült FOTO: CUMBANCHA

Von Belize bis Panama hatsich das Volk der Garifunadie Karibikküste entlangauf fünf Staaten verstreut

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FAX: O3O - 25 106 94 E-MAIL: [email protected] weltmusik SONNABEND/SONNTAG, 3./4. MAI 2008 DIE TAGESZEITUNG W 3

INTERVIEW ZONYA DENGI

taz: Juanes, seit zehn Jahren le-ben Sie in den USA, doch Ihrneues Album ist in Ihrer Hei-matstadt Medellín entstanden.Warum?Juanes: Weil es meine Heimat-stadt ist. Ich bin dort geboren,aufgewachsen, habe Familie undFreunde dort. Und es ist einewunderschöne Stadt.

Medellín hat auch den Ruf,eine sehr gefährliche Stadt zusein. Stimmt das nicht?Das ist leider das Image, das diemeisten Leute von Kolumbienhaben. Natürlich hatten wir un-sere Probleme vor allem in denAchtzigerjahren, wegen der Dro-genkartelle. Aber seither hat sicheiniges geändert, auch in Me-dellín. Es gibt zwar immer nochProbleme mit dem Drogenhan-del – die ganze Welt konsumiertKokain, das ist unser Problem.Aber insgesamt sind die Men-schen optimistisch.

Dochder Bürgerkriegmit derFarc-Guerilla hält an …

Auch das hängtmit demDrogen-handel zusammen. Die Paramili-tärs wie die Milizen, sie habenalle einen Sponsor. All das Geld,das sie haben, stammt aus Dro-gengeschäften. Natürlich gibt esauch eine politische DimensiondesKonflikts: Sie fordernTerrito-rium und politische Mitsprache-rechte. Aber sie töten Menschenund finanzieren sich aus demDrogenhandel. Das Ganze istziemlich kompliziert.

Was ist IhreMeinung dazu?Die einzige Lösung, die ich sehe,ist, den Drogenhandel zu legali-sieren. Nur um diesem Krieg dasWasser abzugraben, damit sichdieMafia auflöst.

Wie kann das aussehen?Ich bin nicht für eine totale Frei-gabe. Aberman könntemitMari-huana anfangen, das wäre einguter Start. Marihuana ist nichtschädlicher, als Zigaretten zurauchen oder Whisky zu trinken.Nur gilt Marihuana nicht als sogesellschaftsfähig wie Alkoholund Nikotin. Bei Alkohol hatman immerhin die Chance, überdie Gefahren aufzuklären. Beiillegalen Drogen dagegen hatman keine Kontrolle.

Diese Ansicht ist weder inden USA noch in Kolumbienmehrheitsfähig.Natürlich – weil sie von dem ge-genwärtigen System profitieren.Das macht mich pessimistisch.Denn wenn du mit jungen Leu-ten in Kolumbien sprichst, danndenken alle wie ich. Alle habennach 50 Jahren genug von der Si-tuation. Was hält denn diesenKrieg am Leben? Die Drogen. Da-bei gibt es längst andere Ansätze.In Kalifornien oder in HollandkannmanMarihuana auf Rezeptin Drogerien kaufen. Das strikteVerbot bringt die Leute nur dazu,sich gegenseitig umzubringen.

Es gibt doch gute Argumente,die für ein Verbot sprechen. Ge-rade im Showgeschäft kann

man ja sehen, wohin Drogen-missbrauch führen kann. SindSie trotzdem für die Freigabe?Ich bin der Ansicht, dass Leute,die ein Drogen- oder Suchtpro-blem haben, medizinische Hilfebrauchen und nicht ins Gefäng-nis gehören. Und Drogen sind jaauch nicht allein ein Problem imMusikbiz, sondern ein breites so-ziales Problem. Jemand wie Rob-bieWillliamswürde auch Kokainschnupfen, wenn er Fußballspie-ler oder Journalist wäre. Es isteine Sucht, unddagegenhilft nurAufklärung.

Stars wie Britney Spears oderAmy Winehouse haben jüngstspektakuläre Drogenabstürzehingelegt. Warum ist das inIhrer Branche so verbreitet?Wenn du Drogen nimmst, fehltdir etwas – wahrscheinlich Liebe.Das hat vielleicht auch etwasmitder Erziehung zu tun, mit demfamiliären Hintergrund.

Liegt es nicht auch am Stress,dem man als Musiker ausge-setzt ist? Ständig soll man krea-tiv sein, auf Tournee gehen. Ver-liert man da nicht die Boden-haftung?Mag sein. Aber ich habe meineFamilie, zwei Töchter, meineFrau, und ich liebe die Musik –das reichtmir. Ich bin Gott dank-bar, dass er mir die Chancen ge-geben hat, die ich hatte. Klar, ichtrinke auchmal gerne Wein oderWhisky. Aber Exzesse sind nicht

meine Sache. Natürlich kenneich Leute im Musikgeschäft, diedas tun. Aber das muss jeder fürsich selbst entscheiden.

Sie tragen ein Kreuz um denHals. Sind Sie religiös?Ja. Aber ich glaube auf meineeigene Weise an Gott. Ich gehenicht in die Kirche und brauchesie nicht als Institution. Aber ichrespektiere sie, weil meine Fami-lie katholisch ist.

Sie sind alsMusiker auch vielunterwegs. Wie halten Sie sichgeistig gesund?Ich treibe viel Sport, stehe mor-gens um fünf auf und gehe insFitnessstudio: das ist meine Dro-ge, sonst würde ich verrückt wer-den. Außerdem lese ich viel.

Was lesen Sie zurzeit?Ein Buch vonWilliamUry, das istein Anthropologe und Konflikt-forscher. Er schreibt über die Be-deutung einer dritten Person fürdie Mediation von Konflikten.Das lese ich imAugenblick.

Einer Ihrer Songs handeltvom Problem der Landminen.Haben Sie sich schon immer fürsolche Themen interessiert?Oder kommt das erst durch diesozialen Verpflichtungen, dieIhr Ruhmmit sich bringt?Eigentlich war ich schon immersozial engagiert. Aber jetzt binich stärker mit solchen Themenbefasst und kenne auch die Sta-tistiken. Sehen Sie, in Kolumbienwerden täglich drei Menschen

Opfer von Minen – die meistenvon ihnen sind Kinder. Mirscheint es, als ob sich niemanddarum schert. Wenn ich einenSong darüber mache, ändert daswahrscheinlich auch nichts.Aber es ist wenigstens eine Mög-lichkeit, auf das Problem auf-merksam zumachen.

Als Star Ihrer Größenord-nung wird man bestimmt häu-fig gebeten, sich für wohltätigeZwecke zu engagieren, oder?Ja, ständig. In Lateinamerika gibtes derzeit ein ganz tolles Projekt,das sich Alas nennt: dort enga-gieren sich viele Künstler, Intel-lektuelle und reiche Sponsoren.Nach dem Erdbeben in Peru ha-ben wir Geld gesammelt. Undauch nach dem Hochwasser inMexiko wurde ich gefragt, ob ichdort auftreten könnte. Sooft esgeht, versuche ich, meine Musikund meinen Einfluss positivnutzbar zumachen.

Welches ist Ihrer Meinungnach das größte Problem in La-teinamerika?Die soziale Ungleichheit. VieleMenschenbesitzennichts, einigewenige haben alles. Das ziehtviele Probleme mit der Bildungoder der Ernährung nach sich.

In den letzten Jahren erlebtLateinamerika einen politi-schen Linksrutsch. Steht diesoziale Frage dadurch nicht imMittelpunkt der Agenda?Ich glaube, es wird lange dauern,bis man Ergebnisse sieht. Aberdie Richtung stimmt. Ob Brasi-lien oder Argentinien, die Leutesind froh, dass sich etwas ändert,auchwennderWandel eineWeilebrauchen wird. In Venezuela istdie Lage speziell: Das Land istsehr polarisiert. Und auch in Ko-lumbien ist es etwas anders.Durch den Konflikt dort unter-scheidet sich die Situation sehrvomübrigen Lateinamerika.

Das Drogenproblem in Ko-lumbien haben Sie noch niein einem Song angesprochen.Warumnicht?Es ist nicht leicht, darüber einenSong zu schreiben. Vielleicht fin-de ich eines Tages einenWeg.

InDeutschlandverstehendiemeisten ja nicht, worum es inIhren Songs geht. Ist das frus-trierend?Ja, ziemlich – zumindest habeich es amAnfang so empfunden.Aber mittlerweile denke ich, eshat auch sein Gutes: Die Leutesingendie Songs phonetischmit,tanzen dazu und lassen sich aufdieMusik ein – das ist großartig.

Stört es Sie, dass Musik ausLateinamerika in Europa auf soviele Klischees trifft?Klar: Viele Leute glauben, dieseMusik wäre ein einheitlichesGenre. Dumusst tanzen, lächeln,es geht um Sommerhitze – aberso einfach ist das nicht. Ich glau-be aber, solche Klischees sindnormal. Viele denken ja auch,dass Deutsche nur Bier trinken,und alle Spanier Toreros sind.

Tour: 4. 6. Berlin, 5. 6. Köln,

22. 7. Stuttgart, 23. 7. München

„Kokain heizt denKrieg an“Seit seinem Hit „La Camisa Negra“ ist Kolumbiens Rockstar Juanes auch in Deutschland ein Begriff.Ein Gespräch über Ruhm, den Linksrutsch in Lateinamerika und Argumente für die Drogenfreigabe

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Gib mir die Hand, Gringo! Juanes in Kumpelpose FOTO: UNIVERSAL

In Lateinamerika ist Juanes, 35, schon lange ein Idol. Weil er sich gegen Land-

minen und für Aidsprojekte einsetzt, gilt er als nachdenklicher Künstlertyp. Mit

dem Album „La Vida Es Un Ratico“ kommt er im Sommer nach Deutschland.

20 JAHRE AFRICA FESTIVAL WÜRZBURG

Weil sie keinen Veranstalter finden konnten, der ihre afrikanische Lieb-lingsband für ein Konzert nachWürzburg laden wollte, gründete StefanOschmann mit einem Freund flugs ein eigenes Festival. Zwanzig Jahrespäter ist das „Africa Festival“ in Würzburg nicht nur das dienstältesteseiner Art, sondern auch das größte in Europa. Zum Jubiläum befragteman die Fans nach ihren Favoriten. Auf diese Weise ist ein Programmzusammengekommen, das sichwie ein „Who isWho“ der afrikanischenMusikszene liest. So werden sich auf der Mainwiese in Würzburg ver-diente Helden wie der Mbalax-Superstar Youssou N’Dour aus dem Se-negal, Disco-Queen Angelique Kidjo aus Benin, der Jazz-TrompeterHughMasekela aus Südafrika und der Soul-Makossa-ManManu Diban-go auf der Bühne drängeln. Gespannt sein darf man auch auf Newco-mer wie die Touareg-Band Toumast, den Songwriter Neco Novellas ausMosambik, Mpho und Zvimba mit ihrem Topwnship-Jive aus Kapstadtsowie die franko-nigerianische Songwriterin Asa (Foto).Darüber hinauswird es vom 22. bis 25. Mai eine Filmreihe, ein Kinderprogramm, einenBasar, Podiumsdebatten sowie DJ-Partys geben.

BUNTE WELTKUNDE: 15 JAHRE PUTUMAYO

Wenn es stimmt, dass viele potenzielle Kunden nicht mehr den Weg indie CD-Läden finden, weil ihnen das Angebot dort zu unübersichtlich ge-worden ist, dann müssen die CDs eben zu den Kunden kommen: das istdas Geschäftsprinzip der Firma Putumayo, die ihre Weltmusik-Compila-tions mit ihren kitschig-bunten Covern im Stil naiver Malerei vorzugs-weise in Buchläden, Bio-Kaufhäusern und Dritte-Welt-Shops unter dieLeute bringt – dort kann man die Musik meist auch gleich hören.Der Name Putumayo steht aber nicht nur für ein cleveres Geschäftsmo-dell, sondern vor allem für ein enorm gutes Händchen bei der Auswahlder Titel ihrer Compilations, die von „Music from the Coffeelands“ über„Euro Lounge“ bis „Arabic Groove“ für jedenGeschmack etwas zu bietenhaben. Zum Jubiläum ist der Sampler „African Party“ erschienen, dane-ben gibt es noch die „Playground“-Reihe für Kinder. Weniger bekanntist, dass Putumayo auch Solo-Künstler unter Vertrag hat, deren Karrie-ren es angestoßen hat: Der Songwriter Habib Koité ausMali (Foto), des-sen sanfte Balladen sich bestens ins Firmenprofil fügen, ist so ein Fall. BX

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FOTO:HERZOGREC.

WEST-ÖSTL ICHE VIOLINENSUITEN: CLAUDE CHALHOUB

Seine Geige hat Claude Chalhoubdurch dunkle Jahre gerettet. ImBürgerkrieg der Achtzigerjahrewuchs er im christlichen Teil Bei-ruts auf. Der Vater betrieb einenFriseursalon, war aber vonMusikbeseelt: jedes seiner elf Kinderbekamein Instrument, für Claudewar die Violine vorgesehen. „Siewurde für mich zu einem Refugi-um, während um unser Haus dieBomben niedergingen.“Wie viele junge Leute seiner Ge-neration war Claude ChalhoubaufAutodidaktik angewiesen. EinStipendium am Londoner RoyalCollege ofMusic katapultierte ihnin eine andere Welt, und 1999

engagierte ihn Daniel Barenboimals Primusgeiger für sein „West-Eastern Divan Orchestra“. Heutelebt Chalhoub wieder in Beirut.

Auf seinem Soloalbum „Diwan“(Herzog Records) hält sich Chal-houb fast ausschließlich in derSphäreder klassischenMusik auf,Zwiesprache hält er mit den Strei-chern des Gewandhausorches-ters Leipzig. Gruppiert sind diemeisten seiner Kompositionen inSuiten, die mal an Bartók undDvořák erinnern, dann wieder inbarockem Vokabular schwelgen.Auch orientalische Stimmungensind erkennbar, aber nur subtil.„Ich versuche nicht, meine Musikzu multikulturalisieren“, erklärter. „Ich habe nun mal diesen kul-turellen Hintergrund, das kommtvöllig natürlich.“ SF

VON DANIEL BAX

„Wir wollen normale Musikersein“, sagt Samir Joubran. „Aberdas können wir erst, wenn die is-raelische Besatzung endet“,glaubt er. Mit dem Trio Joubrangönnt er sich eine kleine Flucht,indem er dessen Instrumental-musik nicht mit politischem An-spruch überfrachtet. „Ich willfrei sein in meiner Musik“, er-klärt er dazu. „UndMusik sagt oftmehr als vieleWorte.“

Das Trio Joubran ist eine Aus-nahmeerscheinung. Nicht nur,weil es aus drei Brüdern besteht.Sondern auch, weil es sich ausdrei Virtuosen an der Oud zu-sammensetzt – bislang war diearabische Laute vor allem als So-loinstrument berühmt.

Kopf des Trios ist Samir, 35,der älteste der drei Brüder undSohn eines Instrumentenbauersaus Nazareth. Obwohl in Israelgeboren, kann er sich mit demStaat nicht identifizieren. „In sei-ner Flagge und seiner National-hymne komme ich nicht vor“,stellt er fest. Deshalb bezeichneter sich auch nicht als „israeli-scher Araber“, wie er offiziellheißt, sondern als Palästinenser.

Mit den Paradoxien hat er zuleben gelernt: In den Neunziger-jahren hat er am Konservatori-um in Kairo studiert, „als ersterund letzter Palästinenser“, dennmit seinem israelischen Pass warer dort nicht gern gesehen: allesechs Wochen musste er ausrei-sen, umseinVisumzuerneuern.

Sein Bruder Wissam ist zehnJahre jünger und ging zum Gei-genbau-Studium ans renom-mierte Stradivari-Konservatori-

Brüder im GeisteSamir, Wissam und Adnan sind Söhne eines Lautenbauers aus Nazareth.Als Trio Joubran revolutionieren die drei Palästinenser das Spiel der Oud

um nach Cremona, bevor es sichseinemBruder anschloss. Zuletztkam noch Adnan dazu, mit 22Jahren das Nesthäkchen der Fa-milie. Wie sich die drei Brüder zueinem Trio zusammenrauften,hat der Filmemacher Raed Ando-ni in seiner Dokumentation „Im-provisation“ für den TV-SenderArte festgehalten.

In Frankreich haben die dreiBrüder inzwischen ihr Domizilaufgeschlagen, von hier aus ko-ordinieren sie ihre Aktivitäten.Bislang haben sie in Frankreichmehr Konzerte gegeben als sonstwo, ihr Album „Majaz“ ist dortein Bestseller. Doch wichtiger istihnen, dass sie auch in der Hei-mat ein Echo finden.

Das Erscheinen von „Majaz“feierten sie daher mit einem

Freikonzert in Ramallah, imhalbautonomen Westjordan-land. Als Sponsor gewannen sieeinen lokalen Telefonanbieter,der auch für die aufwendigeWer-bekampagne per Plakat undSMS-Rundmail aufkam – SamirJoubran war es wichtig, nicht aufdie Unterstützung einer auslän-dischen Organisation angewie-sen zu sein, die sonst das Kultur-leben sponsern. Ihr Auftritt dortgeriet zum Triumph, er wurdevon al-Dschasira sogar live in dieganzearabischeWeltübertragen.

Sechs Jahre hat Samir Joubranselbst in Ramallah gelebt, von1999 bis 2005, seine Ehefraustammt von dort. In der West-

bank erlebte er denAusbruchderIntifada, die Ausgangssperrenund die massive Gewalt der isra-elischen Armee. Zur Gewaltspi-rale im Nahostkonflikt mag ernur so viel sagen: „In Europa gibtes schon drei Generationen, diekeinen Krieg mehr erlebt haben.Wir dagegen hatten nie eine län-gere Zeit des Friedens. Die Ge-walt ist schon in unsere Geneübergegangen“, glaubt er undmeint damit Araber, Israelis undAmerikaner gleichermaßen. „Eswird Generationen brauchen,um den Kreislauf der Gewalt zudurchbrechen“, fürchtet er.

Dass sich ein junges Publikumfür ihre Musik begeistert, ist fürSamir Joubran der größte Erfolg.„Als ich 15 Jahre alt war, schämteichmich,meiner Freundin zu sa-gen, dass ich Oud spiele“, erin-nert er sich. „Die Mädchen inmeiner Schule haben mich aus-gelacht, weil sie mich für altmo-disch hielten.“ Doch sein Ansatzist nicht, arabische Traditionenwie im Museum auszustellen,sondern sie zu revolutionieren.

Samir Joubran macht keinenHehl daraus, dass ihn Al Di Meo-la, John McLaughlin und Paco deLucia mit ihrem Gitarren-Liveal-bum „Friday Night in San Fran-cisco“ zum flirrenden Sound desTrio Joubran inspiriert haben.Neben arabischen Oud-Stars wieMunir Baschir führt er aber auchindischeMusik als Vorbild an.

„Was heute geschrieben wird,ist die Tradition von morgen“, ister überzeugt. Schon jetzt bietetdas Trio Joubran eine Vision fürall jene, die der Parolen in die-semKonfliktmüde sind.

Trio Joubran: „Majaz“ (Randana)

Das weiße Band der Poesie: Adnan, Wissam und Samir (vorne) beim Fototermin am Strand FOTO: SONY/BMG

Ihr Ramallah-Konzertwurde von al-Dscha-sira in alle arabischenHaushalte übertragen

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VON THOMAS WINKLER

Ein beliebtes Bonmot, das Israel-Besuchern entgegengebrachtwird, lautet: Wer nach Israel rei-se, der könne viele Eindrückesammeln und viel Neues ent-decken. Am Ende aber fahre ernach Hause mit mehr Fragen alszuvor. Denn Israel ist ein kompli-ziertes, trotz seiner überschau-baren Größe bisweilen unüber-schaubares Land.

DieseVerwirrung spiegelt sichauch in der Musik von BoomPam. Das Quartett aus Tel Avivführt musikalisch zusammen,was im richtigen Leben nicht im-mer zusammenpasst. Den Surf-Twang aus Kalifornien bringensie im Gleichklang mit der tradi-tionellen Hochzeitsmusik desBalkans, den Jazz versöhnen siemit der Folklore, den Rockabillymit arabischen Harmonien undeiner bayerischen Tuba. SelbstdieMelancholie des Klezmer fin-det man auf ihrem neuen, zwei-ten Album mit dem Nonsens-Ti-tel „Puerto Rican Nights“ (EssayRecords), das dieser Tage auch inDeutschland erscheint. Bislanghatten Boom Pam diese Musik,die wie keine andere im Auslandfür das jüdische Erbe steht, de-monstrativ ignoriert, weil sieden touristischen Blick auf ihrLand nicht bedienenwollten.

Boom Pam gehören zu denStars bei „ILanD“ – einer „Begeg-nung moderner Musik aus IsraelundDeutschland“, wie es die Ver-anstalter formulieren. Denn vonden Konflikten in Israel kann

man jeden Tag in den Zeitungenlesen. Doch seine Musikszene istim Ausland fast unbekannt. Umsie hierzulande vorzustellen, hatman drei deutsche und israeli-sche Bands gepaart, die stilis-tisch zueinander passen. So ad-aptieren auch die 17 Hippies, dieauf Boom Pam treffen werden,Folklore aus West und Ost undkreuzen sie mit der angloameri-kanischen Pophistorie, um dar-aus etwas Neues zu schaffen.„Postpostpostpostpostmodern“,beschreibt Boom-Pam-GitarristUri Brauner Kinrot den Ansatzseiner Band. Er könnte auch vonden 17 Hippies stammen.

WennBoomPamdenkulturel-len Schmelztiegel Israel in Tönefassen, dann zeigen die anderenbeiden israelischen Teilnehmeran „ILanD“, dass aus dieser Ver-wirrung längst ein modernes,westlich orientiertes Land ge-wachsen ist. Da ist zumeinen dasTrio HaBanot Nechama, beste-hend aus den Sängerinnen Karo-lina, Dana Adini und Yael Deckel-baum. Die drei waren schon zu-vor als Solo-Künstlerinnen be-kannt und sind noch in anderenBands beschäftigt (in der israeli-schen Musikszene hat fast jedergleich mehrere Engagements).Das Frauen-Trio erinnert ein we-nig an die Indigo Girls, docktmitseinen berückenden, virtuos in-einander verwobenen Vokal-Harmonien (in Englisch und He-bräisch) über akustischen Gitar-ren aber auch schwerelos an dasgrassierende Folk-Revival an. InIsrael haben sie damit einenNerv getroffen: Ihr Debütalbum

wurde imvergangenen Jahrnachnur drei Wochen vergoldet undräumte anschließend alle ver-fügbarenMusikpreise ab.

Der Rapper Mook E wiederumgilt als Pionier des israelischenHiphop. In diesem Genre spie-gelt sich wie in keinem anderender Konflikt zwischen Juden undPalästinensern. Denn auch dieJugendlichen aus den von Ar-beitslosigkeit geplagten arabi-schen Vierteln und Städten er-zählen imRap von ihrer Perspek-tivlosigkeit unddemLeben als Is-raeli zweiter Klasse. Andererseitsfeiert ein israelischer Hiphop-Star wie Sublimal mit patrioti-schen Texten und protzigem Da-vidstern um dem Hals großekommerzielle Erfolge.

Den Boden für den Hiphop-Boom bereitete Mook E einst mitseiner Formation Shabak Sa-mech: Als Schüler aus dem klei-nen Städtchen Yavneh waren siein den frühen Neunzigerjahrendie Ersten, die auf Hebräisch zurappen versuchten. Damals ko-pierten Shabak Samech noch dieamerikanischen Vorbilder. Dochmittlerweile hatMook E einen ei-genen Stil entwickelt, der vor al-lem auf organische, akustischeKlänge setzt, auch mal aus denmusikalischenEinflüssenderRe-gion schöpft, bisweilen sehr ro-ckig und dann fast schon lieder-macherhaft anmutet.

Auf „Shabbat Night Fever“, ei-ner neuenCompilationmit aktu-eller Popmusik aus Israel, gehörtder Beitrag von Mook E zu denwenigen, die das multikulturelleErbe des Landes ausdrücklich be-

rücksichtigen: In „ShabakMusic“baut er aus Oriental-Samples einflotten Dance-Track. Der Reggaevon Funset, der Rap von Cooloo-loosh, der Dancehall der SoulicoCrew oder die Breakbeats vonThe Apples dagegen orientiertensich an internationalen Vorbil-dern und klingen, als hätten sieauch sonst wo auf der Welt ent-stehen können. So sind es nebenBoomPamnurder Produzent Ba-baganooshkain (mit „CoombahYeah“) oder die Band HadagNachash, die arabische Harmo-nien nutzt, die auf „ShabbatNight Fever“ eine Brücke schla-gen zwischen Folklore und Pop,zwischen Ost undWest.

Natürlichkannmanwiebei je-der Compilation über die Aus-wahl streiten. Auf „ShabbatNight Fever“ vermisst man be-kannte Namen wie den Songwri-ter David Broza oder den Ethno-Reggae-Star Idan Raichel. DieBalkan-Polka-Kapelle TeaPacks,die Israel beim letzten Eurovi-sion Song Contest vertreten hat,fehlt ebenso wie der Rapper Sub-limal. Aber „Shabbat Night Fe-ver“ erhebt nicht den Anspruch,ein repräsentatives Abbild derMusikszene zu liefern. Sie will le-diglich einladen zu einer musi-kalischen Reise durch das mo-derne Israel, das kompliziertesteLand derWelt.

„ILanD“-Festival vom 29. Mai bis 1. Ju-

ni. Einzelne Bands machen in Cottbus,

Brandenburg, Köln und Leipzig Station,

in Berlin ist das Finale. Die Compilation

„Shabbat Night Fever“ (Fly Fast)

kommt am 31. 5. Infos: www.iland.de

Der gelobte SoundZum 60. Geburtstag Israels stellt das bundesweite Festival „ILanD“ die Musikszene des Landes vor.Kultbands wie Boom Pam oder das Girl-Trio HaBanot Nechama treffen dabei auf deutsche Partner

Verloren in Tel Aviv? Dafür haben die vier Jungs von Boom Pam den Weg nach Deutschland gefunden FOTO: ESSAY REC.

MUSIKALISCHE PASSAGEN ÜBERS MITTELMEER

Erinnerungen an AndalusienIn derKüche ihrerMutter gelernthaben will Yasmin Levy die se-phardischen Balladen, die sieheute für ein neues Publikumaufbereitet. Dieses Liedgut gehtauf jene Juden zurück, die nachder Rückeroberung Spaniensdurch die katholi-schen Könige 1492mit den Mauren vondort vertrieben wur-den und sich, vonMa-rokko über Salonikibis Istanbul, an dendamals muslimischbeherrschten KüstendesMittelmeers ansiedelten.

Nur eine verschwindendeMinderheit – in Israel und derTürkei – spricht heute noch dasaltertümliche Ladino. Doch inWiegenliedern und liturgischenGesängen hat sich das Erbe ausandalusischen Zeiten bewahrt.

Mit ihremamFlamenco geschul-ten Gesang und einer bewussttürkisch-orientalisch gewähltenInstrumentierung haucht Yas-min Levy diesen uralten Liedernwieder neues Leben ein. Mit ih-rer Leidenschaft setzt sich die

Sängerin aus Jerusa-lem an die Spitze ei-nes Revivals sephar-discher Klänge, dasvon Musikern in Spa-nien, Griechenlandund der Türkei vor-angetrieben wird. IhrVater, der 1976 ver-

starb, hatte sein Leben derSammlung und Archivierungder sephardischen Überlieferun-gen gewidmet. Er wäre erstaunt,könnte er sehen, welche BlütendieseMusik heute wieder treibt.

Yasmin Levy: „Mano Suave“ (H. Mundi)

Kennen gelernt haben sich ihreEltern in Israel, aufgewachsen istKarine Hallakoun alias „Sista K“aber in Marseille. So kommt es,dass sie mit ihrem Watcha Clan,dem sie als Frontfrau vorsteht,nicht nur aus sephardischen undalgerischen Einflüssen schöpft,die sie einst von ihremVatermit-bekommen hat, son-dern auch aus vielenanderen Facetten ih-rer so mediterranenwie multikulturellenHafenstadt.

Geprägt ist derSound des WatchaClans von den elek-tronischen Rhythmen des globa-len Club-Undergrounds, vonJungle, Drum ’n’ Bass und ande-ren Breakbeats, ergänzt um dieFarben des Maghreb und spezifi-sche Kräuter der Provence.

Kräuter der ProvenceAuf „Diaspora Hi-Fi“ herrscht

ein babylonisches Sprachgewirraus Arabisch, Hebräisch undEnglisch, wobei der Eindruck ei-nes orientalischen Basars über-wiegt. Dabei wirft „SupremeClem“, der Programmierer desWatcha Clans, beileibe nicht nurBerbergesänge aus dem Atlas-

Gebirge, sondernauch Samples vonosteuropäischenBlaskapellen oderKlezmer-Bands inseinenMixer.

Damit knüpft derWatcha Clan an Lon-doner Bands wie die

Asian Dub Foundation oder dieElektro-Klezmer-Pioniere vonOiVaVoi an, erfindet aber seineganz eigene Klangspur.

Watcha Clan: „Diaspora Hi-Fi“ (Piranha)

Balkan in BrooklynAnders, als der Name vermutenlässt, stammt die Band BalkanBeat Box nicht aus Osteuropa,sondern aus New York. Hinterdiesem Namen verbergen sichder gelernte Klezmer-Klarinet-tist Ori Kaplan und der Punk-Schlagzeuger Tamir Muskat. Bei-de sind in Israel auf-gewachsen, kennen-gelernt haben sie sichaber erst in Brooklyn.

„Nu Med“, ein Kür-zel für „New Mediter-ranean“, haben Bal-kan Beat Box ihrenBastard aus Klezmerund Balkan-Fanfarenmit Hiphop und Dub-Reggae ge-tauft – waswohl heißen soll, dassbei ihnen irgendwie alles zusam-menfließt. Ihr Album „NuMade“enthält nun vor allem Remixebewährter Titel, gehört aber absofort auf jede Party vonWelt.

In den USA sind Balkan BeatBox das Zugpferd des kleinenPlattenlabels „JDub“, das nebenMagazinen wie Heeb und JVibefür ein neues jüdisches Selbst-verständnis steht. Zuvor hattensie in der Balkan-Kapelle des uk-rainischen Szene-Stars und Ma-

donna-Freunds Euge-ne Hütz gespielt. Des-sen „Zigeuner-Punk-Cabaret“ war ihnendann wohl zu rockig,ihr eigenes Projektkommt jedenfalls we-sentlich elektroni-scher daher. Wasnicht heißt, das man

sich nun aus dem Weg geht: Un-ter dem Namen „Jewish-Ukraini-sche-Freundschaft“ arbeiten Eu-gene Hütz und Tamir Muskatnoch immer zusammen. BX

Balkan Beat Box: „Nu Made“ (Crammed)

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VON THOMAS WINKLER

Roman Iagupov sieht aus, wieRockmusiker halt so aussehennach einem Auftritt. Wirr hängtihm das nasse halblange Haarins Gesicht, die Augen sind ge-rötet, der Blick ist leer. Im Hin-tergrund dampft pappiger Kan-tinenfraß vor geleerten Bierfla-schen. Roman Iagupov trägt eineHose, die über den Oberschen-keln unnatürlich weit ist undweiter unten eng zuläuft. Daseinzige Indiz dafür, dass Zdob SiZdubmehr sind als nur eine wei-tere Rockband.

„Unser Rock …“, stockt derSänger und sucht in seinem eherrudimentären Englisch nachdem rechten Wort, „… ist eherungewöhnlich.“ Das ist noch un-tertrieben. Denn das Sextett ausMoldawien klingt stellenweise,als wären die Beastie Boys auf ei-ner Zigeunerhochzeit zu Gast:Hiphop-Einlagen wechseln beiihnen mit Hirtenflöten, Metal-Gitarren mit Volkstanzrhyth-men und Gipsy-Posaunen, tradi-tionelle Trinkliedermit Country-Pickung. Zwischendrin ein Ge-träller, das an bulgarische Frau-enchöre erinnert, oder wehmüti-ger Balkangesang. Diese Mixturwird allmählich auch im Westenimmer populärer.

Zdob-Si-Zdub-Sprachrohr Ia-gupov weiß nicht so recht, wie erdie Musik seiner Band nennensoll. 14 Jahre gibt es sie schon, ge-radewurdemit demAlbum„Eth-nomecanica“ ein repräsentativerQuerschnitt für denwesteuropä-ischen Markt zusammengestellt.„Ethno-Punk oder Balkan-Wave“,schlägt er vor. Doch dass Zdob SiZdub bereits auf der allerersten„Russendisko“-Compilation desBerliner VorzeigeosteuropäersWladimir Kaminer mit einemSong vertreten waren, hat frühzu ihrem Ruhmbeigetragen.

Noch bekannter wurde dieBand im Jahr 2005 durch einen„verfickten Gesangswettbewerb“,wie Iagupov sich ausdrückt:Beim Eurovision Song Contest inKiew trat sie mit „Boonika BataDoba“ (je nach Laune des Über-setzers: „Oma schlägt die Trom-mel“ oder „Schlagt die Oma!“)samt einer Rentnerin mit Rah-mentrommel auf die Bühne. AmEnde erreichten Zdob Si Zdub da-mit einen respektablen sechstenPlatz.

Zu diesem Zeitpunkt warenZdob Si Zdub zu Hause längstStars. Ein Status, der auch bei ih-rem Auftritt in Berlin offenbarwird. Das Publikum in der Kul-turbrauerei setzt sich großen-teils aus Mitgliedern osteuropäi-scher Exilgemeinden zusam-

men. Mancher Text in Moldau-isch, einem rumänischen Dia-lekt, wird Wort für Wort mitge-sungen. Und in der ersten Reihewird eine Besucherin nicht mü-de, die Natioonalfahne der Repu-blik in die Luft zu recken.

Red Hot Balkan PeppersBeim Eurovision Contest in Kiew schlug eine Oma für sie auf die Pauke. Doch das war nur der Anfang.Nun wollen Zdob Si Zdub aus Moldawien mit ihrem Album „Ethnomecanica“ den Westen erobern

Ganz so viele kommen nochnicht, wenn Zdob Si Zdub imWesten unterwegs sind. Gerngebucht werden sie aber aufgroßen Festivals, die sich daraufverlassen können, dass die Bandauch ein bis dahin indifferentesPublikum mit großer Wahr-scheinlichkeit in Feierlaune ver-setzt. Die explosive Mischungaus osteuropäischer Folkloreund Versatzstücken aus anglo-amerikanischem Funkrock hatschließlich längst ein Main-streampublikum erreicht. WennIagupov meint, die Musik, die erund seine Mannen spielen, seiein „Experiment, ja sogar Avant-garde“, dann kommt er mit die-ser Einschätzung jedenfalls ei-nige Jahre zu spät.

Als die Band gegründet wur-de, war das natürlich noch an-ders. Den Anstoß, so erzählt dieLegende, gab Anfang der Neun-zigerjahre die Installation der al-lerersten Satellitenschüssel inStrășeni, einem Vorort der mol-dawischen Hauptstadt Chișinău.Mit der neuen Technik kam auchMTV in die Rock-Diaspora, unddrei Schüler entdeckten Bands

wie die Red Hot Chili Peppers,Faith No More und Pearl Jam.Damit war die Saat gelegt, 1994wurde Zdob Si Zdub gegründet.

Anfänglich war der Rockein-fluss dominant – so lange, bis dieBand in Moskau im Vorpro-gramm von Hardcore-Bands wieSoulfly und der Rollins Band auf-treten durfte. Nur zum Spaßstimmten sie auf ihren Gitarreneine Hardcore-Version einesmoldawischen Volkslieds an –und erregten Begeisterung. Da,so Iagupov, wuchs die Erkennt-nis, „dass wir uns unterscheidenund einen eigenen Stil entwi-ckeln mussten, um zu bestehen“.Von Nutzen waren da die vonVolksmusik geprägte eigeneKindheit und die VergangenheitMoldawiens, aus der sie seitdemmit vollen Händen schöpfen.

Die Pluderhose, da darf mansicher sein, wird noch eine Weiledas Markenzeichen von Zdob SiZdub bleiben.

Zdob Si Zdub: „Ethnomecanica“,

(Lawine/Sony BMG). Festivals: 13. 6.

Regensburg, 7. und 8. 7. Ulm, 11. 7.

Karlsruhe, 26. 7. München, 8. 8. Jena

Der Zwergstaat Moldawienliegt eingeklemmt zwischen derUkraine und Rumänien. In die-sen Nachbarländern tourenZdob Si Zdub regelmäßig: MitAuftritten allein in ihrer kaumfünf Millionen Einwohner zäh-lenden Heimat könnten siekaum überleben. So haben siesich auch in Russland mittler-weile eine Fangemeinde erspieltund treten auch in Moskau vorvollen Häusern auf.

Psychedelisch: Bei Zdob Si Zdub verschmelzen traditionelle Muster mit modernen Motiven FOTO: LAWINE

IM ORIENT-EXPRESS NACH KIEW UND ISTANBUL

Rock der KarpatenKobzar, so hießen jene Trouba-doure, die im Mittelalter durchdie Karpaten zogen. Mit ihrerBandura, der ukrainischen Zi-ther, trugen sie Hohelieder aufruhmreiche Kosakenzeiten vor.Nach ihnen haben Haydamakyihr Album benannt:ein Zeichen, dass siesich diesen histori-schen Figuren ver-bunden fühlen.

Nicht nur die Ban-dura haben Hayda-maky in ihren Soundeingebaut, auchMan-doline, Trompete, Akkordeonund Flöte tauchen darin auf. AusSka, Reggae und Rock und derFolklore ihrer Region schaffensie ihre eigene Fusion.

Populär wurden HaydamakiimZuge der „Orange Revolution“,weil sie ein neues Selbstbewusst-

sein zu artikulieren schienen.Ein Faible für Outlaw-Romantikist unverkennbar: Sie haben sichnachRebellenbenannt, die im 18.Jahrhundert gegen polnischeVorherrschaft kämpften.

Ihr Pathos erinnert ein wenigan Bands wie Systemof a Down, auch run-den sie ihre slawi-sche Ästhetik gernemit ein wenig Go-thic-Grusel ab. Doches wäre falsch, siedeshalb als Ramm-stein der Karpaten

abzutun: Dafür sind sie zu viel-seitig. Im Vergleich zum Vorgän-ger „Ukraine Calling“ haben sieauf „Kobzar“ einen Schritt nachvorne gemacht und auch für ru-higere Töne Platz gelassen.

Haydamaky: „Kobzar“ (Eastblok)

Vor 800 Jahren wurde der Mysti-ker Jalaluddin Rumi, genanntMevlana, geboren. Er begründetedenOrden der tanzenden Derwi-sche, die sich um ihre eigeneAchse in Trance drehen, und giltals einer der wichtigsten Poetenund Philosophen jener islami-schen Spielart, diemanSufismusnennt. Sein Grab liegtin Konya, im Südender Türkei, und istdort bis heute einePilgerstätte.

Grund genug fürden Elektronik-Musi-ker Arkin Ilicali aliasMercan Dede, ihmzum Jubiläum eineHommage zuwidmen. Das kommt nicht vonungefähr, schließlich hat er sichbislang schon ausgiebig auf dasspirituellen Erbe des Sufi-Meis-ters bezogen, seine Techno-Am-

Ambient-Trip mit Mevlanabient-Klänge mit Motiven ausder musikalischen Mevlana-Tra-dition kombiniert und sogarDerwisch-Tänzer zu sich auf dieBühnen gesellt.

Für „800“ hat Mercan DedeVirtuosen an der Kanun-Zither,der Kniegeige Kemence und derindischen Tabla um sich ge-

schart, außerdemden türkischen Rap-Star Ceza,während erselbst seine Beats nursubtil tuckern lässt.

Es soll sein letztesAlbum sein: Nach 15Jahren als Musikerwill sich Mercan

Dede künftig lieber der Malerei,dem Gartenbau oder der Koch-kunst widmen. „800“ wäre je-denfalls ein würdiger Abschied.

Mercan Dede: „800“ (Double Moon)

Nachtflug über den BalkanWer auch immer Lola sein mag:die Sampler aus dem Hause „Lo-la’s World“ sind eine Marke. Dasgilt für die Compilation-Reihenwie „LatinGarden“, „Harem’s Sec-ret“ oder „Made in Persia“, dievon der Bremer DJane GülbaharKültür zusammengestellt wer-den und oft schon indie dritte Folgen ge-hen. Und das gilt fürTitel wie „Afro ClubNight“ oder jetzt die„Balkan Club Night“-Doppel-CD, für diesich ihrKollegeRalph„von“ Richthofen ver-antwortlichzeichnet.

Seit über 25 Jahren legt Richt-hofen in Clubs und Diskothekenauf, außerdem ist er als Modera-tor beim WDR-Radio FunkhausEuropa zuhören. Seinen Spitzna-men haben ihm US-amerikani-sche Musiker verpasst, mit de-

nen er in den Siebzigerjahren alsProduzent imStudio zusammen-arbeitete, weil Richthofen da-mals ein rotes Fahrrad fuhr undzur Pilotenjacke eineNickelbrilletrug. Flugs griff er auf das „von“als Künstlernamen zurück, als ersich als DJ zu betätigen begann.

Glaubtman seinenCompilations, hat der„roteBaron“ eineVor-liebe für bollerndeBeats. Auf „The Bal-kan Club Night“ lädter zu einem ausgiebi-gen Nachtflug überOsteuropa ein. DerSampler fährt alle

Größen der Balkanszene auf, vonFanfare Ciocarlia bis Shanteloder dem Slowenen Magnifico,und stellt nur eine Bedingung:Hauptsache, es knallt. BX

„Balkan Club Night“ (Lola’s World)

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ders vorgestellt. Denn als SaDingDing jüngst das erste Malnach London flog, umdort gleichden World Music Award der BBCentgegenzunehmen,waren gera-de die Proteste in Lhasa eskaliert.Die Presse stürzte sich mit Inter-viewanfragen auf sie, und plötz-lich saß die Chinesin wie auf ei-nem Nadelkissen. In ihren Inter-views gab sie sich trotzdemselbstbewusst und versuchteenglisch zu reden – unddas heik-le Thema Tibet zu umschiffen.

Genug zu erzählen gibt es beiihr allemal. Das fängt schon beiihremNamen an: „Sa ist ein altermongolischer Klan-Name“, klärtsie über ihren familiärenHinter-grund auf. „Ich bin bei meinerGroßmutter in der InnerenMon-golei aufgewachsen. Es gab keinZeitgefühl. Dafür wurde überallgesungen, die Lieder und der

Klang der Pferdekopfgeige tön-ten weit über die Grassteppe.Seitdem bedeutet Musik fürmich vor allem eines: Freiheit.“

Diese Freiheit nahm sie sichauch während ihrer gesangli-chen Ausbildung. Im Jugendchorfiel sie auf, weil ihre Stimme soseltsam klang, dass sie nicht zuden anderen Mädchen passte.Später belegte sie Kurse in Mu-sikphilosophie und klassischerGesangstechnik und entdeckteihre Lust an Experimenten mitOper, traditioneller Musik undPop. „I needed freedom. Free-dom.“ Sie sagt es tatsächlichzweimal, mit Nachdruck.

Kaum volljährig, bringt sieihre Debüt-CD heraus, die sie inallen Altersgruppen populärmacht. Von da an ist sie regelmä-ßig in den chinesischen Medienpräsent und tritt in perfekt cho-

reografierten Shows auf dengrößten Bühnen des Landes auf.Dass sie ausgesprochen apartaussieht, sich ein exotisch-mys-teriöses Image gibt und gerneextrem ausgefallene, selbst ent-worfene Kleider trägt, hat ihremErfolg sicher nicht geschadet.

Jüngst hat Chinas Kultautor CaiJun sie gar zur Titelheldin einesSerienthrillers erkoren, der sichbislang gut verkauft.

Mit ihrem neuen Album„Alive“ will Sa DingDing nunerstmals auch imWesten auf sichaufmerksam machen. Ihr plaka-tiver Ethnopop mit Klangtup-fern aus verschiedenen chinesi-schen Provinzen und seinen Re-miniszenzen an ihre nomadi-sche Kindheit segelt hart amWind zwischen kitschig undcatchy. Geschickt sind Folklore-Schnipsel in die monströsenRhythmusparts eingebettet, derKlang der Bambusflöte und derchinesischen Wölbbrettzither guzheng verströmen zartes lokalesKolorit.

Der chinesischeMandarindia-lekt ist nur eines der Idiome, de-rer sie sich bedient: Sie hat auchihre eigene Kunstsprache entwi-ckelt und sich fremde Sprachenangeeignet. So rezitiert sie im Ti-telstück das buddhistische 100-Silben-Mantra. „Ich habe alte Bü-cher auf Sanskrit zur Hand ge-nommen und gemerkt, dassbeim Lesen ein sehr natürlicherFluss, eine ursprüngliche Melo-die entsteht“, behauptet sie. DerVideoclip zu dem Song wurdenahe bei Lhasa gedreht und zeigteine farbenprächtige Szenerieaus dem alten Guge-Königreich:ein unverfänglicher Tibet-Ro-mantizismus, dermomentan beivielen chinesischenSängernundFilmemachern en vogue ist undauch bei der jungen Generationgut ankommt: Ein leicht kon-sumierbarer New-Age-Mystizis-mus hat inzwischen auch ChinasMittelschichten erreicht.

Solange sich die Begeisterungfür Tibet nur an so harmlosenDingenwie Sprache und Folklorefestmacht, hat niemand in Pe-king etwas dagegen. Denn TibetsKultur und Religion werden inChina nicht unterdrückt, nur dieAutonomiebestrebungen undder Dalai Lama sind den Autori-täten ein Dorn imAuge.

Über die offizielle Positiongeht Sa DingDing nicht hinaus,wenn sie sagt: „Die tibetischeKultur ist ein sehr wichtiger Teilder chinesischenKultur, denn sieist geheimnisvoll, charmant undhat ihren eigenen Duft.“ Gleich-wohl wolle sie gerne „eine Brü-cke sein zwischen Ost undWest“.

Das sind akkurat abgezirkelteWorte, so durchdacht wie ihrUmgang mit ihrem musikali-schen Material. „Weil ich so vieleverschiedene Sprachen benutze,die viele Leute nicht verstehen,konnte ich die Einmischung inmeine Musik auf ein Minimumreduzieren“, sagt sie zum ThemaZensur. Und auch über Olympialässt sie sich kaum ein Wort ent-locken – außer, dass sie sich aufihren Auftritt dort freut. DenRest muss man, wenn man will,zwischen den Zeilen lesen.

Sa DingDing: „Alive“ (Wrasse/Harmo-

nia Mundi). www.sadingding.co.uk

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VON STEFAN FRANZEN

Musik aus dem Reich der Mittegalt bislang als schwer zu ver-markten im Westen. Doch imVorfeld der Olympischen Spiele,wo sich die Augen der Welt aufChina richten werden, wittert somancher chinesische Künstlerdie Chance, ins Blickfeld zu gera-ten. Das gilt für die Sängerin SaDingDing, die zur jüngsten Ge-neration chinesischer Popstarszählt: Mit gerade mal 25 Jahrenhat sie aus Elementen der tradi-tionellen Folklore ihres Landesund Lounge-Elektronika schonihren ganz eigenen Stil entwi-ckelt. Grund genug für ihre Plat-tenfirma, sie nun auch im Wes-ten bekanntmachen zuwollen.

Das allerdings hatte man sichdann doch wohl ein wenig an-

Frühling in PekingDurch die Olympischen Spiele 2008 in China rückt auch die chinesische Musikszene ins Rampenlicht.Die Sängerin Sa DingDingmöchte davon profitieren –wenn da nur nicht das heikle Thema Tibet wäre

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Pop treibt in China schillernde Blüten: Kultsängerin Sa DingDing vereint Avantgarde-Anspruch mit Tibet-Romantik FOTO: WRASSE

Gong Linna ist eine stille Rebellin.In ihrer Kindheit lernte sie ihrer Hei-mat Guiyang im Südwesten Chinasdie Lieder der verschiedenen Volks-gruppen kennen, bevor sie in Pe-king Musik studierte. Nach ihrerAusbildung überwarf sie sich aller-dings mit dem herkömmlichenMu-sikbetrieb. „Vielen Komponisten,mit denen ich gearbeitet habe,kam es vor allem darauf an, vielGeld zu verdienen“, blickt sie zu-rück. „Das kann man in China vorallem mit Playback-Konzerten undmusikalischenMassenspektakeln.“

Als Gong Linna einer solchen Kar-riere den Rücken kehrte, erklärtenihre Familie und viele Freunde siefür verrückt. Stattdessen reiste siedurch ganz China, erforschte tradi-tionelle Idiome und entwickelte ei-nen Gesangsstil, der virtuos Ele-mente verschiedenster Volkskultu-ren aufgreift: für chinesische Ver-hältnisse eine unerhörtePioniertat, ihr Publikum rührte siedamit zu Tränen. Gut, dass sie da-mit auf den deutschen China-Ex-perten Robert Zollitsch traf. WeilZollitsch mit seinen kammermusi-kalischen Arrangements die Ste-reotype der Kunst- und Volksmusikaufbricht, wird er auch in Fernostals Erneuerer chinesischer Musikgeschätzt. Er arrangierte auch zuGong Linnas vielfältigen Vokaltim-bres die passende Begleitung. Seitzwei Jahren lebt Gong Linna nun inDeutschland, in der Wahlheimatfühlt sie sich wie zu Hause: „Ichstamme aus der Stadt, doch dieNatur hat einen tiefen Einfluss aufmich gehabt. Jetzt wohne ich imBayrischen Wald und kann dort je-den Tag in die Berge gehen.“ InChina haben Zollitsch und GongLinna schon einiges Aufsehen er-regt, hierzulande harren sie nochder Entdeckung. Mit ihrem hohenAnspruch werden sie nicht zu denNutznießern einer „olympischenBreitenwirkung“ werden. Durchihre Engagements in China wägensie ihre Worte mit Bedacht. „Wirsind nicht berufen, die Situation inTibet zu kommentieren“, erklärtRobert Zollitsch salomonisch. „Eswird ja auch nicht jeder US-Musikernach seiner Meinung zu Guantána-mo befragt. Wichtig ist, dass wirmit unserer Musik zu einem Wan-del beitragen.“ SF

Gong Linna: „Chinese Folk Songs“ (ARC); „Jing

Ye Si“ (Kuku). www.gonglinna.com

FOLK AUS CHINA

Page 8: WELTMUSIK - · PDF fileStars wie Cesaria Evora, Youssou N’Dour oder der BuenaVista So-cial Club dadurch international Karriere gemachthaben. Oder, weil inzwischen jede Metropole

W 8 DIE TAGESZEITUNG 3./4. MAI 2008 weltmusik E-MAIL: [email protected]

VON DANIEL BAX

Was die Fußball-EM mit sichbringen wird, ist noch nicht ab-zusehen. Sicher ist nur, dass derReggae-Star Shaggymit „Feel theRush“ den offiziellen Song zumEreignis im Juni in Österreichund der Schweiz beisteuert. Nunja, es gab schon Schlimmeres.

Den Auftakt zur musikali-schen Freiluftsaison macht, wiejedes Jahr, der Karneval der Kul-turen (9. bis 12. Mai) an Pfings-ten in Berlin; der eigentlicheUmzug findet am Sonntag statt.

Zur selben Zeit steigt inMoersdas Festival für improvisierteMusik, als Highlight ist derAvantgarde-Star John Zorn ausNew York angekündigt. Zwi-schen exotisch und experimen-tell klingen auch die Samúel JónSamúelsson Big Band aus Islandoder Avishai Cohen mit seinemJazz-Vocal-Projekt. Oder der Auf-tritt der baskischen SchwesternMaika und Sara Gomez: Sie trak-tieren ein Instrument namensTxalaparta, das einst zur Kom-munikation zwischen den Dör-fern im Baskenland diente.

Früh im Jahr startet das Welt-nacht-Festival in Bielefeld, dassich vom 2. Mai bis 30. Augustmit 44 Konzerten über die ganzeRegion erstreckt. Neben der bel-gischen Band Think of One undihrem Chaabi-Projekt stehenhier die Amsterdam Klezmer-Band und der deutsch-nigeriani-sche Reggae-Musiker Davemanauf dem Plan. Höhepunkt ist wieimmer der Carnival der Kulturen

am7. Junimit einer Parade durchBielefelds Innenstadt.

Zum Africa Festival in Würz-burg (22. bis 25. Mai), das in die-sem Jahr sein 20. Jubiläum feiert,ist weiter vorne schon alles ge-sagt worden. Hier noch einmal:Es lohnt sich! Wer dort HughMa-sekela verpasst hat, kann ihnnoch beim Masala-Weltbeat-Festival inHannover (21.Mai bis1. Juni) erleben. Außerdem dort:das Idan Raichel Project aus Isra-el, die Sängerin Lura und derWatcha Clan ausMarseille.

Im Kulturzelt in Kassel (20.Juni bis 3. August)geben sichdasQuadro Nuevo, die Latin-Ska-Band Pantéon Rococo und diekapverdische Sängerin MayraAndrade die Ehre.

Die traditionelle Summersta-ge des WDR-Funkhauses EuropaamTanzbrunnen inKöln (22. Ju-ni) steht diesmalunter demMot-to „London Crossing“: mit briti-schen Acts wie Mattafix, Trans-global Underground und Oi VaVoi ist zu rechnen.

Zum Zeltival Karlsruhe (29.Juni bis 3. August) locken dasOr-chestra Baobab aus dem Senegaloder die Puppini Sisters und ihrVarieté-Programm, während dasStimmen-Festival in Lörrach (2.bis 27. Juli) mit großen Namenklotzt: die Neville Brothers, Leo-nard Cohen und Paul Simonwer-den erwartet. Daneben gibt esdie mexikanische Sängerin LilaDowns, ein Taranta-Programmsowie, in der „Stimmband“-Rei-he, etwadie ChinesinGong Linnaund Etta Scollo mit Italo-Chan-sons zu hören.

Die Welt ist rundWem Public Viewing zur Fußball-EM nicht reicht, der kann es ja mal mit Public Listening versuchen.Ein Überblick über die wichtigsten Open-Air-Festivals der Republik sowie die Highlights der Saison

Das 18. Tanz- und Folk-Festi-val Rudolstadt (4. bis 6. Juli) legtin diesem Jahr einen Schwer-punkt auf Israel, das durch Yas-min Levy und die palästinensi-sche Sängerin Amal Murkus ver-treten wird. Zudem werden diemehr als 20 Bühnen unter ande-rem von der Fanfare Ciocarliaund ihrem Aufgebot an „GipsyQueens & Kings“, der Touareg-Band Etran Finatava, Billy Braggunddemenglischen Folk-Projekt„The Imagined Village“ belegt.

Der Reggae Summer Jam (4.bis 6. Juli) in Köln erweitert mitShantel & dem Buvovina ClubOrkestar sowie Miss Platinumsein Spektrum in Richtung Bal-kan. Neben Lokalmatadoren wieMono & Nikitaman und Irie Re-voltés tritt hier auch Shaggy an.

Die Kulturarena in Jena prä-sentiert in diesem Jahr (10. Julibis 24. August) Altmeister wiedie US-Songrwiterin Joan Arma-trading sowie Manfred Krug mitdem „Berlin Jazz Orchestra“.

Der Yiddish Summer in Wei-mar (10. Juli bis 15. August)dage-gen verspricht – wie immer un-ter der Ägide des Musikers AlanBern – unter demTitel „the othereuropeans“, die Verbindungslini-en zwischen Klezmer- undRoma-Musik auszuloten.

Ein neues Festival gibt es inBerlin: „Wassermusik“ (10. bis27. Juli) hat man sich am Hausder Kulturen der Welt ausge-dacht, um Kultur mit dem küh-lenNaß zu kombinieren. Zur Pre-miere konzentriert man sich aufSurf-Musik (u. a. mit Marc Ribot),auf die Tiki-Mode, die durch Easy

Listening und Lounge-Mode einRevival erfahren hat (u. a. mitDon Tiki und Waitiki), sowie aufLieder von Seefahrern und Fi-schern – hier sind Eliza Carthyund Juana Molina angekündigt.Warumnicht?

Vom traditionsreichen Festi-val Viva Afro Brasil weiß mannur, dass es wieder nach Tübin-gen zurückkehren wird (18. und19. Juli): Das Ausweichen nachStuttgart hat sich nicht gelohnt.Bei Popdeurope in Berlin (26.Juli bis 2. August) steht dagegenschon fest, dass Massilia SoundSystem aus Marseille und dieMestizo-Band Amparanoia ihrenAbschied von der Bühne feiernwollen. Schnief! Außerdem istein lokalpatriotischer Abendmitden Ohrbooten sowie den Bom-beros deMonte Cruz angesetzt.

Zum 33. Bardentreffen (1. bis3. August)wurde unter anderemdie Russen-Ska-Combo Apparat-schik nachNürnberg geholt, undetwas weiter südlich zumChiemsee Reggae Summer (22.bis 24. August) neben lokalenGrößen wie Culcha Candela, Pat-rice und Nosliw das allgegenwär-tige Bucovina Club Orkestar vonShantel, Beenie Man aus Jamaikasowie die Otentikk Street Bro-thers ausMauritius.

Und wem das noch nichtreicht, der sollte selbst zu einemInstrument greifen und sichbeim bundesweiten Weltmusik-wettbewerb Creole bewerben,dessen Finale vom 2. bis 4. Sep-tember 2009 in Berlin steigt.Mehr Infos unter www.creole-weltmusik.de.

Fühlen Sie den Ausschlag? „Feel the Rush“ heißt die EM-Hymne, für die Shaggy hier mit den beiden EM-Maskottchen „Trix“ und „Flix“ posiert FOTO: DDP