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Kartenhaus im Pasquart Die Künstlerin Andrea Heller zeigt ihre neue Installation. Kultur – Seite 9 Seit 1850 die Zeitung für Biel und das Seeland Nr. 155 AZ 2500 Biel Faszinierender «Chnopf» Zwei Artistinnen erzählen, warum sie mitmachen. Region – Seite 5 Samstag 6. Juli 2019 CHF 4.20 www.bielertagblatt.ch Raus aus der Stadt Wie ein Paar den Traum von einer eigenen Farm lebt. Kontext – Seite 33 Redaktion Robert-Walser-Platz 7, 2502 Biel 032 321 91 11 [email protected] Abo Service Tel. 0844 80 80 90 [email protected] www.bielertagblatt.ch/abo Inhalt Agenda/Kino 12/13 Wetter/Rätsel 14 TV+Radio 18/19 Todesanzeigen 7 Stellenmarkt 15-17 Immomarkt Di/Do Verlag W. Gassmann AG Längfeldweg 135 2501 Biel Inserate Gassmann Media AG [email protected] www.gassmannmedia.ch Berner Jura Er wollte in 60 Tagen mit dem Töff um die Welt. Nach einem Unfall muss Marc Suter aus Diesse aufgeben. Kanton Bern – Seite 6 Übersicht Pilatus Der Bundesrat muss sich Kritik vom Flugzeugbauer aus Nidwalden anhören. Schweiz – Seite 10 Uhrencup beginnt, der Rechtsstreit dauert an Fussball Am Dienstag beginnt mit dem Spiel FC Luzern gegen Crys- tal Palace der diesjährige Uhren- cup. Co-Veranstalter Thomas Grimm sagt, es werde zuneh- mend schwieriger, das traditions- reiche Fussball-Vorbereitungstur- nier zu organisieren. Das letztjäh- rige Turnier während des WM- Sommers habe Substanz gekostet, die Reserven seien aufgebraucht. Im Hintergrund dauert der Rechtsstreit um den Besitz an der Marke «Uhrencup» an. Das Amts- gericht Solothurn-Lebern hat ein erstes Urteil gefällt: Die Uhrencup & Event GmbH darf noch nicht gelöscht werden. Für Sascha Rue- fer ist dies ein erster Schritt, die Übertragung des Markenrechts an die Stadt Grenchen rückgängig zu machen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. tg Wirtschaft Seite 8 Sport Seite 21 Nach 24 Jahren Kündigung erhalten Squash Der Squash Club Biel muss die Räumlichkeiten im Zeughaus spätestens bis in einem Jahr verlassen. Das Bundes- amt für Sport (Baspo), via Bund Eigentü- merin des Gebäudes, beansprucht den Platz für andere Zwecke. Der Bieler Squash Club ist seit 24 Jahren im Zeughaus einquartiert. Ein neues Zuhause zu finden, ist ein schwieriges Unterfangen. bil Sport Seite 20 Kehrtwende bei der Finanzierung Behinderte Menschen mit einer Behinde- rung und nicht mehr Institutionen sollen künftig im Kanton Bern finanzielle Unter- stützung erhalten. Dazu hat der Kanton jahrelang an einem eigenen Abklärungs- system getüftelt, was politisch umstritten war. Nun lässt er dieses zugunsten eines anderen Systems fallen. Damit will er die Mehrkosten drastisch senken. sar Kanton Bern Seite 7 Büren Im Häftli zieht ein Kornkreis derzeit massenhaft Touristen an. Landwirtin Fabienne Wyder weiss nicht so recht, was sie von dem Phänomen halten soll. Ob von Menschen gemacht oder von Ausserirdischen geschaffen: Für die Büre- ner Landwirtin Fabienne Wyder ist klar: «Der Kornkreis ist etwas Schönes.» Den- noch wird deswegen ein Teil der Weizen- ernte unbrauchbar. Derweil zieht der Kreis scharenweise Besucherinnen und Besu- cher von Nah und Fern ins Häftli bei Bü- ren. Die meisten sind davon überzeugt, dass der Kreis mit dem Mandala-Muster das Werk von «unheimlich starken Ener- gien ist», wie sich ein Mann aus Tavannes ausdrückt. bjg Region Seite 3 Kornkreis zieht weite Kreise Würdigung Wer war Florijana Ismaili? Erinnerungen an die verstorbene Fussballerin im Nachruf. Sport – Seite 23 Jetzt gibts auch Paprika im «Pintli» Meienried Heute feiert das Meien- ried-Pintli Wiedereröffnung. Ab 14 Uhr begrüssen der neue Pächter, Csaba Hamori, zusammen mit sei- nem Bruder die Gäste mit einem Buffet mit kalten und warmen Speisen. Die Brüder stammen aus Ungarn und wollen auch ungari- sche Spezialitäten servieren. bjg Region Seite 2 Biel und Freiburg sind zweisprachig. Doch ein genauerer Blick zeigt: Der Bilinguismus wird in den beiden Städten recht unter- schiedlich gelebt. Vor allem auf politischer Ebene ficht die deutschsprachige Minder- heit, die in Freiburg etwa 20 Prozent aus- macht, langwierige Kämpfe aus: für die Umbenennung des Bahnhofs in Fri- bourg/Freiburg, für zweisprachige Stras- senschilder, für bilinguen Schulunterricht. Ein wichtiger Kampf ist letztes Jahr ver- loren gegangen: Die Stadtregierung ent- schied sich gegen die Einführung von Deutsch als zweite Amtssprache. Histori- ker und Mehrsprachigkeitsexperte Bern- hard Altermatt zeigt sich allerdings opti- mistisch, dass sich dieser Status in naher Zukunft ändert: Die Stadt plant nämlich eine Fusion mit acht Nachbargemeinden. Diese sind zwar französischsprachig. Aber trotzdem würde auch der nominelle Anteil der Deutschsprachigen zunehmen. «Eine solche Gemeinde kann gar nicht anders als zweisprachig sein», sagt Altermatt. Einer, der die Situation in Freiburg auch aus eigener Erfahrung kennt, ist der Jour- nalist Rainer Schneuwly. Am Montag feiert sein neues Buch «Bilingue» Vernissage, in dem er den Umgang mit der Zweispra- chigkeit in Freiburg und Biel vergleicht und die unterschiedlichen Gemütslagen auch mittels historischer Exkurse erklärt. Ein Französischsprachiger in Biel habe es besser als eine Deutschsprachige in Frei- burg, sagt er: «Die Zweisprachigkeit ist in den Köpfen in Biel viel besser verankert als in Freiburg.» Das ist aber auch eine Folge vergangener Kämpfe und teils breit abge- stützter Efforts. Dies zeigte sich gerade diese Woche wieder, als der Bund auf die Forderung nach zweisprachigen Verkehrs- schildern auf dem A5-Ostast einging – selbst wenn laut Schneuwly an dessen Ur- sprung ein Bieler Versäumnis steht. Jeden- falls müsse man sich die Zweisprachigkeit einiges kosten lassen, so der Autor. In Biel sind es mehrere Millionen Franken pro Jahr. Der Gewinn daraus? Nicht nur der Sprachfrieden, sondern auch eine höhere Attraktivität im Vergleich mit anderen Städten ähnlicher Grösse. ab/tg Kontext Seiten 25 bis 29 Wie zweisprachig ist Freiburg? Bilinguismus Eine Reise an die Saane zeigt: Deutschfreiburger kämpfen für ihre Minderheitenrechte. heute: Espace- Stellenmarkt Freiburg ist tendenziell französisch geprägt. Doch in der Stadt leben rund 20 Prozent Deutschsprachige. Eine spezielle Situation findet sich in der Unterstadt. MATTHIAS KÄSER

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Kartenhaus im PasquartDie Künstlerin Andrea Hellerzeigt ihre neue Installation.

Kultur – Seite 9

Seit 1850 die Zeitung für Biel und das Seeland

Nr.15

5AZ

2500

Biel

Faszinierender «Chnopf»Zwei Artistinnen erzählen,warum sie mitmachen.

Region – Seite 5

Samstag6. Juli 2019CHF 4.20

www.bielertagblatt.ch

Raus aus der StadtWie ein Paar den Traum voneiner eigenen Farm lebt.

Kontext – Seite 33

RedaktionRobert-Walser-Platz 7, 2502 Biel032 321 91 [email protected]

Abo ServiceTel. 0844 80 80 [email protected]/abo

InhaltAgenda/Kino 12/13Wetter/Rätsel 14TV+Radio 18/19

Todesanzeigen 7Stellenmarkt 15-17Immomarkt Di/Do

VerlagW. Gassmann AGLängfeldweg 1352501 Biel

InserateGassmann Media [email protected]

Berner Jura Er wolltein 60 Tagen mit demTöff um die Welt.Nach einem Unfallmuss Marc Suter ausDiesse aufgeben.Kanton Bern – Seite 6

Übersicht

Pilatus Der Bundesratmuss sich Kritik vomFlugzeugbauer ausNidwalden anhören.Schweiz – Seite 10

Uhrencup beginnt,der Rechtsstreitdauert anFussball Am Dienstag beginnt mitdem Spiel FC Luzern gegen Crys-tal Palace der diesjährige Uhren-cup. Co-Veranstalter ThomasGrimm sagt, es werde zuneh-mend schwieriger, das traditions-reiche Fussball-Vorbereitungstur-nier zu organisieren. Das letztjäh-rige Turnier während des WM-Sommers habe Substanz gekostet,die Reserven seien aufgebraucht.Im Hintergrund dauert derRechtsstreit um den Besitz an derMarke «Uhrencup» an. Das Amts-gericht Solothurn-Lebern hat einerstes Urteil gefällt: Die Uhrencup& Event GmbH darf noch nichtgelöscht werden. Für Sascha Rue-fer ist dies ein erster Schritt, dieÜbertragung des Markenrechtsan die Stadt Grenchen rückgängigzu machen. Das Urteil ist nochnicht rechtskräftig. tgWirtschaft Seite 8Sport Seite 21

Nach 24 JahrenKündigung erhaltenSquash Der Squash Club Biel muss dieRäumlichkeiten im Zeughaus spätestensbis in einem Jahr verlassen. Das Bundes-amt für Sport (Baspo), via Bund Eigentü-merin des Gebäudes, beansprucht denPlatz für andere Zwecke. Der BielerSquash Club ist seit 24 Jahren im Zeughauseinquartiert. Ein neues Zuhause zu finden,ist ein schwieriges Unterfangen. bilSport Seite 20

Kehrtwendebei der FinanzierungBehinderte Menschen mit einer Behinde-rung und nicht mehr Institutionen sollenkünftig im Kanton Bern finanzielle Unter-stützung erhalten. Dazu hat der Kantonjahrelang an einem eigenen Abklärungs-system getüftelt, was politisch umstrittenwar. Nun lässt er dieses zugunsten einesanderen Systems fallen. Damit will er dieMehrkosten drastisch senken. sarKanton Bern Seite 7

Büren Im Häftli zieht ein Kornkreisderzeit massenhaft Touristen an.Landwirtin Fabienne Wyder weiss nichtso recht, was sie von dem Phänomenhalten soll.

Ob von Menschen gemacht oder vonAusserirdischen geschaffen: Für die Büre-ner Landwirtin Fabienne Wyder ist klar:«Der Kornkreis ist etwas Schönes.» Den-

noch wird deswegen ein Teil der Weizen-ernte unbrauchbar. Derweil zieht der Kreisscharenweise Besucherinnen und Besu-cher von Nah und Fern ins Häftli bei Bü-ren. Die meisten sind davon überzeugt,dass der Kreis mit dem Mandala-Musterdas Werk von «unheimlich starken Ener-gien ist», wie sich ein Mann aus Tavannesausdrückt. bjgRegion Seite 3

Kornkreis zieht weite Kreise

Würdigung Wer warFlorijana Ismaili?Erinnerungen andie verstorbeneFussballerin imNachruf.Sport – Seite 23

Jetzt gibts auchPaprika im «Pintli»Meienried Heute feiert das Meien-ried-Pintli Wiedereröffnung. Ab 14Uhr begrüssen der neue Pächter,Csaba Hamori, zusammen mit sei-nem Bruder die Gäste mit einemBuffet mit kalten und warmenSpeisen. Die Brüder stammen ausUngarn und wollen auch ungari-sche Spezialitäten servieren. bjgRegion Seite 2

Biel und Freiburg sind zweisprachig. Dochein genauerer Blick zeigt: Der Bilinguismuswird in den beiden Städten recht unter-schiedlich gelebt. Vor allem auf politischerEbene ficht die deutschsprachige Minder-heit, die in Freiburg etwa 20 Prozent aus-macht, langwierige Kämpfe aus: für dieUmbenennung des Bahnhofs in Fri-bourg/Freiburg, für zweisprachige Stras-senschilder, für bilinguen Schulunterricht.

Ein wichtiger Kampf ist letztes Jahr ver-loren gegangen: Die Stadtregierung ent-schied sich gegen die Einführung von

Deutsch als zweite Amtssprache. Histori-ker und Mehrsprachigkeitsexperte Bern-hard Altermatt zeigt sich allerdings opti-mistisch, dass sich dieser Status in naherZukunft ändert: Die Stadt plant nämlicheine Fusion mit acht Nachbargemeinden.Diese sind zwar französischsprachig. Abertrotzdem würde auch der nominelle Anteilder Deutschsprachigen zunehmen. «Einesolche Gemeinde kann gar nicht anders alszweisprachig sein», sagt Altermatt.

Einer, der die Situation in Freiburg auchaus eigener Erfahrung kennt, ist der Jour-

nalist Rainer Schneuwly. Am Montag feiertsein neues Buch «Bilingue» Vernissage, indem er den Umgang mit der Zweispra-chigkeit in Freiburg und Biel vergleichtund die unterschiedlichen Gemütslagenauch mittels historischer Exkurse erklärt.Ein Französischsprachiger in Biel habe esbesser als eine Deutschsprachige in Frei-burg, sagt er: «Die Zweisprachigkeit ist inden Köpfen in Biel viel besser verankert alsin Freiburg.» Das ist aber auch eine Folgevergangener Kämpfe und teils breit abge-stützter Efforts. Dies zeigte sich gerade

diese Woche wieder, als der Bund auf dieForderung nach zweisprachigen Verkehrs-schildern auf dem A5-Ostast einging –selbst wenn laut Schneuwly an dessen Ur-sprung ein Bieler Versäumnis steht. Jeden-falls müsse man sich die Zweisprachigkeiteiniges kosten lassen, so der Autor. In Bielsind es mehrere Millionen Franken proJahr. Der Gewinn daraus? Nicht nur derSprachfrieden, sondern auch eine höhereAttraktivität im Vergleich mit anderenStädten ähnlicher Grösse. ab/tgKontext Seiten 25 bis 29

Wie zweisprachig ist Freiburg?Bilinguismus Eine Reise an die Saane zeigt: Deutschfreiburger kämpfen für ihre Minderheitenrechte.

heute:

Espace-

Stellenmarkt

Freiburg ist tendenziell französisch geprägt. Doch in der Stadt leben rund 20 Prozent Deutschsprachige. Eine spezielle Situation findet sich in der Unterstadt. MATTHIAS KÄSER

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Kontext Der zweite Bund des Bieler Tagblatts

Bieler Tagblatt | Samstag, 06.07.2019

Die 31-Jährige stammt aus Schmitten imSensebezirk. Ihr erster Kontakt mit denwelschen Freiburgern verlief eher harzig:Binz kam nach Freiburg ans deutschspra-chige Collège, also ans Gymnasium: «Dalernte ich Französisch und musste es auchanwenden, nur schon, um mir das Mittag-essen zu kaufen.» Es sei frustrierend ge-wesen, eine Abfuhr zu kriegen oder korri-giert zu werden, bloss weil sie den Satznicht perfekt ausgesprochen habe.

Heute, findet sie, beherrsche sie Fran-zösisch immer noch nicht «mega gut»,aber die Motivation sei gross, die Spra-che zu lernen. So spielt sie zum Beispielals einzige Deutschsprachige in einemwelschen Volleyballteam.

«Vous parlez allemand?», pflege sie ineinem Geschäft zu fragen. Besonders inErinnerung bleibt ihr ein Besuch imSwisscom-Shop: «Als ich versuchte, mitder Beraterin deutsch zu sprechen,brach sie in Tränen aus.»

Insbesondere seitens Welschfreibur-gern vom Land verspüre sie mangelsKenntnissen Ablehnung und Angst vorder deutschen Sprache. «Im KantonFreiburg ist der Röstigraben sehr prä-sent», sagt sie. Bei solchen Begegnun-gen empfinde sie sich als privilegiert.Deshalb sei sie in sprachpolitischenFragen weniger emotional, anders alsviele in ihrem Umfeld: «Ich findeschon, dass die Stadt bei der Zweispra-chigkeit vorwärtsmachen sollte. Abergleichzeitig bin ich auch froh, dass ichgezwungen werde, Französisch zu ler-nen.»

«Ein echter Stadtfreiburger»Ehe sie wieder zur Arbeit muss, emp-fiehlt sie ihren Kollegen, Moderationslei-ter Marc Henninger, als Gesprächspart-ner. Der sei ein «echter Stadtfreiburger,

Andrea Butorin

Fribourg/Freiburg: Von Biel aus ist dieStadt an der Saane in 63 Minuten Zug-fahrt zu erreichen. Biel-Zürich dauert70 Minuten. Doch geht es um Ausgang,Shopping oder Kultur, scheint Zürichfür Seeländer um Meilen näher zu lie-gen. Dabei wäre Freiburg eigentlich dieperfekte Partnerstadt für Biel, geltendie beiden Städte doch als die einzigenzweisprachigen Städte der Schweiz.Wobei Biel meist als «echt bilingue»oder zumindest als «bilinguer als Frei-burg» beschrieben wird.

Biel wurde 1952 offiziell für zwei-sprachig erklärt. Anders Freiburg: «Ob-wohl die Zähringerstadt seit ihrer Grün-dung im Jahr 1157 stets zweisprachigwar, ist ihr amtlicher Name nach wie vor‹Ville de Fribourg›.

Denn die Freiburger Behörden habenbisher Freiburg nicht formell zweispra-chig erklärt», schreibt Rainer Schneuwlyin seinem brandneuen Buch «Wie Frei-burg und Biel mit der Zweisprachigkeitumgehen» (siehe Interview ab Seite 28).Vielmehr pflege die Stadt eine «pragma-tische Zweisprachigkeit». Was bedeutetdas und wie zweisprachig ist Freiburgwirklich?

In 63 Minuten gibt es Antworten aufdiese Frage.

«Essayez-moi» – «Probier’s einfach»Fribourg/Freiburg: Ein erstes Politikumbegegnet einem gleich am Bahnhof. 50Jahre dauerte es, bis dieser im Jahr 2012nach dem erstmals geäusserten Begeh-ren der Deutschfreiburger in beidenSprachen angeschrieben wurde. Wervorher nach Freiburg wollte, kam stets inFribourg an.

Auf dem Bahnhofplatz singt ein Stras-senmusiker direkt unter der Bustafel«Fribourg/Freiburg Place de la Gare»auf Englisch, eine Stele von FreiburgTourismus sagt Touristen zwei- (abernicht drei)sprachig, wo’s langgeht, undviolette Mietvelos locken Kundschaft an:«Essayez-moi», steht auf einem, «Pro-bier’s einfach» auf dem anderen.

Wer vom Bahnhof aus die Stadt erkun-det, steigt kontinuierlich in die Altstadthinab. Mit Fokus auf die Sprachen fälltsowohl Zweisprachiges als auch Einspra-chiges auf: Der Geigenbauer und dieZahnklinik werben auf Deutsch undFranzösisch, während der touristischeWegweiser «Musée suisse de la machineà coudre» deutschsprachige Fans vonNähmaschinen aussen vor lässt. Und wa-rum ist die «Rue de Romont» nur aufFranzösisch angeschrieben, die «Rue deLausanne» dagegen auch mit «Lausanne-gasse»?

«Nirgends im Vergleich zu Biel»Um Freiburgs Zweisprachigkeit besserzu verstehen, wird es Zeit, Insider beizu-ziehen. Diese sind bei «Radio Freiburg»zu finden. Wie «Canal 3» existiert derSender einmal auf Deutsch, einmal aufFranzösisch. Im März dieses Jahres zogdie Redaktion in den neuen Mediaparc

«Grüessech, chöit dir Dütsch?»In Freiburg leben rund 20 Prozent Deutschsprachige. Seit Jahrzehnten kämpfen sie für eine stärkere Zweisprachigkeit. Währenddie Stadtregierung sich bislang gegen die Einführung von Deutsch als zweite Amtssprache sträubt, leben die Unterstädter denBilinguismus auf ihre eigene Art – sie bolzen.

Titelgeschichte

Fortsetzung auf Seite 26

um. Dieser befindet sich in ... wie hiessdas noch gleich? Gute Gelegenheit füreinen Sprachtest. «Grüessech, redet DirDütsch?» – «Ein bisschen», sagt der Ange-stellte von Transports publics fribour-geois (TPF) und erklärt auf Hochdeutsch,dass Bus Nummer 5 zur Endstation Nuit-honie in Villars-sur-Glâne und damitzum Mediaparc fährt.

«Grüessech, chöit Dir Dütsch?» DerBusfahrer mit portugiesischem Namenschüttelt beim Sprachtest Nummer 2bloss den Kopf. «Hochdeutsch?» – «Non,que français». Ebenfalls nur welschscheinen die Abfallsünder zu sein: «Lesbus ne sont pas des poubelles!», teilt TPFmittels Plakat mit. Das benachbarte Pla-

kat wendet sich an potenzielle Überset-zer: «L’ALLEMAND, comme j’ai toujoursvoulu l’apprendre!»

Bei «Radio Freiburg» angekommen,hat Moderatorin Anna Binz gerade Zeitfür einen Kaffee. «Anna, ist Freiburg einezweisprachige Stadt?» – «Nein», sagt diedunkelhaarige Deutschfreiburgerin, «imVergleich zu Biel sind wir nirgends.»Doch obwohl die Zweisprachigkeit insti-tutionell nicht verankert ist, sei sie in vie-len Bereichen mittlerweile umgesetzt.Früher hätten die französischsprachi-gen Medienmitteilungen «Radio Frei-burg» Schwierigkeiten bereitet, inzwi-schen gebe die Stadt Communiqués inbeiden Sprachen heraus.

Freiburg war – anders als Biel – schon bei der Stadtgründung im Jahr 1157 zweisprachig. MATTHIAS KÄSER

Marc Henninger von Radio Freiburg.Anna Binz von Radio Freiburg. Christina Tschopp, angehende Lehrerin.

An das Gute glaubenMenschen sehen den Zustand der Welt negativerals er tatsächlich ist, wie Theologe HermannSchwarzen erklärt.

Seite 31

Das Gleichgewicht suchenNicht wenige träumen ab und an von einemeigenen Bauernhof. Doch was bedeutet es, wennman den Schritt tatsächlich wagt? Die Filmkritik.

Seite 33

Im See blubbernDie erste Hitze ist gekommen. Endlich ist es Zeit,ins Wasser zu tauchen. Wie Badelustige diesenMoment geniessen, zeigt unser Bilderbogen.

Seite 30

ein Unterstädter» und sehe das alles be-stimmt anders.

Abgesehen vom Flair der bilinguenUnterstadt sei Freiburg nicht zweispra-chig, findet allerdings auch Henninger.Grund: «Die Welschen haben kein Inte-resse daran, Deutsch zu lernen.» Er istder Meinung, dass die französischspra-chigen Freiburger national betrachtetan einem Minderwertigkeitskomplex lit-ten, weshalb sie kein Interesse hätten, inder Stadt auf die Bedürfnisse der Min-derheit einzugehen.

Der 32-Jährige sass für die SP im Gene-ralrat, dem Stadtfreiburger Parlament.Die Zweisprachigkeit ist da immer eingrosses Thema. Und das schon seit Lan-gem:• Der steinige Weg zum zweisprachigangeschriebenen Bahnhof wurde bereitserwähnt. Der Widerstand gegen diesenWunsch war hartnäckig, obwohl dieOrtstafeln auf den Hauptstrassen bereitsseit den 70er-Jahren zweisprachig ange-schrieben waren.• Ein Politikum waren auch die Strassen-namen. Ab 1837 wurden die deutsch-sprachigen Strassennamen in der Stadtdurch französischsprachige ersetzt. Alsin den 80er-Jahren vier Generalräte for-derten, einige Strassen und Plätze auf-grund der touristischen Bedeutungzweisprachig zu beschriften, wurdennach ausgearbeiteten Kriterien einerArbeitsgruppe und nach regen Diskus-sionen letztlich 22 Strassen und Plätzeneu beschriftet – darunter auch die Ruede Lausanne.• Seit Jahren befindet sich die Ausarbei-tung eines zweisprachigen Stadtlogosauf der Pendenzenliste der Stadtregie-rung (siehe Interview rechts).• Letzten Herbst fällte die Stadtregie-rung einen Entscheid bezüglich der An-erkennung der Zweisprchigkeit: EinVorstoss forderte die Prüfung der Frage,was es für die Stadt bedeuten würde,wenn sie sich offiziell zweisprachig er-klären würde. Diese liess vom Institut fürMehrsprachigkeit ein Gutachten erstel-len und entschied sich daraufhin gegendie Einführung von Deutsch als zweiteAmtssprache. Dies aus Kostengründenund aufgrund der fehlenden kantonalenGesetzesgrundlage. Auch die diskutierteFusion mit acht (französischsprachigen)Agglomerationsgemeinden zu einemGrossfreiburg wurde als Argument insFeld geführt.

Im Gespräch mit Rainer Schneuwlysagte Stadtpräsident Thierry Steiert zu-dem, wenn Freiburg von sich aus dieZweisprachigkeit erklären würde,weckte das alte Geister und drohte einSprachenkrieg, da in der Stadt immernoch die Angst vor der Germanisierungherrsche. Diese Angst wurde in den letz-ten Jahrzehnten bei Sprachdebatten im-mer wieder ins Feld geführt – obwohlder Anteil Deutschsprachiger in den letz-ten Jahrzehnten abgenommen hat (siehe«Fakten zur Zweisprachigkeit»).

Marc Henninger findet: «Es fehlt derWille. Wir leben ein Nebeneinander stattein Miteinander.» Übrigens trage auchdie Sicht der Restschweiz auf Freiburgnicht gerade das Ihre bei, die Zweispra-chigkeit anzuerkennen oder zu stärken:«Ich rege mich immer auf, wenn‹Schweizer Radio und Fernsehen› von‹Fribourg› statt von ‹Freiburg› spricht»,sagt Henninger. Der Hockeyclub heisseauf Deutsch «Freiburg-Gottéron», dagebe es nichts zu Diskutieren.

«Mon vatre a schlagué le chatz»Trotz des Ärgers: Marc Henningers pri-vater Kosmos sieht ganz anders aus. Erist als Kind deutschsprachiger Eltern inder Unterstadt, der Basse-Ville, geboren.Die Schulen besuchte er auf Deutsch,Französisch lernte er auf der Strasse.Sein Freundeskreis ist mehrsprachig. Ra-dio moderieren könnte er auf Franzö-sisch aber nicht, meint er. Dafür sprecheer zu sehr Slang – zu sehr «Bolz». Bolz istdie Sprache der Unterstadt, die einst alsArmenquartier von Freiburg galt. Hiersiedelten sich im 19. Jahrhundertdeutschsprachige Sensler an. Weil derWohnraum eng war, fand das Lebengrösstenteils auf der Strasse statt, und dieSprachen begannen sich zu vermischen.

«I gange ga pattiniere», sagt Marc Hen-ninger, wenn er Eislaufen geht. Klapptetwas nicht, schimpft er «nom de bleu!»

KontextSamstag, 06.07.2019 Bieler Tagblatt

Titelgeschichte

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Fortsetzung von Seite 25

Um einen Eindruck von seiner Welt zugewinnen, schlägt Marc Henningereinen Abstecher in die Unterstadt vor.Das zweisprachige Flair erspüre man bei-spielsweise im «Au Tirlibaum», derStammbeiz vieler junger Einheimischer.

Auf in die Basse-Ville also. Das «Tirli-baum» befindet sich am Klein-Sankt-Jo-hann-Platz. An diesem warmen Vormit-tag gehört das Lokal nicht den jungenSzenegängern, sondern den Senioren.

Vier Pensionäre sitzen vor einer Stangeund parlieren auf französisch über diesund jenes. «Bonjour, grüessech, spre-chen Sie Bolz?» – «Sie interessieren sichfür Bolz? Da müssen Sie am Freitag inden ‹Engel› kommen. Da lebt das Bolz»,antwortet der eine auf Deutsch. Er sei derSchorschi, Georges getauft, und genauauf der Sprachgrenze geboren worden.Früher, da hätten ennet der Bernbrü-cke, eben da, wo die «Auberge de l’ange»steht, die Deutschsprachigen gewohnt.Und nach der Mittleren Brücke, in Neu-veville, die Welschen. Diese Trennungsei von den Pfarreien beeinflusst worden.«Wisst ihr noch, wie sich Deutsch undWelsch zwischendurch geklopft ha-ben?», fragt Schorschi seine Freunde, dieer seit Kindheitstagen kennt. Dumm seidann bloss gewesen, wenn man im fol-genden Schuljahr plötzlich ins «Feindes-land» zur Schule musste, ergänzt er la-chend.

Mit seinen drei welschen FreundenMinet («wie die Katze», Chiffon («der mitden zwei linken Händen») und Bébér(alias Albert) sitze er jeweils montagsund dienstags hier im «Tirlibaum», mitt-wochs und freitags im «Engel» und sams-tags in der «Sonne». Und donnerstags?«Da dürfen die Frauen ins Apéro.»

Vom Bolz, stellt sich heraus, gibt eszwei Varianten, vielleicht auch hunderte,

so viele nämlich, wie es Sprecher gibt:Die Welschen sprechen Bolze, ein mitdeutschsprachigen Wörtern gespicktesFranzösisch, und das DeutschschweizerBolz entlehnt sich welscher Worte.

«Mon vatre a schlagué le chatz avec unsteck», zitiert Minet den Paradesatz fürBolze, den ähnlich wie «ä Ligu Lehm»unweigerlich als Beispiel für Matteneng-lisch genannt wird.

Schorschi erinnert sich an ein Liedaus seiner Kindheit:

En descandant le Hügeli,le Wägeli c’est casséDr Voorderredli mits en deux,dr Guidon abenand

Er habe schon diverse ältere Leute ge-fragt, wie das Lied weitergeht, doch nie-mand könne sich erinnern.

Bolz sei mehr als bloss Folklore. «Bolzspricht man, das kann man nicht lernen»,findet Schorschi. Man bediene sich der-jenigen Worte, die einem gerade in denSinn kämen und die einfacher sind.

«Nehmen wir das Wort ‹Bindeschnur›.Das sagt hier unten kein Mensch. Das isteine ‹Ficelle›. ‹Bindeschnur› ist höchstensetwas für die da oben», sagt er und zeigtmit dem Kopf in Richtung Osten, insSensegebiet. «Bolz ist eine Faulenzer-sprache.»

Wer mehr wissen wolle, solle einfachvorbeikommen, am besten während derBolzer Fasnacht oder des monatlichenFlohmarkts: «Da ist ganz schön was los.»

«Lieber Französisch als Hochdeutsch»Szenenwechsel: Bei der «AncienneGare», dem zum Hipster-Treffpunkt um-gebauten alten Bahnhof, ist ausschliess-lich Französisch zu vernehmen, bisChristina Tschopp eintrifft. Wie AnnaBinz stammt sie aus Schmitten und kamnach Freiburg ins Collège, wo sie die«Franz-Basics» lernte. «Wie viele anderehabe ich mich anfangs gegen das Franzö-sische eher gesträubt und mich als Teileiner Minderheit wahrgenommen.»

Den «Knopf aufgetan» habe sie, als sieam bilinguen Kunstgeschichte-Lehrgangstudierte. Und wegen der Liebe: Christi-nas Freund ist französischsprachig. Erstammt aus Châtel-Saint-Denis, einerFreiburger Gemeinde nahe der waadt-ländischen Riviera;«stockfranzösisch»,sagt Christina Tschopp. Die Ablehnunggegenüber dem Deutschen sei ebenso-gross wie im Sensebezirk gegenüberdem Französischen. Das habe sich seitihrer Schulzeit nicht verändert: Christinalässt sich derzeit zur Lehrerin ausbildenund unterrichtet in Plaffeien. «Dort fin-den alle Kinder Französisch scheisse.»

Am Anfang sei die bilingue Beziehungnicht immer lustig gewesen. Man müssemehr Geduld aufbringen, es sei ermü-dend oder führe zu Missverständnissen.Heute fühle sie sich sehr wohl mit der

französischen Sprache. Schwieriger seies für ihren Freund, für den Deutsch undinsbesondere der Dialekt eine Herausfor-derung darstellt: «Er findet es unange-nehm, dass eine Gruppe wegen ihm fran-zösisch sprechen muss. Er weiss aberauch, dass viele lieber Französisch alsHochdeutsch sprechen.»

Nun sei er daran, Dialekt zu lernen.Doch welchen Dialekt lernt, wer in Frei-burg einen Schweizerdeutsch-Kurs be-sucht? Eine Anfrage an die Migros-Klub-schule blieb unbeantwortet. Bei derVolkshochschule heisst es: Bern- oderZürichdeutsch – für Seislerdeutsch gebees keine Lehrbücher.

«Christina, wie zweisprachig ist Frei-burg?» «Die Stadt ist eher französisch ge-prägt», sagt sie. Das stelle sie besondersan den Wochenenden fest, nachdem diedeutschsprachigen Studierenden heim-gereist seien. Gleichzeitig verspüre sie inden Geschäften eine Verbesserung, wasdie Deutschkenntnisse angeht. PunktoZweisprachigkeit werde sich die Stadt inden nächsten Jahren kaum gross verän-dern, glaubt sie. «Ich fürchte, die Unter-stadt könnte mit der Zeit verwelschen.»

Doch vielleicht ist es gerade das dortgepflegte Bolz, das helfen kann, das bilin-gue Selbstverständnis von der Unter-stadt aus in die restliche Stadt zu tragen– solange es von Menschen wie Schor-schi oder Marc Henninger gepflegt wird.

Quellen: Rainer Schneuwly, «Bilingue. WieFreiburg und Biel mit der Zweisprachigkeitumgehen», 2019. Bernhard Altermatt, «Dieinstitutionelle Zweisprachigkeit der StadtFribourg-Freiburg: Geschichte, Zustandund Entwicklungstendenzen», 2005.

Weitere Bilder finden Sie unterwww.bielertagblatt.ch/freiburg

Schorschi aliasGeorges ist einalteingesessenerUnterstädter. Mitseinen Kollegenpflegt er das Bolz.(Bilder links oben).

Die Hochzeiter-gasse führt zurKathedrale.

In Freiburg lebenDeutsch undWelsch nebenei-nander (linksunten).

Der Klein-Sankt-Johann-Platz ist das Herzder Unterstadt.

BILDER: MATTHIAS KÄSER

Bekannte FreiburgerPersönlichkeiten• Alain Berset, Bundesrat• Slawa Bykow, Hockeylegende• Charles Clerc, TV-Moderator• Dominique de Buman, Nationalratund Alt-Stadtpräsident• Joseph Deiss, Alt-Bundesrat• René Fasel, Präsident der Internatio-nalen Eishockey-Föderation• Gustav, Musiker• Urs Schwaller, Ständerat• Jo Siffert, Rennfahrer ✝• Jean Tinguely, Künstler ✝ ab

Interview: Andrea Butorin

Bernhard Altermatt, als ich über die Zwei-sprachigkeit von Freiburg zu recherchierenbegann, hat man mir Sie als Gesprächspart-ner empfohlen; Sie seien ein Aktivist. FindenSie das ein passendes Attribut?Bernhard Altermatt: Wenn man im Stadtpar-lament sitzt, ist man automatisch aktiver undmacht Vorschläge, um die Zweisprachigkeitzu fördern. Weiter bin ich im Verein KulturNatur Deutschfreiburg und präsidiere das Fo-rum Partnersprachen Freiburg, ein zweispra-chiger Verein, der gegründet wurde, um denBilinguismus zu fördern. Sprachpolitisch binich sicher aktiv. Vor allem auch aus histori-schem Interesse.

Ist Freiburg eine zweisprachige Stadt odernicht?Ja, eindeutig. Unter fast allen Aspekten. DerKanton Freiburg sagt: Die Stadt ist zweispra-chig. In der Verfassung steht: La capitale estFribourg – die Hauptstadt ist Freiburg. DasKantonsgericht musste mehrmals Urteile zudieser Frage fällen und kam zum Schluss: Sieist es. Im Reglement des Stadtparlaments sindbeide Sprachen gleichberechtigt vertreten.Die städtischen Schulen wurden schon im-mer durchgehend in beiden Sprachen ge-führt. Und die Verwaltung gibt sich zuneh-mend mehr Mühe, die Zweisprachigkeit zuberücksichtigen. Es gibt aber noch Spielraumfür Verbesserungen.

Ausgerechnet das Stadthaus ist bloss ein-sprachig angeschrieben. Da steht «Maison deVille», und auch die Informationen sind le-diglich auf Französisch verfügbar – ein Sym-bol für die bislang ausstehende Selbstdekla-ration als zweisprachige Stadt.Die Inschrift ist schon alt; auch beim Bundes-haus gibt es Räume, die nur auf Deutsch ange-schrieben sind. Man ist daran, das zu ändern.Jedenfalls sind in Freiburg die meisten As-pekte einer institutionellen Zweisprachigkeiterfüllt. Ein Beispiel aus der politischen Sprach-praxis: Im Parlament werden beide Sprachengesprochen, aber Französisch natürlich häufi-ger. In Biel wird es umgekehrt sein. Ein interes-santer Unterschied zu Biel und Bern ist übri-gens, dass hier sowohl auf städtischer als auchauf kantonaler Ebene die zweite Parlaments-sprache Hochdeutsch ist, nicht Dialekt.

Sprechen Sie im Generalrat konsequentdeutsch?Nein, ich wechsle konsequent ab.

Wie viele Ihrer französischsprachigen Kolle-gen verstehen Sie nicht, wenn Sie deutsch re-den?Es wird eine Handvoll geben, die wenigDeutsch verstehen.

Gibt es Parteien, die eher Welsche oder eherDeutschsprachige anziehen?Nein. Die Parteien sind hier gemischt, nichtwie in Biel in Sprachgruppen aufgeteilt. Dasist einfacher, bedeutet aber auch, dass dieDeutschschweizer immer in der Minderheitsind und sich stärker anpassen müssen.

Wie bewegen Sie sich sprachlich in derStadt? Sprechen Sie in jedem Geschäft oderCafé deutsch?Ja. Ausser wenn ich schon weiss, dass ich andiesem Ort nicht verstanden werde.

Wie läuft das konkret ab?Ich betrete den Laden, sage «Grüessech» undbringe mein Anliegen hervor. Antwortet dasGegenüber französisch, wechsle ich aufHochdeutsch, und wenn es gar nicht geht,spreche ich französisch.

Sie fechten also täglich einen Mini-Sprach-kampf aus. Die meisten Deutschfreiburger,mit denen ich gesprochen habe, kommuni-zieren in der Stadt von vornherein auf Fran-zösisch. Haben Sie immer schon konsequentdeutsch gesprochen?Nein, es ging eine Weile, bis ich merkte: Ichkann hier ja deutsch reden! Erstaunlich vie-

«Es ging eine Weile, bis ich merkte:Ich kann hier ja deutsch reden!»Mehrsprachigkeitsexperte Bernhard Altermatt ist überzeugt, dass die Stadt Freiburg in naher Zukunftoffiziell zweisprachig wird.

27KontextBieler Tagblatt Samstag, 06.07.2019

Titelgeschichte

Historiker Bern-hard Altermattspricht das Personalin Freiburger Cafésund Läden konse-quent auf Deutschan.ANDREA BUTORIN

Fakten zur FreiburgerZweisprachigkeit• Seit der Stadtgründung im Jahr 1157wurde in Freiburg Deutsch und Franzö-sisch gesprochen (anders als in Biel,das bei der Stadtgründung deutsch-sprachig war).• Als der Kanton 1481 der Eidgenos-senschaft beitrat, geriet Französischins Hintertreffen.• Ab 1700 kam es zur kulturellenWende, und nach dem Einmarsch derFranzosen 1798 wurde Französischeinzige Amtssprache.• Kantonal wechselt die Amtssprachenoch hin und her. Bis 1990 gilt: «Derfranzösische Text ist der Urtext», ab1991 sind beide Sprachen gleichwertig.• Bis in die 70er-Jahre sprachen rund30 Prozent der Bevölkerung Deutsch.• Heute liegt der Anteil der Deutsch-sprachigen bei 16,3 Prozent. Werdendie Anderssprachigen aussen vor ge-lassen, liegt das Verhältnis von Franzö-sisch- und Deutschsprachigen bei 78,3respektive 21,7 Prozent.• In der Stadtregierung sitzen dreiFranzösischsprachige, eine Deutsch-sprachige und mit StadtpräsidentThierry Steiert ein Bilinguer.• Sieben Prozent von insgesamt 800Stadtangestellten sind deutschsprachig.• Die Stadt verfügt über kein eigenesÜbersetzungsbüro, sondern vergibtjedes Jahr Aufträge im Wert von rund50 000 Franken• In der Stadt Freiburg ist das Interessean Immersionsunterricht gross. Lautdem Staatsrat soll bis 2021 an allenOrientierungsschulen des Kantonszweisprachiger Unterricht eingeführtwerden. ab

le sprechen deutsch. Wer nach ein paar ne-gativen Erfahrungen aufgibt, merkt das garnicht. Versucht man es jedoch weiter, stelltman plötzlich fest, dass die Frau an der Kas-se ja eine Deutschschweizerin ist.

Stossen Sie beim Deutschsprechen auf Ab-lehnung?Es gibt schon Menschen, die sich unwohl füh-len, weil sie nicht genug deutsch sprechen.Aber solange sie mich verstehen ... Ich verstehesie ja, wenn sie mir französisch antworten.

Welchen Dialekt sprechen Sie eigentlich?Meine Ohren vermissen die typisch frei-burgische Färbung.Vermutlich eine Mischung aus Bern-, Solo-thurn- und Freiburgerdeutsch, je nachdem,mit wem ich spreche. Ich bin in Bern geboren,als Kind von Solothurner Eltern, und dann inder Stadt Freiburg aufgewachsen.

Wie haben Sie Freiburgs Zweisprachigkeitals Kind und Jugendlicher wahrgenommen?Als Kind habe ich mir natürlich noch keine Ge-danken über das Zusammenleben gemacht.Später fand ich immer, es funktioniere rechtgut. Das ist aber eine Frage der Generationen:Während bei älteren Menschen noch gewisseAversionen vorhanden sein können, werdenSie kaum jemanden unter 45 finden, der damitnoch grössere Probleme hat.

Und das, obwohl praktisch jede Debatte zurZweisprachigkeit langwierig und durchausauch gehässig verläuft? Die ewigen Diskus-sionen, bis der Bahnhof in beiden Sprachenangeschrieben wurde, die Frage, ob die Hal-testellen im städtischen Netz übersetzt wer-den sollen ...Sensible politische und symbolische Debattengab und gibt es natürlich immer. Das ist bei Fra-gen von Kultur, Identität und Zusammenlebennormal. Aber nur weil der Bahnhof nicht zwei-sprachig angeschrieben war, hatte im Alltagniemand Probleme mit den Welschen.

Auch das fehlende zweisprachige Stadtlogo istso eine Geschichte. Sie haben einen Vorstossdazu gemacht. Was ist der Stand der Dinge?Der frühere Stadtpräsident wollte 2013 einneues, einsprachiges Stadtlogo einführen.Der Vorschlag wurde im Parlament einstim-mig zurückgewiesen. Daraufhin hiess es, eswerde ein neues Logo ausgearbeitet, was bisheute nicht geschehen ist. Unterdessen ist derneue Syndic, wie hier der «Stapi» heisst, auchschon seit mehreren Jahren im Amt. Deshalbhabe ich diese Frage nochmals aufs Tapet ge-bracht. In der Antwort verwies die Regierungauf die diskutierte Fusion mit acht umliegen-

den Gemeinden. Man will jetzt zuerst einmaldie Fusion abwarten, bevor man die Corpo-rate Identity der Stadt revidiert.

Wieso müsste man das? Die Stadt würde jasicher weiterhin Freiburg heissen.Wenn es zur Fusion kommt, wird sicher dergesamte öffentliche Auftritt erneuert. Das kos-tet rasch viel Geld, von der Ideenentwicklungbis das Logo auf dem letzten Gemeindefahr-zeug drauf ist. Das ist einerseits verständlichund andererseits eine faule Ausrede. Dennwenn die Stadtregierung das neue Logo heutewollte, dann wäre morgen bereits der Auftragdafür auf dem Tisch.

Fürchten Sie diese Fusion? Der AnteilDeutschsprachiger, der derzeit bei ungefähr20 Prozent liegt, würde gemäss den «Frei-burger Nachrichten» um drei bis vier Pro-zentpunkte zurückgehen.Nein, das beunruhigt mich überhaupt nicht.Die Stadt Freiburg würde mit der Fusion zurgrössten deutschsprachigen Gemeinde imKanton mit bis zu 10 000 Deutschsprachigen.Eine solche Gemeinde kann gar nicht andersals zweisprachig sein.

Man könnte aber auch sagen, dass Freiburgmit der Fusion Fakten schaffen möchte unddeshalb den Anteil an Französischsprachi-gen vergrössern will.Das habe ich noch von niemandem gehört.Aber vielleicht gibt es Deutschschweizer, diedenken, es gebe Welsche, die das sagen.

Empfinden Sie Biel als Vorbild für FreiburgsWeg zu mehr Zweisprachigkeit?Der Blick von Freiburg nach Biel ist immer da.Man schaut, wie es funktioniert, was dort bes-ser läuft und was bei uns. Vieles hängt von deneinzelnen Personen ab. Stadtpräsident HansStöckli hielt es mit der Zweisprachigkeit andersals seine Vorgänger, und Erich Fehr macht eswieder anders. In den alten PatrizierkantonenFreiburg, Bern und Solothurn sind die Regie-rungen traditionell sehr mächtig. Wenn starkePersönlichkeiten auf Gemeindeebene am Ru-der sind, die mutig sind und bereit, vorwärts zugehen, dann kommt auch etwas zustande.

Es braucht also die richtige Person im Stadt-präsidium, um die Zweisprachigkeit endlichoffiziell anzuerkennen.Thierry Steiert ist perfekt bilingue und schonmal viel besser als seine Vorgänger. Aber diestädtische Schuldirektorin musste man zumBeispiel während fünf Jahren richtiggehendmit Vorstössen bombardieren, damit die Ein-führung von zweisprachigen Klassen endlichin Angriff genommen wird. Hätte sie vor fünfJahren gesagt, sie wolle das einführen, dannwäre das schon längst passiert.

Wird Ihr Kind dereinst eine solche Klassebesuchen?Ich hoffe es, das wäre toll. Im Idealfall wären alleSchulklassen bilingue, im ganzen Kanton. Aberwir haben zwei getrennte Schulsysteme, diekann man nicht plötzlich abschaffen. Freiwillig-keit ist in solchen Fragen immer sehr wichtig,sei es bei Lehrern, Eltern oder Beamten.

Wie sieht Freiburg in zehn Jahren aus?Es wird eine grössere Stadt sein, fusioniert undgestärkt als zweisprachige Kantonshauptstadtmit zweisprachigem Logo.

Zur Person• Bernhard Altermatt ist 42 Jahre alt, ver-heiratet und Vater von einem Kind (jährig)• Er arbeitet an der FernUni Schweiz und ander Universität Freiburg als Historiker mitSchwerpunkt Schweizer Geschichte undMehrsprachigkeit.• Er sitzt als Präsident der CVP/glp-Fraktionim Generalrat (Parlament). In den letztenJahren hat der CVP-Politiker immer wiederVorstösse zur Zweisprachigkeit eingereicht.• Er ist Präsident des Forums Partnerspra-chen Freiburg und Vorstandsmitglied beiKultur Natur Deutschfreiburg. ab

Interview: Tobias Graden

Rainer Schneuwly, guten Tag, ça geits?Rainer Schneuwly: (lacht) Danke, ja. Das ist die typi-sche Begrüssung vieler Bieler, nicht?

Eine davon. Sagt man das in Freiburg auch?Nein, das hört man in Freiburg nicht. Dort sagt maneher «Ça va?», selbst unter Deutschfreiburgern.

Diese Woche hat die Stadt Biel eine Pressemittei-lung verschickt – die A5-Ostast-Schilder werdenjetzt doch zweisprachig beschriftet. Die Stadt hat,was sehr unüblich ist, Ausrufezeichen gesetzt.Was sagt dies aus?Wahrscheinlich, dass sie ein schlechtes Gewissenhat.

Ein schlechtes Gewissen? Ich hätte jetzt eher ge-sagt: aus Freude.Laut dem Bundesamt für Strassen war die Beschil-derung des Ostastes zweimal ausgeschrieben, unddie Stadt hatte sich nicht gemeldet. Sondern erst, alsdie Schilder montiert waren. Ich habe als SDA-Journalist auch eine Meldung zu dieser Geschichtegemacht und Gemeinderätin Barbara Schwickertdie Gelegenheit gegeben, zur Bemerkung des Astra-Sprechers Stellung zu nehmen. Sie äusserte sichnicht, so dass ich davon ausgehe, dass stimmt, wasder Astra-Sprecher sagt. Aber es ist sicher auch einAusdruck der Freude, und es ist sehr positiv, wiesich insbesondere auch die Deutschschweizer Poli-tikerinnen und Politiker der Region Biel für diefranzösischsprachige Minderheit eingesetzt haben.

Für die zweisprachigen Schilder hat nicht nur derganze Bieler Gemeinderat gekämpft, sondern auchdas Forum für Zweisprachigkeit, der Rat für fran-zösischsprachige Angelegenheiten des Verwal-tungskreises Biel/Bienne sowie Kantons- und Na-tionalräte und weitere Akteure der Region vonbeiden Sprachgruppen. Es war ein breites Mitei-nander über die Sprachgruppen hinweg.In der Tat, es ist für mich als Freiburger eindrück-lich zu sehen, wie sich die Bieler Politik für die An-liegen der sprachlichen Minderheit einsetzt.

Ein solches Miteinander wäre in Freiburg kaumdenkbar, nicht?Glücklicherweise ändert sich das langsam. Auch derStadtfreiburger Gemeinderat hat gemerkt, dass ermehr tun muss. In den letzten 15 Jahren hat sich vielgetan. Endlich, endlich ist der Bahnhof zweispra-chig beschriftet. Ich habe schon gedacht, daskomme nie mehr, und plötzlich hat es doch ge-klappt.

Es gab schliesslich nicht einmal gross Reaktionen.Genau. Und es gibt bekanntlich das Bestreben,mehrere Gemeinden zu einem Gross-Freiburg zufusionieren. Eine der acht Arbeitsgruppen, welchedie allfällige Fusion vorbereiten, hat vorgeschlagen,dass sich dieses neue Gebilde als zweisprachig de-klarieren soll. Unglaublich!

Warum?Acht der neun Gemeinden sind französisch ge-prägt. Nur die Stadt Freiburg ist zweisprachig.

Diese anstehende Gemeindefusion ist allerdingsderzeit auch ein bremsender Faktor auf dem Wegzur offiziellen Zweisprachigkeit Freiburgs.Ja, mit Verweis auf das Fusionsverfahren sagt derSyndic (Stadtpräsident, Anm. d. Red.) von Freiburg,Thierry Steiert, es komme für den Gemeinderatnicht in Frage, die Stadt jetzt schon als offiziell zwei-sprachig zu deklarieren. Man will kein fait accomplischaffen.

Man hat nach der Lektüre Ihres Buches jedenfallsden Eindruck, auch heute noch verwende man inFreiburg lieber Energie darauf, nicht zu nahe zu-sammenzurücken statt Brücken zu bauen.Jein. Im Alltag klappt das Zusammenleben im Allge-meinen gut – dank der Anpassungsfähigkeit derDeutschfreiburger. Aber an einem Gottéron-Matchbeispielsweise sind die Angehörigen der beidenSprachgruppen ohne Probleme miteinander ver-mischt. Auch in der Verwaltung sucht man pragma-tische Lösungen und sucht beispielsweise deutsch-sprachige Ansprechpersonen für Anliegen vonDeutschsprachigen. Bei der offiziellen Deklarationder Zweisprachigkeit aber hapert es.

Zurück zu den Autobahnschildern: Warum ist es sowichtig, dass sie zweisprachig angeschrieben sind?Das ist schlicht eine Frage der Identifikation: Wennman mit einem Ort verwurzelt ist, möchte manauch in seiner Sprache angesprochen werden.Wenn die Stadt Freiburg nur einsprachig auftritt,stört mich das, so wie es Welschbieler stört, wennsie auf den Ostast-Strassenschildern vergessen ge-hen. Cédric Némitz hat gesagt, der Bund nehme Bielmit einsprachigen Autobahnschildern eine Hälfteweg. Letztlich geht es um Fragen der Identität.

Sie haben in Ihrem Buch «Bilingue» untersucht,wie Freiburg und Biel mit der Zweisprachigkeitumgehen. Warum erscheint es gerade jetzt?Das ist Zufall. Ich habe gemerkt, dass ich einer derganz wenigen Journalisten in der Schweiz bin, derbeide Städte relativ gut kennt – ich bin in Freiburggeboren, habe dort studiert und gearbeitet. Ichwohne nun aber schon lange im Kanton Bern undhabe bei der Agentur Keystone-SDA viel mit Biel zutun. Ich habe also die Bieler Zweisprachigkeit ken-nengelernt – ein Thema, das mich schon seit Jahr-zehnten interessiert. Als ich dem Verlag das Themavorschlug, war er sofort interessiert.

Wie würden Sie die alltägliche Handhabung derZweisprachigkeit in Biel beschreiben?Ich stelle schon fest, dass der Umgang damit in Bielbesser funktioniert als in Freiburg. Eine Kollegin,die Lehrerin ist, erzählt mir, dass im Lehrerzimmereinfach jede Lehrperson in ihrer Sprache spricht. InFreiburg ist es so: Wenn zehn Leute zusammen-kommen und auch nur einer spricht französisch,dann reden alle französisch. Damit ist nicht gesagt,dass in Biel alles problemlos funktionieren würde.Das ist daran ersichtlich, dass die Fraktionen im Bie-ler Stadtrat nach Sprachen getrennt auftreten.

Ein Französischsprachiger in Biel hat es aber bes-ser als eine Deutschsprachige in Freiburg?Das kann man schon so sagen. Die Zweisprachigkeitist in den Köpfen in Biel viel besser verankert als in

Freiburg. Eine Studie von Linguisten in den Nuller-jahren hat das klar aufgezeigt, in meinen eigenenTests komme ich zum selben Resultat.

Sie beschreiben das «Bieler Modell»: Ein Gesprächwird in jener Sprache weitergeführt, in der es be-gonnen wird. Das macht gleichwohl Anpassungs-leistungen nötig.Es gibt ja nicht nur dieses Modell, sondern auch dasso genannte «Schweizer Modell»: Jeder spricht inseiner Sprache. Das wird in Biel auch praktiziert. Eswerden verschiedene Modelle angewendet, ge-rade bei Gesprächen in Geschäften und auf derStrasse.

Meine Wahrnehmung ist: Im Zweifelsfall sind eseher die Deutschschweizer, die ins Französischewechseln, nicht umgekehrt.Das mag sein. Es dürfte aber von der Gesprächssitu-ation abhängen.

Ohne Rücksicht geht es jedenfalls nicht.Sowieso nicht. Rücksicht ist der Schlüssel, in Frei-burg und in Biel.

Die aktuelle Ausstellung im Neuen Museum Bielträgt den Titel «Le bilinguisme n’existe pas» – siekommt zum Schluss, dass es heute in der Lebens-welt der Menschen eigentlich weniger um Zwei-sprachigkeit geht als vielmehr um Mehrsprachig-keit. Müsste man also diese stärker in den Vorder-grund rücken?Das ist gewiss ein wichtiges Thema, aber ein sehrweites Feld. Die Migration stellt zweifellos einegrosse Herausforderung dar für zweisprachigeStädte. Wenn jemand beispielsweise aus der Türkeieinwandert, muss er gleich zwei neue Sprachen ler-nen, um im Alltag klarzukommen.

Wo wird das für die Zweisprachigkeit hinführen?Auch junge Einheimische weichen bei Unsicher-heiten mittlerweile lieber ins Englisch aus.Das kann ich nicht sagen, ich bin nicht Linguist.Aber: Ein Freiburger sagte mir, er sei einmal miteinem Welschen in eine Beiz gegangen. Der Kellnerkonnte nicht Deutsch, der Deutschfreiburger über-setzte, und dann wechselte der Kellner ins Engli-sche. Oder eine Immobilienverwalterin verschicktin Freiburg ihre Informationen in Deutsch undEnglisch, aber nicht in Französisch.

Der Anteil des Französischen in Biel nimmt zu –wie ist es zu erklären, dass es keine Abwehrreak-tionen der Deutschschweizer gibt?Der Grund dafür dürfte in den gesamtschweizeri-schen Mehrheitsverhältnissen liegen. Die Situationin Biel entspricht diesen, während es in Freiburg ge-rade umgekehrt ist. In Freiburg hat die lokale Mehr-heit mehr Mühe, auf eine gute Weise mit der loka-len Minderheit umzugehen, weil sie auf gesamt-schweizerischer Ebene eben in der Minderheit ist.Sie merkt nicht, dass sie in Freiburg das tut, was ihrauf nationaler Ebene vermeintlich angetan wird. Inder Sprachgeschichte Biels zeigt sich aber, dassauch da nicht alles von Anfang an rund lief. Es wa-ren nicht von Anbeginn an alle Strassen und Plätzezweisprachig angeschrieben, die Romands musstendafür kämpfen.

«Die Zweisprachigkeitist in den Köpfen in Bielviel besser verankert»Als Rainer Schneuwly kürzlich seinen Pass erneuerte, akzeptierte das System «Freiburg» als Heimatort nicht – «Fribourg» abersehr wohl. Mit Urteilen hält sich der Deutschfreiburger zwar zurück – doch sein Buch, das die Zweisprachigkeit in Biel und Freiburgvergleicht, zeigt deutlich auf, in welcher Stadt es die Sprachminderheit besser hat.

Samstag, 06.07.2019 Bieler Tagblatt

Samstagsinterview

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Zur Person• geboren am 5.9.1964 in Freiburg• Bürger von Freiburg und Wünne-wil-Flamatt• aufgewachsen in Flamatt, Em-menbrücke und Wünnewil, Schulenin Wünnewil und Freiburg• Studium in Freiburg (Germanistik,Spanische Sprachen und Literatu-ren, Journalismus und Kommunika-tionswissenschaften).• Abschluss als lic. phil. I, JournalistBR• rund sechs Jahre bei den Freibur-ger Nachrichten, fast zehn Jahrebei «Der Bund» (Lokalredaktion),seit 2007 bei der SDA (heute Keys-tone-SDA), Redaktor RegionalbüroBern.• verheiratet, wohnhaft in Hinter-kappelen (zuvor in Liebefeld undBern) – seit über 20 Jahren wohn-haft in der Region Bern. tg

Info: Rainer Schneuwly, «Bilingue.Wie Freiburg und Biel mit der Zwei-sprachigkeit umgehen», Verlag Hierund Jetzt, 160 Seiten, Fr. 34.-. Vernis-sage am Montag, 18 Uhr, in der Aulader Pädagogischen HochschuleBern.

Heute hat man eher der Eindruck, dass sich dieRomands eher fürs Französische wehren, nicht fürdie Zweisprachigkeit.Das gehört an zweisprachigen Orten offenbar ein-fach dazu, dass sich die Minderheit für ihre Rechteeinsetzen muss. Es zeichnet die Behörden solcherStädte aus, wenn sie fähig sind, darauf zu reagieren.

Auch in Freiburg sieht man das Thema heute ge-lassener. Ist es also auch eine Generationenfrage?In Freiburg hat es viel damit zu tun, dass die Stadtnun einen zweisprachigen Syndic und in Sprachen-fragen aufgeschlossenen Gemeinderat hat. ThierrySteiert ist bikulturell, er gehört beiden Sprachge-meinschaften an. So ist eine grössere Sensibilitätvorhanden als früher.

Die Stadt Biel auferlegt sich nun bei der Rekrutie-rung von Personal freiwillig eine Sprachquote, ge-rade auch für Kaderpositionen. Sollte nicht ein-fach die Person mit der besten Qualifikation dieStelle erhalten?Es ist ein Zielwert, nicht eine Quote. Das ist nicht dasGleiche. Wäre es eine Quote, wäre ich skeptisch –doch als Ziel finde ich die Haltung, unter den Stadt-

angestellten die Mehrheitsverhältnisse in der Bevöl-kerung abzubilden, sympathisch.

Was halten Sie vom Vorhaben des Bieler Gemein-derates, Werbetreibenden vorzuschreiben, in derStadt Plakate in beiden Sprachen platzieren zumüssen?Das ist eine interessante Idee. Es wird sich noch wei-sen müssen, ob sie juristisch haltbar ist. Das Vorha-ben zeigt aber einmal mehr, wie sehr sich der BielerGemeinderat in der jetzigen Zusammensetzung fürdie sprachliche Minderheit einsetzt.

Man kann wohl als Freund der Zweisprachigkeitfast nicht anders, als eine solche Massnahme zubefürworten, wenn es nationale Werbetreibendean Sensibilität mangeln lassen?Ich persönlich finde die Idee sympathisch. Es ist beiWerbeplakaten ähnlich wie bei den Strassen- oderBahnschildern: Man möchte als Angehöriger dersprachlichen Minderheit auch im öffentlichenRaum mit seiner Sprache vertreten sein. Ich ver-stehe es, wenn sich Welschbieler daran stören, inder Werbung nicht angesprochen zu werden. Mankann sich allerdings fragen, ob es gleich einen staat-

lichen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit brauchtund ob man nicht mit Information beispielsweiseauch zum Ziel käme.

Es ist aber nicht so, dass sich in der Arbeits- undWirtschaftswelt immer die Minderheit der Mehr-heit anpassen muss. Wer in der Bieler Uhren-industrie arbeiten will, kommt ohne Französisch-kenntnisse nicht weit, und es gibt gar Unterneh-men, in denen Französisch Pflichtsprache ist,selbst wenn sie von Deutschschweizern geleitetwerden.Das mag so sein. Anderseits zeigt das Zweisprachig-keitsbarometer, dass Welschbieler wegen mangeln-der Deutschkenntnisse Probleme bei der Stellensu-che geltend machen.

Wird also die Zweisprachigkeit in Biel ein Stück weitalso schlicht idealisiert? Die Parteienlandschaft istentlang der Sprachgrenze fragmentiert, und dasVereinswesen war es zumindest früher auch.Linguisten haben untersucht, inwiefern das sozialeNetzwerk der Einwohner – etwa der Freundeskreis– tatsächlich zweisprachig ist. Und sie haben he-rausgefunden: Es ist durchaus zweisprachig. Das

deutet darauf hin, dass der Bilinguismus tatsächlichals Miteinander gelebt wird und nicht bloss einNebeneinander oder ein Ideal ist. Dieses Gefühlhabe ich auch für Freiburg.

Die Stadt Biel lässt sich die Zweisprachigkeit aucheiniges kosten, wie Sie im Buch vermerken, meh-rere Millionen pro Jahr. Ist Zweisprachigkeit alsoschlicht auch eine Kostenfrage?Natürlich. Ein zweisprachiges Gemeinwesen musssich einen gewissen Prozentsatz des Budgets dafürleisten wollen, etwa für Übersetzungen. Ich sageaber lieber: Die Zweisprachigkeit ist ein Reichtum –ein Reichtum, der etwas kostet.

Und der Return on Investment ist der Sprachfrie-den?Ja, aber auch die Attraktivität. Freiburg und Biel ha-ben mit ihrer Zweisprachigkeit ein Plus gegenüberanderen ähnlich grossen Städten.

Wenn Sie als Beobachter eine Beurteilung abge-ben müssten: Was gilt es in Biel in Sachen Zwei-sprachigkeit noch zu verbessern?Mir ist aufgefallen, dass die Beschilderung nochnicht überall perfekt ist, jedenfalls bei privaten Ak-teuren. Im Coop Centre Bahnhof habe ich beispiels-weise gesehen, dass auf den Schildern der deutscheText grösser ist als der französische – das ist komplettkomisch. Viele kleinere private Geschäfte sind nichtzweisprachig angeschrieben, da gibt es sicher nochOptimierungsbedarf. Die Behörden aber engagierensich aus meiner Sicht sehr stark. Einzelne Reibungenund Friktionen wird es wohl aber immer geben.

Biel und Freiburg wären ja prädestiniert als Part-nerstädte. Wo sähen Sie Möglichkeiten zur Zusam-menarbeit?Das habe ich auch schon gedacht. Bislang habenBiel und Freiburg relativ wenig miteinander zu tungehabt. Es gäbe sicher Möglichkeiten im Rahmendes Vereins Hauptstadtregion Schweiz. Auf institu-tioneller Ebene gibt es meines Wissens bereits eineZusammenarbeit. Aber es wäre doch schön, wennbeide Städte eine gemeinsame Evaluierung ihrerZweisprachigkeit ins Leben riefen.

Übrigens: Warum sollte man als Deutschschwei-zer «Freiburg» sagen und nicht «Fribourg»?(lacht) Einem Lausanner erklären Sie doch auchnicht, warum er Biel «Bienne» nennen soll undnicht «Biel»… Da würde sich ein Welschbieler über-gangen fühlen. Und so geht es uns Deutschfreibur-gern – man empfindet’s, fühlt sich übergangen.

Woher rührt Ihr persönliches Interesse für dasThema Zweisprachigkeit?Ich war schon immer interessiert an Sprachen,spreche selber mehrere. Und als Deutschfreiburgerwar man zumindest früher Bürger zweiter Klasse,obwohl man als Sensler seit Jahrhunderten mit derStadt Freiburg verbunden ist. Das hat mich gestört.

Wurden Sie diskriminiert?Ja, an gewissen Schulen. An Schulanlässen bei-spielsweise wurde fast nur Französisch gespro-chen. Es ging immer ums Gleiche: Um Identität undAnerkennung. Wenn die fehlt, fühlt man sich nichternst genommen.

Wenn Ihnen die Zweisprachigkeit so am Herzenliegt: Warum erscheint Ihr Buch nur auf Deutsch?Deutsch ist meine Muttersprache. Ich spreche zwargut Französisch, bin aber nicht bilingue, ich könntenicht ein Buch auf Französisch schreiben. Wenneine Übersetzung möglich wäre, würde mich dassehr freuen.

Warum halten Sie sich auch im Schlusswort zu-rück mit Forderungen?Ich wollte ursprünglich persönlicher, angriffigersein. Aber es ist besser, streng journalistisch vorzu-gehen und objektiv zu vergleichen. So kommen diejeweiligen Besonderheiten der zwei Städte ja auchzum Vorschein. Ich sage jedem, der es hören will,dass ich finde, die Stadt Freiburg solle sich endlichoffiziell für zweisprachig erklären, sie hat eine vielweiter zurückgehende zweisprachige Geschichteals Biel. Kürzlich musste ich meinen Pass erneuernund tat dies per Internet. Beim entsprechendenFeld gab ich als Heimatort «Freiburg» ein, doch dasSystem verweigerte die Annahme. Das nervt!

«Der Bilinguismus wird inBiel als Miteinander gelebt.Er ist nicht blossein Nebeneinanderoder ein Ideal.»

29Bieler Tagblatt Samstag, 06.07.2019

Samstagsinterview

Rainer Schneuwly: «Ichverstehe es, wenn sichWelschbieler daran stören,in der Werbung nichtangesprochen zu werden.»TOBIAS GRADEN