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SIEGESSÄULE WE ARE QUEER BERLIN NOVEMBER 2015 • SIEGESSAEULE.DE BERLINS MEISTGELESENES STADTMAGAZIN EXPANDED CONTENT IN ENGLISH Aufgestylt: Die wilden Looks der Szene Heiß diskutiert: Der Stonewall-Film kommt Warme Brüder: Comeback der Kingz of Berlin PRETTY COOL SIEGESSÄULE präsentiert: John Grant live

Transcript of  · wir 05 Tachauch! InZeitenvonSocialMediawollenwir allenichtnurphysisch,sondernauch...

  • SIEGESSÄULEWE ARE QUEER BERLIN

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    BERLINS MEISTGELESENES STADTMAGAZIN EXPANDED CONTENT IN ENGLISH

    Aufgestylt:Die wilden Looks der Szene

    Heiß diskutiert:Der Stonewall-Film kommt

    Warme Brüder:Comeback der Kingz of Berlin

    PRETTY COOL

    SIEGESSÄULE präsentiert:John Grant live

    Cover_11_Layout 1 21.10.15 15:37 Seite 1

  • Werdedir Frieden?

    Giuseppe Verdi, Aida, Vierter Aufzug [Zitat]22. [Premiere], 25., 28. November; 3., 6., 10. Dezember 2015Musikalische Leitung: Andrea Battistoni; Inszenierung: Benedikt von Peter

    Karten und Infos: 030-343 84 343; www.deutscheoperberlin.de

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  • wir05 Tach auch!In Zeiten von Social Media wollen wiralle nicht nur physisch, sondern auchethisch-moralisch gut aussehen. SIEGES-SÄULE-Redakteur Joey Hansom übereine neue Form der Oberflächlichkeit

    08 Nightlife15 Jahre Kingz of Berlin, DJ und Veran-stalter Aviv Netter im Abschiedsinter-view, 25 Jahre Hafen

    14 CommunityDie „Homosexualität_en“-Ausstellungist nur noch bis zum 01.12. zu sehen.Eine erste Bilanz

    19 News

    heute28 MusikGay-Rights-Aktivist Tom Robinson machtwieder Musik

    32 BuchDas politische Leben von Foucaults LoverDaniel Defert

    36 BühneGoethe andersrum: „Clavigo“ am Deut-schen Theater

    40 FilmUnfassbar gut: Greenaways Eisenstein-Film

    46 BlogweltDie Jungs von iHeartBerlin über inszenier-te Authentizität im Netz und ihre Vorzüge

    48 wtf?An English roundup

    50 Klatsch

    hier51 ProgrammDas ganze Berlin-ProgrammEnglish calendar of events

    80 Stadtplan

    84 EssenIsraelische Küche im RestaurantDer Kibbuz

    86 Kleinanzeigen

    96 Flashlights

    98 Das LetzteKolumne von Stefanie Jakobs

    98 Impressum

    Seite 20Titel

    In der Berliner Szene begeg-nen wir immer wieder Men-

    schen mit außergewöhnlichenLooks. Wir stellen euch fünf

    von ihnen vor

    Seite 40Film

    Die Verfilmung der Stonewall-Aufstände von 1969 durch denschwulen Hollywood-Regis-

    seur Roland Emmerich sorgtein den USA für Kontroversenin der Community. Wir spra-chen mit Emmerich über die

    Vorwürfe

    Seite 14Interview

    Mahmoud Hassino stammtaus Syrien und arbeitete

    dort offen als Gay-Blogger.2014 flüchtete er nach

    Deutschland. Wir trafen ihnzum Gespräch

    Special Media SDL GmbHSIEGESSÄULERitterstr. 310969 Berlin

    Redaktion, Tel.: 23 55 [email protected]äule.deRedaktionsschluss: 12.11.

    Programmtermine: -33, [email protected]: 05.11.

    Anzeigen: [email protected]: 10.11.

    [email protected]: 10.11.

    Abonnement: [email protected]

    SIEGESSÄULE 12/2015erscheint am 26.11.

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    Inhalt 3

    „Verschwulung?Gerne!“

    Viel Spaß mit derNovemberausgabeder SIEGESSÄULEwünscht dieChefredaktion!Christina Reinthalund Jan Noll

    ***003_003_Inhalt_Programm 21.10.15 17:26 Seite 3

  • wir4 Stadtbild

    Elfenbeine bei 2 JahrePolymorphia im SchwuZ am9. Oktober

    Festgehalten vonDragan Simicevicdragan-visualarts.com

    ***004_005_wir_Start_Programm 21.10.15 17:28 Seite 4

  • wirTach auch 5

    > Auch wenn mein Nachname vielleicht etwas anderes vermutenlässt, bin ich eigentlich nicht übermäßig eitel. Tatsächlich habeich noch nie ein Selfie gemacht. (Wer weiß: Wenn ich mal dazukommen sollte, mir ein Smartphone zu kaufen, versuche ich esvielleicht doch.) Obwohl ich längst erwachsen bin, werde ich nievergessen, wie ich mich fühlte, als ich das dickste Kind in der Klas-se war. Die Pubertät bescherte mir zwar einen durchschnittlichenBMI, änderte aber nichts an meinem schwuchteligen Auftreten.Mein Aussehen und mein Verhalten brachten mir jede MengeÄrger ein. Und es half ganz sicher nicht, dass ich es vorzog, meineKlamotten in Billigläden zu kaufen.„Du bist verrückt, mein Kind – du musst nach Berlin.“ Hier könnenExzentriker aufblühen. Ein Freak zu sein kann einem hier Türenöffnen (und ich meine nicht nur die des Berghains). Schwulekönnen Bürgermeister werden; Lesben können Berlins meistgele-senes Stadtmagazin verlegen. Und abgesehen davon, dass dieFemme-Phobie immer heftiger wird (ich habe das in der Schwu-lenszene miterlebt und auch in lesbischen Kreisen beobachtet),gibt es eine beachtliche Community für Queers aller Couleur. Men-schen, die sich politisch als queer identifizieren, sind diejenigen,denen man als Erstes zutraut, sich über Lookismus – also denHang der Gesellschaft, Menschen aufgrund ihrer äußeren Erschei-nung zu diskriminieren – bewusst zu sein.Dennoch erliegen fast alle von uns im Internet einer anderenForm von Ober-flächlichkeit. Wirstreben danach, gutauszusehen – nichtnur ästhetisch, auchethisch. Echtes Engagement kann so schnell zumWettbewerb werden: Wer ist die „Queen of PoliticalCorrectness“? Soziale Medien verleiten uns dazu. Wirwerden zu pixeldünnen Abziehbildern. Das Klicken auf „zusagen“bei der Facebook-Ankündigung einer Demo oder einer Solipartypassiert aus denselben Gründen, aus denen wir ein Selfie hochla-den: Wir wollen gut rüberkommen. Auch in der digitalen Welt ste-hen wir unter dem Druck, uns anzupassen, egal ob an„Mainstream“ oder „Underground“. Offenbar haben wir Angstdavor, verurteilt zu werden. Sonst würden wir uns nicht die Mühemachen, ständig eine überwältigend coole und total politischeVersion unseres Lebens zu posten. Aber was genau haben wireigentlich davon, einen Avatar zu erschaffen, der mit unseremrealen Leben so gut wie nichts zu tun hat? Seien wir doch ehrlich:Diese Oberflächlichkeit sieht einfach scheiße aus. <

    Übersetzung: Christina Reinthal

    > Despite my last name, I’m not ultra vain. In fact, I’ve never eventaken a selfie. (Maybe if I ever get around to buying a smartphone,I’ll give it a shot.) Although I’m a grown adult – at least by Berlinstandards – I’ll never forget how I felt when I was the fattest kid inthe class. Puberty brought my BMI closer to average, but it did noth-ing for my swishy demeanor. So, of course I received some harshjudgment based on the way I looked and acted. Shopping at thriftstores, rather than at the mall like most of my classmates, didn’t help.There’s some old quote that gets printed on postcards, attributed to19th century composer Franz von Suppé, about how Berlin is aweirdo magnet: “Du bist verrückt, mein Kind – du musst nachBerlin.” Here, eccentrics can thrive. Being a freak can open doors(and not just the ones at Berghain). Gays can be mayor; lesbians canrun Berlin’s most-read city magazine. And despite the fact that fem-mephobia is disgustingly rampant (I’ve experienced it within the gaymale scene and witnessed it in lesbian circles), there’s a sizeablecommunity for queers of all kinds here. People who politically identi-fy as queer – people who challenge all oppressive norms – are theones who are most likely to be aware of lookism, to speak out againstsociety’s preferential treatment based on appearance.However, nearly all of us are guilty of another kind of superficiality.We strive to look good – not only aesthetically, but ethically as well.Real engagement can devolve into a game of “Who’s the most politi-cally correct?“ The wonders of social media allow us to be even more

    shallow than skin-deep as we construct pixel-thin personae. We might click “attend” on theFacebook event for a demo or a Soliparty for thesame reason we’d upload a selfie: Our appear-

    ance. Just like in theoffline world, we ex-perience pressure tomake our digital

    selves conform to certain ideals, whether “mainstream” or “alterna-tive”, whether imposed by someone else or legitimately our own. Sosomehow it seems we all know what it’s like to be judged by others.Otherwise we probably wouldn’t bother exaggerating the amazing-ness of our lives in our status updates.Never mind the fact that maintaining an online profile is actually un-paid labor for corporations collecting data so they can make moneyoff you. Do any of us find real fulfillment in the time and energyspent on creating a perfect avatar, when the actions of our flesh-and-blood counterparts don’t match up? Let’s face it: Superficiality justisn’t a good look. <

    Der neue Narzissmus

    Pixel-thin personae... Superficiality just isn’t a good look

    Wir wissen, dass wir uns nicht vom äußeren Schein blenden lassen sollen. Den-noch sind wir besessen davon, uns selbst als unglaublich perfekt darzustellen.SIEGESSÄULE-Redakteur Joey Hansom fragt sich, wen wir damit reinlegen wollen

    We’ve all learned that we shouldn’t judge a book by its cover. So why are weobsessed with presenting ourselves as impossibly perfect? SIEGESSÄULE edi-tor Joey Hansom wonders whom we’re actually fooling

    Pixeldünne Abziehbilder... Oberflächlichkeit sieht scheiße aus

    Next-level narcissism

    ***004_005_wir_Start_Programm 21.10.15 17:28 Seite 5

  • wir6 MagazinZeitlos

    Einen pubertären „Beef“ gab esMitte Oktober auf Facebook zwischenJungaktivist Nasser El-Ahmad undder Gay-Rights-Gruppe Enough isEnough (EiE). Nachdem EiE mit leichtgenüsslichem Subtext gepostet hatte,dass sich zu Nassers Demo für dieÖffnung der Ehe am 17.10. gerademal „knapp 80 Menschen“ versam-melt hätten, polterte Nasser drauflos,dass er sich von EiE, ebenso wie vonder Initiative Ehe für alle, mehr Unter-stützung erhofft hätte. GekränkteEitelkeit bei Nasser, Schadenfreudeaufseiten von EiE? Im Grunde schienes beiden Streithähnen nur darum zugehen, wer die längste, ähm, Demohat. Peinlich.

    Niveaulos

    Was mit einer Kickstarter-Kampagne be-gann, ist ab dem 22. Oktober haptischeWirklichkeit: Die erste Ausgabe des inZukunft vierteljährlich erscheinendenMagazins Queen steht in den Läden. Dasselbst ernannte „world’s first high-end,high-fashion international drag magazine“startet mit Alaska Thunderfuck 5000 aufdem Cover, bekannt aus der TV-Show„RuPaul’s Drag Race“. queenmagintl.com

    Im Leben begegnet man sich immer zweimal. Das dachte sich auchunsere Leserin Nico und schrieb uns eine E-Mail. Im November

    2005 – genau vor 10 Jahren – zierte sie das Cover der SIEGESSÄULE.Frisch auf dem Kopf errötet, zum ersten Mal seit 2005 übrigens,

    schaute sie im Oktober in der Redaktion vorbei. Das Cover war fürsie damals zum einen eine Überraschung (man hatte ihr gesagt, das

    Foto würde klein im Innenteil erscheinen), zum anderen führte esquasi zum ersten SIEGESSÄULE-Baby: „Ende November 2005 lernte

    ich jemanden in einer Bar kennen und überreichte meine Telefon-nummer auf einem der Cover.Wir waren daraufhin neun Jahre lang

    zusammen und haben inzwischen einen siebenjährigen Sohn.“

    Loslegen

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    Benjamin Melzer könnte der ersteTrans*mann auf dem Cover der deutschenMen’s Health werden. Nachdem in denUSA bereits vor Kurzem ein Trans*mannbeim Voting für eine Cover-Wildcard desFitnessmagazins mitgemacht, aber leidernicht gewonnen hatte, geht der 28-Jährigeaus Recklinghausen nun in Deutschlandfürs Cover an den Start. „Ich möchte Mutmachen und zeigen, dass mit Vertrauen,Willensstärke und dem Glauben an sichselbst alles möglich ist“, sagte er gegen-über SIEGESSÄULE.Abstimmen kann mannoch bis zum 06.11. auf menshealth.de.

    Hüllenlos

    ***008_019_wir_Programm 21.10.15 17:42 Seite 6

  • Lo Malinkegründete 1996 mit sei-nem Mann das Chan-son- und KabaretttrioMalediva, das sich imMai 2014 von derBühne verabschiedete.Inzwischen schreibensie Drehbücher – vierwurden bereits in derARD ausgestrahlt.Außerdem schreibt LoRomane.

    Gute Seiten,schlechte Seiten –das queere literari-sche Quartett, 27.11.,20:30, Eisenherz

    filmschreiberei.de

    18 Jahre lang waren Lo Malinke und sein Mann Tetta Müller Malediva undunterhielten in zahlreichen Programmen die Kleinkunstwelt mit süffisant-ironi-schem und präzise getimtem Ehepaar-Humor. Im Frühjahr letzten Jahres gabensie ihren Abschied von der Bühne bekannt und gleichzeitig beendete Lo seineregelmäßigen Kolumnen für die SIEGESSÄULE. Da Tetta an Burn-out litt, wurdenweitreichenden Veränderungen nötig. Dass diese durchaus Früchte tragen, er-zählt Lo Malinke im Interview

    >Wie war der Abschied von der Bühne? Am Anfang hart, weiles ja keine freiwillige Entscheidung war, sondern wegen TettasBurn-out notwendig wurde. Aber dann ist es uns relativ gut gegan-gen damit. Wir haben alle schnell einen Übergang in andere Jobsoder in andere Themen gefunden.Ihr seid vor allem unter die Drehbuchschreiber gegangenund hattet gleich Erfolg. Da waren wir ganz naiv. Wir habeneine Familienkomödie geschrieben und dachten, hey, Weihnachtenist ja irgendwann wieder und dann kam „Alle unter einer Tanne“dabei raus. Das haben wir zwölfmal ausgedruckt und an Leute ge-schickt, von denen wir dachten, die haben entfernt was mit Fernse-hen zu tun – ohne Copyright, einfach so. Schließlich landete es beider UFA und wurde für die ARD verfilmt – und kurz darauf gleichdas zweite. Und dann dachten wir, wir können das besser undhaben eine eigene Produktionsfirma gegründet und damit dienächsten beiden Filme produziert. Also, wir hatten ein unglaubli-ches Glück, aber das hatten wir schon als Malediva immer. MehrGlück als Verstand.Du hast früher Kolumnen für uns geschrieben. Wie sehrvermisst du die?Mittlerweile sehr. Ich lese immer mit großemNeid, wie sich zum Beispiel Volker Surmann sich an einem der The-men des Monats abarbeitet. Es fehlt mir, aber ich habe es ganz gutersetzt. Ich schreibe jede Woche eine kleine Glosse, nur so für mich.Du schreibst dir ja die Finger wund: Eines der Drehbücherist schon als Roman erschienen, das zweite folgt auch bald.Was kommt noch? Ich schreibe gerade an meinem dritten Ro-man, was ein Abenteuer ist: Die ersten beiden habe ich nach unse-ren eigenen Drehbüchern geschrieben, diesmal ist das nicht so. Esist ein autobiografisches Buch, mit Erinnerungen an meine Kindheitund meine Großmutter, die aus Ostpreußen kommt.Und wie sehr vermisst du die Bühne? Oder hast du da auchschon einen Ersatz gefunden? Ein bisschen: Ich habe im Sep-tember mit Matthias Frings und Paul Schulz „Gute Seiten, schlechteSeiten“, ein queeres literarisches Quartett, gemacht …… das klingt wie die perfekte Fusion aus allem, was dumachst. Ja, total. Und ich bekomme Alkohol und darf rauchen(lacht). Das ist großartig. Aber es war sehr angstbesetzt. Ich bin jasonst immer mehr oder weniger als Figur aufgetreten, die zwarsehr nah an mir selbst dran war, aber es war eben eine geschriebe-ne Figur. Als Privatperson Lo Malinke auf der Bühne zu stehen warhart – zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Lampenfieber.Ende November gibt es die zweite Ausgabe. Ja, diesmal mitMaren Kroymann. Ich freu mich. < Interview: Christina Reinthal

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    ***008_019_wir_Programm 21.10.15 17:42 Seite 7

  • wir8 NightlifeBartklebenreloadedNeuköllner Schillerkiez, Montagabend, irgend-wann im Oktober, ein Ladenlokal. Aus den Laut-sprechern dröhnt „If Ya Gettin’ Down“ von 5ive,sechs Tänzer um die 40 bewegen sich in Stiefelnund Birkenstock-Sandalen im Takt, auf einemTisch wackeln Sekt- und Club-Cola-Flaschen mit.Die Tänzer werfen sich in Mackerpose, ziehengrimmig die Stirn in Falten und brechen dann inGekicher aus. Es riecht nach McFit-Umkleide. DieKingz of Berlin sind wieder da

    > Am 20. November feiert die legendäre Dragking-For-mation im SchwuZ ihr 15-jähriges Jubiläum mit einergroßen Show. Es werden alle neun Kingz of Berlin ge-meinsam auftreten und ihre alten Gruppentanznum-mern wieder auf die Bühne bringen. Als Special GuestssindWeggefährten dabei: die Spicy Tigers on Speed, dieebenfalls extra für diesen Abend wieder auferstehen.Vor 15 Jahren waren Dragkings in Berlin der letzteSchrei, die Kingz of Berlin die Posterboys des Trends.Die SIEGESSÄULE hob sie aufs Titelbild, auch dieSüddeutsche Zeitung schrieb über die Brüder derQueens, die sich Bärte ankleben, die Hose ausstopfen,Krawatten umhängen undMännlichkeitsbilder perfor-men – auf der Bühne, auf der Party, auf der Straße. „Daswar ein echter Hype“, seufzt Nic van Dyke, der 2000 dieKingz of Berlin mitgründete. Die Kingz performten inGruppenchoreografien Songs der Village People, Back-street Boys, 5ive und anderen, verzückten das Publi-kum in Berlin und bald auf CSDs und Festivals bundes-weit. Sie gaben Dragworkshops, inspirierten andereDragkünstler, Toni Transit gab ein Buch über Kingsmitheraus. Irgendwann Mitte der 2000er war der Hypevorbei, die Wege der Kingz trennten sich.Nun sind sie wieder da. Einen Abend jedenfalls. „Wirwollen ein kollektives Fest der Freude am Gender-Quir-li-Quirli“, drückt es Toni Transit aus. Mit der Bühnehaben nur noch wenige von ihnen zu tun. Moritz G.moderiert regelmäßig Shows, Kris Ko performt gele-gentlich, Toni Transit organisiert Kulturveranstaltun-gen – zusammenmitMoritz G. kuratierte er „Queer Up!“im Gorki-Studio. Die anderen haben bürgerliche Jobs.Umso mehr Spaß macht ihnen die Reunion. Ihre altenChoreografien haben sie mit VHS-Kassetten rekon-struiert, nun treten sie sich gegenseitig auf die Füße,

    kichern, kalauern. „Der Körper erinnert sich!“, ruftJohnny Kingsize, „Ohne Proben ganz nach oben!“,fordert Fronck de Saster, „Wir tanzen altersgerecht,Ausdruck statt Bewegung“, sagt Toni Transit, „Dyna-misch, aber sinnlos!“ – und Moritz G. fasst zusammen:„Wir sind nur gealtert, nicht gereift.“ Fronck ergänzt:„Wir hoffen, dass das Publikum mit uns gealtert oderzumindest altersmilde geworden ist.“ Dann bricht einStreit darüber aus, ob sie BHs auf die Bühne geworfenhabenwollen oder lieber Stofftiere. „Für uns ist das eineMischung aus Klassentreffen und Klassenfahrt“, sagtBen d’Over. „Wir hoffen, dass unser Publikum vondamals auch dabei ist!“Zeit ist vergangen. Das zeigt sich nicht nur daran, dassmanche Boygroup-Dance-Moves schwerfälliger ge-worden sind. Einige der Kingz müssen sich nicht mehrextra Bärte ankleben – das Geschlecht ist schon langeangeglichen. „Klar hat es bei uns auch zur Selbstfin-dung und zur Festigung der Identität beigetragen, dasswir als Kings auf die Bühne gegangen sind“, sagt Nicvan Dyke.Einige Nummern würden sie auch heute nicht mehrmachen. „Manche unserer früheren Nummern sindganz schöne Macker-Nummern, die sind heute nichtmehr lustig“, sagt Ben d’Over. „Vieles von den klassi-schen King-Performances ist heute nicht mehr sorelevant.“ Das sehen nicht alle Kingz so. „Wobei wir unsdamals auch schon viel über Maskulinität lustiggemacht haben“, sagt Kris Ko. Das ist heute nochgenauso aktuell wie damals. Deswegen hoffen dieKingz auf viele Gäste und bieten auch einen Bartklebe-Service auf der Party danach an (Hot Topic). Fronck deSáster ist überzeugt: „Drag hat heute die gleichebefreiende Wirkung wie damals!“ < Malte Göbel

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    Gealtert, aber nichtgereift – 15 JahreKingz of Berlin,20.11., 20:30, SchwuZ

    ***008_019_wir_Programm 21.10.15 17:42 Seite 8

  • We love JohnDer schwule US-Singer/Songwriter John Grant er-klimmt mit seinem dritten Soloalbum „Grey Tick-les, Black Pressure“, das Anfang Oktober erschien,die nächste Stufe des Erfolgs. Die Platte schoss ineinigen Ländern direkt in die Top 10, in Englandsogar auf Platz eins der Official Vinyl AlbumsCharts. SIEGESSÄULE präsentiert nun die Deutsch-landtournee des Ausnahmekünstlers

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    Foto:Marcus Wittemarcuswitte.comMake-up:Bülent MusduBuelentMusdu.com

    Einen besonderenDank an das Team vomMonster Ronson’s fürdas kurzfristige Bereit-stellen der Location!

    > John Grant ist der Antiheld in Reinform.Selten gewährte ein Künstler sowohl inseinen Texten als auch in seinen Inter-views so tiefe Einblicke in seine Abgründe,Ängste, Zweifel und Fehler. Doch wie dasmit Antihelden nun mal so ist, werdensie von Menschen genau dafür nur umsomehr geliebt. All das wäre aber wahr-scheinlich weniger relevant, würde dieserAntiheld nicht auch noch wahnsinnig guteMusik machen.„Ich habe der Wut in mir Raum gegeben“,sagte John im Interview in der Oktober-ausgabe der SIEGESSÄULE über die Arbeitan seiner aktuellen, bisher vielseitigstenPlatte. So ist „Grey Tickles, Black Pressure“ein Album geworden, das zornige Ausbrü-che, beißende Ironie, Zynismus, aber auchLiebe, Stärke und Mitgefühl in mal rockig-verzerrte, mal funky tanzbare oder drama-tisch elektronische Songs kleidet. Definitiveines der Alben des Jahres. Deshalb freuenwir uns umso mehr, als Medienpartner diedrei Shows umfassende DeutschlandtourGrants präsentieren zu dürfen, natürlichinklusive des Konzerts im Berliner Post-bahnhof am 26. November. < jano

    SIEGESSÄULE präsentiert:John Grant live 2015, 24.11. Köln, BürgerhausStollwerck; 25.11. Hamburg, Uebel & Gefährlich;26.11. Berlin, Postbahnhof (siehe S. 51)

    Nightlife 9

    ***008_019_wir_Programm 22.10.15 11:51 Seite 9

  • wir10 Nightlife

    Licht und Schatten

    Ende November verlässt Partyveranstalter Aviv Netter Berlin, umnach New Jersey/New York zu ziehen. Bekannt wurde er vor neunJahren innerhalb kürzester Zeit mit der cheesy Popreihe „Cityboy“und schließlich mit „Meschugge“, einem queerem Event, welchesjüdisches Lebensgefühl auf die Tanzflächen dieser Stadt brachte.Das Echo war massiv: Bundesweit wurde die Party in zig TV-Forma-ten gefeatured – bis heute. Zum achten Geburtstag der „unkosche-ren“ Reihe macht sich Aviv nun selbst ein eher ungewöhnlichesGeschenk und gibt die Leitung von „Meschugge“ ab. Wir sprachenmit ihm in sehr persönlicher Weise über die Hintergründe

    > Aviv, warum verlässt du Berlin?Berlin war meine große Liebe. In Israel,wo ich aufgewachsen bin, hatte ich eineschwierige Zeit, und es ging mir nie wirk-lich gut. Als ich mit 23 Jahren nach Berlinkam, fingen die Dinge an, sich zum Positi-ven zu ändern. Ich habe immer demDienstagabend entgegengefiebert. Da gabes noch die Partys im Ackerkeller. Ichhätte mir vorher nie träumen lassen, dasses solche tollen alternativen schwulenPartys überhaupt gibt! Da hat mich Berlingekriegt. Aber in den neun Jahren, dieinzwischen vergangen sind, gab es vieleschlechte Erfahrungen. Zu viele. Gebroche-ne Herzen, geplatzte Beziehungen, darü-ber hinaus ist mein bester Freund Santiagogestorben. Es reicht. Ich vermisse zudemeine gewisse Anonymität.Inwiefern spielt das Partyleben eineRolle bei deinem Weggang? Du warstschließlich kein Kind von Traurigkeit.Es ist schwierig für mich geworden, hierauszugehen. Vor Kurzem war ich bei Chan-tal. Das erste Mal seit zweieinhalb Jahren,obwohl die Party früher so was wie meinWohnzimmer war. Ich war der erste DJ,der dort Pop auflegte, und Chantal hieltmich damals für verrückt. Aber es schlugein. Nur als ich jetzt da war, habe ich michunwohl gefühlt. Ich denke, ich bin nichtmehr die Person, die ich mal war.Du bist jetzt clean. Ja. Ich war in derReha. Von 24 bis 29 habe ich jeden Tag

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    „8 Jahre BerlinMeschugge“, 13.11.,23:30, Brunnen 70

    Drogen genommen. Vor allem GHB. Jeden Tag. Und das machtdich zu einer anderen Person. Es hat funktioniert für mich. Icherinnere mich zum Beispiel an einen Geschäftstermin, den icham Tag nach einer Party wahrnehmen musste. Ich kam da vollge-pumpt auf G und Koks hin. Der war ein voller Erfolg, weil ich nichtschüchtern war. Normalerweise bin ich nämlich eher schüchtern.So gesehen hatte ich die Zeit meines Lebens, und in dem Moment,als ich aufhörte Drogen zu nehmen, bemerkte ich, wie sich meineEnergie änderte. Beim Auflegen, beim Weggehen. Es war nichtmehr das Gleiche. Zugegeben, ich vermisse das etwas. Aber ichweiß, der Körper kann das nicht ewig aushalten.Wie man bei Santiago gesehen hat, deinem besten Freund.Das war das Schlimmste überhaupt. Ich weiß noch, zwei Monatebevor er starb, sahen wir zusammen einen Bekannten, der zu-ckend bei einer After Hour auf dem Klo lag. Das war zu einer Zeit,als immer mehr neue Drogen auf den Markt kamen, wie 2C-B.Und wenn dann Montag der Vorrat an eigenen Sachen aufge-braucht war, nahm man eben, was man noch kriegen konnte,ohne die Wirkung zu kennen. Santiago und ich schworen uns, alswir den Typen da liegen sahen, das nicht zu tun, zu widerstehen.Aber ich glaube, er hat das nicht geschafft ...Doch es gab ja auch gute Momente, oder? Ja, wie die Eröff-nungsparty von „Cityboy“, wo ich auch zum ersten Mal als DJ jüdi-sche Popmusik und Oriental auflegte. Von da an ging es ab. DiesePhase war die glücklichste meines Lebens.Ist das Kapitel Berlin dann für dich ab Ende Novemberendgültig abgeschlossen? Ich sag es so: An sich bin ich niewirklich nach Berlin gezogen. Für mich fühlen sich die neunJahre an wie ein einziges verlängertes Wochenende. Keine Ah-nung, wie es mir zudem in den USA ergehen wird. Wie vieleJuden, die aus Israel wegzogen, kann ich mir auch nicht vorstel-len, in die alte Heimat zurückzuziehen. Wenn ich aber jemalsdaran denke, dass ich nach Hause zurückkehren will, dann wirdes Berlin sein. < Interview: Roberto Manteufel

    ***008_019_wir_Programm 21.10.15 17:42 Seite 10

  • 16. NOVEMBERSTAGE THEATER DES WESTENS

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    KARTENPREISE INKLUSIVE PROSECCO B.-EMPFANG UND CULPEPPERS MITTERNACHTSBUFFETAFTER-SHOW-PARTY IM SPIEGELSAAL: DJs WESTBAM, ADES ZABEL UND BIGGY VAN BLOND |MUSICAL-LOUNGE: FELIX MARTIN & FRIENDS

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    MEDIENPARTNER

    ***008_019_wir_Programm 21.10.15 17:42 Seite 11

  • Heimat HafenDer Hafen war die erste schwule Bar in der Motzstraße ohne ver-dunkelte Fenster und Klingel. „Jeder war willkommen“, sagt Be-treiber Uli Simontowitz, „es kamen auch viele, die vorher nicht ineine Homo-Bar gegangen wären.“ Am ersten Abend war der An-drang so groß, dass es schon um 1:00 keine Getränke mehr gab.„Es war so, als ob die Leute darauf gewartet hätten, dass mal wasanderes passiert.“ Kurz nach der Wende und der ersten Aidswelleherrschte Aufbruchsstimmung. „Man wollte mutiger, freier, selbst-bewusster sein, sich nicht immer entschuldigen müssen“, sagt Uli.Am 13. November, auf den Tag genau 25 Jahre nach seiner Eröff-nung, feiert der Hafen nun ein Vierteljahrhundert Szenegeschichte

    > Uli ist von Haus aus Schauspieler undRegisseur und eröffnete den Hafen damalsgemeinsam mit vier Freunden, unter ande-rem dem Künstler Peter Knoch, von ihm istauch die Deckenmalerei im Hafen, und demSchauspieler Victor Schefé. Auf den NamenHafen kam Uli, als er in Hamburg schau-spielerte. „Ich wollte einen kurzen, klarenBegriff undHafen finde ich einfach ein tollesWort.“ Die Location fand er bei einem Spa-ziergang in der Motzstraße. In den Räumenhatte sich in den 20er-Jahren ein angesagtesRestaurant befunden, in dem auch MarleneDietrich Gast gewesenwar. In den 50ernwares eine Prostitutionsbar gewesen, dann eineLesben- und später eine Stricherkneipe.Auch nach 25 Jahren schwärmt Uli von derkreativen Energie der Bar und dem wun-derbaren Team: „Wir haben den Königin-nentag einst nach Berlin geholt.“ Derimportierte niederländische Nationalfeier-

    Hafengeburtstag –25 Jahre Hafen,13.11., 21:00, HafenDJs: derMicha,San Jamo, MartinMöchtegern u. a.

    Foto: Uli (2. v. l.) u. a.beim ersten Lesbisch-Schwulen Stadtfest imJuni 1993. Der Hafengehörte zu den Mitini-tiatoren des Festes

    tag erfreut sich im gesamten Kiez seit nunmehr 20 Jahren größterBeliebtheit. Auch Hendryk Ekdahls Ratespiel „Quizz-O-Rama“ läuftschon seit 12 Jahren erfolgreich. Und DJs wie Berghain ResidentBoris machten hier die ersten Schritte zum Erfolg. Er wird auchbeim Jubiläum im Hafen vorbeischauen. Es gibt House-Electro-Nächte, die Schlagernacht mit DJ DerMicha, die Party „Planet Hafen“mit DJ Martin Möchtegern. Jeden Sonntag legt San Jamo auf. „Unse-re Partys sind immer verrückt“, sagt Uli. Einmal haben sie eine Andy-Warhol-Nacht inszeniert, bei der die Hafen-Crew auf drei echtenElefanten durch die Motzstraße zog.Stolz ist Uli auf die friedliche Atmosphäre in der Bar. Eine Schläge-rei habe er dort noch nie erlebt. Das Publikum ist gemischt, auch Pro-mis kommen gerne. Schauspieler Ian McKellen war da, Andy Bellvon Erasure, Martin Gore von Depeche Mode und Marc Almond.Stammgäste auf der Hafen-Bühne sind KünstlerInnen wie TimFischer, Malediva, Irmgard Knef oder Ades Zabel. „House of Shame“-Gastgeberin Chantal gehört zum Inventar. Einige KünstlerInnenwerden auch zumHafen-Geburtstag am 13. November erwartet. DasTeam und die Bar werden dann komplett in Silber dekoriert sein.Und, es soll eine Überraschung geben, eine „riesengroße Geschich-te“. Mehr wollte Uli noch nicht verraten. < Andreas Marschner

    wir12 Nightlife

    CD Relase

    25.11.2015

    Chansons aus demDarkroom – das Album!

    ***008_019_wir_Programm 22.10.15 11:53 Seite 12

  • Freitag13.11.2015Start24UhrLeisureSystem×FinestFriday

    Berghain

    ShutUp&Dance

    LIVEAMadeUpSoundBarker&BaumeckerLoneRandomer

    PanoramaBar

    Cola&JimmuLIVEAshleyBeedleLakutiStumpValleyTamaSumo

    Samstag14.11.2015Start24Uhr|Berghain|PanoramaBarKlubnacht

    Berghain

    AdamBeyerAlanFitzpatrickIdaEngbergJoelMullJuanSanchezLuigiMadonnaSamPaganini

    PanoramaBar

    SoichiTerada

    LIVEAntalHuneeLeonVynehallNickHöppnerOskarOffermannParamidaRyanElliott

    Freitag27.11.2015Start24Uhr|PanoramaBarFinestFriday

    TheGoldenFilter

    LIVE

    AlbrechtWasserslebenAvalonEmersonShaunJ.Wright

    Stadt 13

    GRA

    FIK:

    JURA

    SSIC

    APA

    RKA

    > Hallo, Ihr süßen Puppis! Der Winter naht. Schei-ße. Es gibt eigentlich kein perfektes Wetter fürTravestie. Im Frühling hab ich Heuschnupfen, imSommer ist es viel zu heiß, um Dutt zu tragen, imHerbst zu feucht für schöne Frisuren, und im Wintererkälte ich mich ständig wegen nuttiger Fummel.Es ist nicht leicht, ein Star zu sein. Na ja. Ich trinkemir mein Leben schön. Leider gibt es nun wohl eineBar weniger zum Saufen. Der Bierhimmel hat nunwohl doch geschlossen (wurde im Juli noch de-mentiert)! Ich war da ein Mal. Und kam fast nichtmehr raus – wegen des klebrigen Mobiliars. DieUmsätze hat das wohl nicht beeinflusst.Nun zur Mega-Meldung des Monats: Cher soll imBerghain gesichtet worden sein! Dürfen Transenda rein? Ich stelle mir gerade vor, wie die aufge-strapst vor den Klos steht und jeden fragt: „Hastdu was? Hast du was?” Ein Hinweis auf die Echt-heit dieser Meldung ist, dass Cher sich jetzt in Bay-ern in eine Klinik hat einliefern lassen:Verdacht aufden Epstein-Barr-Virus, eine tödliche Herpes-Art.Selber schuld! Wahrscheinlich ist die vermeintlicheCher aber nur ein pfiffiger Transvestit, der jedemgutgläubigen Berghain-Gast damit Getränke ausden Rippen leiert. Obacht ist also geboten.Wenndemnächst Michael Jackson gesichtet wird, wissenwir – hier geht es nicht mit rechten Dingen zu.Nepper, Schlepper, Bauernfänger überall.Auch im Rauschgold. Da fand die Verleihung desCommunityStars statt, eine Art Bambi für dieLGBTI-Szene. Sänger Donato Plögert sah hiereinen Grund für gesteigerte Obacht! Denn: Er hatin seiner Kategorie „Bester Künstler“ nicht gewon-nen! Das kann nun wirklich nicht sein, da müssendie Herrin Deluxe und das gesamte Internet beider Abstimmung geschummelt haben! So lässt Do-nato es zumindest nun verlauten.Ach Gottchen. Dagibt es von mir eine kleine Streicheleinheit unddann aber ab auf die stille Treppe.

    Kommen wir zum nächsten Top-Event der Szene:der großen Maneo-Gala im Tipi! Maneo, dasschwule Anti-Gewalt-Projekt, feierte sein 25-jähri-ges Bestehen – leider wollte niemand moderieren.Gabi Decker hatte zuerst abgelehnt (schade!),dann Maren Kroymann! Manno! Was war da los?Die beiden moderieren doch normalerweise allesweg, was bei drei nicht auf den Bäumen ist, merk-würdig. Angeblich sagte denen das Konzept nichtzu. Na ja, Notnagelin war dann Britta Elm! Diemoderierende Satellitenschüssel vom RBB, diemacht so Vorabendzeugs für Rentner und Alleinge-lassene. Frau Elm war überfordert. So viel Travestie,so viele junge Menschen … und schwule … The-men und so. Liebe Veranstalter, nehmt das nächsteMal doch jemanden, der/die mehr mit dem Sujetam Hut hat. Meine Nummer habt ihr ja.Apropos Verleihungen: LGBTI-Akitivist und Face-book-Sternchen Nasser El-Ahmad wurde jetztvom LSVD für den Respektpreis nominiert.Weil eraufgrund seiner Familiengeschichte (ich werde dasnicht noch mal aufbrühen, googelt einfach selber)und seines Einsatzes gegen Homo- und Trans*pho-bie das einfach verdient hat. Nasser veranstalteteja im Oktober eine Demo – die Finanzierung erwiessich als schwierig. Die nötigen 853 Euro kamen nurschleppend über Crowdfunding zusammen, scha-de! Alle wollen sie die Regenbogenflagge schwin-gen und „sich einsetzen”, aber eine Demo mit einpaar Euro zu finanzieren: Nein. Das Wochenend-Ko-kain muss doch noch bestellt werden.Zum Schluss noch ein Kompliment an Bob Young,der hat im Trailer für seinen „Drag Contest” NinaQueer, meine Wenigkeit und Pansy persifliert, letz-tere mit einem riesigen Stöckel-Hut auf dem Kopf.Pansy war not amused und ließ es sich nicht neh-men, mit einem noch größeren Hut auf Bobs Veran-staltung aufzukreuzen. Chapeau, Prost und Obacht,Eure Juju. <

    Freitag13.11.2015Start24UhrLeisureSystem×FinestFriday

    Berghain

    ShutUp&Dance

    LIVEAMadeUpSoundBarker&BaumeckerLoneRandomer

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    Berghain

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    Freitag27.11.2015Start24Uhr|PanoramaBarFinestFriday

    TheGoldenFilter

    LIVE

    AlbrechtWasserslebenAvalonEmersonShaunJ.Wright

    Jurassica Parka istBerlins bekanntesteMultimediatranse miteigenem YouTube-Kanal, eigener Party –„Popkicker“ (14.11.)im SchwuZ – undeigener Late-Night-Show (07.11., BKA)

    ***008_019_wir_Programm 21.10.15 17:42 Seite 13

  • wir14 Community

    > Mahmoud, in deinem Blog fällt eine Aktion besondersins Auge. Es ist die Mr. Gay Syria 2016 Competition.Worum geht es da genau? Zwar berichtet die Presse über diesyrischen LGBTI-Morde der IS, aber niemand mehr über die Ver-brechen des Assad-Regimes und über die, die es überlebt haben.Deshalb will ich mit meiner Aktion die Leute wach rütteln. BeiMr. Gay World auf Malta soll es einen Delegierten aus Syriengeben, einen Beweis, dass es uns noch gibt. Wir sind nicht bloßdie Leichen in den Videos des IS.Wo bist du groß geworden? Ich wurde in einer syrischenKleinstadt geboren, bin aber in Saudi-Arabien aufgewachsen. Mit18 Jahren ging ich zurück nach Syrien, um dort englische Litera-tur und Kommunikationsdesign zu studieren. Danach arbeitete ichals Journalist.Wie war das Verhältnis zu deinen Eltern? Ich verdankeihnen viel. Ich konnte ihnen frei sagen, was ich denke, obwohlmein Vater ein strenggläubiger Muslim war. Ich erinnere michzum Beispiel, dass wir als Kinder in Saudi-Arabien keine Musikhören durften. Ich habe meinem Vater gesagt, dass ich nicht an

    Kein Gott ohne MusikMehrere Hundert Flüchtlinge kommen pro Tag nach Berlin. Ihre Schicksale blei-ben meist anonym. Mahmoud Hassino (Foto) aus Syrien gehört zu ihnen. Er istJournalist und war in seiner Heimat ein aktiver Gay-Blogger. Im Juni 2014 kamer nach Deutschland, mittlerweile arbeitet er bei der Schwulenberatung. Wirhaben mit ihm über seine Lebensgeschichte gesprochen

    einen Gott glauben könne, der Musik ver-bietet. Wenn du erwachsen bist, kannst dumachen, was du willst, hat er geantwortet.Aber wenn du das jemandem erzählst,werden sie uns alle umbringen.Wann hast du herausgefunden, dassdu schwul bist? Mit 13 Jahren begannich sexuelle Phantasien mit Männern zuentwickeln. Auch wenn die Religiösen Ho-mosexualität nicht erlauben, existiert siealso, dachte ich damals. Innerhalb meinerFamilie war es ja ganz normal, Dinge zuhinterfragen. Deshalb war es für michauch weniger ein Problem, meine Homose-xualität zu akzeptieren, vielmehr stellte ichmir die Frage, wie ich damit durchkomme.Dann wurde ich Augenzeuge, als zweiSchwule geköpft wurden, auf einem öffent-lichen Platz in Medina, wo wir damals leb-ten. Wir waren mit der Schulklasse geradeunterwegs zur Moschee. Ich habe nieman-dem von meinen Phantasien erzählt, weilich Angst hatte. Sobald wie möglich wollteich zurück nach Syrien.Weil die Situation dort besser war?Natürlich herrschte dort eine Diktatur, aberdie Hauptstadt Damaskus hatte etwas vonder Freizügigkeit Istanbuls. Ich habe meine

    FOTO

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    Mahmouds Blog:syriangayguy.wordpress.com

    ***008_019_wir_Programm 22.10.15 11:55 Seite 14

  • Community 15

    Familie damit konfrontiert, dass ich nachSyrien zurückkehren werde und nie wie-der saudi-arabischen Boden betrete.Haben sie deine Entscheidung ver-standen? Ihnen war klar, dass ich esunter konservativen Muslimen nicht län-ger aushielt. Jahre später erzählte mirmeine Mutter, dass sie da schon längstwusste, dass ich schwul bin.Hast du dich jemals als schwul geou-tet? Sobald ich in Syrien zu arbeiten anfing,habe ich es jedem erzählt, der gefragt hat.Zweimal haben sie mir deswegen gekündigt.Du hast ein natürliches Selbstbe-wusstsein ... Kam es so zu deinem ers-ten Blog? Ja. 2006 arbeitete ich in einerWerbeagentur, und eines Tages haben siemich in die Türkei, nach Bursa, geschickt.Dort konnte mir keiner sagen, wo man alsSchwuler ausgehen kann. Damals ist mirklar geworden, dass das für Touristen inSyrien nicht anders ist. Das war der Start-schuss für mein Infoportal über dasschwule Syrien.Wie bist du dabei vorgegangen? Ano-nym. Ich musste lernen, wie man seineSpuren im Netz verwischt. Natürlichwurde die Seite trotzdem gesperrt.Hattest du keine Angst? Nein. Ich habeein Jahr verdeckt gearbeitet. Dann hatte

    ich die Schnauze voll und habe mein Foto,meinen Namen und meine Adresse onlinegestellt. Gleichzeitig habe ich zwei Artikelüber Homosexualität im Islam veröffent-licht, um die Reaktion des Regimes zu tes-ten. Die Behörden sind dann auf michaufmerksam geworden und man versuch-te mich einzuschüchtern. Wann immerdiese Leute wollten, musste ich alles ste-hen und liegen lassen und mit ihnen mit-kommen. Ich hoffte jedes Mal, nicht längerfestgehalten oder gefoltert zu werden. Ichkonnte nicht einschätzen, wie ernst die Si-tuation war. Vielleicht fand es ja eine ein-zelne Person einfach lustig, mich zudrangsalieren. 2010 fingen dann in Syriendie Schwulen-Razzien an. 2011 kam es zuersten Demonstrationen, und ich habe fürdie Meinungsfreiheit mitgekämpft. Das Re-gime begann in der Folge die Demonstran-ten umzubringen und ich habe wiederanonym gebloggt. Verwandte haben dasherausgefunden, mich bedroht. Daraufhinhabe ich entschieden Syrien zu verlassen.Du bist in die Türkei gegangen. Ichbekam dort sofort Arbeit als Reporter. Re-gelmäßig bin ich nach Nordsyrien gefah-ren, um über die Lage zu berichten, überGegenden, in denen die syrische Armeevon dschihadistischen Banden verdrängtwurde. Die aktuelle Situation, dass LGBTIsvon Dschihadisten umgebracht werden,habe ich vorhergesehen.Wie bist du nach Deutschland gekom-men? Ich bekam für drei Monate ein Sti-pendium der Heinrich-Böll-Stiftung.Danach wollte ich zurück, doch meinVisum für die Türkei lief aus. Freunde

    „Nicht die Religion istdas eigentliche Übel,sondern das Konzept

    des Maskulinen, das auchin nicht muslimischenLändern dominiert“

    haben mir dann geraten politisches Asyl inDeutschland zu beantragen.Gab es Probleme beim Asylantrag?Das erste Problem bei einem Asylantragsind die Dolmetscher, die meist aus dem-selben Land kommen wie die Flüchtlinge.Zum Beispiel hat es einem nicht gepasst,dass ich Atheist und schwul bin. Als ichden Sozialarbeiter nach meinen Rechtenund Pflichten fragte, mischte er sich einund behauptete, dass einer wie ich keineRechte hätte.Und wie war die Situation im Flücht-lingsheim? Als Schwuler wurde ich ge-mobbt. Das Problem ist, dass dieSozialarbeiter um 16:00 gehen und erst amnächsten Morgen wiederkommen. DieFrage ist, was in der Zwischenzeit passiert.Ich hatte einen toleranten Zimmernach-barn, aber wenn der nachts nicht da war,habe ich mich bis zum nächsten Morgeneingeschlossen. Ich kann mich ja nichteiner Meute von hundert Leuten stellen ...Wie erklärst du dir die angespannteAtmosphäre? Dort hocken viele Leutemit einem sinnentleerten Leben auf engs-tem Raum. Das Einzige, was sie dann ver-bindet, ist der Hass auf LGBTIs, der sichauch deshalb hemmungslos entlädt, weiler in den Heimatländern vieler etwas ganzNormales ist. Dabei ist jedoch nicht die Re-ligion das eigentliche Übel, sondern dasKonzept des Maskulinen, das auch in nichtmuslimischen Ländern dominiert undalles andere, insbesondere Frauen, kon-trollieren will. Bei diesem Verständnis vonMännlichkeit werden LGBTIs als Freiwildangesehen. < Interview: Susann Reck

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    ***008_019_wir_Programm 21.10.15 17:42 Seite 15

  • wir16 CommunityGenderTroubleSie ist eines der wichtigsten queeren Kultureventsder letzten Jahre: Die von SIEGESSÄULE präsen-tierte Ausstellung „Homosexualität_en“. Noch biszum 1. Dezember wird sie im Deutschen Histori-schen Museum und im Schwulen Museum* zusehen sein. Mit ihrer queer-feministischen Per-spektive auf homosexuelle Lebensweisen stieß siein der Szene sowohl auf Begeisterung als auchauf Kritik. SIEGESSÄULE-Autor Carsten Bauhausfasst die unterschiedlichen Positionen zur Schauzusammen

    > Von den nackten Zahlen her ist das Projekt schon malein Erfolg. Allein bis Mitte Oktober zählte das DeutscheHistorische Museum über 60.000 Besucher, im Schwu-lenMuseum* näherteman sich der 10.000er-Marke, wasdie Ausstellung in diesem Haus zur bisher erfolgreichs-ten überhaupt macht. Ob die Gäste vornehmlich hetero-sexuell sind oder nicht, darüber lässt sich nur schwereine Aussage treffen. Fest steht, dass es im DHM deut-lich weniger Gruppenbesucher als üblich sind. Homose-xualität_en sind offensichtlich etwas für Individualisten.Die Gästebücher sprechen viel von Begeisterung. Aberes gibt auch — vor allem schwule — Besucher, die ihreSchwierigkeiten mit einem Konzept haben, das Homo-sexualität „ganz klar im Rahmen queer-feministischerPolitik und Theorie begreift und präsentiert", wie esMit-kuratorin Birgit Bosold formuliert.„Geradewenn es umdie Gender-Thematik geht, braucheich thematisch eindeutigere Aussagen“, kommentiertetwa der Fotograf Rüdiger Trautsch die Auswahl derKunstwerke. „Ichwünschemir Positionen, die sich nichthinter einer künstlerischen Abstraktion verstecken. So-dass auch ich als schwulerMann da einenMehrwertmit-nehmen kann.“ Trautsch war schon 1973 auf derlegendärenBerliner Pfingstdemomit dabei –wie eine sei-ner Fotografien in der Ausstellung illustriert. „Ich waretwas enttäuscht von der Ausstellung. Und viele meinerFreude denken ähnlich. Vielleicht liegt das daran, dasswir alle etwas älter sind.“ Mit dieser Aussage trifftTrautsch durchaus den Kern, denn die Schau markiertsicherlich auch einen Generationswechsel. Und eineneue Sichtweise auf unsere Geschichte. „Die Ausstellungsollte ja nicht vornehmlich die Erfolge feiern, sondernden Fokus darauf richten, was noch zu erledigen ist, wonoch Debatten anstehen“, so Birgit Bosold. „Kritische

    Stimmen zu provozieren war deshalb auch Sinn derSache. Besser, es gibt Diskussionen und Aufregung oderauch Begeisterung, als wenn es gar nichts auslöst.“ DasUnbehagenmancher in Bezug auf die Tendenz der Aus-stellung zeigte sich schon zu Beginn an der Kritik amPlakatmotiv mit Heather Cassils: Trans*themen würdenso fälschlicherweise mit Homosexualität gleichgestellt.Birgit Bosold steht weiterhin zur Auswahl des Bildmo-tivs, das gängige Normen sprengt: „Wenn der Preis fürAnerkennung die Normalisierung ist, wird’s politischeng, denn was ist mit den Leuten, die die ‚normalen’Werte nicht teilen? Haben die keine Anerkennung ver-dient?“ In der Fachwelt, unter Historikern, Kuratorenund Museumsleuten, ist die Ausstellung übrigens ex-trem positiv rezipiert worden. Und das vor allem auchwegen der Art der Präsentation: die nicht lineare, nichtchronologische, multiperspektivische Darstellung. Einwichtiger Erfolg: Schließlich sollten genau diese Damenund Herren in den Institutionen angeregt werden, ihreeigenen Sammlungsdarstellungen und Präsentations-formen zu überdenken. „Das DHM etwa hat den Auftrag,die Geschichte der deutschen Gesamtgesellschaft zu ver-handeln“, so Bosold. Bisher kamen wir aber darin garnicht vor. „Nicht heteronormative Perspektiven und The-men sollten in Zukunft selbstverständlicher Teil jederAusstellung werden, und zwar in allen Institutionen.“Vor allem hat die Ausstellung etwas deutlich gemacht,was auch Birgit Bosolds Kernthese entspricht: „Ich glau-be, dass die sexuelle Revolution und die Änderung derRolle der Frauen in der Gesellschaft die entscheidendesoziale Revolution im 20. Jahrhundert war. Ohne siewären wir alle nicht das, was wir heute sind. Dann gäbees keine Homosexualität_en-Ausstellung und auchkeine SIEGESSÄULE.“ < Carsten Bauhaus

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    Homosexualität_en,bis 01.12., DeutschesHistorisches Museum,Schwules Museum*

    Fazit der SIEGESSÄULE-Redaktion zurAusstellung ab 15.11.auf SIEGESSÄULE.DE

    ***008_019_wir_Programm 22.10.15 11:59 Seite 16

  • ***008_019_wir_Programm 21.10.15 17:43 Seite 17

  • >Wie definiert ihr den BegriffComing-out in eurer Arbeit? Inerster Linie geht es uns darum, dasswir das Coming-out als lebenslan-gen, multidimensionalen Prozess be-trachten und nicht nur als eineklassische Phase junger Schwuler, inder sie Freunden und der Familievon ihrer Homosexualität erzählen.Was genau ist mit diesem Pro-zess gemeint? Es geht einfachdarum, dass man sich in jedem Le-bensalter mit seiner sexuellen Ori-entierung und Identität auseinander-setzen kann. Deshalb gibt es bei unsauch keine Altersbeschränkung. Wirfinden außerdem gerade den Aus-tausch zwischen Älteren und Jünge-ren gut und zielführend.Welche Biografien haben gera-de ältere Männer, die in solcheGruppen kommen? Das ist sehrunterschiedlich. Es kommen Män-ner zu uns, die schon lange in ver-schiedenen Kontexten als schwulgeoutet waren und bei denen es jetztum einen weiteren Lebensbereichgeht. Es sind aber auch Leute dabei,die ihr Coming-out erst sehr spät mitüber 50 hatten und zum Beispielviele Jahre mit einer Frau verheira-tet waren, vielleicht sogar schon er-wachsene Kinder haben und diejetzt noch mal ein neues Leben alsschwuler Mann beginnen wollen.Die Gruppe startet jetzt im No-vember. Wie läuft die Anmel-

    dung bisher? Es haben sich zwarschon einige gemeldet, aber wir ver-fügen noch über Kapazitäten. Aktuellführen wir Vorgespräche und schau-en, ob der Einzelne auch wirklich fürdie Gruppe geeignet ist. Wir prüfenvor allem, ob die Motivation aus-reicht. Denn: Die Teilnehmer bekom-men von uns viele Aufgaben, es gibtSpiele, Kleingruppenarbeiten und aufall das sollten die Männer Lusthaben. Bei den Vorgesprächen fra-gen wir auch danach, warum sie zuuns kommen wollen. Wenn wirmerken, dass es eher um einenWunsch nach psychotherapeuti-scher Hilfe geht, verweisen wir aufgeeignetere Angebote der Schwulen-beratung. Wir möchten für die Teil-nehmer die Möglichkeit schaffen,überhaupt einmal andere Männer zutreffen, die sich mit Coming-out-Fra-gen beschäftigen und vielleicht ähn-liche Probleme haben.Was für ein Fazit ziehen deinerErfahrung nach gerade die älte-ren Schwulen nach der Teilnah-me an einer solchen Gruppe?Älteren schwulen Männern ist es oftwichtig, einfach mal andere Schwulein ihrer Altersklasse kennenzuler-nen und festzustellen: Ich bin nichtallein. Die wichtigste Erkenntnis istdann meistens: Es ist nie zu spät,sich für ein Coming-out und damitfür sich selbst zu entscheiden. <

    Interview: Daniel Segal

    SzenemachenIm November startet bei der Schwulenbera-tung Berlin wieder eine neue Coming-out-Gruppe. Das Besondere daran: Sie richtetsich nicht nur an jüngere Schwule, sondernist ohne Altersbeschränkung für alle Männeroffen. SIEGESSÄULE sprach mit Can Saru-han, der die Gruppe zusammen mit PatrickDiemling leitet

    Anmeldung zumVorgespräch überschwulenberatung-berlin.de

    Erstes Treffen derComing-out-Gruppe:04.11., 18:30, Schwu-lenberatung Berlin, abdann immer mittwochs

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    wir18 Community***008_019_wir_Programm 21.10.15 17:43 Seite 18

  • News 19

    +++ Der Verdienstorden des Landes Berlinging Anfang Oktober unter anderen anJouanna Hassoun, die Projektleiterin beimZentrum für Migranten, Lesben und Schwule(MILES) des LSVD. Bei der Verleihung wurdevor allem ihr Engagement für Flüchtlingehervorgehoben.+++ Eine Konferenz zum Thema „Nachdem Arabischen Frühling: Risiken undChancen für LSBTI in Nordafrika unddem Nahen Osten“ wird am 03.11. um14:00 im Europasaal des AuswärtigenAmtes stattfinden.Auf der Veranstaltungwerden LGBTI-AktivistInnen aus Ländernwie Ägypten,Tunesien oder Syrien über ihrepersönlichen Erfahrungen berichten.Anmel-dung bis zum 29.10. unter [email protected]+++ Das Berliner Bündnis gegen Homo-phobie hat seine Nominierungen für denRespektpreis 2015 bekannt gegeben: DasKuratorium entschied sich für Annet Au-dehm, Nasser El-Ahmad (Foto), die Arbeits-gruppe „Kunst im Kontext“ um WolfgangKnapp sowie Dr. Jörg Woweries, der sichseit mehreren Jahren für den Schutz unddas Selbstbestimmungsrecht von Inter*Per-sonen engagiert.+++ Die lesbische Regisseurin ChantalAkerman nahm sich am 05.10. in Paris dasLeben. Sie wurde 65 Jahre alt. Die gebürtigeBelgierin hinterlässt ein umfangreiches Werkaus Spiel-, Dokumentar- und Experimentalfil-men, darunter auch den bedeutenden Les-benklassiker „Ich, du, er, sie“(1974).+++ Vom 13. bis zum 15.11. laden Vorspielund Seitenwechsel zum 7. Internationalenschwul-lesbischen Volleyball-Turnier. Eswird in drei Hallen in verschiedenen Bezir-ken Berlins gespielt. Die Abschlusspartysteigt am 14.11. im SO36.Alle Infos zumProgramm unter goldelsen-cup.de+++ Berlin bekommt ein Denkmal für diehomosexuelle Emanzipationsbewegung.Ab Sommer 2016 soll es am Spreeufer ge-genüber dem Bundeskanzleramt stehen. DieEntwürfe sind vom 06. bis zum 15.11. imHaus der Kulturen der Welt zu sehen. Eröff-net wird die vom LSVD und der Universitätder Künste präsentierte Ausstellung am05.11. von Klaus Wowereit (Foto).

    Kurz und bündigFO

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    TRAUERZUGUND LICHTERMEER

    MONTAG, 30. NOVEMBER 2015START: LEBENSORT VIELFALT, NIEBUHRSTR. 59/60

    17:00 Uhr Vorprogramm mit Bernard J. Butler18:00 Uhr Trauerzug bis Joachimsthaler Platz (gegenüber Kranzler-Eck),

    anschließend Lichtermeer des Regenbogenfondsvor dem Ulrichs, K.-H.-Ulrichs-Str. 11, 10787 Berlin

    20:00 Uhr Warme Suppe im Ulrichs

    Kerzen zum Mitführen und Niederlegen am Lichtermeer des Regenbogenfondsvor dem Ulrichs können vor dem Start im Lebensort Vielfalt erworben werden. Dortwerden auch Luftballons ausgegeben. Weitere Infos:www.berlin-aidshilfe.de

    ***008_019_wir_Programm 21.10.15 17:43 Seite 19

  • wir20 Titel

    Joko Koma: Der Tür-Dämon vom „Irrenhouse“

    ***020_027_wir_Titel 21.10.15 17:16 Seite 20

  • Titel 21

    Auf Streifzügen durch die BerlinerSzene treffen wir alle immer wiederauf Menschen, die durch ihr Äuße-res dafür sorgen, dass wir für einenMoment fasziniert innehalten. Eini-ge von ihnen bleiben in unserenGedanken oder laufen uns immerwieder über den Weg. Wir habenfünf von ihnen ausgewählt underzählen ihre Geschichte

    > Seit 17 Jahren wohnt Joko Koma inBerlin – und fast genauso lang ist er derikonische Party-Host an der Kasse vonNina Queers „Irrenhouse“. Seine extrava-ganten Kostüme machten ihn schnell zueiner festen Größe im Berliner Nachtleben.Optisch oszillieren Jokos Outfits zwischenSurrealismus und Club Kids. Wenn ernicht gerade Joko Koma ist, widmet dergelernte Schauwerbegestalter seine Zeitder Malerei. Viele, die ihm begegnen, sindschockiert von Jokos ungewöhnlichemÄußeren. „Oft ist die erste Reaktion betrof-fenes Schweigen“, lacht er. Vor einigenKostümen hätten manche Menschensogar Angst.In Jokos Zuhause ist jeder Quadratmetermit Accessoires und Kostümteilen vollge-stopft. Wann das angefangen hat mit demVerkleiden? „Meine ersten Outfits habeich mit 21 gemacht. Aber als Verkleidenwürde ich das gar nicht bezeichnen. VieleMenschen sind ohne Maske viel verkleide-ter als mit.“ Wie lange es dauert, bis einOutfit fertig ist? „Ich sammle ungefähreinen Monat für ein Kostüm, und dannbrauche ich noch mal eine Woche, in derich ungestört bin und nähe und bastle.Das Anziehen und Schminken geht dannschneller, da lass ich mir zwei StundenZeit.“ Oftmals kann das ganze Outfit erstvor Ort im Club angelegt werden, denn diediversen Aufbauten und Hüte passen unterkein Taxidach.

    TICKETS: 030 -479 974 9901805 - 2001 (0,14€/Min. aus dem Festnetz,Mobilfunk max. 0,42€/Min.)www.bb-promotion.comwww.eintrittskarten.de

    01. -12.12.15 · Admiralspalast Berlin

    15. -20.12.15 · Admiralspalast Berlin

    15. -20.03.16 · Admiralspalast Berlin

    07.03.16 · Friedrichstadtpalast Berlin

    12. -15.11.15 · Admiralspalast Berlin

    feat. the Ballet Revolución Live-Band

    SHOWNEUE

    26. -31.12.15 · Admiralspalast Berlin

    17. -29.11.15 · Admiralspalast Berlin

    Mittlerweile hat Joko das Schminken reduziert undverwendet mehr Zeit auf seine Masken: „Ich findʼsimmer schade: Man schminkt sich, macht sich Mus-ter ins Gesicht – und dann wischt man es wieder weg.Eine Maske hält viel länger.“ Joko hat seine Maskenzum Erkennungsmerkmal gemacht: Mit den zweiÖffnungen, die rund wie Schiffsfenster in der Mittedes Gesichts einen Blick auf Jokos Augen freigeben,wirkt er wie von einem anderen Planeten. Ein klei-nes Loch darunter, fast wie ein winziger Rettungs-ring, formt seine Lippen. Wo liegen die Grenzen derKostüme? „Ich sage immer: pro Kostüm nur eine Ein-schränkung. Ich würde mich gerne noch mehr ver-formen, aber ich möchte auch gute Arbeit leisten.Wenn du ein eingeschränktes Sichtfeld hast, ist dasschlecht an der Kasse. Ich hatte auch mal so dickeLippen, dass ich meine Füße nicht sehen konnte.“ DieVerformung macht auch vor dem Rest des Körpersnicht halt. Mit einem Korsett schnürt sich Joko inForm, modelliert seinen Körper nach seinen Wün-schen. Dazu trägt er, selbst wenn er nur am Einlasssitzt, hochhackige Schuhe. Um die Illusion perfekt zumachen, zeigt Joko so wenig Haut wie möglich.Nichts Organisches soll die kunstvollen Inszenierun-gen stören. Ist seine Körperinszenierung auch eineGender-Performance? „Ich spiele zwar mit den Ge-schlechtern, fühle mich aber eher asexuell. Joko istjedes Geschlecht und keines. Und jedes Fantasiege-schlecht.“Nach 15 Jahren „Irrenhouse“ und anderen Partys istJoko noch immer nicht müde. „Joko Koma wird mitmir in Rente gehen“, lacht er. Wir werden also nochgenügend Outfits zu bestaunen haben. <

    Ronny Matthes

    PrettyCool

    ***020_027_wir_Titel 21.10.15 17:16 Seite 21

  • wir22 TitelMascha: My Little Pony in der Gruft

    > „Ich interessiere mich gerade sehr für Nachhaltigkeit in derMode“, erzählt Mascha, als wir sie im Südblock zum Interviewtreffen, „und habe mir jetzt ein Klamottenkauf-Verbot auferlegt.Ich will wissen, mit wie wenig es sich gut leben lässt. Es mussnicht sein, dass ständig neuer Kram gekauft wird, vor allem Billig-ware, die unter Scheißbedingungen produziert wird.“Mascha ist Ende 20 und kam vor sieben Jahren von Hamburgnach Berlin. Hier singt sie in der Synthpop-Band Attention Horseund arbeitet außerdem an ihrer Dissertation. Schon immer liebtesie es, optisch aus der Rolle zu fallen, ging als Kind mit Felljacken,Hüten und Glitzerkrönchen in die Schule. Später probierte sie ver-schiedene Szenen und Styles: Neo-Glam, Cyber-Goth, Hippie- undIndie-Style, aus denen sie sich nach und nach ihren eigenen Lookzusammenbaute, den sie mit so blumigen Konstruktionen wie „MyLittle Pony in der Gruft“ zu umschreiben weiß. Mit ihrer akademi-

    schen Laufbahn kollidierte ihr Look niewirklich, obwohl es durchaus Momentegab, in denen sie sich Gedanken machte.„Ich habe drei Jahre lang an der Uni alswissenschaftliche Mitarbeiterin gearbeitetund dort auch gelehrt. In der akademi-schen Welt kleiden sich die Leute schoneher konservativ. Ich entschied mich dannaber sehr bewusst dagegen. Ich habe unteranderem zu Genderthemen gelehrt, eineAnpassung hätte da nicht meiner Politikentsprochen.“ Emanzipation vermittelnund in Bluse und Kostüm aufkreuzen kamfür Mascha nicht infrage. „Ich hätte meinegesamte Identität negiert. Die Studierendenfanden das toll, aber von vielen älterenmännlichen Kollegen wurde ich nichternst genommen.“Auch in der queeren Szene, vor allem aberin lesbischen Zusammenhängen stößt Ma-scha durch ihr Äußeres an Grenzen. „Ichidentifiziere mich als Femme und habe oftdas Gefühl, dass die Berliner Szene ziem-lich ,femmephob’ beziehungsweise mascu-line of center ist.“ Der Begriff „masculine ofcenter“ bezeichnet queere Frauen, die sichäußerlich eher an die männliche Seite desGenderspektrums anlehnen. „Dabei findetoft eine Gleichsetzung von ,Männlichkeit’mit Natürlichkeit statt, was ich eigentlichtotal misogyn finde.“ Das gesellschaftlicheBild von Natürlichkeit ist für Mascha einKonstrukt, von dem sie sich optisch gerneso weit wie möglich entfernt. GeometrischeFormen, starkes Make-up, wilde Farbenund ungewöhnliche Haarschnitte haben esihr angetan. Reservierte Reaktionen inFrauen-Lesben-Trans*-Inter-Kontexten, indenen sie sich vor allem bewegt, nimmt siein Kauf. „Ich glaube, dass Mode immer sozi-al funktioniert, immer Performance ist.“Fehlinterpretationen der Performance ge-hören dann eben zum Geschäft. „Viele den-ken, gestylte Leute wären untouchable. Dasist Quatsch, ich rede sehr gerne mit Men-schen. Und mir ist es wurscht, was diedann anhaben.“ Trotzdem macht sie sichselbst das Leben mit ihren Looks bunter,freut sich richtig darauf, sich aufzudon-nern. Auch in ihrer Band Attention Horse,die auf der Bühne mit Performance-Ele-menten und einem bestimmten Look ar-beitet. Wer sich das mal live anschauenmöchte, hat am 11.11. ab 21:00 auf derParty „Electronic Orgy“ im Loophole dazuGelegenheit, wo das Trio um Mascha liveperformen wird. < Jan Noll

    ***020_027_wir_Titel 21.10.15 17:16 Seite 22

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    Individuelle Abschiednahme.

    Titel 23

    Ryan Stecken: Dragclownslut from outer space

    > Freitagabend in Schöneberg. Aki hat zwei Stunden Zeit, sich inihr Alias Ryan Stecken zu verwandeln und im Loungebereich desHamburger Mary’s die Bühne freizugeben. „Ryan Stecken’s OpenStage“ heißt dort ihre respektive seine monatliche Show.Als Boy-Tunte Ryan Stecken war die junge Deutschphilippininerstmals 2013 bei Dieter Bohlens berüchtigtem Casting-Format„DSDS“ und 2014 im Recall der Show auf Kuba aufgetreten. Akiwinkt ab – und greift zu Klebestick und Babypuder, um sich nachder Gesichtsgrundierung ihre Augenbrauen abzudecken: „Ernstgenommen habe ich das nicht, ich wollte als singende Boy-Tunteprovozieren und sehen, wie das ankommt“, so die grazil wirkendeEndzwanzigerin, die 2012 von den Philippinen zurück nachDeutschland kam, wo sie zuvor bis zu ihrem elften Lebensjahr ge-lebt hatte. Vor einem Jahr zog sie dann von Hamburg nach Berlin.Neben dem Open-Stage-Programm tritt ihr Alter Ego Ryan Steckenmit seiner Dragfamily „House of Freaks“ in Clubs auf, arbeitet als„Schnapstranse“ im SchwuZ oder singt als Soloact Coversongs inverschiedenen Showformaten der Berliner Szene.Ryans Aussehen variiert stark, eigentlich findet es sich immer erstim Laufe des Abends, erzählt Aki. Zum Boydrag fand sie auf einemqueeren Bundestreffen in der Akademie Waldschlösschen, das siemitorganisiert hatte. Das Spiel mit Genderbending reichte ihr baldnicht mehr, in „Babyschritten mit Glitter im Bart“ fing sie an zu ex-perimentieren, wollte mehr Freiheit im Ausdruck. Clowneske Ele-mente spielen für Aki dabei derzeit eine besondere Rolle. „Fürmich verkörpert der Clown das Schöne im Unschönen, eine Art,sich selbst nicht so ernst zu nehmen“, meint sie und zieht dabeidie weiß grundierten Augenlidpartien mit schwarzen Mascara-Ecken grotesk in die Länge. Weißgrünliche Kontaktlinsen verlei-hen dem Blick die passende Freak-Ästhetik, die Mundpartieverwandelt sich mittels Lippenstift in einen herzförmigen Riesen-schlund – das queere Fabelwesen Ryan Stecken nimmt Gestalt an.Seit sie das clowneske Element für sich entdeckt hat, explodieresie förmlich vor Kreativität, erzählt Aki: „Ich hab mich noch nie sofrei, so ‚ich‘ gefühlt!“Ryan kriegt heute einen ganz besonderen Bart verpasst, nicht wiesonst aus abrasiertem Eigenhaar, sondern aus: Sicherheitsnadeln!Nach mehrmaligem Ausprobieren steht auch das Outfit fest: Hot-

    pants, Oberteil, Plateaustiefeletten, Netzstrumpfhose. Weil ihr Letz-tere noch „zu heile“ ist, greift sie kurzerhand zur Schere und zer-löchert fix noch ihr Beinkleid ganz punkrockmäßig. Akis Brüsteverschwinden unter Zuhilfenahme von handelsüblichem Tape zurSeite, Ryans flache Brust kommt im Ausschnitt zum Vorschein.Ein Packer – ein weicher Silikonpenis mit Hoden – rundet denÜbergang ab und sorgt für die Beule in Ryans Hose. Martialischwirkende Metallkrallen noch schnell aufgesteckt, leert er das letz-te Schlückchen Sekt, bevor es die Treppen hochgeht. Die Ryan-Stecken-Show kann beginnen. < Melanie Götz

    ***020_027_wir_Titel 21.10.15 17:17 Seite 23

  • EXIL WOHNMAGAZIN GmbH & CO. KGKÖPENICKER STR. 18-20 · 10997 BERLINMO.-FR. 11-19 UHR · SA . 11-18 UHR

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    > Ihr Name tauchte scheinbar aus demNichts auf und war plötzlich überall: Ab-sinthia Absolut. Die Dragqueen mit demgezwirbelten Bart saß Ende Oktober in derJury zur „Miss Drag GMF“-Wahl. Sie selbsthatte die Wahl im letzten Jahr gewonnen,und das, obwohl sie zu diesem Zeitpunkterst seit sechs Monaten im Drag-Zirkusder Hauptstadt dabei war. Geträumt hattesie eigentlich schon immer davon, aberumsetzen wollte sie es nie. Sie dachte da-mals noch, dass Drag und Bart sich aus-schließen würden. Bis zu einem Abendbeim „Drag Race“-Screening im Südblock.Gastgeberin Pansy, selber begeisterteBrusthaarträgerin, verkündete von derBühne: „It’s an open stage. We love every-one. Especially hairy queens!“ Die typi-schen Erwartungen von glatt rasierten,haarlosen Dragqueens schienen für Ab-sinthia plötzlich wie weggefegt: „Das warmein Wake-up-Call. Denn mir war klar,dass ich mich nicht rasieren will“, erinnertsie sich. Damals trug sie lediglich einen ge-zwirbelten Schnauzbart zu ihren Glitzer-lippen, doch mittlerweile kam ein dichterRauschebart dazu: „Ich wollte den schonganz lange haben, habe mich aber erstnicht getraut, weil ich den Zwirbelbart alsmein Markenzeichen etablieren wollte.“Haare sind generell Absinthias Thema,denn tagsüber leitet sie einen Frisörsalon

    Absinthia Absolut: Hairy Fairy

    wir24 Titel***020_027_wir_Titel 21.10.15 17:17 Seite 24

  • in Mitte. „Ich habe mein Leben lang von schwebenden Haarengeträumt. Leider hab ich auf dem Kopf selbst nicht mehr so viel.“Als Dragqueen hat sie jetzt grenzenlose Möglichkeiten, diesenMangel auszugleichen. Ihren Stil beschreibt Absinthia als Gender-fuck, denn aussehen wie eine Frau will sie definitiv nicht.Ihre Outfits gestaltet sie in liebevoller Handarbeit mit viel Geduldselbst. Kleidungsstücke werden auf jede nur erdenkliche Art auf-gepimpt. Allerdings hebt sie sich nicht nur durch ihren Look vonder Masse der Durchschnittsschönchen ab. Bei ihren Auftrittenwurde sehr schnell klar, dass sie viel Wert auf die gesamte Insze-nierung legt: „Meist ist der Song zuerst da und dann baue ich da-rauf ein Outfit auf. Bei meinen Auftritten ist es mir wichtig, dassder Sound stimmt, dass mit dem Licht gut gearbeitet wird unddass alles auf den Punkt ist.“Größte Inspirationsquelle dabei ist Popikone Madonna, die Absin-thia vergöttert. Nicht nur deswegen ist sie nun auch seit einigenMonaten festes Mitglied des Performance-Teams der „Madonna-mania“-Partys im SchwuZ. „Damit ist ein kleiner Traum für michwahr geworden.“ Auf der großen Bühne im SchwuZ werden ihreVollplayback-Nummern jetzt noch aufwendiger inszeniert. Back-groundtänzer, Windmaschinen, wehende Vorhänge, Konfettika-nonen und perfekt einstudierte Choreografien.Mit all diesem Enthusiasmus ist Absinthia tatsächlich eine Aus-nahmeerscheinung in der Berliner Dragszene. Oft genug tauchenimmer wieder neue Möchtegernstarlets am glitzernden Firma-ment der Partylandschaft auf, doch die meisten verglühen genau-so schnell, wie sie erschienen. Doch obwohl Absinthia definitivPotenzial hat, will sie nicht versuchen, wie andere von ihrenDragauftritten und Bookings in den Clubs zu leben: „Ich will nichtaufhören Frisör zu sein.“ < Kaey

    Titel 25

    Keith Hennessy / Circo Zero

    Turbulence(a dance about the economy)

    www.hebbel-am-ufer.de

    17.+18.11. / HAU2 / Im Rahmen von “Marx’ Gespenster”

    ***020_027_wir_Titel 22.10.15 12:01 Seite 25

  • wir26 TitelMJ Woodbridge: Immer wieder Grenzen sprengen

    > Es klingt ironisch, aber das Auffälligste an MJ Woodbridge istseine Stimme. Wer jemals das Glück hatte, dabei zu sein, wennsich das ebenso wuchtige wie geschmeidige Gesangsorgan seinenWeg aus dem Körper des zierlichen Endzwanzigers bricht, weiß:Dieser Mensch hat so viel mehr zu bieten als einen aufregendenLook – und den hat er nun weiß Gott.Aufgewachsen in Australien, verließ MJ mit 22 seine Heimat undfloh – ganz klassisch mit fast nichts als dem Flugticket in der Ta-sche – nach New York. „Ich musste einfach raus, Australien hintermir lassen. Ich war zu diesem Zeitpunkt noch nicht out und fühltemich generell unwohl mit mit selbst“, erzählt er beim Interview.„Ich musste Menschen finden, zu denen ich wirklich eine Verbin-dung habe, wollte einfach nur frei sein.“ In New York fand MJ imÜberfluss, wonach er suchte. Er verdiente Geld als Straßenmusi-ker, stand mit seiner Gitarre bei Sonnenuntergang im Washington

    Square Park und spielte seine Songs. „Ichtraf dort wirklich tolle Leute, die dafürsorgten, dass ich nach und nach aus mei-nem Schneckenhaus kam.“ Und obwohl erbereits in Australien einen auffälligen Lookhatte, blühte MJ auf, vor allem nachdem erseinen heute besten Freund kennenge-lernt hatte: „Wir wuchsen aneinander, in-spirierten uns, brachten uns gegenseitigdazu, immer wieder die eigenen Grenzenzu sprengen.“ Zu den Outfits kam das auf-wendige Make-up in einer Zeit, in der esMJ nach einer Trennung ziemlich miesging. „Ich wollte nicht mehr ich selbst sein,wollte mich hinter etwas verstecken undbegann wildes Make-up zu tragen. Esmachte mir totalen Spaß, und ich realisier-te irgendwann, dass die Person, die ihremIch zu entfliehen versuchte, mein wahresIch war.“Ungefähr ab dem Zeitpunkt seines Umzugsnach London – ein abgelaufenes Visumtrieb ihn irgendwann aus den USA fort –begann MJ verstärkt in der queeren Szeneund auf Partys zu arbeiten, wurde Teil derderzeit explodierenden, multisexuellenDragszene der britischen Metropole. Dochauch hier machte ihm das Visum irgend-wann einen Strich durch die Rechnungund er landete in Berlin. „Ich finde das ei-gentlich toll, immer weiterzuziehen und sodie Möglichkeit zu haben, in so aufregen-den Städten wie New York, London undBerlin zu leben. Auf der anderen Seite istes aber auch hart, weil man immer wiedereinen neuen Freundeskreis und Kontakteaufbauen muss.“ Sein Look öffnet MJ dabeiTüren, obwohl es in Berlin härter ist als inLondon oder New York. „Vielleicht ist esdie Dunkelheit dieser Stadt und der Musikhier. Ich bin meist der einzige Freak imBerghain und stehe am Sonntagmorgen al-leine aufgedonnert da rum. Aber das gefälltmir auch irgendwie, ich fühle mich dannwie eine Kunstinstallation.“ MJ will erst malhier bleiben, denn das Berliner Leben fühltsich für ihn dennoch am besten an. Außer-dem will er in Zukunft den Fokus ganz aufdie Musik legen, arbeitet mit DJs und Pro-duzenten an seiner ersten EP. Für diequeere Berliner Szene ist das in jedem Falleine große Bereicherung. < Jan Noll

    Alle Fotos:J. Jackie Baierfotografie.jackiebaier.de

    ***020_027_wir_Titel 21.10.15 17:17 Seite 26

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  • heute28 Musik

    Dancer In The Dark

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    Mit gerade mal 23 Jahren veröffentlicht der dänische Sänger, Songwriterund Produzent Asbjørn nun bereits sein zweites Album. „Pseudo Visions“,das sich mit seinem artifiziellen, vom R’n’B beeinflussten Electropop in derTradition von Künstlern wie Nils Bech, Sohn oder Trvls bewegt, könnte demmittlerweile in Berlin lebenden Wunderkind zum Durchbruch verhelfen

    > „Sunken Ships“, das 2012er Debüt Asbjørns, erzählte vomHerauswachsen aus der eigenen Haut. Vom heimlichen Auskotzenverdorbener Knochen am Fluss. Vom Sich-Sehnen nach versof-fenen Seemännern. VomHerumstreunen imWald und in der Gosse.Musikalisch hatte er hier bereits zu einer Stimme gefunden, dieder eines Thom Yorke ähnlich und doch ganz eigen ist. Einefragile Präsenz, die tanzt wie ein taumelnder Boxer, die verspricht,uns zu nahe zu kommen, ohne uns Schaden zuzufügen. 18 Jahrealt war er da.„Mich fasziniert, was der Mensch macht, wenn er mit sich allein ist,wenn er glaubt, dass ihm keiner zusieht. Die erste Platte war eineSpielwiese. Es gab noch kein Publikum, das Erwartungen hat. Ichwollte reifer sein, als ich eigentlich war, und hab mich von all dengroßen Bildern blenden lassen“, erzählt er im Interview mit SIE-GESSÄULE. Wenn Asbjørn mit sich allein ist, tanzt er. Ob beim Auf-wärmen für einen Auftritt, bei den Aufnahmen seiner Demos, beimWarten an einer Bushaltestelle oder irgendwo draußen in der Wild-nis: „Tanzen ist eine Droge für mich, kein Abdriften, vielmehr eineintensive Erfahrung von Intimität. Selbst wenn es im Nachhinein il-lusionär wirkt – solange ich es fühle, ist es wirklich. Intentionenspielen da keine Rolle.“ „Pseudo Visions“ nennt der 23-Jährige diesenZustand innerer Euphorie mit einem Schuss heftiger Melancholie.Sein gleichnamiges, am 06.11. auf dem Berliner Label Sinnbuserscheinendes zweites Album ist anspruchsvoller Pop, der groovt

    Asbjørn:Pseudo Visions(Sinnbus), ab dem06.11. erhältlich

    Asbjørn live, 05.11.,21:00, Kantine amBerghain

    undmanchmal die Grenze zumKitsch über-schreitet. Die Texte erzählen eine Entwick-lungsgeschichte. Ein Konzeptalbum, das erals Produkt der Interaktion mit seinem Pu-blikumbegreift, dennmit dem setzt nämlichReflexion ein. Und Veränderung. Auf Tourkonnte Asbjørn herausfinden, welche Ele-mente seiner Kunst auf Resonanz stoßen.Schon als Junge fühlte er sich von Fraueninspiriert und imitierte sie leidenschaftlich.Die liberalen Eltern ermutigten ihn, seinefeminine Seite auszuleben, glaubten sogar,er wünsche sich eine Transition. „Frauensind meine Vorbilder! Im Pop sind sie denMännern im Ausdruck einer selbstbewuss-ten sexuellen Identität weit voraus. Siemussten sich diesen Ausdruck erkämpfen,während die Männer noch immer in Posenverharren.“ Vom Aufbrechen solcher Posenhandelt der aufregend vielschichtige Song„Skywalker“: Asbjørn will zerschlagen undwieder zusammengesetzt werden, weil ersich selbst fremd geworden ist. Auf „PseudoVisions“ erzählt er auch von vielgestaltigermännlicher Zurückweisung: Brüder, die sei-nenKüsschen ausweichen. Liebhaber, die inder Öffentlichkeit keine Emotionen zeigen.Partner, die ihn für eine Frau verlassen. Aberda ist auch eineKraft, eine sich auf sich selbstbesinnende Kraft, die so nur in Einsamkeitbrütet, eine Kraft, die sagt: Ich bin nicht wiemeine Brüder! Im Interview erklärt er, dasser sich manchmal noch immer wie einTeenager fühlt, gleichzeitig begreift er sichals kalkulierenden Record-Label-Boss.Facetten, die er auf dem Debüt zugunsteneines artifiziellen Images versteckt hatte.Seit einem Jahr lebt der gebürtige Däne inBerlin und ist dankbar für die Offenheit, mitder er hier empfangen wurde. In seinenVideos tanzt er nun nicht mehr allein,sondern vermählt sich mit einer nächtli-chen Community. Mit „Pseudo Visions“ er-fährt er seine Blüte als Nachtschwärmer.Wer sich davon überzeugen will, hat am05.11. in der Berghain Kantine dazu Gele-genheit, wo er das Album live vorstellenwird. Aber der nächste Kokon wartet schon.Eswird spannend zu sehen, wie Asbjørn die-sen Knochen wieder auskotzt und Yoko-Ono-gleich über weniger sicheres Eisspaziert ... < Josa Sesink

    ***028_031_heute_Musik_Programm 21.10.15 17:18 Seite 28

  • Jetzt verlieben

    Alle 11 Minutenverliebt sich

    ein Single überPARSHIP 1)

    Musik 29

    Hier und jetzt

    Tom Robinson:Only The Now (Casta-way Northwest), jetzterhältlich. tomrobin-son.bandcamp.com

    Mehr zur Geschichteseines Protestsong-klassikers findet sichauf gladtobegay.netund bothways.com

    > Die Differenzierung ist beabsichtigt: Seine letzte Songsammlungreicht zwar ins Jahr 1996 zurück, doch zu Millenniumsbeginnerschien eine Spoken-Word-CD, die sowohl Glossen (u. a. zur viel dis-kutierten Bisexualität des Gay-Rights-Aktivisten) als auch Reflexio-nen über Freundschaft und Trauer enthielt. Etwa die Geschichte desvon ihm und seiner Frau betreuten Pflegesohns, welcher die ver-minderte Aufmerksamkeit nicht verwand, als ihr erstes Baby zurWelt kam. Und der als Pubertierender schließlich so straffälligwurde, dass er nur noch im Sprung vom Hochhaus einen Auswegsah. Dies lässt Robinson bis heute nicht ruhen. Denn als er sich mit16 in einen Klassenkameraden (mit „gipsy hair and dark browneyes“, wie er es Jahre später in „Elton’s Song“ beschrieb) unglücklichverliebte, unternahm er selbst einen Suizidversuch. Die bei vielenjungen Männern noch heute existierenden Skrupel, sich in Krisen-situationen helfen zu lassen, bewogen Robinson, seinem 2001-erPlädoyer „Don’t Jump, Don’t Fall“ ein neues Gewand zu verpassen undes der „Campaign Against Living Miserably“ zu widmen. RobinsonsEngagement für Organisationen, die über den LGBTI-Kontext hi-nausreichen, zeichnete ihn bereits Ende der 1970er aus, als er bei„RockAgainstRacism“ mehrfach den Headliner gab.Auch sein aktuelles Album enthält viele Stücke, die ihn als bissigenKommentator politischer Missstände ausweisen. Die dramaturgi-sche Finesse, mittels der die in „Glad To Be Gay“ besungenen (undfortwährend aktualisierten) Ungeheuerlichkeiten so leicht ins Ohrgehenwie in besten Kinks-Momenten, ist auf „Only TheNow“ jedochrar gesät. Selbst diejenigen, die Robinsons Wandel vom PubrockerzumBrel-Interpreten gerne folgten und ihm1984 den Erfolgmit dersomnambulen Soul-Nummer „War Baby“ gönnten, dürften mit denlautstarken Spitzen gegen NATO-Bomber und sich schadlos halten-de Banker ihre Mühen haben. Denn einer Kakophonie aus verzerr-ten Violinen und Gitarren kann sich der 65-Jährige leider nur mitGebell erwehren. Und so anerkennenswert es ist, die Abschaffungder Prozesskostenhilfe zu thematisieren, hätte Billy Bragg einenkomplexeren Gesangspart als in „TheMighty Swords Of Justice“ ver-dient. Mehr Glück als Duettpartner hatte da John Grant. Für ihn sahRobinson den kathartischen Singalong-Song „Cry Out“ vor, in demsich auch die sonore Stimme des Gastgebers entfalten kann. Diemeisten Nuancen zeigt dieser jedoch im ausklingenden Titelstück,in dem er anrührend die noch frische Beide-Kinder-aus-dem-Haus-Situation reflektiert. Spätes Balladenglück, aber immerhin! <

    Markus von Schwerin

    Mit „Glad To Be Gay“ schleuste Tom Robinsoneine Moritat in die Brit-Punk-Ära, die bis heutezur eigenen Standpunkthinterfragung anregt. Seit2002 genießt er als BBC-6-Interviewer hohe Wert-schätzung. Einige seiner Gäste sind auch auf derCD „Only The Now“ zu hören, mit der sich TomRobinson nun als Musiker zurückmeldet

    ***028_031_heute_Musik_Programm 21.10.15 17:18 Seite 29

  • heute30 Musik

    Janet Jackson

    „Unbreakable“Black Doll/Rhythm Nation/BMG

    > Ernst zu nehmende Popstars gibt’s ja kaum nochund so sorgen „Comeback“-Alben hin und wiederdafür, dass sich KonsumentInnen besinnen – auf dieganz Großen, auf die guten Zeiten der Popmusik,auf ihre Nostalgie. So muss sich auch die Euphorieüber Janet Jacksons erstes Album seit sieben Jahrendie Frage gefallen lassen, was die Künstlerin 2015noch zum Popdiskurs beizutragen hat. Die Antwortlautet: nicht viel. „Unbreakable“ ist ein konventio-nelles und etwas altbackenes Pop-R’n’B-Album ge-worden, weit weniger state of the art produziert alsder Vorgänger „Discipline“. Das muss aber nichtprinzipiell etwas Schlechtes sein. < Texte: jano

    Helen Schneider

    „Collective Memory“SPV

    > Wenn eine Platte mit „Songs für Erwachsene“beworben wird, kriegen auch Erwachsene Angst,denn das klingt nach muffiger Ödnis. Ganz andersaber bei Helen Schneider. Helen who? Schneider!With the Kick! Dafür muss man dann wohl docherwachsen sein. Kurzform: Helen veröffentlichteAnfang der 80er mit ihrer Band The Kick ein paarambitionierte New-Wave-Rockalben, bevor sie sichab 1987 aufs Schauspiel- und Musicalfach verlegte.„Collective Memory“ ist nun die erste Platte mitwirklich neuen Songs seit 30 Jahren. Die Folkpop-Stücke erfinden zwar das Rad nicht neu, sind abervon einer berührenden Glaubwürdigkeit. <

    Jon Campbell

    „Dumb/In My Dreams“Of Naked Design Recordings

    > Nach der Blüte der letzten Jahre ist es nun etwasstiller in der queeren Berliner Musikwelt geworden.Doch mangelnde Quantität lässt offensichtlichRaum für Qualität, denn mit Jon Campbell aus demMonster Ronson’s kommt nun erstklassiger Nach-schub. Produziert von seinem Partner Jamie, Kopfdes Kammerpop-Ensembles The Irrepressibles, gehtJon 2016 mit seiner ersten EP „About A Boy“ anden Start. Eine Vorabsingle gibt’s schon jetzt. Diezwei Stücke – beide kurz wie ein Wimpernschlag –gewähren einen Einblick in das verwunschen-intimeFolk-Country-Universum des Künstlers. Jons dunkleStimme geht runter wie warmer Kakao und hinter-lässt vor allem eines: das Bedürfnis nach mehr. <

    Eat Lipstick

    „Eat Lipstick“eatlipstick.com

    > Man muss schon eine Vorliebe für Hardrock undseine schablonenhaften Songwriting-Strukturenund Attitüden haben, um sich der Berliner Glam-Drag-Punk-Rock-Kapelle Eat Lipstick nähern zukönnen. Der Lippenstifte verdrückende Zirkus umSängerin Anita Drink geistert schon seit Jahrendurch die Szene, doch erst jetzt gibt’s ein erstesAlbum. Und das ist erstaunlich wenig chaotisch,sondern vielmehr eine grundsolide produzierteRock-’n’-Roll-Platte mit ordentlich Hitpotenzialgeworden. Dead Kennedys meet Twisted Sister. <

    Tickets 030.8831582 //www.bar-jeder-vernunft.de

    ***028_031_heute_Musik_Programm 21.10.15 17:18 Seite 30

  • Musik 31

    Drehmomentmit Mika Risiko

    Mika Risiko ist DJ,Produzentin und Musi-kerin. Derzeit ist sie vorallem mit ihrem Dark-Electro-Trap-Projekt Ziúraktiv und ko-hostet diePartyreihe „Boo Hoo“im Südblock.Am 10.11.spielt sie live im Vorpro-gramm der queerenNew-Wave-Band LowerDens (Bi Nuu, 20:00).Für das Drehmomentschreibt sie über GraceJones’ Karrieremeilen-stein „Nightclubbing“von 1981

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    WIT

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    > Nachdem ich jahrelang meinen Plattenspieler vernachlässigt hatte, machteich mich eines Abends in verträumter THC-Wolke auf die Suche, um einigePlatten dann doch noch vor dem Hausstaub zu retten. Ich stieß dabei nebenein paar äthiopischen Jazz-Platten erneut auf Grace Jones’ 1981er Album„Nightclubbing“.Wenn ich drüber nachdenke, welches Bild ich von Grace Jones in erster Liniehabe, ist es zweifelsohne das einer echten Visionärin. Angefangen bei ihrerandrogynen, gar unnahbaren Erscheinung, mit der sie zu ihren ModelzeitenAnfang der 80er in Paris der Modewelt den Kopf verdrehte und Gendernormeninfrage stellte, bis zu der Tatsache, dass sie sich von niemandem diktieren ließ,was sie zu tun oder zu sagen habe. Etwas, das als weiblicher Popstar keines-falls zum guten Ton gehörte, denn einen eigenen Kopf zu haben, Stärke zu zei-gen wird ja „natürlicherweise“ nur dem Mann in die Wiege gelegt. GraceJones ist anders, sie hatte immer schon ein Problem mit Autorität, und dasauch zu Recht. Kein Wunder also, dass unzählige Popstars der Neuzeit Spurenihres ikonenhaften Images und ihrer ungebändigten Kreativität weitertragen.„Nightclubbing“, die zweite Platte ihrer erfolgreichen Zusammenarbeit mit denjamaikanischen Produzenten Sly & Robbie, könnte schon fast als ein Cover-Album gelten, da fünf der neun Stücke Coverversionen sind. Grace Jones aller-dings nahm die Elemente der Songs und drehte sie ordentlich durch denFleischwolf. Unverkennbare Einflüsse aus Reggae und Dub, gepaart mit ihrerGabe, die Songs nicht nur zu interpretieren, sondern sie zu verkörpern, fu ̈hrtenzu einer weitestgehenden Neudefinierung des New Wave und markiert„Nightclubbing“ als musikalischen Meilenstein.Doch Grace Jones setzte auch inhaltlich erneut Maßstäbe. Eine der erstenZeilen, die mir nie mehr aus dem Kopf gingen, nachdem ich sie einmal gehörthatte, war: „Feeling like a woman, looking like a man“. Heute wohl genausoaktuell wie damals. Sie stammt aus dem Song „Walking In The Rain“, der bisheute als Hymne für einsame Wölfe gilt, die für immer Unverstandenen. Einunmissverständliches Identifikationsmodell für Dropouts. Fun Fact: „Nightclub-bing“ enthält mit „Pull Up To The Bumper“ auch eine Hommage an den Anal-sex: „Pull up to my bumper, baby/In your long black limousine/Pull up to mybumper, baby/And drive it in between“ <

    NOVEMBER

    Do. 05.11. Elektronischer Donnerstag: Boyola23 Uhr | House & AcidAkirahawks || Santiago Lecce || Lucky Pierre | plus Darkroom

    Fr. 06.11. London Calling23 Uhr | Indie, House, Trap & HiphopLego || marsmaedchen || Exildiscount || Larry Tee || Sheila ChipperfieldBlack Cracker || Will Cream || Ben Jackson || Linnea´s BrotherFreischnaps: Jacky-Oh Weinhaus & Herr Panitz

    Sa. 07.11. 14 Jahre bump!23 Uhr | Das Jubiläums-RetroStudiomikki_p || derMicha || Chrizz T || Cul de Paris || Modeopfer || MorissonTrümmerTransen-Show: Linda von Tennstaedt & Gaby Tupper

    Do. 12.11. Elektronischer Donnerstag: about:Tanz23 Uhr | ://about blank & SchwuZ feiern gemeinsam://about blank DJs: Diwa & Natascha Kann | plus Darkroom

    Fr. 13.11. Partysane23 Uhr | Die Party von Gloria ViagraGloria Viagra || influx_ || Gold Tier || Cem Dukkha || MarroPartysane-Groschen: Netzwerkl Diskriminierungesfreie Szenen für alle!

    Sa. 10.10. Popkicker by Jurassica Parka23 Uhr | Pop, House & RetroJurassica Parka || Charlet Crackhouse || Sugar Bros. || Didi Disco || U-SevenIpek || Mauro Feola || SamuelShow: DJ-Battle mit Jurassica Parka & Jacky-Oh WeinhausLive Entertainment: Candy Crash & KaanToiletten-Salon: Jacky-Oh Weinhaus & Gisela SommerFreischnaps: Ryan Stecken & Destiny Drescher

    Do. 19.11. Elektronischer Donnerstag: BRU/T23 Uhr | TechnoAv Skardi || Vincet Carpentier || Summe | plus Darkroom

    Das Jubiläumswochenende zu2 Jahre SchwuZ am RollbergFr. 20.11. Gealtert aber nicht gereift

    15 Jahre Kingz of Berlin20.30 Uhr | Showmit: Ben d´Over, Fronck de Sáster || Johnny Kingsize || Kris KoLeon Laszivo || Moritz G. || Nic van Dyke || Tiger Tom || Toni TransitSpecial Guest: Spicy Tigers on SpeedEinlass: 20 Uhr

    Fr. 20.11. HOT TOPIC vs. Room For Resistance23 Uhr | Drag Special zum Jubiläums-Wochenende!LCavaliero & Viola || Gloria Viagra & Trudi Padma Knusprig || rRoxymoreLuz || Dasco || trust.the.girl || Lennox | Visuals: VJ Elke EchoBärte Kleben mit den Kingz of BerlinSolishots & Infostand: Pressebeobachtungsgruppe Rassismus

    Sa. 21.11. 2 Jahre SchwuZ am Rollberg:Lesung mit Ralf König

    21 Uhr | Lesung, im Anschluss SignierstundeEinlass: 20.30 Uhr

    Sa. 21.11. 2 Jahre SchwuZ am Rollberg:Your Kiezdisko loves you

    23 Uhr | Pop, House, Retro & ShowJurassica Parka || Edith Schröder || Martha Hairy aka Kenny DeeLCavaliero || marsmaedchen || Aérea Negrot || Ena Lind || Lucky PierreCamelia Light aka Modeopfer || Monique || derMichaSpecial Vogueing Performance by : The HouseOfMelodyVernissage: FAIRY TAILS (Kooperation mit der Bar je