Wer ist Satan

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WER IST SATAN? Solange man an Begriffen wie "Satan" und "das Böse" in einem streng dualistischen Sinn festhält, gibt es weder Verständigung noch ein Durchbrechen des Kreislaufes von Dämonisierung und Gewalt. Nie konnte man dies deutlicher sehen als gerade heute. Auch wenn einzelne militärische Aktionen im Kampf gegen Terrorismus und Taliban-Regime durchaus sinnvoll erscheinen, können dadurch die grundsätzlichen Probleme im Hintergrund nicht gelöst werden. Wir wollen nicht zu früh alles Religiöse wegwischen und nur noch in säkularisierten Begriffen über die aktuellen Konflikte nachdenken, sondern einmal nachschauen, was Christentum bzw. Islam über das "Böse" wirklich zu sagen haben. Erstaunlich war für mich die Entdeckung, dass die Figur des "Satan" im Koran - hier genannt "Iblis" - nicht nur differenzierter als im Denken der Islamisten ist, sondern auch vielschichtiger als in der Bibel, genauer gesagt im Neuen Testament. Was das Christentum bereits ein paar hundert Jahre nach seiner Gründung ausblendete bzw. in seine apokryphen Texte verbannte, ist hier noch lebendig: die Herkunft des "Teufels" aus der Schar der Engel, seine Feuer-Natur und seine Verbannung aus dem Himmel infolge der Weigerung, den aus Lehm geschaffenen Menschen anzubeten. Allenfalls das Alte Testament kennt noch eine positiv-negative Doppelnatur Satans, der etwa in der Hiob-Erzählung als durchaus notwendiger "Berater Gottes" auftaucht. Noch weiter in seiner Beurteilung gehen bestimmte mystische Traditionen des Islam, etwa der Sufismus. Hier gibt es Fortspinnungen der Satans-Legende, die davon

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WER IST SATAN?

Solange man an Begriffen wie "Satan" und "das Böse" in einem streng dualistischen Sinn festhält, gibt es weder Verständigung noch ein Durchbrechen des Kreislaufes von Dämonisierung und Gewalt. Nie konnte man dies deutlicher sehen als gerade heute.

Auch wenn einzelne militärische Aktionen im Kampf gegen Terrorismus und Taliban-Regime durchaus sinnvoll erscheinen, können dadurch die grundsätzlichen Probleme im Hintergrund nicht gelöst werden. Wir wollen nicht zu früh alles Religiöse wegwischen und nur noch in säkularisierten Begriffen über die aktuellen Konflikte nachdenken, sondern einmal nachschauen, was Christentum bzw. Islam über das "Böse" wirklich zu sagen haben.

Erstaunlich war für mich die Entdeckung, dass die Figur des "Satan" im Koran - hier genannt "Iblis" - nicht nur differenzierter als im Denken der Islamisten ist, sondern auch vielschichtiger als in der Bibel, genauer gesagt im Neuen Testament.

Was das Christentum bereits ein paar hundert Jahre nach seiner Gründung ausblendete bzw. in seine apokryphen Texte verbannte, ist hier noch lebendig: die Herkunft des "Teufels" aus der Schar der Engel, seine Feuer-Natur und seine Verbannung aus dem Himmel infolge der Weigerung, den aus Lehm geschaffenen Menschen anzubeten. Allenfalls das Alte Testament kennt noch eine positiv-negative Doppelnatur Satans, der etwa in der Hiob-Erzählung als durchaus notwendiger "Berater Gottes" auftaucht.

Noch weiter in seiner Beurteilung gehen bestimmte mystische Traditionen des Islam, etwa der Sufismus. Hier gibt es Fortspinnungen der Satans-Legende, die davon

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berichten, wie der gefallene Engel seinem Schöpfer vorwirft, ihn ungerecht behandelt zu haben. Gott sei aus mehreren Gründen mitverantwortlich für seine "hybride" Weigerung, als Feuerwesen vor einem Lehmklumpen niederzuknien. Erstens habe Gott Satan bewusst als strahlendes und überlegenes Geschöpf geschaffen, dessen Wesen die "Glut" und nicht der "Staub" sei. Und zweitens sei dieser sein treuester Engel, weil er mit der Idee des Monotheismus wirklich ernst mache: Indem er darauf verzichte, den neugeschaffenen Menschen anzubeten, erfülle er nur Gottes Forderung, dass man ausser ihm keine anderen Götter verehren solle. (1)

Gott scheint durch diese Anmerkungen seines einstigen Lieblingsengels tatsächlich angerührt zu werden und verzichtet auf dessen vollständige Eliminierung. Seine endgültige Beurteilung soll auf den Jüngsten Tag verschoben werden, bis dahin dürfe er als "Verführer" den Menschen in seiner Glaubensstabilität testen. Manche Sufi-Mystiker nennen ihn das "Schwarze Licht", das das "Weisse Licht" Gottes vor Entheiligung schütze, ein notwendiges und hochspirituelles Wesen, das letztlich unschuldig sei und wichtige Evolutions-Aufgaben erfülle.

Besondere Kontur bekommt eine solche Auffassung des "Bösen" etwa auch in der Lyrik des pakistanischen Dichters Muhammad Iqbal, der oft von der Traurigkeit des gefallenen Engels berichtet: In Iqbals Gedichten beschwert sich Satan z.B. bei Gott, dass er keine rechte Lust mehr am Kampf habe, da der Mensch so schnell allen Versuchungen erliege und kein rechter Gegner für ihn sei. Oder er macht sich über den immer treuen und in Gottesgedanken versunkenen Erzengel Gabriel lustig: "Ich steche Gottes Herz wie ein Dorn - aber du ... nur immer Allah Hu! Allah Hu! Allah Hu!"(2)

Gerade in der schillernden Ambivalenz Satans sieht der mystische Islam eine Brücke, um in höhere geistige Welten aufzusteigen. Der über Satan meditierende Sufi-Novize soll sich über diese Figur nie sicher sein können, sondern ihr gegenüber immer Hoffnung und Furcht zugleich hegen. Dies halte ihn wach und stark. Eine Auffassung, die sich so weder im Christentum noch im Denken radikaler Muslime findet. Allenfalls die Anthroposophie Rudolf Steiners reicht mit ihrer Deutung des "Luzifer"-Begriffes in ähnliche Regionen und wäre heute geeignet, dem Christentum eine verlorene Tiefendimension zurückzugeben. (3)

1) Peter J. Awn: Satan's Tragedy and Redemption: Iblis in Sufi Psychology (Leiden 1983)

2) Annemarie Schimmel: Die Gestalt Satans in Muhammad Iqbals Werk (in: Kairos 5, 1963)

3)Rudolf Steiner: Das Mysterium des Bösen, hrsg. von Michael Kalisch (Stuttgart 1993)