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Werner Weitschies · Wolfgang Mehnert Arzneimittel- wechselwirkungen mit der Nahrung Einnahme vor, mit oder nach der Mahlzeit? Govi-Verlag E-BOOK

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Werner Weitschies · Wolfgang Mehnert

Arzneimittel-wechselwirkungenmit der NahrungEinnahme vor, mit oder nach der Mahlzeit?

Govi-Verlag

E-BOOK

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GOVI Verlag Weitschies, Mehnert – Arzneimittelwechselwirkungen mit der Nahrung Herstellung: Herr Bayer

Änderungsdatum: 20.11.2015 Ausgabedatum: 20.11.2015 Status: Imprimatur Seite 3

Werner Weitschies, Wolfgang Mehnert

Arzneimittelwechselwirkungen mit der Nahrung:Einnahme vor, mit oder nach der Mahlzeit?

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GOVI Verlag Weitschies, Mehnert – Arzneimittelwechselwirkungen mit der Nahrung Herstellung: Herr Bayer

Änderungsdatum: 20.11.2015 Ausgabedatum: 20.11.2015 Status: Imprimatur Seite 4

ISBN 978-3-7741-1295-7

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Wichtiger HinweisMedizin als Wissenschaft ist ständig im Fluss. Forschung und klinische Erfahrungen erweitern un-sere Kenntnisse, insbesondere was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in diesem Werk eine Dosierung, Indikation oder Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren und Verlag größte Mühe darauf verwandt haben, dass diese Angabe genau dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Dennoch ist jeder Leser aufgefordert, die Beipackzettel der verwendeten Präparate zu prüfen, um in eigener Verantwortung festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung gegenüber der Angabe in diesem Buch abweicht. Das gilt beson-ders bei selten verwendeten oder neu auf den Markt gebrachten Präparaten und bei denjenigen, die von zuständigen Behörden in ihrer Anwendbarkeit eingeschränkt worden sind. Alle Angaben ohne Gewähr.

Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden durch Großbuchstaben (Versalien) kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen der Kennzeichnung kann nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Die erwähnten Handelspräparate wurden lediglich beispielhaft bzw. aus didaktischen Überlegungen heraus gewählt.

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Änderungsdatum: 20.11.2015 Ausgabedatum: 20.11.2015 Status: Imprimatur Seite 5

Vorwort

Arzneimittelinteraktionen sind ein wichtiger Aspekt bei der Arzneimitteltherapie sowohl hinsichtlich der Wirksamkeit als auch der Sicherheit. Entsprechend nehmen Untersuchun-gen zu Interaktionen zwischen Arzneistoffen auf metabolischer Ebene und zunehmend auch auf der Ebene von Arzneistofftransportern breiten Raum bei der Arzneimittelentwick-lung ein. Die Möglichkeit einer Wechselwirkung zwischen Arzneimittel und gleichzeitiger oder auch zeitversetzter Nahrungsaufnahme tritt dagegen in der Wahrnehmung häufig zurück. Als Beispiel mögen hier nur die typischen Medikamentendosen dienen, die in aller Regel drei oder bestenfalls vier Fächer für die tägliche Arzneimitteleinnahme umfassen: morgens, mittags, abends und gegebenenfalls nachts. Dass Arzneimittel in vielen Fällen in einem zeitlichen Abstand oder gemeinsam mit Nahrung eingenommen werden sollen, bleibt vollkommen unberücksichtigt.

Ein Grund für die oft geringe Wahrnehmung der Bedeutung des Einnahmezeitpunktes und der Einnahmemodalität ist vermutlich, dass sich die meisten Wechselwirkungen mit der Nahrung auf der Stufe der Liberation und der Resorption abspielen. Hier sind zwar be-achtliche Einflüsse möglich, sie erreichen aber oft nicht den Stellenwert einer Veränderung der Metabolisierung, wie sie bei Arzneimittel-Arzneimittel-Wechselwirkungen weit häufiger auftreten. Ein Beispiel, dass auch die Interaktion mit Nahrungsbestandteilen zu ausgepräg-ten und teilweise lebensgefährlichen Wechselwirkungen führen kann, ist die Erhöhung der Bioverfügbarkeit einiger Arzneistoffe nach Einnahme mit Grapefruitsaft oder gleichzeitigem Verzehr von Grapefruit-Früchten. Die Ursache dieser Wechselwirkung ist wesentlich auf die Hemmung der präsystemischen Metabolisierung durch Bestandteile der Grapefruit zurückzuführen. Mittlerweile ist die Möglichkeit dieser Interaktion bei über 100 Wirkstoffen beschrieben. Ein weiteres Beispiel einer sehr bedeutsamen Interaktion mit Nahrung ist die Verminderung der Bioverfügbarkeit von Bisphosphonaten durch mehrwertige Kationen. Die ohnehin sehr geringe absolute Bioverfügbarkeit dieser Arzneistoffe wird durch diese Wech-selwirkung nochmals verringert, so dass der therapeutische Erfolg in Frage zu stellen ist.

Die Beschaffung zuverlässiger Angaben über den Einnahmemodus ist häufig schwie-rig, weil unter anderem vergleichsweise wenige Kenntnisse über mögliche Interaktionen bekannt sind. Zusätzlich werden mitunter unterschiedliche, teilweise widersprüchliche Ergebnisse publiziert, die auf die hohe Zahl von Einflussfaktoren (z.B. Nahrungszusam-mensetzung, Applikationszeitpunkt, Probanden, Anzahl der Probanden, Untersuchungs-methoden) hinweisen. Das Ausmaß der Resorptionsbeeinflussung durch gleichzeitige Nahrungsaufnahme ist zudem nicht eine unveränderbare Eigenschaft eines Arzneistoffs, sondern wird vielmehr ganz wesentlich durch die Arzneiform bestimmt. Die Vermeidung oder zumindest Reduzierung von Nahrungsmittelinteraktionen bedarf eines zum Teil hohen Entwicklungsaufwandes, der im Zuge möglichst schneller Arzneimittelentwicklung teilweise eingespart wird. Eine in dieser Hinsicht sehr problematische Arzneistoffgruppe sind moderne orale Zytostatika. Bei diesen Arzneistoffen mit vitaler Indikation und häufig geringer therapeutischer Breite können ausgeprägte Nahrungseffekte auftreten, die den

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Änderungsdatum: 20.11.2015 Ausgabedatum: 20.11.2015 Status: Imprimatur Seite 6

6 Vorwort

Erfolg und die Sicherheit der Therapie erheblich beeinflussen können. Deshalb werden orale Zytostatika in diesem Buch ausführlich dargestellt.

Weiterhin ist zu bedenken, dass die durch Nahrungsaufnahme verursachen Verände-rungen von Arzneistoffkonzentrationen im Plasma nicht unbedingt zu einer Wirkungsän-derung führen müssen. Gleichzeitig durchgeführte pharmakodynamische Untersuchungen und deren Korrelation zu pharmakokinetischen Parametern sind allerdings äußerst selten.

Eine durch Nahrung veränderte Wirksamkeit eines Arzneimittels ist selten nur auf eine Ursache zurückzuführen. Das Ausmaß einer solchen Wechselwirkung ist beispielsweise auch vom physischen und psychischen Zustand des Patienten (Alter, Geschlecht, Erkran-kungsstadium) abhängig. Zusätzlich ist zu bedenken, dass durch die Vielfalt der Nahrung die »Versuchsbedingungen« nicht standardisiert sind. Ein Hinweis, in welchem Abstand zum Essen ein Arzneimittel genommen werden sollte, gehört zu jeder Abgabe eines Arz-neimittels und ist Bestandteil des Medikationsmanagements.

Die Beantwortung der Frage, wann ein Arzneimittel eingenommen werden soll, darf jedoch nicht leichtfertig erfolgen, da im Einzelfall der Erfolg und die Sicherheit der me-dikamentösen Therapie entscheidend vom Applikationszeitpunkt bestimmt sein kann. Dazu soll dieses Buch einen Beitrag liefern. Es ist allerdings kaum möglich und wohl auch nicht sinnvoll, eine vollständige Übersicht über alle möglichen Wechselwirkungen von Arzneimitteln mit der Nahrungsaufnahme in einem Buch geben zu wollen. Vielmehr werden die durch Nahrungsaufnahme veränderten physiologischen Bedingungen im Gastrointestinaltrakt dargestellt, die für die Freisetzung und die anschließende Resorp-tion von entscheidender Bedeutung sind. Damit soll auch das Verständnis für mögliche Interaktionen geweckt werden.

Die in diesem Buch gegebenen Einnahmehinweise einschließlich der Tabelle »Einnah-meempfehlungen« beruhen in der Regel auf den entsprechenden Angaben in der Fachin-formation des jeweiligen Arzneimittels. Die Aktualität der Angaben zum Einnahmemodus kann jedoch nicht garantiert werden, da die Fachinformationen immer wieder überarbeitet werden, allerdings eher selten die Einnahmehinweise. Leider sind bisweilen die Angaben zum Einnahmemodus in den Fachinformation und der Gebrauchsinformationen unter-schiedlich. Um den Patienten nicht zu verunsichern, sollten deshalb Arzt und Apotheker sowohl Fachinformation als auch Gebrauchsinformation kennen, um zu vermeiden, dass widersprüchliche Einnahmehinweise gegeben werden.

Für die großzügige Überlassung von Literatur und die Erlaubnis, sein im Jahr 2000 letztmals im Govi-Verlag erschienenes Buch »Arzneimittel richtig einnehmen: Wechsel-wirkungen zwischen Medikamenten und Nahrung« als Grundlage heranzuziehen, danken wir Herrn PD Dr. Horst Wunderer ausdrücklich. Wir hoffen, dass dieses Buch dem Leser eine wertvolle Unterstützung bei der Beratung von Patienten über die richtige Einnahme von Arzneimitteln gibt. Für Hinweise auf Fehler oder Verbesserungsvorschläge sind wir stets offen und dankbar.

Greifswald und Berlin, im April 2014 Werner Weitschies Wolfgang Mehnert

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Änderungsdatum: 20.11.2015 Ausgabedatum: 20.11.2015 Status: Imprimatur Seite 7

Inhaltsverzeichnis

1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2. Grundlagen der Physiologie des Verdauungstraktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152.1. Die Mundhöhle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162.2. Die Speiseröhre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172.3. Der Magen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182.4. Der Dünndarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252.5. Der Dickdarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

3. Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln und Nahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313.1. Pharmakodynamische Wechselwirkungen durch Nahrungsbestandteile . . . . . . 35

3.1.1 Tyramin und MAO-Hemmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353.1.2 Vitamin K und orale Antikoagulantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373.1.3 Lakritze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383.1.4 Alkohol und Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

3.2. Pharmakokinetische Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403.2.1 Einfluss von Nahrung auf das Ausmaß der Resorption von Arzneistoffen:

Das Biopharmazeutische Klassifizierungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40Arzneistoffe der BCS-Klasse 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42Arzneistoffe der BCS-Klasse 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43Arzneistoffe der BCS-Klassen 3 und 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

3.2.2 Hemmstoffe der Metabolisierung / Einfluss auf Transportersysteme . . . . 44Intestinales CYP3A4-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45Effluxtransporter P-Glykoprotein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45Aufnahmetransporter OATP1A2 (organischer Anionentransporter) . . . . . . . . 46Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46Praktische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

3.2.3 Interaktionen mit Nahrungsbestandteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49Gerbstoffe und Ballaststoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50Milch, Milchprodukte und Mineralwässer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50Bisphosphonate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51Gyrasehemmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52Tetracycline . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53Levothyroxin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54Dimercapto-1-propionsulfonsäure, DMPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55Estramustin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56Eltrombopag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

3.2.4 Interaktionen mit der Physiologie des Gastrointestinaltrakts . . . . . . . . . . . 57Passage durch die Speiseröhre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57Magenpassage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

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8 Inhaltsverzeichnis

3.2.5 Einnahme nüchtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59Schnell freisetzende Arzneiformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60Modifiziert freisetzende Arzneiformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

3.2.6 Einnahme zu Beginn, mit oder nach der Mahlzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65Schnell freisetzende Arzneiformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65Positive Food-Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67Negative Food-Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69Verhinderung von Food-Effekten durch galenische Maßnahmen . . . . . . . . . . 70

3.2.7 Einnahme von modifiziert freisetzenden Arzneiformen mit Nahrung . . . . 70Monolithe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70Multipartikuläre Arzneiformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

3.2.8 Arzneiformen mit Kombinationen von Wirkstoffen oder Freisetzungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76Feste Wirkstoffkombinationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76Retardformen mit Initialanteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

3.2.9 Einhaltung circadianer Rhythmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

4. Besonders erklärungsbedürftige Darreichungsformen und Arzneimittel . . . . . . 814.1. Arzneimittel zur Anwendung in der Mundhöhle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

4.1.1 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82Glyceroltrinitrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82Midazolam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82Ondansetron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82Desmopressin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82Psychopharmaka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83Migränetherapeutika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83Loperamid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83Desloratadin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83Vardenafil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84Opiate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

4.2. Orale Zytostatika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 864.2.1 Alkylierende Zytostatika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

Cyclophosphamid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91Trofosfamid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91Melphalan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93Chlorambucil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93Busulfan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93Treosulfan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94Lomustin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94Procarbazin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94Temozolomid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

4.2.2 Antimetabolite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95Methotrexat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95Mercaptopurin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96Tioguanin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97Tegafur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98Capecitabin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

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9 Inhaltsverzeichnis

4.2.3 Topoisomerase-Hemmstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99Topotecan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99Etoposid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

4.2.4 Mitosehemmstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101Vinorelbin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

4.2.5 Zytostatisch wirksame Antibiotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101Idarubicin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

4.2.6 Hormone und Hormonantagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101Tamoxifen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101Anastrozol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101Letrozol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102Exemestan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102Megestrolacetat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102Cyproteronacetat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102Bicalutamid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

4.2.7 Kinaseinhibitoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103Dasatinib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104Erlotinib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105Gefitinib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106Imatinib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106Lapatinib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106Nilotinib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107Pazopanib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109Sorafenib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109Sunitinib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110Vandetanib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110Vemurafenib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110Everolimus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111Bosutinib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111Afatinib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111Ponatinib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112Crizotinib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112Axitinib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112Ruxolitinib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113Regorafenib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

4.2.8 Sonstige Zytostatika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113Hydroxycarbamid (Hydroyurea) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113Abirateronacetat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

5. Grundregeln zur Einnahme von Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

6. Empfehlungen zum Einnahmezeitpunkt – Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

Stichwortverzeichnis Kapitel 1–5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

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1. Einführung

Die Bioverfügbarkeit eines Wirkstoffes ist ein wichtiges Qualitätsmerkmal für Arzneimit-tel, denn sie beeinflusst Erfolg und Sicherheit der medikamentösen Therapie. Unter dem Begriff »Bioverfügbarkeit« versteht man das Ausmaß und die Geschwindigkeit, mit der ein Arzneistoff nach Applikation einer Darreichungsform in das Blut gelangt oder am Wir-kort auftritt. Die Bioverfügbarkeit wird anhand von Plasmakonzentrations-Zeit-Verläufen bestimmt (siehe Abbildung 1). Als Maßzahlen für die Bioverfügbarkeit werden die Fläche unter der Plasmakonzentrations-Zeit-Kurve (Area Under the Curve, Abkürzung: AUC) sowie deren Maximum (cmax) und der Zeitpunkt des Auftretens des Maximums (tmax) herangezogen. Nach oraler Gabe wird die Bioverfügbarkeit durch die Freisetzung aus der Darreichungsform (Liberation), der Resorption aus dem Gastrointestinaltrakt (Absorption), der Verteilung im Organismus (Distribution), der Metabolisierung und der Ausscheidung (Elimination) bestimmt (LADME-Modell). Das Verhältnis der nach intravenöser Gabe eines Arzneistoffs gemessenen AUC zu der AUC nach oraler Gabe wird als absolute Bioverfüg-barkeit bezeichnet. Sie wird zumeist in Prozent angegeben und beschreibt die Resorptions-quote. Das Verhältnis der AUCs nach oraler Gabe zweier unterschiedlicher Formulierungen desselben Arzneistoffs in der gleichen Dosierung, beispielsweise einer Tablette und einer Lösung, wird als relative Bioverfügbarkeit bezeichnet. Die relative Bioverfügbarkeit ist insbesondere ein Maß für die pharmazeutische Qualität einer Darreichungsform, sie ist deshalb ein äußerst wichtiger Parameter für die Beurteilung der Austauschbarkeit zweier wirkstoffgleicher Darreichungsformen im Rahmen der Bioäquivalenzuntersuchung. Leider ist die absolute Bioverfügbarkeit von Arzneistoffen oft nicht bekannt. Dies ist insbeson-dere dann der Fall, wenn aufgrund einer sehr geringen Wasserlöslichkeit keine parenteral applizierbare Lösung hergestellt werden kann.

Abb. 1: Plasmakonzentrations-Zeit-Verlauf mit den für die Bestimmung der Bioverfüg-barkeit maßgeblichen Parametern AUC (Area Under the Curve), Maximalkonzentration (cmax) und Zeitpunkt des Auftretens der Maximalkonzentration (tmax).

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12 Einführung

Die Resorption des Arzneistoffes sollte möglichst vollständig und mit der für die The-rapie erforderlichen Geschwindigkeit erfolgen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist es, dass der Arzneistoff im Gastrointestinaltrakt an der richtigen Stelle mit dem gewünschten zeitlichen Verlauf in gelöster Form für die Resorption zur Verfügung gestellt wird. Um dies zu gewährleisten, werden Arzneistoffe formuliert, das heißt in eine oral applizierbare Darreichungsform mit den gewünschten Eigenschaften der Arzneistofffreisetzung über-führt. Die gewünschten Eigenschaften werden durch die Wahl der Arzneiform (z.B. Kapsel, Pulver, Tablette) und ihrer Eigenschaften (z.B. schnell freisetzend, magensaftresistent oder retardiert) erreicht. Arzneimittel sind deshalb nahezu ausschließlich Formulierungen von Arzneistoffen und nicht reine Arzneistoffe.

Aber selbst ein in der Formulierung ausgereiftes Arzneimittel gewährleistet nicht immer eine optimale und sichere Wirkung. Äußere Faktoren können für die Bioverfügbarkeit eben-falls von Bedeutung sein. So kann die mit dem Arzneimittel gleichzeitig aufgenommene Nahrung den Plasmakonzentrations-Zeit-Verlauf prinzipiell durch eine Beeinflussung der Freisetzung, Resorption, Metabolisierung oder auch der Exkretion verändern. Von beson-derer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang vor allem Veränderungen der Freisetzung und Resorption. Weiterhin können – in allerdings sehr seltenen Fällen – Nahrungsmittel selbst eine pharmakologische Wirkung ausüben, so dass ein antagonistischer oder auch synergistischer Effekt auftreten kann.

Obwohl etwa 75 % aller Arzneimittel peroral verabreicht werden, wird der Frage, wie sie eingenommen werden müssen, um eine optimale Wirksamkeit zu gewährleisten, häufig nur wenig Bedeutung beigemessen. Im Jahre 1977 fasste Welling erstmals die Kenntnisse über die Auswirkungen von Nahrungsaufnahme auf die Bioverfügbarkeit zusammen und stellte fest, dass von den zu diesem Zeitpunkt 55 auf Nahrungsinteraktionen untersuch-ten Arzneimitteln bei lediglich vier keine Beeinflussung auftrat [Welling, 1977]. Seither ist eine sehr große Anzahl von Untersuchungen zu dieser Fragestellung veröffentlicht worden. Mitunter werden jedoch unterschiedliche, teilweise widersprüchliche Ergebnisse berichtet. Dies weist auf die hohe Zahl an Einflussfaktoren hin, wie beispielsweise Art und Menge der verwendeten Nahrung, Zeitpunkt der Arzneimittelapplikation in Relation zur Nahrungsaufnahme, Flüssigkeitsaufnahme, Untersuchungsmethoden sowie eingesetzte Arzneiformen. Verallgemeinernde Regeln sind deshalb in vielen Fällen nicht möglich, der Einfluss von Nahrung muss deshalb für jeden Arzneistoff, auch in Abhängigkeit von sei-ner Darreichungsform, in aufwendigen Bioverfügbarkeitsuntersuchungen am Menschen geprüft werden.

Durch gleichzeitige Nahrungsaufnahme verursachte Veränderungen der Plasmakon-zentrations-Zeit-Verläufe im Plasma müssen allerdings nicht notwendigerweise zu einer Beeinflussung der Wirkung führen. Gleichzeitig durchgeführte pharmakodynamische Un-tersuchungen und deren Korrelation zu pharmakokinetischen Parametern sind jedoch selten, so dass eine endgültige Beurteilung der Auswirkungen der gleichzeitigen Gabe von Arzneimitteln mit Nahrung auf die Arzneimittelwirkung oft nicht sicher möglich ist.

Mit zunehmender Anwendungsdauer eines Arzneistoffs wird derselbe Arzneistoff häufig in unterschiedlichen Darreichungsformen eingesetzt. Diese können sich in ihrer

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13Einführung

Zusammensetzung, der Art und Dauer der Anwendung, ihrer Haltbarkeit, aber auch in ihrem Wirkungseintritt, ihrer Wirkungsdauer oder ihrer Wirkungsintensität unterscheiden.

In Anbetracht der vielen unterschiedlichen Darreichungsformen für wirkstoffgleiche Arzneimittel ist es naheliegend, dass auch die Art der Anwendung für die jeweiligen Arzneimittel durchaus unterschiedlich sein kann oder sogar sein muss. Diese allgemeine Feststellung gilt nicht nur für wirkstoffgleiche Arzneimittel mit unterschiedlichem Appli-kationsort, sondern auch für peroral anzuwendende wirkstoffgleiche Darreichungsformen mit unterschiedlichen Freisetzungseigenschaften oder auch nur unterschiedlicher Herstel-lungstechnologie.

In den Gebrauchsinformationen für die Patienten und den Standardinformationen für Fachkreise finden sich leider oft wenig präzise Angaben zur richtigen Einnahme fester Arz-neiformen. So wird häufig die Einnahme mit einer ausreichend großen Menge an Wasser empfohlen, ohne auszuführen, was eine ausreichende Menge ist. In welchem zeitlichen Abstand zur Nahrungsaufnahme die Arzneimitteleinnahme zu erfolgen hat, ist ebenfalls oft nicht eindeutig angegeben (siehe die in der Abbildung 2 aufgeführten Angaben in den Fachinformationen oraler Zytostatika). Neben dieser oft unpräzisen Beschreibung des optimalen Einnahmezeitpunktes in den Gebrauchs- und Fachinformationen der Arznei-mittelhersteller sind zudem gerade in der pharmakologischen Fachliteratur häufig nur Einnahmeempfehlungen für Arzneistoffe zu finden. Die Bedeutung der Darreichungsform für den optimalen Einnahmezeitpunkt wird hier in der Regel überhaupt nicht in die Be-trachtungen einbezogen.

mit reichlichFlüssigkeit

während oder kurznach einerMahlzeit

im nüchternenZustand

mit ausreichendFlüssigkeit

mit einerMahlzeit 30 min vor

dem Essen

1 h vor oder 1 hnach dem Essen

unabhängig vonden Mahlzeiten

möglichstnicht mit einer

Mahlzeit vorzugsweise nacheiner Mahlzeit

1 h vor oder 2 hnach dem Essen

Abb. 2: Angaben zum Einnahme-zeitpunkt in den Fachinformationen oraler Zytostatika.

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14 Einführung

Für eine sachgerechte Beratung von Patienten über die richtige Einnahme von Arz-neimitteln ist ein ausreichendes Wissen um mögliche Wechselwirkungen zwischen dem enthaltenen Arzneistoff sowie der vorliegenden Arzneiform mit Nahrung oder Nahrungs-bestandteilen sowie der gastrointestinalen Physiologie von grundlegender Bedeutung. Deshalb wird im Folgenden die Physiologie des Gastrointestinaltrakts soweit beschrieben, wie es für das Verständnis des Verhaltens von Arzneimitteln im Gastrointestinaltrakt er-forderlich scheint.

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2. Grundlagen der Physiologie des Verdauungstraktes

Der Verdauungstrakt (Gastrointestinaltrakt, GI-Trakt) ist in die Abschnitte Mund-Rachen-Raum (Oropharynx), Speiseröhre (Ösophagus), Magen (Gaster, Ventriculus), Dünndarm (Intestinum tenue) und Dickdarm (Intestinum crassum) untergliedert (Abbildung 3). In den Gastrointestinaltrakt münden Ausführungsgänge der Mundspeicheldrüsen, des Pankreas und der Leber. Die Hauptaufgabe des Verdauungstraktes ist der Aufschluss der Nahrung in resorbierbare Bestandteile, deren Aufnahme in den Körper sowie die Speicherung der Nahrung. Ferner spielt der Gastrointestinaltrakt für die Aufrechterhaltung des Flüssigkeits-

Speicheldrüsen- Ohr- Unterkiefer- Unterzungen

MundhöhleRachen

Zunge

Speiseröhre

Leber

Gallenblase

Zwölffingerdarm

HauptgallengangBauchspeichel-

drüsengang

Magen

Appendix

Blinddarm

Grimmdarm- querverlaufender- aufsteigender- absteigender

Enddarm

Anus

Dünndarm

Bauchspeicheldrüse

Abb. 3: Der Gastro-intestinaltrakt.

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16 Grundlagen der Physiologie des Verdauungstraktes

haushaltes des Körpers neben der Niere eine zentrale Rolle. Weitere wichtige Aufgaben des Gastrointestinaltrakts sind die Rückresorption von endogenen Molekülen wie Gallensäuren und Elektrolyten, die Aufrechterhaltung der Peristaltik zum Transport des Darminhaltes, die Abwehr von Pathogenen mittels spezifischer und unspezifischer Abwehrmechanismen sowie die Toleranzentwicklung gegen Nahrungsbestandteile und Antigene der Darmflora.

2.1. Die Mundhöhle

In der Mundhöhle wird die Nahrung zerkaut und durch Befeuchtung mit Speichel in einen gleitfähigen Zustand überführt. Der Speichel wird im Wesentlichen von den drei großen paarig angelegten Speicheldrüsen produziert (siehe Abbildung 4). Daneben finden sich auch noch kleinere Speicheldrüsen verteilt über die Mundschleimhaut und die Zunge. Täg-lich werden ungefähr 1–1,5 L Speichel produziert. Der Speichelfluss liegt im Ruhezustand bei etwa 0,1–0,5 mL/min und steigt durch Nahrungsstimulation auf bis zu 10 mL/min an. Die Basalsekretion wird zu 70 % durch die Unterkieferdrüse, zu 25 % durch die Ohrspei-cheldrüse und zu 5 % durch die Unterzungendrüse gewährleistet. Nach Stimulation durch Nahrungsaufnahme liegen die entsprechenden Anteile bei 63 %, 34 % und 3 %.

Der Speichel setzt sich aus Wasser, Elektrolyten (vor allem Na+, K+, Cl- und HCO3-),

α-Amylase und weiteren Makromolekülen wie Glykoproteine, Mucin, Lysozym, Immun-globulin A, Lactoferrin und auch Wachstumsfaktoren zusammen. Der Speichel dient damit neben der Befeuchtung des Speisebolus insbesondere auch der oralen Hygiene. Er leitet durch die enthaltene α-Amylase die Kohlenhydratverdauung ein und wirkt durch die Wachstumsfaktoren schützend für die Schleimhäute von Mund, Speiseröhre, Magen und Dünndarm [Pedersen et al., 2002; Rao et al., 1997].

Weder der osmotische Druck noch der pH-Wert des Speichels sind konstant, sie sind vielmehr von der Sekretionsrate abhängig. Der zunächst in den Drüsen gebildete Primär-speichel ist isoton gegenüber Blutplasma. Bei Ruhesekretion wird er in den relativ langen Ausführungsgängen auf dem Weg zur Mundhöhle durch Elektrolyttransport hypoton mit einer Osmolalität von ungefähr 100 mosmol/kg. Nach Stimulation durch Nahrungs-aufnahme steigt mit steigender Sekretionsrate die Osmolalität des Mundspeichels auf nahezu plasmaisotone Werte an, da die zum Elektrolyttransport zur Verfügung stehende Zeit abnimmt. Eventuell kommt es auch zu einer Sättigung der Transporterkapazität. Der pH-Wert des Mundspeichels liegt im Basalzustand bei pH 6,5 bis pH 6,9 und steigt nach Stimulation auf pH 7,2.

Die gesamte Oberfläche der Mundhöhle beträgt ungefähr 100 cm2 und damit weniger als 0,1 Promille der Dünndarmschleimhaut. Entsprechend gering ist die Resorption von Nahrungsbestandteilen und auch den meisten Arzneistoffen durch die Mundschleimhaut ausgeprägt. Neben der geringen Resorptionsfläche wirkt auch die Struktur der Mund-schleimhäute der Resorption entgegen. Während das Stratum corneum als oberste Schicht des Plattenepithels der Mundschleimhaut im Bereich des Gaumens und Zahnfleisches stark ausgebildet ist und deshalb wie die Epidermis der Haut für Arzneistoffe in nur sehr

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Die Speiseröhre 17

geringem Ausmaß permeabel ist, sind im Bereich der Beckentaschen (Bukkalschleimhaut) und vor allem unterhalb der Zunge (Sublingualschleimhaut) weniger keratinisierte Zellen vorhanden, so dass in diesen Bereichen deutlich bessere Voraussetzungen für die Resorp-tion von Arzneistoffen bestehen. Die Dicke der Sublingualschleimhaut beträgt im Mittel ungefähr 150 µm, die der Bukkalschleimhaut etwa 550 µm. Hinsichtlich der Resorption von Arzneistoffen ist allerdings von Vorteil, dass in der Mundschleimhaut praktisch kein Arzneistoffmetabolismus auftritt und die ableitenden Blutgefäße in die Halsvene münden und damit ein First-Pass-Effekt nach Resorption der Arzneistoffe nicht auftreten kann.

2.2. Die Speiseröhre

Der Ösophagus ist ein ungefähr 25 cm langer muskulärer Schlauch, der dem Transport des Speisebreis aus dem Mund in den Magen dient. Der von den in der Schleimhaut befindlichen Drüsen produzierte Schleim enthält keine Verdauungsenzyme und dient ausschließlich dem Schutz des Epithels. Die Speiseröhre ist weder an Verdauungsprozes-sen noch an der Resorption von Nahrungsbestandteilen oder Arzneistoffen beteiligt. Die Geschwindigkeit der Passage von Nahrungsstücken oder festen Arzneiformen durch die Speiseröhre ist von der Körperhaltung, dem Volumen der mitgeschluckten Flüssigkeit, vom Lebensalter sowie von der Größe, Dichte, Form und Konsistenz der geschluckten Objekte abhängig [Gallo et al., 1996; Perkins et al., 1994; Robertson & Hardy, 1988; Osmanoglou et al., 2004].

Ohrspeicheldrüse

Unterzungendrüse

Unterkieferdrüse

Abb. 4: Die Speicheldrüsen.

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18 Grundlagen der Physiologie des Verdauungstraktes

Das Einnehmen fester Arzneiformen im Liegen führt häufig zum Hängenbleiben der Medikamente in der Speiseröhre, was der Patient allerdings nicht spürt [Gallo et al., 1996; Osmanoglou et al., 2004]. Dieses Hängenbleiben tritt bevorzugt im mittleren Teil des Ösophagus auf, weil die Speiseröhre im Bereich der Luftröhrengabelung eine Engstelle aufweist [Wienbeck et al., 1988].

2.3. Der Magen

An den Ösophagus schließt sich der Magen an (siehe Abbildung 5). Seine wesentlichen Funktionen sind die Speicherung, Durchmischung und Vorverdauung von Nahrung. Wie der Ösophagus ist der Magen kein Resorptionsorgan. Weder Nahrungsbestandteile noch Arzneistoffe werden aus dem Magen in nennenswerten Mengen aufgenommen. Der Magen wird in die Abschnitte Kardia (Mageneingang), Fundus (Magenkuppel), Korpus (Magenkörper), Antrum und Pylorus (Magenpförtner) unterteilt. Der Fundus und der obere Teil des Korpus dienen vorwiegend der Speicherung von Nahrung. Vor allem der Fundus dehnt sich bei Nahrungsaufnahme stark aus (siehe Abbildung 6).

Im oberen Teil des Magens gespeicherter Speisebrei (Chymus) wird wenig durchmischt, da am Fundus und am oberen Teil des Korpus keine peristaltischen Wellen auftreten.

Kardia

Fundus

Pylorus

Antrum

Korpus

klein

eKu

rvat

ur

groß

eKu

rvat

ur

Abb. 5: Der Magen.

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Der Magen 19

In diesem proximalen Bereich des Magens wird in Folge einer durch Nahrungs- oder Flüssigkeitsaufnahme ausgelösten Wanddehnung eine anhaltende und dem jeweiligen Füllungszustand angepasste Wandspannung aufgebaut. Nahrung kann so über viele Stun-den gespeichert werden, ohne dass der Druck im Mageninneren merklich ansteigt. Das Fassungsvolumen des Magens beträgt etwa 1,5 L.

Im Speicherbereich des Magens kann nach Einnahme von fester Nahrung eine Separa-tion des Mageninhalts in zumindest eine fettreiche und eine fettarme Phase beobachtet werden (siehe Abbildung 6b). Im Bereich des Korpus wird der Speisebrei durch peristalti-sche Kontraktionen mit einer Grundfrequenz von drei Wellen pro Minute in das Antrum geschoben. Bei geschlossenem Pylorus wird der Brei dann durch das Antrum zurück in Richtung Korpus gestoßen. Die dabei auftretenden Kräfte führen zur Zerkleinerung und Durchmischung des Mageninhaltes. Dieser Mechanismus der Partikelzerkleinerung durch die Muskulatur des Antrums ist auch als »Antrummühle« bekannt (Abbildung 7). Die Magenentleerung von Speisebrei erfolgt schließlich durch koordinierte Bewegungen der Muskulatur von Antrum und Pylorus. Bei diesem als »gastric sieving« bezeichneten Vorgang (Abbildung 7) wird nicht eine eindeutig definierte Partikelgröße zurückgehalten, vielmehr hängt die Größe der noch aus dem Magen entleerten Objekte (Nahrungsstücke oder auch Arzneimittel) von der Viskosität des Speisebreis und der Dichte der Objekte ab. Als Grenzwert für die Magenentleerung wird zumeist ein Partikeldurchmesser von 1–3 mm angenommen. Ein Einfluss der Form der im Speisebrei befindlichen Feststoffpartikel auf ihre Magenentleerung konnte bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden. Die in den Zwölffingerdarm (Duodenum) entleerten Portionen haben typischerweise ein Volumen von 2–5 mL. Durch das »gastric sieving« werden für die Verdauung im Dünndarm noch zu große Nahrungsstücke zurückgehalten und weiter dem Mahlvorgang durch die Antrum-mühle unterworfen.

In der Regel wird von einer Ausschlussgröße für die Magenentleerung während der Verdauung von 1 mm bis maximal 3 mm ausgegangen. Bei im Magen nicht zerfallenden Granulaten und Pellets wird meist eine Partikelgröße von 2 mm als obere Grenze für die

Abb. 6: Größenvergleich des Magens (MRT Bilder). a) Nüchtern. b) Nach Mahlzeit (Quelle: W. Weitschies).

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20 Grundlagen der Physiologie des Verdauungstraktes

Magenentleerung zusammen mit dem Speisebrei angegeben, bei hoher Viskosität des Speisebreis oder geringer Dichte der Partikel kann es allerdings auch vorkommen, dass gelegentlich auch größere Objekte mit Durchmessern von bis zu 4 oder 5 mm mit dem Speisebrei entleert werden. Noch größere Partikel werden in aller Regel nicht mit dem Speisebrei aus dem Magen entleert. Sie werden vielmehr zurückgehalten, bis der Magen vollständig von Speisebrei entleert ist. Diese Größenabhängigkeit der Magenentleerung aus dem mit Speisebrei gefüllten Magen ist für die Magenentleerung von Darreichungs-formen von maßgebender Bedeutung. Tabletten und Kapseln sind in aller Regel größer als die Ausschlussgrenze für die Magenentleerung von Partikeln des Speisebreis. Wenn Tabletten oder Kapseln im Mageninhalt nicht in kleinere Partikel zerfallen, werden sie im Magen zurückgehalten, bis der Speisebrei komplett entleert ist. Die Auswirkungen dieses physiologischen Siebvorgangs für die korrekte Einnahme von nicht zerfallenden Darrei-chungsformen (sogenannten Monolithen) werden im Abschnitt 3.2.4 dargestellt.

Die Geschwindigkeit der Entleerung des Speisebreis ist unter anderem abhängig vom Kaloriengehalt der Mahlzeit (je höher der Kaloriengehalt, desto langsamer), dem jeweiligen Kalorienbedarf (je höher der Kalorienbedarf, desto schneller), dem pH-Wert (saurer Chy-mus wird langsamer entleert als neutraler Chymus), dem osmotischen Druck (hypertoner Chymus wird langsamer entleert als hypotoner Chymus) und der Konzentration an Glukose im Plasma (oberhalb einer Glukosekonzentration von 8 mmol/L kommt es zur Hemmung der Magenentleerung).

Entleerungsphase Retropulsionsphase

Wellenausbreitung Wellenausbreitung

Antrum - Kontraktionswelle 1

Antrum -Kontraktions-welle 2

Abb. 7: Der Siebvorgang bei der Magenentleerung von Nahrung. Nur kleine, ausreichend zerklei-nerte Partikel werden zusammen mit flüssigem Mageninhalt über den Pylorus in den Dünndarm entleert. Noch zu große Partikel werden in das Antrum des Magens zurückbefördert, wobei sie durch die auftretenden Scherkräfte (»Antrummühle«) weiter zerkleinert werden [nach: Koziolek et al., 2013].

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Der Magen 21

Richtwerte für die Dauer der Magenentleerung lassen sich aus nuklearmedizinischen Untersuchungen ableiten. Nach einem leichten fettarmen radioaktiv markierten Frühstück, bestehend aus gekochtem Hühnereiweiß (entsprechend zwei großen Eiern), zwei Scheiben Toastbrot, 30 g Marmelade und 120 mL Wasser (255 kcal), sind nach 1 h höchstens 90 %, nach 2 h höchstens 60 % und nach 4 h maximal 10 % der Mahlzeit noch im Magen [Abell et al., 2008]. In Abbildung 8 sind Werte für die Magenentleerung dieser Standardmahlzeit nach Geschlecht aufgeschlüsselt wiedergegeben [Tougas et al., 2000]. Für die von der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA für klinische Studien zur Untersuchung des Einflusses gleichzeitiger Nahrungsaufnahme auf die Pharmakokinetik angeführte Stan-dardmahlzeit mit 1000 kcal und einem Fettanteil von mehr als 50 % wurde bei gesunden Probanden beobachtet, dass für eine vollständige Magenentleerung mehr als 6 Stunden benötigt werden [Koziolek et al., 2014]. Dies ist auch in guter Übereinstimmung mit den in der Literatur berichteten mittleren Magenentleerungsraten im Bereich von 2 bis 4 kcal/min [Calbet & MacLean, 1997].

Nach oder während einer Mahlzeit aufgenommene Flüssigkeit kann unter Umständen am gespeicherten Speisebrei vorbei zügig in Richtung des Pylorus abtransportiert werden [Koziolek et al., 2014]. Dieser Mechanismus wird als Magenstraße bezeichnet. Simulati-onsrechnungen zeigen, dass dies zu einer Magenentleerung von Flüssigkeiten durch einen mit Speisebrei gefüllten Magen innerhalb von ungefähr 10 Minuten führen kann [Pal et al., 2007]. Diese Beobachtung ist ein weiteres Indiz dafür, dass für eine schnelle Anflutung eines Arzneistoffs auch unter postprandialen Bedingungen die Einnahme mit möglichst viel Wasser erfolgen sollte.

Im leeren Magen treten, wie auch im leeren Dünndarm, nach längeren Ruhephasen periodisch wiederkehrend motorische Aktivitäten auf, die als interdigestiver wandernder myoelektischer Komplex (englisch: interdigestive migrating myoelectric complex, Abkür-

Abb. 8: Standardwerte der nuklearmedizini-schen Bestimmung der Magenentleerung eines leichten Frühstücks (255 kcal) bei Män-nern und Frauen (nach [Tougas et al., 2000]).

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22 Grundlagen der Physiologie des Verdauungstraktes

zung: IMMC) bezeichnet werden. Die Zyklen des IMMC sind in Abbildung 9 schematisch dargestellt. Die Phase 1 ist eine Ruhephase. In der anschließenden Phase 2 tritt zunehmend eine motorische Aktivität auf. In der Phase 3 treten dann starke Kontraktionen der Musku-latur beginnend im Korpus auf, die sich in Richtung Dünndarm fortpflanzen und auch als »housekeeping waves« bezeichnet werden. Sie dienen vermutlich der »Generalreinigung« des Magens und Dünndarms von unverdaulichen Objekten. Während der Kontraktionen des IMMC werden nicht nur vom Magen nicht zerkleinerbare Nahrungsbestandteile und verschluckte Fremdkörper entleert, sondern durch diesen Mechanismus werden auch alle Arzneiformen aus dem Magen entleert, die nicht in für die Entleerung mit dem Spei-sebrei ausreichend kleine Partikel zerfallen sind. Am Ende der Phase 3 des IMMC klingt die motorische Aktivität innerhalb weniger Minuten wieder ganz ab. Diese Abklingphase wird gelegentlich auch als Phase 4 bezeichnet. Anschließend folgt wieder eine Ruhephase (Phase 1). Sobald Nahrung aufgenommen wird, endet der IMMC, unabhängig von der gerade stattfindenden Phase. Er setzt beginnend mit einer Phase 1 wieder ein, nachdem der Magen vollständig von Speisebrei entleert ist.

Das Trinken kalorienfreier Flüssigkeiten (wie Wasser) auf nüchternen Magen führt nicht zur Unterbrechung des IMMC. Die Flüssigkeit wird vielmehr nach einer Kinetik erster Ordnung mit Halbwertszeiten im Bereich von 5 bis 20 Minuten entleert. Die Variabilität der Geschwindigkeit der Magenentleerung ist bei kleinen Trinkvolumen (z.B. 50 mL) höher als bei größeren Volumen (> 200 mL) [Oberle et al., 1990]. Dagegen wird durch kalorische Flüssigkeiten der IMMC unterbrochen und die Geschwindigkeit der Magenentleerung sinkt. In Abbildung 10 ist die mittlere Magenentleerung von jeweils 575 mL mittels einer Magen-sonde über einen Zeitraum von 20 Minuten appliziertem radioaktiv markiertem Wasser mit und ohne Zusatz von 10 % der Disaccharide Saccharose und Maltose in einer Untersu-chung an 12 Probanden gezeigt [Lavin et al., 2002]. Während das reine Wasser 40 Minuten

Phase 1(ca. 45-60 min)

Phase 2(ca. 30 min)

Phase 3(ca. 5-15 min)

1 min

Abb. 9: Die wesentlichen Phasen der Nüchternmotilität des Magens, die zusammen den interdi-gestiv wandernden myoelektischen Komplex (IMMC) bilden.

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Der Magen 23

nach Versuchsbeginn, das heißt 20 Minuten nach Beendigung der Instillation durch die Sonde, größtenteils schon wieder aus dem Magen entleert ist, dauert die Magenentlee-rung der beiden Disaccharidlösungen erheblich länger und folgt weitgehend einer Kinetik nullter Ordnung. Diese Untersuchung zeigt auch, dass nicht nur der Energiegehalt der Nahrung, sondern auch ihre Zusammensetzung von Bedeutung für die Geschwindigkeit der Magenentleerung ist. Saccharose und Maltose weisen zwar denselben Energiegehalt auf, jedoch besteht Maltose aus zwei Glukosemolekülen, während Saccharose ein Dimer aus Glukose und Fruktose ist. Die Geschwindigkeit der Magenentleerung von Fruktose ist bei gleichem Kaloriengehalt und gleicher Osmolarität allerdings höher als bei Glukose [Sole & Noakes, 1989].

Bei regelmäßiger Nahrungsaufnahme von drei Hauptmahlzeiten (Frühstück, Mittages-sen, Abendessen) und eventuell noch einer kleinen Zwischenmahlzeit sowie dem Trinken kalorischer Flüssigkeiten über den Tag ist davon auszugehen, dass der Magen während des Tages die allermeiste Zeit mit Speisebrei gefüllt ist und damit ein IMMC nicht auf-tritt. Nüchternbedingungen für die Arzneimitteleinnahme sind sicher nur in den späten Nachtstunden bis zum Morgen vor dem Frühstück zu erwarten. Je nach Zeitpunkt, An-zahl und Umfang der Mahlzeiten und individuellem Kalorienbedarf ist darüber hinaus ein Nüchternzustand unter Umständen für ein bis zwei Stunden vor dem Mittagessen und eventuell auch für ein bis zwei Stunden vor dem Abendessen denkbar. Die häufig anzutreffende Annahme, dass eine Arzneimitteleinnahme eine oder zwei Stunden nach einer Mahlzeit gleichbedeutend mit einer Einnahme unter nüchternen Bedingungen ist, ist nicht nachzuvollziehen. Selbst nach einem leichten Frühstück trifft dies sicher nicht zu (siehe Abbildung 8).

Einige Arzneistoffe beeinflussen die Geschwindigkeit der Magenentleerung. So wird durch prokinetisch wirkende Arzneistoffe wie Erythromycin und Metoclopramid die Ma-genentleerung beschleunigt, während Opiate wie Morphin die Magenentleerung unter

Radioaktivität im Magen

Zeit (Minuten)

MaltoseSaccharoseWasser

100

80

60

40

20

0

0 30 60 90 120 150 180

Abb. 10: Magenentleerung von jeweils 575 mL Wasser, isotoner Saccharoselösung und isotoner Maltoselösung (nach [Lavin et al., 2002]).