Wiesbaden Magazin Ausgabe November 2010

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Wiesbaden Das Magazin der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden Ausgabe 04 / November 2010 Aquis Mattiacis Wellnessfaktor und Lebensraum „Good morning, Wiesbaden!“ Deutsch-amerikanische Nachbarschaft Wiesbadener und Hesse Volker Schlöndorff im Gespräch LANDESHAUPTSTADT www.wiesbaden.de

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WiesbadenDas Magazin der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden Ausgabe 04 / November 2010

Aquis MattiacisWellnessfaktor und Lebensraum

„Good morning, Wiesbaden!“ Deutsch-amerikanische Nachbarschaft

Wiesbadener und Hesse Volker Schlöndorff im Gespräch

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Inhalt

Ausgabe 4 / November 2010Editorial Magazin der Stadt Wiesbaden

wiesbadener leben: Wussten Sie, dass die Luft-brücke nach Berlin in Wiesbaden organisiert wurde oder, dass Rock’n’Roll-Idol Elvis Presley hier in den 50er Jahren den Eagle Club besucht hat? Seit mehr

als sechs Jahrzehnten sind Ameri- kaner und Wiesbadener Nachbarn, eine besondere Beziehung, der wir die Titelgeschichte gewidmet haben. Außerdem sind wir den Ursprüngen einer Stadt auf den Grund gegangen, die es ohne Wasser nicht geben

würde. In diesem Heft können Sie lesen, wie die einstige Weltkurstadt ihre heißen Quellen und Gewässer wieder neu entdeckt. Quellwasser ist übrigens auch für Anja Quäschning ein wichtiger „Rohstoff“. Die Unterneh-mensgründerin braucht es, um aus Blüten Delikatessen zu machen. Wir durften ihr bei der Arbeit zuschauen. Mit Oskar-

Preisträger Volker Schlöndorff haben wir über seine Kindheit und Jugend in Hessen und den Begriff „Heimat“ gesprochen. Auch sonst sind wir auf interessante kreative Köpfe gestoßen. Eine lebendige Werbe- und Filmszene ist in der Stadt aktiv. Und Event-

manager Hans Reitz ist überzeugt, dass Wiesbaden zur Pilotstadt für eine neue Unternehmenskultur des „Social Business“ werden kann.

Viel Spaß beim Lesen wünschtIhre Redaktion

AFN-DJ Tony Plyler auf Sendung

Volker Schlöndorf – ein Wiesbadener

TitelbildDie Söhnlein-Villa: Die Wiesbadener nennen sie „Das Weiße Haus“.(Foto: eigenart Eckhardt&Pfannebecker, Wiesbaden)

Impressumherausgeber: Wiesbaden Marketing GmbH, Geschäftsführer: Martin Michel (V.i.S.d.P.), Postfach 6050, 65050 Wiesbaden

redaktion: Journalistenbüro Surpress, Dr. Jutta Witte, Wiesbaden

texte: Carsten Hauptmeier (Mein Wiesbaden, Wiesbadener Geschäftsideen), Dr. Jutta Witte (Wiesbadener Gesellschaft, Wasserstadt Wiesbaden, Wiesbadener Wirtschaft)

fotos soweit nicht anders gekennzeichnet:Andreas Baier, Gerhard Hirsch, Christopher Pfannebecker, Heike Rost

gestaltung und herstellung: D+K Horst Repschläger GmbH, Wiesbaden

druck: Stark Druck, Pforzheim

„Good morning, Wiesbaden!“ Deutsch-amerikanische Nachbarschaft 4

„Wir schlagen ein neues Kapitel auf“Interview: Colonel Jeffrey Dill und Ober-bürgermeister Helmut Müller über die Zukunft der Amerikaner in Wiesbaden 11

„Ich fühle mich als Wiesbaden-Biebricher und als Hesse“Volker Schlöndorff im Gespräch 12

Innovativ, unkonventionell, risikofreudigDie Kreativen von Wiesbaden 14

Aquis Mattiacis – Den Wassern der Mattiaker [geweiht]Wellnessfaktor und Lebensraum 18

Wie aus Blüten Delikatessen werdenDie Blütensekt-Manufaktur 24

Herbst und Winter in WiesbadenVeranstaltungen und Service 26

Galatea-Brunnen in Wiesbaden-Biebrich

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Seit 1945 ist Wiesbaden einer der wichtigsten US-Stützpunkte in Europa. Nun soll das europäische Hauptquartier der Landstreitkräfte von Heidelberg in die hessische Landeshauptstadt verlegt werden. Viele hoffen, dass mit dem Umzug eine alte Freundschaft neu belebt wird.

„Good morning, Wiesbaden!“

deutsch-amer ikanische nachbarschaft

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„On Air“: Regler aufziehen, Musik abfahren, zwischendurch eine kurze Moderation – AFN-DJ Tony Plyler ist voll in Aktion. Drei Stunden versorgt er an diesem Vormittag vom US-Heeresflugplatz Wiesbaden-Erben-heim aus seine Zuhörer in der Region mit Nachrichten, dem Dollarkurs, Frei-zeittipps und aktuellen Hits. „Ich bin mit AFN groß geworden“, sagt der 32jährige Stabsunteroffizier. Schon sein Vater hat für das American Forces Network gearbeitet, jenem Sender, der seit 1943 für positive Stimmung unter den amerikanischen Soldaten sorgt. „Wir wollen einen Teil von Amerika nach Deutschland brin-gen“, sagt Gary Bautell, AFN-Radio-chef in Europa. 15 Redakteure arbeiten für den Lokalsender in Wiesbaden, neun von ihnen in Uniform. Als Rundfunkjournalisten ausgebildet, sind sie dennoch Soldaten. Auch Plyler war schon dreimal in den Krisen- und Kriegsgebieten dieser Welt im Einsatz: „Wenn sie mich brauchen“, sagt er, „muss ich gehen.“

Eine Mischung aus militärischen Pflichten, alltäglicher Lässigkeit und dem Wissen um die Kriegswirklichkeit draußen bestimmen das Leben in der Garnison und den drei Wiesbadener Housing Areas, stadtviertelgroßen Wohngebieten, in denen ausschließ-lich Amerikaner leben. Rund 13.000 Menschen zählt die Wiesbadener US-Gemeinde, darunter 2.800 Soldaten, 2.100 Zivilangestellte und 7.400 Fami-lienangehörige. Das 5. Fernmelde-kommando, die 66. Aufklärungsbrigade und das Hauptquartier der 1. US-Panzerdivision sind hier stationiert.

Es ist eine kleine amerikanische Welt mitten in Deutschland mit Supermärk-ten, Fitness- und Unterhaltungszentren, Kirchen, Schulen, Kindertagesstätten, Tankstellen und Bibliothek. Das Leben geht seinen Gang, auch wenn rund 1.000 der offiziell in Wiesbaden sta-tionierten Soldatinnen und Soldaten seit fast einem Jahr im Irak-Einsatz sind: In der Kantine auf dem Stütz-punkt in Erbenheim wird geplaudert,

Petticoats und Straßenkreuzer: Der „American Way of Life“ prägte das Bild Wiesbadens in den 1950er und 60er Jahren. Aus Siegern und Besiegten waren Freunde geworden.

Die Stimme Amerikas in Europa: AFN-Radiochef Europa Gary Bautell fühlt sich schon lange als „Wiesbadener“.

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AFN-DJ Tony Plyler auf Sendung

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Familien packen ihr Auto für den Ur-laub. Draußen auf dem Flughafen warten amerikanische und deutsche Gäste auf den Beginn des Kommandowechsels beim ersten Nachrichtenbatallion. Oberst-leutnant Timothy Brown wird in sein Amt eingeführt. Das militärische Zere-moniell ist streng, der Patriotismus spürbar, doch als am Ende alle aufste-hen und gemeinsam den „Army Song“ singen, wird die Atmosphäre zusehends lockerer. Beim anschließenden Begrü-ßungsdefi lee gibt es eine Riesentorte, Kinder spielen Nachlaufen im Flugzeug-hangar und das Ehepaar Brown findet für jeden ein paar verbindliche Worte.

Zweifel am Sinn und Zweck des ameri-kanischen Militäreinsatzes in Mittel-asien oder dem Nahen Osten scheint es hier nicht zu geben. „Sie haben eine Mission, sie wollen in der Welt etwas verändern“, erklärt Garnisonssprecherin Anemone Rüger und meint damit nicht nur die Militärangehörigen. Kräne und eine riesige Baustelle auf dem Parade-platz zeugen davon, dass das Pentagon große Pläne für Wiesbaden hat. Bis 2015 soll das Europa-Hauptquartier des US-Heeres aus Heidelberg in die Stadt am Rhein umziehen. Eine 89 Millionen Euro teure Führungs- und Kommandozentrale befindet sich gerade im Bau, ebenso eine neue Housing-Area mit 325 Wohnein-

heiten, Picknick- und Baseballplätzen und Joggingwegen. Nach dem Umzug werden nach Rügers Einschätzung rund 19.000 Amerikaner in der hessischen Landeshauptstadt leben und arbeiten.

Sie können an eine lange gemeinsame Geschichte anknüpfen. Im März 1945 marschierten amerikanische Truppen in Wiesbaden ein, besetzten den einstigen Fliegerhorst in Erbenheim, Kasernen, Krankenhäuser, Hotels und jeden verfüg-baren Raum. Die kaum zerstörte Stadt wurde für lange Zeit militärisches und administratives Zentrum der amerika-nischen Besatzungsmacht. Bis Anfang der 70er Jahre residierte hier das europä-ische Hauptquartier der US-Luftwaffe.

Kommandozentrale der LuftbrückeSchon wenige Jahre nach Kriegsende übernahmen die hier stationierten Soldaten die Hauptrolle in einer der dramatischsten Episoden der deutschen Nachkriegszeit. Die Luftbrücke wurde von der Wiesbadener Taunusstraße aus koordiniert. Unter dem Kommando des Logistikexperten General William H. Tunner flogen die US-Amerikaner fast 1,8 Millionen Tonnen lebenswichtiger Güter von den Militärflughäfen Wies-baden und Frankfurt nach Berlin: Kohle und Lebensmittel, Medikamente, ja sogar Zeitungen und Krankenwagen. „Es war

ein System, das Tag für Tag verfeinert wurde“, sagt Hans Bergschwenger über den „Big Lift“. Er hat als junger Mann hautnah miterlebt, wie sich Deutsche und Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg wieder näher kamen. Berg-schwenger sprach Englisch und hatte einen Führerschein. 1948 heuerte er bei den Amerikanern als Chauffeur an und fuhr die Piloten der „Rosinenbomber“ zum Einsatz und zurück. 1954 trat er als Fahrer in die Dienste Tunners, der mitt-lerweile zum Chef der US-Luftwaffe in Europa aufgestiegen war.

„American Way of Life“ „Von den Amerikanern habe ich ge-lernt, frei im Kopf und im Handeln zu sein“, sagt der 81jährige heute. Die US-Soldaten hatten nicht nur die De-mokratie, sondern auch einen neuen „Way of Life“ mitgebracht, der vor allem junge Deutsche faszinierte. Jugend- und Freundschaftsclubs entstanden. Es gab gemeinsame Wohltätigkeitsbasare und Weihnachtsbälle. Noch heute erinnern sich die Wiesbadener mit Wehmut an den „Eagle Club“, der erst im Kurhaus, später im „Weißen Haus“ residierte. Selbst Elvis Presley schaute hier vorbei, als er seinen Militärdienst im nahen Friedberg ableistete. In der hessischen Landeshauptstadt war auch die Familie seiner späteren Frau Priscilla stationiert.

Alltag auf dem Stützpunkt in Erbenheim: Timothy Brown über-nimmt beim Kommandowechsel …

… die Batallionsfahne von seinem Vorgänger Michael Huston. In der „Dining Facility“ relaxen Soldaten und Zivilisten in der Mittagspause.

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Erinnerungen: Hans Bergschwenger (unten, vor der Luftbrücken-Zentrale in der Wies-badener Taunusstraße) erlebte als Fahrer der Amerikaner die Monate der Berlin-Blockade aus nächster Nähe. Später wurde er Chauffeur von Luftbrücken-General W.H. Tunner (links bei Bergschwengers Verabschiedung 1956).

Wartungsarbeiten am „Rosinenbomber“: In den Jahren 1948/49 war Wiesbaden Kom-mandozentrale und eines der zentralen Drehkreuze der Luft-brücke.

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Eine Soldatenfamilie: Jan (rechts) und Robb Meert (links) genießen mit ihren Kindern die knappe Freizeit. Sport verbindet: Standortkommandant Jeffrey Dill übernimmt nach dem 25-Stunden-Lauf im Kurpark die Siegerehrung.

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„Wiesbaden“, schreibt die Historikerin Anni Baker, „wurde in der Nachkriegs-zeit fast zu einer amerikanischen Stadt“.Mit dem Vietnamkrieg in den späten 60er Jahren erlitt die deutsch-amerika-nische Harmonie einen ersten Dämpfer. Ein weiterer Rückschlag folgte 1973, als die US-Luftwaffe von Wiesbaden ins pfälzische Ramstein umzog und die Airbase in Erbenheim zum Stützpunkt des Heeres wurde. Statt gut bezahlter Airforce-Piloten und Sternegenerälen kamen nun vorwiegend einfache In-fanteristen nach Wiesbaden. Rassen-konflikte, Drogenprobleme und soziale Spannungen nahmen zu. Abrüstungs-debatte und Friedensbewegung ließen auch in Wiesbaden die Distanz zu den USA in den 80er und 90er Jahren weiter wachsen. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zogen sich die US-Bürger aus Sicherheitsgründen fast vollständig aus dem Alltagsleben der Stadt zurück. Im vergangenen Jahrzehnt lebten Amerikaner und Deutsche eher neben- als miteinander.

Neuer Schwung für eine alte BeziehungDoch im Kern blieb bei vielen Wies-badenern die alte Verbundenheit er-halten. „Ich hatte nie das Gefühl, dass Wiesbaden so amerikakritisch war wie andere deutsche Großstädte“, sagt Gary Bautell. Als junger GI ist der Mann, der bei AFN „als Stimme der amerikanischen Soldaten in Europa“ gilt, nach Wiesba-den gekommen. Immer wieder kehrte er zurück und ist nun seit dreißig Jahren in der hessischen Landeshauptstadt: „Ich bin Wiesbadener geworden“, sagt der 68jährige, der auch Vorsitzender der Federation of German-American Clubs ist. Die Beziehung zwischen der hes-sischen Landeshauptstadt und der ame-rikanischen Gemeinde schlummere im Moment noch, „aber die Chancen sind wirklich gut, dass wir unsere spezielle Freundschaft wieder vertiefen können“.

Vieles deutet darauf hin, dass sich die Situation ändert. Immer häufiger ist in der Stadt Amerikanisch zu hören. Immer häufiger sieht man nun auch wieder amerikanische Frauen und Männer in Uniform durch die Fußgängerzone bum-

meln. Auch Timothy und Inga Brown suchen die Nähe zu der Stadt, die für ei-nige Zeit ihre Heimat sein soll, und schi-cken ihre Kinder in die deutsche Grund-schule und den deutschen Kindergarten.

In ihrem Reihenhaus versucht Jan Meert ihre beiden Söhne für den Fototermin einzufangen. Die 43jährige ist guter Dinge, denn vor einigen Tagen ist ihr Ehemann Robb nach einem Jahr heil aus Afghanistan zurückgekehrt, die Familie ist endlich wieder komplett. Wie AFN-Redakteur Plyler stammt die sportliche Frau aus einer Soldatenfamilie und kennt die Licht- und Schattenseiten eines solchen Lebens. Als Zivilangestellte leitet sie die Familienabteilung des Wiesbade-ner Stützpunktes und kümmert sich mit ihrem Team nicht nur um alle Alltags-sorgen der Soldatenfamilien. „Unser Ziel ist es auch, Widerstandsfähigkeit aufzu-bauen“, sagt sie. Emotionale, soziale und spirituelle Kraft: Sie gehören auch zum Führungskonzept von Standortkomman-deur Jeffrey Dill. Der Oberst ist Soldat, „Bürgermeister“ und Ansprechpartner für seine deutschen Nachbarn in einer Person. Denn auch auf deutscher Seite wächst das Interesse am amerikanischen Leben in der Stadt angesichts der Um-zugspläne wieder. Anknüpfungspunkte gibt es viele – bei Sportereignissen wie dem 25-Stunden-Lauf oder dem Drachen-

bootrennen im Schiersteiner Hafen, aber auch auf kultureller Ebene. Auf viele amerikanische Besucher hofft zum Bei-spiel Volker Rattemeyer, der Kurator der großen Expressionismus-Ausstellung, die derzeit im Wiesbadener Landesmuseum gezeigt wird. Sie reiht sich ein in viele andere Projekte des Museums, das sich seit den 20er Jahren dem künstlerischen Dialog zwischen Deutschland und den USA verschrieben hat und nach dem Krieg als „Central Collecting Point“ der Amerikaner für deutsche Kunstschätze diente: „Diesen Amerika-Schwerpunkt“, betont der langjährige Direktor des Museums, „wollen wir auch in Zukunft offensiv weiter verfolgen“.

Wenn bis zum Jahresende alle Soldaten der ersten Panzerdivision aus dem Irak zurückgekehrt sind, wird Wiesbaden für sie allerdings nur noch Durchgangs-station zurück in die Heimat sein. Statt der kämpfenden Truppen werden Zug um Zug die Mitarbeiter des künftigen Kommandozentrums, vor allem Strate-gen, Logistiker und mehr Zivilangestellte als jetzt ihren Dienst auf dem Airfield in Erbenheim antreten und mit ihren Familien nach Wiesbaden kommen. Viele Hoffnungen knüpfen sich an diesen Wechsel. Mit einem „Aufschwung der Beziehungen“, rechnet jedenfalls Amerika-freund Hans Bergschwenger fest.

Gottesdienst in der Hainerberg-Chapel: Suche nach spiritueller Kraft

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Das „Weiße Haus“ in WiesbadenDas „Weiße Haus“: 1904 - 1906 ließ Sektmulti Friedrich Wilhelm Söhnlein diese Kopie des amerikanischen Regierungssitzes erbauen. Die hochherrschaftliche Villa sollte seiner Frau Emma Papst, Tochter einer Brauereidynastie aus Wisconsin, über ihr Heimweh hinweg trösten. Bis 1938 lebte die Familie Söhnlein hier, von 1945 bis Mitte der 1990er Jahre nutzte die amerika-nische Militärbehörde das Gebäude. 1954 zog auch der legendäre „Eagle Club“ ins Weiße Haus. Aufwändig restauriert beherbergt es heute ein Café, das in den Sommermonaten geöffnet ist.

Präsidialer Glanz: John F. Kennedy 1962 auf der Durchreise in Wiesbaden.

Die Rock ’n’ Roll Legende: Elvis schaute während seines Militärdienstes 1958-1960 gerne im „Eagle Club“ vorbei.

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Wir treffen Colonel Jeffrey Dill, „Bürger-meister“ der amerikanischen Militär- gemeinde, und Oberbürgermeister Helmut Müller zum Gespräch im Café des Wies-badener „Weißen Hauses“. Die Atmo-sphäre ist locker und persönlich, denn die beiden sind mittlerweile ein einge-spieltes Team.

Colonel Dill, Herr Oberbürgermeister. Der Umzug des amerikanischen Europa-Hauptquartiers nach Wiesbaden hält Sie ganz schön in Atem.Dill: Ja, es ist ein Projekt, das an zwei Orten gleichzeitig stattfindet. Denn wir können nicht einfach unsere Zelte in Heidelberg abbrechen und am nächsten Tag hier starten. Im Moment organisie-ren wir dort den Abzug, bereiten Solda-ten, ihre Familien und die Zivilangestell-ten vor. Aber zur gleichen Zeit müssen wir in Wiesbaden die Infrastruktur für das neue Hauptquartier schaffen, ohne die Menschen, die im Moment hier leben und arbeiten, zu vernachlässigen – vor allem nicht die Angehörigen der Solda-ten, die jetzt noch im Irak-Einsatz sind und die unsere Unterstützung brauchen.Müller: Wir stehen auch vor einer riesigen logistischen Aufgabe. Anfang des Jahres gab es fast wöchentlich einen Spatenstich. Unsere gemeinsame Steuerungsgruppe trifft sich alle sechs Wochen. Dann gibt es viele kleine Pla-nungsgruppen, die für spezielle Themen, zum Beispiel für Grundstücksfragen zuständig sind. Wir haben allein 22 Hek-tar Land getauscht, deutsche Umwelt-standards müssen eingehalten werden, unsere städtische Energiegesellschaft übernimmt die Strom- und Wasserver-sorgung. Es ist ein großes gemeinsames Unternehmen.

Was bedeutet der Standortausbau für Wiesbaden?Müller: Er zeigt die Kontinuität unserer Beziehungen und deswegen bin ich sehr glücklich über diese Standortentschei-

„Wir schlagen ein neues Kapitel auf“colonel jeffrey dill und oberbürgermeister helmut müller über die zukunft der amerikaner in wiesbaden

dung. Schließlich basiert der Wieder-aufbau Wiesbadens nach dem Zweiten Weltkrieg auf Entscheidungen, die die Amerikaner hier getroffen haben. Sie haben Wiesbaden zur hessischen Landes-hauptstadt gemacht, ein Ereignis, das sich dieses Jahr zum 65. Mal jährt.

Ist der Einschnitt, den es nach den Anschlägen des 11. September gab, überwunden?Dill: Wir mussten uns zurückziehen. Das stimmt. Und natürlich können wir auch jetzt nicht alle Tore öffnen. Aber wir wollen unsere Partnerschaft wieder stärken und dabei geht es mir nicht nur um die Arbeitsebene, sondern auch um die persönliche. Ich selbst möchte für die Wiesbadener sichtbar sein. Den letzten Karnevals-umzug habe ich auf dem Balkon des Rathauses mit gefeiert, zum 25-Stunden-Lauf im September habe ich den Start-schuss gegeben. Es gibt so viele Gele-genheiten, die wir nutzen können, und dazu will ich meine Landsleute mo-tivieren. Vor einigen Tagen hat unser Team wieder gegen die Landtagsmann-schaft Fußball gespielt. Leider haben wir diesmal verloren.Müller: Beim Football haben Sie aber haushoch gewonnen.

Dill: Und ich hoffe, dass wir den Fußball-Pokal nächstes Jahr gut poliert zurückbekommen. Müller: Aber Spaß beiseite: Wir haben die Grenzen schon mit unserer 60-Jahr-Feier der Luftbrücke vor zwei Jahren überwinden können. Dieses Jubiläum ist auf ein wahnsinniges Interesse gestoßen. Und man darf nicht vergessen: Einige Housings sind ja offen für uns. Da gibt es keine Zäune. Und viele Amerikaner leben heute schon mitten unter den Wiesbadenern. Wie stellen Sie sich die Zukunft des amerikanischen Wiesbadens vor?Müller: Ich glaube, wir schlagen gerade ein neues Kapitel in unseren Beziehun-gen auf. Denn die Soldaten, die künftig hierher kommen, werden, anders als ihre Landsleute jetzt, während ihrer drei- jährigen Dienstzeit auch wirklich hier leben. Sie und ihre Familien können unsere Stadt dann richtig kennenlernen.Dill: Wiesbaden wird immer ein be- vorzugter Stützpunkt für uns bleiben, egal in welcher Funktion. Und in den zwanzig Monaten, die ich selbst noch als Kommandant hier verbringen werde, möchte ich diesen Standort für die Zukunft weiterentwickeln – eine histo-rische Aufgabe.

Auf einen Kaffee ins „Weiße Haus“: Colonel Jeffrey Dill und Oberbürgermeister Helmut Müller.

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12 Mein Wiesbaden

DER F ILMEMACHER VOLKER SCHLÖNDORFF IM GESPRÄCH

Volker Schlöndorff lässt es auch mit 71 Jahren alles andere als ruhig angehen. Der 1939 in Wies-baden als Sohn eines Arztes geborene Oscar-Preisträger arbeitet gerade an den Drehbüchern für drei verschiedene Filme. Für ein Gespräch über Kindheit und Jugend in Hessen nimmt er sich dennoch Zeit. Wir erreichen ihn nahe Berlin, wo er seit fast zwanzig Jahren lebt. Seine Geburtsstadt, die er noch immer zwei- bis dreimal im Jahr besucht, hat er aber keineswegs vergessen.

DER F ILMEMACHER VOLKER SCHLÖNDORFF IM GESPRÄCH

„Ich fühle mich als Wiesbaden-Biebricher und als Hesse“

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13Mein Wiesbaden

Herr Schlöndorff, Sie sind schon als Jugendlicher auf ein Jesuiten-internat nach Frankreich gegangen, haben in den USA gelebt und sind heute in Berlin zu Hause. Fühlen Sie sich noch als Wiesbadener?Ich fühle mich als Wiesbaden-Biebricher. Zu meinen Kindheitserinnerungen gehören der Schlosspark in Biebrich, das Rheinufer und das Strandbad. Auch meine Jugenderinnerungen sind mit dem Schloss verbunden, wo die Film-bewertungsstelle untergebracht war. Ich bin damals über die Feuerwehrleiter in die Vorführkabine eingedrungen und konnte mir Filme anschauen. Ich fühle mich aber insgesamt mehr als Hesse, weil ich in Schlangenbad im Taunus wirklich aufgewachsen bin.

Sie sind 1944 nach dem Tod Ihrer Mutter von Biebrich nach Schlangenbad umgezogen. In Ihrer Autobiografie schreiben Sie, dass Sie sich noch heute immer wieder an diesen Umzug erinnern. Warum?Wahrscheinlich ist jeder Umzug ein Einschnitt, ein Verlust an Boden-haftung. Dazu fiel mein erster Umzug mit dem Tod meiner Mutter zusammen. Erst in dem Moment, in dem

man weiterzieht, wird einem klar, dass der Verlust

endgültig ist.

Sie bezeichnen sich trotz der Kriegskindheit als „Glückskind“.Kinder haben eine andere Wahrnehmung der Welt. Ich habe keine Kriegserinne-rungen aus den ersten Jahren in Bieb-rich. Bevor es im letzten Kriegsjahr ganz schlimm wurde, sind wir in den Taunus gezogen. Da waren wir fernab von den Gräueln des Krieges.

Wie war nach dem Krieg Ihr Verhältnis zu den US-Soldaten?Die Amerikaner haben uns gezeigt, dass man sich ganz anders verhalten kann, als es die Deutschen gemeinhin taten: Der Umgang miteinander, die Offenheit, die Lockerheit bis hin zum fundamen-talen Demokratieverständnis. Sie haben sehr viel dazu beigetragen, dass Hessen und besonders das Rhein-Main-Gebiet so weltläufig geworden sind.

Ihr Verhältnis zur deutschen Stadt Wiesbaden der 50er Jahre erscheint dagegen gespalten.Als Jugendliche haben wir uns über-haupt nicht wohl gefühlt. Es gab die alten Autoritäten, die alten Sitten. Die Ruhe der Kurgäste durfte nicht gestört werden. Es begann sich eine gutbürgerliche Rentnermentalität einzurichten, die ziemlich kunstfeind-lich war.

War es da zwangsläufig, dass Sie noch als Schüler nach Frankreich gegangen sind?Gegangen bin ich aus Unternehmungs-lust. Dass ich geblieben bin, hatte etwas Vorgegebenes. Wenn man raus war und plötzlich merkte, wie viel offener die Welt woanders war, wollte man nicht unbedingt zurück.

Ist in Frankreich auch Ihr Berufswunsch entstanden?In Wiesbaden hat diesen Wunsch nur keiner ernst genommen. In Frankreich hat der Film dagegen bis heute einen ganz anderen Stellenwert. Ohne diesen Umweg hätte ich es wahrscheinlich nicht für möglich gehalten, aus diesem etwas pubertären Wunsch tatsächlich einen Beruf zu machen.

Wie ist dieser Wunsch überhaupt entstanden?Das war auch Protest und Opposition gegen die gefeierte Hochkultur. Mai-Festspiele, Theaterstadt, Schauspiel – das kam mir alles sehr feierlich, verstaubt und steif vor. Film hatte dagegen für mich unmittelbar mit dem Leben zu tun.

Welche Chancen sehen Sie heute für den Film in Wiesbaden?Ich habe oft das Gefühl, dass Mainz filmoffener ist, von Frankfurt mit dem Filmmuseum gar nicht zu reden. Zum Glück haben wir das Caligari, eine Urzelle des Films. Dort habe ich meine ersten Filme gesehen. Dass es noch existiert und die Stadt es aufrechterhält, finde ich ganz toll.

Für den Oscar-Preisträger ist das Caligari-Kino in Wiesbaden eine „Urzelle des Films“.

Glauben Sie, dass Orte die künstlerische Arbeit beeinflussen?Ganz stark. Meine Jugend im Taunus hat mich sehr in dem Sinne der kleinen Leute dort beeinflusst, keine Höhenflüge zu machen, sondern mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben. Das kann man engstirnig oder bodenständig nen-nen. Der hessische Sinn für die Reali-täten hat mich jedenfalls auch in meiner Arbeit sehr beeinflusst.

Jetzt leben Sie in Berlin. Würden Sie die Stadt als Ihre Heimat bezeichnen?Heimat hebe ich mir für Kindheit und Jugend auf, und die gehört zu Hessen. Alles andere sind Stationen im Leben, da brauche ich keine neue Heimat.

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Ist mit beiden Beinen auf dem Boden geblieben: Volker Schlöndorff am Rande der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2008

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14 Wiesbadener Wirtschaft

Die Kreativen Köpfe

Zahlreiche rankings und preise beweisen es: Wiesbaden muss sich als Kreativstandort nicht verstecken. filmwirtschaft und Buchmarkt

sind fest etabliert, Werbe- und Designagenturen längst mehr als ein Geheimtipp. ein Blick hinter die Kulissen der hiesigen Kreativszene:

Innovativ, unkonventionell, risikofreudig

„Fabrikation seit 1890“ steht über dem Eingangstor. Das Gelände erweckt den Ein­druck, als habe man sich in der Adresse geirrt. Doch der erste Blick täuscht. Im Ambiente der ehemaligen Papierwarenfabrik „Schan­dua & Söhne“ haben sich Filmschaffende zusammen

gefunden. „Wir sind eine Kreativfamilie“, erzählt Stefanie Greb. Sie und ihr Partner Arndt Neckermann haben vor zwei Jahren das rund 1.500 Quadratmeter große Gebäude gekauft, entkernt und saniert. In dem Loft sind jetzt die bei­den Filmproduktionsfirmen

„Greb+Neckermann“ und „halbtotal“, das Tonstudio „sonaris“, ein Drehbuchau­tor und eine Grafikagentur untergebracht.

„Hier ist alles unter einem Dach: Vom Konzept bis zur Postproduction“, sagt Greb. In der Wiesbadener Kreativ­

türöffner der Kreativszene in die Stadt: Die Werbe- und Designspezialisten Stephan Lauhoff (3deluxe), rolf Mehnert (fuenfwerken), Marcus Wenig (Die firma) und Michael volkmer (Scholz&volkmer).

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Wiesbadener Wirtschaft 15

wirtschaft ist die Filmbranche eine feste Größe. Im Medien­park „Unter den Eichen“, produzierte eine UFA­Tochter ihre Nachkriegsstreifen, das ZDF hatte bis 1984 hier seinen Hauptsitz. Rund 80 Krea tiv­firmen und der Fachbereich Medien der Hochschule Rhein­Main sind heute dort ansässig. Mit dem Ende der großen Spielfilmzeit sind die Filmleute in der hessischen Landeshauptstadt auf den Bereich Dokumentar­ und Imagefilm umgestiegen, kleine Unternehmen wie „Selkirk und Heimann“, die es mit ihren Dokumen­tationen ins ARD­Haupt­programm schaffen, oder „Greb+Neckermann“, die neben dem ZDF und SWR auch Wirtschaftskunden wie die Lufthansa bedienen. „Die Anhäufung von Sendern in der Region sorgt dafür, dass viele kleine Produktions­firmen gut in Wiesbaden leben können“, betont Arndt Neckermann.

„Netzwerke wie die ‚FA­BRIKATION‘ sind ein gutes Beispiel für den Unternehmer­geist, der unter Wiesbadens Kreativen herrscht“, findet Wirtschaftsdezernent Detlev Bendel, „in der Stadt herrsche ein reges Gründungsklima.“ Viele Kreative vor allem aus

Innovativ, unkonventionell, risikofreudig

Kreativstandort mit potential. Die fakten: rund 6.000 Menschen, das heißt vier prozent aller Beschäftigten, haben im Jahr 2009 in der Wiesbadener

Kreativwirtschaft gearbeitet. Damit liegt die hessische Landeshauptstadt über dem Bundesdurchschnitt. Überdurchschnittlich ist auch die anzahl der

Unternehmen. 12,4 prozent, das sind circa 1.600 von rund 13.000 aller umsatzsteuerpflichtigen Wiesbadener Unternehmen, zählten 2007 zur Kreativszene.

Dabei fährt der Werbemarkt mit 4,9 Millionen euro pro Unternehmen den größten Umsatz ein, auf platz zwei und drei folgen die Designwirtschaft mit

1,7 Millionen und der pressemarkt mit 1,3 Millionen euro. vor allem dem Werbe- und Kommunikationsdesign trauen experten den aufbau eines Clusters

von nationaler Bedeutung zu. Unter den Standortfaktoren rangieren im rhein-Main-Gebiet mit bis zu neunzig prozent Zustimmung Lebensqualität,

erreichbarkeit und Kommunikationsinfrastruktur ganz oben.*

Die filmschaffenden aus der „fabrikation“ haben elan und den vollen Durchblick. „fabrikationsbesitzer“ sind: Stefanie Greb (unten 3. v. r.) und arndt neckermann (unten 2. v. r.)

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der Werbe­ und Designbran­che kennen sich schon aus Studienzeiten an der heutigen Hochschule Rhein­Main. „Im Vergleich zu bekannteren Kreativstätten wie Frankfurt oder Berlin ist Wiesbaden ein überschaubarer Kosmos“, sagt Marcus Wenig. Der Ge­schäftsführer der Internet­Agentur „Die Firma“ sitzt in seinem Büro in den Räumen der ehemaligen „Städtischen Krankenanstalten“ und er­innert sich an die Anfänge des Unternehmens vor zwölf

Jahren. Zu fünft haben sie damals begonnen, gemein­sam alle „Höhen und Tiefen erlebt“ und mit viel Herzblut die alten Krankenzimmer in moderne Agenturräume ver­wandelt.

16 Mitarbeiter sind es heute, die digitale Kommunikati­onslösungen vor allem im B to B­Geschäft kreieren. Auf dem gleichen Areal sind auch „3deluxe“, eine viel­fach prämierte Grafik­ und Designagentur, und „Scholz

& Volkmer“ vertreten. Letz­tere zählt mit ihren großen Kampagnen für Mercedes Benz oder Coca Cola zu den Marktführern unter Deutschlands Digitalagen­turen. Zum Cluster rund um die Alten Kliniken gehört auch der Marken­Spezialist „Fuenfwerken“.

In Wiesbaden gebe es viele „aktive Netzwerker“, berichtet Robert Mayer, Geschäftsfüh­rer des Softwareunterneh­mens „Weltenbauer“. Von

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zu vermitteln, oder komplexe Sachverhalte aufzubereiten“. Das gelte speziell für gesell­schaftlich relevante Themen wie zum Beispiel Klima, Ernährung und Energie.

„Es geht um kreative Ver­antwortung“, betont auch Hans Reitz. Der 44jährige ist gerade auf dem Sprung zum Flieger nach Russland. Einen Wanderzirkus hat er schon geleitet, fünf Jahre ist er durch Indien gereist bis er sich 1994 mit seiner Event­agentur „circ“ am Medienstandort „Unter den Eichen“ niedergelassen hat. Reitz gehört zu den Großen in diesem Geschäft. Seine Events sind anders, weil er nur mit Unternehmen zusam­men arbeitet, die sich auch ihrer sozialen Verantwortung stellen, ein Ansatz, der Groß­kunden wie E.ON, BASF und Volkswagen überzeugt. 2007 hat er die circ­Tochter „circ

eine Öffnung in die Stadt : „Gerade in Zeiten, in denen wirtschaftliche Interessen stark im Vordergrund stehen, könnte die Kreativbranche positive Impulse setzen“, er­klärt Michael Volkmer. Jedes Jahr veranstaltet der Arbeits­kreis Kreativwirtschaft die Designertage „Access All Areas“, ein Tag der offenen Tür, an dem Agenturen mit ganz unterschiedlichen Profi­len ihre Pforten öffnen: „Veranstaltungen wie diese“, betont Bendel, „fördern die Identifikation der Szene mit der Stadt.“

Zur Standortprofilierung trägt auch die See Conference von „Scholz & Volkmer“ bei, die zuletzt 800 Teilnehmer in die hessische Landeshauptstadt zog, um über die visuelle Ver­arbeitung von Informationen zu diskutieren. „Designer“, sagt Volkmer, „müssen heute neue Wege finden um Inhalte

den „lange gewachsenen persönlichen Kontakten“ profitiert auch sein Betrieb. In einer alten Villa in der Wiesbadener City Ost, die sie gerade frisch bezogen haben, erschaffen Mayer und sein Team interaktive 3­D­Welten, die sich bundesweit gut ver­kaufen. Ein paar Straßen wei­ter schaut Rolf­Günther Hob­beling aus dem Fenster seines Verlagsgebäudes über die Stadt. Der Marketingleiter der „Springer Fachmedien“ ver­tritt eine Branche, die man eher in Frankfurt oder Leipzig verorten würde. Doch der Buchmarkt ist schon seit Jahrzehnten ein stabiles

Standbein der Wiesbadener Kreativwirtschaft. 1.600 Neu­erscheinungen pro Jahr bringt allein „Springer Fach­medien Wiesbaden“ heraus. Zur Verlagsgruppe gehören unter anderem der Gabler­Verlag, Vieweg+Teubner und der VS­Verlag. „Wir bedienen alle Universitäten in ganz Deutschland“, sagt Hobbeling.Wiesbaden, wo jedes Jahr der Deutsche Fachpressekongress stattfindet, sei eine „attrak­tive Stadt“, sagt Hobbeling.Doch manchmal wünsche er sich mehr öffentliches Inte­resse an der Welt der Fach­bücher. Viele in der Krea­tivszene engagieren sich für

rolf-Günther Hobbeling, Marketingchef der „Springer fachmedien“. Die verlagsgruppe bedient alle Universitäten in Deutschland.

eventmanager Hans reitz setzt auf kreative verantwortung.

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responsibility“ gegründet. Beide Unternehmen arbeiten seit Januar 2009 nach den Prinzipien der von Friedens­nobelpreisträger Muhammad Yunus ins Leben gerufenen Idee des „social business“. Mittlerweile bildet „circ respon­sibility“ auch ein Joint Venture mit dem Yunus­Center zum „Grameen Creative Lab“ und soll das Projekt in Europa voran bringen. Auch in Wies­baden hat Reitz eine Initiative angestoßen, zu der neben Grameen unter anderem die Verlagsgruppe Rhein­Main, die European Business School und die Stadt selbst gehören: „Auch wir suchen nach neuen Lösungen für soziale und gesellschaftliche Probleme“,

betont Wirtschaftsdezernent Bendel. Wiesbaden könne, glaubt Reitz, beim Thema „so­cial business“ eine weltweite Pilotfunktion einnehmen. Der hessischen Landeshaupt­stadt will der Weltenbummler die Treue halten. „Ich bin jetzt hier zu Hause“, sagt er. Für die meisten Kreativen steht der Standort nicht zur Dispo­sition. „Wegen der optimalen Lage im Rhein­Main­Gebiet haben wir uns bewusst für Wiesbaden entschieden“, beto­nen Stefanie Greb und Arndt Neckermann. „Wir planen für mindestens zehn Jahre“. Auf den Punkt bringt Marcus Wenig die Vorteile des Stand­orts: „Überschaubar, zentral und sehr lebenswert.“

Wirtschaftsdezernent Detlev Bendel findet: „Wiesbaden ist in der Welt der Kreativen ein Hidden Champion mit großem potential.“

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Das team des 3-D-Spezialisten „Weltenbauer“ schafft ungeahnte perspektiven. Unten Mitte: firmengründer robert Mayer

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u Rheinromantik am Biebricher Schloss: „Es ist völlig ein Mährchen“, schwärmte der Dichter Johann Wolfgang von Goethe nach einem Besuch im August 1814 über den Blick auf Garten und Fluss.

u Gewässer als Kunst-raum: Das weiße Reh von Michael von Brentano spiegelt sich im Teich des Neroparks und ist ein echter Hingucker.

u Im historischen Kurviertel: Aus einem Quellentümpelwurde im 19. Jahrhundert der Kochbrunnen zum schicken Mittelpunkt der Wiesbadener Trinkkur mit Wandelhalle und Tempel. Brunnenmädchen versorgten die Kurgäste mit Heilwasser.

s Mineralische Ablagerungen auf dem Kochbrunnen-Sprin-ger: Die alten Römer formten den Sinter zu „mattiakischen Kugeln“ und schickten sie als Haarfärbemittel in ihre Heimat.

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wellnessfaktor und lebensraum

Diese Vielfalt ist einmalig in EuropaAquis Mattiacis*

Diese Stadt ruht buchstäblich auf Wasser. Wenn sich die Existenz von Wiesbaden auf einen Ursprung zurückführen lässt, dann sind es die 26 heißen Quellen. Der Wasserreichtum hier ist einzigartig. Mehr und mehr macht sich die Stadt daran, diesen Schatz wieder zu heben.

* lat. „den Wassern der Mattiaker [geweiht]“

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Wer an einem kühlen Herbsttag durch das Wiesbadener Zentrum flaniert, sieht vielerorts Dampf aus der Kana-lisation aufsteigen. Seit mindestens 200.000 Jahren brodelt es nach Angaben der Wiesbadener Bädergesellschaft Mattiaqua unter dem Quellenviertel. In 2.000 Meter Tiefe entspringt hier mit einer Temperatur von 67 Grad eines der heißesten Ther-malwässer Europas. Es gibt so genannte Primärquellen, die direkt aus einem unterirdischen Spaltensystem nach oben stei-gen, und „Sekundärquellen“. Sie verzweigen sich erst später im zerklüfteten Gestein. „Egal, wo man den Bohrer ansetzt, man stößt überall auf Thermalwasser“, erklärt Mattiaqua-Chef Jörg Höhler, „diese Vielfalt ist einmalig in Europa.“

Über eine Million Liter heißes Wasser liefern die Wiesbadener Quellen täglich. Die Quellrechte sind schon seit Jahrhunderten

vergeben. „Für mich ist dieses Wasser Natur- und Kulturgut“, sagt Peter Mikkelsen, Chef des Hotels „Schwarzer Bock“ und einer der Quellrechtseigentümer an Wiesbadens berühmtester und ergiebigster Therme, dem Kochbrunnen. Wie das Grand Hotel „Nassauer Hof“ und das Hotel „Zum Bären“ gehört der „Schwarze Bock“ zu den ältesten noch existierenden „Badhäu-sern“ der Stadt. Fasziniert beobachtet der Hotelier, wie viele Wiesbadener noch heute auf die heilende Kraft des ungewöhn-lich salzhaltigen Wassers vertrauen: Als Trinkkur um den Kör-per zu entgiften, als Badekur zur Linderung von Rheuma und Gelenkschmerzen oder zur Inhalation bei Atemwegsbeschwerden.

Ohne die Thermalquellen würde es Wiesbaden nicht geben. Hierin sind sich die Fachleute einig. Gegründet wurde die Stadt im ersten Jahrhundert vom römischen Militär als eine Art

u Schwitzen und Baden der besonderen Art: 1913 erbaut, verbindet die Kaiser-Friedrich-Therme heute moderne Wellness- Angebote mit den Badefreuden des alten Rom und dem Prunk wilhelminischer Zeit. s Alte Quelle in neuem Stil: Die Schützenhofquelle versorgte früher das Gemeindebad und das Badehotel Schützenhof. Man fand hier einen Weihe- stein der Gesundheitsgöttin Sirona und Münzen, von römischen Badegästen, den Quellgöttern geopfert.

v Der Bäckerbrunnen: Heißes Wasser für den Brotteig oder zum Abbrühen der Schweine holten sich früher hier die Bäcker und Metzger. Fünf Pfennig kostete ein 50-Liter-Fass mit Thermalwasser.

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Rehazentrum für die von den Kämpfen gegen die Germanen zermürbten Legionäre. „Aquae Mattiacae“, mattiakische Wasser, nannten die Römer die Stadt. Schon Plinius zählte die Wiesba-dener Quellen zu den „wunderbaren Wässern“. Unter der Herr-schaft der Flavier entstanden rund um den heutigen Kranzplatz riesige Thermen mit Schwitzbädern und Laufbrunnen.

Wiesbadens erste Blütezeit ging zu Ende, als Rom sich 260 n. Chr. vom Limes zurückzog. Erst über 500 Jahre später wird Einhard, der Biograph Karls des Großen, „Wisibada“ in seinen Reisebeschreibungen wieder erwähnen. Um 1300 begann das Geschäft mit dem heißen Wasser erneut. Waren es zunächst Badehäuser, die eine äußerst bescheidene Form der Kur anbo-ten, so entstanden im Laufe der folgenden Jahrhunderte immer mehr und immer großartigere Hotels. Im 19. Jahrhundert kulminierte dieser Trend, als die verschlafene Residenzstadt sich innerhalb weniger Jahrzehnte zum Modebad für Adel und Großbürgertum aus ganz Europa entwickelte. Kaiser und

Könige, Komponisten und Literaten, Bankiers und Fabrikanten: Wer etwas auf sich hielt, traf sich in den Sommermonaten in Wiesbaden, kurte, vergnügte sich und unternahm Ausflüge an den romantischen Rhein. Gewaltige Bauprojekte ließen die Stadt explosionsartig wachsen. Die Einwohnerzahl kletterte innerhalb von 100 Jahren von 7.000 auf 100.000.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs war der Boom vorbei. Der Krieg und die nachfolgende Inflation ließen große Teile von Adel und Bürgertum verarmen. Die mondäne Kundschaft der „Weltkurstadt“ blieb aus. In den folgenden Jahrzehnten ging die Bedeutung der Kur für Wiesbaden mehr und mehr zurück. Die Stadt entwickelte sich zu einem modernen Dienst-leistungszentrum, in dem die heißen Quellen immer weniger genutzt wurden und immer weniger Beachtung fanden.

In der Rückschau scheint es manchmal, als habe Wiesbaden das Wasser, dem es seine Existenz verdankt, zeitweise gar nicht

u Wasserästhetik auch in den Vororten: „Triumph der Galatea“ heißt dieser nach der Göttin des Meeres benannte Brunnen in Biebrich. Er ist ein Geschenk des Zementfabrikanten Eugen Dyckerhoff aus dem Jahr 1900.

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schnell genug verschwinden lassen können. Noch Ende des 18. Jahrhunderts flossen die Bäche mitten durchs Stadtzen-trum. Zahlreiche Wassermühlen wurden mit ihnen betrieben. Doch die Wasserläufe mussten bis auf kleine Teilstücke den Stadterweiterungen und dem Ausbau der Landwirtschaft wei-chen, verschwanden ganz oder wurden in unterirdische Abflüs-se gezwängt. Ein Ende des 19. Jahrhunderts von Städtebauer Josef Brix geschaffenes Kanalsystem erlaubte es, das Abwasser zusammen mit dem Bachwasser und Thermalwasser zu ent-sorgen und in den Rhein zu leiten.

Erst in den letzten Jahren ist ein Prozess des Umdenkens fest-zustellen. Die Stadt erinnert sich mehr und mehr ihrer natür-lichen Schätze. Nicht zuletzt der Wellness-Boom erlaubt einen neuen Blick auf die heißen Quellen. „Es ist alles da. Man muss es nur nutzen“, sagt Karl Nüser, Geschäftsführer des Nassauer Hofes, der seinen Gästen ein eigenes Thermalbad bietet. Brun-nenanlagen wie die in der Wiesbadener Fußgängerzone gele-gene Schützenhofquelle sind in den vergangenen Jahren neu gestaltet, andere saniert worden.

y Freie Natur: Auf seinem Weg von der Quelle in Wies-baden-Naurod bis zum Main ist dies eine der schönsten und ursprünglichsten Stellen am Verlauf des Wickerbachs. Abenteuerlustige Kinder können hier Staudämme bauen, Naturfreunde am plätschernden Bach ein Buch lesen, Wanderer eine Pause einlegen.

t Freies Wasser: An die-sem renaturierten Abschnitt des Wellritzbaches sehen Studenten der Wasserwirt-schaft, wie ein Bachlauf unter natürlichen Bedin-gungen aussieht. Früher floss der einstige „Druden-bach“ bis in die heutige Fußgängerzone. Auf seinem Weg in die Innenstadt soll er an einigen Stellen bald wieder ans Tageslicht kommen.

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In neuer Pracht erstrahlt seit einigen Jahren auch das Kaiser-Friedrich-Bad, eine römisch-irische Therme aus der Zeit des Kaiserreiches. „Die Badegäste kommen aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet hierher“, betont Bäderchef Höhler. Dazu kommt die Nutzung des Thermalwassers als regenerative Energiequelle, etwa zur Beheizung des Rathauses. Die wertvollen Eigenschaften des Kochbrunnenwassers werden heute auch wieder kosmetisch genutzt. Ein Seifenfabrikant stellt inzwischen wieder die einst hoch geschätzte Wiesbadener Kochbrunnenseife her. „Man kann sich immer wieder neu erfinden“, sagt Nüser.

Das wachsende Bewusstsein für den Wert des Wiesbadener Was-sers wird auch im Umgang mit den einst die Stadt prägenden Bachläufen deutlich. „Heute wollen wir diese Gewässer im Stadt-bild wieder sichtbar machen“, betont Ernst Kluge, Renaturie-rungsexperte im Wiesbadener Umweltamt. Ein stärkeres Umwelt-bewusstsein und die zunehmende Hochwasserproblematik haben einen Paradigmenwechsel eingeleitet: „Wir brauchen Bäche, die Platz haben“, sagt der Chemiebauingenieur. „Deswegen ver-suchen wir, ihren historischen Zustand wiederherzustellen“.

Am Wickerbach im Osten Wiesbadens, einem der größten Bachsysteme der Stadt, ist dies schon auf weiten Strecken ge-lungen. Stück für Stück haben sich Kluge und sein Team seit

Beginn der 90er Jahre vorgearbeitet, um ihr Ziel – eine „öko-logisch durchgängige Fließverbindung von der Quelle bis zur Mündung“ – zu erreichen, haben die Bachsohle angehoben, das Bachbett aus seinem Korsett aus Basaltsteinen gelöst und auf diese Weise ein Stück ursprüngliche Landschaft zurückerobert.Eine kleine Oase ist auch rund um das erste renaturierte Teil-stück des Wellritzbaches entstanden. Nachdem eine Projekt-gruppe des Wiesbadener Umweltamts und der Hochschule Rhein-Main ihn aus seinen Betonhalbschalen befreit hat, kann er wieder seinen Weg durch die Auenlandschaft suchen. Erlen, Weiden und besonders widerstandsfähige Seggengrassorten wachsen hier, reinigen das Wasser, stabilisieren mit ihren Wur-zeln Uferböschung und Bachsohle.

„Wir können hier praktisch direkt vor der Haustür vermitteln, wie Gewässer sich in der freien Wildbahn verhalten“, sagt der Wiesbadener Wasserbauingenieur Ernesto Ruiz Rodriguez, der den Wellritzbach als Fließgewässerlehrstrecke und Lehrsaal für seine Studenten nutzt. Auch der Blick des 51jährigen Experten auf das Element Wasser hat sich im Laufe seines Berufslebens grundlegend geändert: „Früher war ein Gewässer für mich ein hydraulisches Ableitungssystem“, sagt er. „Heute begreife ich es als Lebensraum für Pflanzen und Tiere und verstehe, dass es Landschaften miteinander vernetzt.“

u Für die ursprünglich geplante imposante Fontäne reichte der Wasserdruck nicht. Wohl aber für die beiden 1856 entworfenen Kaskaden auf dem Bowling Green vor dem Kurhaus, die zu viel bestaunten Klassikern unter den Springbrunnen geworden sind.

u Seit 2007 gibt es sie wieder. Im 19. Jahr-hundert ein Hit ist die Kochbrunnenseife auch heute ein echter Verkaufsschlager.

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24 Wiesbadener Geschäftsideen

Wie aus Blüten Delikatessen werden

Einfach nur den Anblick blühender Sonnenblumen oder den Duft frischer Rosen zu genießen, ist Anja Quäschning nicht genug. Sie will auch wissen, wie Sonnenblumen oder Rosen schmecken. Und deshalb fängt sie deren Geschmack ein.

die blütensekt-manufaktur

Von weitem ist nur ihr Strohhut zwi-schen den strahlend gelben Blumen zu sehen. Anja Quäschning steht inmitten eines Feldes von Sonnenblumen und hält einen geflochtenen Korb in der Hand, in dem schon einige Blumen lie-gen. Die Wiesbadenerin erntet. An diesem Tag sind es Sonnenblumenblü-ten, an anderen japanische Kirschblüten oder Holunderblüten. Aus den frischen Blüten entstehen später weltweit einzig-artige Delikatessen.

Quäschning ist Gründerin und In- haberin der Deutschen Blütensekt Manu-faktur, die zahlreiche außergewöhnliche Produkte anbietet. Bei ihr gibt es zum Beispiel Blütensirup aus Salbei- oder Echinaceablüte, Zimtblüten- oder Hibis-kusblütensalz, Blütenzucker, aber auch

Holunderblütensekt. Rund 120 Bio-Pro-dukte bietet Quäschning an.

Gegründet hat die promovierte Bio-login ihr Unternehmen im Jahr 2004. Doch geweckt wurde ihre Liebe zu Blüten und deren Geschmack schon in ihrer Kindheit – durch den Holunderblütensirup ihrer Großmutter. „Der war köstlicher als alles andere“, erinnert sich Quäschning. Doch die alte Dame hinterließ nach ihrem Tod kein Rezept. Also machte sich die Enkelin daran, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen – mit Erfolg. Und nach jahrelanger Freizeitbeschäftigung mit Blüten entschloss sie sich, ihr Hobby zum Beruf zu machen.

Für diese Geschäftsidee bekam sie im Jahr 2005 sogar den hessischen Gründerpreis. Fünf Jahre später führt

sie ein Kleinunternehmen mit fünf festen Mitarbeitern und zahlreichen Helfern, die sie vor allem zur Erntezeit von März bis Oktober unterstützen. Diese Zeit bedeutet nicht nur enorm viel Arbeit, sondern erfordert oft auch sehr schnelle Reaktio-nen. Denn die Pflanzen stehen nicht zu einem festen Stichtag in der Blüte – und dann manchmal nur für kurze Zeit, wie etwa die japanische Kirsche. „Sie ent-faltet nur fünf Tage im Jahr ihr volles Aroma“, erklärt Quäschning.

Insgesamt rund 60 Blüten haben sich bislang als geeignet erwiesen, um daraus zum Beispiel Sirup oder Salz her-zustellen. Denn beileibe nicht alles, was schön blüht, muss auch gut schmecken. Mit 450 Blüten habe sie bislang schon experimentiert, sagt Quäschning. In den

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meisten Fällen scheitern also die Versuche, den Geschmack der Natur einzufangen.

Doch wie gelingt es überhaupt, Kirsch-blütensirup, Rosenblütensalz oder Holunder-blütensekt herzustellen? An diesem Punkt gibt sich die sonst so offene Firmenchefin zugeknöpft. Nur in Umrissen lässt sie durch-blicken, wie ihre Produkte entstehen: Nach der Ernte kommen etwa die Blüten, aus denen Sirup entstehen soll, für einige Wo-chen oder gar Monate in kaltes Quellwasser. Der daraus entstehende Extrakt wird für den Sirup mit Zitronensäure und Zucker ver-mischt, den zuckerfreien Extrakt mit seinem intensiven Aroma nutzen zum Beispiel Spit-zenköche. Chemie, versichert Quäschning, sei an keiner Stelle im Spiel. Und wie ge-lingt es dann? Geheimnisvoll antwortet sie darauf nur: „Ich überrede die Blüten, dass sie mir ihr Aroma schenken.“

Blütensalze wiederum entstehen, indem die Blüten nach einem ebenfalls geheimen Verfahren mit Salz vermischt werden. Ein Aushängeschild und zugleich Namensgeber

Nicht nur ein Genuss für die Augen: Anja Quäschning und ihre Mitarbeiter erschaffen aus Blüten einzig-ar tige Delikatessen wie Blütensirup. In der Deutschen Blütensekt Manufaktur ist Handarbeit gefragt.

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ihres Unternehmens ist der Blütenschaum-wein: Durch die so genannte Versektung von frischen Holunder- oder Rosenblüten mit Champagnerhefe entsteht, völlig ohne Trauben, Blütensekt. Elf Jahre tüftelte Quäschning, bis sie die perfekte Rezeptur für ihren Holunderblütensekt gefunden hatte.

Am Ende ihrer Pläne ist sie aber noch lange nicht. Während ihre Produkte bislang vor allem in ausgewählten Einzelhandelsge-

schäften zu finden sind oder direkt in die Gastronomie gehen, bietet sie seit diesem Jahr auf ihrer Internetseite www.blueten-sekt.de auch die Online-Bestellung an. Vor allem aber sucht sie noch immer neue Blü-ten, denen sie ihren Geschmack entlocken kann. Deshalb ist vor ihr auch kein Blumen-strauß sicher, wie sie offen zugibt: „Wenn ich die Blüten noch nicht probiert habe, nehme ich jeden Strauß auseinander.“

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24. November 2010 – 9. Januar 2011 „Eiszeit“ am Staatstheater

Ein weiteres Glanzlicht ist die „ESWE-Eiszeit“ mit ihrer rund 800 Quadratmeter großen Eisbahn. Am Warmen Damm vor dem Hessischen Staatstheater unterhält ein abwechs-lungsreiches Programm mit Eis- disco, Themenabenden und Eisstock-schießen Jung und Alt. Winterlich-weihnachtlich dekorierte Stände mit Glühwein und vielen Leckereien sorgen rund um das Eisvergnügen für das leibliche Wohl.

26 Veranstaltungen und Feste

Die kalte Jahreszeit steht vor der Tür – kein Grund um Trübsal zu blasen. Die Stadt Wiesbaden hat für Kunstinteressierte, Sportbegeisterte und diejenigen, die die Vorweihnachtszeit genießen und das Jahr stilvoll beenden wollen, ein abwechslungsreiches Programm vorbereitet. Das bietet die hessische Landeshauptstadt im Herbst und Winter:

Herbst und Winter in Wiesbaden

31. Oktober 2010 – 27. Februar 2011 Ausstellung „Das Geistige in der Kunst – Vom Blauen Reiter zum Abstrakten Expressionismus“

Die Ausstellung im Museum Wiesbaden spannt den Bogen von der Geburtsstunde des Expressionismus in Murnau über die Kunst im Umfeld des Blauen Reiters in München und die Werkentwicklung der Hauptakteure in den 1920er Jahren bis hin zur Brückenfunk-tion der Blauen Vier (Feininger, Jawlensky, Kandinsky, Klee) für die Verbreitung dieser Ideen in den USA und deren Auswirkungen auf die Kunst der Nachkriegszeit.

Passend zu dieser Veranstaltung bietet die Wiesbaden Marketing GmbH eine Pauschale ab 62,00 € pro Person im Doppelzimmer.

1. November 2010 – 28. Februar 2011 LEGO-Ausstellung

Unter dem Motto „Design in Stein“ zeigt René Hoffmeister die größte mobile LEGO-Ausstellung Deutschlands im Wiesbadener Marktkeller. Zu sehen sind

spektakuläre Exponate von einer über drei Meter hohen Saturn-Rakete bis hin zu einem LEGO-Mosaik des Berliner Gendarmenmarktes – eine Schau, die Erwachsene und Kinder gleichermaßen begeistert. Sie können hier Live-Modell-bau erleben, an Wettrennen mit einem selbst gebauten LEGO-Zug teilnehmen oder einfach den Ausflug in die faszi-nierende Welt der kleinen bunten Steine genießen.

Ergänzt werden kann der Besuch der LEGO Ausstellung mit einem Pauschal- angebot ab 61,50 €.

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23. November – 23. Dezember 2010 Sternschnuppen Markt

Der Wiesbadener Schloßplatz ist die malerische Kulisse für den Sternschnuppen Markt. Durch vier sternengeschmückte Lilien-Tore gelangt man in eine weihnachtliche Welt mit gold-blauen Markt-ständen, in der Kunsthandwerker und Speziali-tätenhändler ihre Waren anbieten oder teilweise direkt vor Ort anfertigen. Den stimmungsvollen Auftakt am 23. November sollte man auf keinen Fall verpassen. Das vorweihnachtliche Begleit- programm mit Chören, Krippenspielen, Turm- bläsern, Konzerten und Märchenerzählungen macht die ganz besondere Stimmung perfekt.

Damit Sie den Sternschnuppen Markt in vollen Zügen genießen können, bietet Ihnen die Wiesbaden Marketing GmbH ein Pauschalangebot ab 59,50 € pro Person im Doppelzimmer an.

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l eine Übernachtung in einem Hotel der Standard-Kategorie inklusive reichhaltigem Frühstück

l ein Überraschungspräsent l ein Wiesbaden-Infopaket l ein Dumont Reiseführer Wiesbaden

Anreise: ganzjährig; täglich möglichBuchbarkeit: bis 8 Tage vor Anreise; auf Anfrage und nach Verfügbarkeit Preis: ab 49,50 € (pro Person im DZ)

Buchungsanfragen / Reservierung: Wiesbaden Marketing GmbH– Tourist Service –Postfach 60 50 | 65050 WiesbadenTel.: 0611 – 17 29 777Fax: 0611 – 17 29 [email protected]

Dieses Paket bildet eine attraktive Grundlage für ein ganz persönliches Wiesbaden-Erlebnis!

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Die Wiesbaden Marketing GmbH bietet den Besuchern ein breit gefächertes Angebot an Pauschalen und Leistungs- bausteinen an, die der Gast ganz individuell zusammenstellen und hinzu buchen kann. Informieren Sie sich im Internet unter www.wiesbaden.de/individualangebote Monatlich informiert der Tourist- Newsletter über aktuelle touristische Angebote, Veranstaltungen, Ausflugs- möglichkeiten sowie vielseitige Pauschal- arrangements und gibt Tipps für den nächsten Wiesbaden-Aufenthalt. Eine kostenfreie Registrierung ist unter www.wiesbaden.de/newsletter möglich.

Veranstaltungen und Feste

31. Dezember 2010 Silvester im Kurhaus Wiesbaden

Stilvoll speisen, flanieren und tanzen: Im histori-schen Kurhaus können Sie stimmungsvoll ins Jahr 2011 hinein feiern. Im eleganten Ambiente des Foyers, des Friedrich-von-Thiersch-Saals und vieler anderer Räume findet hier jedes Jahr eine große Silvester-Feier statt, die Gourmets, Partybegeisterte und Freunde von Live-Musik auf ihre Kosten kom-men lässt. Zum Höhepunkt der Veranstaltung gibt es traditionell ein musikalisches Höhenfeuerwerk.

Auch in diesem Jahr bietet die Wiesbaden Marketing GmbH ein attraktives Pauschalangebot ab 101,00 € pro Person im Doppelzimmer an.

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Das Geistige in der Kunst

Museum WiesbadenFriedrich-Ebert-Allee 2, 65185 Wiesbaden, Tel 0611/335 2250, Di 10-20, Mi-So 10-18 Uhr31. Oktober 2010 27. Februar 2011

Vom Blauen Reiter zum Abstrakten Expressionismus

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