Werner Vontobel - Korrigiert Keynes!
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8/7/2019 Werner Vontobel - Korrigiert Keynes!
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CASH Nr. 42 19. Oktober 2001 Seite 33
Korrigiert Keynes!Werner Vontobel
zur Diskussion, wie die Politik die Wirtschaft regulieren muss
[Werner Vontobel, geb. 1946, ist Mitglied der Chefredaktion beim Schweizer Wirtschaftsmagazin CASH und
einer der bekanntesten Wirtschaftsjournalisten im deutschsprachigen Raum. Er studierte Volkswirtschaft und
war Korrespondent verschiedener Zeitungen in Brüssel und Bonn. Vontobel setzt sich mit wirtschaftspolitischen
und -theoretischen Grundsatzfragen auseinander und hat zu diesem Thema mehrere Bücher veröffentlicht.
1998 hat er mit dem Essay „Die Wohlstandsmaschine. Das Desaster des Neoliberalismus.“ (Elster Verlag, Baden-
Baden und Zürich) ein Plädoyer für den politischen Liberalismus und gegen den neoliberalen Verrat an der
Marktwirtschaft geboten. Er zeigt, wie neoliberale Argumente den Kapitalhaltern Wohlstand verschaffen,
indem demokratische Entscheidungsprozesse ausgehebelt werden. Mit Philipp Löpfe veröffentlichte er 2005
„Der Irrsinn der Reformen. Warum mehr Wettbewerb und weniger Staat nicht zu Wohlstand führen“.]
Gut zehn Jahre nach dem endgültigenZusammenbruch des Kommunismus ist nunauch beim deregulierten globalen Kapitalismusder Lack ab. Der Zusammenbruch der
Aktienbörse, der Mutter aller kapitalistischenMärkte, der drohende Konjunktureinbruch unddas Attentat von New York haben dieGesichtspunkte verschoben: Das, was der Marktvielleicht bieten kann, nämlich noch mehr
Bruttosozialprodukt, erscheint nun plötzlichweniger begehrenswert als das Plus anSicherheit, das man sich vom Staat erhofft. Derfromme Glaube, dass sich aus der globalen
Summe der Entscheide aller sechs Milliardenprivater Nutzenmaximierer automatisch eineheile Welt mit hohem BIP-Wachstum und tieferArbeitslosenquote ergeben könnte, istgeschwunden. Und selbst wenn dies so wäre,wer wollte sich denn in einer rein kommerziellenWelt ohne politische Auseinandersetzungen und
Entscheide langweilen?Damit ist also wieder einmal fast allen klar,
dass die Politik steuernd in die Wirtschafteingreifen und Ungleichgewichte, insbesondereauf dem Arbeitsmarkt, korrigieren muss. Indieser Lage erinnert man sich an einen, der diesauch schon einmal gesagt hat, Lord JohnMaynard Keynes. „Wir sind heute alle
Keynesianer“ , titelte kürzlich sogar dieneoliberale „Financial Times“ . Gemeint ist damit,
dass der Staat durch Steuersenkungen undMehrausgaben die Wirtschaft auf Kurs haltensoll, so, wie dies Keynes 1936 vorgeschlagen hatund wie es die US-Regierung heute praktiziert.
DOCH DIESER RÜCKGRIFF auf eine ferneVergangenheit bringt uns nicht weiter. DasArsenal der politischen Einflussnahme auf dieWirtschaft ist heute viel grösser als damals, und
inzwischen sind diese Mittel auch praktischerprobt. Jetzt braucht die Welt kein Revival desKeynesianismus, sondern eine grundsätzlicheDiskussion darüber, wie die Politik die Wirtschaftregulieren muss. Dabei geht es auch nicht in
erster Linie darum, neue direkte staatlicheEingriffe zu beschliessen, sondern darum, diebestehenden Institutionen vermehrt auf diewirklich wichtigen Ziele auszurichten.
Nehmen wir die Zentralbanken, eine eminentpolitische Institution, die seit Keynes starkausgebaut wurde. Dass Zentralbanken Geld- undZinspolitik betreiben müssen und der Staat somiteinen wichtigen Markt reguliert, wird heute vonniemandem bestritten. Die Frage ist bloss, zuwelchem Zweck dieses Instrument eingesetzt
wird. In der EU ist dieser Zweck ausschliesslichdie Stabilität des Geldwertes bzw. der Kampf
gegen die Inflation. In den USA muss das Fed[1]noch für Vollbeschäftigung sorgen, und es tutdies auch, indem der Realzins mittelfristig derrealen Wachstumsrate des Bruttoinlandproduktsangepasst wird. Es ist vielleicht kein Zufall, dasssich die USA wirtschaftlich genau seit dem
Zeitpunkt besser entwickeln als die EU, als dieRealzinsen der beiden Blöcke auseinander zu
driften begannen.
1 [Fed – Kurzbezeichnung für „Federal ReserveBoard“, die Zentralbank der USA]
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DOCH DIE ZENTRALBANKEN sind nicht die einzigepolitische Regulierungsinstanz derKapitalmärkte. Andere politische Institutionenwie die Bank für Internationalen
Zahlungsausgleich oder die nationalenBankenaufsichten entscheiden drüber, wie vielRisiken die Banken bei der Kreditgewährung
eingehen können. Diese Instrumente dientenursprünglich ausschliesslich der Sicherheit dereinzelnen Banken und deren Gläubiger.Inzwischen weiss man besser, wie sich dieSpielregeln der Bankenaufsicht auf die Stabilitätdes gesamten Wirtschaftssystems auswirken.
Sehr wichtig sind ebenfalls die Kartellbehörden,die darüber entscheiden, wie viel oder wie wenigWettbewerb auf dem Markt fürBankdienstleistungen herrscht. Auch das kannfür die wirtschaftliche Stabilität entscheidend
sein. Ein moderner Keynesianismus wird deshalbauch auf diesem Klavier spielen müssen.
Der anhaltende Börsencrash sowie dieWährungs- und Finanzkrisen in zahllosen
Ländern haben gezeigt, wie viel Unsicherheit vonden Kapitalmärkten ausgehen kann und wiesehr es auf die richtigen Regulierungenankommt. Dennoch ist nicht der Kapital-,sondern der Arbeitsmarkt mehr denn je derkritischste Gefahrenherd für die wirtschaftliche
Stabilität. Hier führt der Preismechanismusgrundsätzlich nicht zum Gleichgewicht vonAngebot und Nachfrage. Tiefere Löhne
bewirken, dass mehr statt weniger Arbeitskraftangeboten wird. Je kleiner der Stundenlohn,desto mehr Stunden müssen gearbeitet werden,damit das Einkommen nicht sinkt. Deshalbbesteht ständig die Gefahr, dass sich schon einbisschen Arbeitslosigkeit zur grossen Kriseauswächst.
Es ist deshalb kein Zufall, dass gerade der
Arbeitsmarkt in hohem Masse reguliert ist. Esgibt Gesamtarbeitsverträge, Mindestlöhne,Arbeitszeitregelungen, Kündigungsschutz,Gewerkschaften usw. Dieses Gestrüpp vonRegeln und Vorschriften ist zweifellos ineffizient.Es ganz abschaffen und die Arbeitsmärkte„deregulieren“ zu wollen, wäre jedoch derfalsche Weg. Nötig ist vielmehr eine ständigeFeinanpassung der Regulierungen, und damitdarf man das grundlegende Dilemma der
modernen Marktwirtschaft nicht aus den Augenverlieren. Es besteht darin, dass die Produktivitätder Wirtschaft schneller zunimmt als dieBedürfnisse der Kunden.
BISHER HAT MAN DIE LÜCKE vor allem auf zweiArten geschlossen – durch einen riesigenWerbeaufwand und durch eine Zunahme der
Freizeit. Seit Keynes ist etwa ein Viertel derzunehmenden Produktion für eine Reduktion derLebensarbeitszeit verwendet worden. Freizeit ist
mit Abstand das wichtigste einzelne Produkt,dass uns die Wirtschaft bietet. Die Stabilität derWirtschaft hängt damit in erster Linie davon ab,ob es gelingt, die Nachfrage nach mehr Freizeitzu organisieren. Schätzungsweise muss diewöchentliche Arbeitszeit alle zehn Jahre um zwei
bis drei Stunden sinken.Zu Keynes` Zeiten durfte man noch
annehmen, dass dieses Ergebnis allein durch dasSpiel der individuellen Nutzenmaximierung zuStande kommen würde.
Keynes` Pfahlbauermethodensind als Notnagel immer noch
richtig. Doch die Ökonomiehat Fortschritte gemacht.
Inzwischen haben die Ökonomen Spieltheoriegelernt, und sie kennen das so genannte
Gefangenendilemma. Der Arbeitsmarkt ist dafürein typisches Beispiel. Entscheidet jeder für sichallein, so wird viel zuviel Arbeit angeboten, und
es entsteht Arbeitslosigkeit. Eine (zusätzliche)Regel, die das verhindern kann, ist beispielsweisedie Abmachung zwischen Arbeitgebern und -nehmern, dass im Falle einer Krise bis zu 15Prozent der ausfallenden Arbeit umverteilt wird.Der Staat kann als dritter Partner dazustossenund beispielsweise den Lohnausfall teilweisemittragen. Solche Regelungen haben sich bereits
bewährt. Sie führen nicht selten zur Erkenntnis,dass die gewonnene Freizeit mehr wert ist alsder durch den Lohnverzicht bedingteKonsumausfall.
Keynes in Ehren. Er war der führendeÖkonom der Dreissiger- und der Vierzigerjahre,und als Notnagel sind seine Pfahlbauermethodenimmer noch richtig. Doch inzwischen hat selbstdie Ökonomie ein paar Fortschritte gemacht. DieKeynes der Neuzeit warten nur darauf, entdeckt
zu werden.
Aktuelle Artikel des Autors:http://www.blick.ch/news/wirtschaft/vontobel
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