WIENERIN REPORT ENDSTATION SehnsuchtMountain“, den tausende Farbeimer, unzählige gepress-te...

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39 38 AUGUST 2012 G ibt’s hier irgendwo eine Toilette?“, frage ich den Typen mit Cowboyhut und stahl- blauen Augen. „Du findest bestimmt einen Busch. Brauchst du Klopapier?“ Salzig-staubiger Schweiß tropft mir von der Oberlippe, im Hintergrund flirrt ein gigantisches weißes Kreuz auf einem bunt bemalten Hügel in der Hitze der sonst kargen Step- penwüste. Der „Salvation Mountain“ ist das Wahrzeichen von Slab City, einem Trailer-Park, den konservative TV- Sender als Brutstätte von „Sex, Drogen und Gewalt“ ver- schreien und diverse Online-Communitys als den „letzten Ort uneingeschränkter Freiheit“ preisen. Ich bin so frei und pinkle hinter einen Busch ... CAMPING-AUSFLUG AUF LEBENSZEIT. Etwa drei Auto- stunden südöstlich von Los Angeles liegt die verlassene Militärbasis aus dem Zweiten Weltkrieg. Der „Salvation ihrem Wohnwagen der Sonne nachreisen) auf ausgerissene Heimkinder, anonyme auf aktive Alkoholiker, Hippies auf Armee-Veteranen. Allen ist eines gemein: Sie haben die Nase voll von „da draußen“ und führen als Selbstversorger ein autonomes Leben – mehr oder weniger freiwillig. „Na- türlich ist es hart, besonders für Frauen“, berichtet eine Be- wohnerin. „Wir haben kein ‚laufendes‘ Wasser – es sei denn, du läufst und holst es!“ Elektrizität beziehen die „Slabber“ aus selbst installierten Solarzellen oder Generatoren, vie- le müssen ganz ohne Strom auskommen, kochen auf Holz- feuern. Toiletten? Fehlanzeige. Dafür finden wir rechts hinter dem blauen Container neben der Einfahrtsstraße heiße Quellen, die bei einem Erdbeben vor ein paar Jahren entstanden. „Unsere Whirlpools“, grinst ein Bärtiger mit Dreadlocks und buntem Wickelrock. Ein bisschen weiter vorn schießt aus einem Rohr ein starker Strahl Grundwas- ser, der als Dusche genutzt wird – jedenfalls wenn nicht ge- rade eine Schlange in der Pfütze darunter badet. FOTOS Young-Soo Chang Mountain“, den tausende Farbeimer, unzählige gepress- te Heuballen, Lehm, Ausdauer und Bibelsprüche form- ten, ist die einzige Erhebung weit und breit – abgesehen von dem lang gestreckten, südkalifornischen Gebirge, den Chocolate Mountains, die sich in der Ferne abzeich- nen. „Slab“ heißt „Platte“ und steht für die verbliebenen Betonfundamente und vereinzelten Straßen, die noch die Wüste durchziehen. Hier haben sich in den vergangenen Jahrzehnten Aussteiger aus ganz Nordamerika angesie- delt. Auf einer Fläche von etwa drei Quadratkilometern staubiger Erde, die zu Fuß in etwa einer Stunde zu durch- queren ist, hausen sie in Wohnwägen, selbst zusammen- gezimmerten Verschlägen, ehemaligen Munitionslagern und Bunkern. 150 bis 3.000 Menschen wohnen in Slab City – je nachdem, ob gerade brütend-heißer Sommer ist oder angenehm warmer Winter. Hier treffen Ex-Knackis auf exzentrische Hochschul- abgänger, sogenannte „Snowbirds“ (Pensionisten, die in Sehnsucht ENDSTATION EINE alte Militärbasis in der kalifornischen Wüste ist die neue Zuflucht von Krisenverlierern, Obdachlosen und anderen vom Schicksal Verprügelten. In der heruntergekommenen Wohnwagenstadt Slab City leben sie ohne Gesetze, fließendes Wasser und Stromanschluss. WIENERIN-Redakteurin Heidi Rietsch schlug ihr Zelt auf und fand – auf der Suche nach einer Toilee – in der heißen Hölle überraschend viel vom Paradies. WIENERINREPORT ANGEKOMMEN? Von hier kann man ihn schon sehen: Slab Citys buntes Wahrzeichen, den „Salva- tion Mountain“ (Bild r., www.salvationmountain.us).

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Gibt’s hier irgendwo eine Toilette?“, frage ich den Typen mit Cowboyhut und stahl-blauen Augen. „Du fi ndest bestimmt einen Busch. Brauchst du Klopapier?“ Salzig-staubiger Schweiß tropft mir von der Oberlippe, im Hintergrund fl irrt ein gigantisches weißes Kreuz auf einem

bunt bemalten Hügel in der Hitze der sonst kargen Step-penwüste. Der „Salvation Mountain“ ist das Wahrzeichen von Slab City, einem Trailer-Park, den konservative TV-Sender als Brutstätte von „Sex, Drogen und Gewalt“ ver-schreien und diverse Online-Communitys als den „letzten Ort uneingeschränkter Freiheit“ preisen. Ich bin so frei und pinkle hinter einen Busch ...

CAMPING-AUSFLUG AUF LEBENSZEIT. Etwa drei Auto-stunden südöstlich von Los Angeles liegt die verlassene Militärbasis aus dem Zweiten Weltkrieg. Der „Salvation

ihrem Wohnwagen der Sonne nachreisen) auf ausgerissene Heimkinder, anonyme auf aktive Alkoholiker, Hippies auf Armee-Veteranen. Allen ist eines gemein: Sie haben die Nase voll von „da draußen“ und führen als Selbstversorger ein autonomes Leben – mehr oder weniger freiwillig. „Na-türlich ist es hart, besonders für Frauen“, berichtet eine Be-wohnerin. „Wir haben kein ‚laufendes‘ Wasser – es sei denn, du läufst und holst es!“ Elektrizität beziehen die „Slabber“ aus selbst installierten Solarzellen oder Generatoren, vie-le müssen ganz ohne Strom auskommen, kochen auf Holz-feuern. Toiletten? Fehlanzeige. Dafür fi nden wir rechts hinter dem blauen Container neben der Einfahrtsstraße heiße Quellen, die bei einem Erdbeben vor ein paar Jahren entstanden. „Unsere Whirlpools“, grinst ein Bärtiger mit Dreadlocks und buntem Wickelrock. Ein bisschen weiter vorn schießt aus einem Rohr ein starker Strahl Grundwas-ser, der als Dusche genutzt wird – jedenfalls wenn nicht ge-rade eine Schlange in der Pfütze darunter badet.FO

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Mountain“, den tausende Farbeimer, unzählige gepress-te Heuballen, Lehm, Ausdauer und Bibelsprüche form-ten, ist die einzige Erhebung weit und breit – abgesehen von dem lang gestreckten, südkalifornischen Gebirge, den Choco late Mountains, die sich in der Ferne abzeich-nen. „Slab“ heißt „Platte“ und steht für die verbliebenen Betonfundamente und vereinzelten Straßen, die noch die Wüste durchziehen. Hier haben sich in den vergangenen Jahrzehnten Aussteiger aus ganz Nordamerika angesie-delt. Auf einer Fläche von etwa drei Quadratkilometern staubiger Erde, die zu Fuß in etwa einer Stunde zu durch-queren ist, hausen sie in Wohnwägen, selbst zusammen-gezimmerten Verschlägen, ehemaligen Munitionslagern und Bunkern. 150 bis 3.000 Menschen wohnen in Slab City – je nachdem, ob gerade brütend-heißer Sommer ist oder angenehm warmer Winter.

Hier tre% en Ex-Knackis auf exzentrische Hochschul-abgänger, sogenannte „Snowbirds“ (Pensionisten, die in

SehnsuchtENDSTATION

EINE alte Militärbasis in der kalifornischen Wüste ist die neue Zufl ucht von Krisenverlierern, Obdachlosen und anderen vom Schicksal Verprügelten. In

der heruntergekommenen Wohnwagenstadt Slab City leben sie ohne Gesetze, fl ießendes Wasser und Stromanschluss. WIENERIN-Redakteurin Heidi

Rietsch schlug ihr Zelt auf und fand – auf der Suche nach einer Toile! e – in der heißen Hölle überraschend viel vom Paradies.

WIENERINREPORT

ANGEKOMMEN? Von hier kann man ihn schon sehen: Slab Citys buntes Wahrzeichen, den „Salva-tion Mountain“ (Bild r., www.salvationmountain.us).

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40 AUGUST 2012

BERG DER ERLÖSUNG. John, der Cowboy von vorhin, hat meinem Begleiter, Fotograf Yps, und mir ein Zelt ge-schenkt. Einfach so. „Falls ihr nicht im Auto schlafen wollt.“ Dann bietet er uns noch Schießunterricht an. Letz-teres lehnen wir beide dankend ab und fahren weiter. Das Autothermometer zeigt 43° C. Die Klimaanlage unseres blauen Käfers bläst gegrillte Wüstenluft in unsere vom schar+ antigen Sand aufgeriebenen Gesichter. Wir geben auf, lassen die Fenster run-ter. Abgesehen vom Knir-schen unserer Autoreifen auf der kargen Erde ist es recht still draußen. Verein-zeltes Hundegebell hier und da. Nur bei genauem Hinhö-ren vernimmt man das leise Brummen von Generatoren. Schwarzer Rauch steigt auf, es riecht nach verbranntem Gummi. Wir passieren wild verzierte Wohnwägen, einen hellblauen Container, gekrönt von einem weißen Kreuz – eine Kirche. Wir biegen rechts in die Low Road ab, eine der wenigen unasphaltierten Straßen, die tatsächlich einen Namen besitzen, und kommen beim Oasis Club zum Ste-hen. „Gute Leute dort“, hatte uns Wild-West-John gesagt und eine Mini-Landkarte auf ein Post-it gekritzelt.

Drei, vier Wohnmobile und ein überdachter Bereich mit Küche und Bar, Biertischen und -bänken ist Slab Citys „Members-only-Club“, der schon über 200 Mitglie-der zählt und sogar Internet hat. Dass Medienvertreter

dort eigentlich keinen Zutritt haben, realisieren wir erst, als wir von ein paar Bärtigen in die Mangel genommen wer-den. Innerhalb kürzester Zeit rennt aber der Schmäh, und wir zwei ausländischen Greenhorns werden aufs herzlichs-te willkommen geheißen. Auch von Lynne, die den Club mit eiserner Faust führt. Die 57-jährige Ex-Anwältin wird nur „Sergeant“ oder kurz „Sarge“ genannt – was ihr nur recht ist: „Als Frau muss man sich hier durchsetzen“, sagt

sie mit überraschend sanfter Stimme und deutet auf ihr T-Shirt. Darauf steht: „Ich bin einfach zu bedienen.“

WEIBLICHES REGLEMENT.„Slab City ist dafür bekannt, dass es keine Regeln gibt“, erklärt Lynne. „Aber die

Wahrheit ist, dass jeder Mensch einen unsichtbaren Ver-trag unterschreibt, wenn er auf andere tri% t.“ Dann er-zählt sie, dass vor Jahren einige Frauen der Stadt zusam-menkamen, um latente Probleme mit Gewalt anzugehen. Sie erstellten eine Liste an „Common Courtesies“ – allge-meinen Verhaltensgrundsätzen, die so Dinge beinhalten wie „Nicht stehlen“, „Nicht schlagen“, „Schau, dass dein Hund nicht wahllos Leute beißt“ oder „Frag deinen Nach-barn, ob du deinen Trailer hier parken darfst“.

„Wir sind nicht die Slab-City-Polizei“, sagt Lynne, „aber wir gehen mit gutem Beispiel voran.“ Der letzte Mord ist Ewigkeiten her. Das fünf Kilometer entfernte Städtchen

Niland gilt als gefährlicher. „Ihr wolltet in Niland über-nachten? Seid ihr wahnsinnig?“ Nein, nein, versichern wir schnell, wir haben ja das Zelt. Lynne nickt zufrieden und erzählt von den örtlichen Errungenschaften: der 24/7-Bibliothek, dem liebevoll gehüteten Tierfriedhof, dem Hunderettungs- und -kastrationsdienst, Armenspeisun-gen und dem Komitee, das jeden Samstag aktuelle Heraus-forderungen diskutiert.

SEX AND THE SLABS. Als ein hageres Kerlchen mit löch-riger Baseballkappe sein abgenudeltes Golfcart vorm Club einparkt, schaut Lynne auf und präsentiert uns mit einem Lächeln ihren Mann Mike. Der Männerüberschuss in Slab City – in trockenen Zeiten liegt das Verhältnis Mann – Frau bei 20:1 – ist ein mit rauem Gelächter und unzähligen Wit-zen quittierter Zustand: „Wenn eine Frau in zwei Tagen mit fünf Kerlen schläft und dir dein Essen kocht, weißt du, du bist ein Slabber – und sie ist deine Freundin.“ Lynne schüttelt den Kopf und stellt mir einen Ka% ee hin. Drau-ßen dämmert’s. „Ihr solltet langsam euer Lager au6 au-en“, sagt sie – immerhin hausen viele Klapperschlangen und Skorpione in der Gegend.

Einer unserer vielen Slab-City-Schutzengel begleitet Yps und mich zur zwei Autominuten entfernten Freigeist-Community East Jesus, die dafür bekannt ist, „Künstlern, Musikern, Überlebenden, Schreibern, Wissenschaftlern und anderen reisenden Genies“ Unterschlupf zu gewäh-ren. Die Bezeichnung hat übrigens nichts mit Gottes Sohn zu tun, sondern bedeutet eher, dass sich das Areal „öst-

lich vom Nichts, im Nirgendwo“ befi ndet. Im Nirgend-wo werden wir mit großem Hallo empfangen, obwohl wir die „Manager“ gerade beim Abendessen stören. Sue, eine 44-jährige Volksschullehrerin, die ihre Wochenenden hier verbringt, weil ihr Ehemann, ein Computerspezialist und Diabetiker, in East Jesus leben will, macht mit uns eine Tour. „Fang mit dem wichtigen Zeug an!“, ruft ihr einer nach. „Den Toiletten!“

Als ich das saubere Damen-Plumpsklo sehe, hüpft mein Herz vor Freude. Beim Anblick der Dusche schramme ich knapp an einem Glücksinfarkt vorbei. Der großfl ächi-ge „Skulpturengarten“ mit faszinierenden, schrägen und detailverliebten Installationen haut mich dann endgül-tig über die Klippen. Die Burschen haben schon ein fertig aufgestelltes Zelt für uns und entschuldigen sich, dass der im Schottergrund fi xierte, fahruntüchtige Reisebus be-reits belegt ist: Eine Band aus L. A. und ihr Team wohnen übers Wochen ende dort, um ein Zombie-Video zu drehen.

INTO THE WILD. Es ist Samstagnacht, Zeit für die wöchent liche Live-Musik-Session auf der Freiluftbühne The Range, die schon Kristen Stewart bespielte – in Sean Penns Film Into the Wild. Wir knotzen uns auf eine der zer-fl edderten Couchen neben zwei Riesenhunde, die o% en-bar jedem und niemandem gehören, und beklatschen den langhaarigen Bühnen-Besitzer Builder Bill, der den Rei-gen traditionell erö% net (und spät nachts auch wieder be-endet). Dann folgen gute und weniger gute Performances, jeder darf zeigen, was er (nicht) kann. Eine rundliche, kahl

„SLAB CITY IST BE-KANNT DAFÜR, DASS

ES KEINE REGELN UND GESETZE GIBT.“

EAST JESUS. Der Schriftsteller Port

Morsby (Bild: mit Heidi Rietsch in der Wohnkü-che) und Frank, der um diese Jahreszeit norma-

lerweise in Alaska als Koch arbeitet, kümmern sich momentan um den

Erhalt der Künstler-Community East Jesus. Übernachtungsbuchun-

gen und Spenden: www.eastjesus.org.

1. Die Bibliothek ist durchgehend geöffnet. 2. Künstler aus ganz

Amerika hinterlassen ihre schrägen Spuren im Skulpturengarten von East Jesus. 3. Der VW-Bus von Charlie, dem jung verstorbenen

Gründer von East Jesus. 4. Der bes-te Freund vieler Slabber: ihr Hund.

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42 AUGUST 2012

geschorene Mittsechzigerin rezitiert ein selbst geschrie-benes Gedicht, sie bricht in Gelächter und das Publikum in Beifall aus. Eine junge Frau tauscht ihr Baby gegen eine akustische Gitarre und singt so inbrünstig, dass ich schlu-cken muss. Sie heißt Jessica und trudelte vor einigen Ta-gen in Slab City ein, mit Kind und Hund am Beifahrersitz.

Ich will mehr wissen, aber erst mal beschließen wir zwei Stadtmenschen den großartigen Abend, wandern die paar Minuten im Licht der Taschenlampe zurück nach East Jesus und schlüpfen in unser Zelt. In dieser Nacht mache ich mir zwei geistige Notizen: 1. Wüsteneulen und Kojoten machen ordentlich Lärm. Und 2. wird es hier nachts ver-dammt kalt.

PHÖNIX IN DER ASCHE. Die Kühle der Nacht ist mit Sonnenaufgang passé. Wir liegen geplättet im Schatten. Am späten Nachmittag kommen wir der Essenseinladung einer 49-jährigen Slabberin nach, die allgemein nur als „Mama Angel“ bekannt ist. Die studierte Psychologin be-treibt gemeinsam mit ihrem kürzlich angetrauten Mann Scott Slab Citys Seelenrettungsstation, die Karma Kitchen, gleich ums Eck vom Oasis Club. Auf einem betonierten Areal von der Größe eines halben Fußballfelds parken vier heruntergewirtschaftete Wohnwägen, einer dient als La-ger und Küche, die anderen als Unterkünfte. Im löchrigen Schatten eines auslagernden Baums steht eine sonnenge-bleichte Holz tafel, an der gemeinsam gegessen wird.

Angel und Scott versorgen im Schnitt 40 Menschen pro Woche mit Essen, Aufmerksamkeit und – wenn irgend mög-

Nehmen, wie sie so erzählt, dass sie im einige Autostun-den entfernten San Diego von einer Unterkunft zur ande-ren zog: „Die letzte Station war ziemlich übel. Sie haben meinem Hund wehgetan. Deshalb bin ich hergekommen. Und weil der Vater meines Kindes angeblich hier ist.“ Während sie ihrem Vierbeiner die entzündeten Augen mit einem antiseptischen Tuch abtupft, jauchzt ihr Sohn Elle-as in einem zum „Rennauto mit Sonnenschirm“ umfunk-tionierten Rollstuhl. Ein junges Mädel mit kurzen Dread-locks schiebt den Buben lachend durch die Gegend.

HIN & WEG. „Wir müssen los“, sage ich widerwillig, als der für den frühen Abend typische, leichte Wind einsetzt. „Stimmt!“, lacht Angel. „Ihr habt ja einen Zeitplan! Wir vergessen oft auf die Uhr.“ Ich seufze. „Wohin geht’s?“, fragt einer der jungen Streuner mit vollem Mund. Ich will par-tout nicht zurück zu den To-do-Listen, dem zähen Stau, den gelifteten Gesichtern, vertrock-neten Seelen und überdimensi-onierten Champagnerfl aschen, dennoch murmele ich: „Nach L. A.“ Der Bursche verzieht an-gewidert das Gesicht, reißt sich aber schnell wieder zusammen und patscht uns aufmunternd auf die Schulter: „Na ja, ihr könnt ja wiederkommen.“

lich – einem Schlafplatz. Obwohl sie selbst nichts besitzen. Vor Jahren verlor Angel auf tragische Weise ihre zwei kleinen Töchter und dann ihren Job als Professorin an der US-Elite-universität von Berkeley – samt ihrer Lizenz, praktizieren zu dürfen. Seit 29 Jahren ringt sie mit Multipler Sklerose. Erst kürzlich wurde sie wegen eines Gehirntumors ope-riert, die Chemotherapie hat sie gerade abgeschlossen. Sie besitzt ein Paar Schuhe, aber ich sehe sie immer nur bar-fuß. Pro Woche hat sie ein geschätztes Budget von etwa 50 Euro, mit dem sie nicht nur sich, sondern auch ihre „er-weiterte Familie“ versorgt. Und trotzdem ist mir seit Ewig-keiten kein so strahlender Mensch begegnet wie sie. Ihre Aura leuchtet in herrlichsten Farben. Und sie ist nicht die Einzige. Trotz der tragischen Vergangenheit, die jeder Slabber mit sich rumschleppt, wirken viele leicht, lustig, unverkrampft – mit anderem Wort: glücklich.

HEIM FÜR HEIMATLOSE. Als wir in der Karma Kitchen eintre% en, trippelt uns die kleine Frau entgegen, nimmt uns in die Arme und spricht die Worte aus, die in riesigen Buchstaben am Boden geschrieben stehen: „Welcome! We love you!“ Dann bedankt Angel sich für unser Kommen und verkündet der versammelten Mannschaft aufgeregt, was wir mitgebracht haben. Ich schäme mich zutiefst, dass es nicht mehr ist als unser verbliebener Proviant: Olivenbrot, vier Äpfel, ein paar Karotten, Mandeln, Algenchips und Wasabinüsse – Letztere schlagen dafür ein wie eine Bombe.

In Karma Kitchen tre% en wir Jessica wieder, die singende Mutter. Sie wirkt reif, intelligent und hart im

ENGEL AUF ER-DEN. Die Psycholo-gin Angel (Bild unten,

Mitte) betreibt die Armenspeisung Karma

Kitchen und nimmt Straßenkinder auf –

obwohl die 49-Jährige selbst nichts besitzt.

Spenden aller Art für Angels Projekt bitte an: Karma Kitchen, c/o Oasis Club, P.O.

Box 984, Niland, CA 92257, USA.

HEY, JESSIE. Die heimatlose Jessica (l.) hat mit ihrem Sohn Elleas in der Karma Kitchen (r.) Unterschlupf gefunden. In Slab

City vermutet sie den Vater ihres Kindes.