weweibliciblicherher wewerdenrden Die PhilisDie Philis · 2020. 1. 23. · Das Klavier brüllt...

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29.03.2019 © PMG Presse-Monitor GmbH Abendzeitung München vom 29.03.2019 Autor: Michael Bastian Weiß Ausgabe: Hauptausgabe Seite: 27 Gattung: Tageszeitung Ressort: Kultur Auflage: 54.527 (gedruckt) 40.446 (verkauft) 43.866 (verbreitet) Wörter: 399 Urheberinformation: Alle Rechte vorbehalten - Abendzeitung München Verlags-GmbH Das Klavier brüllt furchteinflößend H ier ist alles Klang. So weich drückt Khatia Buniatishvi- li die Tasten, dass der Steinway in den ersten beiden Sätzen der letzten Klaviersonate B-Dur von Franz Schubert von jeder Körperlichkeit befreit scheint. Wie aus einer fernen, besseren Welt weht die Musik in das diesseitig knarzende und rum- pelnde Prinzregententheater. Meditative Tempi bringen den Fluss bisweilen annähernd zum Stillstand, das rhythmi- sche Moment verliert an Be- deutung, Nebenmotive ver- schwimmen zu bloßen Farben. Die Pianistin wirkt fast wie in Trance. Wenn Schubert in un- geahnte harmonische Regio- nen vorstößt, ist es so, als ob ein geheimnisvoller fremder Gast erschiene. Rein sachlich wird man diese hemmungslos klangverliebte Spielweise einseitig nennen müssen, und in den Pausen vernimmt man denn auch Kri- tik vom fachmännischen Publi- kum. Doch ist es dem Ausnah- mecharakter dieses visionären Werkes nicht angemessen, wenn man es so persönlich deutet und sich somit angreif- bar macht? Mindestens in zweierlei Hinsicht traut sich die Georgierin viel. Pianistisch: Der superfeine Anschlag pro- duziert zauberische Klänge, doch liegt es in der Natur der Sache, dass auch einmal ein Ton wegbleiben kann. Sei´s drum. Das ist allemal besser, als nur auf Sicherheit zu gehen. Und interpretatorisch: Die ra- dikale Stille ist schwer auszu- halten. Doch das Wagnis ge- lingt. Andächtig lauscht das Pu- blikum, wird immer ruhiger – und klatscht zweimal spontan nach den Sätzen. Eigentlich tut man das ja nicht, doch hier kommt der Applaus von Her- zen. Nach diesen Übungen in mu- sikalischer Metaphysik erlebt man die pianistischen Exzesse von Franz Liszt als Erleichte- rungen. In der Etüde nach Victor Hugos Verserzählung „Mazeppa“ entlädt sich die lan- ge aufgebaute Spannung. Auch, wenn sich Buniatishvili hals- brecherisch in diesen Todesritt stürzt, gibt sie doch nie ihre ab- gerundete Anschlagskultur auf: Der Steinway brüllt furcht- einflößend, ohne vorher ge- schlagen worden zu sein. Ein gewisses Showelement ist die- ser Musik eingeschrieben, und so kann es der Pianistin nie- mand ernsthaft verübeln, wenn sie drei populäre Lieder von Schubert in den Bearbei- tungen von Liszt auch optisch höchst dekorativ inszeniert. In „Gretchen am Spinnrade“ mimt sie förmlich das liebes- kranke junge Ding mit halbge- öffnetem Mund und abwesen- dem Blick, so, wie sie im Be- gleitheft ihrer neuen CD präraf- faelitische Gemälde mit schö- nen toten Mädchen nachstellt. Yuja Wang hat das nüchterner gespielt. Doch wenn man so in die Vollen geht, muss man es machen wie Khatia Bunia- tishvili. Michael Bastian Weiß Die neue CD mit der letzten So- nate von Franz Schubert sowie weiteren Werken des Komponis- ten ist auf Sony erschienen Khatia Buniatishvili mit Klaviermusik von Franz Schubert und Franz Liszt im Prinzregententheater Khatia Buniatishvili. Foto: Haase 1 / 1

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  • 29.03.2019© PMG Presse-Monitor GmbH

    Abendzeitung München vom 29.03.2019

    Autor: Michael Bastian Weiß Ausgabe: HauptausgabeSeite: 27 Gattung: TageszeitungRessort: Kultur Auflage: 54.527 (gedruckt) 40.446 (verkauft) 43.866 (verbreitet)

    Wörter: 399Urheberinformation: Alle Rechte vorbehalten - Abendzeitung München Verlags-GmbH

    So könnte die provisorische Philharmonie am Heizkraftwerk Süd aussehen. Eine genaue Planung gibt es noch nicht. Foto: gmp International GmbH

    Die PhilisDie Philiswerdenwerdenweiblicherweiblicher

    D er Chefdirigent denktglobal. Vom Intendan-ten Paul Müller gebe-ten, etwas zur kommendenSaison zu sagen, redet ValeryGergiev gleich über kommendeGastspiele in der New YorkerCarnegie Hall und in Asien. Vorallem China und die zahlrei-chen dort neu eröffneten Sälehaben es ihm angetan.

    Da denkt der misstrauisch ge-stimmte Beobachter durchaus anGergievs Münchner Konzerte, dieöfter an Generalproben für dennächsten Abend im Gasteig oderanderswo erinnern. Der weiteBlick hebt sich aber auch er-freulich von der kleinkariertenPerspektive mancher Lokalpo-litiker ab, die nicht sehen, dassder Umbau des Gasteig dieChance für ein gesteigertes Pu-blikumsinteresse birgt. Undweil Gergiev bei seinem360-Grad-Festival auch schonim Carl-Orff-Saal dirigiert hat,weiß er um die Not-wendigkeit, auchdiesen Raum umzu-bauen – zu einermultifunktionalenBühne. So wirkenGergiev, Paul Müllerund der Orchester-vorstand MatthiasAmbrosius erleich-tert über die Mehr-heit aus CSU, Grünenund Linken für dieGeneralsanierungdes Gasteig und ge-gen das von der SPD

    favorisierte Sparversion, beider sich nicht viel ändern wür-de. Sie rechnen damit, dass dasOrchester im Oktober 2021 indas Sendlinger Interimsquar-tier an der Hans-Preissinger-Straße umziehen kann. Hiersoll – neben Räumen für dieVolks- und Musikhochschulesowie die Stadtbibliothek –eine Interims-Philharmonie inSchuhschachtelform mit 1800Plätzen entstehen. Wie derRaum genau aussehen wird,steht noch nicht fest, die kur-sierenden Bilder sind vorläufi-ge Simulationen.

    In dieser Interimsspielstätte möch-te Gergiev die Aktivitäten für Kin-der und Jugendliche verstärken. Erdenkt dabei an halbszenischeAufführungen von Bühnenwer-ken, ähnlich der Aufführungvon Strawinskys „Petruschka“mit dem Mariinsky-Ballett St.Petersburg im Gasteig beimvergangenen 360-Grad-Festi-val. In der kommenden Saisonwird es eine ähnliche Versionmit Maurice Ravels Ballett„Daphnis und Chloe“ geben, ander auch der PhilharmonischeChor beteiligt wird. Ein weite-

    res Schmankerl des in den Ja-nuar verlegten Festivals ist derzweite Akt von Wagners „Tris-tan und Isolde“ mit Martina Se-rafin und Andreas Schager.

    Zu Beginn der Saison kom-plettiert Gergiev seinen Bruck-ner-Zyklus mit den Sympho-nien Nr. 6 und 7, die anschlie-ßend in St. Florian aufgenom-men werden. Der Chefdirigentsetzt seinen Schwerpunkt wei-ter beim deutschen und russi-schen Repertoire. Er steht aninsgesamt 37 Abenden am Pult,davon 21 in München und16-mal auf Reisen.

    Der von Andreas Herrmann geleite-te Philharmonische Chor ist in derkommenden Saison stärker betei-ligt. Außer in der obligatori-schen Neunten von Beethovenzum Jahreswechsel, die dies-mal Manfred Honeck dirigiert,wirkt er in Aufführungen vonMendelssohn Bartholdys „Lob-gesang“ (Thomas Hengel-brock), Händels „Messias“ (An-drew Manze) und Haydns „Nel-son-Messe“ (Omer Meir Well-ber) sowie in Jörg Widmannsanlässlich der Eröffnung derElbphilharmonie in Hamburg

    uraufgeführtemOratorium „Ar-che“ (Kent Naga-no) mit.

    In der nächstenSaison bieten diePhilharmonikervier Dirigentin-nen auf. NebenBarbara Hanni-gan, die MahlersVierte dirigierenund das Sopran-solo auch selbstsingen wird, sinddas Susanna

    Mälkki, Karina Cancellakis undOksana Lyniv. Weitere Gastdi-rigenten sind Andrea Marcon,Rafael Payare, Semyon Bych-kov, Francois-Xavier Roth undGustavo Gimeno. Der junge fin-nische Dirigent Klaus Mäkelagibt sein Debüt, Krzysztof Ur-banski dirigiert zwei Program-me, darunter die reizvolle Ver-bindung von Gustav Holsts„Die Planeten“ mit der „StarWars“-Suite von John Williams.

    Neue Musik ist bei den Phil-harmonikern traditionellschwächer vertreten. AndreasHaefliger spielt das neue Kla-vierkonzert des SchweizersDieter Ammann, Ksenija Sido-rova stellt das Akkordeonkon-zert „Winde des Sündens“ vonClaudia Montero vor, OmerMeir Wellber dirigiert die Ur-aufführung von Manfred Tro-jahns Symphonie Nr. 6.

    Die Auslastung der Konzerte be-trägt 84,5 Prozent – angesichtsder Größe des Gasteig ein ordentli-cher, aber nicht überragenderWert. 2013 lag sie noch bei 93Prozent. Auch bei den Abo-Plätzen gab es seither einenSchwund von 17 000 auf15 000. Es schadet daher nicht,die Attraktiviät zu steigern.Paul Müller berichtete, dass einKonzert beim 360-Grad-Festi-val in der Muffathalle von Leu-ten besucht worden sei, die ernoch nie im nahen Gasteig ge-sehen habe. Der Umzug an dieIsar ist daher eine Chance, diehoffentlich nicht verspieltwird, sollte der Gasteig nach ei-ner teuren Sanierung noch ge-nau so aussehen wie jetzt – wiees manch Politiker gern hätte,der an der falschen Stelle spa-ren will. Robert Braunmüller

    Was die MünchnerPhilharmoniker in derkommenden Saison mitValery Gergiev planen

    Intendant Paul Müller, Chefdirigent Valery Gergiev und Or-chestervorstand Matthias Ambrosius (v.l.). Foto: Antonia Visy

    Das Klavier brüllt furchteinflößend

    H ier ist alles Klang. So weichdrückt Khatia Buniatishvi-li die Tasten, dass der Steinwayin den ersten beiden Sätzen derletzten Klaviersonate B-Durvon Franz Schubert von jederKörperlichkeit befreit scheint.Wie aus einer fernen, besserenWelt weht die Musik in dasdiesseitig knarzende und rum-pelnde Prinzregententheater.

    Meditative Tempi bringen denFluss bisweilen annäherndzum Stillstand, das rhythmi-sche Moment verliert an Be-deutung, Nebenmotive ver-schwimmen zu bloßen Farben.Die Pianistin wirkt fast wie inTrance. Wenn Schubert in un-geahnte harmonische Regio-nen vorstößt, ist es so, als obein geheimnisvoller fremderGast erschiene.

    Rein sachlich wird man diesehemmungslos klangverliebteSpielweise einseitig nennenmüssen, und in den Pausenvernimmt man denn auch Kri-tik vom fachmännischen Publi-kum. Doch ist es dem Ausnah-

    mecharakter dieses visionärenWerkes nicht angemessen,wenn man es so persönlichdeutet und sich somit angreif-bar macht? Mindestens inzweierlei Hinsicht traut sichdie Georgierin viel. Pianistisch:Der superfeine Anschlag pro-duziert zauberische Klänge,doch liegt es in der Natur derSache, dass auch einmal einTon wegbleiben kann. Sei´sdrum. Das ist allemal besser,als nur auf Sicherheit zu gehen.Und interpretatorisch: Die ra-dikale Stille ist schwer auszu-halten. Doch das Wagnis ge-lingt. Andächtig lauscht das Pu-blikum, wird immer ruhiger –

    und klatscht zweimal spontannach den Sätzen. Eigentlich tutman das ja nicht, doch hierkommt der Applaus von Her-zen.

    Nach diesen Übungen in mu-sikalischer Metaphysik erlebtman die pianistischen Exzessevon Franz Liszt als Erleichte-rungen. In der Etüde nachVictor Hugos Verserzählung„Mazeppa“ entlädt sich die lan-ge aufgebaute Spannung. Auch,wenn sich Buniatishvili hals-brecherisch in diesen Todesrittstürzt, gibt sie doch nie ihre ab-gerundete Anschlagskulturauf: Der Steinway brüllt furcht-einflößend, ohne vorher ge-

    schlagen worden zu sein. Eingewisses Showelement ist die-ser Musik eingeschrieben, undso kann es der Pianistin nie-mand ernsthaft verübeln,wenn sie drei populäre Liedervon Schubert in den Bearbei-tungen von Liszt auch optischhöchst dekorativ inszeniert.

    In „Gretchen am Spinnrade“mimt sie förmlich das liebes-kranke junge Ding mit halbge-öffnetem Mund und abwesen-dem Blick, so, wie sie im Be-gleitheft ihrer neuen CD präraf-faelitische Gemälde mit schö-nen toten Mädchen nachstellt.Yuja Wang hat das nüchternergespielt. Doch wenn man so in

    die Vollen geht, muss man esmachen wie Khatia Bunia-tishvili. Michael Bastian Weiß

    Die neue CD mit der letzten So-nate von Franz Schubert sowieweiteren Werken des Komponis-ten ist auf Sony erschienen

    Khatia Buniatishvilimit Klaviermusik vonFranz Schubertund Franz Liszt imPrinzregententheater

    Khatia Buniatishvili. Foto: Haase

    MEINUNG

    Robert BraunmüllerDer Kulturrredakteur überdas neue [email protected]

    Perverse EigenwerbungEs wäre besser, es zu verschweigen. Denn Aufmerksam-keit ist das Einzige, nach dem diese Band giert. Ein aufYoutube veröffentlichtes Video zeigt Mitglieder vonRammstein in KZ-Häftlingsgewand mit Stricken um denHals a m Galgen. Am Ende des etwa 30 Sekundenlangen Clips erscheint das Wort „Deutschland“ in Frak-tur.

    Womöglich ist das sogar kritisch gemeint. Aber esfügt sich in denTrend, den NS-Terror in belie-biges Spielma-terial der Pop-kultur zu ver-wandeln. Es be-gann vor vielenJahren mit dem Musical „Cabaret“ und Filmen der Italie-nerin Liliana Cavani. Und weil das Kokettieren mit demNazi-Grusel regelmäßig für Aufmerksamkeit und Kassesorgt, hört es auch nicht auf. Der Kitsch-Roman „Stella“von Takis Würger ist das jüngste Beispiel dazu.

    Neues, gar Originelles lässt sich dazu nicht sagen. Da-her sei hier Iris Rosenberg zitiert. Die Sprecherin derHolocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem ant-wortete, zu dem Rammstein-Video befragt, dass einerespektvolle künstlerische Darstellung des Holocaustlegitim sei, nicht aber dessen Instrumentalisierung alsbloßes Werkzeug, um die Aufmerksamkeit der Öffent-lichkeit zu gewinnen.

    Nichts anderes macht Rammstein, ganz unabhängigdavon, ob die Bandmitglieder in dem Video nun jüdi-sche, deutsche oder andere Häftlinge darstellen. Es isteinfach nur billige, perverse Reklame.

    KULTUR kompakt

    Neues Museum für DDR-KunstPOTSDAM Die Stiftung des Software-Milliardärs Hasso Platt-ner will in Potsdam ein Museum für DDR-Kunst einrichten.Nach dem Barberini wäre es das zweite Museum der Stiftungin der Stadt. Das ehemalige Terrassenrestaurant „Minsk“ ausDDR-Zeiten solle dafür saniert werden. Neben dem künfti-gen Museum soll in Neubauten preiswerter Wohnraum ent-stehen. Der Linke-Fraktionschef in Potsdam, Hans-JürgenScharfenberg, bestätigte, dass die Stiftung das Areal mit demverfallenen „Minsk“ für 20 Millionen Euro kaufen wolle. „Dasist ein absoluter Glücksfall“, sagte Scharfenberg: „Wir habenlange dafür gekämpft, dass das ,Minsk’ erhalten bleibt.“ DieStadtverordnetenversammlung wolle noch vor der Kommu-nalwahl im Mai über den Verkauf an die Stiftung entschei-den. Lange Zeit war geplant, das verfallene Restaurant abzu-reißen. Die Stadtverordnetenversammlung hatte die Abriss-pläne gestoppt.

    Ein Grieche aus MecklenburgPENZLIN Die Stadt Penzlin in Mecklenburg-Vorpommern hatihrem bekanntesten Sohn, dem Dichter und Homer-Überset-zer Johann Heinrich Voß (1751-1826), ein Literaturhaus ge-widmet. Das Rektorhaus, in dem Voß damals zur Schuleging, wurde gerettet und umgebaut. Das Gebäude soll andiesem Freitag feierlich übergeben werden. Die neue Aus-stellung heißt: „Johann Heinrich Voß. Ein Grieche aus Meck-lenburg“ und soll das fortschrittliche Denken des Zeitgenos-sen von Goethe und Schiller dokumentieren. Voß studiertein Göttingen und war in Eutin, Jena und Heidelberg tätig.

    27ABENDZEITUNG FREITAG, 29. MÄRZ 2019 WWW.AZ-MUENCHEN.DE KULTUR

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