WIRKSTOFFKOMBINATIONEN - mm.wiwi.uni-due.de · Primäres Ziel des AMNOG ist es, dem Prinzip...

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1 WIRKSTOFFKOMBINATIONEN qualitative und monetäre Herausforderungen Ein aktueller Diskussionsbeitrag mit konkreten Lösungsansätzen 14. Juli 2015 Autoren (alphabetisch) Dr. Jürgen Bausch Dr. Johannes Bruns Wolfgang Kaesbach Dr. Ulf Maywald Peter Schmidt Prof. Volker Ulrich Prof. Dr. Jürgen Wasem Einzelaspekte wurden mit Sachverständigen aus dem BMG, der Politik, dem GBA, den Schiedsinstanzen und der pharmazeutischen Industrie diskutiert

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WIRKSTOFFKOMBINATIONEN

qualitative und monetäre Herausforderungen

Ein aktueller Diskussionsbeitrag mit konkreten Lösungsansätzen

14. Juli 2015

Autoren (alphabetisch) Dr. Jürgen Bausch Dr. Johannes Bruns Wolfgang Kaesbach Dr. Ulf Maywald Peter Schmidt Prof. Volker Ulrich Prof. Dr. Jürgen Wasem

Einzelaspekte wurden mit Sachverständigen aus dem BMG, der Politik, dem

GBA, den Schiedsinstanzen und der pharmazeutischen Industrie diskutiert

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Vorbemerkung:

Die freie Kombination von zugelassenen Wirkstoffen zur Lösung von

Patienten-Problemen ist selbstverständlicher Bestandteil ärztlichen

Handelns.

Zugelassene Fixkombinationen sind nicht selten

Versorgungsstandard.

In der Onkologie jedoch eröffnen freie Wirkstoffkombinationen

mituner bessere Heilungschancen. Sie werden häufig verordnet,

verfügen nicht über eine arzneimittelrechtliche Zulassung und sind

verantwortlich für relevante Ausgabensteigerungen der GKV und der

privaten Krankenkassen.

Der vorliegende Diskussionsbeitrag beleuchtet im vorderen,

allgemeinen Teil die Problematik und bringt im speziellen

Nachfolgeteil Lösungsansätze.

Ziel ist:

Die Versorgungsqualität zu verbessern und Kosten zu reduzieren.

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- Allgemeiner Teil -

„Kombitherapien in der Onkologie und Virologie

Denkbare Alternativen zur Flexibilisierung der Erstattungsmodelle,

insbesondere von Kombinationsbehandlungen“

Einleitung in die Problematik

Ein konkretes Beispiel aus der Onkologie erleichtert den Zugang zu

diesem sperrigen Thema:

„Hochmaligne Non Hodgkin-Lymphome (NHL) lassen sich gut

chemotherapeutisch behandeln und können sogar komplett geheilt

werden.“ So kann es der Laie bei Wikipedia nachlesen, wenn man „NHL“

in das System eingibt. Es ist keine zwei Jahrzehnte her, da war diese

schwerwiegende Diagnose ein Todesurteil. Die moderne Behandlung

erfolgt in der Regel durch eine Kombinationstherapie nach dem CHOP-

Schema. Ein Cocktail aus Cyclophosphamid (C), Doxorubizin (D),

Vincristin (Onkovin® (O)) und Prednisolon (P). Diese Chemotherapie wird

seit einiger Zeit mit dem monoklonalen CD-20-Antikörper Rituximab

kombiniert. Eine Fünferkombination mit dem Achronym „R-CHOP“.

Niemand kommt auf die Idee, diesen internationalen Therapie-Standard in

die Nähe des „off-label-use“ zu lokalisieren, obwohl es eigentlich keine

arzneimittelrechtliche Zulassung für dieses bewährte therapeutische

Vorgehen gibt.

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Kombitherapien entwickeln sich zur Regelversorgung

Dieses sehr spezielle, aber typische Beispiel aus der Haemato-Onkologie

würde unter Kostenträgern, Arzneimittel-Experten, Ökonomen und

Gesundheitspolitikern niemanden interessieren, wenn nicht nach Aussage

vieler Onkologen aus der Versorgungsebene übereinstimmend berichtet

wird, dass eine freie Wirkstoffkombination in ihrem Fachgebiet in mehr als

der Hälfte aller Fälle die Regel geworden ist. Zwar nicht regelhaft mit so

vielen Wirkstoffkomponenten wie beim NHL, aber fast immer ohne eine

arzneimittelrechtliche Zulassung und ohne das Vorliegen von

prospektiven belastbaren Daten zu Nutzen und Schaden in der

Kombinationsbehandlung. Vorherrschend ist anekdotische Evidenz.

Allerdings gestützt auf Zulassung und Nutzenbewertung der

Komponenten und die gewachsenen molekularbiologischen Erkenntnisse

der Wissenschaft.

Die Einzel-Wirkstoffe verfügen seit 2011 in Deutschland nach der

europäischen Zulassung auf der Basis einer frühen Nutzenbewertung

über einen ausgehandelten Erstattungspreis für die zugelassene

Monotherapie. Bei den älteren zugelassenen Bestandsarzneimitteln fehlt

die Nutzenbewertung und die Preissetzung ist in der Verantwortung des

Unternehmens. Generischer Wettbewerb hat jedoch Preissenkungen

bewirkt.

In der Kombination addieren sich die Preise der

Wirkstoffkomponenten unbehindert.

Fest steht allerdings: Kombinationsbehandlungen führen mehrheitlich zu

besseren Therapie-ergebnissen. Und sie bewirken bemerkenswerte

Ausgabensteigerungen, was erklärt, warum z.B. im

Arzneimittelausgabensegment der Onkologica Jahr für Jahr zweistellige

Steigerungsraten die Regel sind.

Wenn man in dieses Problemfeld der Kombitherapien mehr Transparenz

und neue Lösungsansätze bringen möchte, macht es Sinn, sich zu

vergegenwärtigen:

Seit es bewusstes medizinisches Handeln gibt, verfügt der Arzt

grundsätzlich über die Freiheit in der Wahl seiner Therapie.

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Daran haben auch einengende Vorschriften des Sozialgesetzbuches V

nichts entscheidend ändern können. Patient und Arzt sind letztendlich

starke Verbündete in dem Ziel: ein bestmögliches Therapie-Ergebnis

erzielen zu wollen. Voraussetzung ist allerdings der indikationsgerechte

Einsatz im Zulassungsgebiet des Arzneimittels. Eine formale Zulassung

einer vom Arzt frei gewählten Wirkstoffkombination ist nicht zwingend.

Es liegt allerdings in der Natur der Dinge, dass nicht alles, was Ärzte

dabei tun und Patienten haben wollen, zielführend ist und bezahlbar

bleibt. Aber auch die Kostenträger müssen ein Interesse daran haben,

dass ihre Versicherten schnellen Zugang zum medizinischen Fortschritt

und neuen Therapie-Optionen haben, bei denen eine „therapierelevante

Verbesserung der Behandlung erwartbar ist“ (§35 c, Abs. 2 SGB V).

Auf eine knappe Formel gebracht:

Kombinationsbehandlungen, insbesondere in der Krebstherapie, aber

auch bei Hepatitis C und HIV sind wichtiger Therapie-Bestandteil. In der

Regel - bezogen auf den erlaubten zeitgleichen Einsatz - außerhalb einer

arzneimittelrechtlichen Zulassung. Sie haben in vielen Fällen die Potenz,

das Therapie-Ergebnis zu optimieren. Eine Trennung von Spreu und

Weizen ist jedoch nicht der Regelfall.

Und jede Kombitherapie verteuert add on – unabhängig vom klinischen

Nutzen - den Behandlungs-Aufwand ungeschmälert im Vergleich zur

Mono-Therapie.

Vorausschauende Arzneimittelpolitik bedeutet, diese qualitativ ungefilterte

Versorgungssituation mit einem Treibsatz auf der Ausgabenseite

einzufangen.

„Mehr Qualität zu überschaubaren Kosten“ könnte die Devise sein.

Systemeingriffe zeichnen sich ab

Das Ziel wird sein: Sinnvolle Kombinationsbehandlungen allen Patienten

zugänglich zu machen, wenn sie zu einer erwartbaren therapierelevanten

Verbesserung führen können. Der davon ausgehende Ausgabenanstieg

ist durch geeignete Eingriffe abzubremsen. Das Industrie-Interesse an

einem unverändert bleibenden ausgehandelten Erstattungspreis auf der

Ebene der Monotherapie ist zu berücksichtigen.

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Der einfachste Weg für die Lösung dieses Problems wäre, wenn die

pharmazeutischen Hersteller freiwillig bei allen Wirkstoffen im

Kombinationsfall auf den vollen ausgehandelten Monotherapiepreis

verzichten, indem sie den Krankenkassen für diese Umsatzsteigerung

einen General-Rabatt einräumen, der nicht öffentlich gemacht wird.

Es bedarf keiner Vertiefung der Diskussion, dass ein freiwilliger Verzicht

kein zukunftsfähiges Modell darstellt.

Eckpunkte für einen konstruktiven Lösungsansatz

Trennung der Spreu vom Weizen

Der GBA erhält eine Schlüsselrolle.

Kombitherapien, die üblich sind, obwohl keine arzneimittelrechtliche

Zulassung vorliegt, werden auf Antrag vom GBA geprüft.

Liegt aufgrund der aktuellen Erkenntnislage ein Anhaltspunkt, ein

Hinweis oder ein Beleg für einen mehr als geringfügigen klinischen

Nutzen vor, oder ist eine therapierelevante Verbesserung der

Behandlung erwartbar, dann listet der GBA diese Kombination

positiv in seiner Arzneimittelrichtlinie.

Gewogen und zu leicht befunden

Kombitherapien, die diese Hürde nicht überspringen, sind obsolet.

Sie verweisen Ärzte im Falle von Verordnungen in eine

Begründungspflicht, sofern eine Wirtschaftlichkeitsprüfung erfolgt.

Freie Kombinationen von zugelassenen Wirkstoffen sind

grundsätzlich zulässig, wenn sie indikationsgerecht eingesetzt

werden. Ohne positive Listung durch den GBA trägt der Arzt voll

das Wirtschaftlichkeitsrisiko.

Die wichtigsten Antragsteller

Kassen, KVen, onkologische Kompetenzzentren und Hersteller sind beim GBA antragsberechtigt.

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Normsetzung

Die Entscheidung des GBA hat im positiven Fall normsetzenden

Charakter. Denn eine Kombinationsbehandlung, die nach Prüfung

durch den GBA bezüglich ihrer Nutzenpotenz für den Patienten

positiv gelistet wurde, wird in gewisser Weise „amtlich zertifiziert“,

ohne arzneimittelrechtlich zugelassen zu sein.

Herstellerzustimmung

Hersteller von Komponenten einer Kombinationstherapie müssen

analog den Regelungen für den „off label use“ ihre Zustimmung

inklusive der Unternehmerhaftung bekennen.

Kombipreisverhandlungen

Wer positiv gelistet wurde, geht verpflichtend in erneute

Preisverhandlungen mit dem Spitzenverband. Die ausgehandelten

Abschläge (Rabatte) bleiben verdeckt. Eine Schiedslösung ist

vorzunehmen, sofern die Verhandlungen erfolglos geblieben sind.

Schlussbemerkung

Das vorliegende Konzept zielt darauf ab, die Versorgungsqualität mit

freien Kombinationsbehandlungen zu verbessern und den Preisauftrieb,

der von dem zunehmenden Trend zur kombinierten Behandlung ausgeht,

durch zwingende Rabattverhandlungen abzubremsen.

Dadurch wird das Verhandlungsergebnis des Erstattungspreises nach

AMNOG im monotherapeutischen Einsatz nicht tangiert.

Einzelheiten des Konzepts und Detailregelungen zur Umsetzung finden

sich im anschließenden „speziellen Teil“ des Positionspapiers.

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- Spezieller Teil -

WIRKSTOFFKOMBINATIONEN

qualitative und monetäre Herausforderungen

Ein aktueller Diskussionsbeitrag mit konkreten Lösungsansätzen

20. Juli 2015

Autoren (alphabetisch) Dr. Jürgen Bausch Dr. Johannes Bruns Wolfgang Kaesbach Dr. Ulf Maywald Peter Schmidt Prof. Volker Ulrich Prof. Dr. Jürgen Wasem

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Inhalt

Glossar

I. Die Ausgangslage

II. Vorausbemerkungen zu Lösungsansätzen

III. Lösungsansätze

„Einfache Lösungen“

IV. Die optimale Lösung

Anforderungen

V. Vorschlag zur Umsetzung „Kombinationstherapie“

1. Aufruf zur Verhandlung

2. Verhandlung

3. Änderungsbedarf im §130b Verfahren

VI. Konfliktlösungsmechanismus

VII. „Sequentielle Kombinationen“

VIII. Datengrundlagen als Voraussetzung für Flexibilisierung

IX. Datenverfügbarkeit und Datenschutz

X. Handlungsempfehlung für die Politik

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Glossar Fixe Kombination Im Kontext dieses Papiers bedeutet „fixe

Kombination“ nicht die Kombination zweier Wirkstoffe in einer Tablette, sondern die per Zulassung erforderliche Kombination zweier Wirkstoffe (um die Wirkung zu erreichen),

Freie Kombination

Im Kontext dieses Papiers bedeutet „freie Kombination“ die Kombination zweier Arzneimittel, die in keiner der beiden Zulassungen so vorgesehen ist, sondern vom Arzt aus individuellen Erwägungen heraus eingesetzt wird (z.B. synergistischer Wirkmechanismus)

Sequentielle (Tumor)Therapie

Sequentielle Therapie bedeutet, dass ein Tumor in verschiedenen Stadien der Erkrankung mit verschiedenen Arzneimitteln (auch in jeweils fixen und freien Kombinationen) behandelt wird. Im Kontext dieses Papieres wird, wenn von Kombination die Rede ist, immer eine fixe oder freie Kombination im gleichen Krankheitsstadium verstanden, auch wenn die Verordnung der Kombinationspartner zeitlich, je nach Therapieschema, nicht am selben Tag erfolgen muss.

Off-label-use

Off-label-use ist die Anwendung von Arzneimitteln außerhalb Ihrer zugelassenen Anwendungsgebiete („echter off-label-use). Der Sonderfall bei der o.g. „freien“ Kombination besteht jedoch darin, dass jeder einzelne Partner der Kombination für das Anwendungsgebiet zugelassen ist, aber die Kombination weder systematisch geprüft noch zugelassen wurde, sondern sich „in der Realität ergibt“ („unechter off-label-use“). Daher sind die bisherigen Regularien des Systems zum off-label-use, auf die in diesem Papier Bezug genommen wird, nur Analogien, eine 1:1-Übertragung ist nicht möglich. Fehlt einem Kombinationspartner die Zulassung für die Erkrankung, die mit der Kombinationstherapie behandelt werden soll, gelten die Regelungen des „echten“ off-label-use bzw. §35c SGB V uneingeschränkt.

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Die Ausgangslage:

1. Die Versicherten sollen auch in Zukunft nach ihrem objektiven

Bedarf und nicht nach ihrer Zahlungsfähigkeit Zugang zu den

Versorgungsleistungen der GKV haben, die für die Behandlung

ihrer jeweiligen Erkrankung medizinisch notwendig und

zweckmäßig sind. Das schließt auch sehr teure Leistungen ein.

2. Das bestehende Solidarsystem, das den Zugang zu allen im

Einzelfall medizinisch notwendigen Leistungen ermöglicht,

muss allerdings bezahlbar bleiben, es darf nicht überfordert

werden. Kosten und Nutzen müssen in einem angemessenen

Verhältnis stehen.

Die Versorgung der Patienten mit teuren Spezialprodukten, zu denen

auch die Biopharmazeutika gehören, erfordert einen stetig wachsenden

Anteil der GKV-Arzneimittelausgaben (ein Drittel der Ausgaben für nur 5%

der Verordnungen). Nach derzeitigem Stand wird dieser Kostendruck in

absehbarer Zeit weiter deutlich zunehmen. Denn die Entwicklungspipeline

der forschenden Industrie ist mit fast 600 Biopharmazeutika prall gefüllt.

Allein die darin steckende Ausgabendynamik wird die GKV trotz

verhandelten Erstattungsbeträgen mit großen Herausforderungen

konfrontieren. Mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG)

wurde ein bemerkenswerter und folgenreicher Paradigmenwechsel in der

Versorgung Deutschlands mit patentgeschützten Arzneimitteln eingeleitet.

Primäres Ziel des AMNOG ist es, dem Prinzip „Preis folgt dem Nutzen“

bei neuen Arzneimitteln im Rahmen der GKV stärker Geltung zu

verschaffen. Das AMNOG ist aber kein reines „Kostendämpfungsgesetz“,

es verfolgt ebenso industrie- und sozialpolitische Belange. Dem

Gesetzentwurf zufolge sollen den Patienten im Krankheitsfall die „besten

und wirksamsten Arzneimittel zur Verfügung stehen“, müssen die

Arzneimittelpreise und -verordnungen „wirtschaftlich und kosteneffizient

sein“ und werden „verlässliche Rahmenbedingungen für Innovationen, die

Versorgung der Versicherten und die Sicherung von Arbeitsplätzen“

geschaffen (Deutscher Bundestag 2010).

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3. Vorhersehbare Finanzierungsprobleme u.a. bei onkologischen

Therapien, bei denen Wirkstoffkombinationen zu besseren

therapeutischen Ergebnissen führen als die Monotherapie mit

nur einem Wirkstoff.

Zunehmend sind in der Onkologie neue (und teure) Wirkstoffe mit

unterschiedlichen Angriffspunkten besser wirksam als etablierte

Standardtherapien. Gestiegene Überlebenszeiten zu vergleichsweise

vertretbarer Lebensqualität sind beispielhaft ein Merkmal dieser

Entwicklung. Die „Onkologie wird zunehmend chronisch“, neue Wirkstoffe

werden regelhaft ergänzend und selten ersetzend eingesetzt. Noch

deutlicher und aktueller zeigt sich der Trend zu Kombinationsschemata in

der Hepatitis C-Behandlung.

Im Falle einer Kombination solcher Einzelwirkstoffe addieren sich die

Behandlungskosten je Patient jedoch in relevante sechsstellige

Größenordnungen. Die Ausgaben für Krebstherapeutika steigen regelhaft

mit deutlich zweistelligen Wachstumsraten. Bei der Preisbildung solcher

Wirkstoffe vor AMNOG und bei der Preisverhandlung nach AMNOG sind

– trotz Horizon Scanning - die Einsatzmöglichkeiten der Einzelsubstanzen

in der Kombitherapie in der Regel nicht bekannt. Insbesondere, wenn

Arzneistoffe sowohl in der Monotherapie zugelassen als auch in

Kombination nicht explizit kontraindiziert sind, versucht jeder Hersteller,

den maximalen Preis in beiden Anwendungen zu erreichen. Die freie

Kombination von Einzelwirkstoffen ist dann quasi eine Indikations- und

Markterweiterung, ohne dass es dafür einer Neuzulassung bedarf.

Beispiele dazu sind weiter unten angeführt.

Gesucht wird also –vereinfacht ausgedrückt - ein Verfahren,

welches bei Monotherapie den Preis 1,0 garantiert, bei Kombination

aber anstelle 2,0 z.B. nur Faktor 1,5.

4. Mangelnde Flexibilität der Rahmenbedingungen zur Findung

eines adäquaten §130b-Erstattungsbetrags.

Neben dem „Kombinationstherapieproblem“ tritt ein weiteres Problem auf,

wenn z.B. Zulassungserweiterungen mit neuen Dosierungen, aber

unveränderten Warenzeichen und Packungsgrößen einhergehen. So wird

Ipilimumab, derzeit mit 3mg/kg Körpergewicht beim Melanom für ca. 80T€

Jahrestherapiekosten erhältlich, auch in der Indikation NSCLC geprüft.

Allerdings mit 10mg/kg Körpergewicht, was zu 270T€

Jahrestherapiekosten oder – zumindest mittelbar - einem für den

Hersteller ggf. nicht annehmbar niedrigen Preis beim Melanom führen

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würde. In Fällen, in denen der Hersteller eine neue Indikation nicht als

gesondertes Warenzeichen (was durch EU- und/oder EMA-Vorgaben

limitiert sein kann), sondern als Erweiterung der Fachinformation des

bestehenden Präparates in den Markt bringt, gerät die „Mischpreislogik“

des AMNOG, die in den allermeisten Fällen richtig ist, an ihre Grenzen,

weil die eine Indikation zu teuer und die andere „zu preiswert“ wäre.

Ebenso problematisch ist, wenn die EMA so genannte

„Evidenztransferentscheidungen“ trifft, also ein Arzneimittel mit mehr

Indikationen bzw. breiter zulässt, als klinische Daten vorliegen, weil eine

Wirkung auch in Patientengruppen, die nicht geprüft wurden, plausibel ist

und erwartet werden kann, z.B.. bei Daltegravir (HIV) und Secukinumab

(Psoriasis). Dies führt unter den aktuellen AMNOG-Regelungen

zwangsläufig zu Verwerfungen im AMNOG-Prozess. Da der Hersteller für

die „unverhofft“ zugelassene Population keine Daten vorlegen kann, gilt

nicht etwa aus dem Grund, dass Wirkungs-/Nutzenverhältnis nicht

plausibel wäre, sondern allein wegen fehlender Belege ein Zusatznutzen

als nicht belegt. Betrifft dies ggf. eine relevant große Subpopulation, sind

Verhandlungen über einen Mischpreis „belastet“ mit der Folge einer

möglichen Marktrücknahme, die auch die wichtigen Subpopulationen trifft.

Z.B. hat Secukinumab in einer direkt vergleichenden Studie Überlegenheit

gegen den TNF-alpha-Hemmer Etanercept, den Biological-

Therapiestandard bei schwerer Psoriasis gezeigt. Die EMA hat jedoch

nicht nach Versagen von DMARDs zugelassen, sondern nach Versagen

topischer Therapie. Leitliniengerecht wird Etanecerpt erst nach Versagen

von MTX und Ciclosporin eingesetzt. Für diesen Vergleich gibt es aber

keine Daten. Weder Ärzte noch Hersteller kämen jedoch (derzeit) auf die

Idee, mit einem neuen Biologikum die DMARDs abzulösen, würden sich

aber genau diesem Szenario in Nutzenbewertung und

Erstattungsbetragsverhandlung ausgesetzt sehen.

Auch hier wird ein Verfahren gesucht, einzelne Subgruppen nicht zu

verhandeln bzw. ggf. nicht zu erstatten (Teilerstattungsausschluss),

auch wenn sie formal verordnungsfähig bleiben könnten).

.

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II. Vorausbemerkungen zu Lösungsansätzen

1. Auch (freie) Kombinationsbehandlungen müssen

verbesserten patientenrelevanten Nutzen belegen.

Onkologen berichten, dass bereits mehr als die Hälfte ihrer

Chemotherapiepatienten zwei- und dreifachkombiniert behandelt werden.

Gründe sind nationale und internationale Erkenntnisse durch erste

Studien, Fallberichte, Kongressberichte, Zentrenentscheidungen,

Vermeidung von Resistenzbildungen oder unterschiedlicher Wirkansatz

der Wirkstoffe an der Krebszelle. Belastbare Evidenz ist hier jedoch häufig

nicht vorhanden.

Die Indikationsstellung für eine „freie“ (also per Zulassung nicht

ausgeschlossene, aber auch nicht in Studien geprüfte)

Kombinationstherapie erfordert daher eine strenge Auswahl, vornehmlich

durch ein Tumorboard oder Zweitmeinungsverfahren. Die Durchführung

ist nur unter kontrollierten Bedingungen wirtschaftlich und sollte eine

engmaschige Evaluation der Ergebnisse durch lückenlose

Verlaufsmeldung an klinische Krebsregister voraussetzen, um den

dringend notwendigen Erkenntnisgewinn zu generieren.

2. Neue Ansätze sind zum Umgang mit dem Problem

erforderlich

Da alle Einzelkomponenten einer Kombinationstherapie entweder nach

AMNOG verhandelte Erstattungsbeträge haben oder bei einer Zulassung

vor 2011 frei bepreist sind, addieren sich die Kosten im Falle der

kombinierten Anwendung mit dem Ziel eines besseren

Therapieergebnisses formal korrekt zu einer hohen Ausgabenbelastung

pro Patient und auch zu einem hohen Budget-Impact für das System.

Alle bisherigen Instrumente der Begrenzung des Ausgabenanstieges

nach SGB V sind nicht geeignet, die Belastung des GKV-Systems durch

Kombinationstherapien zu bremsen. Die derzeit im Rahmen des §130b

möglichen Modelle sind für einen sachgerechten Umgang mit den vielen

Fallgestaltungen (fixe und freie Kombinationen, EMA-Zulassungen weiter

oder enger als die untersuchte Population, …) zu wenig flexibel. Es bedarf

ergänzender Instrumente, die bei wenig neuem Aufwand sachgerechtere

Lösungen ermöglichen.

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3. Das AMNOG soll mit jeder der denkbaren und hier

skizzierten Lösungen lediglich sachgerecht ergänzt, aber

nicht in Grundsätzen verändert oder gar ersetzt werden.

III. Lösungsansätze

„Einfache“ Lösungen

Sucht man nach Lösungsansätzen, ergibt sich keine einfache Lösung.

Ein Lösungsansatz in Analogie des früheren RSA-Risikopools, der vor

Einführung des Morbi-RSA hochpreisige Fälle ab einem Schwellenwert

ausgeglichen hat, schein politisch nicht durchsetzbar und würde nur die

Einzelkasse von Risiken entlasten, jedoch nicht die GKV insgesamt. Er

löst weder das oben skizzierte „Ipilimumab-Problem“ noch die Probleme

des Mischpreisansatzes.

§130c-Verträge sind zur Lösung ebenfalls ungeeignet, denn diese

würden erstens vom guten Willen des Herstellers abhängen (den nicht

jeder Hersteller mitbringt) und zweitens würde es lange dauern, bis alle

Kassen unter Vertrag sind. Vom Verwaltungsaufwand bei >100 Kassen

ganz zu schweigen. Auch ist die Onkologie ein denkbar ungeeignetes

Feld für den Krankenkassenwettbewerb.

Gesetzliche Abschläge (d.h. Abschlag nur bei tatsächlichem Einsatz in

Kombination) über die Apothekenrechenzentren - in etwa analog des

Generikaabschlags-Rückabwicklungsverfahrens bis 2011 - welche die

Vorleistung der Einzelkasse bis zur „Kombinations-

ausgleichsrabattzahlung“ auf 8-12 Wochen limitieren würde, scheiden

auch aus. Denn erstens wären dann bislang unbeteiligte Dritte (die

Apothekenrechenzentren) zu beteiligen, die heterogen aufgestellt sind

und eigene wirtschaftliche Interessen anmelden würden. Und schließlich

würde ein solches Modell z.B. keine §130b-Budget-Impact-

Überschreitung auf Ebene Hersteller-GKV-Spitzenverband abwickeln

können und so würde die Chance vergeben, bestehende andere

AMNOG- Reibungspunkte gleich mit einer sachgerechte(re)n Lösung

zuzuführen.

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Überhaupt ist das Problem „Budget-Impact-Überschreitung“ derzeit nicht

zufriedenstellend lösbar, denn bei Überschreitung von vorab festgelegten

Mengen folgt derzeit maximal eine Kündigung der

Erstattungsbetragsvereinbarung. Bei erweiterter Datenverfügbarkeit (vgl.

später) ließen sich auch Staffeln anhand von abgesetzten Packungen,

therapierten Patienten o.ä. verhandeln und der Erstattungsbetrag könnte

ohne Neuverhandlung zur Laufzeit der Vereinbarung in Abhängigkeit des

Erreichungsgrades „floaten“, egal ob als Listenpreisänderung oder per

nachträglichem Rückerstattungsverfahren. Auch Kapitationen wären

abrechenbar, egal ob auf Packungs-, Umsatz- oder gar Patientenebene.

Letzteres zum Beispiel, um das Risiko unterschiedlicher Therapiedauern

auf den Hersteller verlagern zu können, denn Sovaldi® kann z.B. - je

nach Kombination und Genotyp - 8, 12 oder 24 Wochen gegeben werden,

was die Kosten extrem schwanken lässt.

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IV. Die optimale Lösung

Anforderungen

Die optimale Lösung muss mehrere Bedingungen erfüllen, sie soll:

Den Budget-Impact von Kombinationstherapien (v.a. in der

Onkologie) wirksam begrenzen, ohne „unfair“ gegenüber

einzelnen Kombinationspartnern zu sein

(zumindest teilweise) evidenzbasiert (und nicht rein finanzbasiert)

sein

den Grundmechanismus des AMNOG – den transparenten §130b-

Preis als Bezugspreis für weitere Steuerungsmechanismen und

Preisreferenzierung - nicht „konterkarieren“, aber sachgerecht

weiterentwickeln

den Partnern der §130b-Vereinbarungen dennoch mehr Flexibilität

verschaffen, wie z.B. Kapitation, „nachgelagerte“ Preis-Volumen-

Vereinbarungen mit „verdecktem Rabatt bei

Volumenüberschreitung“, „Kombinationstherapierabatte“,

nachgelagerte Rabatte für Subgruppen ohne Zusatznutzen etc.

mit wenig Aufwand auf Routinedaten umsetzbar sein (kein neuer

Aufwand beim Verordner, wenig neuer Aufwand bei den Kassen)

mit einem Eskalationsmechanismus (Schiedsamt) versehen sein

auch funktionieren, wenn die Kombinationspartner von

verschiedenen Herstellern stammen

auch funktionieren, wenn ein Bestandsmarktarzneimittel mit einem

neuen (AMNOG-) Produkt kombiniert wird (z.B. Lenalidomid +anti-

PD1 oder Pertuzumab + Trastuzumab)

auch funktionieren, wenn es sich um freie Kombinationen handelt,

die vom Arzt (weil pharmakologisch naheliegend und per

Fachinformation zumindest nicht ausgeschlossen) eingesetzt

werden und nicht durch den/die Hersteller explizit so zur

Zulassung gebracht worden sind (z.B. Crizotinib + antiVEGF,

Nivolumab+BRAF600-Inhibitor)

idealerweise auch mit den NUBs im stationären Sektor

synchronisiert sein

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Hier wird schon ersichtlich, dass es kaum möglich ist, eine Lösung zu

erschaffen, die allen Anforderungen gleichermaßen gerecht wird. Gewisse

(politische) Kompromisse werden (zu Lasten der einen oder anderen

Anforderung) nötig sein um eine Lösung zu schaffen, die alle

Anforderungen summarisch bestmöglich erfüllt.

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V. Vorschlag zur Umsetzung „Kombinationstherapie“

Es wird weiterhin „Produkt für Produkt“ ein transparenter §130b-

(Monotherapie-)Erstattungsbetrag verhandelt. Die Idee des AMNOG bleibt

im ersten Schritt unangetastet. Die oben geschilderten Grenzen bei fixer

oder freier Kombinationstherapie werden folgendermaßen

überwunden:

Erste Stufe: Aufruf zur Verhandlung

Für neu zugelassene fixe Kombinationen wird der AMNOG-Prozess

nicht verändert, lediglich die Verhandlungen werden mittels des

neuen Modells zur Datenverfügbarkeit und Verrechnung (siehe unten)

flexibilisiert.

Freie Kombinationen, die nicht explizit zugelassen, aber auch nicht

explizit ausgeschlossen sind, werden ohne hinreichende Evidenz

angewendet, erzeugen hohe Kosten und Behandlungsergebnisse

bleiben regelhaft unbekannt. Krankenkassen könnten zukünftig zur

Budgetsteuerung einen solchen Einsatz über Off-label-use-Prüfanträge

sanktionieren, was sich insbesondere in der Onkologie nicht anbietet und

verhindert werden werden soll.

Andererseits könnte als Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit freier

Kombinationen eine ordnungsgemäße Zulassung verlangt werden, der

regelhaft eine „normale“ frühe Nutzenbewertung folgt. Diese Hürde

erscheint aber zu hoch, da Therapien sich auch aus klinischer Evidenz

oder Investigator initiated Trials entwickeln können. Außerdem haben

pharmazeutische Unternehmer (z.B. wegen zu kurzer Restlaufzeit des

Patentes) u.U. kein Interesse, notwendige Studien zu finanzieren und

entsprechende Zulassungserweiterungen zu betreiben. Weiterhin ist die

dafür notwendige Zeitschiene in der Regel so erheblich, dass das System

dabei regelhaft „von der (Verordnungs-)Realität überholt“ wird und die

normative Kraft des Faktischen zur Erstattung der Kombinationen führt.

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Daher bietet sich folgende Lösung an:

1. Alles nachfolgend Gesagte gilt nur, wenn mindestens ein

Arzneimittel, für das eine frühe Nutzenbewertung vorliegt, Partner in

der freien Kombination und das in der freien Kombination

verwendete Bestandsmarktprodukt noch patentgeschützt ist. Reine

Bestandsmarktkombinationen (die in der Regel generisch sind), sind

nicht vom Regelungskontext dieses Papiers umfasst.

„Kombinationsaufruf“ durch den GBA und nachfolgende Listung

in der AM-RL

Bei freie Kombinationen erscheint der Ressourceneinsatz mangels

Evidenz nicht gerechtfertigt. In welchen Therapiegebieten „freie

Kombinationen“ in der Regel unwirtschaftlich sind, wird in der

Arzneimittelrichtlinie nach §92 Absatz 1 Satz 2 Nr. 6 klargestellt.

Dem G-BA wird die Aufgabe zugewiesen, freie Kombinationen, die

für die Versorgung von Bedeutung sind (Aufgreifkriterium nach §35

Abs. 6 Satz 1 alt), - „nach Aufrufen“ und einer den praktischen

Gegebenheiten angepassten Bewertung der bestverfügbaren

Evidenz als in dieser Kombination verordnungsfähig in einer neuen

Anlage der AM-RL zu listen. Zum Aufruf antragsbedingt sind

Trägerorganisationen des GBA, Hersteller und zertifizierte

Tumorzentren (ggf. einfach „Dritte“). Das Nähere zu den Kriterien

der Anträge und der Bewertung regelt der G-BA in seiner

Verfahrensordnung.

Die Aussicht auf ein Potential für einen mehr als nur

geringfügigen therapeutischen Nutzen, gemessen am Ausmaß

des erzielbaren therapeutischen Effekts (z.B. in Analogie zu §33a

Abs. 7 SGB V alt), sollte das wesentliche Kriterium sein. Es muss

zumindest Anhaltspunkte geben, dass klinisch relevante Endpunkte

besser beeinflusst werden als bei einer Monotherapie. Rein

pharmakologische Erwägungen reichen nicht. Eine durch

bestverfügbare Evidenz belegte positive Nutzen-Schadens-Bilanz

ist Voraussetzung für die Listung. Auch §35c Abs. 2 SGB V

(Anspruch auf Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln in

klinischen Studien), stellt darauf ab, dass „eine therapierelevante

Verbesserung der Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung

im Vergleich zu bestehenden Behandlungsmöglichkeiten zu

erwarten ist“, was ebenfalls ein Weniger an Evidenz als

normalerweise erforderlich bedeutet. In der Regel sollte die Hürde

für sinnvolle Kombinationen nicht zu hoch sein, denn die

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Produkte sind ja alle in der Monotherapie für die in Rede stehende

Erkrankung zugelassen.

Die bei der zulassungsüberschreitenden Anwendung von

Arzneimitteln nach §35c Absatz 1 und 2 bewährten Regelungen

werden hier analog angewendet. Bei Bedarf kann der G-BA eine

Expertengruppe „freie Kombination“ vor einer Listung in der AM-RL

hinzuziehen. Voraussetzung für eine Listung ist die Erklärung jedes

pharmazeutischen Unternehmers, (pU) auf Anfrage des G-BA die

Haftung nach §84 AMG für die Anwendung seines Produktes in

freier Kombination zu übernehmen. Der G-BA verzichtet auf den

Aufruf und veröffentlicht das Ergebnis der Anfrage, wenn -

mindestens ein beteiligter - pU die Haftung nach §84 AMG ablehnt,

damit die Ärzte über das haftungsrechtliche Risiko Ihrer

Therapieentscheidungen informiert sind.

Die Listung der freien Kombination in der Anlage der AM-RL

erlischt, sobald diese Kombination eine arzneimittelgesetzliche

Zulassung erhält.

Bei der Kostenbelastung der Solidargemeinschaft auf Basis

geringer Evidenz sind mit der Listung verbundene Auflagen zur

Qualitätssicherung gerechtfertigt, um regelhaft zusätzliche

Evidenz zu generieren. Dazu zählen verpflichtend die lückenlose

elektronische (Verlaufs-)Meldung der Ärzte an die klinischen

Krebsregister, aber auch weitere Auflagen zur Sicherung von

Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität, wie z.B. die Beschränkung

des Einsatzes auf Zentren mit begleitenden Investigator Initiated

Trials (in Analogie zu §92 Abs. 2a). Dadurch würde der

Leistungsanspruch des Versicherten nicht verkürzt, denn die

Verordnung der gelisteten Kombination bleibt ja formal für jeden

Arzt weiter möglich.

Allerdings setzen sich Ärzte, die die Qualitätskriterien nicht erfüllen

oder nicht beurteilte freie Kombinationen verordnen, einem höheren

Risiko der Wirtschaftlichkeitsprüfung aus. Dass GBA-

„Empfehlungen“ zum Setting von Behandlungen wirken, zeigt auch

die Erfolgsgeschichte der – zertifizierten – Brustzentren, in denen

inzwischen über 90% aller Mammakarzinome behandelt werden.

22

Die nach Haftungsübernahmeerklärung, Aufruf und positiver

Evidenzbewertung erfolgte Listung der Kombination in der

Arzneimittelrichtlinie mündet in einer neuen, (ggf. trilateralen)

Erstattungsbetragsverhandlung für die Fälle des Einsatzes der

Produkte in Kombination, vgl. unten.

Hier wäre in §92 Abs. 2b (neu) vorzusehen, dass verordnungsfähige

freie Kombinationen mit einem mehr als nur geringfügigen

therapeutischen Nutzen in der AM-Richtlinie gelistet werden. In

§130B wäre zu regeln, dass nach erfolgter Listung neue

Rabattverhandlungen für die Fälle von Kombinationstherapien

eröffnet sind.

Vorschlag: § 92 wird um Abs. 2b (neu) ergänzt:

(1)Die Richtlinien nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 enthalten Arzneimittel mit

patentgeschützten Wirkstoffen und einem mehr als nur

geringfügigen therapeutischen Nutzen gemessen am Ausmaß des

erzielbaren therapeutischen Effekts, die als Partner von nicht

explizit zugelassenen Kombinationstherapien verordnungsfähig

sind. (2)Das Nähere zur Benennung der Arzneimittel und zu den

Voraussetzungen der Verordnung regelt der Gemeinsame

Bundesausschuss in seiner Verfahrensordnung. §35c Abs. 1 und 2

sowie §92 (2a) gelten entsprechend.

Noch zu prüfen ist, ob die Ermächtigungsnorm in §92 (2) SGB V

ausreicht, dass der GBA die angesprochenen Auflagen zur

Qualitätssicherung in der entsprechenden Anlage

„verordnungsfähige Kombinationen“ der Arzneimittelrichtlinie

rechtssicher beschließen kann.

Exkurs: In diesem Zusammenhang wird nachdrücklich eine

Konkretisierung des §65c SGB V angeregt, da das

Krebsfrüherkennungs- und Registergesetz noch nicht zu für die

klinische Krebsregistrierung in Deutschland ausreichend

einheitlichen und zukunftsfähigen Strukturen geführt hat. So

scheitert ebenso die (Verlaufs)Meldung der verordnenden Ärzte an

der fehlenden Standardisierung der Umsetzung des

Meldeprozesses in die Praxisverwaltungssysteme wie auch an den

notwendigen Standards des Datenaustausches zwischen den

Registern.

23

Wenn der G-BA zum Beispiel aus den Daten der klinischen

Krebsregistrierung ableiten soll, ob eine Therapie in freier

Kombination sinnvoll ist oder nicht, müssen diese lückenlos und

national einheitlich verfügbar sein.

Eine nationale Zusammenführung der Krebsregisterdaten zum

Zwecke des Erkenntnisgewinns für G-BA, IQWIG und IQTIG ist

derzeit nicht vorgesehen. Die Zusammenarbeit des G-BA nach §65c

Abs. 7 mit einer Vielzahl von mit unterschiedlichen

Softwaresystemen arbeitenden klinischen Krebsregistern ist nicht

umsetzbar. Erforderlich sind eine Standardisierung der Technik (von

Arztsoftware zum Register z.B. durch die Vorgabe einer

Spezifikation durch die GKV, von Register zu Register z.B. durch

die Vorgabe einer Spezifikation durch die Krebsgesellschaft), die

Errichtung einer bundesweiten Register(daten)-Kopfstelle und die

„Beendigung des Föderalismus“ hinsichtlich länderspezifischer

Meldegesetze und Datenschutzregelungen.

An dieser Stelle sei angemerkt, dass andere europäische Länder

erweiterte Qualitätsanforderungen an Verordnungen bereits

eingeführt haben. So sind z.B. in Italien begleitende Register

ebenfalls Voraussetzung für die Verordnung und in UK entscheidet

nicht der Arzt über die Verordnung einer freien Kombination,

sondern die Clinical Commissioning Group.

2. Zweite Stufe: „Rabattvereinbarung: Erstattungsbetrag,

Kombinationen“

Es wird unterstellt, dass auch die pharmazeutischen Unternehmer

Kombinationsrabattverhandlungen“ als Chance begreifen, eine

gesetzliche „Rasenmähermethode“ zur Kostensenkung zu

vermeiden.

Hersteller entweder explizit als in fixer Kombination zugelassener

oder vom G-BA zur Verwendung in freier Kombination gelisteter

Arzneimittel verhandeln mit dem GKV-Spitzenverband einen Rabatt

auf den Erstattungsbetrag, sofern das Arzneimittel im Rahmen einer

Kombinationstherapie verordnet ist.

24

3. Änderungsbedarf im §130bVerfahren

Die bei Kombinationstherapien auftretenden unterschiedlichen

Fallkonstellationen können aber auf demselben

gesetzestechnischen Weg geregelt werden:

Fixe explizit zugelassene Kombinationen können von dem selben

Hersteller (z.B: Dabrafenib + Trametinib) oder von verschiedenen

Herstellern (z.B. demnächst Crizotinib + Ceritinib) ausgeboten

werden und auch patentgeschützte Kombinationspartner aus dem

Bestandsmarkt enthalten (derselbe Hersteller: z.B. Trastuzumab +

Pertuzumab, verschiedene Hersteller: z.B. Lenalidomid +

Pembrolizumab).

Freie Kombinationen können ebenso von demselben Hersteller

(Pertuzumab + Trastuzumab-Emtansin) oder von verschiedenen

Herstellern (Anti-PD1 + BRAF600-Inhinbitor) stammen und

ebenfalls auch patentgeschützte Partner aus dem Bestandsmarkt

beinhalten (Trastuzumab + Anti-PD1).

Im SGB V müsste klargestellt werden, dass für diese

Kombinationsanwendungen explizit kein neuer Erstattungsbetrag,

sondern ein Rabatt auf den §130b-(Monotherapie)

Erstattungsbetrag zu verhandeln ist, solange die explizite Zulassung

der Kombination aussteht. Die Listung der Kombination durch den

G-BA mündet in ein neues Verhandlungsverfahren zum

Kombinationsrabatt, auch wenn die vereinbarte Geltungsdauer des

initialen Erstattungsbetrages für die Monotherapie noch nicht

ausgelaufen ist. Der Kombinationsrabatt ist – anders als der initiale

§130b-(Monotherapie)Erstattungsbetrag immer nachgelagert und

verdeckt und wird mit den u.g. Daten/Technik abgewickelt.

Ebenso müsste klar gestellt werden, dass betroffene

Bestandsmarktarzneimittel für die Fälle, in denen diese in

Kombination eingesetzt werden, ebenso in eine Rabattverhandlung

nach §130b einzubeziehen sind, ohne dass zuvor eine Bewertung

nach §35a durchgeführt wurde.

25

Dies erscheint gerechtfertigt, da das neue Arzneimittel in seiner

Zulassung die Kombination mit dem Bestandsmarktarzneimittel

quasi „mitbringt“, ohne dass sich dessen Zulassung oder

Fachinformation ändert und die Verordnungen „ohne eigenes Zutun“

des Herstellers deutlich zunehmen.

Vorschlag:

In 130b Abs. 1 werden die Sätze 8 und 9 (neu) angehängt:

(8) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen vereinbart mit

den pharmazeutischen Unternehmern der als Kombinationspartner

zugelassenen Arzneimittel einen Rabatt auf den

Erstattungsbetrag sowie für Arzneimittel nach § 92 Abs. 2b einen

Rabatt auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers

ohne Mehrwertsteuer für vor dem 31.12.2010 in den Markt

eingeführte Arzneimittel für die Fälle der Verordnung im Rahmen

einer Kombinationstherapie. (9) Abs. 1 Sätze 5 und 7, Abs. 4 unter

Bezugnahme auf die Veröffentlichung des Beschlusses nach § 92

Abs. 2b , Abs. 7, Abs. 9 Sätze 1 und 4 ff sowie § 217f Abs. 7

gelten entsprechend.

In §130b Abs. 5 wird folgender neuer Satz 3 eingefügt:

Satz 2 gilt in Fällen des Abs. 1 Satz 8 entsprechend

§130b Abs. 9 ist entsprechend zu ergänzen

Noch zu prüfen ist, ob weitergehende Verweise und / oder Präzisierungen

erforderlichsind.

26

VI. Konfliktlösungsmechanismus für die

„Kombinationsrabattverhandlungen“ mittels

Schiedsstellenverfahren

Die Regelungen zur Schiedsstelle (§130b Abs. 5 bis 8) finden

entsprechende Anwendung.

a) Schiedsverfahren mit nur einem Hersteller, der alle

Kombinationspartner anbietet

Für fixe explizit zugelassene Kombinationen bestehend aus „AMNOG-

und Bestandsmarktprodukt“ gilt der status quo unverändert, wie z.B.

bereits bei der Kombination Pertuzumab + Trastuzumab) implizit

geschehen Der Kombinationsrabatt sowie die Zuweisung des Rabattes

oder von Teilen davon auf die jeweiligen Kombinationspartner wird im

Rahmen des normalen §130b-Schiedsverfahrens des AMNOG-Produktes

festgesetzt.

Bei freier Kombination entscheidet die Schiedsstelle im Rahmen Ihrer

(dann neuen) Geschäftsordnung.

a) Schiedsverfahren mit mehr als einem Hersteller

Es gelten dieselben vorstehend dargestellten Regelungen. Allerdings ist

die Besetzung der Schiedsstelle neu zu fassen. Bei zwei betroffenen

Herstellern gäbe es weiterhin drei Unparteiische (allerdings mit jeweils

zwei Stimmen), weiterhin zwei Mitglieder des GKV-Spitzenverbandes

(dann auch mit jeweils zwei Stimmen) und je zwei Mitglieder eines

Herstellers (4 Vertreter der Herstellerseite insgesamt). Bei drei oder mehr

betroffenen Herstellern müssten die Sitze proportional erweitert werden.

Die Entscheidungsgrundlagen der Schiedsstelle ändern sich insoweit, als

ein Nutzenbeschluss des G-BA nach §35a für die freie Kombination nicht

vorliegt. An dessen Stelle sind die zum Beschluss des G-BA zur Listung

der freien Kombination veröffentlichten „Tragenden Gründe“

heranzuziehen. Hält die Schiedsstelle weitere Gutachten für erforderlich,

wird das Verfahren für die Dauer des / der Gutachten unterbrochen

(clockstop).

27

Die Schiedsstelle hat weiterhin zu prüfen, ob auch für die

verfahrensgegenständliche freie Kombination die Preise vergleichbarer

Monotherapeutika Berücksichtigung finden. Größere Bedeutung erhalten

die tatsächlichen europäischen Preise. Da die Listung durch den G-BA

erst nach Detektion der freien Kombination in den

Verordnungsdatenerfolgen kann, liegen bedingt durch den zeitlichen

Versatz auch regelhaft Vergleichspreise aus den Ländern nach Anlage 2

der Rahmenvereinbarung nach §130b Abs. 9 vor. Trotz anderslautender

Behauptungen werden neue Arzneimittel nach erfolgter europäischer

Zulassung regelhaft in Deutschland zuerst eingeführt. Insbesondere für

Bestandsmarktarzneimittel sind die tatsächlichen europäischen Preise ein

geeigneter Vergleichsmaßstab.

28

VII. „Sequentielle Kombinationen“

Ein weiteres, bisher nicht adressiertes Problem, sind sequentielle

Therapien, d.h. zeitlich aufeinanderfolgende (und ggf. jeweils kombinierte)

medikamentöse Therapien. In der Onkologie müssen wegen der

zunehmenden Anzahl therapeutischer Optionen und Therapielinien

zukünftig im Grunde Therapieschemata und –sequenzen anstelle

einzelner Arzneimittel in einzelnen Therapielinien verglichen werden. Das

ist in randomisierten Studien extrem schwer, auch hier ruhen die

Hoffnungen auf einer lückenlosen Dokumentation durch die klinischen

Krebsregister, die gesetzgeberisch nochmals unterstützt werden

sollte, da der Föderalismus hier eine schnelle Entwicklung konvergenter

Strukturen eher behindert. . Auch hier addiert sich der Budgetimpact

durch in der jeweiligen Therapielinie - und bei Wechsel der Therapielinie

aufeinanderfolgend angewendete (neue) Kombinationen - zu erheblichen

Größenordnungen. In der Indikation NSCLC ist das bereits zu sehen.

Dieses Problem ist finanziell problematischer zu fassen, weshalb es im

Rahmen dieses Papieres nicht thematisiert werden soll. Allerdings ist die

Grundlage jedweder zukünftigen Lösung für dieses Problem die

lückenlose Krebsregistrierung und ebenfalls die Nutzbarkeit der Morbi-

RSA-Daten, die ja – patientenpseudonymbezogen – auch die zeitliche

Komponente enthalten.

29

VIII. Datengrundlagen als Voraussetzung für

Flexibilisierung

Derzeit verfügt der GKV-Spitzenverband nur über die

Arzneimittelmarktdaten nach §84 Abs. 5 SGB V. Diese enthalten im

Prinzip nur die Anzahl Packungen eines Arzneimittels pro Zeiteinheit und

sind für flexible Abrechnungsmodelle daher zu hoch aggregiert.

Um die o.g. Ziele zu erreichen, werden daher die im Rahmen der

Durchführung des Risikostrukturausgleiches ohnehin anfallenden Daten

nach §267 Abs. 7 Nr. 1 und 2 SGB V bzw. nach §30 Risikostruktur-

Ausgleichsverordnung zur nachgelagerten, aber zeitnahen und vor allem

aufwandsarm zentralen Abrechnung von „Patient Access Schemes“

genutzt. Durch deren Granularität eignen sie sich sehr gut zum Ausgleich

von Mehrkosten durch z.B. Kombinationstherapien, Dosiserhöhungen

durch Zulassungserweiterung während der Laufzeit einer §130b-

Vereinbarung (Bsp. Ipilimumab), überschrittener Preis-Volumen-Klauseln

aus den §130b-Verträgen.

Auch zukünftige Gentherapien könnten so „performance based“ oder in

Annuitätenmodellen erstattet werden und würden keine potentiell

siebenstelligen Einmalzahlungen (z.B. Glybera®) pro Patient erfordern.

Es müsste ein neuer zulässiger Verwendungszweck für die Morbi-RSA-

Daten ins SGB V eingefügt werden, bzw. müsste in §217f (7) die

zwingende Anonymisierung und das Verbot des Kassenbezugs

gestrichen werden. Die RSA-Daten sollen laut AMNOG ohnehin schon für

die Zwecke des §130b nutzbar sein (geregelt in §217f (7) SGB V, der mit

dem AMNOG neu kam), allerdings ist die damals gewählte

Aggregationsebene „Anonymisierung und ohne Kassenbezug“ hier zu

hoch, um noch Nutzen stiften zu können. Damals wurde auf Intervention

einzelner Kassen die Anonymisierung im §217f (7) verpflichtend, da die

Sorge bestand, das Arzneimittelmanagement der Kassen würde

transparent. Diese Sorge sollte heute aus mehreren Gründen heraus

unberechtigt sein: die GKV will gemeinsam - auch zum Zwecke

sachgerechterer §130b-Verhandlungen – das GAmSi-Verfahren nach §84

Absatz 5 neu gestalten, incl. der Nutzung von Patientenpseudonymen

und Kassenzugehörigkeit (pseudonymisiert). Außerdem kaufen alle

großen Kassen regelhafte die Verordnungsdaten der eigenen GKV-

30

Konkurrenz bei Dienstleistern wie IMS und Insight Health und haben so

mittlerweile ohnehin Transparenz zum Geschehen bei der Konkurrenz.

Vorschlag: § 217f Abs. 7 wird neu gefasst:

Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen kann zur

Durchführung seiner gesetzlichen Aufgaben nach § 130b Absatz

1 die Daten nach § 268 Absatz 3 Satz 14 in Verbindung mit Satz 1

Nr. 1 bis 7 nutzen und verarbeiten.

Alle Strukturen zur Nutzung der Daten für diesen Zweck jedenfalls

existieren bereits. Sie liegen auch bereits im GKV-Spitzenverband vor, er

darf sie aber nicht benutzen.

Auf Basis dieser Daten könnten Rechnungen entweder zentral durch

den GKV-Spitzenverband selbst an die Hersteller gestellt werden,

genauso könnte der GKV-SV auch seine Mitgliedskassen über die zu

fordernden Beträge informieren. Einzelkasse bzw. deren

Dienstleister fordern selbst. Die Kassen würden also (am Tag der

Abgabe in der Apotheke zum vollen Monotherapiepreis) weiter in

Vorleistung gehen, jedoch später aufwandsarm Erstattungen erhalten.

Damit bleiben die Monotherapiepreise und der AMNOG-Prozess formal

intakt, nur „Sonderkonstellationen“ werden extra abgewickelt.

Denkbar wäre eine solche Lösung auch über das derzeitige,

kassenindividuelle Nacherstattungsverfahren nach §130b (wenn Tag 366

nicht mit dem verhandelten Preis erreicht werden kann), aber erstens

wäre der Verwaltungsaufwand dafür extrem und zweitens würde der

GKV-Spitzenverband weiterhin nicht die (für lösungsorientierte

Verhandlungen ohne Vorurteile) nötige Datentransparenz erhalten. Dass

der Bedarf bereits heute existiert und der Weg mangels besserer

Alternativen genutzt wird, belegt das Beispiel „Erstattungsbetrag

Xigduo®“.

Man kann im Rahmen der §130b-Verhandlungen verschätzte

Patientenanteile oder Mengen „preisunschädlich und zur Laufzeit

glattziehen“. Das Modell eignet sich für einen themenbezogenen,

„listenpreisunschädlichen“ und damit „leisen“ Interessenausgleich, ohne

dafür unnötigerweise zur völligen Vertraulichkeit des Erstattungsbetrages

zurückzukehren.

Mit einer solchen Prinziplösung hätte z.B. auch der aus Versorgungssicht

zumindest zu diskutierende opt-out der Antiepileptika Trobalt® und

Fycompa® verhindert werden können. Bei den Antiepileptika hätte man

etwa festlegen können, dass für (lt. RSA-Daten) jede Erstlinienverordnung

100% Abschlag fällig werden, bei einem Einsatz nach Versagen von

31

mindestens x vorhergehenden Antiepileptika aber 0% Abschlag. Auch

„Fehlverordnungen“, also die Verordnung neuer Arzneimittel an andere

als die im Rahmen von §130b verhandelten Patientenpopulationen,

könnten finanziell ausgeglichen werden.

Ein weiteres Beispiel ist Sovaldi®. Poltisch wurde kontrovers diskutiert,

dass die GKV bereits Rabattverträge abschließt, bevor der §130b-Preis

verhandelt war. Triebfeder dafür war nicht etwa die Rabatthöhe, sondern

die Kapitation auf 12 Wochen Therapiedauer (und damit eine gewisse

Planungssicherheit für die vertragsschließenden Krankenkassen), die

ohne Nutzung der RSA-Daten derzeit im Rahmen des §130b nicht

möglich ist, mit der beschriebenen Änderung aber bereits auf zentraler

Ebene als Komponente des §130b-Erstattungspreises möglich wäre.

Auch die „Rückwirkung des Erstattungsbetrages“ bis zum Zeitpunkt x

nach der Markteinführung könnte so abgebildet werden. Ein

(gesetzlicher?) Budget-Cap für das Jahr eins am Markt (d.h. vor

Preisverhandlung), als Absicherung der Solidargemeinschaft bei Erhalt

der freien Preisbildung und des sofortigen Marktzuganges wäre möglich.

Ordnungspolitisch und AMNOG-denklogisch korrekt – auch wenn das hier

nur angesprochen und nicht gefordert werden soll - könnte man ein

solches Verfahren/eine solche Möglichkeit „flexiblerer“ §130b-

Vereinbarungen ausschließlich auf Produkte mit Zusatznutzen in

mindestens einer Subgruppe beschränken, denn völlig zusatznutzenfreie

Produkte werden AMNOG-denklogisch auch nicht gebraucht bzw. sollten

nicht den Vorteil eines weiterhin hohen Listenpreises (mit nachgelagerten

Rabatten) gewährt bekommen.

32

Datenverfügbarkeit und Datenschutz

Alle oben genannten Möglichkeiten und darüber hinaus die weiteren

„Financial-Based“-Vertragsmodelle“ (aus Anhang 1) wären unter Nutzung

der pseudonymisierten Morbi-RSA-Satzart 400 (und ggf. 500 und 600),

und zwar ohne jegliche erneute Datenlieferungen bzw. diesbezügliche

Prozesse zwischen Einzelkassen, GKV-Spitzenverband und BVA

abrechenbar.

Alle Daten zur Erkennung von Kombinationstherapien sind in den

Satzarten des Morbi-RSA vorhanden, die entsprechende IT steht beim

GKV-Spitzenverband und dem BVA (mit Einschränkungen seit §303 [neu]

auch beim DIMDI) zur Verfügung.

In der Rahmenvereinbarung nach §130b Abs. 9 zwischen GKV und

Herstellerverbänden müsste auch festgelegt werden, wie eine

Kombinationstherapie „datentechnisch“ detektiert wird. Eine Möglichkeit

wäre hier z.B. eine Überlappung von „definierten-Tagesdosen-basierten

Packungsreichdauern“ der Kombinationspartner zu detektieren, da das

Verordnungsdatum je Patientenpseudonym bekannt ist. Die Regelung der

Details zur Datennutzung ist schon heute in der §130b-

Rahmenvereinbarung vorgesehen, da lt. §130b Abs. 9 dort auch das

Nähere zu Inhalt, Form und Verfahren der jeweils erforderlichen

Auswertung der Daten nach § 217f Absatz 7 und der Übermittlung der

Auswertungsergebnisse an den pharmazeutischen Unternehmer sowie

zur Aufteilung der entstehenden Kosten zu vereinbaren ist.

Der Datenschutz bliebe vollständig gewahrt. Eine Depseudonymisierung

wäre an keiner Stelle erforderlich, die Verordnungen eines einzelnen

Arztes wären auch nicht zentral prüfbar, da sie Satzart 400 keinen

Arztbezug enthält:

33

IX. Daten der Arzneimittelversorgung (Satzart 400)

Daten zu Diagnosen (Satzart 600) und Krankenhausbehandlungen

(Satzart 500) könnten im Einzelfall hinzugezogen werden, dürften i.d.R.

aber nicht notwendig sein.

Es wird davon ausgegangen, dass unter routinehafter Nutzung der

mRSA-Daten zusätzlich mindestens 2/3 der Fallkonstellationen aus den

Beschlüssen zur frühen Nutzenbewertung adäquat abgebildet werden

können. In den Fällen, in denen die „Auflösung zu grob ist“, zum Beispiel

weil die ICD10-Diagnose nicht nach Genotyp des Hepatitis-C-Virus

differenziert, der Zusatznutzen aber nur bei bestimmten Genotypen

gegeben ist, muss im Rahmen der Verhandlungen besprochen werden,

wie mit den Unschärfen umzugehen ist. Und nicht zuletzt könnten die

Vertragspartner des Bundesmantelvertrages Ärzte den verbleibenden

Unschärfen durch zusätzliche Dokumentationsauflagen bzw. begleitenden

Datenübermittlungspflichten abhelfen, wo nötig, sinnvoll und gewünscht.

Stichwort Kodierrichtlinie oder DMP-Datenübermittlung, wo auch klinische

Daten in den DMP-Datenstellen und bei den Krankenkassen „landen“

34

Es wird hiermit klar, dass eine Nutzung der mRSA-Daten für Zwecke der

Rückabwicklung von Preisabschlägen - ergänzend zum §130b-

Erstattungsbetrag - kein Datenschutzproblem darstellen würde. Es geht

hier auch um keinerlei Änderung an den Mechanismen des Morbi-

RSA, lediglich Teile der Datengrundlage des RSA würden einer

zusätzlichen Nutzung verfügbar gemacht.

35

X. Handlungsempfehlungen für die Politik

Anspruch dieses Lösungsvorschlages ist, den Budget-Impact derzeitiger

und zukünftiger Kombinationstherapien zu begrenzen und dabei den

Interessenausgleich zwischen Solidargemeinschaft und Herstellern zu

sichern, , vorhandene Datenstrukturen und –techniken nutzbar zu machen

und allenfalls wenige neue Prozesse zwischen den Beteiligten

einzuführen und insoweit das AMNOG problemorientiert

weiterzuentwickeln .

Wenn den obigen Vorschlägen gefolgt wird, sind wenige Ergänzungen im

SGB V erfoderlich:

1. Freie nicht explizit zugelasse Kombinationen, müssen vom GBA

dahingehend bewertet werden, ob sie grundsätzlich

verordnungsfähig sind oder ob an verordnende Ärzte weitergehende

Qualitätsanforderungen (Prozess-, Struktur-, Dokumentations-

qualität) zu stellen sind. Dazu bedarf es im Rahmen der

Arzneimittelrichtlinie nach §92 Abs. 1 Satz 6 einer

Ermächtigungsnorm in §92 Abs. 2b (neu).Zur Unterstützung des

Schaffens von Transparenz zur Ergebnisqualität in der Onkologie

sollte über eine Konkretisierung des §65c SGB V nachgedacht

werden, sodass die Professionalisierung und Standardisierung der

klinischen Krebsregistrierung unterstützt wird.

2. Wenn – wie hier als als Kern der Überlegungen vorgeschlagen - die

Solidargemeinschaft mit geringeren Kosten als der Summe der

Preise der Monotherapien für den Fall des nicht explizit

zugelassenen zeitgleichen Einsatzes in Kombination ) belastet

werden soll (nachgelagerter Rabatt auf den §130b-

Erstattungsbetrag bzw. den Preis des Bestandsmarktarzneimittels)

sind noch folgende Änderungen erforderlich:

a. Der Verwendungszweck der Daten nach §267 SGB V muss

durch eine Streichung in §217f (7) SGB V maßvoll erweitert

werden, sodass die Daten pseudonymisiert genutzt werden

können, um Verläufe zu detektieren.

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b. In §130b müssen „Kombinationsrabattverhandlungen“

ermöglicht und mit einem Konfliktlösungsmechanismus

versehen werden-.

3. Sollte die (gegenüber der Monotherapie) veränderte Preisbildung

von Kombinationen , also die Änderungen in §92b, politisch nicht

gewünscht oder nicht durchsetzbar sein, ist auch die

Verfügbarmachung der Daten nach § 268 Absatz 3 Satz 14 in

Verbindung mit Satz 1 Nr. 1 bis 7 für die Zwecke des §130b (und

damit implizit die Ermöglichung zentraler, aber nachgelagerter

Rabatte, die den initialen Erstattungsbetrag ergänzen) immer noch

ein Wert an sich. Minimallösung wäre demnach die alleinige

Anpassung des §217f Absatz 7.

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Zusammenfassung

Zur Lösung der meisten Patientenprobleme bedienen sich die Ärzte seit

Hippokrates der Möglichkeit, unterschiedliche Wirkprinzipien miteinander

zu kombinieren.

In den zurückliegenden Jahren hat sowohl der Trend, Fixkombinationen

bis zur Zulassungsreife zu entwickelnm als auch freie Kombinationen

unterschiedlich wirkender Arzneimittel in breitem Umfang

einzusetzen,ganz erheblich zugenommen.

Vornehmlich in der Behandlung viraler Erkrankungen (HIV, Hepatitis C)

und vor allem in der Onkologie.

Dieser unumkehrbare Trend in der Medizin führt nicht zwangsläufig und in

jedem Fall zu einem verbesserten Therapieergebnis. Und hat immer zur

Folge, dass sich die Behandlungen erheblich verteuern (add on!).

Im vorliegenden Diskussionspapier wird eine aktuelle Situationsanalyse

vorgenommen und es werden konkrete Vorschläge präsentiert, wie man

unter Fortentwicklung der gesetzlichen Vorgaben durch geringe

Änderungen im SGB V die Problematik einer Lösung näherbringen kann.

Ganz verkürzt dargestellt geht es darum, die Versorgungsqualität mit

freien, nicht zugelassenen Kombinationsbehandlungen zu verbessern und

den Kostenauftrieb im Kombinationsfall durch nachgelagerte Rabatte der

Hersteller an die Krankenkassen einzubremsen, ohne das Ergebnis der

Erstattungspreisverhandlung für die Monotherapie gemäß AMNOG zu

tangieren.

Der ohnehin bereits jetzt bestehende große politische Handlungsbedarf

insbesondere in der Onkologie dürfte sich in den nächsten Jahren noch

deutlich verschärfen, wenn die Krebsimmuntherapeutika weitere

Fortschritte präsentieren werden. Da dieses Wirkprinzip in der Regel

zusätzlich zu laufenden Behandlungen kombiniert werden wird.

Die Autoren dieses Diskussionspapiers erwarten in Fachkreisen einen

lebhaften Diskurs. Konstruktive Vorschläge zur Weiterentwicklung sind

ausdrücklich erwünscht.

(Postadresse: Dr. Jürgen Bausch, Eichgrabenstraße 17, 63628 Bad

Soden-Salmünster)