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0 - 0 Cl2 ...... ..... 30 tagspraktischer Kompetenzen in den Therapiepro- grammen expliziter zu berücksichtigen. Außerdem unterstreicht die deutlich schlechtere Lebensqualität der Jungen mit ADHS und deren Bezugspersonen die hohe psychosoziale Belastung der Jungen mit ADHS sowie deren Familien. Somit wird eine multimodale Behandlung der ADHS erneut unterstützt, die durch interdisziplinäre und familienorientierte Therapiemaß- nahmen behandelt werden sollte. Erste Studien spre- chen für di e Wirksamkeit solcher Therapieansätze, die konsequenter im Rahmen der stationären Rehabilita- tion umgesetzt werden sollen. Lit eratur beim Verlag Dlpl. ·Psych. Ina Schreyer Zent I'Wil für Klinlsche Psychologie und Rehabllit.ation Universität Bremen · Grazer Str . 6 28359 Bremen Prof. Dr. Petr a Hampel FH Kiel · FB Soziale Arbeit und Gesundheit Sokratesplatz 2 · 24149 Kiel Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Petra Hampel FH Kiel · FB soziale Arbeit und Gesundheit Sokratesplatz 2 · 24149 Kiel Tel: (0431 ) 210·3022 · Fax: (0431) 210·3300 petra..hampel@fh· kiel.de schizophrenie o, 1, '' ''- , 1 "I; - > !' Was ka nn das EEG zur Vorh ers ag e von s chi zophrenen Ps ychosen leisten? Marion 0. Pflueger, Ute Gschwandtner, Andrea Kälin, Anit.a Rlecher·Rössler und Peter Fuhr, Basel Die Früherkennung und Früh behandlung von Schizo- phrenie ist in den le tzten Jahren zu einem akzeptier- ten Ziel der Psychiatrie geworden. Denn bereits fünf bis sechs Jahre vor der Manifestierung einer Psychose zei- gen sich unspezifische Veränderungen und eine atypi- sche Prodromalsymptomatik, die in Form von Konzent- rations- und Aufmerksamkeitsstörungen, Schlaf störun- gen, Depression, Angst , Derealisations- un d Depersona- lisations-Erleben sowie vorübergehenden (sog. „brief li- mited intermittend psychotic symptoms«) und/oder un- terschwelligen psychotischen Symptomen („attenuated psychotic symptoms") bereits schwere Auswirkungen auf den beruflichen- und sozialen Alltag der Betroffenen haben (Riecher-Rössler et al. 2006). Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass ein spät er Int er- ventionsbeginn eine schlechtere kurz- und langfris- tige Prognose auf unterschiedlichen Ebenen nach sich zieht. Abgesehen von einer verzöger ten und nur unvollständigen Besserung der Symptomatik und einer schlechteren Langzeitprognose steht ein ver- späteter Behandlungsbeginn auch in Zusammenhang mit einer höher en Rehospitalisierungsrate und höhe- ren Behandlungskosten (Überblick in Riecher-Rössler et al. 2007). Allerdings sehen sich sowohl Forscher als auch Kli· niker hinsichtlich des Beginns einer Pharmakothera- pie mit einem Dilemma konfrontiert. Einerseits kann sich die Krankheit, wie bereits erwähnt, schon im Pro· dromalstadium verheerend auswirken, andererseits geht eine zu frühe Diagnose und Behandlung mit dem Risiko einer falsch positiven Diagnose und damit auch mit der Stigmatisierung Betroffener sowie mit mögli- chen Nebenwirkungen der Medikation einher (Riecher- Rössler et al. 2006). Daraus erwächst die Notwendig- keit, nach Faktoren zu suchen, die potenzielle Risiko- personen zuverlässig zu identifizieren vermögen. Dazu durchgeführte Studien konnten bei Risikoperso- nen bereits Defizite im Bereich der Neuropsychologie und d ort in Bezug auf Vigilanz, Abstraktion, Arbeits- gedächtnis, exekutive Funktionen sowie feinmotori- sche Auffälligkeiten finden (Gschwandtner et al. 2006; Pflueger et al. 2007; siehe auch Überblick in Riecher- Rössl er et al. 2006). Auf psychopathologischer Ebene stellt die bereits erwähnte Prodromalsymptomatik einen wichtigen Prädiktor dar. Hinzu kommen Verän- derungen im sozialen Verh al ten bzw. Schwierigkeiten bei der Bewältigung des beruflichen und sozialen All- tags (Riecher-Rössler et al. 2007; Yung & McGorry 1996). Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren konnte außerdem gezeigt werden, dass ber eits in der Früh· phase psychotisch er Störungen Veränderungen des Volumens der grauen Substanz auftreten, insbeson- dere in frontalen, temporalen und parietalen Berei- chen sowie im Kleinhirn (Borgwardt et. a l. 2007a; Borgwardt et al. 2007b; Borgwardt et al. 2008). Auch auf neurophysiologischer Ebene konnten mittels Elek- troenzephalographie (EEG) Veränderungen bei Risi- kopati enten festgestellt werden (Gschwandtner et al. 2009). Dem Ziel der Früherkennung von Psychosen widmet sich auch die Psychiatrische Universitätspoliklinik des Universitätsspitals Basel im Rahmen der FEPSY-Stu- die (Früherkennung von Psychosen). Zu diesem Zweck werden Patienten, die klinisch als psychoseverdäch- tig eingestuft wurden, mit Hilfe eines eigens entwi- ckelten „Basel Screening Instrument für Psychosen" (BSIP) auf bereits bekannte Risikofaktoren überprüft (Riecher-Rössler et al. 2008). Zu diesen gehören psy- chopathologische Faktoren, aber auch Drogenkonsum innerhalb der letzten zwei Jahre, psychiatrische Vor- geschichte, genetisches Risiko, Alter beim A uftreten der ersten Symptome sowie die Verschlechterung sozi- aler Rollenerfüllung („Knick in der Lebenslinie") . In einem nächsten Schritt erfolgt die ausführliche Über- prüfung weiterer bekannter Risikofaktoren mittels neuropsychologischer, -physiologischer ( EEG ) und -radiologischer (MRI) Verfahren sowie die ausführ- liche Exploration der klinischen Vorgeschichte. Die anhand dieses Verfahrens als Risikopatienten identi- fizierten Personen werden anschließend in einem Zeit-

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tagspraktischer Kompetenzen in den Therapiepro­grammen expliziter zu berücksichtigen. Außerdem unterstreicht die deutlich schlechtere Lebensqualität der Jungen mit ADHS und deren Bezugspersonen die hohe psychosoziale Belastung der Jungen mit ADHS sowie deren Familien. Somit wird eine multimodale Behandlung der ADHS erneut unterstützt, die durch interdisziplinäre und familienorientierte Therapiemaß­nahmen behandelt werden sollte. Erste Studien spre­chen für die Wirksamkeit solcher Therapieansätze, die konsequenter im Rahmen der stationären Rehabilita­tion umgesetzt werden sollen.

Literatur beim Verlag

Dlpl.·Psych. Ina Schreyer ZentI'Wil für Klinlsche Psychologie und Rehabllit.ation

Universität Bremen · Grazer Str. 6 28359 Bremen Prof. Dr. Petra Hampel

FH Kiel · FB Soziale Arbeit und Gesundheit Sokratesplatz 2 · 24149 Kiel

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Petra Hampel

FH Kiel · FB soziale Arbeit und Gesundheit Sokratesplatz 2 · 24149 Kiel

Tel: (0431 ) 210·3022 · Fax: (0431) 210·3300 petra..hampel@fh·kiel.de

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Was kann das EEG zur Vorhersage von schizophrenen Psychosen leisten? Marion 0. Pflueger, Ute Gschwandtner, Andrea Kälin, Anit.a Rlecher·Rössler und Peter Fuhr, Basel

Die Früherkennung und Frühbehandlung von Schizo­phrenie ist in den letzten Jahren zu einem akzeptier­ten Ziel der Psychiatrie geworden. Denn bereits fünf bis sechs Jahre vor der Manifestierung einer Psychose zei­gen sich unspezifische Veränderungen und eine atypi­sche Prodromalsymptomatik, die in Form von Konzent­rations- und Aufmerksamkeitsstörungen, Schlaf störun­gen, Depression, Angst , Derealisations- und Depersona­lisations-Erleben sowie vorübergehenden (sog. „brief li­mited intermittend psychotic symptoms«) und/oder un­terschwelligen psychotischen Symptomen („attenuated psychotic symptoms") bereits schwere Auswirkungen auf den beruflichen- und sozialen Alltag der Betroffenen haben (Riecher-Rössler et al. 2006).

Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass ein später Inter­ventionsbeginn eine schlechtere kurz- und langfris­tige Prognose auf unterschiedlichen Ebenen nach sich zieht. Abgesehen von einer verzögerten und nur unvollständigen Besserung der Symptomatik und einer schlechteren Langzeitprognose steht ein ver-

späteter Behandlungsbeginn auch in Zusammenhang mit einer höheren Rehospitalisierungsrate und höhe­ren Behandlungskosten (Überblick in Riecher-Rössler et al. 2007). Allerdings sehen sich sowohl Forscher als auch Kli· niker hinsichtlich des Beginns einer Pharmakothera­pie mit einem Dilemma konfrontiert. Einerseits kann sich die Krankheit, wie bereits erwähnt, schon im Pro· dromalstadium verheerend auswirken, andererseits geht eine zu frühe Diagnose und Behandlung mit dem Risiko einer falsch positiven Diagnose und damit auch mit der Stigmatisierung Betroffener sowie mit mögli­chen Nebenwirkungen der Medikation einher (Riecher­Rössler et al. 2006). Daraus erwächst die Notwendig­keit, nach Faktoren zu suchen, die potenzielle Risiko­personen zuverlässig zu identifizieren vermögen. Dazu durchgeführte Studien konnten bei Risikoperso­nen bereits Defizite im Bereich der Neuropsychologie und dort in Bezug auf Vigilanz, Abstraktion, Arbeits­gedächtnis, exekutive Funktionen sowie feinmotori­sche Auffälligkeiten finden (Gschwandtner et al. 2006; Pflueger et al. 2007; siehe auch Überblick in Riecher­Rössler et al. 2006). Auf psychopathologischer Ebene stellt die bereits erwähnte Prodromalsymptomatik einen wichtigen Prädiktor dar. Hinzu kommen Verän­derungen im sozialen Verhalten bzw. Schwierigkeiten bei der Bewältigung des beruflichen und sozialen All­tags (Riecher-Rössler et al. 2007; Yung & McGorry 1996). Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren konnte außerdem gezeigt werden, dass bereits in der Früh· phase psychotischer Störungen Veränderungen des Volumens der grauen Substanz auftreten, insbeson­dere in frontalen, temporalen und parietalen Berei­chen sowie im Kleinhirn (Borgwardt et. al. 2007a; Borgwardt et al. 2007b; Borgwardt et al. 2008). Auch auf neurophysiologischer Ebene konnten mittels Elek­troenzephalographie (EEG) Veränderungen bei Risi­kopatienten festgestellt werden (Gschwandtner et al. 2009). Dem Ziel der Früherkennung von Psychosen widmet sich auch die Psychiatrische Universitätspoliklinik des Universitätsspitals Basel im Rahmen der FEPSY-Stu­die (Früherkennung von Psychosen). Zu diesem Zweck werden Patienten, die klinisch als psychoseverdäch­tig eingestuft wurden, mit Hilfe eines eigens entwi­ckelten „Basel Screening Instrument für Psychosen" (BSIP) auf bereits bekannte Risikofaktoren überprüft (Riecher-Rössler et al. 2008). Zu diesen gehören psy­chopathologische Faktoren, aber auch Drogenkonsum innerhalb der letzten zwei J ahre, psychiatrische Vor­geschichte, genetisches Risiko, Alter beim Auftreten der ersten Symptome sowie die Verschlechterung sozi­aler Rollenerfüllung („Knick in der Lebenslinie") . In einem nächsten Schritt erfolgt die ausführliche Über­prüfung weiterer bekannter Risikofaktoren mittels neuropsychologischer, -physiologischer (EEG) und -radiologischer (MRI) Verfahren sowie die ausführ­liche Exploration der klinischen Vorgeschichte. Die anhand dieses Verfahrens als Risikopatienten identi­fizierten Personen werden anschließend in einem Zeit-

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raum von maximal sieben Jahren einem regelmäßi­gen Follow-Up unterzogen (alle 1-3 Monate) . Das Ziel ist es, Prädiktoren für die Entwicklung einer Psychose auf mehreren Ebenen der Datenerhebung (Psychopa­thologie, Neuropsychologie, -physiologie und -radiolo­gie) entdecken und untersuchen zu können. Dazu wer­den die im Verlauf beobachteten Übergänge vom Risi­kostatus zur floriden Psychose protokolliert und in einen Zusammenhang mit den Daten der unterschied­lichen Erhebungsebenen gestellt.

EEG in der Psychiatrie

Im Zusammenhang mit psychiatrischen Störungen ist die überproportionale Häufung von Epilepsien (Präva­lenz) im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung auffäl­lig. Sie ist je nach Erkrankungstyp um das zwei- bis fünffache höher (Baumgartner & Lehner-Baumgart­ner 2008). Psychiatrische Störungen sind jedoch nicht nur sekundär infolge einer vorausgehenden epilepti­schen Erkrankung beobachtbar. Auch der umgekehrte Fall trifft zu. So ist beispielsweise gut belegt, dass die Diagnose einer „Major Depression" mit einem um den Faktor 1. 7 erhöhten Anfallsrisiko verbunden ist (Hes­dorff er et al. 2006). Je nach zeitlichem Bezug der psychiatrischen Störun­gen zum Anfallsgeschehen oder seiner Behandlung unterschiedet man dabei präiktale, iktale, postiktale und interiktale psychiatrische Störungen. In seltenen Fällen kommt es ausschließlich in Phasen der Anfalls­freiheit zu ernsthaften psychiatrischen Problemen, während diese bei Wiederauftreten der Anfälle remit­tieren (alternative psychiatrische Störung). Auch die antiepileptische Behandlung spielt eine Rolle. Sie kann psychiatrische Erkrankungen provozieren oder deren Verlauf verschlechtern. Im Zusammenhang mit der Schizophreniediagnostik ist vor allem die Differenzialdiagnose einer Tempo­rallappenepilepsie von Bedeutung. Die Temporallap­penepilepsie kann zu psychotischen Zustandsbildern führen, die jenen einer idiopathischen Schizophrenie sehr ähnlich sind. Bei der interiktalen Psychose f eh­len in der Regel die so genannte Negativsymptomatik (Apathie, Affektverflachung, Anhedonie usw.), sowie die charakteristischen Denkstörungen. Optische Hal­luzinationen überwiegen gegenüber akustischen Hal­luzinationen und insgesamt ist der Verlauf der psy­chotischen Symptomatik milder und günstiger als bei Schizophreniepatienten (Glauninger et al. 2001). Eine weitere Ausprägung der Temporallappenepilepsie ist dadurch charakterisiert, dass sich mit dem Auftreten einer psychotischen Störung das EEG normalisiert oder sich im Vergleich zu den Vorbef unden verbessert (for­cierte Normalisierung, vgl. Krishnamoorty & Trimble 1999). Diese Form der Psychose wird auch als Alter­nativpsychose bezeichnet . Sie tritt auch infolge einer effektiven antiepileptischen Therapie (insb. mit Etho­suximid) auf. Anders verhält es sich bei pathologischem EEG schi­zophrener Patienten. Entgegen dem Verlauf psycho-

tischer Zustandsbilder im Kontext der Temporallap­penepilepsie wurden dysrhythmische Muster bei schi­zophrenen Patienten mit einem schlechteren Ver­lauf und einer längeren Erkrankungsdauer assoziiert (Manchanda et al. 2003, 2005). Insgesamt herrscht eine gruppierte, fronte-zentral hochamplitudige lang­same Aktivität im Subalpha-, Theta- und Delta-Band vor, worunter auch dysrhythmische Muster zu sub­sumieren sind, die mit verminderter Vigilanz in Ver­bindung gebracht werden (Ulrich 2002). Über deren Bedeutung gehen allerdings die Meinungen auseinan­der. Anders als Manchanda betont Ulrich deren State­Charakter in Verbindung mit dem akuten Auftreten der Psychose und einer sich daran anschließenden Remissionsphase. Darüber hinaus wird in der Litera­tur auch auf die Bedeutung der EEG-Grundaktivität für das Ansprechen auf Neuroleptika hingewiesen. So zeigen beispielsweise schizophrene Patienten mit vor­herrschend niederspannigem EEG und intermittieren­den „Alphabursts" ein recht gutes Ansprechen. Das EEG von Patienten mit weniger gutem Ansprechen ist hingegen von einer verringerten Vigilanzdynamik und Rigidität gekennzeichnet, d.h. einer gut betonten, kontinuierlichen monomorphen Alphaaktivität, die zusätzlich die Neigung zur anterioren Ausbreitung hat (Ulrich 2002). Die Assoziation zwischen Epilepsie und Schizophrenie ist gerade im Kontext der Früherkennung von Psy­chosen eine besonders sensible Angelegenheit, zumal die hierfür klinisch operationalisierten Risikofakto­ren kurze intermittierende und attenuierte psychoti­sche Symptome einschließen. Hier kann es zu beson­deren diff erenzialdiagnostischen Schwierigkeiten kom­men, wenn eine Temporallappenepilepsie vorher nicht ausgeschlossen wurde.

Die Vorhersage der Psychose durch das EEG

Im Zusammenhang mit der Früherkennung von Psy­chose hat das EEG also eine zweifache Funktion. Zunächst einmal dient es dem Ausschluss einer pri­mär organischen Psychose, die im Zuge einer Tempo­rallappenepilepsie auftritt. Zum zweiten jedoch besteht die interessante aber offene Frage, inwiefern hirnphy­siologische Veränderungen, die im EEG ihren Nieder­schlag finden, einen Beitrag zur Vorhersage einer Psy­chose leisten können. Diese Fragestellung war Gegen­stand einer Untersuchung im Rahmen des FEPSY-Pro­jekts der psychiatrischen Poliklinik am Basler Uni­versitätsspital (Gschwandtner et al. 2009) . 42 Risi­kopersonen für Psychose (sog. ,At-Risk Mental State' (ARMS)-lndividuen) und 31 Patienten mit einer psy­chotischen Ersterkrankung wurden mit 35 gesunden Kontrollprobanden hinsichtlich des Vorliegens von kli­nischen EEG-Veränderungen verglichen. Die EEG-Ver­änderungen umschlossen Normvarianten und Charak­teristika normaler Hirnstromtätigkeit (z.B. Alphablo­ckade nach Öffnen der Augen usw.) ebenso wie auch Anzeichen pathologischer Hirntätigkeit (Herdaktivität, epileptiforme Entladungen usw.). Die Beurteilung der

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EEG-Aufzeichnungen erfolgte durch erfahrene Neuro­physiologen, die jede vorliegende Ableitung nach stan­dardisierten Kriterien visuell inspizierten und dabei blind für die diagnostische Gruppierung der Patienten waren. Die EEGs wurden unter Standardbedingungen aufgezeichnet, d. h. die Ableitungen erfolgten unter Ruhebedingungen - zuweilen mit geöffneten, zuweilen mit geschlossen Augen des Patienten - und ergänzt um Provokationsbedingungen, wie einer Hyperventi­lations- und Photostimulationsphase - eine EEG-Auf­zeichnung, wie sie üblicherweise in der klinischen Rou­tine auch anderswo durchgeführt wird. Auch die Auf­zeichnungsapparatur selbst entsprach einem handels­üblichen und überall verfügbaren EEG-Gerät, das über 32 Kanäle verfügt. Die Ableitung wurde mit 19 Elekt­roden auf Basis des internationalen 10/20- Standards vorgenommen. Um die Zuverlässigkeit des neurologi­schen Urteils zu sichern, wurde ein zweiter neurologi­scher Beurteiler hinzugezogen, der erneut alle vorlie­genden EEGs visuell inspizierte und nach den genann­ten standardisierten Kriterien beurteilte. Die daraus resultierende Inter-Rater-Reliabilität war sehr gut. Die im Zusammenhang mit der Arbeit stehenden Hypo­thesen und spezifischen Fragestellungen lagen nach allem, was an empirischen Evidenzen verfügbar war, auf der Hand: ~ Erstens lässt sich bei den untersuchten ebenfalls der

Nachweis erbringen, dass Patienten (d. h. ARMS­Individuen und Ersterkrankte) über eine deutlich erhöhte Häufung pathologischer elektrophysiologi­scher Anzeichen verfügen?

~ zweitens sollte es zutreffend sein, dass bei ARMS­Individuen ein vermehrtes Vorkommen von elektro­physiologischen Pathologien beobachtbar ist, dann wäre zu fragen, ob diese Häufungen mit einer im weiteren Verlauf eintretenden psychotischen Dekom­pensation und damit der Manifestierung einer Ersterkrankung in Zusammenhang steht. Mit ande­ren Worten: Können EEG-Ableitungen zur Vorher­sage einer psychotischen Erkrankung beitragen?

Die Auswertung der Daten ergab eine deutlich höhere Neigung der Patienten zur Ausbildung von patholo­gischer Aktivität im EEG. Etwas mehr als 30% aller Erster krankten und ARMS-Individuen zeigten solche Auffälligkeiten. Dem stehen 11 % der sog. gesunden Kontrollpersonen mit EEG-Auffälligkeiten gegenüber, was zugegebenermaßen auch überraschend viel ist, dennoch aber ein signifikant weniger häufiges Vor­kommen als bei Patienten. Die Art der Pathologien erstreckte sich dabei im Wesentlichen auf drei Mus­ter: Am häufigsten konnte eine langsame pathologi­sche Aktivität (im Delta/Theta Frequenzband) beob­achtet werden. Sie trat in etwa zwei Drittel der Fälle mit Pathologie (etwa 64%) auf. Die restlichen 36% der beobachteten Pathologien erstreckten sich auf steile Transienten, pathologische rhythmische Muster und deren Kombinationen, einschließlich der intermittie­renden langsamen Aktivität. vorzugsweise waren diese Pathologien fronto-temporal lokalisiert. Genau­ere Analysen zeigten, dass es keine spezifische Korn-

bination gibt, die ARMS-Individuen und Ersterkrankte von einander zu unterscheiden erlauben würde. Auch war es nicht möglich festzustellen1 ob entweder Erster­krankte oder ARMS-Individuen stärker von elektro­physiologischen Pathologien betroffen waren. Ins­gesamt ließen sich unter den ARMS-Individuen (ca. 36%) mehr pathologische EEG gegenüber den Erster­krankten (ca. 23%) beobachten, was jedoch kein sig­nifikanter Unterschied ist. Es ließ sich sagen, dass die Häufungen, die wir feststellen konnten, auch mit den Berichten in der Fachliteratur zu pathologischen EEG bei ersterkrankten schizophrenen Patienten überein­stimmten (Manchanda, 2003, 2005). Um die Häufungen der EEG-Pathologien tatsächlich und berechtigterweise mit einer jeweiligen Primärer­krankung in Verbindung bringen zu können, bedurfte es noch der Absicherung und des Ausschlusses von koinzidentiellen Einflussfaktoren, deren Wirkung auf das Zentralnervensystem von Relevanz ist. Dies betrifft vorrangig die Einnahme von psychoaktiven Substanzen in Form von Medikamenten, aber auch den Konsum von Drogen wie Cannabis. Hier prüften wir, inwiefern sich die Prävalenz der EEG-Pathologie mit den jeweiligen Substanzen änderte. Es zeigte sich jedoch, dass die EEG-Pathologien nicht auf Nebenwir­kungen von Medikamenten- oder Drogeneinnahmen zurückzuführen waren. Nun da der Einfluss psychoaktiver Substanzen ausge­schlossen war, konnten wir uns der Frage zuwenden, ob mithilfe des EEG eine Vorhersage über den zukünf­tigen Verlauf bzw. über eine zukünftige Entwick­lung einer Psychose getroffen werden kann. Können wir mit dem EEG die Psychose vorhersagen? Da die ARMS-Individuen zum Zeitpunkt der Analyse mindes­tens schon über drei Jahre beobachtet wurden (man­che sogar schon sieben Jahre) , konnten wir zuverläs­sig feststellen, welche der ARMS-Individuen im Ver­lauf dieser Zeit tatsächlich an einer Psychose erkrank­ten. Es stellte sich heraus, dass von den 42 ARMS­Individuen 12 eine manifeste Psychose entwickel­ten, während 22 weitere ARMS-Individuen unverän­dert in einem Risikostatus verharrten. Unglücklicher­weise schieden 8 Patienten während des Follow-Up aus und konnten bei der nun geschilderten Analyse nicht berücksichtigen werden. Um festzustellen, ob das EEG einen Zugewinn in der Vorhersage einer Psychose ermöglicht, mussten wir einen Vergleichsstandard schaffen. Dazu eignet sich -nahe liegend - die psychopathologische Symptombelas­tung, die in unserem Fall mittels der Brief Psychiatrie Rating Scale CBPRS) zum Zeitpunkt des Einschlusses in die Studie erfasst wurde. Die BPRS ist eine 24-Item Ankerskala, die von erfahrenen Psychiatern schnell ausgefüllt werden kann. Sie erfasst neben anderen psychopathologischen Dimensionen sowohl Positiv- als auch Negativsymptomatik. Ein globaler Summenwert liefert schließlich ein grobes Maß für die psychopatho­logische Gesamtbelastung - der Global Score. In einem ersten Schritt versuchten wir nun auf Basis des BPRS Global Score eine Klassifikation der ARMS-Individuen in eine von zwei Klassen zu erreichen - in Patienten

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mit und in Patienten ohne Übergang zur Psychose. Das gelang mithilfe der logistischen Regression schon hin­reichend gut. Wie sich herausstellte, wurden alle Pati­enten mit einer mäßigen Symptombelastung (Global Score > 39) als Patienten mit zukünftiger Psychose klassifiziert, während von den anderen ARMS-Indi­viduen angenommen wurde, dass die Psychose nicht eintreten würde. Etwa 82% der tatsächlich im Ver­lauf dekompensierten Patienten wurden hierdurch korrekt erfasst, jedoch wurden auch 41 % der ARMS­Individuen, die später keine psychotische Dekompen­sation erlebten , irrtümlicherweise dieser Gruppe zuge­schrieben. Insgesamt wurden zwei Drittel der Patien­ten alleine aufgrund ihrer Symptombelastung korrekt klassifiziert. In einem nächsten Schritt wiederholten wir die Berech­nung, dieses Mal jedoch zusätzlich noch unter Berück­sichtigung des EEG. Wie würde sich das Resultat nun ändern? Die korrekte Klassifikation der Patienten mit späterer Psychose war auf Basis des neuen Modells mit einem identischen Wert von 82% richtig posit iv vorhergesagten Patienten (Sensitivität) nicht besser als das erste. Die Hinzunahme des EEG hatte also kei­nen Einfluss auf die Sensitivität. Jedoch änderte sich deutlich die Spezifität, d.h. die Rate mit der es gelingt, richtig negative Patienten zu identifizieren. Sie stieg nun unter Hinzunahme des EEG auf 73% an und war dem einfachen Modell, das nur die Psychopathologie berücksichtigte, um 14% überlegen. Insgesamt konn­ten somit 76% aller Patienten richtig klassifiziert wer­den. Eine genauere Analyse zeigte eine Reklassifika­tion jener Patienten, die auf Basis ihres BPRS Global Scores (> 39) irrtümlich den dekompensierten Patien­ten zugerechnet wurden, und zwar genau dann, wenn deren EEG ohne Pathologie geblieben war. Mit ande­ren Worten , die fälschlich positive Schätzung allein durch die Psychopathologie wurde durch ein blandes EEG korrigiert. Damit verblieben die meisten Patien­ten mit pathologischem EEG in der Gruppe der psy­chotisch Dekompensierten, woraus der Schluss gezo­gen werden kann, dass ein pathologischer EEG-Befund mit einer höheren Neigung zu psychotischer Dekom­pensation assoziiert ist. Es zeigt sich also, dass das EEG durchaus einen bedeutenden Beitrag zum Prob­lem der Früherkennung von Psychosen leisten kann. Dies betrifft nicht nur den diff erenzialdiagnostischen Aspekt des Ausschlusses von Temporallappenepilep­sien. Es besteht vielmehr auch die ganz direkte Mög­lichkeit, die Vorhersage einer zukünftigen psychoti­schen Dekompensation zu unterstützen. Die EEG-Dia­gnostik liefert damit einen wichtigen Beitrag zu Ein­grenzung des Problems der Früherkennung, nicht zuletzt deshalb, weil sie eine unumstrittene, preisgüns­tige und vielfach leicht einsetzbare Methode ist.

IJteratur beim Verlag

Korrespondenzadresse: Dr. phil. Mar ion 0. Pflueger, Dipl. Psych.

PsychiatriBche Poliklinik · Universitätsspital Basel Petersgraben 4 · CH • 4031 Basel

E·Mail: [email protected]

PTBS Weisheitstherapie zur Verbesserung der Resilienz bei Lebensbelastungen Kai Baumann, Berlin

In der Internationalen Klassifikation der Krankheiten, ICD-10 (WHO 1992) gibt es ein Kapitel (F43) zu „Re­aktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstö­rungen". Hier werden solche Störungen zusammenge­fasst, für deren Zustandekommen ein einschneidendes Lebensereignis beigetragen hat. Von besonderer psycho­therapeutischer Bedeutung sind dabei die Posttraumati­sche Belastungsstörung und die Anpassungsstörungen.

Die Posttraumatische Belastungsstörung, PTSD (ICD-10 F 43.1) wird durch ein Ereignis mit „außergewöhn­licher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausma­ßes" bzw. „eine Konfrontation mit Ereignissen, die lebensbedrohlich sind, oder die mit ernsthaften Ver ­letzungen oder einer Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Per­sonen" einhergehen, ausgelöst. Anpassungsstörungen (ICD-1 O F 43.2) werden in der ICD-10 als „Zustände von subjektivem Leiden und emotionaler Beeinträchtigung bezeichnet, die soziale Funktionen und Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung; nach einem belastenden Lebens­ereignis oder auch nach schwerer körperlicher Krank­heit auftreten" (WHO, 1992). Gerade Anpassungsstö­rungen sind häufige Erkrankungen, die schwer zu behandeln sind und eine hohe Tendenz zur Chronifi­zierung mit der Folge von Arbeits- und Erwerbsunfä­higkeit haben. Im klinischen Alltag findet man eine weitere Form von Anpassungsstörung mit vorherrschendem Verbitte­rungsaffekt, die sich als „Posttraumatische Verbitte­rungsstörung" (postt raumatic embitterment disorder; Linden 2003, Linden et al. 2007) von anderen Anpas­sungsstörungen abgrenzen lässt. Neben einem Ärger­und Verbitterungsaffekt steht hier das Er leben von massiver Ungerechtigkeit und Kränkung im Vorder­grund. Im Gegensatz zur PTSD sind die Auslöser für eine PTED jedoch nicht außergewöhnlich.

Resilienz

Lebensbelastungen sind lebensüblich und werden meis­tens gut bewältigt. Menschen sind in der Lage, auch schwierige Lebensereignisse wie Trennung, Krank­heit oder Tod zu bewältigen, was zu vorübergehend auftretenden negativen Gefühle oder körperlichen Symptomen führen kann. Auch bei Berücksichtigung

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