Wintersemester 2017/18 FORSCHUNGSORIENTIERTES LEHREN … · Climate Change and Small Island States:...

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FORSCHUNGSORIENTIERTES LEHREN UND LERNEN (FOLL) Wintersemester 2017/18 Ansprechpartnerin für FoLL Susanne Wimmelmann, Hochschuldidaktik Tel. 0551 395981 E-Mail: [email protected] Website: www.uni-goettingen.de/forschendeslernen Gemeinsames Bund-Länder-Programm für bessere Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre Dieses Vorhaben wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01PL16061 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt liegt beim Autor. Abb. 1: Landunter auf Hallig Hooge 8 - 11/2017 Erarbeitung der Forschungsfragen und des Designs, Literaturrecherche 11 - 12/2017 Feldforschung auf Hallig Hooge und in Husum (25 qualitative Interviews) 12 - 02/2017 - 18 Transkription der Interviews, erste Auswertung der Memos 02 - 04/2018 Codierung und inhaltliche Analyse, Verschriftlichung der Ergebnisse 04/2018 Workshop auf Hallig Hooge, Präsentation & Diskussion erster Ergebnisse 04 - 06/2018 Fertigstellung des Papers, Policy Briefs, FOLL - Präsentation und Poster EINLEITUNG Inseln sind besonders von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen; entsprechend viel Aufmerksamkeit erhalten sie in Medien, Politik und Wissenschaft. 1-3 Häufig werden InselbewohnerInnen als „Opfer“ dargestellt, deren Heimat „untergehen“ wird, 4 wohingegen die InselbewohnerInnen selbst eher selten zu deren Betroffenheit und Reaktionen auf Klimafolgen direkt befragt werden. 5 Unser interdisziplinäres FOLL-Projekt untersucht den Klimawandel aus Sicht der BewohnerInnen auf Hallig Hooge im Schleswig-Holsteinischen Wattenmeer (vgl. Abb. 1, 2). Dabei widmen wir uns drei Fragen: wie die HoogerInnen die gegenwärtigen und zukünftigen Veränderungen wahrnehmen, welche Maßnahmen sie ergreifen und welche Kontroversen dabei auftreten. KLIMAWANDEL, ANPASSUNG UND WAHRNEHMUNGEN Dass Fremd- und Eigenwahrnehmung häufig divergiert, zeigt die Forschung zu Klimawandel in Inselkontexten. 5,6 Gleichzeitig unterstreicht die Forschung, dass effektive Anpassung die Beteiligung der lokalen Bevölkerung erfordert, 7 da sie als politischer Prozess ausgehandelt wird. 8,9 Mehr und mehr Studien untersuchen daher lokale Wahrnehmungen des Klimawandels, z.B. an der deutschen Nordseeküste. 10,11 Unsere Studie dokumentiert Wahrnehmungen auf Hallig Hooge, der mit gut 100 EinwohnerInnen größten der 10 Halligen der Nordsee (Abb. 2). Wie alle Halligen ist Hooge den Folgen des Klimawandels besonders stark ausgesetzt. WAHRNEHMUNGEN Die aus Festlandsperspektive schwierigen Um- weltbedingungen sind für HoogerInnen normal und typische Phänomene wie Landunter (vgl. Abb. 1) werden positiv wahrgenommen. Veränderungen sind jedoch spürbar , welche die meisten HoogerInnen dem Klimawandel zu- schreiben: aggressivere Stürme, stärkere Strö- mungen, höhere Wellen und Wasserstände, unberechenbareres Wetter und kräftigere Land- unter. Viele fürchten nicht die Naturgewalten, aber ihre finanziellen Konsequenzen und zukünftige Entwicklungen. Nur wenige nehmen keine Umweltveränderungen wahr. Dennoch sehen alle BewohnerInnen die Notwendigkeit , die Hallig als ihren eigenen Lebensraum zu schützen und als Wellenbrecher für das Festland zu erhalten. MAßNAHMEN Zum Schutz des Natur- und Lebensraumes Hallig sind in den nächsten 100 Jahren verschiedene Maßnahmen notwendig, die von LKN und Hallig- gemeinde koordiniert werden. Schon jetzt wird die Hallig außen von einem Sommerdeich befestigt, die Häuser stehen auf Warften. Gegen den steigenden Meeresspiegel soll Aufwarftung schützen. Sowohl die Warft selbst als auch die Häuser können erhöht werden, was in Pilotprojekten getestet wird. Neben umweltbezogenen Maßnahmen setzt Hallig Hooge auch auf eine Umgestaltung des sozialen Lebensraumes, um z.B. dem demografischen Wandel standzuhalten. Projekte wie die „Fairtrade-Hallig“ sollen wegweisend sein. KONTROVERSEN Die Finanzierung der Maßnahmen ist nur durch Zuschüsse von Land, Bund und EU leistbar. Daher rührt die Anforderung an die Lokalpolitik, Mittel für weitere Maßnahmen zu erkämpfen. Bezüglich der Berücksichtigung in den jeweiligen Planungen konkurrieren die Warften miteinander. Manche HoogerInnen äußern Zweifel an der Kompetenz der planenden Behörden und berufen sich auf ihre generationenlange Erfahrung im Küstenschutz. Viele wünschen sich daher mehr Mitbestimmung. Sorge bereitet den HoogerInnen infolge modernerer Baumaßnahmen ein möglicher Verlust des ursprünglichen Halligbildes, welches auch als touristischer Wirtschaftsfaktor größte Bedeutung für sie hat. ERGEBNISSE HERANGEHENSWEISE UND PROJEKTVERLAUF Abb. 2: Hallig Hooge im Schleswig-Holsteinischen Wattenmeer 12 Abb. 3: Projektverlauf Unsere Studie wurde als qualitative Fallstudie konzipiert. Die Transkripte der 25 semi- strukturierten Interviews haben wir mithilfe der Software MaxQDA nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in Bezug auf Wahrnehmungen, Maßnahmen und Kontroversen untersucht. Abb. 3 stellt den Projektverlauf dar. FAZIT Die Halligen sind ein besonderer Lebens- und Naturraum, der aus Sicht aller Beteiligten schützenswert ist. Küstenschutzmaßnahmen werden in Kooperation von Hallig und Politik angesichts des Klimawandels langfristig geplant. Die sich anbahnenden Veränderungen führen zu einigen Kontroversen mit und unter den HoogerInnen. Zu berücksichtigen ist, dass der Fokus der HoogerInnen nicht nur auf den Umweltbedingungen, sondern auch auf gesellschaftlichen Aspekten liegt. So wird der Erhalt der Hallig gleichsam durch Umweltveränderungen als auch durch soziale Fragen herausgefordert. LITERATURVERWEISE 1. Kerber, G. (2018) . Klimawandel hautnah. Wenn das Meer kommt – Wie Inselbewohner mit den Veränderungen umgehen. Berlin: Springer. 2. Barnett, J., & Campbell, J. R. (2010). Climate Change and Small Island States: Power, Knowledge and the South Pacific. London: Earthscan. 3. Lazrus, H. (2012). Sea Change: Island Communities and Climate Change. Annual Review of Anthropology, 41 , 285–301. 4. Der Spiegel (2011). Tonga in der Nordsee. Der Spiegel, 36, 40–42 5. Kelman, I. (2010). Hearing Local Voices from Small Island Developing States for Climate Change. Local Environment, 15, 7, 605–619. 6. McNamara, K. E. & Gibson, C. (2009). "We Do Not Want to Leave Our Land": Pacific Ambassadors at the United Nations Resist the Category of "Climate Refugees". Geoforum, 40, 475–483. 7. Ratter, B. & K. Gee (2012). Heimat – A German Concept of Regional Perception and Identity as a Basis for Coastal Management in the Wadden Sea. Ocean & Coastal Management, 68 , 127– 137. 8. Eriksen, S., Nightingale A. & H. Eakin (2015). Reframing Adaptation: The Political Nature of Climate Change Adaptation. Global Environmental Change, 35 , 523–533. 9. Adger, W. N., Lorenzoni I. & K. O’Brien (Hrsg.) (2009). Adaptating to Climate Change: Thresholds, Values, Governance .Cambridge: Cambridge University Press. 10. Döring, M. & B. Ratter (2017).The Regional Framing of Climate Change: Towards a Place-Based Perspective on Regional Climate Change Perception in North Frisia. Journal of Coastal Conservation, Online first. 11. Gónzalez-Riancho, P., Gerkensmeier, B., Ratter, B., González, M.& R. Medina (2015). Storm Surge Perception and Resilience: A Pilot Study in the German North Sea Coast. Ocean & Coastal Management, 112, 44–60 . 12. Onlie unter https://de.wikipedia.org/wiki/Hallig. Klimawandel auf den Halligen Dr. Carola Klöck, Florian Bunes, Marlene Meyer, Nora Meyer, Franziska Schade, Alexander Weyershäuser

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FORSCHUNGSORIENTIERTES LEHREN UND LERNEN (FOLL)

Wintersemester 2017/18

Ansprechpartnerin für FoLLSusanne Wimmelmann, HochschuldidaktikTel. 0551 395981E-Mail: [email protected]: www.uni-goettingen.de/forschendeslernen

Gemeinsames Bund-Länder-Programm für bessere Studienbedingungen und mehr Qualität in der LehreDieses Vorhaben wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01PL16061 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt liegt beim Autor.

Abb. 1: Landunter auf Hallig Hooge

8-11/2017Erarbeitung der

Forschungsfragenund des Designs,

Literaturrecherche

11-12/2017Feldforschung

auf Hallig Hooge und in Husum (25

qualitative Interviews)

12-02/2017-18Transkription der Interviews, erste Auswertung der

Memos

02-04/2018Codierung und

inhaltliche Analyse,

Verschriftlichung der Ergebnisse

04/2018Workshop auf Hallig Hooge,

Präsentation & Diskussion erster

Ergebnisse

04-06/2018Fertigstellung des

Papers, Policy Briefs, FOLL-

Präsentation und Poster

EINLEITUNG

Inseln sind besonders von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen; entsprechend vielAufmerksamkeit erhalten sie in Medien, Politik und Wissenschaft.1-3 Häufig werden InselbewohnerInnenals „Opfer“ dargestellt, deren Heimat „untergehen“ wird,4 wohingegen die InselbewohnerInnen selbsteher selten zu deren Betroffenheit und Reaktionen auf Klimafolgen direkt befragt werden.5 Unserinterdisziplinäres FOLL-Projekt untersucht den Klimawandel aus Sicht der BewohnerInnen auf HalligHooge im Schleswig-Holsteinischen Wattenmeer (vgl. Abb. 1, 2). Dabei widmen wir uns drei Fragen: wiedie HoogerInnen die gegenwärtigen und zukünftigen Veränderungen wahrnehmen, welche Maßnahmensie ergreifen und welche Kontroversen dabei auftreten.

KLIMAWANDEL, ANPASSUNG UND WAHRNEHMUNGEN

Dass Fremd- und Eigenwahrnehmung häufig divergiert, zeigt die Forschung zu Klimawandel inInselkontexten.5,6 Gleichzeitig unterstreicht die Forschung, dass effektive Anpassung die Beteiligung derlokalen Bevölkerung erfordert,7 da sie als politischer Prozess ausgehandelt wird.8,9 Mehr und mehrStudien untersuchen daher lokale Wahrnehmungen des Klimawandels, z.B. an der deutschenNordseeküste.10,11

Unsere Studie dokumentiert Wahrnehmungen auf Hallig Hooge, der mit gut 100 EinwohnerInnengrößten der 10 Halligen der Nordsee (Abb. 2). Wie alle Halligen ist Hooge den Folgen des Klimawandelsbesonders stark ausgesetzt.

WAHRNEHMUNGEN

Die aus Festlandsperspektive schwierigen Um-weltbedingungen sind für HoogerInnen normalund typische Phänomene wie Landunter (vgl.Abb. 1) werden positiv wahrgenommen.Veränderungen sind jedoch spürbar, welche diemeisten HoogerInnen dem Klimawandel zu-schreiben: aggressivere Stürme, stärkere Strö-mungen, höhere Wellen und Wasserstände,unberechenbareres Wetter und kräftigere Land-unter. Viele fürchten nicht die Naturgewalten,aber ihre finanziellen Konsequenzen undzukünftige Entwicklungen. Nur wenige nehmenkeine Umweltveränderungen wahr.Dennoch sehen alle BewohnerInnen dieNotwendigkeit, die Hallig als ihren eigenenLebensraum zu schützen und als Wellenbrecherfür das Festland zu erhalten.

MAßNAHMEN

Zum Schutz des Natur- und Lebensraumes Halligsind in den nächsten 100 Jahren verschiedeneMaßnahmen notwendig, die von LKN und Hallig-gemeinde koordiniert werden.Schon jetzt wird die Hallig außen von einemSommerdeich befestigt, die Häuser stehen aufWarften.Gegen den steigenden Meeresspiegel sollAufwarftung schützen. Sowohl die Warft selbstals auch die Häuser können erhöht werden, wasin Pilotprojekten getestet wird.Neben umweltbezogenen Maßnahmen setztHallig Hooge auch auf eine Umgestaltung dessozialen Lebensraumes, um z.B. demdemografischen Wandel standzuhalten. Projektewie die „Fairtrade-Hallig“ sollen wegweisendsein.

KONTROVERSEN

Die Finanzierung der Maßnahmen ist nur durchZuschüsse von Land, Bund und EU leistbar. Daherrührt die Anforderung an die Lokalpolitik, Mittelfür weitere Maßnahmen zu erkämpfen.Bezüglich der Berücksichtigung in den jeweiligenPlanungen konkurrieren die Warften miteinander.Manche HoogerInnen äußern Zweifel an derKompetenz der planenden Behörden undberufen sich auf ihre generationenlangeErfahrung im Küstenschutz. Viele wünschen sichdaher mehr Mitbestimmung.Sorge bereitet den HoogerInnen infolgemodernerer Baumaßnahmen ein möglicherVerlust des ursprünglichen Halligbildes, welchesauch als touristischer Wirtschaftsfaktor größteBedeutung für sie hat.

ERGEBNISSE

HERANGEHENSWEISE UND PROJEKTVERLAUF

Abb. 2: Hallig Hooge im Schleswig-Holsteinischen Wattenmeer12

Abb. 3: Projektverlauf

Unsere Studie wurde als qualitative Fallstudiekonzipiert. Die Transkripte der 25 semi-strukturierten Interviews haben wir mithilfeder Software MaxQDA nach Gemeinsamkeitenund Unterschieden in Bezug aufWahrnehmungen, Maßnahmen undKontroversen untersucht.Abb. 3 stellt den Projektverlauf dar.

FAZIT

Die Halligen sind ein besonderer Lebens- und Naturraum, der aus Sicht aller Beteiligten schützenswert ist. Küstenschutzmaßnahmen werden in Kooperation von Halligund Politik angesichts des Klimawandels langfristig geplant. Die sich anbahnenden Veränderungen führen zu einigen Kontroversen mit und unter den HoogerInnen.Zu berücksichtigen ist, dass der Fokus der HoogerInnen nicht nur auf den Umweltbedingungen, sondern auch auf gesellschaftlichen Aspekten liegt. So wird der Erhalt derHallig gleichsam durch Umweltveränderungen als auch durch soziale Fragen herausgefordert.

LITERATURVERWEISE1. Kerber, G. (2018). Klimawandel hautnah. Wenn das Meer kommt – Wie Inselbewohner mit den Veränderungen umgehen. Berlin: Springer. 2. Barnett, J., & Campbell, J. R. (2010). Climate Change and Small Island States: Power, Knowledge and the South Pacific. London: Earthscan.3. Lazrus, H. (2012). Sea Change: Island Communities and Climate Change. Annual Review of Anthropology, 41, 285–301.4. Der Spiegel (2011). Tonga in der Nordsee. Der Spiegel, 36, 40–425. Kelman, I. (2010). Hearing Local Voices from Small Island Developing States for Climate Change. Local Environment, 15, 7, 605–619. 6. McNamara, K. E. & Gibson, C. (2009). "We Do Not Want to Leave Our Land": Pacific Ambassadors at the United Nations Resist the Category of "Climate Refugees". Geoforum, 40, 475–483.7. Ratter, B. & K. Gee (2012). Heimat – A German Concept of Regional Perception and Identity as a Basis for Coastal Management in the Wadden Sea. Ocean & Coastal Management, 68, 127–

137.

8. Eriksen, S., Nightingale A. & H. Eakin (2015). Reframing Adaptation: The Political Nature of Climate Change Adaptation. Global Environmental Change, 35, 523–533. 9. Adger, W. N., Lorenzoni I. & K. O’Brien (Hrsg.) (2009). Adaptating to Climate Change: Thresholds, Values, Governance.Cambridge: Cambridge University Press.10. Döring, M. & B. Ratter (2017).The Regional Framing of Climate Change: Towards a Place-Based Perspective on Regional Climate Change Perception in North Frisia. Journal of Coastal

Conservation, Online first.11. Gónzalez-Riancho, P., Gerkensmeier, B., Ratter, B., González, M.& R. Medina (2015). Storm Surge Perception and Resilience: A Pilot Study in the German North Sea Coast. Ocean & Coastal

Management, 112, 44–60 .12. Onlie unter https://de.wikipedia.org/wiki/Hallig.

Klimawandel auf den HalligenDr. Carola Klöck, Florian Bunes, Marlene Meyer, Nora Meyer, Franziska Schade, Alexander Weyershäuser