WieführeicheineGruppendiskussion?InwelchenSituationenist ... · 7.3 Einzelfallstudie im...

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Lamnek • Krell Qualitative Sozialforschung 6. Auflage Online-Material

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Wie führe ich eine Gruppendiskussion? In welchen Situationen istein qualitatives Interview einem strukturierten Fragebogen überle-gen? Gibt es Besonderheiten bei der Anwendung der Methoden beiKindern, Jugendlichen oder älteren Menschen?

All diese Fragen betreffen die qualitative Sozialforschung und werdenim vorliegenden Lehrbuch beantwortet. Die überarbeitete 6. Auflagebezieht neben den zentralen methodologischen Prinzipien Themenwie Globalisierung, Fremdsprachen und Ethnografie und deren Ein-fluss auf qualitative Forschungsmethoden mit ein.

Aus dem Inhalt:▶ Grundlagen und Methodologie qualitativer Sozialforschung▶ Einzelfallstudie▶ Qualitatives Interview▶ Gruppendiskussion▶ Inhaltsanalyse▶ Teilnehmende Beobachtung▶ Qualitatives Experiment▶ Biografische Methode▶ Spezifische Populationen und ihre Besonderheiten

ISBN 978-3-621-28269-7

www.beltz.de

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Lamnek • Krell

QualitativeSozialforschung6.

Auflage

Online-Material

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Mit Online-Material: u.a. Beispielinterview, Transkriptionsregeln,Informationen zum Datenschutz

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Lamnek • Krell

Qualitative Sozialforschung

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Siegfried Lamnek • Claudia Krell

Qualitative Sozialforschung

Mit Online-Material6., überarbeitete Auflage

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Anschrift der Autoren:Prof. Dr. Siegfried LamnekKatholische Universität Eichstätt-IngolstadtOstenstr. 2685072 Eichstätt

Dr. Claudia KrellReferentin für GleichstellungUniversität PassauInnstraße 3994032 Passau

Dieses E-Book ist auch als Printausgabe erhältlich(ISBN 978-3-621-28269-7)

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6., überarbeitete Auflage 2016

1. Auflage 1988, Psychologie Verlags Union, München, Weinheim2., überarbeitete Auflage 1993, Psychologie Verlags Union, Weinheim3., korrigierte Auflage 1995, Psychologie Verlags Union, Weinheim4., vollständig überarbeitete Auflage 2005, Beltz Psychologie Verlags Union, Weinheim5., überarbeitete Auflage 2010, Beltz Verlag, Weinheim

! Beltz Verlag, Weinheim, Basel 2016Werderstraße 10, 69469 WeinheimProgramm PVU Psychologie Verlags Unionhttp://www.beltz.de

Lektorat: Andrea GlombHerstellung: Uta EulerUmschlagbild: Shutterstock /Mikhail Zahranichny

E-Book

ISBN 978-3-621-28362-5

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Inhaltsubersicht

Vorwort zur 6. Auflage 13

1 Einführung 14

2 Erste Charakterisierung der qualitativen Sozialforschung 16

3 Grundlagen qualitativer Sozialforschung 44

4 Methodologie qualitativer Sozialforschung 89

5 Chancen und methodologische Probleme der Triangulation 258

6 Methodologischer Rück- und methodischer Ausblick 279

7 Einzelfallstudie 285

8 Qualitatives Interview 313

9 Gruppendiskussion 384

10 Inhaltsanalyse 447

11 Teilnehmende Beobachtung 515

12 Qualitatives Experiment 608

13 Biografische Methode 620

14 Spezifische Populationen und ihre Besonderheiten 672

Glossar 693Literatur 728Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 764Hinweise zu den Online-Materialien 766Sachwortverzeichnis 767

Inhaltsübersicht 5

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Inhalt

Vorwort zur 6. Auflage 13

1 Einfuhrung 14

2 Erste Charakterisierung der qualitativen Sozialforschung 16

2.1 Kritikpunkte an der traditionellen quantitativen Sozial-forschung 19

2.2 Zentrale Prinzipien qualitativer Sozialforschung 332.2.1 Offenheit 332.2.2 Forschung als Kommunikation 342.2.3 Prozesscharakter von Forschung und Gegenstand 352.2.4 Reflexivität von Gegenstand und Analyse 362.2.5 Explikation 362.2.6 Flexibilität 372.3 Feld qualitativer Sozialforschung 392.3.1 Chronologie qualitativer Sozialforschung 392.3.2 Forschungsperspektiven qualitativer Sozialforschung 40

3 Grundlagen qualitativer Sozialforschung 44

3.1 Soziologisch-theoretische Voraussetzungen 453.1.1 Interpretatives Paradigma 463.1.2 Natural Sociology und Natural History 473.1.3 Symbolischer Interaktionismus 483.1.4 Ethnomethodologie 533.2 Wissenschaftstheoretische Basis 573.2.1 Phänomenologie 583.2.2 Hermeneutik 683.2.3 Sozialwissenschaft als Textwissenschaft 84

4 Methodologie qualitativer Sozialforschung 89

4.1 Theorien und Hypothesen 914.1.1 Qualitative Forschung als Exploration 954.1.2 Qualitative Sozialforschung bei Barton und Lazarsfeld 984.1.3 Datenbasierte Theorie (Grounded Theory) bei Glaser und

Strauss 1044.1.4 Theorien und Hypothesen in qualitativer und quantitativer

Sozialforschung 1204.2 Begriffsbildung 1214.3 Operationalisierung 1304.4 Gütekriterien 141

Inhalt 7

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4.4.1 Gültigkeit 1464.4.2 Zuverlässigkeit 1624.4.3 Objektivität 1684.4.4 Repräsentativität und Generalisierbarkeit 1754.5 Populationswahl 1804.6 Datenerhebung 1864.7 Auswertung und Analyse 1914.7.1 Explikation 1954.7.2 Inhaltsanalytische Auswertung 1994.7.3 Objektive Hermeneutik 2014.7.4 Sozialwissenschaftliche Hermeneutik 2094.7.5 Empirisch begründete Typenbildung 2184.8 Methodologische Implikationen quantitativer und qualitativer

Sozialforschung 2284.8.1 Erklären vs. Verstehen 2294.8.2 Nomothetisch vs. idiografisch 2314.8.3 Theorieprüfend vs. theorieentwickelnd 2334.8.4 Deduktiv vs. induktiv 2354.8.5 Objektiv vs. subjektiv 2374.8.6 Ätiologisch vs. interpretativ 2404.8.7 Ahistorisch vs. historisierend 2414.8.8 Geschlossen vs. offen 2424.8.9 Prädetermination des Forschers vs. Relevanzsysteme der Be-

troffenen 2434.8.10 Distanz vs. Identifikation 2444.8.11 Statisch vs. dynamisch-prozessual 2454.8.12 Starr vs. flexibel 2464.8.13 Partikularistisch vs. holistisch 2474.8.14 Zufallsstichprobe vs. Theoretical Sampling 2484.8.15 Datenferne vs. Datennähe 2494.8.16 Unterschiede vs. Gemeinsamkeiten 2504.8.17 Reduktive vs. explikative Datenanalyse 2524.8.18 Hohes vs. niedriges Messniveau 2534.8.19 Schematischer Vergleich quantitativer und qualitativer Sozial-

forschung 254

5 Chancen und methodologische Probleme der Triangulation 258

5.1 Definitionselemente 2615.2 Absichten und Chancen 2635.3 Methodologische Probleme 2705.4 Methodologische Konsequenzen 275

Inhalt8

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6 Methodologischer Ruck- und methodischer Ausblick 279

7 Einzelfallstudie 285

7.1 Definitorische Überlegungen 2857.2 Fallstudie in der quantitativen Forschungslogik 2897.2.1 Fallstudien als Exploration 2907.2.2 Fallstudien zur Hypothesenentwicklung 2927.2.3 Fallstudien zur Operationalisierung 2937.2.4 Fallstudien zur Plausibilisierung und Illustration quantitativer

Ergebnisse 2947.2.5 Fallstudien zur Ermittlung der Praktikabilität 2957.3 Einzelfallstudie im qualitativen Paradigma 2977.4 Typologie von Einzelfallstudien 3057.4.1 Einzelpersonen und Binnenstruktur 3077.4.2 Außenkontakte einer Einzelperson 3087.4.3 Binnenstruktur sozialer Aggregate 3097.4.4 Außenkontakte eines sozialen Aggregats 311

8 Qualitatives Interview 313

8.1 Quantitative und qualitative Interviews im Vergleich 3148.1.1 Intention von Befragungen 3158.1.2 Standardisierung von Befragungen 3188.1.3 Struktur der Befragten 3248.1.4 Form der Kommunikation 3248.1.5 Kommunikationsstil 3258.1.6 Art der Fragen 3268.1.7 Kommunikationsmedium 3278.2 Methodologische Aspekte des qualitativen Interviews 3288.3 Methodisch-technische Aspekte des qualitativen Interviews 3338.4 Formen des qualitativen Interviews 3388.4.1 Narratives Interview 3388.4.2 Episodisches Interview 3438.4.3 Problemzentriertes Interview 3448.4.4 Fokussiertes Interview 3498.4.5 Tiefen- oder Intensivinterview 3518.4.6 Rezeptives Interview 3528.4.7 Vergleich der Interviewformen 3618.5 Auswahl der zu Befragenden 3628.6 Datengewinnung 3658.6.1 Datenerhebung und -erfassung 3668.6.2 Audiovisuell unterstützte Datenaufzeichnung 3718.7 Interviewsituation 3738.8 Auswertung und Analyse qualitativer Interviews 379

Inhalt 9

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9 Gruppendiskussion 384

9.1 Definition der Gruppendiskussion 3879.2 Abgrenzung zu anderen Verfahren 3929.2.1 Abgrenzung vom quantitativen Experiment 3929.2.2 Gruppendiskussion und Einzelinterview 3939.3 Konzeptionen der Gruppendiskussion 3979.3.1 Nicht-öffentliche Meinung als Erkenntnisziel 3989.3.2 Informelle Gruppenmeinung 3999.3.3 Situationskomponente in der Gruppenmeinung 4009.3.4 Ermittlung kollektiver Orientierungsmuster 4019.4 Technische Grundlagen der Gruppendiskussion 4069.4.1 Auswahl und Anzahl der Teilnehmer 4079.4.2 Moderator und Diskussionsverlauf 4119.4.3 Auswertung der Protokolle 4229.5 Online-Gruppendiskussion 4339.5.1 Grundlagen der Online-Gruppendiskussion 4349.5.2 Planung von Online-Gruppendiskussionen 4349.5.3 Durchführung von Online-Gruppendiskussionen 4369.5.4 Vor- und Nachteile der Online-Gruppendiskussion 4389.6 Vor- und Nachteile der Gruppendiskussion 4419.7 Gruppendiskussion in der Methodentriangulation 443

10 Inhaltsanalyse 447

10.1 Allgemeines zur Inhaltsanalyse 44810.1.1 Formen alltagsweltlicher Inhaltsanalyse 45010.1.2 Wissenschaftliche Inhaltsanalyse 45110.1.3 Inhaltsanalyse in den wissenschaftlichen Disziplinen 45410.1.4 Gegenstände der Inhaltsanalyse 45910.2 Quantitative Inhaltsanalyse 46410.2.1 Inhaltsanalyse im quantitativen Forschungsprozess 46410.2.2 Quantitative inhaltsanalytische Techniken 47010.3 Qualitative Inhaltsanalyse 47510.3.1 Aspekte qualitativer Forschung 47610.3.2 Inhaltsanalyse im qualitativen Forschungsprozess 47910.3.3 Qualitative inhaltsanalytische Techniken 48110.3.4 Sekundäranalyse qualitativer Daten 511

11 Teilnehmende Beobachtung 515

11.1 Gegenstand der Beobachtung 51911.1.1 Lokale Begrenzungen 52011.1.2 Zeitliche Begrenzungen 52111.1.3 Restriktionen durch den Gegenstand 52111.2 Formen der Beobachtung 523

Inhalt10

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11.2.1 Naive und wissenschaftliche Beobachtung 52511.2.2 Strukturierte und unstrukturierte Beobachtung 52611.2.3 Offene und verdeckte Beobachtung 52711.2.4 Teilnehmende und nicht teilnehmende Beobachtung 52811.2.5 Aktiv und passiv teilnehmender Beobachter 52911.2.6 Direkte und indirekte Beobachtung 52911.2.7 Feld- und Laborbeobachtung 53011.3 Teilnehmende Beobachtung aus qualitativer Sicht 53211.3.1 Methodologische Bedingungen qualitativ-teilnehmender Be-

obachtung 53611.3.2 Rolle des Beobachters 54011.3.3 Beobachtungsfeld 54811.3.4 Beobachtungseinheiten 55111.3.5 Verhalten im Feld 55411.3.6 Beobachtungsschema 56211.3.7 Feldzugang 56211.3.8 Offene oder verdeckte Beobachtung 57111.3.9 Aufzeichnung der Beobachtungsdaten 57411.4 Auswertung 58211.5 Spezielle Methoden teilnehmender Beobachtung im Vergleich 58211.5.1 Kontrollierte, standardisierte teilnehmende Beobachtung 58311.5.2 Systematische, unstandardisierte Teilnahme und Beobachtung 58511.5.3 Qualitative, unstrukturierte teilnehmende Beobachtung 58811.6 Ethnografie 59111.7 Partizipative Forschung 59611.8 Dilemma von Identifikation und Distanz 600

12 Qualitatives Experiment 608

12.1 Ausgangspunkt und Definition 60812.2 Methodologie des qualitativen Experiments 61012.3 Techniken des qualitativen Experiments 61312.4 Stellenwert des qualitativen Experiments 615

13 Biografische Methode 620

13.1 Geschichte der biografischen Methode 62113.1.1 Ausgangslage zu Beginn des 20. Jahrhunderts 62113.1.2 The Polish Peasant in Europe and America 62213.1.3 Chicagoer Schule 62613.1.4 Social Science Research Council 62713.1.5 The Jack-Roller 62813.1.6 Neuere Entwicklungstendenzen 62913.2 Begriffliche Gegenstandsbestimmung 63113.2.1 Lebensgeschichten im Alltag 637

Inhalt 11

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13.2.2 Literarische und semi-wissenschaftliche Studien 63913.2.3 Sozialwissenschaftliche Biografieforschung 64413.2.4 Konstruktion von Typen und komparative Kasuistik 64513.3 Biografische Forschung als Einzelfallapproach 65313.3.1 Biografieforschung als Ausformung des Einzelfallapproachs 65313.3.2 Biografieforschung als Kombination qualitativer Erhebungs-

methoden 65413.4 Auswertung biografischen Materials 65813.4.1 Strukturelle Beschreibung nach Hermanns 66013.4.2 Strukturale Sinnrekonstruktion nach Bude 666

14 Spezifische Populationen und ihre Besonderheiten 672

14.1 Kinder und Jugendliche 67314.2 Ältere und alte Menschen 67714.3 Minderheiten 67914.4 Fremdsprachen in der qualitativen Sozialforschung 68214.5 Qualitative Sozialforschung mit Experten 68714.6 Gemeinsamkeiten des Einsatzes qualitativer Methoden bei un-

terschiedlichen Populationen 691

Glossar 693Literatur 728Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 764Hinweise zu den Online-Materialien 766Sachwortverzeichnis 767

Inhalt12

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Vorwort zur 6. Auflage

In der ersten Auflage wurde noch eher schüchtern-selbstkritisch angemerkt: »EinLehrbuch zu Methodologie und Methoden qualitativer Sozialforschung zu schreiben,ist ein schwieriges und problematisches Unterfangen«. Anfängliche Bedenken sind derÜberzeugung gewichen, dass auch qualitative Forschung (in Grenzen) kanonisiertaufbereitet, dargestellt und erlernt werden kann. Es darf jedoch nicht unterschlagenwerden, dass ein – nicht zu unterschätzendes – Problem bleibt: Aus didaktischenGründen wird eine gewisse Homogenität (insbesondere im methodologischen Teil)qualitativer Forschung unterstellt, die realiter nicht in dieser suggerierten Einheitlich-keit auftritt. Auch werden bei Gegenüberstellungen ideal-, vielleicht sogar extrem-typische Aussagen gewählt, um die Differenzen prägnant erscheinen zu lassen. Dabeihandelt es sich natürlich umÜberzeichnungen, die allerdings im Sinne eines leichterenNachvollzugs und besseren Verständnisses für hilfreich und legitim gehalten werden.

Die vorliegende 6. Auflage wurde erneut durchgesehen, korrigiert und ergänzt. Zielwar es, am Bewährten festzuhalten und gleichzeitig neuere Entwicklungen einfließenzu lassen, ohne den Gesamtumfang des Werkes übermäßig auszudehnen – inAnbetracht der zunehmenden Ausdifferenzierung und Dynamik im Bereich derqualitativen Sozialforschung ein schwieriges Unterfangen. Ergänzungen finden sichinsbesondere im Kapitel zur Inhaltsanalyse und zur Beobachtung. An anderen Stellenerfolgen eher knappe Hinweise auf aktuelle Diskussionen.

Eine weitere Neuerung betrifft die Autorenschaft: Frau Dr. Claudia Krell hat wieschon bei der 5. Auflage inhaltlich mitgearbeitet und ist nun Koautorin der 6. Auflage.

Zu danken ist all jenen Damen und Herren, die seit Beginn der Arbeiten an derEntstehung undWeiterentwicklung des Lehrbuchs beteiligt waren und die namentlichschon in den früheren Auflagen erwähnt wurden. Von Seiten des Verlags wurde dieNeuauflage von Frau Andrea Glomb betreut. Allen ein herzliches Dankeschön!

Für alle Mängel liegt die Verantwortung selbstverständlich bei den Autoren. Wirhegen allerdings die Hoffnung, dass sich deren Zahl in Grenzen hält, dass diefreundliche Leserschaft uns eventuell auf solche aufmerksam macht und dass dieseschon bald in einer weiteren Auflage eliminiert werden können.

Aus Gründen der Lesefreundlichkeit werden nur Gattungsbegriffe verwendet undauf geschlechtsspezifische Formulierungen verzichtet. Nur dort, wo diese ihrem Sinnenach relevant sind, werden die entsprechenden Differenzierungen vorgenommen.Hierfür bitten wir um Verständnis.

München, im Frühjahr 2016 Siegfried LamnekClaudia Krell

Vorwort zur 6. Auflage 13

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1 Einfuhrung

Aus einem Unbehagen an der unreflektierten Anwendung herkömmlicher For-schungsverfahren hat sich seit etwa 1970 eine neue Richtung empirischer Sozial-forschung entwickelt, die mit dem Schlagwort qualitativ in Abhebung zu den sog.quantifizierenden Verfahren belegt wird. Küchler fragte 1980 in einem Überblicks-artikel noch, ob es sich bei der zunehmenden Verbreitung qualitativ orientierterProjekte und Forschungsansätze lediglich um einen Modetrend oder gar um einenNeuanfang handelt. Nur drei Jahre später wirft der gleiche Autor die Frage auf, ob diequalitativen Verfahren einen neuen Königsweg der Sozialforschung beschreiten(Küchler, 1983). Und kein Jahrzehnt später konstatiert Mayring eine qualitativeWende und sieht darin »eine tiefgreifende Veränderung der Sozialwissenschaften indiesem Jahrhundert« (Mayring, 2003, S. 1 – Neuauflage des Buchs von 1993). Die eher(ab)wertende Kennzeichnung der qualitativen Sozialforschung als Modetrend scheintoffenbar relativ schnell unhaltbar geworden zu sein; »interpretative bzw. qualitativeZugänge haben sich auf breiter Basis etabliert« (Keller, 2014), sie sind »in einemerstaunlichen Umfang zum akzeptierten, anerkannten und integralen Bestandteil deswissenschaftlichen Methodenkanons geworden (…) (wenngleich auch ihr Ansehenkeineswegs unumstritten ist)« (Knoblauch, 2013, Abs. 1). Der qualitativen Sozial-forschung werden in jüngster Zeit beachtliche Erfolge (vor allem in institutionellerHinsicht) und ihre Normalität bescheinigt, »auch wenn in der Mehrzahl der kultur-wissenschaftlichen Fächer die qualitative Forschung immer noch mehr als Aschen-puttel denn als Prinzessin behandelt wird« (Reichertz, 2007a, S. 195). Gleichwohlzeigen sich aber auch bereits wieder »erste Zeichen des Abschwungs« (Reichertz, 2009,Abs. 13). Mit dem vorliegenden Lehrbuch wird dieser Einstellungswandel – auch aufSeiten kritischer Beobachter der neueren Forschungsrichtung – dokumentiert. Au-ßerdem soll dem Bedeutungsgewinn qualitativer Sozialforschung in benachbartensozialwissenschaftlichen Disziplinen wie der Pädagogik oder der Psychologie inGrundzügen Rechnung getragen werden (Garz & Kraimer, 1983; Jüttemann, 1985).Dieser Bedeutungsgewinn spiegelt sich auch in der wachsenden Ausdifferenzierungund Fülle von Lehr- und Handbüchern zu spezifischen Verfahren und Ansätzen derqualitativen Sozialforschung sowie zur qualitativen Forschung in verschiedenenDisziplinen und Forschungsbereichen wider (Mey /Mruck, 2010; Schweppe, 2003;Schittenhelm, 2012; Naderer /Balzer, 2011). Allerdings haben die Entwicklungen derletzten Jahre auch dazu geführt, dass das Feld der qualitativen Sozialforschung »sovielfältig und vielgestaltig« (Knoblauch, 2013, Abs. 3) ist, dass ein umfassender Über-blick so gut wie unmöglich ist.Struktur des Buches. Nach einer ersten Charakterisierung der qualitativen Sozial-forschung werden die Kritik an der herkömmlichen Sozialforschung und dann diePrinzipien qualitativer Sozialforschung in ihren zentralen Aspekten dargestellt. Es folgt

1Einfuhrun

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1 Einführung14

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eine typologische Aufgliederung qualitativer Forschungsmethoden, anhand dererverschiedene ausgewählte Ansätze kurz charakterisiert werden. In einer ausführlichenGrundlegung der qualitativen Sozialforschung in soziologisch-theoretischer undwissenschaftstheoretischer Orientierung werden der symbolische Interaktionismusals Anwendungsfall des interpretativen Paradigmas sowie die Phänomenologie unddie Hermeneutik als zentrale Fundierungen qualitativer Sozialforschung herausgear-beitet. Die spezifischere Charakterisierung der Methodologie qualitativer Sozialfor-schung erfolgt über die Analyse ihrer Gütekriterien und den Vergleich mit anerkann-ten Ansätzen wie Validität, Reliabilität, Objektivität, Repräsentativität und Generali-sierbarkeit. Der Behandlung von methodologischen Positionen der qualitativenSozialforschung zu Theorien und Hypothesen, zu Datenerhebung, Datenauswertungund Datenanalyse folgt die vergleichende Gegenüberstellung von methodologischenPrinzipien und Konsequenzen qualitativer und quantitativer Forschung. Anschlie-ßend werden Überlegungen zum gegenseitigen Verhältnis von quantitativer undqualitativer Sozialforschung angestellt. Der methodologische Teil endet mit Über-legungen zu den Möglichkeiten, zwischen manchmal unvereinbar erscheinendenPositionen qualitativer und quantitativer Sozialforschung zu vermitteln. Um einenÜberblick über das zur Verfügung stehende Instrumentarium zu geben, werdenanschließend Einzelmethoden und -techniken der qualitativen Forschungsrichtungdargestellt. Aus der Vielzahl differenzierbarer und wichtiger Methoden qualitativerSozialforschung werden behandelt:" die Einzelfallstudie," das qualitative Interview," das Gruppendiskussionsverfahren," die Inhaltsanalyse," die teilnehmende Beobachtung," das qualitative Experiment und" die Biografieforschung.

Abschließend werden unterschiedliche Populationen und ihre Besonderheiten erör-tert, die beim Einsatz vonMethoden qualitativer Sozialforschung in der Untersuchungvon spezifischen Zielgruppen zu beachten sind. Ausgangspunkt, Ordnungskriterienund Gestaltungsprinzipien dieser Einführung sind also primär methodologischeGrundsätze, weil sich qualitative Sozialforschung vor allem als alternatives methodo-logisches Paradigma entwickelt und etabliert hat. Andere strukturierende Prinzipien(wissenschaftshistorische, gegenstandsorientierte etc.) wären denkbar, werden hieraber nicht verfolgt.

1Einfuhrun

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1 Einführung 15

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2 Erste Charakterisierung der qualitativenSozialforschung

Mit dem Begriff der qualitativen Sozialforschung werden besonders von quantitativarbeitenden Forschern Vorstellungsinhalte assoziiert, die dem qualitativen Paradigmanicht gerecht werden. Qualitative Methoden werden auf die Messung von Qualitäten,d.h. nonmetrische Eigenschaften von Personen, Produkten und Diensten reduziertund »als qualitative Forschung werden jeneMethoden charakterisiert, bei denen wenigAuskunftspersonen, keine Stichprobenverfahren und keine statistischen Analyseneingesetzt werden« (Vogel & Verhallen, 1983, S. 146). Wenn Kritiker die qualitativeSozialforschung negativ ausgrenzend definieren, so greifen sie folgende Elementeheraus:" Stichprobengröße: eine sehr kleine Zahl von Untersuchungspersonen" Stichprobenwahl: keine echten Stichproben nach dem Zufallsprinzip" Maße: keine quantitativen (metrischen) Variablen" Auswertung: keine statistischen Analysen

Bei diesen Merkmalen handelt es sich eher um äußerliche Kennzeichen, die nichteinmal auf jedes qualitative Forschungsprojekt zutreffen müssen.Stichprobengroße. Es gibt qualitative Untersuchungen, bei denen tatsächlich nur sehrwenige Fälle analysiert wurden – die Fallstudie ist hierfür ein Extremtypus –, dochwerden auch Untersuchungen mit relativ großen Probandenzahlen realisiert, miteinem n zwischen 50 und 100. Für die meist geringen Fallzahlen sind oft extrainhalt-liche Gründe, wie Kosten, Zeit, Ressourcen etc., verantwortlich. Eine prinzipielle undmethodologische Ablehnung hoher Fallzahlen ist in der qualitativen Sozialforschungnur dann gegeben, wenn man dem einzelnen Forschungsobjekt, d. h. dem Subjekt,nicht mehr gerecht werden kann und die methodologischen Kriterien verletzt werden.Stichprobenwahl. Weil die geringe Zahl von Untersuchungspersonen eine sinnvolleStichprobenrealisierung ausschließt, werden in der Regel keine echten Zufallsstich-proben gezogen. Der Wert von Zufallsstichproben wird von qualitativen Sozial-forschern jedoch nicht prinzipiell bestritten.Maße. Es ist richtig, dass das Messniveau der Variablen in der qualitativen Methodo-logie nur eine untergeordnete Rolle spielt. Doch können und werden auch beiqualitativen Erhebungsmethoden (narratives Interview, Biografieforschung, Grup-pendiskussion etc.) quantitative, metrische Variablen wie etwa Alter, Kinderzahl,Dauer der Arbeitslosigkeit usw. festgestellt. Daher unterscheidet sich das Messniveauzwischen qualitativer und quantitativer Forschung nicht generell.Auswertung. Ob statistische Analysen durchgeführt werden, ist zunächst auch wiedereine Frage der Fallzahl und keine der grundsätzlichen Einstellung gegenüber derStatistik. Statistische Maßzahlen stellen in den Augen qualitativer Sozialforscher eine

2Charakterisierung

2 Erste Charakterisierung der qualitativen Sozialforschung16

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Verkürzung konkreter Lebenssachverhalte dar, doch sind quantifizierende Aussagennicht a priori ausgeschlossen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um sehreinfache Verfahren wie Prozentuierungen oder Typenbildungen handelt. Die Quan-tifizierer hingegen reduzieren die Daten nach ihrem Verständnis zum Zwecke desInformationsgewinns.

Mit der obigen Definition der qualitativen Methoden aus der Sicht der quantitati-ven Sozialforschung werden die qualitativen Forschungsmethoden mit ihrer struktu-rellen Verschiedenheit zu den quantitativen Methoden nicht ausreichend wiederge-geben. Diese Definitionselemente sind in der qualitativen Sozialforschung eherperipher und wurden aus einer grundsätzlichen Kritik der quantitativen Praxis abge-leitet.Geschichtliche Entwicklung. Das Unbehagen gegenüber standardisierten Unter-suchungsmethoden und ihre Konzeption vom sozialwissenschaftlichen Gegenstands-bereich (der sozialen Welt) kann in der Soziologie auf eine lange Geschichte zurück-greifen. »Qualitative und quantitativeMethoden sind schon früh in der Geschichte derSozialforschung, spätestens seit Mitte der 1920er Jahre, als zwei getrennte Traditionenwahrnehmbar. Seit dieser Zeit ist das Verhältnis zwischen ihnen spannungsreich, vonwechselseitiger Abgrenzung und Kritik gekennzeichnet« (Kelle, 2008, S. 13). In denSozialwissenschaften verstärkte sich um 1980 ein Unbehagen gegenüber konventio-nellen Methoden und der dominierenden Stellung standardisierter Massenbefragun-gen (Küchler, 1980; Hoerning, 1980). Gegen die Verwendung sog. quantitativer Ver-fahren spricht, dass durch standardisierte Fragebogen, Beobachtungsschemata usw.das soziale Feld in seiner Vielfalt eingeschränkt, nur sehr ausschnittsweise erfasst undkomplexe Strukturen zu sehr vereinfacht und zu reduziert dargestellt werden. »Zieltdie konventionelle Methodologie darauf ab, zu Aussagen über Häufigkeiten, Lage-,Verteilungs- und Streuungsparameter zu gelangen, Maße für Sicherheit und Stärkevon Zusammenhängen zu finden und theoretische Modelle zu überprüfen, so interes-siert sich eine qualitative Methodologie primär für das ›Wie‹ dieser Zusammenhängeund deren innere Struktur vor allem aus der Sicht der jeweils Betroffenen« (Kiefl &Lamnek, 1984, S. 474). Insofern produziert die qualitativ orientierte Forschungdeskriptive Daten über Individuen, die als Teile eines Ganzen und nicht als isolierteVariablen gesehen werden, wie dies oft im quantitativen Paradigma der Fall ist(Bogdan & Taylor, 1975). Die qualitative Richtung ist keine neue Entwicklung.Methoden. Auf Seiten der Empirie ist auf jene Arbeiten zu verweisen, die Bonß in einerhistorisch-systematischen Untersuchung zur Geschichte der empirischen Sozialfor-schung der monografischen Linie zuordnet (Bonß, 1982; Kern, 1982). Oft erscheintder Rückgriff qualitativ orientierter Forscher auf traditionell verankerte Formen derErhebung und Analyse nur als Wiederbelebung von in Vergessenheit geratenenEinzelmethoden. So haben z.B. die teilnehmende Beobachtung, die Biografiefor-schung und das Gruppendiskussionsverfahren eine regelrechte Renaissance erfahren.Wenngleich einzelne Methoden der qualitativen Sozialforschung und das Anliegendieser Forschungsrichtung nicht als völlig neu bezeichnet werden können, so ist in dergegenwärtigen Situation dennoch Folgendes neu:

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2 Erste Charakterisierung der qualitativen Sozialforschung 17

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" Durch die Ausbreitung qualitativer Forschungsverfahren und die Zahl qualitativorientierter Forschungsprojekte zeichnet sich eine Tendenz zur monografischenLinie ab.

" Die zunehmende Entwicklung der Methodendiskussion führt zu einem eigen-ständigen Paradigma, das über die kritische Auseinandersetzung mit den her-kömmlichen quantitativen Methoden hinausgeht.

" Durch die Kritik der qualitativen Forscher an den Verfahren einer tatsachenbezo-genen Empirie wurde eine Grundlagendiskussion über die Prinzipien empirischerSozialforschung und die unreflektierte Anwendung traditioneller Forschungs-methoden entfacht (Bonß, 1982).

" Durch den Einbezug in die Methodenausbildung und die Etablierung als eigeneSektion in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie wurde die qualitative Sozial-forschung auf organisatorischer Ebene anerkannt. Dies bedeutet jedoch auch eineInstitutionalisierung und Standardisierung, womit die Gefahr der Ablösung derTheorie von der Empirie und der Automatisierung von Interpretation einhergehenkann (Knoblauch, 2013).

" Innerhalb der qualitativen Sozialforschung findet eine Ausdifferenzierung vonAnsätzen undMethoden statt, auch über verschiedene Disziplinen und auf globalerEbene, die darin fußt, dass sich qualitative Methoden beständig weiterentwickeln(Knoblauch, 2013).

Gegenwart. Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist die empirische Sozialforschungnoch durch eine gewisse (hilfreiche) Verunsicherung der Vertreter etablierter For-schungsansätze, durch eine weitgehende Unübersichtlichkeit im Feld qualitativerAlternativvorschläge und oft durch gegenseitige Abschottungen, Verteufelungenoder einfach Missverständnisse geprägt. In der jüngeren Debatte wird die »Diver-sifizierung« (Flick, 2007b, S. 222) der Verfahren qualitativer Sozialforschung als»Zersplitterung« (Reichertz, 2007a, S. 196), »Sammelsurium« (Breuer, 2007, S. 213)oder gar »uferlose(s) Chaos« und »Tohuwabohu« (Jüttemann, 2007, S. 231 f.) bezeich-net. Strittig ist dabei auch, ob sich in der »Vielfalt ohne Einheit« (Reichertz, 2007a,S. 197) ein gemeinsames »(wackeliges) Fundament« (Reichertz, 2007b, S. 279) erken-nen lässt oder nicht und ob angesichts dieser Diagnose der Begriff der qualitativenSozialforschung überhaupt noch zutreffend ist oder ob nicht vielmehr vom »Feld derqualitativen Methoden« (Reichertz, 2007a, S. 197), »qualitativ bzw. quantitativ ›ori-entierten‹ Methoden« (Mayring, 2007, S. 251) oder Ähnlichem gesprochen werdenmüsste (Reichertz, 2007a; s. auch Debatte in der Zeitschrift »Erwägen, Wissen, Ethik«2007). Keller (2014) beobachtet einerseits einen »Trend zur Re-Positivierung qualita-tiven Forschens« (Abs. 22) aufgrund institutioneller und wissenschaftspolitischerRahmenbedingungen. Andererseits wird im Sinne eines neuen Theorismus dafürplädiert, Theorien in den Mittelpunkt zu stellen.

An vielen Stellen ist jedoch die Bereitschaft festzustellen, zu einer systematischenKlärung der gemeinsamen Problemstellungen beizutragen. Reichertz (2007a, S. 196)diagnostiziert hier eine »neue Verträglichkeit« von erwachsen und selbstbewusst

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gewordener quantitativer und qualitativer Sozialforschung. Anders fällt das Urteil vonKelle (2008) aus, nach dessen Ansicht die aktuelle Methodendebatte zwei unterschied-liche Formen annimmt: »einerseits eine offensiv-konfrontative Form, die von man-chen Autoren ironisch als ›Paradigmenkrieg‹ bezeichnet wird, und andererseits dieForm des gegenseitigen Aus-dem-Weg-Gehens, wobei gegenseitige Einflusssphärenabgegrenzt werden, in denen man ungestört voneinander Forschungsziele, Methodenund Kriterien für gute Forschung entwickeln kann« (Kelle, 2008, S. 14).

Bemühungen bezüglich einer Integration von qualitativer und quantitativer Sozial-forschung und eines Vorantreibens der Methodendiskussion wurden von Kelle (2008)sowie Schulz und Ruddat (2008) unternommen. »Der gegenwärtige Stillstand derMethodendiskussion hat nachteilige Wirkungen nach innen und nach außen: auf dereinen Seite werden die Chancen, die eine wechselseitige Kritik für eine Fortentwick-lung und Verbesserung methodischer Instrumentarien bieten kann, nicht genutzt. Aufder anderen Seite ist es nach außen nur schwer vermittelbar, wieso sich Sozialwissen-schaftler seit mehr als 80 Jahren nicht darüber einigen können, welches die angemes-senen Methoden zur Erforschung der Phänomene in ihrem Gegenstandsbereich sind«(Kelle, 2008, S. 294). Integrationsbemühungen setzen voraus, quantitative und quali-tative Methoden nicht als prinzipiell unvereinbare Untersuchungsverfahren, sondernals sich ergänzende Alternativen im Feld empirischer Forschung zu begreifen(s.Kap. 5).

Um die jeweiligen Eigenarten der beiden Vorgehensweisen – quantitativer Sozial-forschung auf der einen und qualitativen Verfahren auf der anderen Seite – besserbegreiflich zu machen, sollen im Folgenden mit dem Mittel der idealtypischenKontrastierung beide Richtungen mit ihrem metatheoretischen Hintergrund charak-terisiert werden. Die Kritik an den herkömmlichen quantitativen Ansätzen, die zurBasis jener Prinzipien wurde, die sich die qualitative Sozialforschung heute selberzuschreibt, bietet sich als Einstieg an.

2.1 Kritikpunkte an der traditionellen quantitativen Sozialforschung

Bis zur Mitte der 1960er Jahre wurde die Qualität der empirischen Sozialforschungvielfach daran gemessen, inwieweit sie sich dem von den Naturwissenschaften über-nommenen Modell nähern konnte. Müller (1979) charakterisiert diese Übereinstim-mung auf der wissenschaftstheoretisch-methodologischen Ebene als »Festhalten amPostulat der Einheitswissenschaft (…) verbunden mit der Verpflichtung auf dasHempel-Oppenheim-Schema der wissenschaftlichen Erklärung, meist in seiner pro-babilistischen Version (…) und an der strikten Trennung von Gewinnungs-, Begrün-dungs- und Verwendungszusammenhang« (S. 12).

Gegen diese Grundposition und die dahinter stehenden wissenschaftstheoretischenBasisüberlegungen (Prim & Tilmann, 1973) wurde besonders im sog. Positivismus-streit (Adorno et al., 1980) vor allem von Vertretern einer kritisch-dialektischenGesellschaftstheorie Kritik formuliert (Bogumil & Immerfall, 1985). Aber es gab

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auch im Bereich der analytischen Wissenschaftstheorie selbst wichtige Einsichten inden Problemcharakter empirischer Aussagen, z.B. die von Kuhn (1967) und Feyer-abend (1975) vertretene These der Theoriebeladenheit aller Beobachtungsaussagen.Diese wurden in den 1970er Jahren von den Anhängern des qualitativen Paradigmas inkritischer Absicht aufgegriffen und gegen die analytische Richtung als Ganze ver-wendet.

Die von den Kritikern quantitativer Sozialforschung vorgebrachten Vorwürfeentwickelten sich aus verschiedenen Quellen. Die Befürworter quantifizierenderVerfahren unterstützten durch ihre eigene Methodenkritik die Angriffe gegen dieetablierten Methoden (Kriz, 1981). Ohne der Vielfältigkeit der vorgebrachten kriti-schen Überlegungen gerecht werden zu können, sollen einige zentrale Kritikpunktegegenüber den traditionellen Forschungsansätzen kurz benannt werden. Girtler (1984)fasst die vier Hauptargumente gegen eine naturwissenschaftlich ausgerichtete positi-vistische Soziologie und Ethnologie zusammen:(1) Soziale Phänomene existieren nicht außerhalb des Individuums, sondern sie

beruhen auf den Interpretationen der Individuen einer sozialen Gruppe, die eszu erfassen gilt.

(2) Soziale Tatsachen können nicht vordergründig als objektiv identifiziert werden,sondern sie sind als soziale Handlungen von ihrem Bedeutungsgehalt her bzw. jenach Situation anders zu interpretieren.

(3) Quantitative Messungen und ihre Erhebungstechniken können soziales Handelnnicht wirklich erfassen; sie beschönigen oder verschleiern eher die diversenFragestellungen. Häufig führen sie dazu, dass dem Handeln eine bestimmteBedeutung untergeschoben wird, die eher die des Forschers als die des Handeln-den ist.

(4) Das Aufstellen von zu testenden Hypothesen vor der eigentlichen Untersuchungkann dazu führen, dem Handelnden eine von ihm nicht geteilte Meinung oderAbsicht zu suggerieren oder aufzuoktroyieren.

Diese vier Kritikpunkte an der quantitativ-standardisierenden Vorgehensweise werdenin dem folgenden Beispiel dargestellt.

Beispiel

Unterschiedliche Bedeutung von »weiß nicht«Ein Kreuz hinter der Antwortalternative »weiß nicht« in einer schriftlichenBefragung kann sehr Unterschiedliches und meist nicht eindeutig Feststellbaresbedeuten:" Der Befragte weiß die richtige Antwort auf die gestellte Frage tatsächlich nicht." Der Befragte weiß mit der Frage überhaupt nichts anzufangen, weil er sie

vielleicht nicht versteht." Der Befragte hat keine Lust, über die Beantwortung der Frage nachzudenken." Der Befragte kann seine Antwort nicht in das vorgegebene Kategorienschema

einordnen.

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2 Erste Charakterisierung der qualitativen Sozialforschung20

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" Der Befragte möchte nicht antworten und die Unwilligkeit hinter angeblichemund sozial akzeptiertem Nichtwissen verbergen.

Folgen fur die Forschung. Das seinem Anspruch nach naturwissenschaftlich-positivis-tische Forschungsvorgehen trägt demnach kaum dazu bei, menschliches Handelnkonsequent zu erfassen: »Es werden zwar bei den konventionellen Verfahren Zahlenund Prozentzahlen in großer Menge angeboten, es wird jedoch kaum gezeigt, wie derMensch wirklich handelt und wie seine Interpretationen des Handelns aussehen«(Girtler, 1984, S. 26 f.). Ein Verfechter qualitativer Methoden sollte die quantitativeSozialforschung jedoch nicht eindeutig ablehnen, selbst wenn er sich gegen denMythos der Quantifizierbarkeit oder die Gesetzmäßigkeit sozialen Handelns wendet.Girtler erklärt hierzu: »… was aber nicht heißen soll, dass ich für bestimmte Fragestel-lungen die Quantifizierung der Daten bzw. Statistiken nicht für wichtig halte, so z.B.bei der Feststellung von Delikthäufigkeiten, Arbeitslosenraten usw. Jedoch: um denRegeln des ›typischen‹ sozialen bzw. kulturellen Handelns auf die Spur zu kommen,bedarf es der [qualitativen; Anmerkung der Autoren] Methoden« (Girtler, 1984,S. 12 f.). Die grundsätzlichen Einwände machen die Abwendung von bzw. die Skepsisgegenüber den quantitativen Methoden erklärlich. Mehr und mehr fanden qualitativeVerfahren, wie Intensivinterviews, Gruppendiskussionen, teilnehmende Beobachtun-gen etc., bei einem multimethodischen Vorgehen und bei Methodenkombinationen,die auf die Integration verschiedener Merkmale des Forschungsgegenstandes abzielen,Eingang in die empirische Forschung (Witzel, 1982).

Die von Girtler vorgebrachten allgemeinen Kritikpunkte an der konventionellen,quantitativ-standardisierenden Sozialforschung werden noch ergänzt und differen-ziert werden, wobei sich wegen der Verschränktheit der Kritikpunkte Redundanzenergeben. Erläutert werden im Weiteren folgende Kritikpunkte:(5) Restringierte Erfahrung(6) Verhältnis von Theorie, Empirie und Realität(7) Herrschaftsstabilisierung(8) Primat der Methode(9) Messfetischismus(10) Instrumentalisierung als Intersubjektivität(11) Naturwissenschaft als Vorbild(12) Subjekt als Objekt(13) Scheinobjektivität der Standardisierung(14) Forscherperspektive als Korsett(15) Methodologie und Forschungsrealität(16) Distanz des Forschers zum Gegenstand(17) Ausblendung des Forschungskontextes(18) Messartefakte

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2.1 Kritikpunkte an der traditionellen quantitativen Sozialforschung 21

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Die pragmatische Aufgliederung erfolgt aus didaktischen Gründen. Schwierigkeitenaus der Anwendung quantitativer Forschungsmethoden ergeben sich meist auf allentheoretischen und praktischen Ebenen des Forschungsprozesses oder wirken sichzumindest auf sie aus. Daher erstreckt sich die Kritik auf alle Bereiche, sodass diemeist interdependente und auf alle Ebenen durchgreifende Kritik nur analytischaufgegliedert werden kann. Mit der Klassifikation der Kritikpunkte ist keine hierar-chische Differenzierung gemeint. Auch die Genese der Kritikpunkte ist aus derPosition qualitativer Sozialforschung nicht immer eindeutig zu entscheiden.

Restringierte ErfahrungDie quantitative Sozialforschung und die dahinter stehende wissenschaftstheoretischePosition des Positivismus vertritt das Konzept einer restringierten Erfahrung. DieRestriktion wirkt dabei in zweifacher Hinsicht:Fokus auf das Gegebene. Das wissenschaftliche Erkenntnisinteresse und der Bereichpotenzieller Forschungsgegenstände werden auf das Positive und das tatsächlichGegebene beschränkt. Damit bleiben nicht unmittelbar ersichtliche Phänomene unddas Wesen der Dinge prinzipiell vom Erkenntnisprozess ausgegrenzt. Prototypisch fürdiesen Ansatz ist die Inhaltsanalyse in der Definition von Berelson (1952), nach der siesich nur auf manifeste Inhalte zu beziehen habe. Latente Sinnstrukturen wären aus derAnalyse ausgeschlossen.Vernachlassigung der Erfahrung. Die Erfahrung als Überprüfungs- und Bewährungs-instanz wissenschaftlicher Aussagen wird in der quantitativen Forschung einge-schränkt. Zulässig zur empirischen Prüfung von Hypothesen sind nur die Erfahrungs-daten, die in irgendeiner Form standardisierbar (quantifizierbar) und damit inter-subjektiv nachvollziehbar sind. Common Sense und lebensweltlicher Erfahrungsschatzder untersuchten Gesellschaftsmitglieder bleiben als Quelle, Gegenstand und Verifi-kationskriterium wissenschaftlicher Erkenntnis ausgeschlossen. Das Verhältnis vonTheorie und Erfahrung sollte aber nicht auf die nachträgliche Überprüfung hypothe-tischer Sätze durch restringierte (eingeschränkte) Erfahrung reduziert werden. Unterrestringierter Erfahrung versteht man die Überprüfung von Hypothesen und Theorienim Sinne kontrollierter und reproduzierbarer (Einzel-)Beobachtungen, wodurch dievorgängige, d.h. vorwissenschaftlich oder lebensgeschichtlich erworbene Erfahrungausgeschaltet wird (Fuchs et al., 1978). Genau diese Erfahrung kann und soll aber auchGegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung sein.Umsetzung in der Forschungspraxis. Filstead (1979a) weist in diesem Zusammenhangauf den großen Abstand hin, den die Sozialforscher zum Objektbereich ihrer Wissen-schaft einhalten. Dies führt zur Vertiefung des Grabens zwischen Soziologen undempirisch arbeitenden Sozialforschern: »Wir entfalten technische Spezialisierungenund denken dabei kaum daran, ob sie eigentlich dazu taugen, die Realität derempirischen sozialen Welt zu erfassen. Der wachsende Trend zur Quantifizierunghat zu einem verminderten Verständnis der empirischen sozialen Welt geführt (…)Wenn sie menschliches Verhalten besser verstehen wollen, müssen die Soziologen,statt einen immer größeren Abstand von den Phänomenen der empirischen sozialen

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2 Erste Charakterisierung der qualitativen Sozialforschung22

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Welt herzustellen, in direkten Kontakt mit ihr treten« (S. 30). Qualitative Sozial-forschung ist nicht zuletzt der Versuch, den restringierten Erfahrungsbegriff derquantitativen Sozialforschung zu überwinden. »Ihre Forderung nach Öffnung derForschung für das Alltagsbewusstsein, ohne bei einer unreflektierten Replikation desAlltagsbewusstseins stehen zu bleiben, und nach empathischer Rekonstruktiondersozialen Realität belegen dies recht deutlich« (Bogumil & Immerfall, 1985, S. 107).

Verhaltnis von Theorie, Empirie und Realitat

Verdopplung der Realitat.Weil sich die herkömmliche empirische Sozialforschung nurfür die vermeintlich objektiven gesellschaftlichen Tatbestände interessiert und derenWahrnehmung durch die Gesellschaftsmitglieder als Ausdruck eines wahren Bewusst-seins begreift, nimmt sie die Begleiterscheinungen fälschlich für die Sache selbst(Adorno, 1957a). Damit dupliziert sie in ihrer Hypothesenbildung das bereits verding-lichte Bewusstsein der Untersuchten und zementiert die ideologische Verblendung desgesellschaftlichen Zusammenhangs. Diese Verdoppelung der Realität greift umsomehr, als die Hypothesen bereits vorab formuliert werden und so die Vorurteile desForschers in die Konzeption des Gegenstandsbereichs einfließen, bevor dieser sich inseiner Eigenart entfalten kann. Den Phänomenen, die untersucht werden sollen, wirddie wissenschaftliche Vorstellung von der Wirklichkeit aufgedrängt, obwohl dieseWirklichkeitskonzeption das verdinglichte Bewusstsein der Gesellschaftsmitgliederbereits reproduziert. Damit schließt sich der Zirkel der ideologischen Verblendungund der analytische Durchblick auf die Sache selbst und die gesellschaftliche Totalitätwird in ihrer wahren Objektivität verbaut.Theorie und Empirie. Eng mit den gerade beschriebenen Mechanismen hängt derVorwurf der Theorielosigkeit gegen die Sozialforschung zusammen. »Eine grund-legende Arbeit über die Gesellschaft, in der Soziologen ihre Tätigkeit ausüben und dieihre Tätigkeit in näher zu bestimmender Weise beeinflußt, ist in den wenigstenForschungsarbeiten zu finden (…) In aller Regel bleiben sogar die Hinweise auf eineTheorie über das jeweils untersuchte Teilgebiet abrißhaft. Forschungsmethodenwerden oft als ›atheoretische‹ Werkzeuge betrachtet« (Müller, 1979, S. 12). MertonsKonzept der Theorien mittlerer Reichweite will bei begrenzten Forschungsbereichenzwischen Theorie und Empirie vermitteln (Merton, 1969). Die damit verbundenePartialisierung ist von der Hoffnung getragen, dass sich die räumlich bzw. zeitlichbegrenzten Theorien einmal zu einer umfassenderen Theorie der Gesellschaft zusam-menfügen lassen. Bislang erscheint die Erfüllung dieser Hoffnung jedoch sehr fraglichund es scheint, als hätte sich dieser Kritikpunkt kaum auf die Forschungspraxisausgewirkt. Auch wenn fallweise die Verbindung von soziologischer Reflexion undgesellschaftlicher Realität verwirklicht wurde, gründet sich die Kritik nicht auf einenkritischen, gesellschaftstheoretischen Alternativentwurf (Müller, 1979). In einer einge-henden Kritik der standardisierenden Forschungs- und Messverfahren zeigten Cicou-rel (1970), Berger (1974) und Kreppner (1975), dass der komplexe und prozessualeKontextcharakter der sozialwissenschaftlichen Forschungsgegenstände kaum durcheine normierte Datenermittlung zu leisten ist und stattdessen situationsadäquate,

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2.1 Kritikpunkte an der traditionellen quantitativen Sozialforschung 23

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flexible und die Konkretisierung fördernde Methoden notwendig sind. Allerdingsnennen die Autoren keine systematisch entwickelten und erprobten Alternativen.Einerseits müssen methodologische Kriterien entwickelt und gegenüber dem Quasi-Monopol traditioneller Verfahren legitimiert werden, andererseits kommen qualita-tive Methoden nur schwer über den Status bloßer heuristischer Instrumente hinaus:»Sie gelten als vorwissenschaftlich und sind entsprechend wenig ausgefeilt. Mangelseindeutiger Kriterien wird so in den Methodenlehrbüchern die Ausgestaltung desqualitativen Untersuchungsablaufes der Findigkeit und Risikobereitschaft des For-schers überlassen« (Witzel, 1982, S. 10). Genaue Anleitungen und Handlungsanwei-sungen zur Durchführung qualitativer Forschungsprojekte oder Methoden würdenzwar ein Bedürfnis von insbesondere unerfahrenen Forschern beantworten, wider-sprechen jedoch weitgehend den Prinzipien qualitativer Sozialforschung.

HerrschaftsstabilisierungDie in der standardisierten Sozialforschung betriebene Verdoppelung der Realitätdurch die Übernahme der ideologisch verzerrten Wahrnehmungsformen und diedamit einhergehende Reproduktion des verdinglichten Bewusstseins besitzt eine herr-schaftsstabilisierende Funktion. »Die vorherrschenden Verfahren zur Untersuchungsozialen Bewußtseins (…) sind zugeschnitten auf die Erfassung von Bewußtsein, dasmit bestehenden Herrschaftsverhältnissen konform geht« (Berger, 1974, S. 11). All-gemeiner lässt sich der Vorwurf der Herrschaftsstabilisierung wie folgt fassen: Da diequantitative Sozialforschung wegen ihrer Methodologie die vorgefundenen Faktennaiv und direkt interpretiert und die Kritik solcher Fakten in der Methodologieausgeschlossen ist, werden die jeweils bestehenden Verhältnisse erhalten und stabili-siert. Die Kritik bestehender Zustände ist in dieser Position nicht Aufgabe desWissenschaftlers. Aber auch die methodologische Absicht, historische Gesetzmä-ßigkeiten zu finden, trägt ein konservativ-stabilisierendes Element in sich. Gesell-schaftliche Ordnungen, Bedingungen und Verhältnisse bleiben so erhalten. UnterBedingungen des Spätkapitalismus bedeutet dies eine Stabilisierung der kapitalisti-schen Verhältnisse.

Auf methodischer Ebene (z.B. Erhebungstechniken) erkennen manche Autoren inder quantitativen Sozialforschung ebenfalls herrschaftsstabilisierende Mechanismen.Dem wird von manchem Kritiker entgegengehalten, dass dabei der Bote für die böseKunde, die er bringt, haftbar gemacht wird und der Einwand somit auf eine Ver-wechslung von Ursache und Wirkung zurückzuführen sei (Bogumil & Immerfall,1985).

Primat der MethodeDas einmal ausgebildete methodische Instrumentarium wird bei der quantitativenSozialforschung zur Verfolgung der verschiedensten Fragestellungen immer wiederherangezogen, ohne auf die Eigenart der Forschungsgegenstände Rücksicht zu neh-men. Die zu untersuchende Wirklichkeit ordnet sich den vorhandenen Unter-suchungsmethoden unter. Dieser Primat der Methode über die Sache verhindert

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eine angemessene und gültige Erfassung der interessierenden Sachverhalte. In derquantitativen Forschungspraxis verselbstständigt sich ein bestimmter Methodenappa-rat gegenüber den Sachen und die Universalität des gesellschaftlichen Zusammen-hangs kommt nicht zum Ausdruck (Adorno, 1956). Der Methodenapparat wird nichtan die Eigenart und Qualität der Gegenstände angepasst, sondern die Untersuchunggesellschaftlicher Phänomene wird nach den vorhandenen Forschungsmethoden fest-gelegt und die Gegenstände werden der vorgegebenen Methode angepasst bzw.verdinglicht. Die Auswahl der Forschungsgegenstände richtet sich dabei mehr nachden verfügbaren Verfahrensweisen als nach der Wesentlichkeit des Untersuchten. Indiesem Sinne schreibt Adorno: »Die Dinghaftigkeit der Methode, ihr eingeborenesBestreben, Tatbestände dingfest zu machen, wird auf ihre Gegenstände, eben dieermittelten subjektiven Tatbestände übertragen, als ob diese an sich dingfest wären«(Adorno, 1972, S. 514).Subjekt zu Objekt.Man könnte sogar behaupten, es würde nur das untersucht werden,was vermeintlich mit den verfügbaren Methoden und der zugrunde liegendenMethodologie ausreichend exakt erfasst werden kann. Andere Forschungsfragenwerden ausgeschlossen, anstatt sie zum Anlass zu nehmen, adäquate Methoden fürsie zu entwickeln. Da das Schwergewicht der traditionellen Sozialforschung bei derMethode liegt, die auf einen Gegenstand angewandt wird, ist die Angemessenheit derMethode zumindest gefährdet. Gerade die Berücksichtigung der Struktur, die unter-sucht werden soll, erlaubt kein abstraktes Methodenset oder allgemeine Instrumenta-rien, sondern eine Methode, die aus und an dem Gegenstand entwickelt wird. Diesimpliziert, dass Individualität und Einzigartigkeit des Objekts als Subjekt berück-sichtigt werden.

Die mit der traditionellen Sozialforschung einhergehende und notwendige Folgeder Faszination vom Gesetz der großen Zahl (alles über einen Leisten schlagen) lässtdie Quantität vor die Qualität treten. Dieser Vorwurf leitet unmittelbar zum Problemdes quantitativen Messens über.

Messfetischismus

Umformung und Interpretation. Die Vernachlässigung qualitativer Aspekte in derquantitativen Sozialforschung läuft parallel mit dem oft zu beobachtenden Mess-fetischismus. Der Hauptvorwurf gegenüber der herkömmlichen Methodologie lautet,die Messproblematik in den Sozialwissenschaften entweder erst gar nicht angemessenzu begreifen bzw. die falschen Lösungswege einzuschlagen, wenn Messfehler vermie-den werden sollen (Kreppner, 1975). Bei der Messung werden kommunikativeErfahrungen zu Daten umgeformt (Habermas, 1967). Da es uninterpretierte Erfah-rungen nicht gibt, stellt der Umformungsprozess des Messens selbst eine Interpreta-tion dar. Der Forscher greift bei der Interpretation seiner Beobachtungen, also bei derZuordnung von Zeichen zu Erfahrungen nach bestimmten Messregeln, auf seinalltagsweltliches Vorverständnis zurück, ohne allerdings diesen Rückgriff auf denCommon Sense deutlich zu machen (Cicourel, 1970). Damit wird zum einen dieProblematik der Messoperation nicht erkannt. Zum anderen werden die impliziten

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2.1 Kritikpunkte an der traditionellen quantitativen Sozialforschung 25

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(Interpretations-)Regeln, die dieser Operation zugrunde liegen, nicht ausgewiesen.Weder die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Messung noch deren Kritisier-barkeit – beides Forderungen der methodologischen Konzeption – sind gegeben.Tausch- und Gebrauchswert. Von historisch-materialistischer, also gesellschaftstheo-retischer Seite her kommend, wird der Messfetischismus mit anderer Argumentationangeprangert: »Die Vorherrschaft der Tauschwerte über die Gebrauchswerte verlangtin den positiven Sozialwissenschaften den Rückgriff auf elaborierteMeßtechniken, denPrimat der strikten Quantifizierung über die Rücksicht auf die Eigenschaften derSachverhalte selbst« (Ritsert, 1971, S. 62). Für Ritsert verkörpert die Neigung, höhereMessniveaus zu wählen, als sie den Daten bzw. der Sache selbst entsprechen, dieInteressen des Systems von Warenproduktion und Warentausch der gegenwärtigen,kapitalistischen Gesellschaft.

Instrumentalisierung als IntersubjektivitatDa Intersubjektivität als wissenschaftlich-methodologisches Prinzip gefordert wird,versucht man innerhalb der quantitativen Verfahren, die Einflüsse des Forschers unddes Erhebungsinstruments auf die Ergebnisse so weit wie möglich zu reduzieren bzw.zu eliminieren. NachMeinung von Kritikern eines solchen Vorgehens lassen sich dieseEinflüsse aber nicht eliminieren, weil die Involviertheit des Forschers in den For-schungsprozess ein unumgehbarer und notwendiger Faktor der Ergebnisproduktionsei. Daher beschritten die Quantitativen mit einer immer weitergehenden Instru-mentalisierung der Erhebungsmethoden einen falschen Lösungsweg, weil er dieAbhängigkeit der Methode vom zu untersuchenden Gegenstand und die substanzielleVerstrickung des Forschers in den Prozess der Untersuchung leugne.

Versteht man den Forschungsablauf als kommunikative Beziehung zwischen For-scher und Forschungsobjekt, so ergibt sich die Intersubjektivität nicht aus der Stan-dardisierung der Methoden, sondern aus der Anpassung der Methoden an dasindividuelle Forschungsobjekt sowie der Verständigung und dem Verstehen zwischenForscher und Forschungsobjekt. Dadurch wird das Forschungsobjekt zum For-schungssubjekt.

Wennman die theoriegeleitete Datenproduktion der quantitativen Sozialforschungbetrachtet, leitet sich aus dem Primat der Methode ab, dass die messtheoretischenImplikationen der Methoden nur generalistisch und kaum gegenstandsbezogengesehen werden. Dies führt zu dem Missverständnis, die Befunde als mit der sozialenRealität übereinstimmend zu begreifen, obgleich sie sehr stark instrumentenpro-duziert sind.Messartefakte entstehen, wenn die Instrumente nicht im sozialen Kontextihrer Anwendung gesehen werden. Die herausgestellte Intersubjektivität ist noch langekein Wahrheitsbeweis.

Naturwissenschaft als VorbildMethodologie und Methoden der Sozialwissenschaften orientieren sich in ihrerquantitativ-empirischen Ausrichtung am naturwissenschaftlichen Vorbild. Dort gehtes um allgemeine Gesetzmäßigkeiten bzw. nomologische Aussagen, die Erklärungen,

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Prognosen und technologische Anweisungen ermöglichen. Kennzeichnend für dienaturwissenschaftliche Methodologie ist aber die »Isolation (Vorgänge werden ausihrem Zusammenhang herausgelöst und einzeln bearbeitet; anders herum formuliert,Problemkomplexe werden – analytisch – zergliedert), Mathematisierung (der durchExperiment und Beobachtung gewonnenen Erfahrung) und Reproduzierbarkeit derErgebnisse durch Wiederholung von Beobachtung und Experiment« (Konegen &Sondergeld, 1985, S. 25).

Diese Position wird den Sozialwissenschaften nicht gerecht: Ihr Analysegegenstandist der in einem sozialen Kontext lebende und handelnde Mensch, das sozialeIndividuum, dessen Handeln mit Sinn, mit Bezug auf andere versehen ist. DiesesHandeln muss verstanden werden. Somit bedarf seine wissenschaftliche Analyse eineranderen Methode. Die naturwissenschaftlichen und zum Gegenstand der Analysegemachten Phänomene müssen eben erklärt werden. Verstehen – im Sinne einerErfassung ihrer Motivation – ist nicht möglich. Nicht die generelle, hinter demHandeln vermutete Gesetzmäßigkeit, die es so nicht gibt, sondern die für dasVerstehen notwendigen Motive sind entscheidend. Die geisteswissenschaftliche Me-thode des Verstehens ist realitätsgerechter und dem sozialwissenschaftlichen Gegen-stand angemessen.

Subjekt als Objekt

Interaktionspartner. Von der naturwissenschaftlichen Methodologie müssen sich dieSozialwissenschaften unterscheiden, weil ihr Gegenstand nicht naturwissenschaftlicheObjekte, sondern menschliche Subjekte sind. Die quantitative Sozialforschung be-handelt aber durch ihre standardisierten Methoden individuelle Menschen als Ob-jekte, als pure Datenlieferanten. Dies wäre jedoch nur dann methodologisch zuakzeptieren, wenn »der Sozialwissenschaftler, das forschende Subjekt, den sozialenTatbeständen, den zu erforschenden Objekten, so distanziert und gleichsam neutralgegenübertreten könnte, wie der Naturwissenschaftler den natürlichen Objekten«(Konegen & Sondergeld, 1985, S. 27), was unmöglich ist. Die quantitative Sozial-forschung übersieht, dass ihre Forschungsobjekte im Forschungsprozess als aktivhandelnde und kompetente Interaktionspartner auftreten. Sie sind Experten für diezu untersuchenden Fragen. Wegen dieser Eigenschaft sind sie ausgewählt worden unddadurch erlangen sie Bedeutung. Sie sind »als gleichberechtigte Partner ernst zunehmen. Kriterium derWissenschaftlichkeit von Aussagen ist ihreHandlungsrelevanz,nicht Entsubjektivierung« (Bogumil & Immerfall, 1985, S. 69).Soziale Beziehung. Die vom Forscher in der quantitativen Sozialforschung geforderteDistanz und Neutralität müssten in den Sozialwissenschaften umgekehrt die Objekteden Forschern und Forschungsmethoden entgegenbringen, was nicht gewährleistet ist.Sowohl Forscher als auch die Untersuchten sind im Forschungsprozess soziale Sub-jekte, die in gegenseitiger Orientierung und Anpassung aneinander handeln. DieUntersuchten sind nicht (nur) Datenträger, sondern stehen im Forschungsprozess ineiner sozialen Beziehung zum Forscher. Auf dieser Beziehung baut gerade die Aktions-bzw. partizipative Forschung auf (Haag, 1972; Moser, 1975; Unger, 2014). Sie zu

2Charakterisierung

2.1 Kritikpunkte an der traditionellen quantitativen Sozialforschung 27

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negieren oder zu vernachlässigen, bedeutet nach Auffassung qualitativer Forscher, aufdie Kooperation der Untersuchten geradezu zu verzichten (Bogumil & Immerfall,1985). Während herausgestrichen wird, dass die qualitative Sozialforschung dieSubjekthaftigkeit der Forschungsobjekte stärker berücksichtigt, kommen Bogumilund Immerfall bei ihrer Analyse (sie beziehen zusätzlich den Historischen Materialis-mus und die Kritische Theorie mit ein) zu einem tendenziell anderen Befund: »Wirmeinen, hier festhalten zu können, daß den Sehweisen trotz aller Unterschiede das Bilddes Subjekts gemeinsam ist: ein hilfloses, das trotzdem noch handelt und sich nicht nurverhält. Wir möchten dies als partielle Subjekthaftigkeit bezeichnen« (Bogumil &Immerfall, 1985, S. 104).

Scheinobjektivitat der StandardisierungKritiker der quantifizierenden Sozialforschung bezeichnen die von ihr verlangteObjektivität in Daten und Interpretation als Scheinobjektivität, weil durch eine Stan-dardisierung der Verfahren die geforderte interpersonale Synonymität nicht gewähr-leistet werden könne. Standardisierung der Bedeutungen ist etwas anderes als Stan-dardisierung von Aussagen oder Handlungen. Gleiche Phänomene können unter-schiedlich interpretiert werden. Die quantitative Sozialforschung will alleErhebungssituationen standardisieren, z.B. eine Befragung, um eine Vergleichbarkeitin der Analyse und Interpretation herzustellen. Dies geht an der Realität vorbei:Zunächst bleibt es bei der Absicht, weil in der Forschungsrealität jedes Interviewtatsächlich anders abläuft. Wichtiger jedoch ist die Tatsache, dass selbst bei (unter-stellten) gleichen Situationen die Perzeptionen und Deutungen der Handelnden sehrunterschiedlich ausfallen können, was aber wegen der Standardisierung keine Berück-sichtigung findet. »Die ›präzisen, genau definierten Beobachtungsmethoden‹ einesForschers produzieren leicht etwas, das mit der normalen Lebenssituation einesProbanden nichts mehr zu tun hat« (Polsky, 1973, S. 71). Durch die qualitativenMethoden »gelingt es jedoch, die sozialeWirklichkeit, wie sie dieMenschen tatsächlichsehen – und nicht wie sie der Soziologe sieht –, ›objektiv‹ darzustellen« (Girtler, 1984,S. 40). Empirische Forschung ist nur dann fruchtbar, wenn sie die Perspektive derUntersuchten aufnimmt.

Forscherperspektive als KorsettBeim quantifizierenden Vorgehen der empirischen Forschung nach der naturwissen-schaftlich orientierten Methodologie und nach dem Kritischen Rationalismus formu-liert der Forscher vor Untersuchung des sozialen Feldes Hypothesen, die er mit derempirischen Erhebung testen möchte. »Dies würde bedeuten, den Handelnden etwasaufzuzwingen, was sie vielleicht gar nicht ihrem Handeln zugrundegelegt haben«(Girtler, 1984, S. 25).Reduktion der Erkenntnisse. Die Hypothesen und die sich anschließenden Opera-tionalisierungen legen beim quantitativen Vorgehen fest, was für die Untersuchungrelevant ist und wie es erfasst wird. Somit wird nur das erhoben, was der Forscher nochvor Kenntnis des Objektbereichs für sinnvoll und notwendig erachtet. Die Perspekti-

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2 Erste Charakterisierung der qualitativen Sozialforschung28

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ven und die Relevanzsysteme der betroffenen Untersuchungsobjekte können jedochganz andere sein. Der Forscher wird sie nie erfahren, weil er den zu untersuchendenSubjekten seine Vorstellungen mit dem standardisierten Instrument aufoktroyiert.»Ein Gesprächsteilnehmer in einem unstrukturierten Interview wird wahrscheinlicheher eine Entdeckung provozieren, indem er etwas Unerwartetes sagt, als ein Teil-nehmer, der uns eine von sechs vorkodierten Antworten in einem Fragebogenankreuzen kann« (Becker & Geer, 1979a, S. 159).Motivationsverlust. Die wichtige Frage, ob der quantifizierende Sozialforscher seinenUntersuchungsgegenstand durch seine theoretischen Vorüberlegungen und Hypothe-sen erst so konstituiert, wird in der quantitativen Sozialforschung vernachlässigt. DasAufoktroyieren der Forscherperspektive kann sich z.B. beim standardisierten Inter-view wegen der als asymmetrisch empfundenen Interaktionsbeziehung ungünstig aufdie Motivation des Befragten auswirken. Girtler (1984) geht davon aus, dass dann aufGültigkeit zu hoffen ist, wenn das Interview für die Alltagswelt des Befragten bedeut-sam und emotionales Engagement vorhanden ist. Allein aus forschungspraktischenGründen kann somit gegen die Verwendung standardisierter Befragungstechnikenargumentiert werden. Dies wurde bereits erkannt, sodass sich auch in den konventio-nellen Lehrbüchern Empfehlungen finden, ein allzu starres Abfragen zu vermeidenund ein standardisiertes Interview durch offene Fragen aufzulockern, weniger zumInformationsgewinn als vielmehr zur Motivationserhaltung.

Trotz dieser eher technischen Finessen bleibt das Grundsatzproblem erhalten. DieThese von der Theoriebeladenheit aller Beobachtungen und Aussagen kollidiert sogarmit dem objektivierenden Anspruch einer nomologisch-deduktiven und empirisch-analytischen Wissenschaftsphilosophie und dadurch mit der quantitativen empiri-schen Sozialforschung.

Methodologie und Forschungsrealitat»Methodologische Ergebnisse können nur dann für die Lösung der konkreten Pro-bleme des Sozialwissenschaftlers fruchtbar werden, wenn sie auch tatsächlich ange-wendet werden. Dies geschieht jedoch heute relativ selten und oft selbst dann nicht,wenn man prinzipiell nicht skeptisch bezüglich der Bedeutung methodologischerFragen ist« (Opp, 1970, S. 11). Für die quantifizierende Sozialforschung ist an dieserSituation problematisch, dass aus der Diskrepanz zwischen methodologischen Forde-rungen und empirischer Forschungspraxis keine Konsequenzen gezogen werden.Weder werden die methodologischen Postulate bezweifelt noch ergeben sich Ver-änderungen im Forschungshandeln. Das Nachdenken über dieses Auseinanderklaffenvon Anspruch und Wirklichkeit in der quantitativen Sozialforschung hat nicht dazugeführt, das Verhältnis vonMethodologie undObjektbereich zu überprüfen. Vielmehrwird an Symptomen kuriert, z.B. werden die Methoden ›verbessert‹, ohne grund-sätzlich den spezifischen Gegenstand der Sozialwissenschaften zu reflektieren.

Wissenschaftstheoretiker als Metatheoretiker und Sozialforscher als Theoretikeroder Praktiker kommunizieren offenbar zu wenig miteinander. Und »weil die all-gemeine Beurteilung praktizierter methodischer Prinzipien jedoch Sache der Wissen-

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