Wider das Richterkönigtum - A King of Judges? · rikers Titus Livius für die Jahre 218 bis 167 v....

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ANCILLA IURIS (anci.ch) 2006: 107 Synopsis 107 Zusammenfassung 1 Es besteht kein Zweifel daran, dass das römische Recht in seinen Grundzügen die Schöpfung einer elitären „Berufsschicht“ darstellt. Zu diesem Kreis mit Recht befasster Personen gehörten auch diejenigen Magistraten, die in Rom praetores genannt wurden. Welche Aufgaben und Funktionen die Prätoren im Hinblick auf das römische Recht und seine Entwicklung genau erfüllten, scheint weniger gesichert. Die Aufgaben und Funktionen der Prätoren der römischen Republik anhand der Berichte des Historikers Titus Livius für die Jahre 218 bis 167 v. Chr. zu rekonstruieren, ist Gegenstand des vorliegenden Artikels. Er konstatiert, dass eine Betrachtung der faktischen Umstände der Prätur die Rechtsprechung – im Widerspruch zu klassischen Auffassungen in der Rechtsgeschichte – eher in einen Randbereich prätorischer Aktivität rücken lässt. Er schlägt stattdessen vor, dass Hauptfunktion der Prätoren war, das römische Rechtssystem strukturell an seine gesellschaftliche Umwelt zu koppeln und eine juristische Dogmatik zu ermöglichen. 1 Der hier in überarbeiteter Form vorliegende Aufsatz wurde an der Universität Zürich, Schweiz, im Wintersemester 2000/2001 als Seminararbeit eingereicht. Ich danke Prof. Dr. Marie Theres Fögen für ihre vorbehaltlose Unterstützung des Projekts. Aus ihrer und meiner parallelen, aber voneinander unabhängigen Beschäftigung mit der römischen Prätur ist nicht nur das entsprechende Kap. V.8. ihrer Römischen Rechtsgeschichten (FÖGEN [2002b] 190198) erwachsen; unseren anregenden und kontroversen Diskussionen verdankt sich auch dieser Aufsatz in seiner gegenwärtigen Form. Dr. Jani Kirov bin ich für wertvolle Hinweise verbunden. Für alle hier geäußerten Meinungen und allfällig begangene Fehler trage ich die alleinige Verantwortung. Summary 1 It is widely accepted that the Roman law in its main characteristics was developed by an elite of legal „professionals“. Among them were those magistrates whom the Romans called praetores. The exact nature of the tasks fulfilled and of the functions performed by the praetors with respect to the Roman law and its development, however, remains considerably less clear. This article presents a reconstruction of the tasks and functions of the praetors in the Roman republic by drawing on the accounts of the Roman historian Livy for the years 218 to 167 B.C. It concludes that a closer examination of the praetorsʹ actual activities results in placing the jurisdiction – contrary to some of the positions in classic legal history – rather at the far end of a long list of praetorian activities. Instead, it suggests that the main praetorian functions consisted in providing a structural coupling of the Roman legal system with its environment as well as in facilitating legal dogmatics. 1 In the academic year 2000/2001, an earlier version of this article was submitted, as a seminar paper, at the University of Zurich, Switzerland. I thank Prof. Dr. Marie Theres Fögen for her unreserved support for this project. Out of our parallel, but independent, research into the Roman praetorship not only grew ch. V.8. in her book „Römische Rechtsgeschichten“ (FÖGEN [2002b] 190198); it is also thanks to the stimulating and, at times, controversial discussions with her that this article has reached its present form. I am obliged to Dr. Jani Kirov for his suggestions and comments on earlier drafts of the work. However, responsibility for any views expressed as well as for any errors and omissions remains entirely my own. Wider das Richterkönigtum Ein Versuch der Rekonstruktion von Aufgaben und Funktionen des Republikanischen Prätors als Jurisdiktionsmagistrat A King of Judges? An Essay in Reconstruction of Tasks and Functions of the Republican Praetor as Jurisdictional Authority Oliver M. Brupbacher

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Wider das Richterkönigtum

Ein Versuch der Rekonstruktion von Aufgaben und Funktionen  des Republikanischen Prätors als Jurisdiktionsmagistrat 

A King of Judges?

An Essay in Reconstruction of Tasks and Functions of the Republican Praetor as Jurisdictional Authority

Oliver M. Brupbacher

Zusammenfassung1

Es besteht kein Zweifel daran, dass das römische Recht in sei‐nen Grundzügen die Schöpfung  einer  elitären „Berufsschicht“ darstellt. Zu diesem Kreis mit Recht befasster Personen gehörten auch diejenigen Magistraten, die in Rom praetores genannt wur‐den. Welche Aufgaben und Funktionen die Prätoren im Hinblick auf das römische Recht und seine Entwicklung genau erfüllten, scheint weniger  gesichert. Die Aufgaben  und  Funktionen  der Prätoren der römischen Republik anhand der Berichte des Histo‐rikers Titus Livius für die Jahre 218 bis 167 v. Chr. zu rekonstru‐ieren,  ist Gegenstand des vorliegenden Artikels. Er konstatiert, dass  eine Betrachtung der  faktischen Umstände der Prätur die Rechtsprechung – im Widerspruch zu klassischen Auffassungen in der Rechtsgeschichte – eher in einen Randbereich prätorischer Aktivität rücken  lässt. Er schlägt stattdessen vor, dass Haupt‐funktion der Prätoren war, das römische Rechtssystem struktu‐rell  an  seine  gesellschaftliche  Umwelt  zu  koppeln  und  eine juristische Dogmatik zu ermöglichen.

1 Der hier in überarbeiteter Form vorliegende Aufsatz wurde an der Universität  Zürich,  Schweiz,  im  Wintersemester  2000/2001  als Seminararbeit eingereicht. Ich danke Prof. Dr. Marie Theres Fögen für ihre vorbehaltlose Unterstützung des Projekts. Aus ihrer und meiner parallelen, aber voneinander unabhängigen Beschäftigung mit der römischen Prätur ist nicht nur das entsprechende Kap. V.8. ihrer  Römischen  Rechtsgeschichten  (FÖGEN  [2002b]  190‐198) erwachsen; unseren anregenden und kontroversen Diskussionen verdankt sich auch dieser Aufsatz in seiner gegenwärtigen Form. Dr. Jani Kirov bin ich für wertvolle Hinweise verbunden. Für alle hier geäußerten Meinungen und allfällig begangene Fehler  trage ich die alleinige Verantwortung.

ANCILLA IURIS (anci.ch

Summary1

It is widely accepted that the Roman law in its main charac‐teristics  was  developed  by  an  elite  of  legal  „professionals“. Among  them were  those magistrates whom  the Romans  called praetores. The exact nature of the tasks fulfilled and of the func‐tions performed by the praetors with respect to the Roman  law and  its development, however,  remains  considerably  less  clear. This article presents a reconstruction of the tasks and functions of the praetors in the Roman republic by drawing on the accounts of the Roman historian Livy for the years 218 to 167 B.C. It con‐cludes that a closer examination of the praetorsʹ actual activities results in placing the jurisdiction – contrary to some of the posi‐tions in classic legal history – rather at the far end of a long list of praetorian activities. Instead, it suggests that the main praetorian functions consisted in providing a structural coupling of the Ro‐man legal system with its environment as well as in facilitating legal dogmatics.

1 In  the academic year 2000/2001, an earlier version of  this article was  submitted, as a  seminar paper, at  the University of Zurich, Switzerland.  I  thank Prof. Dr. Marie Theres Fögen  for her unre‐served support for this project. Out of our parallel, but  indepen‐dent, research into the Roman praetorship not only grew ch. V.8. in her  book  „Römische Rechtsgeschichten“  (FÖGEN  [2002b]  190‐198); it is also thanks to the stimulating and, at times, controversial discussions with her that this article has reached its present form. I am obliged to Dr. Jani Kirov for his suggestions and comments on earlier drafts of the work. However, responsibility for any views expressed as well as for any errors and omissions remains entirely my own.

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1. Die Prätur als KontingenzproblemEs besteht kein Zweifel daran, dass das römische Recht 

in  seinen  Grundzügen  die  Schöpfung  einer  elitären „Berufsschicht“  darstellt.2  Zu  diesem  Kreis  mit  Recht befasster Personen gehörte auch der römische Prätor –  in einer  Funktion,  deren  Charakteristika  herauszuarbeiten Ziel dieser Untersuchung ist.

Richtet die Rechtsgeschichte den Fokus nicht  auf das Recht  als  autonome,  sich  an  ihrer  eigenen Dogmatik  ab‐arbeitende  Erscheinung,  sondern  favorisiert  sie  eine Betrachtung  des  Rechts  als  Produkt  einer  Schicht  von Rechtsgelehrten  mit  besonderen  Verhaltens‐  und  Denk‐weisen, so wird sie zu einer Formulierung der das Recht umgebenden sozialen Beziehungen, die ihrerseits in vielfäl‐tigen Kommunikationskonstellationen wurzeln.3 Negativ ausgedrückt  und  mit  Blick  auf  den  Gegenstand  der vorliegenden  Arbeit  heißt  das,  dass  es  nicht  ausreicht, ausgehend allein von einer wissenschaftlichen Bewertung römischer  Rechtsdogmatik,  auf  die  Aufgaben  und Funktionen  der  mit  dem  Recht  befassten  Akteure  zu schließen.  Vielmehr  ist  deren  Rolle  aus  der  sozialen Gesamtheit, welche die entsprechenden Personen umgab, zu  konstruieren  und  daraufhin  zu  befragen,  welchen Beitrag  sie  zur  Entwicklung  des  entsprechenden Rechtssystems leisten konnte. Es geht, im weitesten Sinne, um die Bedingungen  der Möglichkeit der Entwicklung des römischen Rechts.

Eine solche Bedingung der Möglichkeit war der römi‐sche Prätor. Nach den Aufgaben und Funktionen des Prä‐tors  zu  fragen, heißt, die Prätur  als Kontingenzproblem4

hinsichtlich des römischen Rechts zu entwickeln; es heißt, über die geschichtlichen Formen dieses Rechts, insbesonde‐re des hochentwickelten Privatrechts, ein Urteil zu  fällen, das deren Möglichkeit bejaht (und damit deren Unmöglich‐keit ausschließt), das aber deren Notwendigkeit verneint. Dazu greift diese Untersuchung auf die Schilderungen des römischen Historikers Titus Livius (ca. 59 v. Chr. bis 17 n. Chr.) in seinem Werk Ab Urbe Condita zurück. Ihr Augen‐merk  gilt  ausschließlich  der  Prätur  in  ihrer  republikani‐schen Ausprägung der Jahre 218 bis 167 v. Chr.5 Die Wahl 

2 BRETONE (1992) 30 f.3 BRETONE (1992) 30.4 Mit  LUHMANN  ([1999]  200 f.)  soll  hier  unter  „Kontingenz“  die 

Möglichkeit eines Gegenstandes verstanden werden, anders oder überhaupt nicht zu sein.

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1. The Praetorship as a Problem of ContingencyIt  is widely accepted  that  the Roman  law  in  its main 

characteristics was developed by an elite of legal „profes‐sionals“.2 Among them were those magistrates whom the Romans called praetores. The exact nature of the functions, which  the  praetors  performed  with  respect  to  the  law, however,  remains  considerably  less  clear.  The  article approaches this unclarity by elaborating and proposing a coherent  theory of  the  tasks and  functions of  the Roman praetor as jurisdictional authority.

If the focal point of research  in legal history  is shifted away from a concept of law as an autonomous phenome‐non established exclusively around its own dogmatics and is oriented towards a concept of law as a product of a group of legal professionals with specific social and cognitive con‐texts,  legal history becomes  interested  in  the  law’s  social environment  and  in  its  constitutive  communicative  net‐works.3 Phrased negatively and with a view to the subject of  this article,  this means  that  it  is not sufficient  for  legal history  to  infer definitions  of  the  tasks  and  functions  of Roman  jurists  and  magistrates  only  from  a  dogmatic assessment  of  Roman  law.  Instead,  a  description  of  the roles  which  these  actors  played  should  include  an examination of their respective social environments. These roles  should  then  be  analysed  with  a  view  to  under‐standing how they could contribute to the development of the Roman legal system. In so proceeding, legal history can hope to identify what could be called conditions of possibilityof  the  development  of  Roman  law,  i.e.  factors  which enabled  (not: caused)  the Roman  legal system  to  flourish and to produce a body of law which we admire until today.

One of  those conditions of possibility was  the Roman praetor. Accordingly, researching into the tasks and func‐tions of the praetor means developing the praetorship as a problem of contingency of the Roman law;4 it means paint‐ing a picture of this law, particularly of the highly sophisti‐cated  civil  law, which  accepts  the history of  its  rise, but which,  at  the  same  time, negates  the  inevitability of  this event. In following this method, the article draws on the ac‐counts of  the Roman historian Livy  (Titus Livius,  ca.  59 B.C.‐17 A.D.)  in his history of Rome  (Ab Urbe Condita).  It concentrates on the praetorship in its republican form and on the years 218 to 167 B.C.5 Livy has been chosen as main source since we can assume that at the time he wrote, i.e. at 

2 BRETONE (1992) 30‐31.3 BRETONE (1992) 30.4 Following LUHMANN  ([1999] 200‐201), „contingency“ shall mean 

the inherent potentiality of something to be different or not to be at all.

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dieser  Quelle  rechtfertigt  sich  einerseits  durch  den Umstand, dass Livius seine römische Geschichte am Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. schrieb, als die römische Repu‐blik ihrem Ende zuging, zu einem Zeitpunkt also, in dem davon ausgegangen werden darf, dass die  Informations‐lage über die Blütezeit der Republik noch so gut war, dass sie  verlässliche  Aussagen  ermöglichte;  andererseits  da‐durch, dass Livius’ Stil der unmittelbaren und (scheinbar) unbeteiligten Schilderung der Ereignisse einer Rekonstruk‐tion von Aufgaben und Funktionen der Prätur entgegen‐kommt.

Im folgenden soll zunächst Klarheit darüber gewonnen werden, in welche allgemeinen rechtlichen Entwicklungen die Prätur eingebettet war und wie sich ihre organisatori‐schen Strukturen entwickelten (Kap. 2.1. und 2.2.). Gestützt auf die Berichte des Livius, soll dann der Versuch unter‐nommen  werden,  eine  Übersicht  über  die  Aufgaben  zu geben, welche  die  Prätoren wahrnahmen  (Kap. 3.).  Eine solche differenzierte Analyse erlaubt es, anschließend eine Antwort auf die Frage nach den Funktionen zu geben, wel‐che die Prätoren in Bezug auf das römische Recht und seine Entwicklung  in  republikanischer  Zeit  erfüllten  (Kap. 4.). Hinsichtlich dieser Frage wird ein Abrücken von gewissen traditionellen Positionen der klassischen Rechtsgeschichte (Kap. 2.3.) als denkbar erscheinen. Abschließend sollen die funktionellen  Betrachtungen  zu  einer  Theorie  des  römi‐schen Prätors (Kap. 5.) verdichtet werden, um auf die Aus‐gangsfrage zu antworten, welche Bedingungen die Prätur erfüllte, damit das römische Recht, insbesondere das römi‐sche Zivilrecht, in seiner Ausprägung möglich wurde.

2. Die Prätur als Ausdruck einer neuen Ordnung

2.1.  Vom ius civile zum ius honorariumBis zu Beginn des 3. Jahrhunderts v. Chr. blieb die Aus‐

legung der Zwölftafeln und der überlieferten Prozess‐ und Geschäftsformulare  ein  streng  gehütetes  Monopol  des Richterkollegiums  der  pontifices.  Nach  Auffassung  der römischen Frühzeit kam wie im Gebet so auch im Rechts‐

5 Dieser Zeitraum wird von Livius’ Büchern 21‐45 abgedeckt. Vor 218 v. Chr. besteht im Werk des Livius eine große Lücke, welche die Bücher 11‐20 umfasst. Nach 167 v. Chr. ist das Werk nur noch sehr bruchstückhaft überliefert, so dass sich ein aussagekräftiger Überblick über die Tätigkeiten der Prätoren nicht mehr gewinnen lässt. Für den angegebenen Zeitraum hingegen sind die Prätoren beinahe  jeden  Jahres  bekannt. Cf. MAXIS  (1911)  19‐60. Die Text‐masse zwischen 218 und 167 v. Chr. wurde mit Hilfe eines Com‐puterprogrammes  auf die Verwendung des Wortes  „praetor“  in allen seinen Deklinationsformen hin analysiert. Damit ließen sich zwar nicht alle  Stellen  finden,  an denen Livius über den Prätor spricht,  aber  vermutungsweise  ein  Großteil  davon.  Schließlich wurden 742 Textstellen einer genaueren Lektüre unterzogen.

ANCILLA IURIS (anci.ch

the  end  of  the  1st  century  B.C.,  the  level  of  information available about the height of the Roman republic was still such  as  to  allow  for  reliable  reports.  In  addition,  Livy’s factual and (seemingly) uninvolved stile benefits a detailed reconstruction  of  the  tasks  and  functions  of  the  Roman praetors.

The  argument  in  this  article  is developed  as  follows. Chapters 2.1.  and  2.2.  start by  examining  the  framework within which  the praetorship was set. They highlight  the general  legal  development  as well  as  the  organisational structures of the magistracy in Rome. Drawing upon Livy’s accounts,  chapter 3  provides  an  overview  over  the  tasksperformed by the praetors. Based on this detailed analysis, chapter 4 formulates an answer to the question which func‐tions the praetors fulfilled and how they could thereby con‐tribute to the Roman law and its development in republican times. In the light of this answer, a revision of some of the traditional positions in classic legal history, as described in chapter 2.3., will seem conceivable. Chapter 5 concludes by condensing the functional explanation into a theory of the Roman praetor which opens a fruitful approach to the orig‐inal question concerning  the conditions of possibility  ful‐filled by the praetorship with respect to the development of Roman law.

2. The Praetorship as an Expression of a New Order

2.1. From ius civile to ius honorariumUntil the beginning of the 3rd century B.C. the interpre‐

tation of the Twelve Tables and of the procedural formulas remained a  rigorously guarded monopoly of  the  judicial college of the pontifices. In the eyes of the early Romans, le‐gal transactions between humans – just like sacred rituals 

5 This period is covered by Livy’s books nos. 21‐45. Livy’s work has come down to us only in an incomplete form: The books nos. 11‐20 covering the period between 293 and 218 B.C. have been  lost. For the time after 167 B.C. only fragments remain so that no mean‐ingful overview over the tasks of the praetors can be gained any‐more. For the period of 218‐167 B.C., however, Livy refers to the praetors of almost every year by their respective names. Cf. MAXIS (1911) 19‐60. Livy’s  texts referring  to  this period were examined, by means of a computer program, for their use of the word „pra‐etor“ in all its declensions. Admittedly, by this method not all pas‐sages could be detected in which Livy writes about the praetors, but supposedly a  large – and  representative – majority of  them. 742 passages were then submitted to a closer reading.

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verkehr  unter Menschen  alles  auf  die  Verwendung  der richtigen Worte  respektive  Formeln  an.6  Die  juristische Hermeneutik wurde auf eine streng begrenzte Anzahl Ak‐teure reduziert und blieb damit kontrollierbar. Das Objekt der Auslegung, die Zwölftafeln selbst, war nach römischer Überlieferung seit 390 v. Chr. verschwunden, was den Zu‐gang zum Recht zusätzlich erschwerte. Da die Volksgesetz‐gebung  nur  zögernd, meist  aus  politischem Anlass  und stets nur auf eng begrenzten Einzelgebieten in diese Privat‐rechtsentwicklung eingriff,7 vermochte auch sie das Recht nicht aus jener Isolation und Starrheit herauszuholen.

Es leuchtet ein, dass dieses von den Römern als ius civilebezeichnete Recht den großen kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen, die das römische Leben seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. erfuhr,8 nicht gerecht zu werden vermochte. Die sich dennoch vollziehende Weiterentwick‐lung ihres Rechts erklärten sich die Römer mit der Entwen‐dung des Rechts aus den Händen der pontifices durch Gnae‐us Flavius, also mit einer Geschichte der Aufhebung von Exklusivität.9 Nicht  zufällig  verlagerte  sich  der  Schwer‐punkt  der  Neubildungen  im  römischen  Privatrecht  der hohen  und  ausgehenden  Republik  in  den  Bereich  der Rechtsanwendung,  deren  Leitung  –  so  erzählen  die Römer  –  in der Hand der Jurisdiktionsmagistrate, in Rom vor  allem der beiden mit der Zivilrechtspflege betrauten Prätoren,  lag.  Die  in  dieser  Rechtsprechung  neuent‐standenen  Normen  stellte  man  dem  ius  civile  als  ius honorarium  –  gleichsam  als  flexibleren,  Veränderungen zugänglichen Pol – gegenüber.

Eine weitere Änderung  trat  ein,  als  neben  den  alten Legisaktionen eine andere Form des Verfahrens in iure auf‐kam, bei der an Stelle der förmlichen Rede und Widerrede der  Parteien  eine  freie  Verhandlung  vor  dem Magistrat stattfand (Formularprozess). „Nicht nur konnten nunmehr die Parteien  auch  solche Ansprüche und Einwendungen 

6 KUNKEL (1990) 90 f.7 Beispiele: 287 v. Chr. –  lex Hortensia über die Gleichstellung der 

Plebiszite mit den Gesetzen; 286 v. Chr. – lex Aquilia über die Ver‐letzung von Sklaven und die Beschädigung von Sachgütern; 204 v. Chr. – lex Cincia über die Schenkungen.

8 Im 3. Jahrhundert v. Chr. setzte sich Rom als große Handelsmacht im Mittelmeerraum  durch. Nach  dem  zweiten  Punischen Krieg (218‐201 v. Chr.) und mit den hinzugewonnenen Provinzen erhiel‐ten der Handel, die unternehmerischen Aktivitäten und die Lati‐fundienwirtschaft  neuen  Aufschwung  –  begünstigt  durch  die florierende Kriegsindustrie,  die Massen  von Arbeitskräften,  vor allem  Sklaven,  die  Ausbeutung  der  Bergwerke,  das  ständige Anwachsen  der  Geldquellen  und  den  Geldumlauf  (326  v.  Chr. wurden  in Neapel  in römischem Auftrag die ersten Kupfermün‐zen hergestellt. Cf. CHRIST  (1991) 53)  sowie die beginnende ver‐kehrstechnische Erschließung des Reiches. Cf. BRETONE (1992) 90.

9 Liv. 9.46.1‐7. FÖGEN (2002b) 125‐146.

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between humans and Gods – depended on the use of the correct words and formulas.6 Legal hermeneutics remained under the control and privilege of a strictly limited number of actors. Access  to  law was  further  inhibited by  the  fact that the subject of interpretation itself, the Twelve Tables, had been lost in 390 B.C. Even legislation did not manage to free the Roman civil law from its archaic isolation and ri‐gidity  since  the  legislature  only  very  hesitatingly  inter‐vened in the legal development.7 If laws were enacted, this was mostly done for political reasons and only for highly restricted areas of life.

Evidently, this old law, named ius civile, was not able to adequately  reflect  the deep cultural, economic and social changes which Roman life experienced since the 3rd centu‐ry B.C.8 Rather astonishingly, Roman civil law nevertheless developed further; and it did so in a highly dynamic and in‐novative way. In their own explanation of this phenome‐non, the Romans referred to a story about the theft of the law from the hands of the pontifices by Gnaeus Flavius. This is a story about the abolition of exclusivity and, according‐ly, about the rise of legal practice.9 It is no coincidence that the centre of gravity of evolution in the civil law of the high and  late Roman  republic  shifted  from  legislation  to  legal practice. According  to Roman  sources,  responsibility  for this practice  lay  in  the hands of  two magistrates charged with civil jurisdiction in the city of Rome: the two praetors. The body of new norms developed by  this  jurisdictional practice  was  called  ius  honorarium  and  indicated  a  law which was more  flexible  and more  open  to  continuous change than the old ius civile.

Further development led to changes in the legal proce‐dure.  The  old  system  of  legis  actiones was  gradually  re‐placed by a new procedure  in  iure whereby,  instead of a highly regulated exchange of predefined sets of words, the parties engaged in free co‐operation in front of the magis‐trate so as to finally agree on the terms of the formula (for‐

6 KUNKEL (1990) 90‐91.7 Cf., for example, 287 B.C. – lex Hortensia giving the resolutions of 

the concilium plebis  the  force of  law; 286 B.C. –  lex Aquilia on  the injuring of slaves and the damage to property; 204 B.C. – lex Cinciaon gifts.

8 In  the  3rd  century  B.C.  Rome won  through  as  a  large  trading power in the Mediterranean. After the second Punic War (218‐201 B.C.) and with the newly gained provinces trade, entrepreneurial activities  and  agriculture  on  large  estates  (latifundia)  flourished, therein  encouraged  by  the  growing  military  „industry“,  the masses of cheap labour – above all slaves –, the mining activities, the expanding money economy (326 B.C. saw the first coins made, on Roman commission, from copper in Naples. Cf. CHRIST (1991)53), and by  the construction of roads connecting distant parts of the empire. Cf. BRETONE (1992) 90.

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

vorbringen,  die  von  keinem  der  wenigen  Legisaktions‐formulare erfaßt wurden. Auch der Magistrat war jetzt von der Bindung  an den  Formalismus der Legisaktionen  be‐freit“ und, so die klassische Überlieferung, in die Lage ver‐setzt,  bei der Gestaltung der  Formeln und der Entschei‐dung über die Einsetzung  eines Richters Abwandlungen nach den  jeweiligen Zwecken und den Bedürfnissen der Parteien vorzunehmen.10

Die juristische Praxis weichte also die alte, starre Ord‐nung  zunehmend  auf.  Gleichzeitig  schuf  sie  eine  neue Ordnung: Den Prätoren gestanden die Römer unbestritte‐nermaßen nicht nur eine Befugnis zur Entscheidung von Einzelfällen, sondern auch eine allgemein normative Funk‐tion zu, die ihren Ausdruck im edictum fand, das zu Beginn der  Amtszeit  eines  jeden  Gerichtsmagistraten  in  dessen Namen veröffentlicht wurde und das die Formulare ent‐hielt, die er seiner Erteilung der Prozessformeln zugrunde zu legen gedachte. Das Edikt entwickelte sich in der Folge zum Symbol der neuen  juristischen Ordnung; der Prätor wurde zu ihrer Verkörperung.

Das  in  der  Einleitung methodisch  beschriebene  und nun  historisch  konkretisierte  Problem  ergibt  sich  aus diesem Sachverhalt: zu verstehen, wie es möglich war, dass im Namen des  römischen Prätors die Entwicklung  einer völlig neuen Rechtsmasse, des  ius honorarium, begonnen, vorangetrieben und relativ bald zu einer überwältigenden Differenziertheit  und  juristischen  Präzision  geführt wer‐den konnte; zu rekonstruieren, welche Rolle der Prätor in jenem Prozess spielte, der das römische Recht aus seiner ar‐chaischen Starrheit und Exklusivität herausführte und der es dennoch äußerst diszipliniert und umsichtig weiterbil‐dete.

2.2.  Zeitliche und organisatorische Aspekte der Prätur

2.2.1. Vom licinisch‐sextischen Plebiszit (367 v. Chr.) bis zur lex Cornelia (67 v. Chr.)

Die Entstehung der Prätur als Jurisdiktionsbehörde fällt in das Jahr 367 v. Chr.: Durch das licinisch‐sextische Plebiszit sollte neben den beiden Konsuln eine dritte Stelle minderen Ranges  eingerichtet  und  sollten  die  Kompetenzen  unter den drei collegae so aufgeteilt werden, dass – obwohl den dreien  alle  übrigen  oberamtlichen  Befugnisse  gemein‐schaftlich zustanden – die Kriegsführung im wesentlichen bei den Konsuln, die Jurisdiktion in Zivilsachen aber bei ih‐rem collega minor lag.11 Als Etappe im Ständekampf scheint 

10 KUNKEL  (1990)  83. Cf.  auch KASER/KNÜTEL  (2003)  460 f.; KASER (1996) 151.

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mulary system). It was now open to them to bring claims and defences that were not covered by any of the formulas in the old system of legis actiones. The magistrate, too, is said to have been freed from the old formalism and enabled, if considering  it apt  in view of  the parties’ respective goals and wishes, to grant a formula even if it had no basis in civil law.10

Jurisdictional practice increasingly eroded the old, rigid legal order. At the same time, a new legal order arose: Ac‐cording to the Romans, the praetors not only had the power to  grant  actions  in  individual  cases, but  they  also had  a more  general  normative  function. At  the  beginning  of  a praetorian magistrate’s term of office, and in his name, the edictum was published. It contained patterns of the formu‐las which the praetor would, during his office, permit to be used as a basis for jurisdiction. The edict became the sym‐bol of the new legal order which it formed and which was embodied in the person of the praetor.

The problem described  in  the  introduction above can now be phrased in historically more concrete terms. Which were the conditions of possibility for an entirely new body of law, the ius honorarium, to be started, fostered and rela‐tively soon led to an astonishing quality and precision – all in the name of the Roman praetor? How can we explain the role of the praetor in this process paving the way for the Ro‐man law out of its archaic inaccessibility and rigidity, and towards an open but nevertheless principled, disciplined, and prudent evolution?

2.2. Historical and Organisational Aspects of the  Praetorship

2.2.1. From the leges Liciniae Sextiae (367 B.C.) to the lex   Cornelia (67 B.C.)

The origin of the praetorship as jurisdictional instituti‐on goes back to the leges Liciniae Sextiae of 367 B.C. which added another magistrate  to  the already existing highest magistracy of the two consules. The tasks were to be divided between the three resulting magistrates (collegae) in a man‐ner which conferred the conduct of war generally onto the consuls, and the judicial work in civil matters onto their col‐lega minor.11  In historical  terms, however,  the reforms by the leges Liciniae Sextiae seem not to have been judicial but 

10 KUNKEL  (1990) 83. Cf. also KASER/KNÜTEL  (2003) 460‐461; KASER (1996) 151.

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die Einsetzung der Prätur allerdings mehr eine Reform des Oberamtes als der Gerichtsverfassung gewesen zu sein.12

Der dritte Höchstmagistrat hatte das gleiche umfassende imperium wie die Konsuln und stand ihnen nur im Range nach.13 Er war damit zur allgemeinen Vertretung des kon‐sularischen  Imperiums, vor allem  im militärischen Kom‐mando, berufen. Mit den Konsuln teilte er auch den Titel praetor,14  der  den Höchstmagistraten  zukam, wobei  sein Zusatz urbanus ihn von den beiden Konsuln äußerlich un‐terschied. Erst gewohnheitsmäßig dürften sich die Konsuln von der bürgerlichen Rechtspflege durch den Prätor entlas‐tet haben. Zuletzt blieb ausschließlich dem collega minor die Benennung praetor, die ihren ursprünglichen militärischen Charakter eingebüsst hatte, während für die beiden collegae maiores die Bezeichnung consules allein üblich wurde. „Die Festlegung  [dieser] Terminologie erwies sich  im Hinblick darauf, dass die Jurisdiktion verselbständigt worden war, als notwendig.“15

Um das Jahr 242 v. Chr. wurde dem praetor urbanus der praetor peregrinus in der Weise zur Seite gestellt, dass sich die  Jurisdiktion  des  ersten  Prätors  auf  die  Streitigkeiten zwischen  römischen Bürgern beschränkte, während dem neuen Prätor die Jurisdiktion inter peregrinos und inter cives et peregrinos übertragen wurde.

Durch den Sieg im ersten Punischen Krieg erlangte der römische Staat 241 v. Chr. seine ersten Provinzen: Sizilien und Sardinien. Zu  ihrer Verwaltung wurden  227 v. Chr. zwei  neue  Präturen  in der  Form  eigentlicher  Statthalter‐schaften errichtet. Während des zweiten Punischen Krieges (218 – 201 v. Chr.) erfolgte die Überweisung der Fremden‐prätur an einen der vier praetores oftmals nicht, wobei man dem auf diese Weise überzählig gewordenen Prätor ein an‐deres Kommando als außerordentliche Prätur übertrug.16

Dies ist die Situation, wie sie sich zu Beginn des in dieser Arbeit untersuchten Zeitraumes (218 bis 167 v. Chr.) prä‐sentierte. 197 v. Chr. folgten die fünfte und sechste Prätur mit dem Ziel, die Statthalterschaften der  im Krieg gegen 

11 Liv. 6.42.11: „[...] a plebe nobilitati de praetore uno qui ius in urbe diceret ex patribus creando.“ Cf. auch MOMMSEN (1877) 185.

12 WIEACKER (1961) 90; LABATUT (1868) 40: „Le vrai motif, selon nous, c’est qu’après une lutte héroïque et acharnée, les plébéiens venai‐ent  d’obtenir  le  consulat,  que  les  patriciens  refusèrent  de  sou‐mettre leurs causes à la décision judiciaire d’un homme du peuple, et qu’ils voulurent un dédommagement à cette concession forcée, qu’ils regardaient, dans  leur orgueil, comme une atteinte à  leurs droits.“ Anderer Meinung VON LÜBTOW (1983) 351 f.

13 LABATUT (1868) 71.14 WIEACKER ([1961] 89) weist auf die Beziehung zum Heerkönigtum 

hin, die im alten Wort prae‐itor anklingt. So auch LABATUT (1868)37 f.

15 VON LÜBTOW (1983) 352.16 MAXIS (1911) 6.

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rather administrative in nature:12 The third magistrate en‐joyed the same all‐embracing power (imperium) as the two consuls; he took second place to his collegae only with re‐spect to his rank.13 He was therefore generally competent to replace the consulship and its imperium, above all in mi‐litary situations. He also shared  the same  title as  the two other highest magistrates:  praetor.14 On  the  face of  it, he could only be distinguished from them by the supplement to his title: urbanus. It may have been only by habit that the consuls relieved themselves of some of their workload by permanently transferring civil jurisdiction onto the praetor. At the end of this development, the title praetor – having, by then, lost its military connotations – remained solely with the collega minor while his two collegae maiores were exclusi‐vely  referred  to  as  consules.  Such distinct  terminology  is said to have become necessary with the jurisdiction expan‐ding and becoming a task of its own.15

Around 242 B.C. a second praetor was appointed and a division  of  duties  introduced.  Henceforth,  one  praetor (praetor  urbanus)  superintended  the  jurisdiction  between the citizens of Rome (cives) and the other (praetor peregrinus) the  jurisdiction between  foreigners  (peregrini) or between foreigners and citizens.

Having won the first Punic War, Rome gained its first provinces  in  241 B.C.:  Sicily  and Sardinia. Their govern‐ment required the appointment of two new praetors (227 B.C.). During the second Punic War (218 – 201 B.C.) the of‐fice of the praetor peregrinus was often not assigned to one of the then four praetors so that one of them was free to re‐ceive another  task as extraordinary office.16 This was  the situation at the beginning of the period examined in this ar‐ticle (218‐167 B.C.). In 197 B.C. a fifth and sixth praetor were appointed  in order  to  staff  the governorships of  the  two new Spanish provinces gained in the war against Hannibal (Hither and Further Spain).17 As Rome possessed a further 

11 Liv. 6.42.11: „[...] a plebe nobilitati de praetore uno, qui ius in urbe diceret, ex patribus creando.“ Cf. also MOMMSEN (1877) 185.

12 WIEACKER  (1961)  90;  LABATUT  (1868)  40:  „Le  vrai motif,  selon nous, c’est qu’après une  lutte héroïque et acharnée,  les plébéiens venaient d’obtenir le consulat, que les patriciens refusèrent de sou‐mettre  leurs causes à  la décision  judiciaire d’un homme du peu‐ple,  et  qu’ils  voulurent  un  dédommagement  à  cette  concession forcée, qu’ils regardaient, dans leur orgueil, comme une atteinte à leurs droits.“ For a dissenting opinion cf. VON LÜBTOW (1983) 351‐352.

13 LABATUT (1868) 71.14 WIEACKER ([1961] 89) points to the roots of this title in the ancient 

royal army command, as indicated by the old word prae‐itor. Simi‐larly LABATUT (1868) 37‐38.

15 VON LÜBTOW (1983) 352.16 MAXIS (1911) 6.

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Hannibal eroberten spanischen Provinzen personell beset‐zen zu können.17 Weil man mit Gallien aber eine weitere Provinz besaß, zu deren Verwaltung eigentlich eine fünfte, respektive nach 197 v. Chr. eine siebte, Prätur benötigt wor‐den wäre, übernahm entweder einer der Konsuln eine der Provinzen,  oder man  behalf  sich,  indem man  einem der Prätoren sein Amt prolongierte und ihn als propraetor in sei‐ne Provinz schickte.18 Die Zahl der Prätoren erhöhte sich von da an – erstaunlicherweise trotz der schnellen Ausdeh‐nung des Reiches und der zunehmenden Komplexität der Lebenssachverhalte  – mit  Ausnahme  zweier  neuer,  von Sulla geschaffener Präturen bis zu Cäsar nicht.19

Eine lex Cornelia band 67 v. Chr. die Prätoren zwar nicht an das von ihren Vorgängern, wohl aber an das von ihnen selbst bei Amtsantritt erlassene Edikt.20 Dies war ein erster Versuch, die Dynamik der Rechtspraxis in berechenbarere Bahnen zu lenken. Noch bis in die Kaiserzeit hinein sollte es das Amt des Prätors geben, doch spätestens mit der von Hadrian 130 n. Chr. in Auftrag gegebenen Ediktsredaktion durch Salvius  Iulianus verlor die  Jurisdiktionsgewalt der Gerichtsmagistrate „ihre rechtsschöpferische Bedeutung“. Statt ihrer wurden Rechtswissenschaft und Kaisergesetzge‐bung  zu  den Motoren  der  Entwicklung  des  römischen Rechts.21

Drei bemerkenswerte Aspekte sind an der beschriebe‐nen Geschichte hervorzuheben: Erstens  fällt auf, dass die Prätur in ihrer historischen Entstehung nicht als eine hoch‐spezialisierte Amtsstelle mit dem Ziel gegründet wurde, der Jurisdiktion eine institutionelle Verankerung zu geben, sondern dass sie sich vielmehr erst durch Übernahme ihres besonderen Aufgabenbereiches als eigenständiges Institut auszudifferenzieren  vermochte.  Zweitens  und  daran  an‐schließend  ist  festzuhalten,  dass  die  Entwicklung  dieses Amtes  erstaunlicherweise  nicht  hauptsächlich  durch  die Bedürfnisse seines speziellen Aufgabenbereiches bestimmt wurde,  sondern  sich maßgeblich  nach  den militärischen und  politischen  Notwendigkeiten  oder  Begehrlichkeiten des  römischen Reiches  richtete. Damit hängt  zusammen, dass, drittens, grundsätzlich jedes Jahr so viele Prätoren ge‐wählt und  in einer solchen Weise auf die Geschäftskreise (provinciae) verteilt wurden, als nach der  jeweiligen Sach‐

17 Liv. 32.27.6.18 MAXIS (1911) 7.19 MOMMSEN (1877) 190‐193.20 HÜBNER  (1967)  105; MOMMSEN  (1877)  213 hält präzisierend  fest, 

das  cornelische  Gesetz  habe  den  Prätoren  vorgeschrieben,  von den bei Antritt des Amtes von  ihnen aufgestellten Normen nicht willkürlich abzuweichen, womit ein gewisser Änderungsspielraum verblieb.

21 KUNKEL (1990) 89.

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province, Gallia, the administration of which required an‐other governorship and hence would have made necessary the  appointment of  a  fifth  and,  after  197 B.C.,  a  seventh praetor, one of the consuls took on the task of administer‐ing one of  the provinces, or  the  command of one of  the praetors  was  extended  (prorogued)  and  the  respective praetor was sent, as propraetor, into his province.18 With the exception of two new praetors appointed under the reign of Sulla,  the number of praetors did not  rise until Caesar’s times in spite of the empire rapidly growing and the com‐plexity of everyday life significantly rising.19

A  lex Cornelia  of  67  B.C.  stipulated  that  the  praetors were bound by their own edicts whereas they were still al‐lowed  to depart  from  those of  their predecessors.20 This amounted to a first attempt at enhancing predictability in legal practice and evolution. The praetorship should live on until the times of the dominate. With the editing of the edict by Salvius Iulianus, commissioned by the emperor Hadrian in 130 A.D., the jurisdictional authority of the praetors lost its  constitutive dynamic with  respect  to  the Roman  civil law. It was replaced by jurisprudence and imperial legisla‐tion as driving forces in the evolution of Roman law.21

Of the above brief historical outline of the praetorship three aspects are noteworthy: First, is has become evident that the praetorship was not established as a specialised in‐stitution  for  the administration of  jurisdiction, but  that  it took  shape  and  gained  a  certain  independence  rather through a process of gradual assumption of the respective powers. Second, the evolution of the praetorship was not determined in the first place by its responsibility for juris‐diction, but rather by the military and political necessities and demands which go along with  the growth of an em‐pire. This  is connected with the fact that, third, each year the number of praetors elected and the number of tasks be‐ing assigned to them (provinciae) depended on the current state of affairs; this led to a structural flexibility which one would not generally expect from a jurisdictional authority (below ch. 2.2.2.).

17 Liv. 32.27.6.18 MAXIS (1911) 7.19 MOMMSEN (1877) 190‐193.20 HÜBNER  (1967) 105. MOMMSEN  (1877)  213 holds, more precisely, 

that the lex Cornelia required the praetors not to deviate arbitrarilyfrom the norms laid down in their own edict. This rule left some room for change during a praetor’s term of office.

21 KUNKEL (1990) 89.

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lage erforderlich war, was zu einer für eine Jurisdiktionsbe‐hörde  erstaunlichen  Flexibilität  ihrer  Strukturen  führte (unten Kap. 2.2.2.).

2.2.2. Prätorische Konturen des ImperiumsEine  der markantesten  Eigenheiten  des  prätorischen 

Amtes besteht darin, dass auf  ihrem Gebiet nicht das  für Rom  so wichtige politische Prinzip der Kollegialität galt, dem die übrige Magistratur  folgte,22 sondern das Prinzip der Spezialkompetenz (provincia), indem einerseits für den einzelnen Prätor ein bestimmter Wirkungskreis reserviert war und andererseits innerhalb dieses Kreises die Kollegi‐alität ausgeschlossen wurde.23 Zwar herrschte in der Stadt Rom faktisch eine sich örtlich deckende Kompetenz zweier Prätoren,  des  praetor  urbanus  und  des  praetor  peregrinus, doch führte auch diese Erscheinung nicht zur Kollegialität des Amtes, da sich Rechtsstreitigkeiten nach der Natur der am  Streit  Beteiligten,  cives  oder  peregrini,  eindeutig  der Kompetenzsphäre  des  einen  oder  anderen  Prätors zuordnen ließen.

Das Prinzip der Spezialkompetenz erforderte ein Ver‐fahren der Verteilung der Kompetenzen auf die einzelnen gewählten Prätoren. Dies geschah  in Rom dadurch, dass das Prozedere der jährlichen Bestellung der Prätoren zwei‐geteilt wurde in die Wahl der Personen und die Losung der Aufgabenbereiche  (sortitio  provinciarum). Dabei  hatte  der Senat das Recht, darüber zu entscheiden, ob alle Prätoren den bestehenden Kompetenzen zugelost oder ob einzelnen von ihnen vom Senat nach Ermessen festgesetzte Kompe‐tenzen zugeteilt respektive nach der Losung die Kompeten‐zen eines anderen Prätors – der sodann für andere Aufga‐ben  frei wurde  –  übertragen werden  sollten.24 Weil  das Eintreten dieser Modifikationen bei der Losung der Kom‐petenzen letztlich von einer politischen Behörde bestimmt wurde, nicht durch die Prätoren selbst, öffnete sich die Prä‐tur in ihrer personellen Besetzung vielfältigen nicht‐juristi‐schen Einflüssen.25

Die  verfahrensmäßige Trennung  zwischen Wahl  und Losung  führte darüber hinaus dazu, dass der Prätor mit seiner Wahl, also mit Beginn seines Amtes, zwar die den Prätoren  als  solchen  zukommenden  Befugnisse  erwarb, nicht aber die einem  jeden erst mit der Losung und dem Eintreffen  im Einsatzgebiet zufallende Spezialkompetenz. 

22 Mit Ausnahme des Diktators; BLEICKEN (1995) 100‐102.23 MOMMSEN (1877) 198.24 Cf. Liv. 38.42.5. Die städtische Jurisdiktion durfte dabei weder bei 

der  Losung  der Kompetenzen  ausfallen  noch  nach  der  Losung einem anderen Prätor übertragen werden, sondern musste durch einen  für  sie  bestimmten  Prätor  besetzt werden. Das Verfahren findet sich bei MOMMSEN ([1877] 199‐205) ausführlich dargestellt.

114 ANCILLA IURIS (anci.ch

2.2.2. Praetorian Shapes of the ImperiumOne of the most remarkable properties of the praetor‐

ship is to be seen in its provincial system (provincia): A spe‐cial task was reserved for each of the praetors, and in fulfill‐ing  it  he was  competent  alone,  any  interference  by  his praetorian colleagues being excluded.22 In this, the praetor‐ship differed from the rest of the Roman magistracy which was fundamentally designed as a system of collegiality.23

Locally  speaking,  the  praetor  urbanus  and  the  praetor peregrinus may have shared a common area of competence, the  city of Rome;  this, however, did not make  these  two urban praetors any more collegial than their colleagues in the  provinces,  since  all  legal  cases  arising  could  be attributed  to  the  competence  of  the  one  or  the  other according to the nature of the parties (cives or peregrini) to the dispute.

The principle of special competence required a way of distributing the existing tasks among the praetors. This was done by dividing the procedure of nomination of the pra‐etors into two stages: the election and the allotment of the tasks to the elected praetors by means of drawing lots (sor‐titio provinciarum). The second part of  the procedure was open to modifications: The senate had the right to decide whether all elected praetors should be allotted one out of the series of existing tasks, whether some of them should be allotted extraordinary tasks – the definition of which was at the discretion of the senate – or, finally, whether a praetor should, after the allotment, take over the tasks of another praetor who would then be free for other functions.24 Since these modifications in the allotment of tasks depended on the will of a political body, the senate, and not on the pra‐etors’ own decision, the praetorship was, with respect to its personnel, open to manifold non‐legal influences.25

In addition, the procedural separation between the elec‐tion of the praetors and the allotment of their tasks led to a time delay. With the election and the beginning of his term a praetor enjoyed the competence generally inherent in his office;  however,  he  gained  his  special  competence  only when he was allotted his tasks and arrived in his province 

22 MOMMSEN (1877) 198.23 Except for the dictator; BLEICKEN (1995) 100‐102.24 For the basic procedure cf. Liv. 38.42.5. The task of urban jurisdic‐

tion had to be assigned to one of the praetors. It could neither be ignored during the drawing of lots nor was it possible to transfer it  to  another praetor  after  the  allotment  had  taken place.  For  a detailed account of the procedure cf. MOMMSEN (1877) 199‐205.

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Die amtliche Funktion begann also später als das Amt.26

Das bedeutet, dass der gewählte Prätor, der noch nicht in seine eigentliche Funktion eingetreten war,  in dem Sinne einen eigentlichen Generalisten darstellte, als er alle Rechte ausüben durfte, die entweder allgemein an der Prätur hin‐gen – wie das Recht, mit Senat und Volk zu verhandeln – oder die ihm besonders durch Senatsbeschluss aufgetragen waren – wie die Durchführung einer Untersuchung.27  Je später die  sortitio  provinciarum  erfolgte, umso  vielfältiger wurden  insbesondere die Ämter des praetor urbanus und peregrinus.

2.3. Rezeption der Prätur

2.3.1. Rom – die AnfängeAus  den  vorangegangenen Kapiteln wird  ersichtlich, 

wie neu und ganz  eigentümlich  „anders“  jene  rechtliche Ordnung war, von deren Geburt die Römer  in  ihrer Ge‐schichte von Gnaeus Flavius erzählen. Dass sie selbst die Neu‐ und Andersartigkeit dessen, was sich seit Anfang des 3.  Jahrhunderts  v.  Chr.  auf  dem  Gebiet  des  Rechts  ab‐spielte, sehr klar wahrnahmen, zeigt sich darin, dass sie die alte Ordnung als ius civile terminologisch klar von der neu‐en abgrenzten, der sie den Namen ius honorarium gaben.28

Wie jede Definition, so vermochte auch diese, Klarheit zu schaffen, nicht  aber  eine Erklärung dafür  zu  liefern, wie und  warum  diese  neue  Ordnung  so  erfolgreich funktionieren konnte. Auch dieses Umstandes waren sich die Römer,  insbesondere die späteren  Juristen, bewusst – und  fanden eine naheliegende Antwort auf das Problem: Da das Recht strukturell über das imperium in der Form der 

25 Für  solche  externen  Einflüsse  auf  die  Bestimmung  der  prätori‐schen Aufgabenbereiche  cf. Liv. 45.12.13: C. Papirius Carbo, der eigentlich  als  Prätor  für  Sardinien  gewählt war,  übernahm  auf Geheiß des Senates die Peregrinenprätur. Liv. 37.51.1‐6: „Bevor die Prätoren in ihre Aufgabenbereiche gingen, gab es einen Streit zwi‐schen P. Licinius, dem Pontifex maximus, und Q. Fabius Pictor, dem Flamen des Quirinus,  [...]. Diesen, den Prätor, hielt  jetzt P. Licinius fest, dass er nicht nach Sardinien gehen konnte. Sowohl im  Senat wie vor dem Volk  stritt man mit großer Leidenschaft, und man machte von der Amtsgewalt hin und her Gebrauch, ließ sich Unterpfänder geben, verhängte Bussgelder, appellierte an die Tribunen und legte Berufung beim Volk ein. Die Rücksicht auf die Religion trug zuletzt den Sieg davon. Der Flamen wurde aufgefor‐dert,  dem  Befehl  des  Pontifex  Folge  zu  leisten,  und  die  Busse wurde ihm auf Geheiß des Volkes erlassen. Als der Prätor im Zorn darüber, dass ihm seine Provinz entrissen worden war, sein Amt niederlegen wollte, brachten  ihn die Senatoren durch  ihren Ein‐fluss davon ab, und  sie bestimmten, er  solle die Fremdenprätur erhalten.“ Cf. auch Liv. 41.9.10‐11.

26 MOMMSEN (1877) 196.27 MOMMSEN  (1877) 197. Liv. 39.38.3: Q. Naevius Matho erhielt die 

Provinz Sardinien und gleichzeitig den Auftrag, Untersuchungen wegen  Giftmischerei  zu  führen.  Cf.  auch  40.43.2;  45.16.4.  Zum Ganzen cf. Kap. 3.

28 KUNKEL (1990) 78.

ANCILLA IURIS (anci.ch

to pursue them. In short: His official function started later than his office.26 This means that a praetor, who had not yet gained his special competence, acted with general, unspec‐ified power. He was allowed  to exercise all  rights which were either inherent in his office – as, for example, the right to negotiate with the senate and the assemblies – or which were allotted to him by decision of the senate – as, for ex‐ample,  the holding of  an  enquiry.27 The  later  the  sortitio provinciarum  took  place,  the  greater  was  the  variety  of potential tasks performed by the praetors, especially by the praetor urbanus and peregrinus.

2.3. Interpretations of the Praetorship

2.3.1. Rome – the BeginningsThe previous chapters have shown how new and „dis‐

tinct“ the new legal order was the origin of which the Ro‐mans  dated  back  to  the  times  of  Gnaeus  Flavius.  They themselves were well aware of the specific character of the legal developments which took place since the beginning of the 3rd century B.C., and they approached them by termi‐nologically  distinguishing  the  old  legal  order,  called  ius civile, from the new one, called ius honorarium.28 Like any definition, this terminology was able to create conceptual clarity.  It could, however, not explain why and how  this new legal order worked as efficiently and successfully as it evidently  did.  When  the  Romans,  especially  the  later Roman  lawyers, noticed  this  shortcoming,  they offered a rather  obvious  answer  to  the  question:  Since,  by  the imperium  in  its  jurisdictional  form,  the  law was  tied  to a public office and, hence, to the respective magistrates, i.e. the praetors, a better explanation of  the operation of  the 

25 For such external influences in the procedure of allotment of prae‐torian tasks cf. Liv. 45.12.13: By a decree of the senate, C. Papirius, to whom Sardinia had been assigned, conducted  the  jurisdiction inter cives et peregrinos. Liv. 37.51.1‐6: „Before the praetors went to their provinces there was a dispute between Publius Licinius the pontifex maximus and Quintus Fabius Pictor the priest of Quiri‐nus,  [...]  this  praetor was  prevented  from  going  to  Sardinia  by Publius Licinius. Both  in  the senate and before  the assembly  the quarrel was carried on with great vigour, and orders were issued on  both  sides  and  guarantees  taken  and  fines  imposed  and  tri‐bunes applied to and appeals presented to the assembly. The reli‐gious argument finally prevailed; the priest was ordered to obey the pontifex, and by command of the people the fine was remitted to him. When, in anger at being deprived of his province, he tried to resign his office,  the Fathers by  their  influence prevented him and decreed that he should exercise jurisdiction between citizens and aliens.“ Cf. also Liv. 41.9.10‐11.

26 MOMMSEN (1877) 196.27 MOMMSEN (1877) 197. Liv. 39.38.3: Q. Naevius Matho received the 

province of Sardinia and the additional task of investigating cases of poisoning. Cf. also 40.43.2; 45.16.4. For  the  range of potential praetorian tasks cf. ch. 3.

28 KUNKEL (1990) 78.

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Jurisdiktionsgewalt  an  ein  Amt,  die  Prätur,  und  dessen Träger, die Prätoren, gebunden war, ließ sich eine bessere Beschreibung des  ius honorarium dadurch  erreichen, dass man  ebendiese  Prätoren  als  in  seiner  Mitte  stehend beschrieb  und  sie  zu  Urhebern  all  jener  juristischen Errungenschaften erklärte, die in den 300 Jahren zwischen 367  und  67  v.  Chr.  erfolgt  waren.  Die  nachstehende Aussage Papinians widerspiegelt diese Technik, Definition und funktionelle Erklärung miteinander zu verbinden:

„Ius praetorium est, quod praetores introduxerunt adiuvandi vel supplendi vel corrigendi iuris civilis gratia propter utili‐tatem  publicam. Quod  et  honorarium  dicitur  ad  honorem praetorum sic nominatum.“29

Was Papinian unternahm, war, so gesehen, eine Syste‐matisierung der Geschichte des eigenen Rechts im deutli‐chen Bestreben,  sie der  juristischen Gedankenwelt  seiner Zeit zugänglich zu machen. Dies  ist ein deutlich anderer Ansatz als der zu erklären, welche Funktionen der Prätor in rechtlicher Hinsicht erfüllte. Obwohl die Rechtsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts den letzteren Ansatz wählte, stand auch für sie der Prätor im Mittelpunkt des Interesses – als Schlüsselfigur im Verständnis der Entwicklung des rö‐mischen Rechts.

2.3.2. Theodor Mommsen – die Prätur als Institution   eines römischen Staatsrechts

Bei Theodor Mommsen findet sich in etwas abgewan‐deltem Kontext wieder, was Papinian und andere vorge‐zeichnet hatten. Aus Mommsens Anspruch, ein System des „römischen  Staatsrechts“  zu  erstellen,  ergab  sich  konse‐quenterweise, dass der Prätor als Jurisdiktionsmagistrat in den Mittelpunkt der neuen Rechtsentwicklung rückte. Ein Staatsrecht nämlich kommt ohne Ämter, die es regulieren kann, nicht aus: „Die ordentliche Amtsthätigkeit des Prä‐tors geht aus von der Civilgerichtsbarkeit und  lange Zeit hindurch wesentlich in derselben auf.“30 Mit Blick auf das Edikt erhielt der so beschriebene Prätor eine beinahe legis‐latorische Stellung, indem sich seine Ziviljurisdiktion „ge‐wissermassen zu einer stetigen, aber von Jahr zu Jahr der Revision  unterliegenden  Codification  des  Privatrechts durch die Prätoren entwickelt[e]“.31

29 PAPINIAN D. 1.1.7.1; cf. auch MARCIANUS, D. 1.1.8: „Nam et ipsum ius honorarium viva vox est iuris civilis.“

30 MOMMSEN (1877) 210.31 MOMMSEN (1877) 212.

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new ius honorarium could be achieved if the praetors were placed  in  its  centre and were described as authors of all those legal achievements which had been made in the 300 years from 367 to 67 B.C. The following quote by Papinian reflects  this  rhetorical  strategy of  combining  elements of definition and functional explanation:

„Ius praetorium est, quod praetores introduxerunt adiuvandi vel supplendi vel corrigendi iuris civilis gratia propter utili‐tatem  publicam. Quod  et  honorarium  dicitur  ad  honorem praetorum sic nominatum.“29

What Papinian did was to systematise his own legal tra‐dition in order to make it available for the juridical reason‐ing of his time. It is submitted that this was an approach en‐tirely different from attempts to explain how  the praetors actually  served  the  evolution  of  Roman  civil  law.  Even though legal historians of the 19th and 20th century pursued the latter attempt they, too, chose the Roman praetor as the focal point of  their  interest and as  the key  to  the under‐standing of the history of Roman law.

2.3.2. Theodor Mommsen – the Praetorship within a   Comprehensive System of Roman Public Law

Theodor Mommsen continued, albeit within a different context, what Papinian and others had started. Following his intention to establish a system of „Roman public law“, he placed the praetor in the centre of the development of re‐publican law. The reason for this method is to be seen in the fact that all public law depends on institutions and offices as subjects of its regulative intent: „Die ordentliche Amts‐thätigkeit des Prätors geht aus von der Civilgerichtsbarkeit und  lange Zeit  hindurch wesentlich  in derselben  auf.“30

With respect to the edict, Mommsen’s praetors almost oc‐cupied the position of the legislature; in their position of re‐sponsibility  for  jurisdiction  they seem  to have developed an  annually  renewed  codification  of  private  law  („ste‐tige[...],  aber  von  Jahr  zu  Jahr  der Revision  unterliegen‐de[...] Codification des Privatrechts“).31

29 PAPINIAN D. 1.1.7.1; cf. also MARCIANUS, D. 1.1.8: „Nam et ipsum ius honorarium viva vox est iuris civilis.“

30 MOMMSEN (1877) 210.31 MOMMSEN (1877) 212.

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

2.3.3. Franz Wieacker, Ulrich von Lübtow – Glaube an prätorische Gerechtigkeit und Schlichtungsmacht

Franz Wieacker ging das Problem der Beschreibung der römischen Prätur anders an als Mommsen. Sein Anspruch war nicht, den Prätor im Gefüge einer großen staatsrechtli‐chen Konzeption zu verstehen, sondern ihn aus seinem so‐zialen Hintergrund und der darin Gestalt  annehmenden gedanklich‐geistigen  Dimension  heraus  zu  rekonstruie‐ren.32 Daher mögen seine Formulierungen zögernder, weil weniger vorbefasst, erscheinen. – In ihrem Inhalt aber ge‐hen sie über die von Mommsen vertretene Position noch hinaus:  Der  Prätor wird  zum  Angelpunkt  des  römisch‐rechtlichen Verfahrens und führt durch seine Jurisdiktions‐gewalt das Recht aus seiner altertümlichen Beschränktheit heraus  „zur  vollen  Lebensbeherrschung“.33  Zwar  hält Wieacker  fest,  dem  Prätor  sowie  seinem  Gehilfen‐  und Schreiberstab habe die besondere Sachkunde gefehlt, ohne die  eine  solch  entwickelte Rechtskunst wie die  römische nicht habe entstehen können;34 zwar betont er die Rolle des consiliums aus  Juristen, das den Prätor beriet und dessen analytische Kunst  in  den  Formeln  des  Edikts  zum Aus‐druck kommt;35 das alleine aber habe dem Prätor im römi‐schen Bewusstsein noch nicht zu seiner Größe verholfen. Vielmehr  spreche  aus  dem  Edikt  und  den  Formeln  die „neue Gerechtigkeit eines sozialen Schlichters“,36 der um der sozialen Zweckmäßigkeit und des Friedens willen sich die  Freiheit  genommen  habe,  von  tradiertem Recht  und überkommenen Formen abzusehen, und der sich in diesem Bestreben  letztlich  zum Vertreter  allgemeiner Gerechtig‐keitsbegriffe gesteigert habe.37 In der Jurisdiktion des Prä‐tors vereinigten sich damit das Festhalten an Tradition und Überlieferung  des  Amtes  sowie  der Wille,  situationsge‐

32 Jedes Prozessrecht, so WIEACKER ([1961] 98 f.), ist soziale Technik und  Gesinnungsausdruck  zugleich;  als  Prozessrecht  findet  es seine Verkörperung in der Person des Prätors.

33 WIEACKER (1961) 83.34 WIEACKER (1961) 107.35 WIEACKER (1961) 88, 108.36 WIEACKER (1961) 112.37 BRETONE ([1992] 134) sieht in der normativen Arbeit, wie sie seiner 

Ansicht nach hinter dem prätorischen Edikt stand, und in der im consilium ihren Ausdruck findenden Diskussion der Juristen weni‐ger zwei einander entgegengesetzte Tätigkeiten als vielmehr die beiden  grundlegenden  und  sich  entsprechenden  Aspekte  des römischen Rechts in seiner klassischen Form. – Mit der Frage, ob das Zusammenwirken dieser beiden Funktionsbereiche nicht Ele‐ment  jedes weiterentwickelten Rechts sei, lässt sich allerdings an der analytischen Kraft dieser Synthese zweifeln. Schön zum Aus‐druck kommt  immerhin sowohl bei Bretone als auch bei Wieak‐ker, wie  schlecht  sich  ihr Bild des Prätors mit  seiner von  ihnen unbestrittenen  juristischen Unbedarftheit verträgt und wie groß ihre Anstrengungen dementsprechend sind, Prätur und consiliumzusammen zu denken.

ANCILLA IURIS (anci.ch

2.3.3. Franz Wieacker, Ulrich von Lübtow – Belief in the   Praetor as Guarantor of Justice and Mediation

Franz Wieacker chose a way different from Mommsen’s to approach  the problem of appropriately describing  the praetorship  in Rome. His aim was not  to understand  the praetor as an institution within a comprehensive system of the Roman public law, but rather to reconstruct the figure of  the praetor  in view of  its  social and  intellectual back‐ground.32 At first glance, his analyses may therefore seem to be of a more hesitant,  less biased nature.  In  their sub‐stance, however,  they even go beyond Mommsen’s posi‐tion: The praetor is seen as the centre of the legal procedure in Rome and, in this function, is said to have released the Roman law from its archaic rigidity and to have led it to its full mastery of  life  („zur vollen Lebensbeherrschung“).33

Wieacker admits that the praetor, like his staff of assistants and scribes, lacked the expertise without which a highly de‐veloped legal culture such as the Roman one would not be conceivable.34 He emphasises instead the importance of the consilium of jurists, who advised the praetors and whose ex‐pertise and analytical skills are demonstrated by the quality of the formulas in the edict.35 But for Wieacker, this alone cannot explain why the figure of the praetor had become of such eminent  importance  to Roman  legal  thinking.  It can only be understood if the edict and its formulas are taken as an expression of an entirely new system of justice adminis‐tered  by  a  social  mediator  („neue  Gerechtigkeit  eines sozialen Schlichters“)36 who,  for  the  sake of pragmatism and social stability,  took  the  liberty  to selectively deviate from traditional rules and formulas, and who, in so acting, represented a system of general principles of  justice.37  In 

32 Following WIEACKER  ([1961] 98‐99), all procedural  law  is, at  the same time, a social technique and an expression of a specific way of  thinking,  an  ethos.  As  such,  Roman  procedural  law  was embodied in the figure of the praetor. The praetors therefore can be seen as reflecting the social and legal ethos in Rome.

33 WIEACKER (1961) 83.34 WIEACKER (1961) 107.35 WIEACKER (1961) 88, 108.36 WIEACKER (1961) 112.37 BRETONE ([1992] 134) regards  the abstract normative  thinking, as 

expressed  in  the  praetorian  edicts,  and  the  case‐related  discus‐sions of the jurists, resulting in the consilium, not as two opposing activities but rather as the two constitutive aspects of Roman law in its classic form. – Drawing into question this attempt at synthe‐sising the respective positions of praetors and jurists in relation to the classic Roman law, it could be asked whether such a synthesis of abstract normative and case‐related pragmatic thinking is not a proprium of every developed legal system. And it could, accord‐ingly, be doubted whether  the  figure of  the praetor  is effectively needed  for  the  functioning  of  such  a  synthesis. Whatever  the answer,  Bretone’s  as  well  as  Wieacker’s  repeated  synthesising attempts express how difficult  it  is  to maintain a concept of  the praetor as a figure pivotal to Roman law while, at the same time, admitting his evident lack of legal expertise.

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recht zu entscheiden, – also Norm‐ und Sachgerechtigkeit – zu einer großen Erneuerung des Wertesystems des alten ius civile.38 Der Prätor wurde so zum Ausdruck einer Harmo‐nie zwischen formaler und materieller Gerechtigkeit, Tra‐dition und Neuschöpfung, Rechtssicherheit und sachlicher Richtigkeit, Ordnung  und  schöpferischer Handlungsfrei‐heit.

Ulrich von Lübtow teilte diese Sichtweise und ging ei‐nen Schritt weiter, indem er den Prätor als iuris civilis cus‐tos39 und als Sprecher der aequitas darstellte.40 Davon, ei‐nem Magistraten eine solch große Machtfülle an die Hand zu geben, bis dahin, ihn als mit einer ausgeprägten Gewis‐senhaftigkeit (religio) ausgestattet zu beschreiben, ist es nur ein kleiner Schritt. So wurde denn der Prätor bei von Lüb‐tow zur ethischen Instanz.41 Und es versteht sich, warum seine Tätigkeit in Verwendung des symbolhaltigen Begrif‐fes des Richterkönigtums als großartigste beschrieben wur‐de, welche die Weltgeschichte auf dem Gebiet der Jurisdik‐tion kennt.42

38 WIEACKER (1961) 91. So auch LABATUT ([1868] 300 f.), der die Prä‐tur in einer „position intermédiaire entre le pouvoir judiciaire et le pouvoir législatif“ lokalisiert und von den Prätoren schreibt: „[...] [I]ls pouvaient étendre, compléter et corriger les dispositions léga‐les, non‐seulement dans l’application du droit aux cas particuliers, mais  encore  dans  les  limites  de  leur  juridiction  locale  et  tem‐poraire.“ Durch eine „alliance de la théorie et de la pratique“ (347) sei den römischen Prätoren „une sorte de transaction entre les lois rigoureuses d’une société qui a disparu et les idées humanitaires d’un monde nouveau“ (356) gelungen. BRETONE ([1992] 109) ana‐lysiert die Anforderungen von Norm‐ und Sachgerechtigkeit, die sich dem Prätor stellten, indem er zwei Funktionssphären des prä‐torischen Amtes  unterscheidet:  diejenige  der  Zweckprogramme und diejenige der Konditionalprogramme. Danach  gab  sich der Prätor einerseits als Gesetzgeber,  indem er unter den möglichen Prozessformularen  eine Wahl  traf,  damit  seine  Ziele  unter  den möglichen Zielen  bestimmte und diesen  letztlich  in  allgemeiner Form  im  Edikt Ausdruck  verlieh. Andererseits  versuchte  er  als Herr über den Prozess, sich an die Bedingungen zu halten, welche die  von  ihm  selber  getroffenen  Entscheidungen,  gesammelt  im Edikt, seiner eigenen Tätigkeit auferlegten.

39 Nach Cic. leg. 3.3.8.40 VON LÜBTOW (1983) 362.41 VON LÜBTOW (1983) 383 f.: „Die Gerechtigkeitsidee hält zwei Werte 

in  sich  geschlossen:  Die  Rechtssicherheit  (Kontinuität)  und  die sachliche Richtigkeit (Gerechtigkeit im engeren Sinne). Weder der eine noch der andere Wert verdient schlechthin den Vorrang. Sie müssen vielmehr von Fall zu Fall gegeneinander abgewogen wer‐den. Darin bestand auch die Aufgabe des Prätors.“ Ebenso setzt HÜBNER  ([1967] 103 f.) – wenn auch unter Vorbehalten – voraus, die prätorische Denkweise sei der ars boni et aequi, also der Allge‐meinheit, der Vernunft und dem Gerechtigkeitssinn, verpflichtet gewesen.

42 VON LÜBTOW (1983) 364.

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his jurisdiction, the praetor combined respect for the tradi‐tional principles of the law and of his office with the will to do justice to each single case – i.e. justice in rem with justice in personam – into a large renewal of the entire normative system of the old ius civile.38 In Wieacker’s reconstruction, the figure of the praetor thus has to serve as an incarnation of both formal and material justice, of tradition as well as renewal, of certainty of the law as well as adequacy in the individual case, of systematic reasoning as well as creative freedom.

Ulrich von Lübtow shared Wieacker’s basic proposition and went one step further by conceptualising the praetor as a iuris civilis custos39 and as a mouthpiece of the aequitas.40

If such responsibility and power  is attributed to a magis‐trate, he has to be seen as distinguishing himself by an ex‐traordinary conscientiousness (religio); he has to be seen as ethical authority.41 From here,  it can be understood how the praetor could become a symbol, a king of  judges, the most splendid figure in the history of jurisdiction.42

38 WIEACKER (1961) 91. Cf. also LABATUT ([1868] 300‐301) who locates the praetorian office in a „position intermédiaire entre le pouvoir judiciaire et  le pouvoir  législatif“ by writing about  the praetors: „[...] [I]ls pouvaient étendre, compléter et corriger les dispositions légales, non‐seulement dans l’application du droit aux cas particu‐liers, mais encore dans les limites de leur juridiction locale et tem‐poraire.“ By means of a „alliance de la théorie et de la pratique“ (347),  the  Roman  praetors  achieved  „une  sorte  de  transaction entre  les  lois rigoureuses d’une société qui a disparu et  les  idées humanitaires d’un monde nouveau“  (356). BRETONE  ([1992] 109) analyses the simultaneous demands on the praetors by the princi‐ples  of  justice  in  rem  and  in  personam  through  distinguishing between  two  functional  spheres within  the  praetorship:  condi‐tional  programmes  and  purpose‐specific  programmes.  In  one sphere, the praetor acted as legislator drafting or selecting, from a systematic  point  of  view  encompassing  the  legal  system  as  a whole, adequate procedural formulas which were then published in general form in his edict. In the other sphere and in his respon‐sibility for the judicial procedure, the praetor acted as authority in an individual case thereby following the guidelines and formulas laid down in his own edict.

39 After Cic. leg. 3.3.8.40 VON LÜBTOW (1983) 362.41 VON  LÜBTOW  (1983)  383‐384:  „Die  Gerechtigkeitsidee  hält  zwei 

Werte in sich geschlossen: Die Rechtssicherheit (Kontinuität) und die sachliche Richtigkeit (Gerechtigkeit im engeren Sinne). Weder der eine noch der andere Wert verdient schlechthin den Vorrang. Sie müssen vielmehr von Fall zu Fall gegeneinander abgewogen werden. Darin  bestand  auch  die Aufgabe  des  Prätors.“  Just  as emphatically, HÜBNER  ([1967]  103‐104)  describes  the  intellectual world of  the praetors as shaped by  the ars boni et aequi,  i.e. by a sense for generality, reason and justice.

42 VON LÜBTOW (1983) 364.

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2.3.4. Wolfgang Kunkel – skeptische ZurückhaltungAuch Wolfgang Kunkel erblickte die ausschlaggebende 

rechtsschöpferische  Kraft  in  der  Jurisdiktion  und  dem Edikt der Prätoren.43 Er war aber im Vergleich zu den bis‐her  betrachteten Autoren  in dem  Sinne  kritischer,  als  er eine deutliche Unterscheidung traf zwischen einer formel‐len Betrachtungsweise, der gemäß sich der gewaltige juris‐tische Fortschritt in Rom als Werk einer langen Reihe von Prätoren  darstellt,  und  einem  eher materiellen Gesichts‐punkt, der den Betrachter veranlasst zu sehen, dass hinter den Entschlüssen und Edikten der Prätoren, von denen nur einige wenige zufälligerweise mehr von Recht verstanden als der durchschnittliche vornehme Römer  ihrer Zeit, die Gutachten  (responsa) und Ratschläge  standen, welche die damals führenden Juristen einerseits den streitenden Par‐teien  und  andererseits  dem  Jurisdiktionsmagistrat  selbst erteilten.44 Kunkels Sätzen ist Skepsis den tatsächlichen zi‐vilrechtlichen Fähigkeiten der Prätoren und den Möglich‐keiten  ihres  Amtes  gegenüber  zu  entnehmen,45  eine vorsichtige Zurückhaltung, deren Preis  allerdings  in der Spärlichkeit der Aussagen liegt, die Kunkel über den Prätor als Person wagt.

43 KUNKEL (1990) 81‐86.44 KUNKEL (1990) 87. Auch BÜRGE ([1999] 17, 40) ist sich der beschei‐

denen juristischen Fähigkeiten der Prätoren bewusst, vertritt aber eine andere Erklärung dafür, dass Entwicklung, Vitalität und Aus‐strahlung des römischen Rechts eng mit der Figur des Prätors ver‐knüpft  sind.  Da  der  römische  Formularprozess  letztlich  dem Parteibetrieb unterlag, müsse wohl geschlossen werden, dass die Juristen, welche die  jeweiligen Parteien vertraten, die Quelle der Initiativkraft darstellten. Bürge betont aber, dass der Prätor den‐noch eine entscheidende Funktion erfüllte, nicht nur weil er den verfahrensrechtlichen  Rahmen  für  die  Interaktion  der  Parteien setzte,  indem  er mit  seinem  imperium  zum  Verhandeln  zwang, sondern weil er inhaltlich die Leitlinien für die Formulierung der Prozessprogramme vorgab. Damit ist aber letztlich die Frage noch nicht  beantwortet,  was  den  Prätor  zur  Wahrnehmung  einer anspruchsvollen Aufgabe wie der Vorgabe  inhaltlicher Leitlinien besonders befähigte. Davon unbeirrt, spricht auch KASER  ([1996]151 f.)  von  einer  „Ermessensfreiheit“  der  Jurisdiktionsmagistra‐ten.

45 Am deutlichsten in KUNKEL/WITTMANN (1995) 296: „Auch die Prä‐tur als Obermagistratur mit minderer Amtsgewalt ist keineswegs allein und vielleicht nicht einmal  in erster Linie  für die Aufgabe der Jurisdiktion geschaffen worden, mochten dies auch die Späte‐ren  aus  der  Sicht  ihrer  eigenen  Zeitverhältnisse  so  darstellen.“ Ebenso sei auch die Peregrinenprätur nicht aus einem sehr drin‐genden  Bedürfnis  der  Rechtspflege,  sondern  vor  allem  darum geschaffen worden, weil man  in  besonderen  Fällen  neben  den Konsuln  einen  weiteren  Oberkommandierenden  zu  benötigen glaubte.

ANCILLA IURIS (anci.ch

2.3.4. Wolfgang Kunkel – Sceptical RestraintWolfgang Kunkel,  too,  regarded  the  jurisdiction  and 

the edict of the praetors as the essential driving force in the evolution of republican Roman law.43 Unlike his predeces‐sors, however, he proposed to distinguish between a for‐mal  and  a material  view  on  the  issue. According  to  the former view,  it  is certainly  true  that  the  legal progress  in Rome was the product of a long series of praetors. Contrary to this, the latter view leads us to accept that behind the de‐cisions and edicts of  the praetors – who may only  rarely and merely accidentally have had more legal expertise than the average nobleman of their time – was an entire network of expert reports (responsa) and pieces of advice handed by the leading lawyers of the time to both the conflicting par‐ties  and  to  the praetors  themselves.44 Hence, Kunkel  re‐mained sceptical not only about the  legal expertise of the Roman praetors but about their actual influence on the de‐velopment  of  Roman  civil  law  as  well.45  Wolfgang Kunkel’s  scepticism,  though,  pays  a  high  price:  His statements  on  the  praetors  as  actual  historical  persons remain sparse and distinctly cautious.

43 KUNKEL (1990) 81‐86.44 KUNKEL (1990) 87. BÜRGE ([1999] 17, 40), too, is aware of the prae‐

tors’ lack of legal expertise, but he delivers another explanation for the historic link between the impressive evolution, vitality as well as quality of Roman civil law and the figure of the praetor. Since the responsibility for the legal procedure under the formulary sys‐tem essentially was in the hands of the parties, it should be con‐cluded that the source of the continuous dynamic of Roman  law has  to be  sought  in  the  legal  culture of  those  lawyers and  legal experts who represented  the parties  in  the procedure. Neverthe‐less, Bürge maintains  that  the praetor served a decisive  function by forcing the disputing parties, through means of his imperium, to settle their dispute within the boundaries of the law, by providing and guaranteeing  the procedural  framework  for  this  settlement, and by offering a set of substantial guidelines for the drafting of the procedural formulas. It may be argued that Bürge’s reasoning still does not answer the question what exactly qualified the prae‐tors  to  perform  such  difficult  tasks  requiring  special  qualifica‐tions.  Equally  unimpressed  by  such  doubts, KASER  ([1996]  151‐152) attributes „discretionary powers“ to the jurisdictional magis‐trates.

45 Most clearly  in KUNKEL/WITTMANN  (1995) 296: „Auch die Präturals  Obermagistratur  mit  minderer  Amtsgewalt  ist  keineswegs allein und vielleicht nicht einmal  in erster Linie  für die Aufgabe der  Jurisdiktion geschaffen worden, mochten dies auch die Spä‐teren aus der Sicht  ihrer eigenen Zeitverhältnisse so darstellen.“ They go on to write that the office of the praetor pereginus, too, was not  established  in order  to meet  jurisdictional needs, but  rather because,  in  particular  situations,  an  additional  supreme  com‐mander was required to assist the consuls.

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3. Aufgaben des Prätors

3.1. FragestellungWelche Aspekte der Prätur die römischen Juristen oder 

die Gelehrten des 19. und 20. Jahrhunderts auch immer her‐vorhoben und in welchen Graden der Bewunderung oder Begeisterung sie diese beschrieben, ihnen allen ist – wie wir gesehen haben – gemeinsam, dass sie den Prätor ins Zen‐trum  derjenigen  Entwicklung  rückten,  die  das  römische Recht groß gemacht hat. Diese Konzeption gründet sich in der Vorstellung, der Prätor habe die Formeln, wenn auch nicht geschaffen, so doch erteilt und das Edikt verfasst.

Demgegenüber  erscheint  die  Position  des  römischen Historikers Livius  insofern als bescheidener, als  sein An‐spruch nicht ist, das römische Recht aus seiner Geschichte heraus zu erklären, sondern als Chronist eine Schilderung derjenigen Ereignisse in Rom zu liefern, in deren Rahmen das Recht seine Blütezeit erlebte. Es drängt sich mithin auf, anhand der Berichte des Livius  zu untersuchen, welches unter diesem Blickwinkel die Aufgaben des Prätors waren – um damit anschließend die rechtshistorischen Topoi zur Prätur zu hinterfragen.

3.2. Militärische Aufgaben46

3.2.1. ProvinzialprätorenDie untersuchten Berichte setzen 218 v. Chr. ein, als es 

bereits vier prätorische Amtsstellen gab. Im Laufe der Be‐richtsperiode (bis 167 v. Chr.) erhöhte sich deren Zahl auf sechs,  so dass grundsätzlich vier der gewählten Prätoren als Statthalter in die Provinzen (Sizilien, Sardinien, Hispa‐nia  citerior  und  ulterior)  geschickt wurden  (Kap. 2.2.1.). Dabei fällt auf, dass Livius von diesen Statthaltern beinahe ausschließlich in einem militärischen Kontext berichtet. Sie standen  ständig  im  Krieg47  oder  unterhielten  die  Infra‐struktur  für  kriegerische  Unternehmungen.48  Das  darf nicht  weiter  erstaunen,  verwalteten  sie  doch  die  Rand‐bereiche eines expandierenden und  in seiner  territorialen Ausdehnung noch keineswegs gefestigten Reiches.

46 Die  folgende,  grobe  Klassifizierung  der  prätorischen  Aufgaben wurde  aus  Gründen  der  Übersichtlichkeit  der  Darstellung gewählt  und  beabsichtigt weder,  einen  staatsrechtlichen Aufga‐benkatalog  zu  rekonstruieren,  noch,  Kompetenzsphären  abzu‐grenzen, wie dies MOMMSEN ([1877] 185‐228) versuchte.

47 Cf. Liv. 27.1.9; 27.6.14; 27.29.6; 27.36.12; 27.46.5; 30.2.3‐8; 30.18.1‐14; 30.24.5; 31.10.4; 31.11.3; 40.34.12; 41.21.1‐2; 42.63.3; 44.2.2.

48 Liv.  29.25.6: Der  praetor  für  Sizilien, M. Pomponius,  organisierte den  Proviantverlad  vor  dem  Übersetzen  Scipios  nach  Afrika. 29.36.1:  Der  praetor  für  Sardinien,  Ti.  Claudius  Nero,  schaffte Nachschub nach Nordafrika. Cf. auch 42.31.8.

120 ANCILLA IURIS (anci.ch

3. Praetorian Tasks

3.1. QuestionWhichever aspects of  the praetorship may have been 

stressed by the Roman jurists and the legal historians of the 19th and 20th century, and however emphatically or scepti‐cally they may have been described, all interpretations, as seen above, have  in common  that  they place  the praetor‐ship in the centre of those developments which made the Roman law become paradigmatic for the western legal tra‐dition. This fundamental similarity is rooted in a common concept of the praetor as editor – if not as author – of the procedural formulas and the edict.

In comparison, Livy’s position as a historian is less am‐bitious since his aim is not to explain the Roman law on the basis of its history but merely to report, as chronicler, the events that took place in Rome at the time of the rise of the classic Roman  law.  It may be  fruitful  to examine, on  the basis of Livy’s reports, the tasks of the praetors in order to afterwards compare these findings with the topoi of Roman jurists and legal historians as laid out in the previous chap‐ter.

3.2. Military Tasks46

3.2.1. Provincial PraetorsThose of Livy’s reports which are relevant for the pur‐

poses of this paper start in 218 B.C., at a time when the prae‐torship consisted of four magistrates’ offices. Until 167 B.C. the number of praetors appointed annually raised to six so that, in general, four of them were sent to serve as gover‐nors in the provinces (Sicily, Sardinia, Hither and Further Spain;  ch. 2.2.1.).  It  is noteworthy  that Livy writes about these governors almost always  in military contexts. They were permanently at war47 or had  to maintain  the  infra‐structure  for military  expeditions.48  This  can  hardly  be surprising since the provincial praetors governed the outer borders  of  an  ever  expanding  and  not  yet  consolidated empire.

46 The following way of classifying the praetorian tasks was chosen for  the sake of clarity.  It does neither claim  to establish a sort of public law‐catalogue of praetorian tasks nor does it delimit areas of competence, as had been MOMMSEN’s ([1877] 185‐228) intention.

47 Cf. Liv. 27.1.9; 27.6.14; 27.29.6; 27.36.12; 27.46.5; 30.2.3‐8; 30.18.1‐14; 30.24.5; 31.10.4; 31.11.3; 40.34.12; 41.21.1‐2; 42.63.3; 44.2.2.

48 Liv.  29.25.6:  The  duty  of  loading  supplies  in  preparation  for Scipio’s taking across to Africa was assigned to M. Pomponius, the praetor  for Sicily. 29.36.1: The praetor  for Sardinia, Ti. Claudius Nero, sent a large amount of grain as supplies to North Africa. Cf. also 42.31.8.

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

Dass die Provinzialprätoren in Ausübung ihres militä‐rischen Imperiums funktionell durchaus den Konsuln ähn‐lich waren und daher mit ihnen in Kompetenzkonflikte ge‐raten  konnten,  zeigt  die  Geschichte  des  Prätors  Lucius Furius Purpurio, der  für Gallien zuständig war und dort mit dem Heer des Konsuls Gaius Aurelius Krieg gegen die Gallier geführt hatte, ohne auf diesen zu warten, worüber sich der Konsul sehr verärgert zeigte.49 Obwohl dieses Vor‐gehen des Prätors ungeheuerlich und ohne Vorbild gewe‐sen war und obwohl daher  einige Senatoren dem Prätor den Triumphzug durch Rom verweigern wollten, wurde ihm  letztlich  doch  Anerkennung  für  seine militärischen Leistungen  gezollt. Die Beliebtheit des  anwesenden  Prä‐tors,  schreibt  Livius,  habe  über  den  höheren  Rang  des abwesenden Konsuls gesiegt, und der Triumph sei ihm be‐willigt worden.50 Nicht nur führten die prätorischen Statt‐halter Krieg, sondern sie genossen offensichtlich für die da‐bei  erzielten  Erfolge  auch  ein  hohes  gesellschaftliches Ansehen.  Die  Provinzialprätoren  wurden  offiziell  als Kriegsherren betrachtet und geschätzt.51

Selten sind die von Livius überlieferten Fälle, in denen die Statthalter zivile Aufgaben übernahmen. Sie beziehen sich einerseits auf die Zeit zwischen der Wahl der Prätoren und der Losung ihrer Aufgaben respektive der Entsendung in ihre Einsatzgebiete (Kap. 2.2.2.).52 Für die in den Provin‐zen verbrachte Zeit berichtet Livius neben der Kriegsfüh‐rung andererseits nur von Untersuchungen wegen Plünde‐rungen,  Verschwörungen  und  Tempelraubes,  die  durch die Statthalter durchgeführt werden sollten.53

49 Liv. 31.47.4.50 Liv. 31.49.1.51 Liv.  30.18.5:  „Utram  vellet  praetor muneris  partem,  proconsule 

accipiente Quinctilius praetor [P. Quinctilius Varus, Prätor für Gal‐lien]  [...]“  Offenbar  ging  das militärische Ansehen  der  prätori‐schen  Statthalter  so  weit,  dass  ihren  Anordnungen  unter Umständen sogar ein collega maior Folge leistete.

52 Liv.  22.10.10: Der  praetor  für  Sizilien, Titus Otacilius,  gelobte  in Rom der Göttin Mens einen Tempel. 31.50.3: Der praetor für Arimi‐num, Cn. Baebius Taphilus, veranstaltete zusammen mit dem Ädi‐len L. Terentius die Plebejerspiele dreimal hintereinander. 33.44.2: Der im Jahre 217 v. Chr. für Sizilien zuständige Prätor A. Corne‐lius Mammula hatte auf Senatsbeschluss und Geheiß des Volkes hin gelobt, den Heiligen Frühling  (ver  sacrum) durchzuführen  – einen alten italischen Brauch, bei dem in Notzeiten gelobt wurde, alles, was  im entsprechenden Frühling geboren wurde, den Göt‐tern zu weihen, also die Tiere zu opfern und die Menschen, sobald sie  erwachsen  waren,  auszusenden,  um  eine  neue  Heimat  zu gründen. 40.43.2: Bevor der Prätor  für Sardinien, C. Maenius,  in seine Provinz ging, wurde ihm aufgetragen, Fälle von Giftmische‐rei  in einer Entfernung von mehr als zehn Meilen von der Stadt Rom zu untersuchen. 43.2.3: L. Canulejus, als Prätor für Spanien gewählt, sollte vor seinem Amtsantritt in Spanien in einem Scha‐denersatzprozess  von  Spaniern  gegen  ehemalige  Prätoren  für jeden der Beklagten  fünf Sonderrichter aus dem Senatorenstand einsetzen.  Den  Prätoren  wurde  vorgeworfen,  sie  hätten  in unrechtmäßiger Weise Geld eingetrieben.

ANCILLA IURIS (anci.ch

With the provincial praetors functionally equalling the consuls in their military imperium, disputes over respective competences  could  arise.  This  is  shown  by  the  events around the praetor for Gallia, Lucius Furius Purpurio, who had  led  a military  campaign  against  the Gauls with  the army of the consul Gaius Aurelius. Having arrived  in his province and found the campaign finished, the consul ex‐pressed his anger at the praetor for having fought in his ab‐sence.49 A dispute over the matter arose in the senate since the praetor’s conduct had been outrageous and unprece‐dented. Nevertheless, he was granted a  triumph  through Rome  for his military achievements. Livy writes  that  the prestige of  the consul, despite his being  the collega maior, was outweighed by the personal influence of the praetor.50

These events further show that the provincial praetors not only waged wars but that they also received high recogni‐tion  for  their military achievements. They were officially accepted as military commanders and were regarded high‐ly in such a position.51

Cases  are  rare  in which  Livy  reports  the  praetorian governors to have performed civil tasks. In some instances, these cases  relate  to  the period between  the election of a praetor and the allotment of his tasks or his being sent into his province (ch. 2.2.2.).52 In others, they concern the part of a term of office which the praetors spent in their provinces. However, they always refer to enquiries by praetorian gov‐ernors into cases of looting, conspiracy, and plundering of temples.53

49 Liv. 31.47.4.50 Liv. 31.49.1.51 Liv.  30.18.5:  „Utram  vellet  praetor muneris  partem,  proconsule 

accipiente Quinctilius  praetor  [P. Quinctilius  Varus,  praetor  for Gallia]  [...]“ Evidently,  the military reputation of a praetor could be so high as to lead a collega maior (in case: a proconsul) to accept his orders.

52 Liv. 22.10.10: The praetor for Sicily, Titus Otacilius, vowed a temple in Rome to the goddess Mens. 31.50.3: The praetor for Ariminum, Cn. Baebius Taphilus, and the aedil L. Terentius repeated the Ple‐beian Games three times in a row. 33.44.2: A. Cornelius Mammula, responsible for Sicily in 217 B.C., had vowed the ceremony of the Sacred Spring (ver sacrum) by decree of the senate and by vote of the people. 40.43.2: Before  leaving  for his province Sardinia,  the praetor C. Maenius was assigned the additional task of investigat‐ing cases of poisoning beyond ten miles of the city of Rome. 43.2.3: L. Canuleius, to whom Spain had been allotted, was ordered in a judicial process of  five Spaniards against  former Roman officials for alleged unjustified extortion of money to assign five judges for each of the defendants.

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

Angesichts dieser Sachlage scheint klar zu sein, dass die Prätoren, die als Statthalter in die Provinzen gingen, neben militärischen Unternehmungen, Verwaltungs‐ und Unter‐suchungsaufgaben weder die  in zeitlicher noch  in  fachli‐cher Hinsicht nötigen Kapazitäten gehabt haben dürften, um eine ständige Rechtsprechung zu unterhalten oder gar das römische Recht durch innovative Einzelfallentscheide weiterzubilden.54 Zwar erließen auch die Provinzstatthal‐ter Jurisdiktionsedikte,55 doch dürften sie sich dabei eng an die Edikte des praetor urbanus oder peregrinus angelehnt ha‐ben.56 Damit rücken die prätorischen Statthalter aus dem Brennpunkt des Interesses dieser Abhandlung. Sie werden im folgenden nicht mehr eigens behandelt.

3.2.2. Praetor urbanus und praetor peregrinusAuch  für  die  Träger  der  beiden  städtischen  prätori‐

schen Ämter, für den praetor urbanus und den praetor pere‐grinus, gilt, dass sie zumindest zu einem nicht unbeachtli‐chen Grade  nach militärischen Gesichtspunkten  gewählt wurden.57 Daher drängt sich auch bei ihnen eine Übersicht über ihre militärischen Aufgaben auf.

(i) Praetor urbanusLivius’ Nachrichten über militärische Unternehmungen 

des praetor urbanus sind nicht häufig, tauchen aber zumin‐dest bis 198 v. Chr. mit gewisser Regelmäßigkeit auf. Für 216 v. Chr. berichtet Livius beispielsweise, dass der praetor urbanus Publius Furius Philus II mit seiner Flotte schwer‐verwundet aus Afrika nach Lilybaeum zurückgekehrt sei.58

53 Liv. 29.20.4:  Im  Jahre  204 v. Chr. kamen Gerüchte nach Rom,  in denen  Scipio  und  seinem  Legaten  Pleminius  Disziplinlosigkeit ihres Heeres und Plünderungen auf ihrem Kriegszug durch Sizi‐lien vorgeworfen wurden. M. Pomponius Matho, dem durch das Los  die  sizilianische  Prätur  zugefallen war,  sollte  daraufhin  in seine Provinz aufbrechen und eine Untersuchung in dieser Ange‐legenheit führen. 31.12.1‐3: Vier Jahre später wurde der für Brut‐tium  zuständige  Prätor  Q.  Minucius  Rufus  mit  ähnlichen Untersuchungen wegen  eines  Tempelraubes  beauftragt,  und  es wurde ihm daraufhin das Amt für das Jahr 199 v. Chr. verlängert, um  die während  seiner  Amtszeit  begonnenen  Untersuchungen abschließen  zu können  (32.1.7).  39.29.9 und  39.41.6: Vom Prätor für  Tarent,  L.  Postumius,  wurde  die  Untersuchung  einer  Ver‐schwörung von Hirten geführt.

54 In diesem Sinne auch KUNKEL/ WITTMANN (1995) 298.55 MOMMSEN  (1877)  213 mit Verweis  auf Berichte Ciceros; KUNKEL 

(1990) 88; BRETONE (1992) 103.56 VON LÜBTOW (1983) 383.57 Livius  (27.6.10) schreibt über die beiden städtischen Prätoren  im 

Zusammenhang mit der Wahl der praetores für das Jahr 209 v. Chr.: „Patribus id tempus rei publicae visum est, ut per veteres et exper‐tes  bellique  peritos  imperatores  res  publica  gereretur  [...]“  Zu beachten ist, dass diese Wahl 210 v. Chr. erfolgte, also während des zweiten  Punischen  Krieges,  einer  Zeit  äußerster  militärischer Anspannung aller Kräfte Roms.

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All  of  this  seems  to make  abundantly  clear  that  the praetors who were sent, as governors, into the provinces of the Roman empire, had neither the time nor the expertise necessary to maintain – alongside their military, adminis‐trative  and  investigative  functions  –  a  permanent  juris‐diction in civil matters or even to enrich the Roman law by innovative decisions  in  individual  cases.54  It  is  true  that also the provincial praetors issued  judicial edicts.55 How‐ever,  they  are  said  to  have  thereby  followed  closely  the edicts of the praetor urbanus or peregrinus.56 The provincial praetors  therefore  cannot  sensibly  form  the  subject  of  a research  looking  into  the  role  of  the  praetors  as jurisdictional  magistrates.  Hence,  they  are  not  treated separately anymore in the following chapters.

3.2.2. Praetor Urbanus and Praetor PeregrinusLike the provincial praetors,  the magistrates occupied 

with the urban praetorship, i.e. the praetor urbanus and the praetor peregrinus, were elected, at least partly, with a view to their military skills.57 For this reason an overview over their military tasks shall be given below.

(i) Praetor UrbanusLivy does not  frequently report about military opera‐

tions led by the praetor urbanus. Still, until 198 B.C. such re‐ports appear with a certain regularity. In 216 B.C., for exam‐ple,  the praetor urbanus Publius Furius Philus  II  is said  to have returned with his fleet from Africa to Lilybaeum after having  been  seriously wounded.58 Mommsen  takes  the 

53 Liv.  29.20.4:  In  204 B.C.  rumours were heard  in Rome  in which Scipio and his legatus Pleminius were accused of lack of discipline on the side of their troops and of lootings during their campaign in Sicily. M. Pomponius Matho,  the praetor  to whom Sicily had been allotted as his province, should within three days  leave  for his  province  in  order  conduct  an  examination.  31.12.1‐3:  Four years  later,  the  praetor  responsible  for  Bruttium,  Q. Minucius Rufus, was  instructed  to hold an enquiry  into  the plundering of the  treasury  in  the  temple  of  Persephone  at  Locri. His  term  of office was subsequently prorogued for the year 199 B.C. to enable him to complete his enquiry (32.1.7). 39.29.9 and 39.41.6: The prae‐tor for Tarentum, L. Postumius, conducted an investigation into a conspiracy of shepherds.

54 KUNKEL/ WITTMANN ([1995] 298) agree on this point.55 MOMMSEN  (1877)  213  referring  to  reports  by  Cicero;  KUNKEL 

(1990) 88; BRETONE (1992) 103.56 VON LÜBTOW (1983) 383.57 Livy  (27.6.10) writes about  the  two urban praetors  in connection 

with the election of the praetors for the year 209 B.C.: „Patribus id tempus rei publicae visum est, ut per veteres et expertes bellique peritos imperatores res publica gereretur [...]“ In this case, credit should be given to the fact that the election took place in 210 B.C., i.e. during the time of  the second Punic War when Rome had  to mobilise all its military potential.

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

Zwar vertritt Mommsen die Ansicht, der praetor urbanus sei durch  gesetzliche  Vorschrift  angewiesen  worden,  sich nicht auf länger als höchstens zehn Tage aus der Stadt zu entfernen,59 doch legt die Zahl der auf das Gegenteil hin‐weisenden Notizen bei Livius den Schluss nahe, dass diese Vorschrift keineswegs streng gehandhabt wurde. Möglich scheint auch gewesen zu sein, dass ein praetor urbanus sein Kommando über die Stadtlegionen auf einen Dritten über‐trug und diesen die Legionen aus der Stadt führen ließ.60

Darüber hinaus  finden  sich Hinweise dafür, dass der praetor urbanus für den militärischen Schutz der Stadt Rom selbst verantwortlich war.61 Aber auch in Zeiten, in denen Rom selbst durch das Kriegsgeschehen nicht bedroht war, behielt der praetor urbanus in einem weiteren Sinne militäri‐sche Aufgaben. So hob er Truppen aus,62 sorgte für deren Ausrüstung63  respektive  Versorgung64  und  veranlasste den Bau von Schiffen.65 Zudem scheint ihm in Zusammen‐

58 Liv. 23.21.2; 23.32.15‐18: „Ne praetoribus quidem, qui ad ius dicen‐dum creati erant, vacatio a belli administratione data est. [...] Par navium  numerus  [viginti  quinque  naves]  Q.  Fulvio  praetori urbano decretus ad suburbana  litora  tutanda.“  (Dass von MAXIS ([1911] 22) Q. Fulvius Flaccus als praetor peregrinus genannt wird, beruht  auf  einem  Irrtum.  Cf.  Liv.  23.30.18  sowie  BROUGHTON (1951)  254.) Ähnlich  Liv.  27.22.12. Deutlicher  noch  27.7.11: Der praetor  urbanus  C.  Hostilius  Tubulus  übernahm  das  Heer,  das damals in Ariminum stand. (Diese Nachricht beruht nach Ansicht MOMMSENS ([1877] 187 Fn. 2) allerdings auf einem Versehen.) Liv. 32.26.8‐11: Dem praetor urbanus L. Cornelius Lentulus wurde 198 v. Chr. ein Sklavenaufstand bei Setia (in der Umgebung Roms gele‐gen)  angezeigt.  Daraufhin  beauftragte  ihn  der  Senat  aufzubre‐chen,  um  diese  Verschwörung  zu  untersuchen  und  zu unterdrücken.

59 MOMMSEN  (1877) 186 f. Cf. auch DULCKEIT/SCHWARZ/WALDSTEIN (1995) 92.

60 Auf diese Möglichkeit weist Liv. 28.46.13 hin.61 Liv. 26.10.2: Als Hannibal vor den Toren Roms  stand,  sollte der 

praetor  urbanus C. Calpurnius  das Kommando  auf  dem Kapitol und der Burg führen. Cf. auch 22.55.1: „P. Furius Philus [praetor urbanus]  et M.  Pomponius  [praetor  peregrinus]  praetores  sena‐tum in curiam Hostiliam vocaverunt, ut de urbis custodia consule‐rent [...]“

62 Liv. 40.26.7: Der praetor urbanus Q. Petilius sollte zwei Reservele‐gionen aus römischen Bürgern ausheben und alle unter 50 Jahren den Fahneneid leisten lassen. 42.27.3: Der praetor urbanus C. Lici‐nius  wurde  aufgefordert,  für  25  Schiffe  Seesoldaten  aus  dem Stand der Freigelassenen unter den römischen Bürgern auszuhe‐ben. 43.14.3‐5 und 43.15.1: Der praetor urbanus C. Sulpicius hob in elf Tagen vier Legionen aus, um damit den Konsuln zu beweisen, dass es bei strengem und konsequentem Vorgehen gelinge, genü‐gend junge Leute auszuheben.

63 Liv. 35.23.6; 44.16.4: Der praetor urbanus C. Sulpicius vergab den Auftrag, 6’000 Togen, 30ʹ000 Tuniken und 200 Pferde für den Kon‐sul Q. Marcius  nach Makedonien  zu  schaffen. Darüber  hinaus bezahlte er den Gesandten der Epiroten das Geld für das Getreide, das Q. Marcius ihnen abgekauft hatte.

64 Liv. 25.15.4: Der praetor urbanus P. Cornelius Sulla schickte einen Unterfeldherrn  nach  Etrurien,  um  dort  Getreide  für  die  einge‐schlossene Besatzung der Burg von Tarent einzukaufen.

ANCILLA IURIS (anci.ch

view that the praetor urbanus was bound by law not to leave the  city  of  Rome  for more  than  ten  consecutive  days.59

Livy’s reports, however, indicate the contrary and suggest that this legal provision was not strictly followed. Another possibility  seems  to have  been  for  the  praetor  urbanus  to transfer his command onto someone else and to order him to lead the city legions out of Rome.60

References can be found to a general responsibility of the praetor urbanus for the military protection of the city of Rome  itself.61  The  praetor  urbanus  continued  to  perform military  tasks also during periods  in which  the city  itself was not  threatened by war. He  levied  troops,62 provided them with the necessary equipment63 and supplies,64 and supervised the building of ships.65 Furthermore, he seems to have been responsible,  in cooperation with  the senate, 

58 Liv. 23.21.2; 23.32.15‐18: „Ne praetoribus quidem, qui ad ius dicen‐dum creati erant, vacatio a belli administratione data est. [...] Par navium  numerus  [viginti  quinque  naves]  Q.  Fulvio  praetori urbano decretus ad suburbana litora tutanda.“ (MAXIS ([1911] 22) seems to be wrong in qualifying Q. Fulvius Flaccus as praetor pere‐grinus. Cf. Liv. 23.30.18 as well as BROUGHTON  (1951) 254.) Simi‐larly Liv.  27.22.12. More pronouncedly  even  27.7.11: The  praetor urbanus C. Hostilius Tubulus took over an army which was then at Ariminum. (Following MOMMSEN ([1877] 187 fn. 2), however, this report is based on an error.) Liv. 32.26.8‐11: In 198 B.C. notice was given to the praetor urbanus L. Cornelius Lentulus about a conspir‐acy of slaves at Setia (located in the surroundings of Rome). The senate ordered him to set out, to investigate, and to suppress this conspiracy.

59 MOMMSEN  (1877)  186‐187.  Cf.  also  DULCKEIT/SCHWARZ/WALD‐STEIN (1995) 92.

60 For this possibility cf. Liv. 28.46.13.61 Liv.  26.10.2: When Hannibal  approached  Rome,  it was  decided 

that  the praetor urbanus C. Calpurnius should be  in command of the Capitol and the Citadel. Cf. also 22.55.1: „P. Furius Philus [pra‐etor  urbanus]  et M.  Pomponius  [praetor  peregrinus]  praetores senatum  in  curiam Hostiliam  vocaverunt,  ut  de  urbis  custodia consulerent [...]“

62 Liv. 40.26.7: The praetor urbanus Q. Petilius was ordered  to enrol two emergency  legions of Roman citizens and  to administer  the oath to all under the age of 50 years. 42.27.3: The praetor urbanus C. Licinius was ordered to enrol, from among Roman citizens of the class of  freedmen, sailors  for 25 ships. 43.14.3‐5 and 43.15.1: The praetor urbanus C. Sulpicius completed the levy of four legions in eleven days in order to prove to the consuls that it was possible, by  taking  rigorous  action,  to  levy  enough men  of military  age within due time.

63 Liv. 35.23.6; 44.16.4: On behalf of the consul Q. Marcius, the praetor urbanus C. Sulpicius  commissioned a  transport  to Macedonia of 6,000 togas, 30,000 tunics, and 200 horses. He furthermore paid the envoys of the Epirotes the price of the grain which Q. Marcius had bought from them.

64 Liv. 25.15.4: The praetor urbanus P. Cornelius Sulla sent his lieuten‐ant  to Etruria  to purchase grain as supplies  for  the  troops encir‐cled in Tarentum.

) 2006: 107 ‐ Synopsis 123

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

arbeit mit dem Senat die zentrale Steuerung der militäri‐schen Aktivitäten der consules und praetores in den Provin‐zen oblegen zu haben: Livius erwähnt, dass der Prätor die von den Feldherren in Rom eintreffenden Briefe entgegen‐nahm66 und anschließend dem Senat verlas,67 dass er die Reaktionen  und militärischen  Beschlüsse  des  Senates  in Briefform  an  die  Feldherren  zurücksandte,68  dass  er  zu‐sammen  mit  dem  Senat  personelle  Entscheide  für  zu besetzende Posten  traf,69 bestandene Feldherren  aus den Provinzen zurückrief70 und weitere Aufgaben der Militär‐verwaltung übernahm.71

(ii) Praetor peregrinusWährend das Amt des  praetor  urbanus  immer  besetzt 

wurde, konnte die Peregrinenprätur nach dem Ermessen des Senates entweder gleich bei der Losung mit dem Amt des praetor urbanus zusammengelegt oder konnte nach der Losung der betreffende Prätor vom Senat dazu veranlasst werden,  seine Kompetenz  auf den  städtischen  collega  zu übertragen, um  für andere Aufgaben  freizustehen.72 Dies geschah gerade während des  zweiten Punischen Krieges und danach recht häufig,73 seit der Errichtung der spani‐

65 Liv. 35.21.1: M. Fulvius (praetor urbanus) und L. Scribonius (praetor peregrinus) erhielten zusammen den Auftrag, 130 Fünfruderer aus‐zurüsten. 35.24.8: Noch im gleichen Jahr sollte M. Fulvius 50 wei‐tere Fünfruderer bauen. 36.2.15 (Der hier erwähnte M. Junius war praetor urbanus und peregrinus zugleich.); 42.27.1.

66 Liv. 27.50.9; 36.21.6; 42.8.4.67 Liv. 32.31.6: In diesem Falle verlas der praetor urbanus M. Sergius 

die Briefe der beiden Konsuln über  ihre militärischen Erfolge  in Gallien nach dem Willen des Senates auch vor dem Volk. 33.21.9; 33.24.4.

68 Liv. 25.22.11; 25.41.8; 35.23.8; 35.24.2; 37.57.4; 40.16.6; 42.27.5.69 Liv.  25.19.10: Der  praetor  urbanus  P. Cornelius  Sulla  schlug dem 

Senat einen Zenturionen als Feldherrn vor. Cf. auch 42.35.4.70 Liv. 27.4.4: Der praetor urbanus L. Manlius rief den Konsul Valerius 

aus Sizilien zurück. 30.24.2; 44.17.3.71 Liv. 39.5.6: Der praetor urbanus Ser. Sulpicius beantragte für M. Ful‐

vius beim Senat einen Triumph. 43.1.10: Als der Senat vernommen hatte, dass der Konsul C. Cassius ohne Senatsbeschluss in Make‐donien  einmarschiert war,  beauftragte  er den  praetor  urbanus C. Sulpicius damit, drei Gesandte aus dem Senat zu benennen, die dem  Konsul  nachziehen  sollten.  43.4.11: Der  praetor  urbanus Q. Maenius machte  im Auftrag des Senates vor der Volksversamm‐lung bekannt, der Prätor L. Hortensius sei mit übertriebener Härte gegen die Stadt Abdera vorgegangen. Für einen ähnlich gelager‐ten Fall cf. 43.7.8 und 43.8.4‐7.

72 Cf. MOMMSEN (1877) 201.73 Gemäß  der  von MAXIS  ([1911]  19‐35)  zusammengestellten  Liste 

der Prätoren erfolgte in den 22 Jahren von 218 bis 197 v. Chr. die Überweisung der Fremdenprätur an einen der gewählten Prätoren in  9  Fällen  nicht;  dreimal wurde  die  Peregrinenprätur mit  der urbana  iurisdictio  zusammengelegt  (z.B.  207  v.  Chr.  –  cf.  Liv. 27.36.11. 28.10.12: 206 v. Chr. übergab Q. Mamilius seine Fremden‐prätur nach der Losung an den praetor urbanus M. Caecilius Metel‐lus und übernahm dafür die Provinz Gallien.);  in zwei Fällen  ist die Lage unklar.

124 ANCILLA IURIS (anci.ch

for the central command of the military campaigns of the consuls and praetors in the provinces: Livy reports that the praetor received  letters by  the commanders  in  the  field66

and passed their content on to the senate,67 that he commu‐nicated back to the commanders the reactions and strategic decisions of the senate,68 that he decided together with the senate on  the personnel  to  fill vacancies,69  that he  called commanders  from  their provinces back  to  the city,70 and that he performed various other tasks with respect to mili‐tary administration.71

(ii) Praetor PeregrinusWhile the office of the praetor urbanus was always allot‐

ted to one of the magistrates, the office of the praetor peregri‐nus could, at the senate’s discretion and by its decree, either at the time of allotment be combined with the office of the praetor urbanus or after the allotment be transferred onto the urban collega so as to make the praetor peregrinus available for other  tasks.72 During and after  the second Punic War this happened frequently,73 but only rarely since the estab‐

65 Liv. 35.21.1: M. Fulvius (praetor urbanus) and L. Scribonius (praetor peregrinus)  were  instructed  to  make  ready  130  quinqueremes. 35.24.8: In the same year, M. Fulvius was entrusted with the build‐ing of a  further 50 quinqueremes. 36.2.15  (The magistrate  in ques‐tion here, M. Junius, was praetor urbanus and peregrinus at the same time.); 42.27.1.

66 Liv. 27.50.9; 36.21.6; 42.8.4.67 Liv. 32.31.6: In this case, the praetor urbanus M. Sergius read in the 

senate and then, with the senate’s authorisation, to the people the letters of  two consuls describing  their military success  in Gallia. 33.21.9; 33.24.4.

68 Liv. 25.22.11; 25.41.8; 35.23.8; 35.24.2; 37.57.4; 40.16.6; 42.27.5.69 Liv. 25.19.10: The praetor urbanus P. Cornelius Sulla suggested  to 

the senate to promote a centurion to the rank of general. Cf. also 42.35.4.

70 Liv.  27.4.4: The  praetor urbanus L. Manlius by  letter  recalled  the consul Valerius from his province Sicily. 30.24.2; 44.17.3.

71 Liv. 39.5.6: The praetor urbanus Ser. Sulpicius applied to the senate for  a  triumph  to  be  granted  to M.  Fulvius.  43.1.10: When  the senate learned that the consul C. Cassius had, without its decree, led  his  army  into Macedonia,  it  ordered  the  praetor  urbanus C. Sulpicius  to  name  three  envoys  from  among  the  senators who should set out from the city and overtake the consul. 43.4.11: The praetor urbanus Q. Maenius was instructed by the senate to make a proclamation before an assembly on  the matter of  the praetor L. Hortensius whose troops had stormed and plundered the town of Abdera. For a similar case cf. 43.7.8 and 43.8.4‐7.

72 Cf. MOMMSEN (1877) 201.73 According  to  the  list of praetors published by MAXIS  ([1911] 19‐

35),  in 9 cases during  the 22 years between 218 and 197 B.C.  the allotment of the office of the praetor peregrinus to one of the elected magistrates did not take place; in three cases the office of the prae‐tor was combined with  the urbana  iurisdictio  (as  in 207 B.C. – cf. Liv. 27.36.11. 28.10.12: In 206 B.C. the praetor peregrinus Q. Mamil‐ius  handed  his  judicial duties  over  to  his  colleague,  the  praetor urbanus M. Caecilius Metellus,  and,  in  their  place,  received  the province  of  Gallia.),  and  in  two  cases  the  situation  remains unclear.

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

schen Provinzen  im  Jahre 197 v. Chr. hingegen nur noch selten.74 Damit ist einesteils klar, dass in solchen Fällen die Anzahl der für die Wahrnehmung von Jurisdiktionsaufga‐ben in dem hier interessierenden Sinne – also gerade nicht sporadisch  und  bloß  nebenbei  –  in  Frage  kommenden Personen  von  zwei  auf  eine  reduziert wurde, was  einer recht drastischen Reduktion der ohnehin  spärlichen prä‐torischen Kapazitäten  für die Rechtspflege gleichkommt. Anderenteils ging damit auch eine Übertragung der vom praetor peregrinus ansonsten in eigener Person wahrgenom‐menen militärischen und nicht‐militärischen Aufgaben auf den  praetor  urbanus  einher,  womit  letzterer  zwar  keine neuartigen  Herausforderungen,  aber  eine  zusätzliche Belastung erfahren haben dürfte.

In der Tat gleichen die üblicherweise vom praetor pere‐grinus wahrgenommenen militärischen Aufgaben  in  ihrer Art weitgehend denen des praetor urbanus. So erwähnt Livi‐us auch den praetor peregrinus im Zusammenhang mit mili‐tärischen Unternehmungen – allerdings häufiger als seinen Kollegen, da der  Fremdenprätor der  örtlichen Beschrän‐kung des Aktionskreises, wie sie der praetor urbanus kannte, nicht unterworfen war.75 Nach Livius ergriff der praetor pe‐regrinus  in Kriegsangelegenheiten  bisweilen  auch die Ei‐geninitiative.76 Ab  und  an  scheint  der  praetor  peregrinusauch für die Aushebung von Soldaten zuständig gewesen zu sein77 und generelle Aufgaben  im Bereich der Militär‐verwaltung übernommen zu haben.78

74 Bis  167  v.  Chr.  ist  ein  solches  Ausfallen  der  Überweisung  der Fremdenprätur respektive ein Zusammenfallen der beiden präto‐rischen Ämter nur für das Jahr 191 v. Chr. sicher nachweisbar. Die 189  v.  Chr.  vorgenommene  Vereinigung  der  Präturen  in  einer Hand  (Liv.  37.50.8)  wurde  während  der  Amtszeit  rückgängig gemacht. Cf. MAXIS (1911) 35‐60. Für das Jahr 184 v. Chr. berichtet Livius  (39.39.2  und  39.39.15)  von  einem  umgekehrten  Ereignis: Nach dem Tod des praetor urbanus C. Decimius Flavus bestimmte der Senat, der praetor peregrinus P. Cornelius  solle das Amt mit‐übernehmen.

75 DULCKEIT/SCHWARZ/WALDSTEIN ([1995] 92) halten fest, der praetor peregrinus sei allgemein als Führer einer Reservearmee für Italien vorgesehen gewesen. Liv. 23.32.2: Dem praetor peregrinus Marcus Valerius wurden diejenigen Legionen zugewiesen, die aus Sizilien zurückgekehrt  waren.  23.32.15‐17:  Derselbe  Prätor  ging  später nach Apulien, um dort das Heer von Terentius zu übernehmen. Überdies erhielt er 25 Schiffe, um mit  ihnen die Küste zwischen Brundisium  und  Tarent  schützen  zu  können.  Auf  militärische Aktionen desselben Marcus Valerius beziehen  sich auch 23.33.5; 23.37.12; 23.48.3. Cf. auch 27.10.12 (Dem praetor peregrinus L. Vetu‐rius war auch Gallien zugelost worden.); 33.36.2: Als 196 v. Chr. in Etrurien ein Sklavenaufstand  losbrach, erhielt der praetor peregri‐nus M´. Acilius Glabro eine Reservelegion mit der Aufgabe, den Aufstand  zu  untersuchen  und  niederzuwerfen.  42.27.5  und 42.27.8; 45.3.2.

76 Liv. 45.21.1‐6.77 Liv. 40.26.7; 42.18.2; 43.9.6.

ANCILLA IURIS (anci.ch

lishment of the Spanish provinces in 197 B.C.74 This means, on  the  one  hand,  that  in  such  cases  the  number  of magistrates available for  jurisdictional tasks – in the form which is of sole interest here, i.e. not just sporadically and incidentally – was reduced from two to one resulting in a significant diminution of what had been a small praetorian capacity  for civil  jurisdiction  from  the start. On  the other hand,  it  should  be noted  that  a  transfer  onto  the  praetor urbanus  of  those military  as well  as  civil  tasks  generally performed  by  the  praetor  peregrinus  may  not  have confronted the former with challenges entirely new to him, but that it would doubtlessly burden him even further.

The military tasks  incumbent upon the praetor peregri‐nus were similar to those performed by the praetor urbanus. Livy frequently mentions the praetor peregrinus in connec‐tion with military expeditions – even more frequently than his colleague since, unlike the latter, he did not see himself restrained by any local limitation to his range of action.75

The  praetor  peregrinus  is  reported  by  Livy  to  have  acted sometimes even on his own  initiative.76 He also seems to have been entrusted with the levying of troops77 and with other,  less  specific  tasks  in  relation  to military  admini‐stration.78

74 Until 167 B.C. an absence of allotment of the office of the praetor peregrinus  or,  alternatively,  a  combination  of  the  two  forms  of urban praetorship can only be demonstrated for the year 191 B.C. The decision  to  combine  the  two urban praetorian offices  in  the hands of one magistrate in 189 B.C. (Liv. 37.50.8) was undone dur‐ing  the  term of office. Cf. MAXIS  (1911) 35‐60. A reverse event  is reported by Livy for 184 B.C. (39.39.2 and 39.39.15): Following the death  of  the  praetor  urbanus  C.  Decimius  Flavus,  the  senate ordered  the praetor peregrinus P. Cornelius  to hold both  jurisdic‐tions in the city of Rome.

75 Following DULCKEIT/SCHWARZ/WALDSTEIN ([1995] 92), the praetor peregrinus generally served as commander of a  reserve army  for Italy. Liv. 23.32.2: Marcus Valerius, the praetor peregrinus, was allot‐ted those legions which had returned from Sicily. 23.32.15‐17: The same praetor later went to Apulia to take over the army from Ter‐entius. He furthermore received 25 ships for defending the coast between Brundisium and Tarentum. For further references to mili‐tary  activities  of  the  same Marcus Valerius  cf.  23.33.5;  23.37.12; 23.48.3. Cf.  also  27.10.12  (The  praetor  peregrinus L. Veturius  had also received the province of Gallia.); 33.36.2: When, in 196 B.C., a slave  insurrection was taking place  in Etruria, the praetor peregri‐nus M´. Acilius Glabro was  sent with one of  the  city  legions  to investigate and suppress it. 42.27.5 and 42.27.8; 45.3.2.

76 Liv. 45.21.1‐6.77 Liv. 40.26.7; 42.18.2; 43.9.6.

) 2006: 107 ‐ Synopsis 125

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

(iii)  FazitEin Überblick über die von den beiden städtischen Prä‐

toren  wahrgenommenen  militärischen  Aufgaben  zeigt, dass diese einen großen Teil der für die Magistraten verfüg‐baren Zeit  in Anspruch genommen haben dürften. Da er sich die allermeiste Zeit seines Amtes in Rom aufhielt, er‐scheint es für den praetor urbanus wahrscheinlicher als für den praetor peregrinus, dass er sich mit einer gewissen Inten‐sität der  Jurisdiktion widmen konnte. Zwei Aspekte sind aber auch bei der städtischen Prätur im Auge zu behalten: Erstens war selbst der praetor urbanus kein Jurist, sondern vor allem ein in Belangen der politischen Führung und mi‐litärischen Planung erfahrener Mann.79 Mommsen schreibt angesichts dieser Tatsache in treffender Weise: „Das militä‐rische Imperium mangelt dem Prätor keineswegs wie dem Consul  das  jurisdictionelle,  vielmehr  ist  sein  Imperium zwar  schwächer,  aber  vollständiger  als  das  consulari‐sche.“80 Zweitens wurde die übrige Zeit auch des praetor urbanus  durch  mannigfaltige  andere,  nicht‐juristische Aufgaben zusätzlich belastet, wie im folgenden Kapitel zu zeigen sein wird.

3.3. Übrige Aufgaben unter Ausschluss juristischer   Aufgaben

Sind  die Unterschiede  in  der militärischen  Belastung der Prätoren zwischen praetor urbanus und praetor peregri‐nus gering, so lassen sich für die übrigen Aufgaben kaum mehr Differenzen ausmachen. Es bietet sich daher an,  im folgenden auf eine getrennte Behandlung der beiden städ‐tischen collegae zu verzichten.81

3.3.1. Handeln mit Senat und VolksversammlungWie die Konsuln, denen als obersten Magistraten die 

staatliche Lenkung in Rom oblag, so konnten auch der prae‐tor urbanus und der praetor peregrinus, die ihnen als collegae minores  an Amtsgewalt gleichkamen, die Verhandlungen mit Senat und Volk  führen.82 Livius erwähnt denn auch, dass die  städtischen  Prätoren  Senat  und Volksversamm‐

78 Liv. 22.7.8: 217 v. Chr. war es der praetor peregrinus Marcus Pompo‐nius, der dem Volk in Rom die Nachricht von der Niederlage am Trasimennischen  See  verkündete.  22.55.1: Derselbe  Prätor  berief zusammen mit dem praetor urbanus den Senat in die Curia Hosti‐lia, um über die Sicherung der Stadt zu beraten.

79 Darauf  weist  auch  das Wahl‐  und  Losungsprozedere  hin,  das unter den Prätoren keine eigentliche  (juristische) Spezialisierung zuließ und daher vor allem für den Staat „nützliche“ Kandidaten, mithin vor allem Strategen, favorisierte. Cf. Kap. 2.2.2.

80 MOMMSEN (1877) 223.81 Die folgende Kategorisierung vermag die prätorischen Aufgaben‐

bereiche nur ungefähr nachzuzeichnen – zu vielfältig sind die von den Prätoren im Rahmen ihres umfassenden imperium ausgeführ‐ten Tätigkeiten.

82 BLEICKEN (1995) 105.

126 ANCILLA IURIS (anci.ch

(iii)  ResultAs a result of the above overview, it can be concluded 

that military tasks took up a large part of the time available to the two urban praetors. Since the praetor urbanus spent most of his time in Rome, he seems more likely than the pra‐etor peregrinus to actually have had the possibility of being seriously  involved  in civil  jurisdiction. Two  reservations, however, should be made with respect to the praetor urba‐nus. First, he did not distinguish himself by his juristic ex‐pertise but, above all, by his political and military experi‐ence.79 As Mommsen writes: „Das militärische Imperium mangelt dem Prätor keineswegs wie dem Consul das juris‐dictionelle,  vielmehr  ist  sein  Imperium  zwar  schwächer, aber vollständiger als das consularische.“80 Second, a large proportion of the praetor urbanus’ remaining time, too, was taken  up  by  manifold  non‐legal  tasks,  as  shall  be demonstrated in the following chapter.

3.3. Other Tasks, Excluding Legal Tasks

As in the case of their military tasks, the praetor urbanusand  the praetor peregrinus do not differ significantly  from each other with respect to their other tasks. In the follow‐ing, the two urban collegae will therefore not be dealt with separately.81

3.3.1. Acting with the Senate and the Popular AssembliesLike the consuls who were, as highest magistrates, re‐

sponsible for public  leadership  in Rome, their collegae mi‐nores, i.e. the praetor urbanus and the praetor peregrinus who equalled them in their power, had the right to put business before  the senate and  the people.82 Accordingly, Livy re‐

78 Liv. 22.7.8: In 217 B.C. it was the praetor peregrinus Marcus Pompo‐nius who announced the defeat in the famous battle of Trasumen‐nus  to  the  people  of  Rome.  22.55.1:  The  same  praetor  called, together with the praetor urbanus, the senate together in the Curia Hostilia to consult about the defence of Rome.

79 The character of  the procedure  for  the election of  the praetorian magistrates and for the allotment of their tasks did not allow for any  culture  of  (legal)  specialisation  to  arise  in  this  office  –  but rather favoured candidates with general skills and a sense for the military. Cf. ch. 2.2.2.

80 MOMMSEN (1877) 223.81 In view of  the variety of praetorian  tasks potentially  inherent  in 

the all‐embracing imperium, the following catalogue cannot (and is not intended to) be exhaustive.

82 BLEICKEN (1995) 105.

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

lung  einberiefen  oder  entließen,83  im  Senat  Vorschläge oder Fragen einbrachten84 und mit dem Volk verhandel‐ten.85

3.3.2. Organisation und Durchführung von Wahlen zur   Besetzung von Ämtern

Meist auf eine entsprechende Entscheidung des Senates hin oder im Einverständnis mit dem Volk wurden von den beiden  städtischen  Prätoren Wahlversammlungen  abge‐halten86 oder Ämter besetzt.87

3.3.3. Religiöse Angelegenheiten sowie Organisation von   Dankfesten und Spielen

Die mit dem Oberamt verbundenen religiösen Funktio‐nen  hatten  die  Prätoren wohl  nur  anstelle  der  Konsuln wahrzunehmen  (unten Kap. 3.5.), doch dürfte wegen der starken militärischen Belastung der Konsuln wahrschein‐lich ein großer Teil der sakralen Geschäfte tatsächlich auf den  praetor  urbanus  und  den  praetor  peregrinus  überge‐gangen sein.88 Livius erwähnt die Prätoren im Zusammen‐hang mit Opfern,89 Danksagungen90 und der Errichtung von  Tempeln.91  In  gleicher Weise  haben  die  städtischen Prätoren die Gelobung und Ausrichtung von Volksfesten mindestens zu einem großen Teil übernommen.92 Den Prä‐toren scheint auch die Sorge um den Schutz der römischen Religion vor fremden Kulten übertragen worden zu sein.93

83 Liv. 30.17.3: „P. Aelius praetor [urbanus] senatu misso et contione inde advocata cum C. Laelio in rostra escendit.“ Cf. auch 43.16.11.

84 Liv. 23.24.1‐2; 38.54.4 und 38.55.1; 42.21.8.85 Liv.  23.48.10‐12;  illustrativ  27.5.16‐17:  Der  Senat  beschloss,  der 

Konsul solle, bevor er die Stadt verlasse, das Volk befragen, wer nach seinem Willen zum Diktator ernannt werden solle; wenn der Konsul das nicht wolle, solle der Prätor das Volk befragen.

86 Liv. 22.33.9; 25.7.5‐6: „Comitia deinde a praetore urbano de sena‐tus sententia plebique scitu sunt habita, [...]“ Cf. auch 34.53.1‐2.

87 Liv. 37.46.10: „[...] decrevit senatus, [...] ut L. Aurunculeius praetor [urbanus]  triumviros  crearet  ad  eos  colonos  deducendos.“  Cf. auch 39.23.4; 42.31.5; 43.1.10; 43.2.3.

88 MOMMSEN (1877) 226.89 Liv. 22.9.11; 25.12.12: „[...] duodecim milia aeris praetori ad  rem 

divinam et duas hostias maiores dandas.“90 Liv. 30.17.6; 30.21.10.91 Liv. 22.10.10; 22.33.8; 34.53.4.92 Liv. 25.12.10: „[...] iis ludis [Apollinaribus] faciendis praesit prae‐

tor [...]“ 26.23.3: Der praetor urbanus C. Calpurnius beantragte im Jahr darauf die regelmäßige Wiederholung der ludi Apollinares; cf. auch 27.11.6; 27.23.5‐7; 27.33.8: Erwähnung der großen Spiele, die Jupiter  217  v.  Chr.  nach  der  Schlacht  am  Trasimennischen  See gelobt worden waren, die M. Aemilius als praetor urbanus im sel‐ben Jahr durchführte und die er auf weiter 5 Jahre gelobte. Dank‐feste  aus  Anlass  militärischer  Erfolge:  27.51.8;  36.21.9;  40.53.4; 45.16.8.

ANCILLA IURIS (anci.ch

ports the urban praetors to have called and dismissed the senate and the assemblies of the people,83 and to have re‐ferred proposals and questions to the senate84 as well as to the people.85

3.3.2. Organisation of Elections and Filling of Public   Offices

Mostly by a decree of the senate or with the assent of the people,  the  two urban praetors were ordered  to call elec‐toral meetings86 or to fill public offices.87

3.3.3. Religious Matters and Organisation of Thanksgivings  and Games

The  religious  functions  inherent  in  the powers of  the high magistracy may have been performed by the praetors merely on behalf of the consuls (below ch. 3.5.). Because of the high military burden on the consuls, a large proportion of the sacred duties may still have been transferred onto the praetor urbanus and the praetor peregrinus.88 Livy mentions the praetors in connection with sacrifices,89 the offering of thanks to the gods,90 and the construction and vowing of temples.91 In the same way, the urban praetors largely un‐dertook  to  vow  and  conduct  games.92 The praetors  also seem to have been entrusted with the protection of the Ro‐man religion from foreign rites.93

83 Liv. 30.17.3: „P. Aelius praetor [urbanus] senatu misso et contione inde advocata cum C. Laelio in rostra escendit.“ Cf. also 43.16.11.

84 Liv. 23.24.1‐2; 38.54.4 and 38.55.1; 42.21.8.85 Liv.  23.48.10‐12;  vividly  in  27.5.16‐17:  The  senate  decreed  that, 

before  leaving  the  city,  the  consul  should ask  the people whom they  preferred  to  have  named  dictator,  and  that  if  the  consul should refuse, the praetor should ask the people.

86 Liv. 22.33.9; 25.7.5‐6: „Comitia deinde a praetore urbano de sena‐tus sententia plebique scitu sunt habita, [...]“ Cf. also 34.53.1‐2.

87 Liv. 37.46.10: „[...] decrevit senatus, [...] ut L. Aurunculeius praetor [urbanus] triumviros crearet ad eos colonos deducendos.“ Cf. also 39.23.4; 42.31.5; 43.1.10; 43.2.3.

88 MOMMSEN (1877) 226.89 Liv. 22.9.11; 25.12.12: „[...] duodecim milia aeris praetori ad  rem 

divinam et duas hostias maiores dandas.“90 Liv. 30.17.6; 30.21.10.91 Liv. 22.10.10; 22.33.8; 34.53.4.92 Liv. 25.12.10: „[...]  iis  ludis  [Apollinaribus]  faciendis praesit pra‐

etor  [...]“ 26.23.3:  In  the  following year, on motion of  the praetor urbanus C. Calpurnius, the senate decreed that the ludi Apollinares be vowed as a permanency; cf. also 27.11.6; 27.23.5‐7; 27.33.8 refer‐ring  to  the great games vowed  to  Jupiter after  the battle of Tra‐sumennus  in  217  B.C.,  conducted  by  the  praetor  urbanus  M. Aemilius in the same year, and vowed for the fifth year thereafter. Thanksgivings in connection with successful military campaigns: 27.51.8; 36.21.9; 40.53.4; 45.16.8.

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

3.3.4. „Außenpolitische“ BeziehungenAuffallend häufig sind die Notizen bei Livius, die von 

diplomatischen Aufgaben der städtischen Prätoren berich‐ten.  So  sandte  der  praetor  urbanus Geschenke  an  fremde Herrscher,94 führte Gesandte in den Senat95 und leitete die Friedensverhandlungen mit  ihnen.96 Nach  Rom  zurück‐kehrende Feldherren wurden zuallererst vom praetor urba‐nus empfangen und  in den Senat geführt.97 Das  lässt den Schluss zu, dass sich die städtischen Prätoren allgemein der Pflege der Kontakte Roms mit dem übrigen Reich und dar‐über hinaus mit fremden Völkern widmeten.98

3.3.5. Verwaltung der Beziehungen zu den Bundes‐ genossen und Verteilung von Land

Ähnlich wie die „außenpolitischen“ Aufgaben gehörte auch die Verwaltung der Beziehungen zu den Bundesge‐nossen zur Vielzahl der Tätigkeiten der beiden städtischen Prätoren.99 Darunter  fielen  auch  im Zusammenhang mit der Zensur relevante Probleme, die auftauchten, weil Bun‐desgenossen nach Rom ziehen und sich dort schätzen las‐sen durften.100 Überdies kümmerten sich die Prätoren um 

93 Livius  (39.18.8) berichtet über die Verfolgung der Anhänger der Bacchusmysterien im Jahre 186 v. Chr.: „In reliquum deinde sena‐tus consulto cautum est, ne qua Bacchanalia Romae neve in Italia essent.  Si quis  tale  sacrum  sollemne  et necessarium duceret nec sine  religione  et  piaculo  se  id  omittere  posse,  apud  praetorem urbanum  profiteretur,  praetor  senatum  consuleret.“  Cf.  auch 25.1.11‐12: „Sobald man den Eindruck gewann, dass das Übel [ein neuer Kult, der  in Rom  immer mehr Anhänger  fand] schon ver‐breiteter sei, als dass es durch untere Beamte noch eingeschränkt werden konnte, wurde der Stadtprätor Marcus Aemilius  [Livius macht hier einen Fehler: M. Aemilius war 213 v. Chr. praetor pere‐grinus. M. Atilius war praetor urbanus. Cf. MAXIS  (1911) 24; diffe‐renzierend  BROUGHTON  (1951)  263]  vom  Senat  beauftragt,  das Volk  von  diesem  religiösen Gehabe  zu  befreien.  Er  las  in  einer Volksversammlung den Senatsbeschluss vor und machte bekannt: Jeder,  der  Wahrsage‐  oder  Gebetbücher  oder  überhaupt  eine schriftlich  verfasste  Opferkunst  besitze,  solle  alle  diese  Bücher und Schriften vor dem 1. April bei ihm abliefern; niemand dürfe an öffentlicher oder heiliger Stätte nach neuer oder ausländischer Sitte opfern.“ Liv. 40.29.3‐14: Der praetor urbanus beschlagnahmte und vernichtete die sieben Bücher über ein neuartiges Pontifikal‐recht,  die  auf  einem Acker  des  Schreibers  L.  Petilius  gefunden worden waren.

94 Liv. 30.17.14; 45.13.8.95 Liv. 37.53.1; 39.54.5; 42.11.2; 45.44.4‐6.96 Liv. 30.22.5: „Cum more tradito patribus potestatem interrogandi, 

si quis quid vellet, legatos praetor fecisset senioresque, qui foede‐ribus  interfuerant,  alia  alii  interrogarent  [...]“ Cf.  auch  40.34.10; 42.6.10.

97 Liv. 26.21.1.98 Als  ein Zeichen der Pflege guter bilateraler Beziehungen  ist die 

Notiz bei Liv. 42.19.6 anzusehen, wonach der praetor peregrinus Cn. Sicinius als Zeichen der Freundschaft dem Sohn des Königs Aria‐rathes, den sein Vater nach Rom zur Ausbildung geschickt hatte, ein Haus einrichtete.

128 ANCILLA IURIS (anci.ch

3.3.4. „Foreign Affairs“Livy reports remarkably often about diplomatic tasks of 

the urban praetors. The praetor urbanus used to send gifts to foreign officials,94 to lead foreign envoys into the senate,95

and to conduct peace negotiations with them.96 Command‐ers returning from their provinces to the city of Rome were first received by the praetor urbanus before being led into the senate by him.97  It may  therefore be  said  that  the urban praetors generally took care of Rome’s „foreign affairs“ in connection with its provinces and the neighbours of its em‐pire.98

3.3.5. Relations to Allies and Distribution of Land

Similar to the case of „foreign affairs“, the administra‐tion of relationships with allies belonged to the many tasks performed by the two urban praetors.99 This included du‐ties in connection with the drawing up of the census, i.e. the official list of the Roman people for the purposes of military service and  taxation,  since Rome’s allies had  the  right  to move to the city and be assessed accordingly.100 Further‐more,  the praetors undertook  to distribute  land  to veter‐ans101 and colonists.102

93 Livy (39.18.8) writes about the persecution of all forms of Bacchic worship in 186 B.C.: „In reliquum deinde senatus consulto cautum est, ne qua Bacchanalia Romae neve  in  Italia essent. Si quis  tale sacrum  sollemne  et  necessarium  duceret  nec  sine  religione  et piaculo se id omittere posse, apud praetorem urbanum profitere‐tur, praetor  senatum  consuleret.“ Cf.  also 25.1.11‐12:  „Now  that the  disorder  [a  new  rite  finding  ever more  followers  in Rome] appeared to be too strong to be quelled by the lower magistrates, the senate assigned to Marcus Aemilius, the city praetor [Livy is wrong here. In 213 B.C. M. Aemilius was praetor peregrinus and M. Atilius praetor urbanus; cf. MAXIS  (1911) 24; subtly differentiating BROUGHTON (1951) 263], the task of freeing the people from such superstitions. He read the decree of the senate in an assembly, and also  issued  an  edict  that whoever  had  books  of  prophecies  or prayers or a ritual of sacrifice set down in writing should bring all such books and writings to him before the first of April, and that no one should sacrifice in a public or consecrated place according to  a  strange or  foreign  rite.“ Liv.  40.29.3‐14: The  praetor urbanusseized and destroyed the seven books dealing with pontifical law and being subversive of religion which were found on the land of the scribe L. Petilius.

94 Liv. 30.17.14; 45.13.8.95 Liv. 37.53.1; 39.54.5; 42.11.2; 45.44.4‐6.96 Liv. 30.22.5: „Cum more tradito patribus potestatem interrogandi, 

si  quis  quid  vellet,  legatos  praetor  fecisset  senioresque,  qui foederibus  interfuerant,  alia  alii  interrogarent  [...]“  Cf.  also 40.34.10; 42.6.10.

97 Liv. 26.21.1.98 Liv. 42.19.6 may be read as an example for the praetor maintaining 

good  bilateral  relationships  with  foreign  people.  As  a  sign  of friendship,  the  praetor  peregrinus Cn.  Sicinius  contracted  for  the rental of a house  for King Ariarathes’ son, whom his  father had sent to Rome to be educated.

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

die Ver‐ und Zuteilung von Land an aus dem Dienst entlas‐sene Soldaten101 und an Siedler.102

3.3.6. Verschiedene kleinere AufgabenZu welcher  thematischen Vielfalt  von Aufgaben  den 

Prätor die Breite seines Imperiums befähigte, mag ein se‐lektiver Einblick  in diejenigen Tätigkeiten  verdeutlichen, die sich wegen ihrer Singularität einer Kategorisierung ent‐ziehen: So kümmerte sich 215 v. Chr. der praetor urbanusQuintus Fulvius um die Gefangenen, die der Prätor für Sar‐dinien von seinem Feldzug nach Rom brachte.103 Sodann: Als 195 v. Chr. ein Antrag vor das Volk kam, das Oppische Gesetz solle aufgehoben werden, das Frauen unter ande‐rem verbot, mehr als eine halbe Unze Gold zu haben und ein buntes Gewand zu tragen, stellten gewisse Frauen den Antrag, ihnen solle ebenfalls ihre frühere Ausstattung zu‐rückgegeben werden – und wandten sich mit dieser Bitte auch an die städtischen Prätoren.104 Und: 173 v. Chr., er‐zählt  Livius,  seien  so  große Wolken  von  Heuschrecken plötzlich vom Meer nach Apulien eingefallen, dass sie mit 

99 Liv.  43.6.10: Der  praetor  urbanus Q. Maenius  trug die Bewohner von Lampsakos  in das Verzeichnis der Bundesgenossen  ein. Cf. auch 28.46.4‐6: „Und weil es an Geld für den Krieg fehlte, wurden die Quaestoren aufgefordert, vom kampanischen Gebiet  [Gebiet von Capua, nördlich von Neapel, das ehemals eine colonia Latinagewesen,  aber wegen  des Abfalls  zu  den  Karthagern  zu  römi‐schem Staatsland gemacht worden war. Einiges davon war inzwi‐schen  verpachtet  worden.  Cf.  BLEICKEN  (1995)  231‐235.]  den Bereich vom Griechengraben bis zum Meer zu verkaufen, und es wurde  auch  die Anzeige  zugelassen, was  Land  eines  kampani‐schen  Bürgers  gewesen  sei,  damit  es  Staatsland  des  römischen Volkes werde; für den, der eine Anzeige machte, wurde als Beloh‐nung  ein  Zehntel  des  Wertes  angesetzt,  auf  den  das  Land geschätzt wurde. Und der  Stadtprätor Cn.  Servilius  erhielt den Auftrag,  dafür  zu  sorgen,  dass  die  kampanischen  Bürger  dort wohnten, wo jeder auf Senatsbeschluss wohnen durfte, und gegen die vorzugehen, die anderswo wohnten.“

100 Liv.  39.3.5: Die Latiner durften  nach Rom  ziehen und  sich dort schätzen  lassen, wenn sie  in  ihrer Heimat einen Sohn zurücklie‐ßen. Da viele Latiner von diesem Recht Gebrauch machten und es zum Teil verstanden, die Vorbedingungen zu umgehen, wurde es für die latinischen Gemeinden immer schwerer, ihre Verpflichtun‐gen gegenüber Rom zu erfüllen und Jahr um Jahr eine bestimmte Anzahl  Soldaten  zu  stellen.  Der  praetor  peregrinus Q.  Terentius Culleo  erhielt deshalb den Auftrag, diejenigen zu  ermitteln, die nach Rom gekommen und dort geschätzt worden waren, und sie zu zwingen, in ihre Heimat zurückzukehren. 12‘000 Latiner kehr‐ten so in ihre Heimat zurück. Cf. auch 41.9.10‐11.

101 Liv. 31.4.1‐2: Der praetor urbanus M. Junius sollte eine Zehnerkom‐mission  für das Vermessen und Verteilen des  samnitischen und apulischen Ackerlandes, soweit es Staatsland des römischen Vol‐kes war, wählen lassen. Cf. auch 32.1.6.

102 Liv. 37.46.10: Der praetor urbanus L. Aurunculeius sollte eine Drei‐erkommission  ernennen,  welche  die  Siedler  für  Placentia  und Cremona an ihre Bestimmungsorte führen sollte. Cf. auch 39.23.4; 42.4.4; 42.22.5.

103 Liv. 23.41.7.104 Liv. 34.1.1‐7.

ANCILLA IURIS (anci.ch

3.3.6. Various Smaller TasksHow large the variety of tasks was, which the imperium

of the praetors allowed them to be entrusted with, shall be demonstrated by a selection of those activities which, due to their character as singular events, cannot easily be cate‐gorised:  In  215  B.C.  the  praetor  urbanus Quintus  Fulvius took care of the captives who had been brought to Rome by the praetor for Sardinia.103 Furthermore: When in 195 B.C. it  was  proposed  to  the  assembly  that  the  Oppian  law should be abrogated, which prohibited, inter alia, women from possessing more than half an ounce of gold or from wearing a parti‐coloured garment, some women asked for their  former distinctions to be restored – and  in so doing they appealed also  to  the urban praetors.104 And:  In 173 B.C. great clouds of locusts appeared suddenly from the sea and over Apulia, and they covered the fields far and wide 

99 Liv. 43.6.10: The praetor urbanus Q. Maenius was ordered to enrol the Lampsacenes as allies. Cf. also 28.46.4‐6: „And because there was a lack of money for the war the quaestores were ordered to sell a region of Campania [The area of Capua north of Naples which, having been a colonia Latina before, had been dissolved and incor‐porated by Rome due to its desertion to the Carthaginians. Part of its land had been rented out. Cf. BLEICKEN (1995) 231‐235.] extend‐ing  from  the Fossa Graeca  to  the  sea,  it being permitted also  to give information as to any land which had belonged to a Campa‐nian  citizen,  so  that  it might become public  land  of  the Roman people.  For  the  informant  one‐tenth  of  the  price  of  the  land reported was established as a  reward. And  to Gnaeus Servilius, the city praetor, was assigned the task of seeing to it that Campa‐nian citizens should dwell only where in accordance with a decree of  the  senate  it was  permitted  them  severally  to  dwell,  and  of punishing those who were dwelling elsewhere.“

100 Liv. 39.3.5: Latins had the right to move to Rome and have them‐selves assessed there if they left a son at their home. Because many Latins made use of their right, often without having fulfilled the necessary requirements,  the allies of  the Latin confederacy com‐plained that is was becoming ever more difficult to meet their obli‐gations  and  provide  each  year  a  certain  number  of  soldiers  to serve  in  the  Roman  army.  Therefore,  the  praetor  peregrinusQ.  Terentius Culleo was instructed to search the Latins out, and, on receiving from the allies proof that any person or the father of such person had been assessed among the allies, to compel such persons to return to the places where they had been registered. As a  consequence,  12,000  Latins  returned  to  their  homes.  Cf.  also 41.9.10‐11.

101 Liv.  31.4.1‐2:  In  connection with  the  distribution  of  land  to  the veterans the praetor urbanus M. Junius was instructed to appoint a board  of  ten  to  survey  and  assign  such  lands  in  Samnium  and Apulia as were the public property of the Roman people. Cf. also 32.1.6.

102 Liv. 37.46.10: The praetor urbanus L. Aurunculeius was to create a board of three to conduct the colonists for Placentia and Cremona to their homes. Cf. also 39.23.4; 42.4.4; 42.22.5.

103 Liv. 23.41.7.104 Liv. 34.1.1‐7.

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ihren Schwärmen die Felder weithin bedeckten. Um dieses Unheil für die Feldfrüchte abzuwenden, sei der praetor pere‐grinus105 Gnaeus Sicinius mit einer Vollmacht nach Apuli‐en  geschickt worden. Dort  habe  er  eine  gewaltige Men‐schenmenge  zusammengezogen  und  erhebliche  Zeit gebraucht, um die Heuschrecken aufzusammeln.106

Zu beachten bleibt, dass die beiden städtischen Präto‐ren als hohe Mitglieder des Magistratenkollegiums in wich‐tiger Position an der allgemeinen Regierungspraxis teilnah‐men.  Der  Prozess  politischer  Entscheidungsfindung  in Rom  beruhte  auf  einer  aristokratischen Ordnung,  deren Struktur nicht  (staats‐)rechtlich objektiviert war,  sondern sich zu einem bedeutenden Teil aus Formen der Kommuni‐kation der nobiles untereinander aufbaute.107 Unverzicht‐bare Voraussetzung für diese Kommunikation war, dass sie überhaupt  stattfinden konnte, d.h. dass  im Senat,  in den großen politischen Prozessen und vor allem außerhalb der Institutionen  in  den  Privathäusern  Foren  bestanden,  auf denen, gleichsam als Vorarbeit für die  institutionelle Wil‐lensbildung, unter Abwägung der bestehenden Machtver‐hältnisse Absprachen getroffen, Kompromisse geschlossen und Handlungsvarianten gegeneinander abgewogen wer‐den  konnten.  Solche  informellen  Gremien  verkörperten hochsensible Instrumente zur Wahrnehmung sozialer, kul‐tureller, politischer und wirtschaftlicher Spannungen – und zugleich äußerst effiziente Mechanismen zur Bewältigung der  daraus  entstehenden Krisen. Derartiges  Engagement wird auch die städtischen Prätoren viel Zeit gekostet und wiederum ganz spezifische Fähigkeiten von ihnen verlangt haben. Vor allem aber bleibt zu bedenken, dass all diese Tä‐tigkeiten in einer Erzählung historischer Fakten, wie sie Li‐vius betreibt, kaum vorkommen; nur manchmal scheinen die informelle Krisenbewältigung und Konsensarbeit zwi‐schen seinen Zeilen hindurch.108

105 Cn. Sicinius besetzte das Prätorenamt im Jahr 172 v. Chr., war aber zu diesem Zeitpunkt bereits gewählt.

106 Liv. 42.10.7‐8.107 BLEICKEN (1995) 182.108 Liv. 42.8.4‐9.6: Als der praetor urbanus A. Atilius den Brief über den 

Sieg des Konsuls M. Popilius in Ligurien verlas, war der Senat ent‐setzt über die Grausamkeit des Konsuls und beantragte, Popilius solle  die  versklavten  Ligurier  zurückkaufen,  ihnen  die  Freiheit schenken  und  die  Habe  zurückerstatten.  Daraufhin  kehrte  der Konsul voll Zorn gegen Senat und Prätor nach Rom zurück in der Meinung, er habe eigentlich ein Dankfest verdient. Deshalb wollte er dem Prätor  eine Geldstrafe  auferlegen und  forderte  von den Senatoren, sie sollten das überfällige Dankfest zugunsten der Göt‐ter und zu seinen Gunsten ausrichten. Obwohl der Senat letztlich auf seine Begehren nicht einging, kehrte wieder Frieden ein. Von einer inoffiziellen Auseinandersetzung berichtet auch 43.14.3‐5.

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with  their  swarms.  The  praetor  peregrinus105  Gnaeus Sicinius was  sent  there  to  protect  the  crops  from  being destroyed by this pest. It took him a considerable amount of time to assemble a vast crowd of men and to collect the locusts.106

It should be taken into consideration that, as members of the high magistracy, the two urban praetors participated in the general political life of the city. The process of politi‐cal decision‐making in Rome was based on an aristocratic system the structures of which were not systematised in the form of a public legal order but remained embedded in the communicative  networks  between  the  nobiles.107  These communications, in turn, relied on fora like the senate, the large  political  processes,  and,  outside  the  public  institu‐tions and supplementing their opinion‐making, the aristo‐cratic estates where informal arrangements could be made, compromises found, and alternative strategies weighed up. Such informal gatherings served both as fine sensors for so‐cial, cultural, political as well as economic tensions, and as efficient mechanisms for  the management of the  inherent potential for wider conflict and crisis in such tensions. Act‐ing in such informal fora is likely to have cost the praetori‐an magistrates much of their time. It certainly required of them an entire set of highly specific skills. All of this, how‐ever, does not appear explicitly in Livy’s accounts of histor‐ical events. Only rarely do informal crisis‐management and consensus‐building shine out from between his lines.108

105 Cn. Sicinius held his praetorian office  in 172 B.C. At  the  time  in question, however, he had already been elected.

106 Liv. 42.10.7‐8.107 BLEICKEN (1995) 182.108 Liv. 42.8.4‐9.6: When the praetor urbanus A. Atilius had read in the 

senate the dispatches by the consul M. Popilius about his victory in Liguria, the senate was appalled by the ruthlessness and cruelty of  the  consul’s  actions,  and  it  decreed  that M.  Popilius  himself should restore to liberty the enslaved Ligurians and see to it that their property be returned to them. Angry with the senators and enraged at  the praetor,  the consul returned  to Rome claiming  to deserve  a  thanksgiving by  reason  of his  success  in  the war. He therefore imposed a fine upon the praetor, and he asked the sena‐tors to repeal their decree against him and to allow the thanksgiv‐ing. Even though the senate did not follow the consul’s petitions, a peaceful solution was found. For another report about an unoffi‐cially managed crisis cf. 43.14.3‐5.

) 2006: 107 ‐ Synopsis

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3.4. Juristische AufgabenEines ist gewiss: Die bei der Losung verteilten Aufga‐

ben des praetor urbanus und des praetor peregrinus wurden umschrieben als urbana iurisdictio109 respektive als peregrina iurisdictio.110  Diese  beiden  Ämter  zusammenfassend, spricht Livius auch von „duas [provincias] Romae iuris di‐cendi  causa“.111  Genau  besehen,  heißt  das mithin  nicht mehr,  als  dass  sich  die  Ämter  der  beiden  städtischen Prätoren  formell  gerade  dadurch  von  denjenigen  der prätorischen Provinzstatthalter unterschieden, dass  ihnen die  Rechtsprechung  unter  Römern,  unter  Römern  und Fremden sowie unter Fremden in irgendeiner Form zufiel. Dass  sich  zu  dieser  zunächst  rein  kompetenzbezogenen Kategorisierung  in  römischer  Wahrnehmung  auch  eine gewisse  –  allerdings  sehr  vage  gefasste  –  juristische Aktivität der Prätoren gesellte, scheint die folgende Notiz bei Livius nahezulegen:

„[...] iis ludis [Apollinaribus] faciendis praesit praetor is, qui ius populo plebeique dabit summum [...]“112

Bemerkenswert daran ist, dass der Magistrat, um den es hier geht, der praetor urbanus Publius Cornelius Sulla, die „Rechtserteilung“  als  Attribut  in  einem  Kontext  zuge‐schrieben  erhält,  der  ihn  nicht  als  Juristen,  sondern  als ehrenvollen Ausrichter der ludi Apollinares erscheinen lässt. Was dieser Prätor wirklich tat, ob er Recht sprach, weiter‐entwickelte, im weitesten Sinne „schuf“ (dabit) oder ob das Recht bloß in den Spezialbereich seines Imperiums fiel und ihm  deshalb  ordnungshalber  zugeteilt  wurde,  bleibt offen.113

109 Anstelle vieler: Liv. 33.26.1; 34.43.7; 40.18.3; 41.8.2; 42.10.14.110 Anstelle vieler: Liv. 32.28.2; 40.18.3; 41.8.2.111 Liv. 38.42.5.112 Liv. 25.12.10.113 Ebenso  offen  bleibt  diese  Frage  an  den  folgenden  Stellen,  an 

denen Livius das Recht in irgendeiner Form mit der Prätur in Ver‐bindung bringt: 27.8.9; 29.21.7.

ANCILLA IURIS (anci.ch

3.4. Legal TasksIt is well established from the sources that the tasks al‐

lotted to the praetor urbanus and the praetor peregrinus were generally  described  as  urbana  iurisdictio109  and  peregrina iurisdictio  respectively.110  Joining  these  two  offices  to‐gether, Livy also writes of  the „duas  [provincias] Romae iuris dicendi causa“.111  If  looked at closely,  this does not imply  anything more  than  the  plain  statement  that  the offices  of  the  two urban praetors  formally differed  from those of the provincial praetors in that the former were, in some  form,  responsible  for  the  jurisdiction  between citizens,  between  citizens  and  foreigners,  and  between foreigners. It amounts to nothing else than a description of an area of special competence. Still, the following note by Livy seems to suggest that, in the eyes of the Romans, the praetors also engaged in an actual – but vaguely defined – legal activity:

„[...] iis ludis [Apollinaribus] faciendis praesit praetor is, qui ius populo plebeique dabit summum [...]“112

It  seems  noteworthy  that  the magistrate  in  question here, the praetor urbanus Publius Cornelius Sulla,  is given the attribute of „lawgiving“  in a context  in which he ap‐pears not as a jurist but as a public official responsible for the  ludi Apollinares. Accordingly,  it remains unclear what this praetor actually did, whether he acted as a judge, de‐veloped existing law further and even created (dabit) new law, or whether the law only formally fell into the area of special competence within his imperium.113

109 For many: Liv. 33.26.1; 34.43.7; 40.18.3; 41.8.2; 42.10.14.110 For many: Liv. 32.28.2; 40.18.3; 41.8.2.111 Liv. 38.42.5.112 Liv. 25.12.10.113 These questions remain equally open in the other cases in which 

Livy explicitly associates the praetors with legal activities: 27.8.9; 29.21.7.

) 2006: 107 ‐ Synopsis 131

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

Die bei Livius auftauchenden Berichte über kriminal‐rechtliche  Untersuchungen114  der  städtischen  Prätoren zeugen davon, dass mit der Vergrößerung des städtischen Proletariates und der vermehrten Sklavenhaltung seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. eine erhebliche Steigerung der Kri‐minalität verbunden war, die energische Maßnahmen zur Aufrechterhaltung  der  öffentlichen  Sicherheit  erforderte. Zuständig für die Ausübung einer entsprechend radikalen Polizeijustiz wurden  die  beiden  städtischen  Prätoren  als Inhaber der allgemeinen Jurisdiktionsgewalt.115 Auch poli‐tische  Strafprozesse,116  insbesondere wegen Amtspflicht‐verletzungen von Provinzialstatthaltern und anderen Ma‐gistraten,  fielen  in  die  Kernkompetenz  der  städtischen Prätoren. Diese  strafrechtlichen Angelegenheiten werden den  praetor  urbanus  und  peregrinus  stark  belastet  haben, tragen  jedoch  an  sich  nichts  dazu  bei,  die  Rolle  dieser Magistrate  in der Entwicklung des  römischen Zivilrechts zu klären.

An einer einzigen Stelle in einer untersuchten Zeitspanne von 52 Jahren, die mitunter in die mutmaßliche Blütezeit re‐publikanischer  Rechtsfortbildung  fällt,117  scheint  Livius von einer im eigentlichen Sinne zivilrechtlichen Betätigung der beiden städtischen Prätoren zu sprechen:

„Praetores, quorum iuris dictio erat, tribunalia ad Piscinam publicam posuerunt; eo vadimonia  fieri  iusserunt  ibique eo anno ius dictum est.“118

114 Liv. 32.26.10‐18: Der praetor urbanus L. Cornelius Lentulus wurde 198 v. Chr. vom Senat beauftragt, den Aufstand der Sklaven bei Setia zu untersuchen und zu unterdrücken. Cf. im weitesten Sinne auch 40.42.5.

115 KUNKEL (1990) 64.116 Liv. 38.55.1‐7 und 38.60.1‐10: Vor dem praetor peregrinus Q. Teren‐

tius Culleo wurde L. Scipio der Veruntreuung öffentlicher Gelder angeklagt. Cf. auch 42.22.7‐8; 43.2.3‐11.

117 Unsere Kenntnis von den Jurisdiktionsedikten ist recht lückenhaft. Über die Edikte des praetor peregrinus und der Provinzstatthalter wissen wir wenig.  „Allein das Edikt des  praetor  urbanus  ist uns durch die umfangreichen Bruchstücke der von Juristen der Kaiser‐zeit verfaßten Ediktskommentare, die  in den Digesten  Justinians überliefert sind, ziemlich genau bekannt, jedoch nur in seiner letz‐ten,  von  Julian  redigierten  Fassung  [...]  Allgemeine  historische Erwägungen  führen ebenso wie die wenigen Zeugnisse, die wir für das Aussehen  früherer Ediktsredaktionen haben, zu der Ver‐mutung, dass die Hauptmasse des Ediktsstoffes sich bereits in der Zeit zwischen dem dritten  Jahrhundert und 80 v. Chr. angesam‐melt hat“,  in die  auch die untersuchte Periode  (218‐167 v. Chr.) fällt. KUNKEL (1990) 89.

132 ANCILLA IURIS (anci.ch

Livy’s reports of criminal investigations114 by the urban praetors indicate that, since the 3rd century B.C. and with the growth in numbers of both the lowest social class (pro‐letarii) and of slaves in the city, crime rates rose thus requir‐ing determinate action to strengthen public security. Hav‐ing general  jurisdictional power,  the  two urban praetors became responsible for an increasingly strict form of police courts  in  the  city.115 Criminal proceedings with political connotations,116  too,  could belong  to  the urban praetors’ area  of  competence,  above  all  in  cases where  provincial governors had violated the duties of their office. All these tasks may have occupied the praetor urbanus as well as the praetor peregrinus to a considerable degree. However, they do not contribute  to  the understanding of  the role which these magistrates  played  in  the  development  of  Roman civil law.

Only once during a period of 52 years, which is covered by the article, and which was of great  importance for the development  of  the  republican  civil  law  at  its  height,117

does Livy seem to write about an actual substantial activity of the two urban praetors in the field of civil law:

„Praetores, quorum iuris dictio erat, tribunalia ad Piscinam publicam posuerunt; eo vadimonia  fieri  iusserunt  ibique eo anno ius dictum est.“118

114 Liv. 32.26.10‐18: In 198 B.C. the praetor urbanus L. Cornelius Lentu‐lus  received orders by  the  senate  to  investigate und  suppress  a conspiracy by slaves at Setia. Cf. also 40.42.5.

115 KUNKEL (1990) 64.116 Liv. 38.55.1‐7 and 38.60.1‐10: Before the praetor peregrinus Q. Teren‐

tius Culleo, L. Scipio was arraigned on the charge of misappropri‐ation of public money. Cf. also 42.22.7‐8; 43.2.3‐11.

117 Our  knowledge  of  the  jurisdictional  edicts  is  incomplete.  We know  little of the edicts by the praetor peregrinus and by the pro‐vincial governors. Only the edict of the praetor urbanus has come down  to us  in  the  form of  extensive  fragments of  the  commen‐taries on  the edict written by  jurists at the time of  the dominate. These  fragments  have  survived  in  the  Digest  of  Justinian,  but merely  in  its  latest version edited by  Iulianus. Based on general historical considerations and on the rare evidence on earlier edi‐tions of the edict, it is generally concluded that the majority of the edict was collected already between  the 3rd century B.C. and 80 B.C.,  i.e. also during  the period examined  in  this article  (218‐167 B.C.). KUNKEL (1990) 89.

) 2006: 107 ‐ Synopsis

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

Doch auch hier bleibt bei näherem Hinsehen Ernüchte‐rung: Während der Relativsatz nur eine Wiederholung der bekannten  Umschreibung  des  prätorischen  Zuständig‐keitsbereiches liefert, verbleibt der zweite Teil der Aussage im Passiv. Die Prätoren ließen Prozesse stattfinden,119 und es wurde an diesem Ort  in diesem Jahr Recht gesprochen. Die  eigentliche  prätorische  Aktivität  erschöpfte  sich  im Aufstellen  der  Richterstühle  –  am  öffentlichen  Fisch‐teich.120 Mehr ist Livius nicht zu entnehmen, und noch das Gefundene bleibt seltsam genug.

3.5. FazitEs  liegt  im Lichte der vorangegangenen Kapitel nahe, 

die den beiden städtischen Prätoren reservierte Kompetenz der Ziviljurisdiktion als zu jenen konsularischen Befugnis‐sen hinzutretend zu beschreiben, die den Prätoren als Aus‐fluss  ihres  umfassenden  Imperiums  zukamen,  das  dem‐jenigen  der Konsuln  glich,  auch wenn  die  Prätoren  den Konsuln  im Range nachstanden.121 Eigentliche Träger  je‐ner  Befugnisse  blieben  die  Konsuln.  Sie  nahmen  diese wahr, solange sie in der Stadt weilten. Doch waren es die beiden städtischen Prätoren, denen diese Befugnisse wegen Überlastung oder in Abwesenheit der Konsuln übertragen wurden.122 Nicht um Akte der Stellvertretung handelt es sich mithin dabei, sondern um eine praktische Konsequenz der Stellung der Prätoren als collegae minores der Konsuln (Kap. 2.2.1.).

118 Liv. 23.32.4. 31.29.8‐9: „[...] sic Siculorum civitatibus Syracusas aut Messanam aut Lilybaeum  indicitur  concilium: praetor Romanus conventus agit; eo imperio evocati conveniunt; excelso in suggestu superba iura reddentem, stipatum lictoribus vident; virgae tergo, secures  cervicibus  imminent;  et  quotannis  alium  atque  alium dominum sortiuntur.“ Zwar wird hier geschildert, wie der Prätor Rechtsentscheidungen trifft; zwei Aspekte mindern allerdings die Aussagekraft dieser Notiz in unserem Kontext: Erstens wird hier der  unverständige  Blickwinkel  der  Sizilianer  eingenommen. Zweitens handelt  es  sich hierbei um  einen Statthalter und nicht um  einen  der  städtischen  Prätoren.  Ähnlich  unergiebig  auch 39.18.1.

119 Josef Feix übersetzt Livius an dieser Stelle mit: „Hier ließen sie die Bürgschaften leisten [...]“

120 Gemäß KASER ([1996] 201 Fn. 2) handelte es sich hierbei um eine provisorische Verlegung des Gerichtsortes während des zweiten Punischen Krieges. Den angestammten Platz bildete das comitium, ein Platz  im Nordosten des Forums, auf dem das tribunal aufge‐richtet war.

121 Konsequenz  des  tieferen  Ranges war  einzig,  dass  die  Prätoren durch  die Konsuln mittels  Interzession  an  der Ausübung  ihres Amtes gehindert werden konnten. Cf. VON LÜBTOW (1983) 351.

122 MOMMSEN (1877) 222 f.

ANCILLA IURIS (anci.ch

Here too, however, not much analytical value is left af‐ter a closer look. While the relative clause offers merely a repetition of the well‐known description of the praetorian area of special competence, the second part of the sentence is phrased passively: At that place, proceedings should be brought119 and justice be rendered in this year. The only re‐ported praetorian activity consisted of the setting up of the tribunals – at the public pond.120 Livy tells us merely this little; and what he tells us remains strange.

3.5. ResultIn the light of the findings in the preceding chapters, the 

special competence of civil jurisdiction reserved to the two urban praetors  is best described as coming on  top of  the general consular competences implied in the all‐embracing imperium of the praetors which equalled the imperium of the consuls despite the praetors’ lower rank.121 The consuls re‐mained entitled  to  the  respective powers. They executed these powers during their periods of presence in the city. Once they were away or otherwise occupied, however,  it remained to the praetors to execute them.122 Thereby, the praetors did not deputise the consuls but acted in their own right as collegae minores of the consuls (ch. 2.2.1.).

118 Liv. 23.32.4. 31.29.8‐9: „[...] sic Siculorum civitatibus Syracusas aut Messanam aut Lilybaeum  indicitur  concilium: praetor Romanus conventus agit; eo imperio evocati conveniunt; excelso in suggestu superba iura reddentem, stipatum lictoribus vident; virgae tergo, secures  cervicibus  imminent;  et  quotannis  alium  atque  alium dominum sortiuntur.“ While it is true that Livy reports the praetor here  to have actually decided  legal cases,  two restricting aspects should be borne in mind. First, in this passage Livy takes up the rather naive viewpoint of the Sicilians. Second, the report is about a provincial praetor and not about one of the urban praetors. Sim‐ilarly unproductive also 39.18.1.

119 F.G. Moore translates Livy here as follows: „That place should be named – so they ordered – recognizances [...]“

120 Following KASER ([1996] 201 fn. 2), this was a case of a provisional transfer of the court’s location during the second Punic War. The ordinary  location  of  the  tribunal  was  the  comitium,  a  place northeast of the Forum.

121 The  only  consequence  of  the  lower  rank  of  the  praetors  is  that their acts could be vetoed through an intercessio by the consuls. Cf. VON LÜBTOW (1983) 351.

122 MOMMSEN (1877) 222‐223.

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

Es entsteht daher bei der Lektüre der Bücher des Livius der – die in den Kap. 2.2.1. und 2.2.2. gemachten Aussagen bestätigende – Eindruck, dass die Kompetenz des praetor urbanus und des praetor peregrinus eher die eines homo poli‐ticus123 oder homo militaris war als die eines magister  iuris civilis. Bei der Mannigfaltigkeit der an sie gestellten Anfor‐derungen hatten die Prätoren eher Generalisten zu sein als hochspezialisierte  Sondermagistrate.  Sie  scheinen  nicht einmal  ein  besonderes  „Tätigkeitsgebiet“  gehabt  zu haben.  – Vielmehr  taten sie  im Rahmen  ihres  Imperiums schlicht, was sie eben taten.

Der Eindruck wiederholt sich im Hinblick auf die den Prätoren zur Verfügung  stehende Zeit. Selbst wenn man berücksichtigt, dass in der teilweise beachtlichen Zeitspan‐ne zwischen ihrer Wahl und der Losung der ihnen zukom‐menden Aufgabenbereiche (sortitio provinciarum) alle Präto‐ren  in Rom weilten und diejenigen Geschäfte  vollziehen konnten, die allgemein an der Prätur hingen – wozu auch die Erledigung von Prozessen gehörte –, blieb der Spiel‐raum für die Prätoren zu gering, um sich ernsthaft mit der Rechtspflege  und  ‐entwicklung  auseinanderzusetzen.  Es spricht vieles dafür, dass es sich nicht so verhält, dass Li‐vius in seiner römischen Geschichte kein Interesse für die Ziviljurisdiktion der Prätoren hegte,124  sondern dass den beiden städtischen Prätoren schlicht die Zeit zu dieser Zi‐viljurisdiktion fehlte.

Zurück bleibt ein zwiespältiges Fazit: Von Livius über die römischen Juristen125 bis hin zu den Rezipienten des 19. und 20. Jahrhunderts betonen alle, der praetor urbanus und der praetor peregrinus seien für die Rechtsprechung zustän‐dig gewesen, ja diese Aufgabe habe geradezu ihre Funktion ausgemacht. Dagegen lässt eine Betrachtung der faktischen Umstände  die  Rechtsprechung,  wenn  überhaupt,  dann eher  in  einen Randbereich prätorischer Aktivität  rücken. Diese Spannung zwischen dem wahrgenommenen Topos der prätorischen Arbeit  im Zentrum des Rechts und dem historischen  Topos  ihrer  Existenz  an  der  Peripherie  des Rechts zu erklären, dafür besteht bis anhin kein adäquates 

123 Liv. 41.27.2 und 45.21.1 verdeutlichen das hochpolitische Umfeld, in dem die städtischen Prätoren agierten. Anschaulich auch LABA‐TUT (1868) 95 f.: „Il faudrait citer tous les chapitres de Tite‐Live, si l’on voulait épuiser la liste des mandats et des attributions extraor‐dinaires qui sont confiées aux préteurs dans des moments diffici‐les.  [...]  Les missions  dont  on  chargeait  les  préteurs  variaient  à l’infini [...]“

124 FÖGEN  ([2002b] 193‐195) zeigt, dass auch der prätorische Zivilju‐risdiktionsmagistrat der Juristen, Zeitgenossen des Livius, einsei‐tig  beschrieben  wurde,  aber  im  Gegensatz  zu  Livius  nicht  als Mann  mit  Eigenschaften,  sondern  als  anonyme,  hochtrainierte Maschine, die außerhalb von Zeit und Raum operierte und Texte ohne Kontexte produzierte.

125 Zur juristischen Formel des praetor ait cf. FÖGEN (2002b) 190.

134 ANCILLA IURIS (anci.ch

Accordingly,  reading Livy’s books  leaves  the  impres‐sion – confirming, at the same time, the arguments in chap‐ters 2.2.1. and 2.2.2. – that the competences of the praetor ur‐banus and the praetor peregrinus were rather those of a homo politicus123 or of a homo militaris than those of a magister iuris civilis. This is plausible, since for the performance of their manifold tasks the praetors needed to be more generalists than specialists by nature. They do not even seem to have had a well‐defined set of tasks. Instead, they seem to have simply done whatever they did.

This impression is repeated and confirmed when look‐ing at the time available to the praetors. Even if one adds to the praetors’ term of office the period between their elec‐tion and the allotment of their tasks (sortitio provinciarum), when all praetors remained in Rome and were free to per‐form  all  those  activities  coming within  this magistracy’s general area of competence – including  jurisdiction –, not much time was left for the praetors to substantially and se‐riously immerse in the jurisdiction and the creative evolu‐tion of the law. Therefore, much indicates that, rather than Livy taking no interest, in his history of Rome, in the details of civil  jurisdiction in the city,124 the two praetors simply lacked the time and skills for such jurisdiction.

What remains  is a mixed result. From Livy to the Ro‐man jurists125 and to the legal historians of the 19th and 20th

century, all interpretations of the praetorship confirm that the praetor urbanus and the praetor peregrinus were responsi‐ble for jurisdiction, and that the jurisdiction even represent‐ed the core of their tasks. A closer examination of the prae‐tors’  actual  activities,  however,  results  in  placing  the jurisdiction at the far end of a long list of praetorian activi‐ties. This tension between the classic topos of the praetorian function at the heart of the law and the historical topos of its place at the periphery of the law still awaits its explana‐tion by an adequate theoretical model (ch. 2.3.). It is the aim 

123 Liv. 41.27.2 and 45.21.1 exemplify how political  the environment was  within  which  the  urban  praetors  acted.  Cf.  also  LABATUT (1868) 95‐96: „Il faudrait citer tous les chapitres de Tite‐Live, si l’on voulait épuiser la liste des mandats et des attributions extraordi‐naires qui sont confiées aux préteurs dans des moments difficiles. [...] Les missions dont on chargeait les préteurs variaient à l’infini [...]“

124 As FÖGEN ([2002b] 193‐195) demonstrates, also the Roman jurists, contemporaries  of Livy, have depicted  the praetors  one‐sidedly. Unlike Livy, however, they did not see them as men with personal characteristics  but,  on  the  contrary,  as  anonymous machineries operating beyond time and space and producing legal texts with‐out contexts.

125 For the legal formula praetor ait cf. FÖGEN (2002b) 190.

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

Modell (Kap. 2.3.). Ein solches zu entwickeln, soll Aufgabe des folgenden Kapitels sein.

4. Funktionen des Prätors

4.1. AusgangslageFunktion des Prätors kann nicht gewesen  sein, Recht 

„zu machen“ – weder durch die Rechtsprechung, also die Ausarbeitung der Klageformeln, noch durch die Publikati‐on des Ediktes. Der Prätor war, entgegen seiner Rezeption, nicht die treibende Kraft der Rechtsprechung, der flexiblen „Rechtsaufzeichnung“126  oder  der  Rechtsentwicklung  in Rom. Durch einige Plausibilitätsüberlegungen zu den von den römischen Juristen und der Rechtsgeschichte gepräg‐ten Vorstellungen von der römischen Prätur  lässt sich  im folgenden untermauern, warum diese These ihre Berechti‐gung hat.

Dass die Prätoren, die sich, dem Prinzip der Annuität gemäß, alle Jahre  in der Amtsführung ablösten, die keine Juristen waren,  deren  Amt  nicht  aus  einem  Spezialisie‐rungsdruck heraus entstanden war, die gerade nicht wegen ihrer juristischen Fähigkeiten gewählt wurden und denen überdies  in  ihrem Gehilfen‐ und Schreiberstab kein  juris‐tisch, sondern nur ein administrativ erfahrenes Gremium zur Seite stand,127 die einflussreichen Jurisdiktionsmagis‐traten und Entwickler des durch hochgradige Spezialisie‐rung und Professionalisierung ausgezeichneten republika‐nischen  Rechts  gewesen  sein  sollen,  mutet unwahrscheinlich an. Auch der klassische Verweis auf das consilium aus Juristen, auf das die Prätoren zurückgreifen konnten, vermag die Zweifel nicht auszuräumen. Denn Be‐dingung  der Möglichkeit  der  Entscheidung  des  Prätors, welche  actiones  zugelassen und welche Prozessformulare (formulae) erteilt werden sollten,128 dürfte ein Grundstock solider Rechtskenntnisse gewesen sein. Anderenfalls wäre es ihm, der nur ein Jahr dieses Amt bekleidete, kaum mög‐lich gewesen, die Formeln, welche die Juristen ausarbeite‐ten, auch nur nachvollziehen zu können. Der Verweis auf 

126 Cf. WIEACKER (1961) 120, der sehr anschaulich weiter ausführt, das Edikt  müsse  als  „umfassende  Durchordnung  von  materiellen Rechtsschutzvoraussetzungen,  Rechtsstreit  und  Vollstreckung“ verstanden werden. VON  LÜBTOW  ([1983]  383)  nennt  in Anleh‐nung an Cic. Ver. 2.1.109 das Edikt „eine Art Jahresgesetzbuch des Privat‐ und Prozessrechts, eine lex annua“, die sich einerseits kon‐servativ die Erfahrungen der Vergangenheit  zu Nutze gemacht, andererseits aber fortschrittlich neuen Ideen rasch und leicht Auf‐nahme gewährt habe.

127 WIEACKER (1961) 107 f.128 WIEACKER (1961) 98: „Nur darf man nicht vergessen, dass die Ent‐

scheidung über Zulassung und Gestalt eines iudicium zuletzt aus‐schließlich beim Gerichtsherrn lag, wenn man nicht im Kräftespiel des  römischen Prozesses den Nerv des  Imperiums durchschnei‐den will.“

ANCILLA IURIS (anci.ch

of  the  following  chapter  to develop  and propose  such  a model.

4. Praetorian Functions

4.1. Starting PointIt was not the function of the Roman praetor to „create“ 

law – neither through his jurisdiction, nor through his edi‐tion of procedural formulas, nor through his publication of the edict. Regardless of what contemporary and later inter‐pretations say, the praetors were not the driving force of the jurisdiction,  of  the  flexible  codification  („Rechtsaufzeich‐nung“),126 or of  the general  legal development  in Rome. The  considerations  set  out  below  shall make  this  point plausible.

Holding an office which, of all reasons, was not found‐ed for the one enhancing specialisation within the magis‐tracy,  changing  office  after  a  term  of normally  only  one year, not being jurists by education, being elected for other than their legal skills, and being supported by a staff of as‐sistants and scribes with experience in administration rath‐er than in jurisdiction,127 the praetors seem highly unlikely to have served as influential jurisdictional magistrates and as developers of a civil law which, after all, distinguishes it‐self by a historically unparalleled specialisation and profes‐sionalism. Referring instead to the consilium of jurists sup‐porting  the  praetors,  as  is  the  strategy  of many  classic interpretations of the praetorship, does not help much fur‐ther. If it were true that the overall responsibility for the de‐cision on which actions to grant and which procedural for‐mulas to give laid in the hands of the praetor,128 he would have needed at least some legal expertise. Without it, and with  the possibility of accumulating experience being ex‐cluded by the principle of annuality of his office, the pra‐etor would hardly have been capable of following the  ju‐rists in their drafting of the elaborate procedural formulas. Therefore, the reference to the consilium may succeed as an 

126 Cf. WIEACKER (1961) 120 conceptualising the edict as „umfassende Durchordnung  von  materiellen  Rechtsschutzvoraussetzungen, Rechtsstreit und Vollstreckung“. Following Cic. Ver. 2.1.109, VON LÜBTOW  ([1983]  383)  describes  the  edict  as  „eine  Art  Jahres‐gesetzbuch des Privat‐ und Prozessrechts, eine lex annua“ combin‐ing the elements of conservation and accumulation of experience with a sense of progress and openness for new ideas.

127 WIEACKER (1961) 107‐108.128 WIEACKER  (1961)  98:  „Nur  darf man  nicht  vergessen,  dass  die 

Entscheidung über Zulassung und Gestalt eines  iudicium zuletzt ausschließlich beim Gerichtsherrn lag, wenn man nicht im Kräfte‐spiel des  römischen Prozesses den Nerv des  Imperiums durch‐schneiden will.“

) 2006: 107 ‐ Synopsis 135

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das consilium vermag daher nur als Begründung für die ju‐ristische Qualität der römisch‐republikanischen Rechtsent‐wicklung zu dienen, kann aber keine Kompensation bieten für die fehlenden fachlichen und zeitlichen Kapazitäten der Träger  des  Imperiums  und  damit  der  Entscheidungsge‐walt.129

Das klassische Bild der römischen Prätur, deren Annui‐tät die beiden einander entgegengesetzten Kräfte von Tra‐dition  und  Evolution  im  Recht130  in  sich  zu  vereinen vermochte, ist von hoher Suggestivkraft – zumal weil diese Eigenart  des  prätorischen  Amtes  in  dem  jährlich  neu erlassenen Edikt  ihren Niederschlag  fand. Lädt man aber das Edikt derart mit Bedeutung auf und macht es damit zum Kristallisationspunkt aller Erfolge einer zweifelsohne großartigen  Rechtsentwicklung,  lässt  sich  nicht  mehr verstehen, warum  alle Edikte  am Anfang der  jeweiligen Amtszeit veröffentlicht wurden. Wer seine Errungenschaf‐ten fixieren will – zu welchem Zweck auch immer – wird dies, so sollte man meinen, normalerweise am Ende einer Arbeitsperiode tun, nicht an deren Anfang.

Schließlich bleibt die schwierige, in der Lehre kaum be‐antwortete Frage, warum die Römer eine Person, die nach einhelliger Ansicht formal vor allem Jurisdiktionsmagistrat war, mit der umfassendsten Amtsgewalt, dem  imperium, ausstatteten, so dass sie an Machtfülle den Konsuln gleich‐kam. Dass sich eine solche zum Zwecke der Erfüllung der Jurisdiktionsaufgaben  aufdrängte,  scheint  angesichts  der geringeren hierarchischen Stellung (minor potestas) der für die Marktgerichtsbarkeit zuständigen kurulischen Ädilen kein plausibles Argument. Überdies widerspricht die bei‐nahe verschwenderische Fülle der prätorischen Befugnisse unmittelbar  der  üblicherweise  vorgebrachten  Erklärung für die Entstehung der Prätur aus dem Konsulat heraus: dass es sich dabei um einen Akt „politisch‐technischer Öko‐nomie“131 gehandelt habe. Der Verweis darauf, dass, wie jedes Recht, so auch das römische einen Gewaltmechanis‐mus benötigte, um seine Entscheidungen durchsetzen zu können,132 deutet in eine richtige Richtung. Allerdings lässt er, für sich genommen, nicht verstehen, warum das derart mächtige Amt der Prätoren als einziges in Rom nicht kolle‐gial ausgestaltet war. Dagegen, dass sich die Römer dieses Umstandes nicht  bewusst  gewesen  sein  könnten,  spricht 

129 So die zuvor in Fn. 37 und 44 bereits angedeutete Kritik an Wieak‐ker, Bretone und Bürge.

130 WIEACKER (1961) 120.131 WIEACKER (1961) 90. Cf. auch VON LÜBTOW (1983) 351.132 Cf. Andeutungen bei VON LÜBTOW (1983) 376. HÜBNER ([1967] ins‐

bes. 99)  legt diese Überlegung  seinen Ausführungen  stillschwei‐gend zugrunde.

136 ANCILLA IURIS (anci.ch

explanation for the exceptional quality of Roman law in the republican period; it cannot, however, compensate for the lack of skill and time of those having had the highest au‐thority to decide: the magistrates with imperium.129

The classic interpretation of the Roman praetorship as combining, by its principle of annuality, the opposing forc‐es  of  tradition  and  evolution  in  the  law130  looks instinctively  convincing  since  it  finds  its parallel  and  its visual  expression  in  the  annually  renewed  edict.  The drawback  of  such  an  interpretative  strategy making  the edict  the  focal  point  of  an  undeniably  astonishing  legal development is that it looses its analytical potential once it comes to explaining why all edicts were published at the beginning of a magistrate’s term of office. If the edict were about  periodically  codifying  –  to  whichever  end  –  the achievements  of  jurisdictional  and  jurisprudential work, one would expect it to be published at the end of a given pe‐riod, but not at its start.

The most basic, most difficult and, hence, only  rarely tackled problem seems to be why the Romans chose to give all‐embracing power, i.e. imperium, to a person traditionally regarded  primarily  as  jurisdictional  magistrate,  thereby giving it a status equal to that of the consuls. The argument that such power was necessary for the performance of juris‐dictional tasks is not convincing since the lower hierarchi‐cal level (minor potestas) of the curule aediles proved to be sufficient  to exercise  their  jurisdictional responsibility  for the markets in the city. Furthermore, the seemingly lavish amount of praetorian competences contradicts  the classic interpretation of the founding of the praetorship as an ex‐pression of  the Roman sense of political economy  („poli‐tisch‐technischer Ökonomie“).131  It  is  certainly  correct  to hold that the functioning of the Roman law, like of every le‐gal system, relied on its ability to enforce its decisions.132

Taken alone, however, this argument does not explain why the so powerful office of  the praetor was  the only one  in Rome not to follow the principle of collegiality. Tradition‐ally  sensitive  to  questions  of  division  and  balancing  of power, the Romans could not have been unaware of how exceptional the praetorship was in this respect.133

129 Cf. the critique of Wieacker, Bretone and Bürge in fns. 37 and 44.130 WIEACKER (1961) 120.131 WIEACKER (1961) 90. Cf. also VON LÜBTOW (1983) 351.132 Cf. VON LÜBTOW (1983) 376 in passing. HÜBNER ([1967] especially 

99) bases his reasoning on this unsaid proposition.

) 2006: 107 ‐ Synopsis

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ihre außerordentlich entwickelte Sensibilität für Machttei‐lung und ‐hemmung.133

Die Personengruppe, die wesentlich geeigneter als die Prätoren gewesen zu sein scheint, die Entwicklung des rö‐mischen Rechts im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. zu hoher Differenziertheit und Qualität zu treiben, ist die der Juris‐ten. Ihr Einfluss setzte an zwei Punkten des römischen Zi‐vilverfahrens  an,  nämlich  an der Auswahl  oder Neufas‐sung einer formula aus Anlass der fachlichen Beratung und Vertretung von Klienten und an der Tätigkeit  im prätori‐schen  consilium, das  auf die Entschließungen des Magis‐trats maßgeblichen Einfluss nahm.134

Als Kollegium verkörperten die  Juristen all  jene Cha‐rakteristika, die  als Bedingung der Möglichkeit der Ent‐wicklung eines hochstehenden Rechts erscheinen und die den Prätoren  fehlten:  juristische Bildung, Spezialisierung und Professionalisierung, über Generationen hinweg ent‐wickeltes Traditionsbewusstsein und die daraus  resultie‐rende  Kunst,  einen  kleinen  juristischen  Formelschatz schmiegsam und sparsam zugleich immer neuen Sachver‐halten  anzupassen,135  integrierte  Meinungsvielfalt  und daher die Möglichkeit, im Diskurs zu hoher Beherrschung juristischer  Technik  und  zu  argumentativer  Schärfe  zu gelangen.

Wie  aber, wenn  die  Juristen  in  allen  juristischen  Be‐langen  besser  geeignet  erscheinen,  vermochte  dann  der Prätor dennoch eine Bedingung der Möglichkeit dafür zu sein, dass das römische Zivilrecht, wie wir es heute kennen, entstehen konnte? Warum wiederholen Livius und die rö‐mischen  Juristen  so  oft  – und  so  evident wider besseres Wissen –, der Prätor sei verantwortlich für die Entstehung und Entwicklung dieses Rechts?

133 Jedenfalls geht es nicht an, die gestellte Frage nach der politischen Legitimation  und  Integration  der  umfassenden  prätorischen (Jurisdiktions‐)Gewalt mit der Erklärung zu erledigen, der römi‐sche Formularprozess knüpfe an die antike Schiedsrichteridee an. Denn auch das Verfahren in iure setzte letztlich ein imperium vor‐aus,  indem  es  hoheitliche  Eingriffe  in  die  private  Rechtssphäre programmierte.  HÜBNER  (1967)  99.  Dennoch  folgert  HÜBNER([1967] 101 f.), dass das imperium des Prätors unangefochten war, weil es sachlich „den Anforderungen gerecht wurde und zugleich genügend  Kompensationsfaktoren  vorhanden  waren,  die  einen Missbrauch verhinderten“. Die Schwächen dieser Theorie  liegen darin,  dass  Hübner  nicht  zu  erklären  vermag,  was  er  unter „Anforderungen“ versteht, und dass seine These der Existenz von Kompensationsfaktoren  das  Problem  gleichsam  von  hinten  her aufrollt, anstatt direkt zu erklären, welche Funktionen die prätori‐sche Machtfülle wahrzunehmen half.

134 WIEACKER (1961) 108.135 WIEACKER (1961) 108.

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The Roman  jurists were much more capable  than  the praetors to lead the Roman law in the 3rd and 2nd century B.C. on to its high level of quality and precision. Their ex‐pertise  came  to  fruition at  two  stages  in  the Roman civil procedure: first, when selecting or drafting the formulae on the occasion of providing  legal advice or of  representing clients in court, and, second, when acting in the praetorian consilium the opinion of which is said to have greatly influ‐enced the magistrate’s decisions.134

As a collective body, the Roman jurists represented all those conditions for a sophisticated legal system to become possible which the praetors failed to meet: legal education, specialisation and professionalism, a sense of tradition and, hence, an ability to adjust at once flexibly and economically the  small  pool  of  formulas  in  accordance with  the  ever changing requirements of life,135 and an inherent plurality of opinions keeping  the  legal  technique and  its rhetorical tools sharpened.

If the jurists were so obviously more suitable than the praetors for the development of Roman law, how, then, did it come that the figure of the praetor has always been re‐ceived as one of the essential conditions of possibility for the astonishing standard of the Roman civil law we know today? Why do Livy and his juristic contemporaries repeat again  and  again  –  and  evidently  against  better knowledge  – that it was the praetor who was responsible for the origin and the evolution of their law?

133 In any case, it is insufficient to circumvent the question of political and  systematic  legitimacy of  the praetors’  comprehensive  (juris‐dictional) power simply by reference to the nature of the Roman formulary system as antique form of arbitration. The procedure in iure  required  a  form  of  imperium  since  it  programmed  judicial interventions  into  the parties’ sphere of private autonomy. HÜB‐NER (1967) 99. Nevertheless, HÜBNER ([1967] 101‐102) argues that the imperium of the praetor was not questioned since it served its jurisdictional purposes and was, at the same time, safe from abuse due  to  the  existence  of  balancing  forces  („den  Anforderungen gerecht wurde  und  zugleich  genügend  Kompensationsfaktoren vorhanden  waren,  die  einen  Missbrauch  verhinderten“).  The problem  of Hübner’s  approach  can  be  seen  in  the  fact  that  he leaves  unspecified  what  he  means  by  „purposes“,  and,  more important  even,  that  his  reference  to  „balancing  forces“  starts from  the  wrong  end  of  the  problem  and  therefore  misses  to explain  which  functions  the  all‐embracing  praetorian  power helped to serve in the first place.

134 WIEACKER (1961) 108.135 WIEACKER (1961) 108.

) 2006: 107 ‐ Synopsis 137

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4.2. Evolution des RechtssystemsWer im Hinblick auf eine funktionelle Beschreibung da‐

nach fragt, welche Bedingungen der Möglichkeit der Evo‐lution des römischen Rechts die Prätur erfüllte, wird sich den Eigenheiten dieser Evolution  anzunehmen haben.136

Eine eigenständige Evolution des Rechtssystems137 beginnt mit seiner operativen Schließung,138 mithin dann, wenn – zunächst kaum realisierbar – in einer Gesellschaft bewusst zwischen unstreitigen und streitigen Fällen der Enttäusch‐ung  von  normativen  Erwartungen  unterschieden  wird. Erst diese Differenz (und nicht schon das bloße Wahrneh‐men von Meinungsverschiedenheiten) macht die dem Kon‐flikt zugrundeliegende Norm sichtbar, welche zuvor in der gesellschaftlichen Kommunikation  nicht wahrgenommen wurde. Und erst in der Verbalisierung eines Konfliktes, erst wenn Streitparteien sich verteidigen,  indem sie Anerken‐nung  für  ihre Ausnahmelagen  zu  erreichen  suchen  oder eigene Berechtigungen behaupten, vermag eine Beobach‐tung zweiter Ordnung zu entstehen, auf deren Ebene Kon‐flikte mit Hilfe der beobachtungsleitenden Differenz Recht/Unrecht  argumentativ  abgearbeitet werden  können  und ein Rückgriff  auf  autoritäre  Formen  der Neutralisierung von Dissens nicht mehr nötig erscheint.139 Mit der Abkehr von den  rigiden Spruchformeln und dem Übergang zum Formularprozess mit seiner flexibleren juristischen Formu‐lierung  des  Streitgegenstandes  schon  in  der  älteren  Re‐publik140 dürfte dieser Schritt vollzogen worden sein. Be‐darf dafür, Entscheidungsgründe als Entscheidungsregeln zu generalisieren, von Fall zu Fall zu tradieren und durch‐zuhalten, kommt dann auf, wenn die Zunahme an gesell‐schaftlicher  Komplexität  nach  stabilen  Verhaltens‐

136 Fragen nach Bedingungen der Möglichkeit sind Fragen im Wissen um Kontingenz: „Es war, wie es war, es hätte auch anders, wenn‐gleich nicht beliebig anders sein können.“ Es geht um Possibilitä‐ten,  nicht  um  Kausalitäten.  Cf.  Kap.  1.  Dem  entspricht  ein Evolutionsmodell, das Entwicklungen in Differenzen – nach dem Muster:  Variation/Selektion/Restabilisierung  –  zerlegt.  FÖGEN(2002a) 17.

137 Wer  mit  Systembegriffen  operiert,  macht  Aussagen  über  die Gesellschaft und  lässt  sich damit  – gerade unter Kontingenzge‐sichtspunkten – auf eine Verantwortung für die Bewährung seiner Aussagen im Vollzug ein, also in concreto für eine plausible Ant‐wort  auf die  Frage  nach den Bedingungen der Möglichkeit des römischen Zivilrechts. Cf. LUHMANN (1987) 30.

138 LUHMANN (1995) 257. Damit soll nicht die These vertreten werden, das republikanische römische Recht habe ein autopoietisches Sozi‐alsystem gebildet. Mit TEUBNER ([1989] 34, 38) ist vielmehr davon auszugehen, dass es  immer  schon „graduelle Abstufungen  [der] Autonomie“ von Rechtssystemen gab. Es geht hier also nur um die Beobachtung, dass das römische Recht an operativer Autono‐mie gewann, indem es seine Komponenten zunehmend in selbst‐referenziellen Zyklen konstituierte.

139 Dazu LUHMANN (1995) 260.140 KASER/KNÜTEL (2003) 460.

138 ANCILLA IURIS (anci.ch

4.2. Evolution of the Legal SystemIf one asks, with a view to a functional description of the 

praetorship, which conditions of possibility for the evolu‐tion of Roman law were fulfilled by the praetors, the logic of this evolution should be looked at more closely.136 The threshold  for  an  autonomous  evolution  of  the  legal  sys‐tem137  is given by  the operative  closure of  the  legal  sys‐tem,138 i.e. when – barely remarked at the beginning – in a society a distinction is made between uncontested and con‐tested cases of disappointment of normative expectations. It is this distinction (and not yet the mere awareness of the existence of dissenting opinions) which renders the under‐lying norm visible by making it a subject of communication in society. Only if conflicts can be verbalised, and if the par‐ties  to  a  conflict defend  themselves by  trying  to  achieve recognition of their exceptional circumstances as well as by claiming own entitlements, can a second order‐observation arise; and only on this level can conflicts argumentatively be dealt with using the code  legal/illegal and avoiding to revert  to  authoritarian  forms  of  neutralising  conflicts.139

This step was taken in the early republic with the turning away from the archaic, rigid formulas of the  legis actionesand with the transition to the more flexible formulary sys‐tem.140 The usual consequence of an increasing complexity of social problems is a demand for a stable orientation and, hence,  for  a  generalisation  of  the  reasons  of  individual cases in the form of normative principles. Accordingly, as has  previously  been  observed  (ch. 2.1.),  the  evolution  of Roman private law from the height of the republic to its end saw a structural shift  towards  jurisdiction and,  therefore, the area of competence of the praetors.

136 Questions about conditions of possibility are questions based on the principle of contingency: „Es war, wie es war, es hätte auch anders, wenngleich nicht beliebig anders sein können.“ They refer to the dimension of possibility and not of causality (cf. ch. 1.); and they correspond to a model of evolution decomposing the notion of development  into  three distinct  elements: variation/selection/stabilisation. FÖGEN (2002a) 17.

137 When using the term „system“, one chooses a specific (contingent) description  of  society  and,  hence,  accepts  responsibility  for  its proof in everyday practice or, as in the case of this article, in his‐tory. „Proof“ thereby denotes the ability to give plausible answers to questions about conditions of possibility. Cf. LUHMANN (1987) 30.

138 LUHMANN (1995) 257. It shall not be implied here that the republi‐can law in Rome represented an autopoietic social system. Follow‐ing TEUBNER ([1989] 34, 38), it shall rather be assumed that history has always seen various degrees of autonomy („graduelle Abstu‐fungen [der] Autonomie“) of legal systems. The term „system“ is used here because  it allows  to analyse with great precision how the Roman  law gained  in operative autonomy by connecting  its components in increasingly self‐referential cycles.

139 Cf. LUHMANN (1995) 260.140 KASER/KNÜTEL (2003) 460.

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orientierungen verlangt. Wir haben festgestellt (Kap. 2.1.), dass  sich  die  Evolution  des  römischen  Privatrechts  der hohen und ausgehenden Republik nicht zufällig in den Be‐reich  der  Rechtsanwendung  und  der  prätorischen  Juris‐diktionsmagistrate verlagerte.

Voraussetzung  für  die  weitere  Entwicklung  eines Rechtssystems ist dann, dass sich in ihm Interaktionssyste‐me bilden, in denen Lösungen der nun als solche wahrge‐nommenen  normativen  Konflikte  ausgehandelt  werden können. Ziel  ist  es  jeweils, Verfahren  zu  entwickeln, die eine Entscheidung über Recht und Unrecht herbeiführen können, und zwar auf eine Art und Weise, die es genügen lässt, wenn einige wenige – seien es Richter oder Gesetzgeber – die Geltung von Normen als für alle verbindlich ansehen und dementsprechend entscheiden.141 Dass dieser Prozess Autorität der Entscheidungsträger, wie sie im prätorischen imperium enthalten war, erfordert, ist leicht einsehbar. Doch haben die Plausibilitätsüberlegungen  in Kap. 4.1. gezeigt, dass eine solche Beschreibung des Prätors allein noch nicht ausreicht. Hier stehenzubleiben, hieße, das wirkliche Pro‐blem zu verkennen: Wie anderen antiken Gesellschaften, so mangelte  es  auch der  römischen nicht  an Mechanismen, Autorität  herzustellen  und  gesamtgesellschaftlich  durch‐zusetzen. Vielmehr werden die eigentlichen Herausforde‐rungen an zwei anderen systemischen „Brennpunkten“ ge‐legen haben. Erstens an der Peripherie des Rechtssystems zu seiner gesamtgesellschaftlichen Umwelt: Aus der Sicht des Rechtssystems stellt sich der Input von Fällen142 und das Herantragen  von  Irritationen  aus der Umwelt  als Zufall dar, den das Recht mit den ihm zugrundeliegenden Struk‐turen nicht zu kontrollieren vermag. Es kann darauf nur reagieren  oder  sich  davor  verschließen. Deshalb  geht  es hier  letztlich nicht um Autorität, sondern um Fragen des Juridifizierens  oder  Nichtjuridifizierens  von  Situationen des  täglichen Lebens  (unten Kap. 4.3.). Zweitens  im Zen‐trum des Rechtssystems: Bei steigender Komplexität der le‐bensweltlichen Umstände taucht das Problem auf, wie ein Rechtssystem noch funktionieren kann, wie es für seine Be‐nutzer,  Juristen wie Nicht‐Juristen,  hinreichend  attraktiv bleibt,  so  dass  es  überhaupt  noch  zur  Produktion  von Rechtsfällen kommt (unten Kap. 4.4.).143

141 LUHMANN (1995) 260 f.142 LUHMANN (1999) 40.143 LUHMANN (1995) 272.

ANCILLA IURIS (anci.ch

Any  further evolution of a  legal  system normally de‐pends on  the differentiation of  interacting systems which allow for the negotiation of solutions to conflicts between different  normative  principles.  In  procedural  terms,  the aim is to establish proceedings leading to decisions on the issue of legal/illegal by way of a few people – judges or leg‐islators – taking the validity of norms as binding for all of the people, and for those few making the correspondingly relevant  decisions.141  This  development  depends  on  the authority of those few – such as on the imperium of the prae‐tors. As  shown by  the considerations  in chapter 4.1.,  this description of praetorship does not suffice. To stop at this point would mean  to  fail  to appreciate  the  real problem: Like other societies in antiquity, Rome did not lack mecha‐nisms of creating and stabilising social authority. The real challenges were located elsewhere. First, on the periphery of the legal system, in its relationship with its social environ‐ment: From the point of view of the legal system, input of cases142  and  irritation  by  the  environment  are  random events and, hence, uncontrollable for the law. All the legal system can do is either to react to them or to shut itself off from  them. Therefore,  the essential problem  is not about authority, but about whether or not to grant jurisdiction in everyday situations (below ch. 4.3.). Second, in the centre of the legal system: With levels of social complexity rising, the question  becomes  relevant  how  a  legal  system  can  still function, how it can remain sufficiently attractive to its us‐ers (jurists as well as non‐jurists) who rely on it, and how it can successfully continue solving cases (below ch. 4.4.).143

141 LUHMANN (1995) 260‐261.142 LUHMANN (1999) 40.143 LUHMANN (1995) 272.

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4.3. Die Prätur als strukturelle Kopplung

4.3.1. Das Problem der physischen GewaltDas Recht hat immer in einem sehr ursprünglichen Sin‐

ne mit der Bewältigung von möglicherweise gewaltsam zu lösenden Konflikten zu tun gehabt; dies umso mehr, als das Recht  selbst  eine  „Konfliktquelle  ersten  Ranges“  ist.  So‐lange die Differenz Recht/Unrecht über die Bereitschaft zur Gewalt an rechtlich nicht kontrollierbare Strukturen einer auf dem Prinzip der Rache aufbauenden Gesellschaft ge‐bunden war, hatte das Recht keine Möglichkeit, die oben beschriebene operative Schließung zu vollziehen, also sich so zu verfeinern, dass es Verstöße gegen das Recht  selbstfeststellen, selbst qualifizieren und schließlich selbst elimi‐nieren konnte.144 Erst das politische Gewaltmonopol besei‐tigte diese Hemmschwelle für die weitere Rechtsentwick‐lung.

Im  Prozess  seiner  anhaltenden  Ausdifferenzierung kappte das Recht zuletzt auch diese externe Referenz zur politischen Gewalt und ersetzte sie durch eine selbstrefe‐rentielle Konstruktion. Es  tat dies,  indem es an die Stelle des Zuganges zur  faktischen Gewalt denjenigen zum Ge‐richtsverfahren  setzte.  Doch  überzeugte  diese  Ablösung nur, wenn  die  Rechtsunterworfenen  sicher  sein  durften, dass Gerichtsurteile auch vollstreckt werden konnten und die Urteilsfindung nicht durch Wechsel in der politischen Machtkonstellation verzerrt wurde.

Die Römer  fanden eine bestechende Lösung  für diese Problemstellung: Sie teilten den Prozess in ein Verfahren in iure vor einem Magistraten, dem Prätor, und in ein Verfah‐ren  apud  iudicem vor einem nicht‐beamteten Richter.  Ihre Rechtsprechung kam also  letztlich ohne externe Referenz aus, war aber gleichzeitig über den Prätor und seine Ver‐antwortung für die Erteilung der formulae (Kap. 2.1.) an die politische Gewalt gebunden. Dadurch, dass sie den  Juris‐diktionsmagistraten mit  der  umfassendsten  Amtsgewalt ausstatteten, die verfügbar war, dem imperium, machten sie eindrücklich – beinahe zu pointiert, ist man versucht zu sa‐gen – klar, dass sich das Recht nicht durch den Zugriff auf die eigene Gewalt dessen, der sich in seinen Rechten ver‐letzt  fühlte, blockieren  ließ. Gleichzeitig beließen sie dem Recht sein eigengesetzliches Operieren, indem sie den Prä‐tor institutionell vom übrigen rechtlichen Verfahren trenn‐ten. Zwar lief das Verfahren in iure zumindest formell unter seiner Ägide ab, aber letztlich war nicht er es, der das Urteil sprach, sondern der iudex – und nicht er, sondern die Juris‐ten besaßen die Fähigkeiten, die richtigen Formeln zu fin‐

144 Cf. für diesen Prozess LUHMANN (1995) 284.

140 ANCILLA IURIS (anci.ch

4.3. The Praetorship as Structural Coupling

4.3.1. The Problem of ViolenceIn a very basic sense,  the  law has always had  to deal 

with solutions  to problems which could otherwise be  re‐solved violently. This is all the more true when considering that the law itself can be a source of conflict. As long as the law’s constitutive difference legal/illegal remained tied to the dynamics of violence and revenge, uncontrollable by le‐gal means, the law had no possibility of reaching the state of operative closure described above, and therefore no pos‐sibility of refining its structures in a way that enabled it to determine, qualify, and eliminate violations of the law by it‐self.144  This  barrier  to  further  evolution  could  only  be overcome  once  politics  gained  the  exclusive  control  of physical force in society.

In the process of its differentiation the law finally had to expunge also the external reference to politics, and had to replace it by self‐reference. This was achieved by replacing the access to physical force by an access to a judicial proce‐dure. Such replacement could only convince the people, if it was possible to effectively enforce judicial decisions, and if  the course of  the procedure was successfully protected from political and other external influences.

The Romans found an intriguing solution to this prob‐lem: The judicial procedure was divided in two stages, the one taking place in iure, i.e. in front of a magistrate: the pra‐etor, the other apud iudicem, i.e. in front of a judge who was neither a magistrate nor a professional lawyer. On the basis of such a design, the jurisdiction did not need an external reference  to  another  social  system while  it  could,  at  the same  time,  profit  from  the  political  control  of  physical force, as represented by the praetor and his formal respon‐sibility for the granting of the formulae (ch. 2.1.). By attribut‐ing the highest, all‐embracing power, the imperium, to their jurisdictional magistrates, the Romans guaranteed in clear‐ly visible  (almost  too pithy)  form  that  the course of  their law would not let itself be blocked by a conflicting party re‐sorting to violence. At the same time, by institutionally sep‐arating the praetor from the rest of the judicial process, they left  the  law’s autopoietic operating untouched. While  the praetor chaired the procedure in iure – at least formally – it was up to the iudex to hand down the decision, and it was the jurists who had the experience and expertise to choose 

144 Cf. for this process LUHMANN (1995) 282, 284.

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den  und  mittels Weiterentwicklung  den  Gegebenheiten des Einzelfalles anzupassen.

Verdeutlicht man sich, wie wichtig es für die Entwick‐lung des  römischen Rechts war,  auf  ein Gewaltmonopol zurückgreifen zu können, darüber hinaus aber möglichst von der Politik nicht gestört zu werden, wird verständlich, warum die  römischen Prätoren weder  juristisch geschult zu sein noch die Zeit für profunde juristische Auseinander‐setzungen zu haben brauchten; und es wird einsichtig, wa‐rum Livius zwar immer betont, die Rechtsprechung sei for‐mell die Kernkompetenz des praetor urbanus und des praetor peregrinus gewesen, aber darüber hinaus nicht ein einziges Mal von einem materiellen zivilrechtlichen Engagement ih‐rerseits berichtet.

4.3.2. Strukturelle KopplungDie Institution der Prätur wurde nicht nur genutzt, um 

das politische Gewaltmonopol für das Recht fruchtbar zu machen. Sie war, so die hier zu begründende These, weit allgemeiner das zentrale Element der Beziehungen des rö‐mischen Rechts zu seiner Umwelt.

Dass solche Umweltbeziehungen bestehen konnten, ist bei aller behaupteten operativen Geschlossenheit des römi‐schen Rechtssystems unbestritten. Operative Geschlossen‐heit heißt nicht, dass ein System gegen Irritationen aus sei‐ner Umwelt  immun wäre; mit  ihr wird nur der Umstand bezeichnet, dass Rechtsoperationen ausschließlich an ande‐re Rechtsoperationen, nicht aber an systemfremde Operati‐onen anschließen können.145 Und: Dass das römische Recht solche  Umweltbeziehungen  tatsächlich  unterhielt,  kann vorausgesetzt werden, weil es sonst nicht irritierbar genug gewesen wäre, die bahnbrechenden Umwälzungen gesell‐schaftlicher,  kultureller  und  wirtschaftlicher  Natur  seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. aufzugreifen und zum Anlass weiterer Rechtsbildung zu nehmen.

Das Konzept der  strukturellen Kopplung erlaubt, die Beziehungen zwischen System und Umwelt präzise zu un‐tersuchen. Von struktureller Kopplung soll die Rede sein, „wenn  ein  System  bestimmte  Eigenarten  seiner Umwelt dauerhaft  voraussetzt  und  sich  strukturell  darauf  ver‐läßt“.146 Dabei sind zwei Aspekte zu beachten.

Weil  sich,  erstens,  ein operativ geschlossenes Rechts‐system wie das römische nur über ihm eigene Operationen realisiert, kann es auch im Bereich der strukturellen Kopp‐

145 Cf. LUHMANN (1995) 440.146 LUHMANN (1995) 441.

ANCILLA IURIS (anci.ch

the right formulas and to adjust them flexibly to the ever changing circumstances of the individual case.

Bearing in mind how pivotal it was for the development of Roman law to have the possibility of availing itself of the political control of physical force while not otherwise being interfered with by politics, one may  see why  the Roman praetors needed to have neither the time nor the expertise to take part in the process of legal reasoning, and why Livy constantly repeats that the special competence of the praetor urbanus and the praetor peregrinus formally consisted of the jurisdiction, even though he omits to report even a single material civil law activity on their part.

4.3.2. Structural CouplingThe praetorship was not only used as a link to the polit‐

ical control of physical force. Its significance reached much further. It was, as shall be submitted, the central element of the contacts of the Roman law with its social environment.

The possibility of such contacts is not denied by the gen‐eral tendency of operative closure of the Roman legal sys‐tem. Operative closure does not imply immunity to irrita‐tions  from  a  social  environment.  It  only means  that  the unity of the  legal system must be reproduced exclusively with the system’s own operations, and that the system can‐not operate in its environment.145 And: It can be taken for granted  that  the Roman  law  actually  kept  such  contacts with  its  social  environment. Otherwise  it would  hardly have let its development be stimulated by the far‐reaching social, cultural and economic changes taking place in Rome since the 3rd century B.C.

The concept of structural coupling is used here as a tool for the detailed analysis of the relations between the Roman legal system and its surrounding social environment. Cou‐pling mechanisms shall be called structural couplings, if a system presupposes certain features of its environment on an ongoing basis and  relies on  them structurally.146 Two aspects of such couplings are of specific importance in the context of this article.

At  first,  since an operationally  closed  system  like  the Roman  legal  system  is determined by  its own  structures and cannot reproduce itself otherwise than with its own op‐

145 Cf. LUHMANN (1995) 440.146 LUHMANN (1995) 441.

) 2006: 107 ‐ Synopsis 141

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lung Umweltereignisse  nicht  untransponiert  aufnehmen. Eine Leistung der strukturellen Kopplung besteht darin, In‐puts von außen in Überraschungen, Irritationen oder Stö‐rungen umzuarbeiten, die das Rechtssystem wahrnehmen und die es in seine kontinuierliche Reproduktion zu  inte‐grieren vermag.147

Was ohne  strukturelle Kopplung mit  einem  ausdiffe‐renzierten System geschähe, wäre, zweitens, dass es  sich nicht auf bestimmte Umwelteinflüsse konzentrieren könn‐te, weil es ohne Einschränkung allen Pressionen seiner ge‐sellschaftlichen Umwelt  in der gleichen Weise ausgesetzt wäre. Ohne die  reduktive Funktion  eines dazwischenge‐schalteten Filters würden diese Pressionen das Recht derart deformieren, dass sie entweder in ihm überhaupt keine re‐zeptive Resonanz erzeugen könnten oder dass sie das Recht in dem Sinne zerstörten, als sie es dazu veranlassten, nicht mehr nach seinem eigenen Operationscode Recht/Unrecht, sondern nach anderen, fremden Prämissen zu entscheiden. Sowohl  Starrsinn  als  auch Überforderung  aber  sind  der Tod des Rechts.

Der römische Prätor erfüllte genau jene beiden Funkti‐onen, die das Konzept der strukturellen Kopplung umreißt: nämlich  Transformation  von Umwelteinflüssen  einerseits, indem er als Generalist Strömungen politischer, kultureller, wirtschaftlicher, religiöser und militärischer Art aufzuneh‐men, in seiner Amtsführung zu verkörpern und, dank sei‐ner Stellung als Jurisdiktionsmagistrat, durch seine Verant‐wortung  für  die  Erteilung  der  Prozessformeln,  in  einen binären,  dem  Recht  verständlichen Code  von  Recht/Un‐recht  umzuarbeiten  vermochte.  Gerade  weil  es  letztlich hochspezialisierte  Juristen waren, welche alle  ihre Kräfte darauf  konzentrierten,  die  Formeln  zu  erstellen  und  die rechtliche Dogmatik zu verfeinern, benötigten  sie  jeman‐den, der die  lebensweltlichen Herausforderungen  in eine ihnen verständliche Sprache übersetzte und der daher nicht Jurist  sein durfte, wohl aber über  seinen Amtsbereich an das Recht gekoppelt sein sollte. – Und Reduktion der Um‐welteinflüsse andererseits allein schon dadurch, dass sein Amt nicht kollegial ausgestaltet war. Wenn Kanalisierung von Inputs das vordringliche Gebot ist, bleibt für ein Kolle‐gium, dessen Meinungsvielfalt wegen der Existenz des In‐terzessionsrechts zunächst zu einem Konsens zu verfesti‐gen ist und dessen Mitglieder sich stets mit den Ansichten ihrer  Kollegen  zu  „arrangieren“148  haben,  kein  Raum. Nicht als Kumulation von Macht ist daher die Fülle der im imperium  des  praetor  urbanus  und  des  praetor  peregrinus

147 Cf. LUHMANN (1995) 442.148 BLEICKEN (1995) 102.

142 ANCILLA IURIS (anci.ch

erations, events in its environment cannot intervene in the system in the form of unmitigated inputs. In other words, structural  couplings need  the  ability  to  transform  inputs into  irritations,  surprises  and disturbances which  can be understood by the legal system’s inherent logic, and which can be  integrated  into  the system’s continuous reproduc‐tion.147

At second, without structural couplings, a differentiat‐ed system would be directly exposed to all pressures of its social environment – and to all of them in the same way – thereby  losing its ability to focus on particular irritations. The reductive function of a filter between a system and its environment prevents the former from being deformed by all  sorts of pressures either  ignoring and bypassing  it or making  the  system  abandon  its own  specific operational code and decide on the basis of other premises. Both, igno‐rance and loss of identity, would, however, lead to a failure of the legal system.

It is argued that the Roman praetor fulfilled exactly the two functions which are covered by the concept of structur‐al coupling: Transformation of inputs from the environment, because his general competence allowed him to take up po‐litical, cultural, economic, religious, and military trends, to bundle and embody them in his office, and to rework them, in his position as jurisdictional magistrate and through his formal responsibility for the granting of procedural formu‐las,  into  the binary  code  legal/illegal  specific  to  the  legal system. With the highly specialised jurists concentrating on drafting  the  formulas as well as on  improving  legal dog‐matics, the law depended on a person who could translate the  challenges of  everyday  life  into a „language“ under‐standable to the law, and who therefore should not be a ju‐rist while, nevertheless, being tied to the law by way of his public office. – And reduction of  inputs from the environ‐ment, because the praetorian office did not follow the prin‐ciple of collegiality. If what is needed is the channelling of inputs,  there  is no room for a collective system and for a plurality of opinions, which, in view of the veto right of in‐tercessio, must first be boiled down to a stable consensus.148

Hence,  the  far‐reaching  competences  on  the  basis  of  the imperium of the praetor urbanus and the praetor peregrinus are not to be interpreted as an accumulation of power but as a means of reducing complexity.

147 Cf. LUHMANN (1995) 442.148 BLEICKEN (1995) 102.

) 2006: 107 ‐ Synopsis

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

vereinigten  Befugnisse  zu  sehen,  sondern  als Mittel  zur Reduktion von Komplexität.

(i) TransformationHinter der folgenden Rekonstruktion des Transformati‐

onsprozesses steht wiederum der Grundgedanke der Kon‐tingenz: Es ist davon auszugehen, dass eine höhere Mög‐lichkeitsspanne  von  Kommunikationsformen  zwischen einem System und seiner gesellschaftlichen Umwelt dem System selbst mehr Möglichkeiten zu eröffnen vermag. An der  Institution  der  republikanischen  Prätur  lassen  sich dementsprechend  zwei  Transformationsprozesse  unter‐scheiden.149

Einerseits  holte  sich  das  Recht  von  der  Politik  die bereits  besprochenen  Erzwingungsmöglichkeiten.  Rechts‐entscheidungen,  insbesondere  Gerichtsurteile,  werden befolgt, weil  ihre  Befolgung  erzwungen werden  könnte und dies  in Konfliktfällen  faktisch  auch geschieht. Diese Möglichkeit wird in der juristischen Entscheidungsfindung bereits mitgedacht und ermöglicht so die Unabhängigkeit des Rechtssystems von externen Mechanismen, individuel‐len Rechten Anerkennung zu verschaffen.150 Dass in Rom Rechtsprechung  und  ‐durchsetzung  vom  Beginn  eines Prozesses  an  zusammengedacht  wurden,  zeigt  die folgende Notiz bei Livius, in der er davon berichtet, wie die Gemeinden  der  Sizilianer  die  prätorische  Juris‐diktionsgewalt wahrnahmen:

„[...] excelso in suggestu superba iura reddentem, stipatum lictoribus vident; virgae tergo, secures cervicibus imminent [...]“151

149 Die  folgenden Ausführungen  sind  inspiriert durch das Konzept der double interchanges, wie es von PARSONS ([1959] 16‐29) entwik‐kelt und von LUHMANN ([1999] 165‐170) für die Beziehungen zwi‐schen  Recht  und  politischer Gewalt  angepasst wurde.  Für  den vorliegenden Beobachtungsgegenstand wurden weitere Änderun‐gen angebracht. Insbesondere wurde die Reziprozität der Vermitt‐lungsverhältnisse zwischen Recht und Politik ausgeblendet, weil die politischen Strukturen der Republik  seit der großen Reform 367 v. Chr. nahezu gleich blieben und damit hinter der rasanten Entwicklung des Zivilrechts zurückblieben (FÖGEN [2002b] 197 f.). Co‐evolutorische Schieflagen eignen sich nicht für wechselseitige Kopplungen „auf Augenhöhe“. Deshalb wird hier davon ausge‐gangen, dass sich das römische Recht von seiner gesellschaftlichen Umwelt,  insbesondere  von der Politik,  so  viel wie möglich  von demjenigen holte, was es brauchen konnte, dass aber die Umwelt ihrerseits wenig mit  den  Errungenschaften  dieses  hochdifferen‐zierten  Rechts  anzufangen wusste.  Livius’  Schweigen  über  die prätorische Ziviljurisdiktion mag auch damit zusammenhängen.

150 LUHMANN (1999) 168.151 Liv. 31.29.9 (cf. Fn. 118). Es ist nicht zu eruieren, ob Livius hier von 

zivil‐ oder strafrechtlicher Jurisdiktion spricht.

ANCILLA IURIS (anci.ch

(i) TransformationThe following reconstruction of the transformation pro‐

cess is inspired by the idea of contingency, as explained at the beginning of this article. It starts from the assumption that a wider  range of communicative contacts between a system and its surrounding social environment benefits the system  itself  by  offering  it  a  wider  range  of  potential strategies. Accordingly,  two  transformation processes can be distinguished, and separately analysed, within the oper‐ating of the republican praetorship.149

On the one hand, the law gained from politics a contact with the control of physical force, and therefore with the po‐tential to enforce its decisions. Legal decisions are complied with since compliance could theoretically be enforced, and is actually enforced,  in  cases of  conflict. As a  threat,  this potential  for  enforcement  always  remains present  in  the process of legal decision making, and it places the legal sys‐tem  in a position of general  independence  from external mechanisms of the parties’ receiving recognition for their entitlements.150  From  the  beginning,  jurisdiction  and enforcement were regarded as two sides of the same coin in Rome,  as  is demonstrated  by  the  following  quotation  in which Livy  reports how  the Sicilians  saw  the praetorian jurisdiction:

„[...] excelso in suggestu superba iura reddentem, stipatum lictoribus vident; virgae tergo, secures cervicibus  imminent [...]“151

149 The  analyses  in  this  chapter  are  based  on  the  concept  of  double interchanges  which  had  originally  been  developed  by  PARSONS([1959]  16‐29)  and  was  subsequently  modified  by  LUHMANN([1999]  165‐170)  with  a  view  to  describing  the  relationship between law and political power. For the purposes of this chapter, further modifications were made. In particular, the reciprocity of the exchanges between  law and politics was eliminated because the  political  structures  of  the  Roman  republic  had  essentially remained the same since the great reform in 367 B.C., and conse‐quently had fallen behind the rapid development of the civil law (FÖGEN  [2002b]  197‐198).  Tensions  in  the  co‐evolution  of  social systems do not form an  ideal condition  for mutual couplings on an equal systemic level. Therefore, the arguments of this chapter go on from the assumption that the Roman law tried to avail itself of  all  those  resources  in  its  social  environment which  it  could profit from, but that the environment,  in turn, widely lacked the sophistication  to make  efficient  use  of  the  achievements  of  this highly developed  law. Livy’s almost  complete  silence about any praetorian activity  in  the  field of  civil  jurisdiction may be  inter‐preted also in this light.

150 LUHMANN (1999) 168.151 Liv.  31.29.9  (cf.  fn.  118).  It  cannot  be  evaluated  with  certainty 

whether Livy speaks here of civil or criminal jurisdiction.

) 2006: 107 ‐ Synopsis 143

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

„Im allgemeinen macht[e] der Prätor von den Zwangs‐mitteln seines Imperiums keinen Gebrauch.“152 Alljährlich, zu Beginn der Amtszeit, wurde zwar in seinem Edikt veröf‐fentlicht, welche actiones, exceptiones und sonstigen Rechts‐mittel anerkannt werden sollten, doch geschah auch dies unter auffallender Zurückhaltung: Nicht imperativisch wa‐ren die Klagformeln gefasst, sondern als Blankett mit vor‐angestellter  Rechtsschutzverheißung.153  Subtiler  und gleichzeitig  nachhaltiger  als  durch  Formen  (nötigenfalls) physischer Gewalt  ließen  sich  in Rom Erzwingungsmög‐lichkeiten durch dignitas und auctoritas herstellen. Der rö‐mische Prätor war ein nobilis und als solcher zunächst und vor allem der Repräsentant eines Sozialprestiges, das auf sozialpolitischen Faktoren beruhte.154 Das Fundament sei‐ner  führenden Stellung wie auch derjenigen der anderen Magistrate war einesteils das  soziale Band zwischen  ihm als patronus und seinen clientes, jenes ererbte Vertrauen zwi‐schen Grundherrn und kleinen Leuten, das vom heutigen staatsbürgerlichen  Gehorsam  so  verschieden  ist,155  und waren  anderenteils  seine  politisch‐militärischen  Leistun‐gen als Amtsträger. Dabei stützten sich soziale und politi‐sche Faktoren gegenseitig: Der Patron wurde zum Prätor gewählt, „weil er im sozialen Bereich mächtig war, und er wurde hier mächtiger, weil [und sofern] er sich über seine politisch‐amtliche Stellung weiteres Ansehen zu verschaf‐fen  wußte“.156  Für  diesen  politisch‐sozialen  Einfluss benutzten die Römer den Begriff dignitas. Sie war die Basis dafür,  dass  der magistrale Wille  zur Durchsetzung  von Entscheidungen,  die  auctoritas,  Gehorsam  zu  erzeugen vermochte.  Dieser  Umstand  ließ  sich  für  das  römische Recht mittels der formellen Zuständigkeit des Prätors  für die Jurisdiktion fruchtbar machen.

Andererseits versorgte sich das Recht über die Kopp‐lung mit der Politik mit Prämissen des Entscheidens  in der Form dessen, was die Römer als mores bezeichneten. Der persönliche  Lebensstil  der  nobiles,  unter  ihnen  auch  der Prätor, war von Normen geprägt, die fast alle Bereiche des Lebens erfassten. Viele von ihnen bezogen sich auf Lebens‐gewohnheiten und ‐anschauungen einer ländlichen Gesin‐nung und ihrer Einrichtungen, denen die nobiles in der Re‐

152 VON LÜBTOW (1983) 376. Cf. auch BLEICKEN (1998) 141.153 KASER/KNÜTEL (2003) 29.154 BLEICKEN (1995) 42.155 WIEACKER  ([1961]  86 f.)  betont,  dass  im Rahmen  der  römischen 

Honoratiorenverwaltung  von  „Staat“  überhaupt  nur  dann  die Rede  sein könne, wenn man  für diesen Begriff den Vorrang der öffentlichen  Rechtsetzung  und  des  öffentlichen  Gerichtes  vor anderen Verbänden genügen lasse. Cf. auch BLEICKEN (1998) 139.

156 BLEICKEN (1995) 43.

144 ANCILLA IURIS (anci.ch

Generally, the praetor made no use of the enforcement powers inherent in his imperium.152 If, every year at the be‐ginning of a praetor’s term of office, an edict was published listing  actiones,  exceptiones, and other  legal  remedies,  this was done  in an astonishingly  restrained  form: The  state‐ment on the admissibility of a formula was phrased not im‐peratively but using a blank form preceded by an assurance that in such case, the praetor would give an action (iudicium dabo).153 More subtly and, at the same time, more efficiently than through forms of (if need be) physical force, recogni‐tion  of  judgements  in  Rome  could  be  achieved  by  the means of dignitas and auctoritas. The Roman praetor was a nobleman  (nobilis),  and  as  such  he  represented  a  presti‐gious position within the socio‐political framework of the time.154 The praetor’s – just like his magisterial colleagues’ –  leading position was  rooted,  first,  in  the  social  ties be‐tween himself as patronus and his clientes (a technique of so‐cial coherence completely different from today’s concept of civic obedience in a state,155 and instead relying on tradi‐tional forms of mutual loyalty, trust, and respect between the noble land owners and the unprivileged citizens depen‐dent on  them);  and,  second,  in his political  and military achievements as magistrate. Thereby,  social and political aspects  were  completely  intertwined:  The  patronus  was elected because he had received social recognition; and he became more powerful in his office in so far as he was able to use his political position to  increase his recognition.156

The Roman name for this form of both political and social influence was dignitas. It formed, in turn, the basis for the magisterial power  to  enforce decisions  and  to  guarantee obedience, which was called auctoritas. The combination of dignitas and auctoritas was fruitfully applied to the law by way  of  the  praetor’s  formal  responsibility  for  the jurisdiction.

On the other hand, through its coupling with politics, the law received premises for decisions in the form of the so‐called mores. The personal conduct of the nobiles, inter alia the praetor, was determined by a set of norms covering all aspects of  life. Many of  these norms originated  from and conformed to the habits and ways of thinking inherent in rural life and its institutions, a world which, for the nobiles

152 VON LÜBTOW (1983) 376. Cf. also BLEICKEN (1998) 141.153 KASER/KNÜTEL (2003) 29.154 BLEICKEN (1995) 42.155 WIEACKER ([1961] 86‐87) claims that any terminology relating to a 

„state“  is inappropriate  in connection with the Roman system of leadership and administration by dignitaries  („Honoratiorenver‐waltung“), and that it could be justified only as meaning the pre‐cedence of  legislation and  jurisdiction over other  forms of social control. Cf. also BLEICKEN (1998) 139.

156 BLEICKEN (1995) 43.

) 2006: 107 ‐ Synopsis

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publik bereits entwachsen waren; doch blieb das ländliche Leben Bezugspunkt und wandelten  sich  seine  Ideale mit wachsender  Distanz  zu  den  entsprechenden  Lebensum‐ständen in einen abstrakten Tugendkatalog (inter alia: Ein‐fachheit,  Gediegenheit,  Sparsamkeit,  Götterfurcht),  ein Kompendium  sozialer  und  politischer  Verhaltensregeln, die weder festgeschrieben, noch weiter reflektiert wurden, sondern die man einfach praktizierte.157 Erst die gewalti‐gen  politischen,  sozialen  und  wirtschaftlichen  Verände‐rungen im 3. Jahrhundert v. Chr. führten dazu, dass einzel‐nen dieser Tugenden  nicht mehr  nachgelebt wurde. Mit dem Auseinanderdriften von Ideal und Realität wurde der Normgehalt der Tugenden bewusst und rückten diese  in eine Nähe zum Recht.158

Die beschriebenen Veränderungen irritierten das Recht. Es  modifizierte  seine  Operationsweise  und  entwickelte neue  Instrumente,  beispielsweise die  formulae  (Kap. 2.1.). Wie  sich  bei  aller  operativen Geschlossenheit  das  Recht ganz allgemein nicht im „luftleeren Raum“ entwickelt, son‐dern Prämissen benötigt, die es zum Anlass systeminterner Evolutionsprozesse nehmen kann, so nahm auch das römi‐sche Recht den vorhandenen Katalog der mores und institu‐ta  maiorum  als  Entscheidungsprämissen  auf  –  am  deut‐lichsten  in der Form von Rechtsbegriffen wie  boni mores, bonum et aequum, bona fides, aber auch potestas, manus und dominium159  –  und  fand  so  durch  eine  massive  Ver‐größerung der juristischen Freiheit eine rechtliche Antwort auf  die  gestiegene  lebensweltliche  Komplexität.  Voraus‐setzung dafür war die  strukturelle Kopplung des Rechts über den Prätor an den in der politischen Elite verkörperten Kodex der mores. Hätten die mores unkanalisiert  auf das Recht  einstürmen  können,  was  bei  Steigerung  von Komplexität und reflexhafter Rückbesinnung auf die alten, einfachen  Ideale  durchaus  vorstellbar  gewesen  wäre, hätten sie das Recht allenfalls in dem Sinne deformiert, als es von der  strengen Anwendung  seiner Kategorien,  also von  Recht  und  Unrecht,  abgebracht  worden  wäre  und zuletzt  nicht  mehr  rechtlich,  sondern  eben  moralisch entschieden hätte.

(ii) ReduktionIm Jahre 204 v. Chr., in einer Zeit also, als der zweite Pu‐

nische Krieg in seine entscheidende Phase trat, wurde Sci‐pio und seinem Legaten Pleminius vorgeworfen, sie hätten ihre Pflicht zur Disziplinierung ihrer Soldaten vernachläs‐

157 BLEICKEN (1995) 59 f.158 BLEICKEN (1995) 62.159 WIEACKER (1961) 112; BLEICKEN (1998) 138.

ANCILLA IURIS (anci.ch

at the time of the republic, was already past. Nevertheless, rural life remained influential as an ideal. Over the years, its ideas  became  more  abstract  in  character  and  were  re‐worked into a catalogue of virtues (containing, for example, simplicity, uprightness, frugality, and respect for the gods) and of social and political rules for behaviour, which were neither codified nor further reflected upon, but which were simply adhered  to  in practice.157 Only with  the dramatic political,  social and economic  changes  in  the 3rd  century B.C. did  it come  that some of these virtues and rules  lost their normative  self‐evidence. And with  the distance be‐tween ideal and reality growing, the Romans became, for the first time, aware of the normative character of these vir‐tues, and  they  started  regarding  them as  similar  to  legal norms.158

This development did not  remain without effect. The law modified its procedures and invented new instruments such as  the  formulae  (ch. 2.1.). Regardless of  its operative closure, law never works entirely on its own, but needs pre‐mises which  it can  integrate  into  its decisions and use as stimuli  for  further  internal evolution. The Roman  law,  in particular, used the existing catalogue of mores and instituta maiorum, most evidently by developing new concepts such as boni mores, bonum et aequum, bona  fides, potestas, manus, and dominium.159 It thereby significantly enlarged its ability to provide adequate answers to  the  increasingly complex problems  of  everyday  life. A  condition  for  such  a  legal development  to  become  possible  was  the  structural coupling  of  law  and  politics  through  the  figure  of  the praetor representing the catalogue of the mores followed by the  political  elite.  It  is  conceivable  that,  without  the transformative function of such a coupling, the usual social reaction to an increase in complexity, i.e. the recourse to old and simple ideals, would not have proved to be stimulating for  the  legal  system  but,  on  the  contrary,  would  have induced it to abandon its specific binary code legal/illegal, and to decide on the basis of moral premises following the code moral/immoral.

(ii) ReductionWhen, in 204 B.C., the second Punic War entered its de‐

cisive phase, Scipio and his legatus Pleminius were accused of having  failed  to discipline  their  troops which,  in  turn, had  looted the town of Locri and had stolen money from 

157 BLEICKEN (1995) 59‐60.158 BLEICKEN (1995) 62.159 WIEACKER (1961) 112; BLEICKEN (1998) 138.

) 2006: 107 ‐ Synopsis 145

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

sigt, worauf diese die Stadt Locri geplündert und den Tem‐pel der Proserpina ausgeraubt hätten.160 Der Prätor für Si‐zilien, Marcus  Pomponius Matho, wurde  beauftragt, die Untersuchungen  in  dieser  Angelegenheit  zu  führen.161

Während er sehr konsequent und unnachsichtig Pleminius verhaftete und den rechtmäßigen Zustand in Locri wieder‐herstellte, zeigte er  sich einer strafrechtlichen Verfolgung Scipios  gegenüber  sehr  zurückhaltend.162  Obwohl  es durchaus in der Macht des Prätors gelegen wäre, Scipio vor ein Gericht zu bringen, wurde diese hochbrisante politische Angelegenheit schließlich nicht rechtlich, sondern politisch im Senat gelöst.163 Und obwohl Pleminius in Rom unver‐züglich  eingekerkert wurde, kam  es auch gegen  ihn nie‐mals zu einem Prozess. Was nach heutigen Begriffen wie Korruption  der  Justiz  aussieht,  ersparte  dem  römischen Recht damals die Zerreißprobe, in einer solch bedrohlichen Lage des Staates Probleme mit höchstem politischem Po‐tential zu behandeln.164 Das war möglich, weil der Prätor mit  seiner  Spezialkompetenz  gezielt die  spezifischen Be‐dürfnisse  des  Rechts  aufgreifen  und  politisch  umsetzen konnte.

160 Für die ganze Geschichte cf. Liv. 29.20.4‐22.12 (cf. Fn. 53).161 Hier und in den folgenden Beispielen wird mangels Berichten bei 

Livius über zivilrechtliche Tätigkeiten des Prätors auf Strafverfah‐ren oder politische Prozesse zurückgegriffen. Für die Erkenntnis der systemischen Kopplungsmechanismen dürfte dieser Umstand allerdings  belanglos  sein.  Es  darf  davon  ausgegangen  werden, dass  sich die gleichen Vorgänge auch  im Bereich der  römischen Zivilrechtsjurisdiktion abspielten.

162 Liv. 29.21.11: „Et praetori et consilio haud mediocre onus demp‐tum erat de Scipione cognoscendi.“

163 Liv. 29.22.11: „De Scipione nusquam nisi in senatu actum, [...]“164 Liv. 29.22.7‐9: „Pleminius quique in eadem causa erant, postquam 

Romam est ventum, extemplo in carcerem conditi. Ac primo pro‐ducti  ad  populum  ab  tribunis  apud  praeoccupatos  Locrensium clade animos nullum misericordiae locum habuerunt; postea cum saepius producerentur,  iam  senescente  invidia molliebantur  irae et  ipsa deformitas Plemini memoriaque  absentis  Scipionis  favo‐rem  ad vulgum  conciliabat. Mortuus  tamen prius  in vinclis  est, quam  iudicium  de  eo  populi  perficeretur.“ Anhand  der  klassi‐schen  Theorie  des  Prätors  als  eines  mächtigen,  der  Idee  der Gerechtigkeit verpflichteten Hüters des Rechts  interpretiert, ver‐möchte dieses Vorgehen des M. Pomponius Matho dagegen nicht sinnvoll zu erscheinen. Von einem ähnlichen Vorgehen berichtet Livius  (43.2.1‐11)  im  Rahmen  eines  Schadenersatzprozesses  vor dem Prätor  für beide spanischen Provinzen, L. Canuleius, gegen ehemalige Prätoren wegen unrechtmäßigen Eintreibens von Geld. Der Prätor entzog  sich – und damit auch das Recht – dem Pro‐blem, indem er aus Rom in seine Provinz wegging (cf. Fn. 52). Cf. auch 42.22.7‐8: Im Prozess gegen den Prokonsul M. Popilius, dem die Ungerechtigkeit seines Krieges gegen die Ligurer vorgeworfen wurde, verlegte der  praetor urbanus C. Licinius die dritte Anhö‐rung des Prokonsuls auf ein Datum, an welchem seine Amtszeit bereits abgelaufen sein würde, weshalb er das Urteil nicht mehr zu sprechen brauchte.

146 ANCILLA IURIS (anci.ch

the treasure‐chambers of the temple of Proserpina.160 The praetor for Sicily, Marcus Pomponius Matho, was ordered to hold an enquiry into these events.161 While acting deci‐sively  with  respect  to  Pleminius  by  arresting  him  and restoring  the  lawful  state  in  Locri,  he  hesitated  to  open criminal proceedings against Scipio.162 Despite the praetor having had  the power to arrest Scipio and to put him on trial, this highly delicate political matter was resolved, not judicially in the court, but politically in the senate.163 And even though Pleminius was immediately jailed, no criminal proceedings were opened  against him,  too. What,  to  the modern eye, may look like a case of corruption in the judi‐ciary was a strategy to safe the Roman law and its sophisti‐cated reasoning from the crucial test of having to decide a highly political case in a difficult strategic situation for the city.164 By his special competence, the praetor succeeded in taking up the specific requirements of the law and in giving them  effect on  the political  level  by  aiming  at  a  socially sensible solution.

160 For the entire story cf. Liv. 29.20.4‐22.12 (cf. fn. 53).161 Because of a lack of reports, in Livy’s books, on praetorian activi‐

ties in the field of civil  law, this example and the following ones have to draw on criminal and political processes. For the under‐standing  of  systemic  couplings,  however,  this  should  be  irrele‐vant;  for  it may be assumed  that  the same mechanics worked  in the field of civil jurisdiction.

162 Liv. 29.21.11: „Et praetori et consilio haud mediocre onus demp‐tum erat de Scipione cognoscendi.“

163 Liv. 29.22.11: „De Scipione nusquam nisi in senatu actum, [...]“164 Liv. 29.22.7‐9: „Pleminius quique in eadem causa erant, postquam 

Romam est ventum, extemplo in carcerem conditi. Ac primo pro‐ducti  ad  populum  ab  tribunis  apud  praeoccupatos  Locrensium clade animos nullum misericordiae locum habuerunt; postea cum saepius producerentur,  iam  senescente  invidia molliebantur  irae et  ipsa  deformitas  Plemini  memoriaque  absentis  Scipionis favorem ad vulgum  conciliabat. Mortuus  tamen prius  in vinclis est, quam iudicium de eo populi perficeretur.“ In the light of the classic  theory of  the praetor as powerful guardian of  justice and law, the behaviour of M. Pomponius Matho would not appear to have been sensible. A similar pattern of behaviour is reported by Livy  (43.2.1‐11)  in  connection with a  judicial proceeding,  led by the  praetor  L. Canuleius  to whom  both  Spanish  provinces  had been  allotted,  for  the  restitution  of money  extorted  by  former praetors.  The  praetor  chose  to  suddenly  leave  for  his  province thereby evading the political problem and defusing it for the law (cf. fn. 52). Cf. also 42.22.7‐8: In  the proceedings against  the pro‐consul M. Popilius on  charge of  injustice of his war against  the Ligurians, the praetor urbanus C. Licinius scheduled the third hear‐ing for a day when his term of office would already have ended, thereby avoiding a judgement in this political case.

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

Ein anderes Beispiel dafür, wie effizient sich das Recht über die  Institution der Prätur mit  ihrem weiten Ermes‐sensspielraum aus dem Strudel der Lebensumstände her‐auszuhalten verstand, liefert die Geschichte des Schreibers Lucius Petilius, der 181 v. Chr. auf seinem Acker zwei stei‐nerne Kisten fand, von denen die eine sieben Bücher über das  Pontifikalrecht  und  sieben mit Weisheitslehren  ent‐hielt. Als der Inhalt dieser Bücher weiteren Kreisen bekannt wurde  und  der  praetor  urbanus  Quintus  Petilius  zum Schluss kam, das meiste davon  führe zur Zersetzung der Religion, ordnete er die Vernichtung der Bücher an. Zuvor bot er dem Lucius Petilius allerdings an, auf dem Rechts‐wege (seu ius) oder über ein politisches Hilfsmittel (seu au‐xilium) seine Bücher zurückzuerhalten. Nur über die Rück‐gabe der Bücher, nicht über die Schädlichkeit ihres Inhaltes oder über irgendeinen anderen Aspekt sollte rechtlich ver‐handelt werden dürfen. Zuletzt wurde sogar diese Frage nicht vor dem Richter, sondern vor dem Senat und daher politisch entschieden. Nicht einmal den Schadenersatz, den man Lucius Petilius für die Verbrennung seiner Bücher zu zahlen sich bereit gefunden hatte, wollte dieser annehmen. Das Recht blieb in jeder Hinsicht unberührt, und der Kon‐flikt verhallte  scheinbar  so zufällig und natürlich, wie er entstanden war.165

4.4. Das prätorische EdiktWährend bereits geklärt wurde, welche Funktionen der 

Prätor an den Grenzen des Rechtssystems zu seiner (politi‐schen) Umwelt wahrnehmen und welche Bedingungen der Möglichkeit er dabei erfüllen konnte, damit das römische Recht zu seiner fachlichen Größe fand, blieb bisher erst an‐gedeutet, was die Funktion des Prätors in jenem Inneren des Rechtssystems war,  in welchem  die  Irritationen  aus  der Außenwelt verarbeitet wurden. Es  ist keineswegs  selbst‐verständlich, dass das römische Recht mit der steigenden Komplexität  seiner Umwelt mitzuhalten  vermochte.  Ein Rechtssystem, das höhere Komplexität aufbaut, weicht von den vorhandenen Regeln ab und baut durch Differenzie‐rung  sowie Neuregelung166  andere  auf. Dann  aber  ent‐stehen Probleme der strukturellen Restabilisierung des an Komplexität  gewachsenen  Systems,  von  deren  Lösung abhängig  ist,  ob  das  System weiterhin  selbstreferenziell funktioniert. Erst eine auf begriffliche Systematik und auf geschichtliche Kohärenz achtende Rechtsdogmatik vermag diese  Probleme  zu  lösen,  indem  sie  von  der  Einzelfall‐Praxis  abstrahiert  und  deshalb  –  auf  einer Metaebene  – 

165 Liv. 40.29.11‐14 (cf. Fn. 93).166 LUHMANN ([1995] 272) spricht  in der Terminologie des Common 

Law von „distinguishing“ und „overruling“.

ANCILLA IURIS (anci.ch

Another example for the law protecting itself, through the figure of the praetor and his privilege of wide discre‐tion, from getting involved too far into the distorting and harmful turbulences of social and political life can be found in the story of the scribe Lucius Petilius who, in 181 B.C., had found on his land two stone cases, one of them contain‐ing seven books on pontifical law and another seven on a system of philosophy. The content of these books became known to a wider public. The praetor urbanus Quintus Peti‐lius decided that most of it was subversive to religion and ordered  the  books  to  be  destroyed.  Before,  he  gave  the scribe permission to try and see whether he had any legal right (seu ius) or political assistance (seu auxilium) to recover the books. The judicial process should then be exclusively on the question of recovery of  the books, and neither on  the question of harmfulness of their content nor on any other question in relation to them. Again, the question of recov‐ery was not dealt with judicially and in the court, but polit‐ically and in the senate. Lucius Petilius finally even refused to accept the monetary compensation offered to him for the loss of his books. The  law  remained unaffected  in  every sense,  and  from  a  legal  standpoint  this  religious  conflict seemed to end as naturally as it had originated.165

4.4. The Praetorian EdictWhile attempts have been made in this article to explain 

which functions the praetor performed at the systemic bor‐der between law and politics, and which conditions were thereby fulfilled for the sophistication of Roman law to be‐come possible, the praetorian functions inside the legal sys‐tem, where specific answers to the irritations from the envi‐ronment had to be found, remained largely unexplored. It is not self‐evident that the Roman law succeeded in keep‐ing pace with the rising levels of complexity in its environ‐ment. When reaching higher levels of complexity, legal sys‐tems  generally  deviate  from  their  existing  normative structures and create new rules by distinguishing and over‐ruling.166 Within  the  systems,  this  leads  to  problems  of structural re‐stabilisation, the solution of which determines whether  the  systems  will  continue  to  operate  self‐referentially.  Only  by means  of  legal  dogmatics, which takes note of historical consistency as well as systematic use of concepts, can these problems effectively be approached. Legal dogmatics tends to abstract from legal practice and to raise the opportunity to discuss, on a meta‐level, issues of 

165 Liv. 40.29.11‐14 (cf. fn. 93).166 LUHMANN ([1995] 272) using here the terminology of the Common 

Law.

) 2006: 107 ‐ Synopsis 147

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Möglichkeiten  der  Erörterung  von  Konstruktionsfragen bietet. Nur mit einer elaborierten Rechtsdogmatik können konstruierbare  Entscheidungen  angenommen  und  nicht‐konstruierbare  abgelehnt  werden;  und  nur  auf  dieser Ebene  vermag  ein  Recht  letztlich,  sich  zu  restabilisieren und damit seine Konsistenz zu garantieren.

Genau hier setzte der zweite große, rechtlich relevante Funktionsbereich des Prätors an: Er ermöglichte die Dog‐matik  des  römischen  Rechts  und  damit  seine  bei  allem Wandel enorme Stabilität, indem er ihr eine Form verlieh: das Edikt. Die Herausgabe des Ediktes an sich – jenseits der Erkenntnis, dass dem Prätor in Ermangelung eigener Kom‐petenzen und zeitlicher Kapazitäten (Kap. 3.5.) nur übrig‐geblieben sein dürfte, diejenigen Formeln zu sammeln, die ihm  die  geschulten  Juristen  als  Produkte  ihrer  dogmati‐schen Arbeit vorlegten – war in zweierlei Hinsicht bedeut‐sam.

Einesteils wurde das Edikt auf Holztafeln167 festgehal‐ten und  stellte daher bei aller Festigkeit eine Veröffentli‐chung dar, die  nicht  für die Ewigkeit Bestand  zu  haben brauchte, wie dies bei den Zwölftafeln der Fall gewesen war,  sondern die  gerade der  jährlichen Erneuerung  und Modifikation unterliegen sollte.  Immerhin vermochte der Prätor dadurch, dass er sich in den allermeisten Fällen an das Edikt  seines Vorgängers hielt,168 gleichzeitig der ge‐schichtlichen Konsistenz der dem Edikt  zugrundeliegen‐den dogmatischen Arbeit Ausdruck  zu verleihen. Es gilt also,  die Annuität  des  Ediktes  nicht  als  seine  Schwäche, sondern als seine Stärke aufzufassen.

Anderenteils wurden im Edikt auf jenen Holztafeln die Strukturen des römischen Rechtssystems mit den Mitteln der  Schrift  fixiert.  In  der  Verschriftlichung  der  geltenden Rechtsschutzverheißungen  leistete  das  prätorische  Edikt mehr als es ausdrückte, nämlich vor allem die Ausdifferen‐zierung eines Textes, der dann als identische Grundlage für die Bildung  verschiedener Meinungen dienen, mithin  also eine juristisch‐dogmatische Arbeit in Gang setzen und vor‐antreiben konnte. Objekt der  juristischen Auseinanderset‐zung war dann nicht mehr der Einzelfall, sondern ein Ab‐straktum, der Text; und der  juristische Modus war nicht mehr der ad hoc oder ad hominem, sondern der einer vom Alltagssinn  der Worte  differenzierbaren  Rechtskultur.169

Überdies  besaß  die  schriftliche  Fixierung  den  Vorzug, dass  sie Abweichungen  leicht  erkennbar zu machen ver‐mochte.170  Aufgrund  neuer  lebensweltlicher  Heraus‐

167 VON LÜBTOW (1983) 375.168 WIEACKER ([1961] 117) spricht daher auch von edictum tralaticium

oder edictum perpetuum.169 LUHMANN (1995) 262 f.

148 ANCILLA IURIS (anci.ch

construction.  It  is on such a sophisticated meta‐level  that decisions  can  be  justified which  comply with  the  long‐standing use of concepts, and that decisions can be rejected which  do  not  open  themselves  to  being  so  constructed. Hence, it is on such a level that a legal system is able to re‐stabilise itself and thereby to guarantee its consistency.

At  this point,  the second  important aspect of praetor‐ship within  the  functioning  of  the  Roman  law  becomes relevant.  The  condition  of  possibility which  the  praetor provided for the dogmatics of Roman law and, consequent‐ly, for its lasting stability despite all continuous change was the edict. Beyond  recognising  that,  in view of his  lack of time and expertise (ch. 3.5.), the praetor did not have any other alternative than to collect the formulas which the pro‐fessional lawyers had proposed to him as products of their dogmatic work,  the publication of  the edict by  itself was important in two ways.

On the one hand, the text of the edict was laid down on wooden  panels,167  and  therefore  represented  a  public record which was not intended to last forever, as in the case of  the Twelve Tables, but rather  to be annually modified and renewed. A certain degree of permanence of the edict, as well as of consistency of the underlying dogmatic work, was nevertheless achieved by the fact that a praetor would, in a great majority of cases, closely follow the edict of his predecessor.168 The  principle  of  annuality  therefore  repre‐sented  an  advantage  rather  than  a  disadvantage  of  the edict.

On the other hand, the edict offered the framework for the structures of the Roman legal system to be preserved in writing. Through its preservation in writing of the legal for‐mulas in force at the time, the edict achieved more than it expressed directly: the establishment of a text which could be used as identical basis for the development of different in‐terpretations and, hence, the impetus for further dogmatic work. The  subject of  juridical debate was not anymore a single case but an abstract entity: a text; and the legal argu‐ments were no  longer exchanged exclusively ad hoc or ad hominem but within an autonomous legal culture different from  morals,  common  sense,  and  the  everyday  use  of words.169 Furthermore, the preservation in writing had the advantage  of making  it  easier  to  identify  deviations.170

Even  the  frequent  small  changes  in  the  drafting  of  the 

167 VON LÜBTOW (1983) 375.168 WIEACKER ([1961] 117) therefore uses the terms edictum tralaticium

or edictum perpetuum.169 LUHMANN (1995) 262‐263.170 LUHMANN (1995) 253.

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

forderungen  vorgenommene  Änderungen  im  römischen Recht gingen nicht  in den Aufgeregtheiten der  streitigen mündlichen  Kommunikation  im  Verfahren  unter  und schlichen  sich unbemerkt  ins Recht ein,  sondern wurden schnell  bemerkt  und  konnten  zum  Gegenstand dogmatischer Auseinandersetzung gemacht werden.

Jetzt erst wird klar, warum die Publikation des Ediktes zu Beginn der Amtszeit eines jeden Prätors zu erfolgen hat‐te – und nicht an deren Ende. Wenn eine dogmatische Dis‐kussion  allgemeine  Voraussetzung  dafür  ist,  dass  ein Rechtssystem bei allen von außen an es herangetragenen Herausforderungen  stabil  bleiben  kann,  und  wenn  erst Verschriftlichung die dogmatischen Kräfte zu wecken ver‐mag, dann gilt auch, dass das Edikt zu veröffentlichen war, bevor mit einer neuen Amtszeit und einem neuen Jurisdik‐tionsmagistraten  auch  wieder  neue  Irritationen  für  das Recht auftauchten.

Ohne das Edikt wäre das republikanische Recht wohl an seiner eigenen Instabilität zerbrochen, weil es kein ande‐res, derart prominentes und gleichzeitig von Jahr zu Jahr wandelbares Gefäß gab,  in dem sich die  juristischen Dis‐kussionen  zu  einer  ausgefeilten  Dogmatik  verdichten konnten, welche die Fähigkeiten besaß, Irritationen aus der Außenwelt anhand ihrer juristischen Konstruierbarkeit zu analysieren, Defekte im eigenen System aufzuspüren und dieses  gegebenenfalls  den Umständen  anzupassen. Dass sich dieses Gefäß selbst  jährlich den Bedingungen anglei‐chen ließ, ohne dabei seine juristisch bedeutsame Funktion preiszugeben, garantierte eine ausgesprochene Dynamik in der dogmatischen Auseinandersetzung des Rechts mit sich selber. Infolge der julianischen Ediktsredaktion ging diese Dynamik verloren und die republikanische Rechtstradition kam zum Stillstand (Kap. 2.2.1.).

Was der Prätor als Bedingung für die Möglichkeit des römischen Rechts in Bezug auf das Edikt letztlich leistete, war nicht – wie klassischerweise vertreten – die  jährliche „Neu‐Kodifikation“ rechtlicher Errungenschaften und da‐mit eine Rechtsschöpfung, die „weder unfruchtbar alterte noch protestierend und spekulativ am Ewiggestrigen sich wundrieb“,171  sondern  die  Bereitstellung  von  Möglich‐keiten  zur  Kontrolle  rechtlicher  Innovationen  und  zur Stabilisierung der systemischen Funktionalität des Rechts. Erst so entstand ein Recht, das kontinuierlich reifen konnte, anstatt ungehemmt zu wuchern.

170 LUHMANN (1995) 253.171 WIEACKER (1961) 118 f.

ANCILLA IURIS (anci.ch

formulas,  which  were  necessary  to  make  them  fit  the circumstances of a new case, could not go unnoticed in the excitement of the oral  judicial procedure, but they would soon be detected and be made the subject of new dogmatic reasoning and debate.

At this point, it becomes understandable why the edict was published at the beginning of each praetor’s term of of‐fice – and not at its end. If a culture of dogmatic discussion forms a precondition for a legal system to retain its stability despite all the irritations from its environment, and if it is essentially the preservation in writing which benefits dog‐matics, the text of the edict had to be published before a new term of office, and a new jurisdictional magistrate, would lead to new irritations for the law.

Without the edict, the republican law could well have failed because of its own internal instability. There was no other  similarly prominent  and  flexible medium with  the ability  to condense  legal discussions  into elaborated dog‐matics, to test challenges and questions from the environ‐ment for their ability to be answered by the law, to detect defects in the own system, and to adjust the system in a way as to keep pace with the general development in society. In being  annually  adjusted without  losing  its  function  as  a normative reference text, the edict was the focal point of a highly dynamic dogmatic self‐reflection in the Roman legal system. The edition of the edict by Iulianus brought this dy‐namic to a halt and thereby ended the republican legal tra‐dition (ch. 2.2.1.).

The condition of possibility fulfilled by the praetor and his edict with respect to the Roman law was neither an „an‐nually renewed codification“ of the legal development nor a type of legal creativity searching for the golden mean be‐tween tradition and innovation,171 but a way of providing the means  to control  legal  innovation and  to stabilise  the systemic functioning of the law. In this way, the Roman law could mature gradually instead of proliferating unrestrain‐edly.

171 WIEACKER (1961) 118‐119.

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Oliver M. Brupbacher ‐ Praetor

5. Eine Theorie des römischen PrätorsWas sich aus den vorangegangenen Ausführungen zu 

einer Theorie des römischen Prätors als republikanischen Jurisdiktionsmagistraten verdichten lässt, widerspricht ei‐ner Rezeption der Prätur, die in dem Ausdruck „Richterkö‐nigtum“ ihren Höhepunkt findet (Kap. 2.3.), fundamental: Der Prätor, dessen fachliche und zeitliche Kapazitäten in ju‐ristischer  Hinsicht  höchst  fragwürdig  sind  (Kap. 3.5.), konnte keine im  juristischen Sinne progressive Kraft sein. Für  die  Ausformulierung  der  Prozessformeln  und  des Ediktes waren die Juristen wesentlich besser geeignet. Sei‐ne Funktion lässt sich passender als eine regulative beschrei‐ben. Es wurde gezeigt, dass ohne solche Regulierung die Geschichte des römischen Privatrechts seit 300 v. Chr. nicht eine  beispiellose  Geschichte  rechtlicher  Differenzierung und Steigerung von Komplexität hätte werden können. Die Bedingungen  der  Möglichkeit  einer  solchen  Rechtsent‐wicklung, die der Prätor zu erfüllen vermochte, waren die strukturelle  Kopplung  des  Rechtssystems  an  seine  gesell‐schaftliche Umwelt, insbesondere an die Politik (Kap. 4.3.), sowie  die  Ermöglichung  einer  juristischen  Dogmatik(Kap. 4.4.). Indem sich das römische Recht der Prätoren be‐diente, um Umwelteinflüsse in dem Recht verständliche Ir‐ritationen  zu  transponieren  und  dabei  auf  ein  tragbares Quantum  zu  reduzieren  und  um  gleichzeitig  im  Edikt Möglichkeiten  zur  dogmatischen  Strukturierung  des Rechts zu Hand zu haben, gelang es ihm hoch erfolgreich, sich  sowohl  stimulierend  als  auch  stabilisierend  zu  sich selbst zu verhalten.

Was die römischen Juristen taten, als sie den Prätor als Hüter und Entwickler  ihres Rechts konzipierten, war der Versuch,  spezialisiert  und  professionell  ihrer  eigenen Denkweise  folgend, die Prätoren und  ihre Tätigkeit so  in rechtliche Begriffe zu fassen, dass für sie verständlich wur‐de, welches die Eigenheiten jener Rechtsschicht waren, der sie bezeichnenderweise den Namen  ius honorarium gaben (Kap. 2.1.). Im Bestreben, ihre eigene Vergangenheit syste‐matisch zu erhellen, machten sie die Prätur als Institution – nicht die Prätoren als historische Personen – zum zentralen Unterscheidungsmerkmal  einer  vergangenen  Rechtsent‐wicklung. Aus dieser  rechtlichen Typisierung der Prätur entstand  bei den Nachgeborenen dann  ein Bild, das der Glorifizierung der Prätoren näher gekommen  sein dürfte als ihrer antiken Realität.

150 ANCILLA IURIS (anci.ch

5. A Theory of the Roman PraetorThe arguments from the above chapters form a theory 

of the praetor as jurisdictional authority in the Roman re‐public which  fundamentally  contradicts  the  classic  inter‐pretations of praetorship culminating  in  the concept of a „king  of  judges“  („Richterkönig“;  ch. 2.3.).  The  praetor, whose professional expertise and availability for any activ‐ity in the field of private law can be seriously drawn into question (ch. 3.5.), was not a driving force within the legal system. The jurists of the time were much better qualified for the task of drafting the formulas and the edict. The func‐tion of the Roman praetors is better described as a regulativeone. As has been shown, without such a regulation the his‐tory of Roman private law since 300 B.C. would not have been such an unparalleled history of sophistication, com‐plexity, and success. The conditions of possibility of such a legal development, which could be fulfilled by the praetor, were the structural coupling of the legal system with its so‐cial environment, above all with politics, (ch. 4.3.) and the facilitating of legal dogmatics (ch. 4.4.). The Roman legal sys‐tem availed  itself of a  figure  like  the praetor  in order  to transpose influences from the environment into irritations which were understandable to the legal system, to reduce these  influences to a workable degree, and  to provide,  in the form of the edict, the basis for a dogmatic structuring of the law. By this, it succeeded in stimulating and stabilising itself at the same time.

What the Roman jurists did when they conceptualised the praetor as  the great developer and custodian of  their law was to describe the praetors and their activities in their own, highly specialised vocabulary so as to explain to their own profession the characteristics of a new body of law ac‐cordingly named ius honorarium (ch. 2.1.). The jurists there‐by saw the praetorship as an institution – not the praetors as historical persons  –  as  the  key distinctive  feature of  this law. Out of this stylisation of the praetorship grew a picture which became classic in legal history, but which glorified the praetors more  than  it added  to  the understanding of their actual tasks and functions.

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