Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.

1 Wenn Alkoholsucht den Alltag beherrscht | Manuskript

Wenn die Alkoholsucht den Alltag beherrscht Bericht: Albrecht Radon Immer dienstags fährt Marion Koch zu ihrer Selbsthilfe-Gruppe. Jahrelang hat die 58-Jährige exzessiv getrunken. Marion Koch Ich weiß, dass es kein kontrolliertes Trinken gibt. Ich war immer der Meinung, ich beherrsche das Ganze. Es funktioniert nicht. Seit Oktober kommt Marion Koch zu den Runden der trockenen Alkoholiker. Die treffen sich einmal wöchentlich in Naunhof bei Leipzig. Mehr als 40 Teilnehmer tauschen hier ihre Erfahrungen aus. Marion Koch Dass die Gruppe so groß ist, habe ich nicht gedacht. Es gibt so eine Menge an Leuten, die noch Hilfe brauchen, dass das ganz erstaunlich ist. Auch Marco Wolf kommt regelmäßig. Vor fünf Jahren hat ihn seine Sucht fast umgebracht. Marco Wolf Dass ich im Prinzip soweit war, dass ich mir den Strick nehmen wollte. Ich konnte nicht mehr vor, nicht mehr zurück. Ich habe am Tag dann zwei Flaschen Wodka getrunken zu Höchstzeiten. Ich wurde in Kliniken eingeliefert mit 4,7 Promille. Hab alles durchgemacht, zweimal Führerschein verloren, zweimal MPU gemacht und kenne alle Kliniken in- und auswendig. Alkohol gibt damals den Takt vor – auch in seinem Job als Landmaschinenschlosser. Marco Wolf Ich habe es so weit getrieben, dass ich gar nicht mehr arbeiten konnte. Ich musste dann vor der Arbeit trinken, ich musste während der Arbeit trinken zum Schluss und danach sowieso. Es ging nicht mehr. Und dann haben es wirklich alle mitgekriegt, auch mein Werkstattmeister damals.

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Mittlerweile ist der 31-Jährige trocken und in seinen Job zurückgekehrt. Dieses Ziel hat sich auch Marion Koch gestellt. Ihre Sucht beginnt 2002, als die Jahrhundertflut in Sachsen das Familien-Grundstück bei Bennewitz zerstört und sie finanziell stark belastet. Um zu vergessen, greift sie regelmäßig zur Flasche. Nach der Trennung von ihrem Mann 2004 verschärft sich die Situation. Trotzdem versucht sie, bei der Arbeit zu funktionieren. Als Kinderkrankenschwester in diesem sächsischen Krankenhaus. Das Schicht-System gibt ihr dann 2011 den Rest, sagt sie. Nur mit Hilfe von Alkohol findet sie Schlaf. Marion Koch Zum Anfang waren es nach der Arbeit 1 bis 2 Flaschen. Das hat sich dann gesteigert, besonders nach der Spätschicht, dass es dann bis nach Mitternacht gegangen ist. Bis zu 4, 6 sogar 8 Flaschen. 8 Flaschen Bier. Und im Kopf hat man gerechnet, bis man zur nächsten Schicht wieder fit ist. Weil sie immer wieder zu spät kommt und nicht mehr so leistungsfähig ist, wird sie suspendiert. Nach einer Kurzzeittherapie darf sie in ihren Job zurück. 2014 ein Rückfall. Sie trinkt erneut, glaubt aber, alles unter Kontrolle zu haben. Marion Koch: Ich muss mir heute eingestehen, dass der Dienst so nicht abgesichert war. Reporter: Bedeutet? Marion Koch: Bedeutet, ich hatte Alkohol im Blut. Nach einem körperlichen Zusammenbruch begibt sich Marion Koch in eine 15-wöchige Langzeittherapie in Weinböhla. Hier in den evangelischen Fachkliniken Heidehof wird sie mit Hilfe von Psycho-, Physio- und Beschäftigungstherapie auf ein Leben ohne Alkohol getrimmt – das ist jetzt drei Monate her. Sven Kaanen: Hallo. Schön, Sie wiederzusehen. Chefarzt Sven Kaanen will wissen, wie es ihr ohne Alkohol geht. Sven Kaanen: Wie ist es denn im Weiteren dann gelaufen? Marion Koch: Sie wissen, es war die Weihnachtszeit dabei, wo sich viele Familien treffen, wo Alkohol getrunken wird, wo man den Weihnachtsmarkt riecht. Das habe ich dieses Mal alles ausgelassen.

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Marion Koch will auf keinen Fall rückfällig werden. In der Therapie hat sie gelernt: Alkohol ist ein unberechenbarer Gegner. Sven Kaanen Viele machen sich was vor und glauben, ich habe das doch alles noch im Griff, ich weiß genau, wann ich aufhören muss, damit ich früh auch wieder fit bin und merken gar nicht, dass die Kollegen ringsum schon Auffälligkeiten bemerken und anzeigen, dass dort irgendetwas nicht mehr stimmt. Aber man selbst spürt es nicht, weil man immer noch in dem Glauben ist, ich kann das alles noch steuern. In der Einrichtung, die zur Diakonie gehört, werden vor allem alkoholkranke Patienten betreut. Viele sind berufstätig. Das Problem: Alkoholiker werden mit ihrer Sucht am Arbeitsplatz meist alleine gelassen. Sven Kaanen Ich empfehle Arbeitgebern, sich mit diesen Themen auch sehr offen auseinanderzusetzen, Leute auch anzusprechen. Denn Auffälligkeiten sind oft auch sehr früh schon da, werden totgeschwiegen, weil, man möchte ja nicht verletzend auf den Mitarbeiter zu gehen. Viele lechzen aber danach, brauchen an sich gerade diese Ansprache, um sich ihres Problems bewusst zu werden. Sven Kaanen hat in vier Unternehmen Präventionsprojekte begleitet. Doch die kosten Geld, weshalb die meisten darauf verzichten. Dabei wäre rechtzeitiges Intervenieren wichtig. Denn alkoholisierte Mitarbeiter verursachen jährlich einen volkswirtschaftlichen Schaden von rund 39 Milliarden Euro. Auch Marion Koch ist lange ausgefallen, seit Mai ist sie krankgeschrieben. Bald will sie an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren, die Chancen für eine Wiedereingliederung stünden nicht schlecht. Doch zunächst versucht sie ihren Alltag zu meistern. Selbst der Wocheneinkauf ist zur Herausforderung geworden. Marion Koch: Zum Beispiel, hier sind wir richtig. Bei vielen Mundspülungen ist heutzutage Alkohol drin, wo man dann aufpassen muss, dass man die nicht zu sich nimmt. Dann in vielen Deosprays sind Alkohole drin. Reporter: Alleine, wenn Sie es auf die Haut aufsprühen, kann dazu führen, dass Sie wieder zum Alkohol greifen? Marion Koch: Genau, dann aktiviere ich sofort mein Suchtgedächtnis. Und dann kann es dazu führen, dass ich es wieder mal probiere.

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Im Prinzip muss sie jede Verpackung genau studieren. Die Regale mit den alkoholischen Getränken versucht sie zu ignorieren. Marion Koch: Ich weiß, dass ich es nicht mehr kann und darf. Aber ich weiß, dass andere damit viel Freude haben können und das genießen können. Und ich weiß, ich kann es nicht mehr. Reporter: Macht Sie das traurig? Marion Koch: Ja, ein bisschen. Marion Koch will es diesmal unbedingt schaffen. Auch weil sie weiß, wie sehr ihr Umfeld unter ihrer Alkoholabhängigkeit gelitten hat. Marion Koch: Also mir gegenüber bin ich da gar nicht so schamvoll. Aber den anderen. Reporter: Wen meinen Sie? Marion Koch: Zum Beispiel die Familie, die Freunde oder auch den Kollegen gegenüber. Eigentlich denkt man erst im Nachhinein nach, was man so verbockt hat.