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Die Wirtschaft der DDR Jörg Roesler

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DieWirtschaft

der DDR

Jörg Roesler

Prof. Dr. Jörg Roesler, ausgebildet als Wirtschaftshistoriker, liest Volkswirtschaft an der Univer-sität der Künste in Berlin, arbeitet freiberuflich auf dem Gebiet der Unternehmensgeschichte,ist Mitglied der Gelehrtengesellschaft Leibniz-Sozietät.

Einige Veröffentlichungen zur DDR-Wirtschaftgeschichte seit 1990: Zwischen Plan und Markt.Die Wirtschaftsreform in der DDR 1963 – 1970, Freiburg/Br. 1990; The Rise and Fall ofthe Planned Economy in the GDR 1945 – 1989, in: German History, 1/1991; Industrie-innovationen und Industriespionage in der DDR, in: Deutschland Archiv, 10/1994; Problemedes Brigadealltags. Arbeitsverhältnisse und Arbeitsklima in volkseigenen Betrieben 1950 –1989, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B38/1997; Ein Westpaket für Honecker? Diedeutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen, in: Christian Härtel/Petra Kabus (Hrsg.), DasWestpaket, Berlin 2000; “...ohne Energie geht gar nichts!” Die ostdeutsche Energiewirtschaftvon den Kombinaten zur VEAG (1980-2001), Berlin 2001 (zusammen mit DagmarSemmelmann).

Fotos S. 5, 13, 19, 41, 53, 63 Thüringisches Hauptstaatsarchiv WeimarFoto S. 29 Thüringisches Staatsarchiv Meiningen

Landeszentrale für politische Bildung ThüringenPostfach 102151Regierungsstraße 7399021 Erfurtwww.thueringen.de/de/lzt2002ISBN 3-931426-66-1

Inhalt

1. ZUM KOMMUNISTISCHEN VERSTÄNDNIS VON WIRTSCHAFTSPROZESSEN 1945–1949 . . . . 51.1 Marx, Engels und erste Erfahrungen mit der Planwirtschaft vor 1945 . . . . . . . . . . . . . . 61.2. Brauchbar für Notzeiten: Bewirtschaftung und Wirtschaftsplanung als . . . . . . . . . . . . . 7

Interimslösung in Deutschland nach 1945 1.3. Der Zweijahrplan: Die Auseinandersetzung um die Wirtschaftsverfassung . . . . . . . . . 8

Ostdeutschlands im Sommer 19481.4 Die erzwungene Entscheidung für die Planwirtschaft vom Herbst 1948 . . . . . . . . . . . 10

2. DIE WIRTSCHAFTLICHE AUSGANGSLAGE OSTDEUTSCHLANDS 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132.1. Industrielle Basis und Kriegsschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142.2. Schwere Kapazitätsverluste durch Demontagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142.3. Wiederaufbau unter erschwerten Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

3. REPARATIONEN, FÜNFJAHRPLAN, RGW: DIE WIRTSCHAFTLICHE ORIENTIERUNG . . . . . . . . . . . . . . 19AUF DIE UDSSR

3.1 Sowjetische Reparationen und DDR-Investitionslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203.2 Planwirtschaft nach sowjetischem Muster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203.3 Die Wirtschaftsbeziehungen DDR-UdSSR in den 50er und 60er Jahren . . . . . . . . . . . . 233.4 Die Wirtschaftsbeziehungen DDR-UdSSR in den 70er und 80er Jahren . . . . . . . . . . . . 25

4. DIE PHASEN DER STRUKTURELLEN ENTWICKLUNG DER OSTDEUTSCHEN INDUSTRIEWIRTSCHAFT . . 294.1 Die schwerindustriellen “Großbauten des Sozialismus” der 50er Jahre . . . . . . . . . . . . . 304.2 Strukturentscheidungen für die wissenschaftlich-technische Revolution: . . . . . . . . . . . . . . 33

Die Förderung der “Fortschrittsindustrien” in den 60er Jahren4.3 “Stärkung des Konsumgütersektors” in den 70er und “Braunkohlerenaissance” . . . 35

in den 80er Jahren4.4 Debakel statt Weltniveau: Die Entwicklung der Mikroelektronik in der DDR . . . . . . . 37

in den 80er Jahren

5. DER MANGEL ALS SYSTEMBEDINGTE ERSCHEINUNGSFORM IN DER PLANWIRTSCHAFT . . . . . . . . 415.1. Mangel an Wirtschaftsgütern und Mangelwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425.2. Erscheinungsformen der Mangelwirtschaft im Bereich der Produktion . . . . . . . . . . . . . . 445.3. Wirtschaftliche Folgen des Mangels im Bereich der Produktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455.4. Die Ursachen der Mangelwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475.5. Verstärkung bzw. Abschwächung des Mangelwirtschaft durch nicht . . . . . . . . . . . . . . 50

systembedingte Einflüsse und durch Reformen im Wirtschaftssystem

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6. “SO WIE WIR HEUTE ARBEITEN, WERDEN WIR MORGEN LEBEN!” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53WIRTSCHAFTSALLTAG UND DIE WIRTSCHAFTLICHE SEITE DES ALLTAGSLEBENS

6.1 “Plandiskussion”: Zur Rolle von Werkleitungen und Belegschaftsvertretungen . . . . . . 54im Planungsprozess

6.2. Brigaden und Wettbewerbsbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566.3 Brigadealltag: Lohn, Arbeitsleistung und Brigadetagebuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606.4. Die Funktionen der betrieblichen Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

7. ZUSAMMENBRUCH ODER ABBRUCH DER DDR-PLANWIRTSCHAFT? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637.1 Einschneidende Maßnahmen und riskante Geschäfte zur Bewältigung . . . . . . . . . . . . 64

der Schuldenkrise7.2 Vom Scheitern der wirtschaftlichen Konsolidierungspolitik zum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

“Wirtschaften ohne Zukunftskonzept”7.3 Abbruch als Aufbruch: Unterschiedliche Konzepte zur wirtschaftlichen . . . . . . . . . . . . . 71

Konsolidierung der ostdeutschen Wirtschaft während der “Wende”

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

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51. Zum kommunis-

tischen Verständnis vonWirtschaftsprozessen

1945 – 1949

61.1 Marx, Engels und erste Erfahrungen mitder Planwirtschaft vor 1945

Die SED hatte auf ihrem Gründungsparteitagim April 1946 die Errichtung des Sozialis-mus zu ihrem Ziel, allerdings noch nicht zurTagesaufgabe, erklärt.

Ihre Führer sahen im Übergang von der kapi-talistischen Markt- zur sozialistischen Plan-wirtschaft eine von Karl Marx und FriedrichEngels formulierte Gesetzmäßigkeit derMenschheitsentwicklung. Die “Klassiker desMarxismus” hatten fast 100 Jahre zuvor einefundamentale Kapitalismuskritik geliefert.Deren Vorstellungen von der zukünftigensozialistischen Gesellschaft fanden sich je-doch in ihren Werken nur verstreut. Sie wa-ren aus der Kapitalismusanalyse unmittelbarabgeleitet. Marx und Engels hatten die enor-me Entwicklung der Produktivkräfte, die aufPrivateigentum und Marktkonkurrenz beruh-te, durchaus anerkannt. Sie waren jedochder Meinung, dass gerade jene Triebkräfte,die die rasche Entwicklung von Produktionund Technik hervorriefen, auch negativeWirkungen vor allem sozialer Art hätten. Vondem geschaffenen Reichtum verbleibe beiseinen eigentlichen Schöpfern, den Arbei-tern, ein immer geringerer Teil. Auch beiwachsenden Einkommen würde der Abstandzu den Fabrik- und Bankbesitzern immergrößer. Die “relative Verelendung” der Arbei-ter ginge zeitweise, im Falle von Wirtschafts-krisen, in einen absoluten Rückgang des Le-bensstandards der arbeitenden Klasse über.Das Krisenphänomen sei darauf zurückzu-führen, dass im Kapitalismus jeder Unterneh-mer seine Produktion so rasch wie möglichausweite, um den größtmöglichen Gewinneinzuheimsen. Dabei schieße das Waren-angebot aber über die Nachfrage hinaus.

Anknüpfend an die marxsche Analyse kons-truierten dessen geistige Erben, allen voranLenin, ein alternatives Wirtschaftssystem, dasdie negativen Seiten kapitalistischer Ökono-mie beseitigen sollte. Dazu war das privateEigentum an den Produktionsmitteln (Fabri-ken, Maschinen) als Ursache der “Ausbeu-tung des Menschen durch den Menschen”zu beseitigen. Wirtschaftliche Entwicklungensollten sich nicht mehr spontan über Markt-gesetze “hinter dem Rücken der Menschen”durchsetzen, sondern durch Vorausdenkenplanvoll gelenkt werden. Die vielfältigenKosten und Verluste, die unvermeidlich auf-treten, wenn die Ergebnisse der Produktionsich erst auf dem Markt bewähren müssen,und die in Wirtschaftskrisen ganz offensicht-lich werden, könnten mit Hilfe der Planungvermieden werden. Dem kapitalistischen All-tag wurde die Vision von der Planwirtschaftals krisenfreier Wirtschaft, die Vollbeschäfti-gung garantiere und allen Teilhabe amWohlstand ermögliche, gegenübergestellt.

Die marxschen Auffassungen wären bald ver-gessen gewesen, wenn die Erfahrungen, diedie Mehrheit der Bevölkerung mit Markt-wirtschaft und Kapitalismus gemacht hatten, sienicht bestätigt hätten. Die zu Ende gehendeerste Hälfte des 20. Jahrhundert schien – gera-de in Deutschland – düsteren Prophezeiungenvon den negativen Seiten des KapitalismusRecht zu geben. Zwei Weltkriege hatten dazugeführt, dass die Produktionsentwicklung bisauf den Stand des ersten Jahrzehnts desJahrhunderts zurückgefallen war. Der Lebens-standard der Arbeiter und kleinen Angestelltenlag in der Nachkriegszeit noch deutlich unterdem Niveau der Kaiserzeit. Aber auch einBlick auf die anderen Marktwirtschaften inWesteuropa und Nordamerika war nicht tröst-lich. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis1933 hatte in allen Staaten, selbst den USA,

7Großbritannien und Frankreich, zu tiefen Pro-duktionseinbrüchen, Massenarbeitslosigkeitund Verarmung geführt, aus dem sich Deut-schland nur über eine Rüstungskonjunktur inVorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg her-ausrettete. Als einziges Land von weltwirt-schaftlicher Bedeutung hatte die Sowjetuniondie Weltwirtschaftskrise ohne Produktionsein-brüche überstanden, in der Industrie sogarbeträchtliche Wachstumsraten verzeichnenkönnen. Auch von Massenarbeitslosigkeitblieb die UdSSR verschont. Als einziges Landhatte die Sowjetunion – schon unter Lenin –die Unternehmen in Staatseigentum über-führt. Als einziges Land ging die UdSSR1929 zur Volkswirtschaftsplanung über. Demersten “stalinschen” Fünfjahrplan folgten inden 30er Jahren weitere. Während desZweiten Weltkrieges gelang es der Sowjet-union, sich nicht nur militärisch, sondern auchwirtschaftlich gegenüber dem “Dritten Reich”zu behaupten. Bei einem Vergleich zwischenPlan und Markt während der Jahre zwischen1914 und 1945 meinten aufmerksameBeobachter, auch in Mittel- und Westeuropa,dass die Planwirtschaft sich als die stärkere,zukunftsträchtigere Wirtschaftsform erwiesenhabe.

1.2. Brauchbar für Notzeiten: Bewirtschaf-tung und Wirtschaftsplanng als Interims-lösung in Deutschland nach 1945

In den ersten Monaten nach Kriegsendedachte in Deutschland aber kein Politiker laut

darüber nach, welches Wirtschaftssystem,ob Marktwirtschaft oder Planwirtschaft, dasBessere für das Land sei. Solange es um dasbloße Überleben ginge, so eine weit ver-breitete Meinung, könne man die Wirtschaftnicht dem “freien Spiel der Kräfte” überlas-sen. Die Alliierten, ob nun Sowjets, Briten,Amerikaner oder Franzosen, waren gleicherMeinung und bemühten sich auf der Grund-lage planmäßiger Verteilung von Konsumgü-tern (Rationierung) und Material sowie Ma-schinen (Kontingentierung) die im Mai 1945zusammengebrochene deutsche Wirtschaftwieder auf die Beine zu bringen. Als die SED1946 in der Sowjetzone erklärte “unter denheutigen Bedingungen des Mangels an Roh-stoffen, Transportmitteln, Brennstoffen und vie-lem anderen wird das volkswirtschaftlicheVorwärtskommen nur gesichert durch Wirt-schaftsplanung”, konnte sie sich auch auf die

Plakat 1946(Foto: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar,

Fotosammlung S 38)

8Mehrheitsmeinung in CDU und LDP stützen.Unmittelbar nach dem Kriege ließ sich alsoEinigkeit im Block in der Frage der Lenkungder Wirtschaft relativ leicht herstellen. Leichterjedenfalls als bezüglich der unter sowjeti-scher Regie 1945 und 1946 vorgenomme-nen Beschlagnahmungen von Konzernbetrie-ben. Jedoch wurde selbst die im LandSachsen für den Juli 1946 angeordneteVolksabstimmung über die Enteignung von“Naziaktivisten und Kriegsverbrecher” nochnicht als Vorentscheidung für die Planwirt-schaft angesehen. Wohl zu Recht, wennman die Ausführungen eines leitenden Vertre-ters der Sowjetischen Militäradministration(vermutlich Major Tjulpanow) ernst nimmt,der im Herbst 1947 vom sächsischen Volks-entscheid als “Kampagne von vorüberge-hender Bedeutung” sprach und bedauerte,dass die SMAD sich mit “dieser Frage zuwenig beschäftig” habe. “Wir haben unsberuhigt, als das Gesetz über die Übereig-nung dieser Betriebe in die Hände desVolkes angenommen war. ... Das Gesetzwurde angenommen und die Sache nicht zuEnde geführt”.

Selbst der LPD-Funktionär Alphons Gaertner,der in Thüringen das Landesamt für Wirtschaftund Ernährung leitete und später zu einem derschärfsten Kritiker der wirtschaftlichen Vor-stellungen der SED wurde, bekannte sich imJuli 1946 auf einer Wirtschaftskonferenz desLandesblocks in Jena zur Planung als geeig-neter Lenkungsmethode gegen die wirtschaft-liche Not: “Wir werden solange Planwirt-schaft betreiben müssen, wie wir Mangelhaben.” Gaertner fügte aber ebenso deutlichhinzu: “Wenn wir wieder alle aus der Fülleleben können, brauchen wir keine Wirtschafts-planung mehr.”

1.3. Der Zweijahrplan: Die Auseinander-setzung um die WirtschaftsverfassungOstdeutschlands im Sommer 1948

Als es im Frühsommer 1948 zwischen den“bürgerlichen” Blockparteien und der SEDzur öffentlich geführten Auseinandersetzungum die zukünftige Wirtschaftsverfassung Ost-deutschlands kam, war noch nicht daran zudenken “in Fülle” zu leben. Wenn es nachLDP und CDU gegangen wäre, hätte manden Kompromiss über das Lenkungssystem,den man mit dem Slogan “Wirtschaftspla-nung in der Not, freie Wirtschaft nach ihrerÜberwindung” kennzeichnen könnte, nochetliche Jahre beibehalten. Doch viel früherals sich das die Blockparteien gedacht hat-ten, fiel die Entscheidung über das wirt-schaftliche Lenkungssystem der Ostzone. Imersten Halbjahr 1948 wirkten einigeFaktoren auf die Sowjetische Besatzungs-zone ein. Der erste dieser Faktoren war diezunehmende Unzufriedenheit der Bevöl-kerung (in allen Zonen) mit den magererenErgebnissen der Nachkriegspläne (im Volks-mund oft auch als Planwirtschaft bezeich-net). Auch Fritz Selbmann, der spätereIndustrieminister der DDR, musste zugeben,“dass ein großer Teil der Menschen ...geneigt ist, die Wirtschaftsplanung oderdas, was sie dafür halten, zum einem Teil fürdiesen Mangel verantwortlich zu machen”.Wenn sich CDU und LDP im Sommer 1948in der Auseinandersetzung mit dem Zwei-jahrplan der SED darauf bezogen, dass “zurZeit von weitesten Kreisen der Bevölkerungder Planungsgedanke abgelehnt” wird,konnte man ihnen von Seiten der SED-Führung eigentlich nicht widersprechen.

Ein zweitens Moment, dass zur Entschei-dung über das wirtschaftliche Lenkungs-

system der SBZ drängte, kam wesentlich vonaußen: Bis zum Jahre 1948 hatte sich derKalte Krieg zwischen den ehemaligenAlliierten, die gegen Hitler gekämpft hatten –den USA, Großbritannien und Frankreich aufder einen und der UdSSR auf der anderenSeite – verschärft. Die jeweiligen Besat-zungszonen wurden daher stärker als bisherin das eine oder das andere Lager integriert.Für die SBZ drängte die sowjetische Seitenunmehr auf ein Ende des zunächst gedul-deten “besonderen deutschen Wegs zumSozialismus”. Die SMAD forderte dieUmgestaltung der Organisationsstruktur derSED nach sowjetischem Vorbild als “Parteineuen Typus” und eine stärkere Annäherungder Eigentumsverhältnisse in der Wirtschaftund der Wirtschaftslenkung an das sowjeti-sche Vorbild. Im April 1948 vollzog dieSMAD, was Tjulpanow bereits im Herbst1947 vorgeschlagen hatte: Die Periode derBeschlagnahme wurde beendet. Die Fabri-ken der “Monopolisten und Kriegsver-brecher” wurden zum als “Volkseigentum”bezeichneten Staatseigentum. Am 30. 6.1948 – Deutschland war im gleichen Monatin zwei Währungsgebiete geteilt worden –beschloss die SED-Führung auf ihrer 25. Tagung den “Zweijahrplan für 1949/50”. Weder die SED noch die SMAD hiel-ten es allerdings für ratsam, den sich nachMethode und Zielstellung an das sowjeti-sche Vorbild anlehnenden “Wirtschaftsplanzur Wiederherstellung und Entwicklung derFriedenswirtschaft in der SowjetischenBesatzungszone Deutschlands” ohneZustimmung der Blockparteien verbindlich zuverkünden. Denn in der Deutschen Wirt-schaftskommission, einer Art provisorischenWirtschaftsregierung für die Ostzone, hattenauch LDP und CDU Sitz und Stimme. An denVorständen beider Parteien war es nun, zuentscheiden, ob man den neuen Schritt der

“Sowjetisierung” der Ostzone hinnahm.Gerade hatten die Parteien die juristischeFixierung der Enteignungsmaßnahmen von1945/46 zwei Monate zuvor hinnehmenmüssen, da sie von sowjetischer Seite perDekret verkündet worden waren. Als Alter-native bestand nun die Möglichkeit gegenden weiteren Sowjetisierungsschritt in derWirtschaft anzugehen. CDU und LDP ent-schieden sich für die Auseinandersetzung mitder SED-Führung: “Die Zeiten,” monierte derChef der CDU, “wo Parteien dem Staatbefehlen, sind hoffentlich für alle Zeiten vor-bei.” Die LDP-Führung warf der SED Verlet-zung der Blockpolitik vor. In einem Leitartikelder Parteizeitung “Der Morgen” vom 2. Juli1948 hieß es zum von der SED vorge-schlagenen Verfahren, den Zweijahrplanzum Gesetz erklären zu lassen: “Das berührtsehr energisch, um nicht zu sagen, brutal,das Verhältnis der Zusammenarbeit ...”.

Die inoffiziellen und offiziellen Kommentareder beiden Blockparteien fielen weitaus ge-harnischter aus, als sich die SED-Führung dasvorgestellt hatte. Das hatte mit einem drittenFaktor zu tun, der zur Aufgabe der Unent-schiedenheit in der Frage der Wirtschafts-verfassung der SBZ beitrug. Es handelte sichum die Entscheidung für die Marktwirtschaftin den Westzonen. Die Währungsreformvom 20. Juni 1948 hatte nicht nur den Wech-sel von einer entwerteten Währung – derReichsmark – zu einer stabilen Währung –der D-Mark – gebracht. Mit der Annahme desvon Ludwig Erhard durchgesetzten Leitsätze-gesetzes wurde auch der Übergang vomSystem der Bewirtschaftung und Wirtschafts-planung der Nachkriegszeit zur freien Markt-wirtschaft erreicht. Die beiden Blockparteiender Ostzone waren damals noch über Koor-dinierungsausschüsse und persönliche Kon-takte mit ihren Partnerparteien im Westen eng

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10verbunden. Zweifellos hatten die konsequen-ten Gegner der Planwirtschaft in LDP undCDU durch den ordnungspolitischen Wech-sel in den Westzonen Auftrieb erhalten.

1.4 Die erzwungene Entscheidung für diePlanwirtschaft im Herbst 1948

Am 2. August1948 übersandte die CDU derOstzone ihr “Wirtschafts- und Sozialpro-gramm” der DWK – gewissermaßen als Kon-kurrenzvorlage zum SED-Entwurf. Währenddie CDU dabei an einer “volkswirtschaftli-chen Rahmenplanung” bei freiem Wett-bewerb im Detail festhalten wollte, beharrtedie LDP in ihrer Antwort auf der Ablehnungjeder Art von Planung für die Zukunft.

Der Parteivorsitzende der SED und spätereerste DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohlsprach auf einer öffentlichen Kundgebung inSuhl von “verkrampften parteipolitischenVorstellungen” der Blockparteien. BrunoLeuschner, ab Herbst 1949 Planungs-minister, unterstellte wenig später, dass die-jenigen Kräfte, “die den Plan verneinen...den alten Weg gehen, den wir schon ein-mal gegangen sind” – zurück zur Herrschaftdes Großkapitals nämlich.

Auf dem CDU-Parteitag Mitte September1948 ermahnte auch der als Gast anwe-sende Tjulpanow die Unionsfreunde zurAnnahme. Die SED-Führung war vor allembestrebt, ein gemeinsames Vorgehen vonCDU und LDP gegen den Zweijahrplan zuverhindern. Der SED-Planungschef BrunoLeuschner ging gegen die Vorstellungen derLDP scharf vor. Er warf der Partei vor, durchVerzicht auf eine umfassende Planung “die

Industrie in der sowjetischen Besatzungs-zone zu Grunde zu richten”. Mit dem “Wirt-schafts- und Sozialprogramm” der CDU ginger dagegen behutsamer um: Die von derSED beherrschte DWK stellte die Bildungeiner Kommission “zur weiteren Prüfung undVerarbeitung der CDU-Vorschläge” in Aus-sicht, “weil sich eine Reihe von Grundge-danken in diesem Programm als wertvolleErgänzung des Zweijahrplanes erwiesenhätten”. Zwar hörte man von dieser Kommis-sion nie etwas, doch gab die CDU-Führungihren Widerstand gegen den Zweijahrplanauf. Bei der LDP dauerte es etwas länger. Am9. Oktober gab aber auch die LDP-Spitze zuProtokoll: “Die LPD übernimmt die volleMitverantwortung für die Durchführung desZweijahrplanes in Zusammenarbeit volksei-gener und privater Betriebe”. Möglich wur-de dieses “Umfallen” erst, nachdem die hart-näckigsten Verfechter der Marktwirtschaft inder LDP-Führung die Sowjetzone in RichtungWesten verlassen hatten. In einem Brief aneinen gleichgesinnten Parteifreund schriebAlphons Gaertner vor seiner Flucht: “Ich sehekeine Möglichkeit mehr, in der sowjetischbesetzten Zone im Rahmen der liberal-demo-kratischen Partei eine sinnvolle politischeWirksamkeit zu entfalten. Der anmaßendeAnspruch der SED auf Alleinherrschaft, derin den letzten Wochen immer lauter erhobenwird, würde keineswegs geltend gemachtwerden, wenn sich diese Partei nicht der voll-kommenen Zustimmung der Besatzungs-macht versichert hätte. Ich bin aber nichtbereit, die Reihe der Opfer fortzusetzen, dieich – um überhaupt politisch wirken zu kön-nen – meiner eigenen Überzeugung ge-bracht habe.”

Immerhin, ein kleines Zugeständnis musstedie SED-Führung den gegen die Planwirt-schaft opponierenden Kräften in CDU und

LDP doch machen. Sie verzichtete darauf,den Zweijahrplan von der DWK als Gesetzbeschließen zu lassen und begnügte sichdamit, ihn als “geistige Grundlage” für diespäter verabschiedeten Gesetze zum Jahres-volkswirtschaftsplan 1949 bzw.1950 gel-ten zu lassen.

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132. Die wirtschaftliche

AusgangslageOstdeutschlands

1949

142.1. Industrielle Basis und Kriegsschäden

Deutschland war vor dem Zweiten Weltkriegnach den USA und der Sowjetunion das dritt-größte Industrieland der Erde. Sein mittlererTeil, die spätere Sowjetische Besatzungszone,war – ungeachtet der ausgedehnten Län-dereien der Großgrundbesitzer in Mecklen-burg und Brandenburg – hinter dem west-lichen Teil industriell nicht zurückgeblieben.Industrialisierungsgrad und Industriedichtewaren sogar etwas höher. Lediglich in derArbeitsproduktivität gab es einen Rückstandzum Westen von 12 %.

Mit Beginn der Kriegsvorbereitungen 1936begann die nationalsozialistische Wirt-schaftspolitik dem heutigen Ostdeutschlandbesondere Aufmerksamkeit zu widmen.Nach den Erkenntnissen von Mitte der 30erJahre war dieser Teil Deutschlands sichergegen Bombenangriffe, weswegen nebendem Ausbau der Braunkohlechemie vor allemRüstungsindustrien zwischen Ostssee undErzgebirge neu angesiedelt wurden. Von1936 bis 1944 – dem Jahr, als die Kriegs-produktion ihren Höhepunkt erreichte –wuchs das industrielle Bruttoprodukt der spä-teren SBZ um 65%. Der Industrialisierungsvor-sprung des späteren Ostdeutschlands wurdedadurch weiter verstärkt. Daran konnten auchdie seit etwa 1942/43 eintretenden Kriegs-schäden, die durch alliierte Luftangriffe und1945 durch Erdkämpfe (“Schlacht umBerlin”) bewirkt wurden, grundsätzlich nichtsändern. Etwa 15% der ostdeutschen Indus-triekapazität des Jahres 1944 fiel dem Kriegzum Opfer. Damit verfügte das Land im Jahre1945 immer noch über ein größeres Indus-triepotenzial als vor dem Zweiten Weltkrieg.

2.2. Schwere Kapazitätsverluste durchDemontagen

Wesentliche Unterschiede zwischen West-und Ostdeutschland kamen nicht durch dieKriegszerstörungen, sondern durch dieKriegsfolgelasten zu Stande, vor allem durchdas unterschiedliche Niveau der Demon-tagen. Dazu waren in Jalta 1944 und Pots-dam im August 1945 zwischen den Alliier-ten Abmachungen getroffen worden.

Danach hatten die Alliierten das Recht, jederin seiner Zone kriegswichtige Industriegüterund Verkehrsanlagen abzubauen und für denWiederaufbau im eigenen Land zu verwen-den. Da die Sowjetunion die größten Kriegs-schäden erlitten hatten, sicherte ihr das Pots-damer Abkommen zu, darüber hinaus “10 %der grundlegenden Industrieanlagen, die fürdie deutsche Friedenswirtschaft nicht erfor-derlich sind”, aus den anderen Zonen für sichzu reklamieren. Auf eine Obergrenze derDemontagen hatten sich die Alliierten nichteinigen können. Darauf konnte sich GeorgijM. Malenkow, der dem für die Reparationenzuständigen sowjetischen Sonderkomiteevorstand, bei seinem harten Vorgehen in derSBZ stützen. Er gab auch sowjetischen Be-fürwortern einer milderen Reparationspolitikgegenüber zu bedenken, dass das nach Auf-hebung der Besatzung angestrebte einheit-liche, neutrale, demokratische Deutschlandnicht zum sowjetischen Einflussbereich ge-hören würde. Sollte es doch selbst mit denFolgen den Deindustrialisierung seines östli-chen Teils fertig werden.

Malenkows Gegenspieler Anastas Mikojan,in Moskau verantwortlich für Wirtschaftsfra-gen des Besatzungsgebietes, vertrat dage-gen schon im Herbst 1945, gestützt auf

15nur einen quantitativen Aspekt. In mancherHinsicht schwer wiegender als das Ausmaßder Demontagen waren deren Auswirkungenauf das Produktivitätsniveau. Abgebaut wur-den vor allem Anlagen von hohem technischenNiveau. Nachdem die modernsten Ma-schinen abtransportiert waren, griffen vieleWerke, um weiterproduzieren zu können, aufvöllig veraltete Technologien zurück. Dadurchstiegen der Reparaturbedarf und der Anteil derHandarbeit sprunghaft an. Die Produktivitätsank im Vergleich zur Vorkriegszeit signifikantab.

2.3. Wiederaufbau unter erschwerten Be-dingungen

Unmittelbar nach Kriegsende ging es um dieWiedereingangsetzung der Produktion unddie Wiederaufnahme von Bezugs- undAbsatzbeziehungen. Noch im Laufe desJahres 1945 gelang es, die im Frühjahr ein-getretene Wirtschaftslähmung zu überwin-den. Im Jahre 1946 bemühte man sich in denostdeutschen Betrieben, auch die Beziehun-gen zu den in den Westzonen gelegenentraditionellen Kooperationspartnern wiederaufzunehmen – teilweise über den Inter-zonenhandel. Die Industrieproduktion er-reichte in jenem Jahr 42 % des Niveaus von1936. Je eher die Erzeugung in einemZweig von einem sehr geringen Ausgangs-niveau aus in ihren früheren Umfang hinein-zuwachsen begann, desto mehr machtensich die Folgen der Demontagen bemerkbar.Die Wiederannäherung an den Vorkriegs-stand (von 1936) geriet zeitweise bedenk-lich ins Stocken. Im wichtigsten ostdeutschenIndustrieland, Sachsen, verringerte sichProduktionsausstoß gegenüber dem Vorjahr

Informationen der SMAD, die Auffassung,dass die beschlossene gemeinsame Repa-rationspolitik der Alliierten bald Opfer deszunehmenden sowjetisch-amerikanischenGegensatzes sein würde. Die SBZ würdedann zum sowjetischen Einflussbereich ge-schlagen werden. Ein deindustrialisiertes undder Verelendung preisgegebenes Grenzlandkönne sich das sowjetische Imperium nicht leis-ten. Für den Wiederaufbau müsse die indus-trielle Basis Ostdeutschlands, die offensicht-lich unter dem Krieg nicht sehr gelitten habe,erhalten bleiben. Die Reparationen seien zustoppen.

Im Herbst 1945 hatte sich die “Mikojan-Linie”noch nicht durchsetzen können. Es wurdeweiter heftig demontiert. Doch mit dem BefehlNr. 167 der SMAD vom Juni 1946 kam eszu einem Umschwung in der Reparationspo-litik der UdSSR. Mit diesem Befehl wurdenmehr als 200 der zu demontierende Betriebein das Eigentum der UdSSR überführt. DieGroßbetriebe konnten damit der Sowjetuniongutgeschrieben werden, ihre Kapazitätenverblieben aber in der SBZ. Im September1946 wurde Malenkows Sonderkomitee derSMAD unterstellt und im Mai 1947 gänzlichaufgelöst. Wegen des enormen Ausmaßesder Demontagen im ersten Jahr nach Kriegs-ende und auch wegen späterer kleinerer“Demontagewellen”– insgesamt zählte manbis 1948 fünf – wurde das 1944 vorhande-ne industrielle Anlagevermögen Ostdeut-schlands um fast ein Drittel reduziert. Vorallem handelte es sich um kriegsverwen-dungsfähige Anlagen der Metallurgie unddes Fahrzeug- sowie des Maschinenbaus –zum Ersatz der durch den Krieg zerstörtensowjetischen Produktionsanlagen. Aber auchdie Ernährungs-, Textil- und Bekleidungs-industrie war von Demontagen betroffen.Allerdings hatte die Deindustrialisierung nicht

16bens gewesen sein. Den Durchbruch ver-suchte der 2. Kongress des FDGB, der MitteApril 1947 in Berlin tagte, mit der Losung“Mehr produzieren – gerechter verteilen –besser leben”. Oder, wie es bald auf denPunkt gebracht hieß: Erst besser arbeiten,dann mehr essen. Euphorisch konnte dieseVertröstung auf bessere Zeiten niemandenstimmen. Kritische Reaktionen gab es genug,zudem die Argumente der Kritiker auch nichtrecht von der Hand zu weisen waren; wenndie etwa bemerkten, dass ein Motor, wennman ihm keinen Treibstoff gibt, nicht an-springt. Das Erstaunliche ist, dass es trotzdemgelang, eine Anzahl Aktivisten, wie sie ge-nannt wurden, zu finden, die höhere Produk-tionsleistungen erreichten und damit Unruheund Diskussion um die Arbeitsdisziplin in dieBetriebe brachten. Die Alternativlosigkeit derLosung trug zur Hebung der Arbeitsdisziplinebenso bei wie die Gewährung bescheide-ner materieller Vergütungen für diejenigen,die regelmäßig zur Arbeit kamen und ihreLeistung zu steigern bereit waren. Die SMADbrachte im Oktober 1947 den Befehl Nr. 234 heraus, der u.a. ein tägliches war-mes Betriebsessen denjenigen zusicherte,der auch täglich zur Arbeit kam. Im Septem-ber 1948 wurde der unmittelbar nach demKrieg abgeschaffte Akkordlohn als “Leis-tungslohn” in den Betrieben wieder einge-führt. Wer mehr arbeitete, erhielt jetzt mehrGeld. Was wichtiger war: Er konnte sichdafür auch mehr kaufen. Denn seit demHerbst 1948 war es den Ostdeutschen mög-lich, in den neugegründeten staatlichen HO-Läden zusätzlich zu den Lebensmittelkarten-rationen Güter des täglichen Bedarfs zuerwerben. 1949 erreichte der Anteil der Leis-

zeitweise um 40 Prozent. Das hatte viel mitdem harten Winter 1946/47 und seinenFolgen zu tun; mehr aber noch mit nachlas-sender Arbeitsdisziplin zunehmend am Wie-deraufbau zweifelnder Betriebsbelegschaf-ten. Arbeiten für die Lebensmittelkarte, derenRationen kaum den Hunger stillen konnten,lohnte sich für viele nicht. Allzu groß war1947 die Versuchung, einen oder mehrereTage der Arbeit fernzubleiben, aufs Land zufahren, um sich mit Lebensmitteln zu versor-gen, dem Schrebergarten oder dem Stück-chen Feld den Vorzug zugeben. Der Lohn fürdie tägliche Arbeit hielt den – wie es schien –vergleichsweise mühelosen Verdienstmöglich-keiten auf dem Schwarzmarkt nicht stand. Daswar der Teufelskreis, aus dem es auszubre-chen galt, sollten die Anstrengungen beimWiederaufbau 1945 und1946 nicht verge-

Plakat 1951(Foto: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar,

Plakatsammlung S 38)

17tungslöhner an der Gesamtzahl der Be-schäftigten bereits 40%. Zwei Jahre zuvorhatte die Industrieproduktion 54% und einJahr später 60% des Niveaus von 1936erreicht. Das Ergebnis von 1948 kam trotzeiner die Kooperationsbeziehungen vielerostdeutscher Betriebe empfindlich treffen-den, durch die sowjetische Blockade West-berlins ausgelösten Unterbrechung des Zo-nenhandels zu Stande.

Im Jahre 1947 hatte es zeitweise so aus-gesehen, als würde Ostdeutschland der Deindustrialisierung und Verelendung nichtentgehen können. Diejenigen, die das ver-hinderten, waren die Ostdeutschen selbst. Im

Jahre 1949 erreichte die Industrieproduktion68 % des Vorkriegs-Vergleichsjahres. In die-sem Jahr, nach der Rückkehr der Mehrzahlder Kriegsgefangenen und der beginnendenIntegration der Flüchtlinge in die Wirtschaft,arbeiteten in Industrie, Handwerk und Land-wirtschaft mehr Personen als vor dem Kriegund konnten so die durch die Demontageneingetretenen Produktivitätsverluste zu einembeträchtlichen Teil wettmachen. Auferstan-den eher nach Demontagen als aus “kriegs-bedingten Ruinen”, lief die ostdeutsche Wirt-schaft 1949 wieder, wenn auch – verglichenmit den marshallplangesponserten West-zonen – der Bundesrepublik hinterher.

(Foto: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Fotosammlung)Löterinnen im RFT-Fernmeldewerk Nordhausen

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193. Reparationen,

Fünfjahrplan, RGW:Die wirtschaftliche

Orientierung auf dieUdSSR

203.1 Sowjetische Reparationen und DDR-Investitionslücke

Die Auseinandersetzung innerhalb der sow-jetischen Führung über das Ausmaß derWiedergutmachungsleistungen, die ausdem Potenzial der sowjetischen Besatzungs-zone bestritten werden sollten, fand ihrenNiederschlag auch im widersprüchlichenVerhältnis von Reparationen als Demontagenund als Entnahmen aus der laufenden Pro-duktion. Je mehr sich bei der sowjetischenFührung die Erkenntnis durchsetzte, dass dieSBZ in ihrem Einflussbereich verbleiben wür-de, desto wichtiger wurden die laufendenLieferungen im Vergleich zu den Demonta-gen. In Ostdeutschland erreichte dieserAnteil 1945/46 fast 50% des Bruttosozial-produktes, lag bis 1949 etwa bei 30% undAnfang der 50er Jahre noch bei etwa 15%.

Für die Besetzten hatten die “Entnahmen ausder laufenden Produktion” auch positive Sei-ten. Die zuständigen sowjetischen Stellenlernten, dass die Reparationslieferungen ingroßen Ausmaß nur gesichert werden konn-ten, wenn die Demontagen eingeschränktwurden. Demontagen und Entnahmen ausder laufenden Produktion schlossen sich letzt-lich gegenseitig aus. Zweitens bemühtensich die mit der Erfüllung der Reparations-pläne beauftragten sowjetischen Institutionenzwangsläufig um die Wiederankurbelungder ostdeutschen Industrie. In dieser Fragetrafen sich die Interessen der SMAD mitdenen der von der SED stark beeinflusstenostdeutschen Länderverwaltungen und de-nen der um ihre Arbeitsplätze bangendenBeschäftigten. Waren die Vorteile der Ent-nahmen aus der laufenden Produktion vorallem kurzfristiger Natur, so wirkten ihreNachteile langfristig. Auch als nur noch einDrittel bzw. ein Siebentel des Bruttosozial-

produkts (BSP) Ostdeutschlands ohne Entgeltin die Sowjetunion flossen, führte das zueiner deutlichen Schrumpfung der in der SBZverfügbaren Produktion (dem Bruttoinlands-produkt – BIP). Schnell wurde dies amZurückbleiben des Lebensstandards gegenü-ber dem Westen Deutschlands deutlich. Dader Lebensstandard im Osten aber nichtbeliebig gedrückt werden sollte, wurde dortvor allem an Investitionen gespart. Bis Endeder 50er Jahre konnte in der DDR keinegrundlegender Erneuerung von Produktions-anlagen stattfinden. Es kam zu einer emp-findlichen Investitionslücke, die in vielenBereichen der Industrie und des Verkehrs-wesens dazu zwang, auch über das ersteNachkriegsjahrfünft hinaus, teilweise bisEnde der 80er Jahre, mit überalterten An-lagen aus dem ersten Viertel des Jahrhundertszurechtzukommen.

3.2 Planwirtschaft nach sowjetischem Muster

Die SED-Führung war sich der durch Demon-tagen und Entnahmen aus der laufendenProduktion für die ostdeutsche Wirtschaftentstehenden Schäden durchaus bewusst.Bereits im Frühjahr 1947 hatte Fritz Selb-mann in einem Memorandum, mit dem er bisMoskau vordrang, harsche Kritik an dersowjetischen Reparationspolitik geübt. Abererst Anfang 1948 fanden seine Vorschlägeteilweise bei der SMAD Gehör. Er und ande-re Wirtschaftsführer der SED blieben unge-achtet der Reparationsschäden optimistisch,was die bevorstehende Konkurrenz mit demWesten um das erfolgreichere Wirtschafts-system in Deutschland betraf. Sie meinten,mit der Planwirtschaft über ein Wirtschafts-system von überlegener volkswirtschaftlicher

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Effizienz zu verfügen. Auch die durch die teil-weise Deindustrialisierung bedingten Rück-stände Ostdeutschlands gegenüber demWesten würden von “Plan zu Plan mehr” auf-geholt. Gemäß dem marxistisch-leninisti-schen Programm sollte ein gesellschaftlicherWirtschaftsplan den Menschen (in Gestaltder Arbeiterklasse, vertreten durch die Staats-partei) erstmals in der deutschen Geschichtedie Herrschaft über die Ökonomie und damitüber ihr Leben in die Hand geben und dieEigengesetzlichkeit der kapitalistischen Öko-nomie aushebeln. Fritz Selbmann drücktebereits 1948 diese Zuversicht so aus: “Wirwerden bis zur letzten Maschine, bis zur letz-ten Produktionseinheit der volkseigenenIndustrie durchplanen, und dann werden wirsehen, wer ist stärker: die geplante volksei-gene Industrie oder die nichtgeplante freieMarktwirtschaft. ... Natürlich,” fügte er hin-zu, “ist die geplante Wirtschaft stärker, natür-

lich werden die Dinge dort, wo sie derMensch mit seiner Vernunft anpackt, besservorwärtskommen.”

Um dieses Ziel zu erreichen, bedurfte es,auch nach Vorstellung der SED zweier Vor-aussetzungen: Die SED musste erstens dieWirtschaft in der Hand haben. Sie rechtfer-tigte dies damit, dass nur sie, gestützt auf die“wissenschaftliche Weltanschauung” desMarxismus-Leninismus, über das Wissen ver-füge, die zukünftige Entwicklung von Wirt-schaft und Gesellschaft zu bestimmen. Unddiese mussten zweitens vom Zentrum ausstraff geleitet werden. Wie das einzurichtenwar, hatte die Sowjetunion in den 30er Jah-ren vorgemacht: Wie dort berieten und ent-schieden das Politbüro (PB) des ZK der SEDbzw. das Sekretariat alle grundlegendenwirtschaftlichen Fragen. Schlüsselpositionenbesaßen dabei der Parteichef – in den 50er

(Foto: Sächsisches Wirtschaftsarchiv e.V., Fotosammlung)Messestand 1952

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und 60er Jahren Walter Ulbricht – und dasjeweilige für Wirtschaft zuständige Mitglieddes Sekretariats bzw. des Politbüros des ZK,das auch die Arbeit der wirtschaftspoliti-schen Abteilungen des Zentralkomitees (ZK)der SED leitete. In der Wirtschaftsleitung hat-te die Staatliche Plankommission (SPK) eineherausgehobene Position. Der übergeordne-te Status der Planungsbehörde ergab sichdaraus, dass sie im Volkswirtschaftsplan dieVerflechtungen zwischen den verschiedenenWirtschaftszweigen herzustellen sowie Pro-duktion und Verbrauch in Übereinstimmung

zu bringen hatte. Ihr oblag es auch, dieDominanz der “Schwerpunktzweige” ge-genüber den Nichtschwerpunktzweigen beider Versorgung mit Investitionsmitteln, Zu-lieferungen und Arbeitskräften im Plan festzu-schreiben.

Die unmittelbare operative Leitung derWirtschaft vollzog sich über verschiedeneLeitungsebenen eines hierarchischen Len-kungssystems, an dessen Spitze Ministerienstanden, die für bestimmte Industriebereicheund -branchen zuständig waren, z.B. für

(Foto: Bundesarchiv, Bild 183, 1988/0418/415)Frankfurt/Oder: Mit hoher Qualität produzieren die Werktätigen der Verzinkungs- und Kunststoffbeschichtungs-anlage des Eisenhüttenkombinates Ost den Bandstahl für in- und ausländische Kunden. 90 000 Tonnen sol-cher Bänder und Bleche werden im EKO hergestellt. Aus einer Tonne kaltgewalztem Blech können beispiels-weise 40 Kühlschränke mit je 170 Liter Fassungsvermögen oder 30 Waschautomaten gefertigt werden. (Zeit-genössische Bildlegende des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes der DDR, ADN)

23Schwer- bzw. Leichtmaschinenbau. Unter-halb der Ministerien existierten Vereinigun-gen Volkseigener Betriebe (VVB) bzw. Kom-binate. Sie fassten in der Regel die Betriebeeiner Branche zusammen, die die untersteLeitungsstufe bildeten. Über Mitglieder inallen Wirtschaftsleitungen übte die SEDEinfluss auf die Betriebe und wirtschaftslei-tenden Institutionen aus. Entscheidend fürdas Verhältnis zwischen Wirtschaftsleitungund Parteiapparat war jedoch, dass Be-schlüsse der Parteispitze von den staatlichenInstanzen zu übernehmen waren. Auch dieSPK konnte keine Grundsatzentscheidungentreffen, sondern hatte sie dem SED-Politbürovorzulegen.

Der erste längerfristige Plan, der entspre-chend diesem Muster aufgestellt und überJahrespläne verwirklicht wurde, war der 1. Fünfjahrplan (1951–55). Auf sein Zu-standekommen übten auch Berater der Sow-jetischen Kontrollkommission (SKK), die alsNachfolgerin der SMAD bis 1954 wirkte,Einfluss aus.

3.3 Die Wirtschaftsbeziehungen DDR –UdSSR in den 50er und 60er Jahren

Die Ausrichtung der Wirtschaftsbeziehungender DDR auf den Osten ergab sich jedochnicht aus einem Diktat sowjetischer “Be-rater”. Sie war das Ergebnis zweier Entwick-lungen, die bereits in der zweiten Hälfte der40er Jahre ihren Anfang genommen hatten:der Reparationslieferungen und des KaltenKrieges. Die Reparationslieferungen anGütern, vor allem des Maschinenbaus, diedie Sowjetunion für ihre Industrialisierungs-projekte benötigte, wurden im Verlaufe des

1. Fünfjahrplanes immer mehr in normale,d.h. durch Gegenlieferungen, meist Lebens-mittel und Industrierohstoffe, kompensierteHandelsbeziehungen übergeleitet. Der sichAnfang der 50er Jahre weiter verschärfendeKalte Krieg ließ den Interzonenhandel zumSpielball der Politik werden. Anfang der50er Jahre wurden auf Intervention der West-alliierten Lieferungen in die DDR zeitweiseoder punktuell ausgesetzt. Ende der 50erJahre drohte die Bundesregierung mit demvölligen Abbruch des Interzonenhandels.Das überwiegend auf mittel- und längerfristi-ge Bezugsquellen ausgelegte System derWirtschaftsplanung musste schon aus Grün-den der “Planungssicherheit” seine grenz-überschreitende Wirtschaftsströme stärkerauf die Sowjetunion und Osteuropa ausrich-ten. Dort war 1949 der “Rat für Gegensei-tige Wirtschaftshilfe” (RGW) gegründet wor-den, dem die DDR 1950 beitrat. Mit denRGW-Ländern, besonders dem IndustrielandTschechoslowakei und den auch über indus-trielle Exportkapazitäten verfügende Polenund Ungarn, ergänzte die DDR ihre haupt-sächlich auf Kooperation mit der UdSSRberuhenden Handelsbeziehungen in Rich-tung Osten.

In den Wirtschafts- und Finanzbeziehungenzur Sowjetunion fand in der zweiten Hälfteder 50er Jahre eine bemerkenswerte Ände-rung statt. Hatte die DDR bis 1954 durchReparationslieferungen (z.T. aus den in die-sem Jahr mit Ausnahme der Wismut-AG zu-rückgegebenen SAG-Betrieben) der UdSSRmehr gegeben, als sie zurückerhielt, so kehr-te sich das Verhältnis in der zweiten Hälfteder 50er Jahre um. Der neue KPdSU-Partei-chef, Nikita Chruschtschow versuchte, denWesten zur “Politik der friedlichen Koexis-tenz” zu überreden und propagierte denÜbergang vom militärischen zum wirtschaft-

24lichen Wettbewerb. Zu diesem Zweck erhiel-ten alle “sozialistischen Länder” wirtschaftli-che Ein- und Überholziele gegenüber promi-nenten Staaten des westlichen Lagers. Für dieDDR war es – vom Volk bis zur Führung –selbstverständlich, dass sie sich auf dieBundesrepublik fixierte. Im Jahre 1958 ver-kündete Parteichef Ulbricht als wirtschaftspo-litische Strategie, die Bundesrepublik einzu-holen. Das sollte hinsichtlich des Pro-Kopf-Verbrauchs bis 1961 geschehen. So schnellließen sich aber selbst auf dem Papier dieProduktionskapazitäten der DDR nicht stei-gern. Der dann 1959 verabschiedeteSiebenjahrplan (1959 – 1965) legte vonder Produktionsseite her als Einholjahr 1965fest. Die Differenz zwischen der vorgesehe-nen Verbrauchsangleichung (1961) undProduktionsangleichung (1965) versprachChruschtschow mit Lieferungen und Krediten(darunter auch solche in harter Währung zuEinkäufen auf dem Weltmarkt) zu über-brücken. Als Ende der 50er Jahre dieSowjetunion in wirtschaftliche Schwierigkei-ten geriet, konnte Chruschtschow seine“Schaufenster-Zusagen” nur noch teilweiseeinhalten. Nicht nur die damit gerissenenLücken, sondern fehlende Arbeitskräfte infol-ge zunehmender, von der DDR-Führung als“Republikflucht” bezeichnete Abwanderungvon Arbeitskräften in den Westen sowieInvestitionspannen und die überstürzte Be-endigung der 1952 begonnenen “Vergenos-senschaftlichung” in der Landwirtschaft führ-ten in der DDR zu einer krisenhaften Situation.Die Machthaber in Berlin sahen keinen ande-ren Ausweg als 1961 den Bau der Mauerzu befehlen; den Siebenjahrplan mussten sieaufgeben. Mit der Abschottung der Grenzeendete der Verlust an Arbeitskräften durchAbwanderung. Die krisenhafte Wirtschafts-entwicklung in der Sowjetunion Anfang der60er Jahre war ein wesentlicher Grund für

den Sturz Chruschtschows 1964. SeinNachfolger Breschnew hatte keinerleiInteresse mehr an einer bevorzugten Behand-lung der DDR im Rahmen des RGW. Nach-dem die SED-Führung Mitte der 60er Jahreerkannt hatte, dass es mit der sowjetischen“Schaufensterpolitik” vorbei war, konzen-trierte sie sich bei den weiterhin angestreb-ten “besonderen Beziehungen” zur UdSSRauf die wissenschaftlich-technische Zusam-menarbeit. Seit 1963 lief die Wirtschafts-reform um Effizienz an. Und die SED-Führungerhoffte sich vor allem Vorteile aus der Zu-sammenarbeit mit der UdSSR auf den Ge-bieten der Mikroelektronik, der Halbleiter-technik und der elektronischen Messtechnik.

Die 1964 einsetzenden Bemühungen umbilateralre Abkommen zur Unterstützung beimAufbau einer Datenverarbeitungsindustrie inder DDR führten zu keinem für die DDR befrie-digenden Ergebnis. Vor allem Einsprüche derum Geheimhaltung besorgten sowjetischenMilitärs verhinderten die Zusammenarbeit. ZuStande kam jedoch – wenigstens die Entwick-lung von EDV-Anlagen betreffend – an Stelledes bilateralen ein multilaterales Abkommender Sowjetunion mit der DDR und anderenRGW-Ländern. Das 1969 abgeschlossenenRegierungsabkommen über eine arbeitsteili-ge Entwicklung und Produktion von EDV-Anlagen, peripheren Geräten sowie dendazu gehörigen Systemunterlagen griff. DasProjekt umfasste RGW-weit mehr als 20.000Wissenschaftler und Konstrukteure sowierund 300.000 Beschäftigte in etwa 70 Be-trieben der elektronischen Industrie. Die DDRstellte nach der Sowjetunion für das ESER-Projekt die größten Kapazitäten zur Verfü-gung. Das ESER-Programm führte zwar nichtzu einem Überholen des Westens, reduzierteaber zwischenzeitlich den technischen Rück-stand. Bei einzelnen Produkten, die oft Nach-

25entwicklungen von westlichen Geräten (IBM)waren, fand man in den 70er Jahren An-schluss an die Weltspitze. Der bundesdeut-sche EDV-Experte und DDR-Kenner KlausKrakat schrieb in dieser Zeit, dass “in derDDR das technischen Entwicklungsniveaudes Westens auf dem Gebiet der Datenfern-übertragung annähernd erreicht worden(sei). Bemerkenswert ist auch, dass mit derRealisierung des ESER-Projekts eine Kompa-tibilitätsniveau realisiert worden ist, welchesüber die im Westen erreichte Koordinationhinausgeht.”

Umso enttäuschender war für die DDR, dassdie sowjetische Seite 1978 eine enge Zu-sammenarbeit zwischen beiden Staaten auf

dem Gebiet der Mikroelektronik kategorischausschloss. Auch diesmal waren Befürchtun-gen um Geheimnisverrat des sowjetischenmilitärisch-industriellen Komplexes ausschlag-gebend. In den 70er Jahren bestimmten aller-dings neben den wissenschaftlich-techni-schen zunehmend andere Probleme dieBeziehungen zwischen der DDR und derUdSSR.

3.4 Die Wirtschaftsbeziehungen DDR –UdSSR in den 70er und 80er Jahren

Während der 70er Jahren führten die Erdöl-preisschocks von Ende 1973 und Ende 1979zu weltwirtschaftlich beträchtlichen Turbu-lenzen bis hin zu Wirtschaftskrisen in den wichtigsten westlichen Industrieländern 1974 – 1975 und 1980 – 1982. Die DDRfühlte sich davon zunächst wenig betroffen,verfügte der RGW doch über ein vom Welt-markt abgekoppeltes Preissystem mit Fest-preisen für jeden Fünfjahrplanzeitraum. ZumZeitpunkt des ersten Erdölschocks galt imRGW ein auf dem Durchschnitt der Weltmarkt-preise von 1966 – 1970 berechnetes Preis-niveau. Die DDR profitierte von diesen Preisge-fälle, indem sie – verglichen mit denWeltmarktpreisen – von 1970 bis 1973 jähr-lich 1, 6 Mrd. M einsparte. Doch war dieSowjetunion auf die Dauer nicht gewillt, dieAusblendung der Weltmarktentwicklungdurchzuhalten. Als Kompromiss einigte sie sichmit den “erdölarmen” RGW-Ländern schließ-lich auf ein gleitendes Preisniveau, dass zwardas plötzliche Emporschnellen der Rohstoff-preise verhinderte, die Preissteigerungen abermit einigen Jahren Verzögerung doch nochwirksam werden ließ. Für die DDR hatte daszur Folge, dass sie für die gleiche Menge Erdöl

(Foto: Stadtarchiv Erfurt)Röhrenprüfautomat im Messgerätewerk des VEBFunkwerk Erfurt um 1963

26aus der Sowjetunion von Jahr zu Jahr mehrMaschinen und Anlagen liefern musste.

Verheerender jedoch als diese Preiserhöhun-gen erwies sich die verschärfte Konkurrenz,der sich die DDR für ihre Produkte auf denwestlichen Märkten gegenüber sah. AlsHonecker 1971 an die Macht kam, hatte erbald darauf seine Strategie der “Einheit vonWirtschafts- und Sozialpolitik” verkündet, dieer auch mit Westimporten der Bevölkerungschmackhaft zu machen trachtete. Hinzu kameine ausgedehntere Fortführung des bereitsunter Ulbricht begonnenen Imports von west-lichen Industrieanlagen. Beides führte unterden durch die Erdölpreisschocks verschlech-terten Absatzbedingungen für ostdeutscheProdukte zu einer unausgeglichenen Handels-bilanz mit dem Westen. Die Verschuldung derDDR in harter Währung nahm allein zwischen

1975 und 1982 von 8,9 Mrd. DM auf 26,1 Mrd. DM zu. Polen, Ungarn undRumänien, die eine ähnliche Importpolitik beiInvestitionsmitteln verfolgt hatten, konnten ihreWestschulden nicht mehr zurückzahlen undmussten Umschuldungsprogramme mit demInternationalen Währungsfonds (IWF) verein-baren. Anfang der 80er Jahre geriet auch dieDDR bei westlichen Banken in den Verdacht,zahlungsunfähig zu sein. Um der drohendenInsolvenz vorzubeugen, wurde 1982 von Sei-ten der DDR die Strategie des “Westexportsum jeden Preis” gestartet. Sie bedeutete, dassauch dann Waren in die Bundesrepublik undandere westliche Industrieländer exportiertwurden, wenn der erzielte Erlös unter denGestehungskosten in der DDR lag – Haupt-sache, es wurden Devisen eingenommen.Denn Zinsen und Tilgungssätze musstenbezahlt werden.

(Foto: Stadtarchiv Erfurt)28. Dezember 1971

27Bezogen auf die Beziehungen zum Westenformulierte die DDR-AußenhandelsexpertinMaria Haendcke-Hoppe-Arndt 1996 tref-fend: “Die DDR-Wirtschaft stand seither unterdem Diktat der Zahlungsbilanz, die Handels-bilanz musste nachhaltig umgekehrt wer-den”.

Mit dieser Zielstellung verlor in den 80erJahren der Handel mit der Sowjetunion, sowichtig er auch für die Beschaffung vonRohstoffen blieb, erstmals in der Geschichteder DDR seine Priorität. Der Anteil desWesthandels am DDR-Außenhandel steiger-te sich zwischen 1980 und 1989 von 27auf 51%.

(Foto: Bundesarchiv, Bild 183, 1987/0420/417)Um termingemäß in diesem Jahr (1987) zwei Eisenbahngüterfähren an die UdSSR übergeben zu können,nimmt der dritte Schiffsrumpf auf der Helling der Mathias-Thesen-Werft Wismar Form und Gestalt an. Diesedritte Fähre für die Eisenbahnfährlinie Mukran-Klaipeda wird den Namen “Vilnius” erhalten und soll demnächstdem nassen Element übergeben werden. (Zeitgenössische Bildlegende des Allgemeinen DeutschenNachrichtendienstes der DDR, ADN)

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294. Die Phasen der

strukturellen Entwicklungder ostdeutschenIndustriewirtschaft

304.1 Die schwerindustriellen “Großbautendes Sozialismus” der 50er Jahre

Die Branchenstruktur der ostdeutschen Indus-trie war vor dem zweiten Weltkrieg geprägtdurch einen überdurchschnittlichen Anteil derTextil- und Bekleidungs- sowie der Nahrungs-und Genussmittelindustrie. In der Metall ver-arbeitenden Industrie wurden zwischenElbe/Saale und Oder/Neiße – bei einemdurchschnittlichen Industrieanteil des Gebietsam Nachkriegsdeutschland von 33 % – 55% aller Textilmaschinen, 51% aller Druck-maschinen, 58% aller Erzeugnisse der fein-mechanisch-optischen Industrie und 61% derelektrotechnischen Erzeugnisse hergestellt. Inden 50er Jahren wurden diese Zweige in der

DDR unter dem Begriff Leichtmaschinenbauzusammengefasst – im Unterschied zumSchwermaschinenbau, der Ausrüstungen fürBerg- und Hüttenwesen, die Energieerzeu-gung und die chemische Industrie herstellte.Dieser Schwermaschminenbau war mit Aus-nahme des Werkzeugmaschinenbaus (Anteil55%) in Ostdeutschland nur unterproportionalvorhanden. Vor allem aber traf das auf dieGrundstoffindustrie zu. Steinkohlebergwerke,Hütten- und Stahlwerke befanden sich fastausschließlich in Westdeutschland oder imnunmehr polnischen Oberschlesien. DerAustausch von SBZ-Überschüssen in derLeichtindustrie und im Leichtmaschinenbau mitErzeugnissen des westdeutschen Schwer-maschinenbaus und der Schwerindustrie wardurch den geringen Umfang und die Un-

(Foto: Stadtarchiv Erfurt)Pressen für die Karosserieproduktion aus Erfurt

31sicherheiten des Interzonenhandels nur in sehrbeschränktem Maße möglich. Gerade in die-sem Bereich konnte auch der RGW zunächstwenig Ausgleich schaffen, da dort entspre-chend der stalinschen Industrialisierungs-doktrin vor allem Schwermaschinenbau undSchwerindustrie entwickelt wurden, Export-kapazitäten deshalb selbst in der Sowjet-union nur begrenzt zur Verfügung standen.

Der Anfang der 50er Jahre einzig gangba-re Weg, zu einer funktionierenden Wirt-schaft im Osten Deutschlands zu kommen,lag also im Aufbau neuer schwerindustriellerKapazitäten. Er war, was den Schwerma-schinenbau betraf, durch sowjetische Repa-rationsforderungen nach Ausrüstungen fürBergbau und Metallurgie auch bereits vor-gezeichnet. Der erste Fünfjahrplan sah vor,

28 Betriebe des Schwermaschinenbaus und15 VEB der Grundstoffindustrie vorrangig zuentwickeln. Bei den schwerindustriellenInvestitionsobjekten handelte es sich über-wiegend um Erweiterungs- und Neubautenim Bereich der Eisen- und Stahlindustrie.Letztere Vorhaben wurden in der Propa-ganda als “Großbauten des Sozialismus”bezeichnet. Für die Errichtung der Neu-bauten spielte die Maxhütte im thüringischenUnterwellenborn eine besondere Rolle. DerBetrieb, bis 1945 Bestandteil eines auch inBayern (Maxhütte in Sulzbach-Rosenberg)angesiedelten Unternehmens, war eines derwenigen alten Hüttenwerke im Osten. ImJahre 1949 konnte – durch eine bessereVersorgung mit Saale-Wasser (an der Aktion“Max braucht Wasser” waren vor allemJenaer Studenten in Arbeitseinsätzen betei-

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(Foto: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Fotoarchiv)Walzstraße Maxhütte Unterwellenborn

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ligt) und andere Rekonstruktionsmaßnahmen– der Betrieb mit allen vier vorhandenenHochöfen wieder aufgenommen werden.Die Qualifikation und die Erfahrungen derHüttenwerker von der Saale waren an derOder hochwillkommen, als dort bei Fürsten-berg (zeitweise auch Stalinstadt, späterEisenhüttenstadt genannt) das Eisenhütten-kombinat Ost (EKO) errichtet wurde. Dortkonnten bis 1954 sechs Hochöfen in Betriebgenommen werden. Während das EKO mitsowjetischem Erz und polnischer Steinkohlebeliefert werden musste, wurden das neuer-richtete Eisenhüttenwerk West in Calbe beiMagdeburg mit Roh- und Brennstoffen ausder DDR selbst versorgt. So eine großeBedeutung diese Werke für den DDR-Maschinenbau auch hatten, so war die Her-stellung der metallurgischen Erzeugnisse, ver-

glichen mit (wegen des Wirtschaftskriegesnur theoretisch möglichen) Importen aus demWesten extrem kostenungünstig. Das galtauch für die Wiedereröffnung des Kupfer-erzbergbaus südlich des Harzes. DasKupferkombinat Mansfeld war in den 50erJahren – nach der sich weiterhin faktisch insowjetischen Händen befindlichen Wismut-AG – das zweitgrößte Industrieunternehmender DDR. An den (1956) insgesamt 655Mill. Mark Verlust machenden Betrieben derzentralgeleiteten volkseigenen Industriewaren Großbetriebe der Bereiche Kohle undMetallurgie zu 83 % beteiligt. Dazu gehör-ten auch die Mehrzahl der auf der Basis vonRohbraunkohle arbeitenden, im Rahmen derEnergie- bzw. Kohle- und Energieprogrammevon 1954 und 1957 errichteten neuenGroßkraftwerke (Kohleverbundkraftwerke) in

(Foto: Sächsisches Wirtschaftsarchiv e.V., Fotosammlung)Berufsausbildung 1960

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der Lausitz – Berzdorf, Trattendorf undLübbenau – deren Aufgabe es war, denStromabschaltungen bei Industrie und Ver-brauchern ein Ende zu machen.

4.2 Strukturentscheidungen für die wissen-schaftlich-technische Revolution: Die För-derung der “Fortschrittsindustrien” in den60er Jahren

Ende der 50er Jahre wurde die Sowjetunionbei metallurgischen Produkten lieferfähig. Inden 60er Jahren konnte deshalb in der DDRdie Stahlindustrie von Massenstählen aufQualitätsprodukte (“metallurgische Produkteder 2. Verarbeitungsstufe”) umgestellt wer-

den. Die Eigenherstellung von Eisen undStahl war auch deshalb nicht mehr überle-benswichtig, weil an ihre Stelle andere sym-bolträchtige Erzeugnisse einer modernenund zukunftsfähigen Industrie traten: Petro-chemie und Elektronik. Als Land ohne Erd-ölquellen tat sich die DDR mit der Umstellungder Chemischen Industrie vom traditionellenAusgangsstoff Braunkohle (Karbonchemie)zur Petrochemie besonders schwer. Zwarwurde das “Chemieprogramm” von der SED-Führung bereits 1959 verkündet, doch dau-erte es bis 1965, ehe über eine Pipeline vomUral das erste Erdöl in das neuerrichteteChemieverarbeitungswerk Schwedt an derOder floss. Als noch wichtiger angesehenwurde die Entwicklung der Daten verarbei-tenden Industrie und die Herstellung vonAutomatisierungsmitteln.

(Foto: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Fotoarchiv)Brigade des VEB Stern-Radio in Berlin 1969

34In der Reformrichtlinie von 1963 hatte dieSED-Führung erneut die Forderung formuliert,“die Überlegenheit unserer sozialistischenOrdnung gegenüber dem kapitalistischenSystem in Westdeutschland auch auf ökono-mischen Gebiet zu beweisen.” Wie diesesZiel erreicht werden sollte, war indessenSED-Chef Ulbricht bis Mitte 1968 noch nichtklar. Als er auf eine sowjetische Pressever-öffentlichung aufmerksam gemacht wurde, inder ein Forscher sich zu den künftigen Gene-rationen von EDV-Anlagen äußerte, kamUlbricht der auf die ost-west Konkurrenzgemünzte Gedanke vom “Überholen ohneeinzuholen”. Als Ausgangspunkt war antechnische Lösungen gedacht, die im Wes-ten noch nicht existierten. Nur so könne mansich auf technologischen Gebiet an die Welt-spitze setzen. Ulbricht gefiel “Überholenohne einzuholen” so gut, dass er die Wortenach 1968 zum Slogan eines ehrgeizigen

Aufholprogramms machte. “Strukturbestim-mende Haupterzeugnisse und Erzeugnis-gruppen” wurden von der SPK festgelegt undwiederum Betriebe ausersehen, auf denenein Großteil der Investitionsmittel konzentriertwerden sollte. Das Kombinat Carl Zeiss Jenaerhielt 1968 Investitionsmittel für neueWerkskomplexe in Jena und Göschwitz. Imgleichen Jahr wurde beschlossen, Jena zumSitz eines Großforschungszentrums fürRationalisierungs- und Automatisierungs-technik zu machen. Als “eine adäquateräumliche Gestaltung zu den Spitzenleistun-gen des wissenschaftlichen Gerätebaus”wurde der Bau eines Hochhausturmes mittenim Stadtzentrum in Angriff genommen.

Die gewaltigen Investitionsmittel für die “Fort-schrittsindustrien” sollten unter anderemdurch Einsparungen in anderen Wirtschafts-bereichen zur Verfügung gestellt werden.

(Foto: Sächsisches Wirtschaftsarchiv e.V., Fotosammlung)Deutscher Bauernkongress 1968

35Deshalb wurden gleichzeitig die Investi-tionen in Industriezweigen heruntergefahren,die “unmodern” geworden waren bzw.kostenungünstig produzierten. Ein Großteilder nur noch minderwertige Kohle enthalte-nen Braunkohletagebaue im Revier zwischenHalle und Leipzig wurde zu Gunsten desLausitzer Reviers, an denen in den 60erJahren die Kraftwerke Vetschau und Boxbergerrichtet wurden, aufgegeben. Zu den zu-rückzuführenden Produktionen gehörte auchder Steinkohlenbergbau der DDR. Im west-sächsischen Steinkohlenrevier um Zwickauwar die Kohleförderung seit Jahren rückläu-fig. Sie belief sich 1967 auf 1,8 Mill. t. Eswaren jedoch weniger die schrumpfendenVorräte als die schwierigen und mit hohenKosten verbundenen Abbaubedingungen,die 1967/68 zu Beschlüssen führte, dieSteinkohlenförderung im Zwickauer Revierschrittweise einzustellen. Während dieGrubenleistung in Kilogramm verwertbarerFörderung je Mann und Schicht im Auslandzwischen 2200 und 3500 kg lag, betrugsie im Steinkohlenbergbau der DDR etwa750 kg. Das machte die DDR-Kohle doppeltso teuer wie Importe. Die Beschlüsse sahenvor, das Revier zu schließen, die heimischeSteinkohle durch andere Energieträger, vorallem sowjetisches Erdöl, zu ersetzen und die benötigte Kokskohle aus Polen zu impor-tieren. Mit der Umsetzung des Beschlusseswurde zügig begonnen. Bereits 1970 konn-te ein großer Teil der 16.000 freiwerdendenArbeitskräfte im Raum Karl-Marx-Stadt(Chemnitz) in Betriebe der sich ausdeh-nenden “Fortschrittsindustrien” umgesetzt werden, darunter in den elektronische (NC-)Steuerungen für Werkzeugmaschinenherstellenden VEB Numerik.

4.3 “Stärkung des Konsumgütersektors” inden 70er und “Braunkohlerenaissance” inden 80er Jahren

Mit Ulbrichts Sturz im Frühjahr 1971 wurdeauch das von ihm initiierte Aufholprogramm,das zum Schluss die Bilanzen der SPK ziem-lich durcheinander gebracht hatte, suspen-diert. Der neue Parteichef Honecker setzteauf dem VIII. Parteitag der SED vom Juniandere Ziele: “Die Hauptaufgabe ... bestehtin der weiteren Erhöhung des materiellen undkulturellen Lebensniveaus des Volkes auf derGrundlage eines hohen Entwicklungstemposder sozialistischen Produktion und desWachstums der Arbeitsproduktivität”. DieserSatz wurde später als Geburtsstunde derStrategie der “Einheit von Wirtschafts- undSozialpolitik” bezeichnet. Er führte einerseitszu verstärkten Importen aus dem Westen.Anderseits erhielten erstmals auch dieKonsumgüterindustrien in größerem UmfangMittel für Modernisierung und Neuinves-tition.

Zwischen 1970 und 1976 erhöhten sich dieBruttoinvestitionen in der Leichtindustrie um58 %, in der Lebensmittelindustrie sogar um133 %, während die Investitionsausgabenfür den Bereich Elektrotechnik/Elektronik/Gerätebau um 27 % zurückgingen. 1971,als Zeiss den Jenenser Turm beziehen konn-te, war der Betrieb zahlungsunfähig; außer-dem waren Großforschungszentren außerMode gekommen. Im Oktober 1972 bezogan Stelle des Kombinats die Universität Jenaden fertig gestellten Hochhausturm.

Der Boom der Konsumgüterindustrien dauer-te allerdings nur bis in die zweite Hälfte der70er Jahre. Die zu Beginn von HoneckersHerrschaft allgemein spürbare deutliche

36bemerkbar machte, blieb der SED-Führungnur der Ausweg, allen Kombinate, egal wassie auch produzierten, einen zehnprozenti-gen Anteil an Konsumgüterherstellung zu ver-ordnen.

Der entsprechende Beschluss des X. Partei-tages vom April 1981 gehörte zu einemMaßnahmepaket, dass alle Kombinate zurEinsparung von Heizöl zwang. Die “Heizöl-ablösung” zu Gunsten der Verfeuerung vonRohbraunkohle führte zu einer mit großenInvestitionskosten verbundenen sowie einenunwirtschaftlichen Dauerbetrieb von Heiz-kraftwerken bewirkenden “Braunkohlerenais-

Verbesserung der Versorgung der Bevöl-kerung setzte sich danach kaum noch fort.Das lag nicht nur daran, dass die Investi-tionsmittel wieder stärker einer “Fortschritts-industrie”, der Mikroelektronik, zugeführtwurden, sondern war auch Folge einer ande-ren zu Beginn der Honecker-Ära getroffenenMaßnahme: Der Verstaatlichung der nochverbleibenden privaten und privat geführtenBetriebe, die hauptsächlich Konsumgüterherstellten. Diese Betriebe wurden anschlie-ßend großen VEB zugeordnet. Die Endferti-gung von Konsumgütern wurde “wegge-plant”. Als das Fehlen mancher der “100kleinen Dinge” sich Ende der 70er Jahre

(Foto: Bundesarchiv, Bild 183, 1988/1026/414)Der 1.000 seit 1907 auf dem Gelände des heutigen VEB Schwermaschinenbau “Georgi Dimitroff” inMagdeburg hergestellte Tagebaubagger, wurde im neuen Tagebauaufschluss Reichwalde an die Kumpel desBraunkohlewerkes “Glückauf” zum Probebetrieb übergeben. (Zeitgenössische Bildlegende des AllgemeinenDeutschen Nachrichtendienstes der DDR, ADN)

37sance” in der DDR. Die Erzeugung von Roh-braunkohle erhöhte sich – bei nachlassen-der Qualität und ständig steigendenAbraumkosten in den neu zu erschließendenRevieren in der Lausitz – von 258 Mill. t1980 auf 310 Mill. t 1988. Ein neues Groß-kraftwerk – Jänschwalde – entstand. Daseingesparte Heizöl ging als devisenträchti-ges Exportgut nach Westeuropa.

4.4 Debakel statt Weltniveau: Die Ent-wicklung der Mikroelektronik in der DDR inden 80er Jahren

Am 12. September 1988 übergab Wolf-gang Biermann, Generaldirektor des Kombi-nates Carl Zeiss Jena, auf der LeipzigerHerbstmesse das erste Muster eines 1-Mega-bit-Speichers an Honecker. Um diese Über-gabe wurde ein gewaltiger Medienrummelorganisiert, der nachweisen sollte, dass dieDDR auch in den 80er Jahren den ihr zuge-schriebenen Platz unter den zehn ersten In-dustrienationen der Welt behauptet hatte.Bei der Übergabe vergaß Honecker nicht,darauf hinzuweisen, dass die DDR nebenden USA, Japan und der Sowjetunion zu denwenigen Ländern gehörte, die die techni-schen Voraussetzungen für die EntwicklungMikroelektronik im eigenen Lande geschaffenhätten. Was als Prestigeobjekt der SED-Füh-rung endete und weltweit den nicht unbe-rechtigten Eindruck der Hochstapelei hinter-ließ, hatte ein Jahrzehnt zuvor als durchausseriöses Unternehmen begonnen.

Den Anstoß zum auf der 6. Tagung des ZKder SED im Juni 1977 gefassten “Beschlusszur Beschleunigung der Entwicklung, Produk-tion und Anwendung der Mikroelektronik inder DDR” hatte nicht Größenwahn in denKöpfen einiger Politbüromitglieder gegeben,sondern deren Sorge um sich verschlech-ternde Exportbedingungen der DDR in diewestlichen Industriestaaten.

Mitte der 70er Jahre kam es zu einemEinbruch beim für die DDR bis dahin siche-ren und auch lukrativen Exportsektor Werk-zeugmaschinen. In den Jahren zuvor war esvor allem in Japan gelungen, neue numeri-sche Steuerungen für Werkzeugmaschinenzu entwickeln. Mit Hilfe der neuen CNC-Steuerung konnten die Werkstücke bedeu-tend exakter gefertigt werden als mit den bisdahin üblichen mechanischen und pneuma-

3. November 1970 im Erfurter Milchhof:Angelika S. am Verpackungsautomaten der Milchin Tüten (Originaltext zum Foto)

(Foto: Stadtarchiv Erfurt)

38

Berlin: F. G. leitet die Jugendbrigade “Ernst Thälmann”im Zentralen Industrieanlagenbau der Metallurgie. DieBrigade ist mit der Industrieroboterfertigung beschäf-tigt. Fred G. übernahm die Endprüfung eines ZIM10/1, ein Roboter der zweiten Generation, der vor-wiegend in der Metallurgie für Schweißprozesse ein-gesetzt wird. Die 14 FDJler der Brigade haben sich indiesem Jahr das Ziel gestellt, 72 technische Einheitenzu montieren. (Zeitgenössische Bildlegende des Allge-meinen Deutschen Nachrichtendienstes der DDR,ADN)

(Foto: Bundesarchiv, Bild 183, 1986/0305/408)

tischen Steuerungen. Technisch waren sieeine Weiterentwicklung der bereits in den60er Jahren verwendeten NC-Steuerungen.Aber erst die CNC-Steuerungen erwiesensich im Einsatz als so ökonomisch, dass dieUmrüstung der vorhandenen Maschinen unddas Bestehen der Kunden auf CNC-Steuerun-gen beim Neukauf von Werkzeugmaschinenden Einbau dieser CNC-Steuerungen für alleProduzenten, die im internationalen Wettbe-werb bestehen wollten, obligatorisch mach-te. Die DDR musste nachziehen. Für den Bauvon CNC-Steuerungen benötigte sie aberMikroprozessoren, deren Herstellung denAufbau einer mikroelektronischen Industrievoraussetzte, den Ulbricht angestrebt hatte,der aber unter Honecker anfangs zurückge-stellt worden war. Die Befürworter einer eige-nen Mikroelektronik in der DDR sprachenaber nicht nur über außenwirtschaftliche Not-wendigkeiten, sondern auch von den neuen

Möglichkeiten binnenwirtschaftlicher Ratio-nalisierung und Automatisierung, die eröffnetwürden, wenn die DDR-Wirtschaft “mikrole-lektronisiert”, d.h. mit Computern ausgestat-tet würde. Die Mikroelektronik würde esauch gestatten, in der DDR begehrte, weil inder Bundesrepublik bereits seit längerer Zeitverfügbare technischen Konsumgüter wieFarbfernseher und Uhren mit Digitalanzeigeoder vollautomatische Waschmaschinen zuproduzieren. Mag sein, dass es vor allemdiese Aussichten waren, die Honecker vonder Mikroelektronik überzeugten.

Als in Vorbereitung des “Mikroelektronikple-nums” vom Juni 1976 beraten wurde, wel-chen Weg die DDR einschlagen sollte, warvon dem später betriebenen Alleingang derDDR noch nicht die Rede. Vielmehr sah manin der SED-Führung durchaus den neuen,gewissermaßen internationalen Charakterder Technologie und schlussfolgerte, wie derInsider Gerhard Müller in einer 1989erschienenen Geschichte der DDR-Mikro-elektronik schrieb, dass “bei der schnellenEntwicklung der Mikroelektronik die DDRselbst nicht allein in der Lage” sein würde,“in der gesamten Breite und Vielfalt moder-ne Bauelemente zu entwickeln und herzu-stellen sowie die dazu erforderlichen TSAund Materialien zu produzieren.” Aus dieser

39Erkenntnis heraus wurden seitens der DDRzwei Kooperationsstrategien verfolgt: Zu-sammenarbeit bei der Entwicklung derMikroelektronik mit den übrigen RGW-Ländern und Lizenzen von den westlichenIndustrieländern. Beide Ziele konnten jedochnicht bzw. nur bruchstückhaft verwirklichtwerden. Im RGW war nur die UdSSR techno-logisch so weit vorangeschritten, dass sieernsthaft als Partner der DDR-Mikroelektronikin Frage kam. In der Sowjetunion sperrte sichaber der militärisch-industrielle Komplex ausGeheimhaltungsgründen gegen enge Ko-operation. Selbst diejenigen DDR-Unter-nehmen wie Carl Zeiss Jena, die für dieSowjetunion mikroelektronische Rüstungsgü-ter zu produzieren hatten, waren davon be-troffen. Trotz mehrerer Abkommen über dieZusammenarbeit UdSSR – DDR auf dem Ge-biet der Mikroelektronik in den 80er Jahrenblieb der technologische Zugewinn der DDRim Ergebnis der Kooperation mit der Sowjet-union bescheiden.

Von westlicher Seite wurden infolge einer er-neuten Verschlechterung des Ost-West-Klimas ab Mitte der 70er Jahre die Export-verbote im Bereich Hochtechnologie von derCocom bedeutend verschärft. Um die Em-bargobestimmungen zu umgehen, entschiedsich die DDR für den illegalen Technologie-transfer. Zu dessen Hauptorganisatoren zähl-ten der Bereich Kommerzielle Koordinierung(Koko) im Ministerium für Außenhandel, andessen Spitze Alexander Schalck-Golod-kowski stand und die bis 1986 von MarkusWolf geleitete Hauptverwaltung Aufklärung(HVA) mit ihrer Sektion Wissenschaft undTechnik (SWT) sowie die ebenfalls im Minis-terium für Staatsicherheit (MfS) angesiedelte“Hauptverwaltung zum Schutze der Volks-wirtschaft” (HA XVIII). Für sich genommenwaren die Aktivitäten zur Beschaffung von

Blaupausen und Musterexemplaren meisterfolgreich. In diesen Bereichen wurde “pro-fitabel gearbeitet”. Jedoch konnte auch mitHilfe fleißiger Wirtschaftsspione das Em-bargo nicht an allen Stellen umgangen wer-den. Auch lagen die Preise für die illegalerworbene Hightech gewöhnlich höher alsauf dem (für die DDR gesperrten) Weltmarkt.Viel schwer wiegender aber war, dass imGegensatz zu Lizenzerwerbungen, mitderen Hilfe z.B. Siemens den Anschluss andas von japanischen und US-Konzernenbestimmte Weltniveau auf dem Gebiet derMikroelektronik fand, beim illegalenTechnologietransfer keine Serviceleistungenfür Maßnahmen zur Inbetriebnahme, für denlangfristigen Betrieb bzw. für die Beschaf-fung von Ersatzteilen vereinbart werdenkonnten. Hinzu kam die Unsicherheit, die mitden informellen Geschäften generell verbun-den war.

Statt der ursprünglich geplanten internationa-len Kooperation auf dem Gebiet der Mikro-elektronik kam es in den 80er Jahren zumVersuch, die Mikroelektronik in der DDR über-wiegend autark zu entwickeln. Damit aberwar das kleine Land von den Ressourcen herüberfordert. Es gelang trotz Milliardeninves-titionen nicht, den 1976 auf dem Mikroelek-tronikplenum erstmals öffentlichen benanntenRückstand der DDR gegenüber den ihreProduktion im hohen Tempo modernisieren-den führenden Mikroelektronikproduzentenaufzuholen. Die sich ständig verringerndenKostensätze des Westens wurden nicht imEntferntesten erreicht. 1989 belief sich derRückstand der DDR-Elektronikindustrie beiBauelementen und Industrieelektronik aufvier, auf dem Gebiet der Rechentechnik undUnterhaltungselektronik auf sieben und beiErzeugnissen der Nachrichtentechnik auf 13 Jahre.

40Eine der Ursachen des Rückstands in derEntwicklung der Mikroelektronik lag im brei-ten Sortiment, das in der DDR entwickelt wur-de. Nach unterschiedlichen Schätzungendeckte die DDR zwischen 50 % und 83 %ihres Eigenbedarfs an mikroelektronischenBauelementen aus einheimischer Produktion.Die Bundesrepublik versorgte sich hingegennur zu 20-30 % selbst. In der DDR konntennur geringe Stückzahlen produziert werden.Beim 256-KB-Chip z.B. lag diese bei 0,5Mill. Stück pro Fabrik gegenüber einem inter-

nationalen Schwellenwert für wirtschaftlicheFertigungsgrößen von 120 Mill. Stück. DieMissachtung der Wirtschaftlichkeit von Los-größen führte dazu, dass die Herstellungs-kosten dieses Chips Ende der 80er Jahre das15fache des internationalen Durchschnittsbetrugen. Die in den 80er Jahren von derDDR verfolgte Strategie, vom Mikrochip biszum Computer alles produzieren zu wollen,hatte sich als technisch und wirtschaftlichundurchführbar erwiesen.

415. Der Mangel als

systembedingte Erscheinungsform

in der Planwirtschaft

425.1. Mangel an Wirtschaftsgütern undMangelwirtschaft

“Das allgemeine Kennzeichnen der Wirt-schaftslage in Deutschland ist Mangel auffast allen Gebieten”, hatte Fritz Selbmann1947 in einem Vortrag erklärt und dabei aufNachkriegsphänomene wie die noch unzu-reichende Produktion von Rohstoffen und Er-satzteilen, stark reduzierte Lebensmittelver-sorgung infolge geringer Produktivität derLandwirtschaft und Überfüllung Deutschlandsmit Flüchtlingen Bezug genommen, vomAbtransport lebenswichtiger Produktions-anlagen und Entnahmen aus der Produktionganz zu schweigen. Er hätte sich sehr ge-wundert, wenn 40 Jahre später, bei seitdemvervielfachter Produktion und Konsumtion der

gleichen Satz, diesmal nur bezogen auf denöstlichen Teil Deutschlands, bei seinenZuhörern wiederum volle Zustimmung gefun-den hätte. Die Mangelwirtschaft erwies sichnicht – wie erwartet – als ein Nachkriegs-problem, sondern begleitete die DDR ihrLeben lang. Sie war offensichtlich an die Plan-wirtschaft gebunden. Denn in der späterenBundesrepublik verschwand der Mangel anGütern bereits mit der Währungsreform von1948 und der damit verbundenen Einführungder freien Marktwirtschaft.

So störend von der ostdeutschen Bevöl-kerung der Mangel in der späten DDR emp-funden und mit der gleichen Bezeichnung –Mangelwirtschaft – wie die Güterknappheitin den Nachkriegsjahren belegt wurde, sowenig war ersterer mit letzterem identisch.

(Foto: Sächsisches Wirtschaftsarchiv e.V., Fotosammlung)Demonstrationszug 1. Mai 1980

43Der DDR-Bürger hatte in den letzten Jahrender Existenz der DDR mit den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Fleisch auf der Welt (24 x mehr als 40 Jahre zuvor); jeder zwei-te Haushalt konnte sich einen PKW leisten.Wer in der DDR lebte, kannte Armut so gutwie nicht und Obdachlosigkeit überhauptnicht, vor allem weil es keinen Mangel anArbeit gab. Das zeugt davon, dass der vonMillionen stark empfundene Mangel in der

DDR wenig zu tun hatte mit dem Mangel inNotsituationen und auch wenig mit demMangel in marktwirtschaftlich organisierterkapitalistischer Gesellschaften. Der Mangelin Ostdeutschland hatte sich offensichtlichvon einem systemindifferenten zu einemsystemtypischen Mangel gemausert. Worinkam er im Produktionsbereich – zum Konsum-tionsbereich wurde bereits an anderer Stellegeschrieben1 – zum Ausdruck?

(Foto: Bundesarchiv, Bild 183, 1987/0320/407)Bez. Neubrandenburg: Für eine gute Versorgung im Kooperationsbereich sorgen die Fleischer des neuenSchlachthauses des VEB Tierproduktion Groß Miltzow im Kreis Strasburg. In mehreren Verkaufsstellen der anlie-genden Gemeinden werden die frischen Fleisch- und Wurstwaren angeboten. (Zeitgenössische Bildlegende desAllgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes der DDR, ADN)

1 Kaminsky, Annette: Illustrierte Konsumgeschichte der DDR, (Landeszentrale für politische Bildung Thüringen) Erfurt 1999.

445.2. Erscheinungsformen der Mangelwirt-schaft im Bereich der Produktion

In der DDR-Wirtschaft war erstens nicht derFinalproduzent, der Erzeuger von PKW oderMöbeln “König”, sondern der Zulieferer vonMaterial und Halbfabrikaten bzw. Kompo-nenten zur Fertigstellung der Endprodukteoder von Ersatzteilen für die vom Finalprodu-zenten benutzten Maschinen. Die Enderzeu-ger mussten in der Regel lange Wartezeitenin Kauf nehmen, ehe sie die benötigten Gütererhielten. Sie standen beim Zulieferer, auchwenn der laut Plan für die Erfüllung ihrerWünsche zuständig war, gewissermaßen“Schlange”.

Die Mangelwirtschaft äußerte sich zweitensdarin, dass der Finalproduzent, da er – derErfüllung des eigenen Plans wegen – nicht

mehr warten konnte, sich oft genötigt sah, zuanderen, lieferbaren Komponenten Zufluchtzu nehmen. Auch dann wenn diese vongeringerer Qualität oder aus unnötig teue-rem Material (“goldene Bolzen”) waren,oder wenn sie andere als die benötigtenAbmessungen hatten und für den gegebenenZweck erst “zurechtgeschnitten” werdenmussten.

Drittens waren die Finalproduzenten bemüht,sich die dringend benötigten Komponentennotfalls außerhalb des offiziellen Plan-Vertrags-Systems bei anderen Firmen, die –aus welchen Gründen auch immer – überVorräte an diesen Komponenten verfügen, zubesorgen und dafür – ebenfalls “am Plan vor-bei” – eigne Produkte zum Austausch anzu-bieten.

Viertens konnte der Finalproduzent auf dieschwierig zu erlangenden Halbfertigproduk-te ganz verzichten und die entsprechendeProduktion einstellen. Da er einen Plan zuerfüllen hatte, war das natürlich nicht für einedort aufgeführte Erzeugnisart, wohl aber fürbestimmte Produkte bzw. Sortimente inner-halb der im Plan beschriebenen Aufgabemöglich. Viel weniger aber konnte der Be-

Karl-Marx-Stadt: Der VEB DKK Scharfenstein, Produ-zent von Haushaltskühl- und Gefrierschränken, gehörtzu den leistungsstärksten Betrieben des KombinatesHaushaltsgeräte. Auf der Grundlage allseitig erfüllterVerpflichtungen im ersten Quartal, wollen die Werk-tätigen in der Weiterführung ihres Wettbewerbes bisJahresende 10 000 Haushaltskühl- und Gefrier-schränke zusätzlich produzieren. Zu den Neuentwick-lungen gehören der Haushaltskühlschrank “KS 1550”sowie der Waschvollautomat “VA 861E”. Herz jedesKühlschrankes ist der Hermetikverdichter. (Zeitgenös-sische Bildlegende des Allgemeinen DeutschenNachrichtendienstes der DDR, ADN)

(Foto: Bundesarchiv, Bild 183, 1986/0506/402)

45trieb auf die Funktionstüchtigkeit bestimmterMaschinen verzichten, für die Ersatzteile fehl-ten. Allerdings konnten die benötigten Ersatz-teile umständlich nachgefertigt werden.

Fünftens entwickelte ein erfahrener Werk-direktor einen gewissen Horror gegen neueProdukte, die von ihm auf Grund des wissen-schaftlich-technischen Fortschritts eigentlichin die Produktion aufgenommen werden mus-sten. Neue Produkte bedeuten aber auchneue Zulieferabhängigkeiten und mit großerWahrscheinlichkeit auch die Notwendigkeit,Lieferengpässe dank einer der geschildertenMaßnahmen umgehen zu müssen. Mangel-wirtschaft ging so auch einher mit dem Man-gel an Innovation.

5.3. Wirtschaftliche Folgen des Mangels imBereich der Produktion

Der Mangel führte immer wieder zu Produk-tionsstockungen, in der DDR als “Warte- undStillstandszeiten” verbucht. Das war Arbeits-zeit, in der die Produzenten darauf warteten,dass die für die Fertigung benötigten Ma-terialien wieder zur Verfügung standen. Für“Warte- und Stillstandszeiten” wurde den Ar-

beitern der Durchschnittslohn gezahlt (An-sonsten standen sie meist im Leistungslohn).Größere Auswirkungen als auf den Geld-beutel hatten die Warte- und Stillstandszeitenallerdings auf die Arbeitsmoral, zumal dieWerkleitung, in ihrem Bestreben, den Plan zuerfüllen, die eingetretenen Produktionsver-luste dann durch Überstunden, oftmals auchdurch Wochenendarbeit, zu kompensierenversuchte. Insofern konnten sich die Arbeiterin der DDR über die geringere Arbeits-intensität (im Vergleich zum kapitalistischenArbeitsregime) wenig freuen. Die immer wie-der eintretenden Produktionsstockungen führ-ten oftmals zu einem Dauerfrust, der übergenerell sinkende Arbeitsintensität auch zumRückgang der Arbeitsproduktivität führenkonnte.

Der Mangel, genauer: der Versuch seinerÜberwindung, erforderte Improvisation undverlangte Findigkeit. Diese Eigenschaftendes mittleren und höheren Leitungspersonals,

Bez. Halle: Eine rechnergestützte Anlage für denEntwurf und die Fertigung von Spinndüsen für dieChemiefaserproduktion wurde im VEB Spinndüsen-werk Gröbzig vorfristig übergeben. Innerhalb von 15 Minuten kann jetzt die Produktion einer neuenDüse gestartet werden, da Auftragsbearbeitung,Konstruktion und Entwicklung der Fertigungstechno-logie vollständig über Computer laufen. Anschlie-ßend werden in der Gütekontrolle die Spinndüsenmikroskopisch begutachtet. (Zeitgenössische Bild-legende des Allgemeinen Deutschen Nachrichten-dienstes der DDR, ADN)

(Foto: Bundesarchiv, Bild 183, 1987/0409/414)

46aber auch der Facharbeiter, von westdeut-schen Soziologen nach der Wende als“Chaosqualifikation” bezeichnet, führtennicht zu höherer betrieblicher oder volkswirt-schaftlicher Effizienz, sondern letztlich zumGegenteil: Eigentlich anderswo eingesetzteBeschäftigte qualifizierten sich zu “Beschaf-fern”, findige “Rationalisierungsmittelbauer”stellten mit einfachen Werkzeugen Ersatz-teile her, die in den Maschinenfabriken in derbenötigten Menge eigentlichen am Band,und damit für einen Bruchteil des Arbeitsauf-wandes, produziert werden sollten; Maschi-nen und Anlagen in den “Nichtschwer-punktzweigen”, wurden wegen fehlenderErsatzteile oder weil verschlissene Maschi-nen nicht ersetzt werden konnten, für dieFortsetzung der Produktion “zusammenge-flickt”. Sie konnten nur noch schonend gefah-ren werden und waren deshalb quantitativ

und oft auch qualitativ weniger leistungs-fähig. Auch das wirkte sich negativ auf dieArbeitsproduktivität bzw. die Erzeugnisgüteaus. Erstere betrug nach Einschätzungenwestdeutscher Forschungsinstitute 1983 fürdie Industrie etwa die Hälfte (52%) desNiveaus der Bundesrepublik. In diesemSinne schwächte die Mangelwirtschaft ein-deutig die Wirtschaftskraft der DDR.

Darüber hinaus bewirkte der ständigeMangel eine Orientierung auf die Menge,nicht auf Erzeugnisqualität und höheres tech-nologisches Niveau. Volkswirtschaftlich ge-sehen schlug sich das in einem Beharren aufextensiver Entwicklung nieder, auch als – seitetwa Mitte der 70er Jahre – eine Intensivie-rung der Produktion längst angesagt und not-wendig war.

Paradoxerweise stand der Mangel an Pro-duktionsmitteln mit seinem Gegenteil – einerübermäßigen Bevorratung – in engem Zu-sammenhang. Jeder Betrieb trachtete da-nach, im Plan ein wenig mehr an Material,Ersatzteilen usw. zugesichert zu bekommen,als er eigentlich brauchte, um Vorräte anle-gen zu können. Dies geschah zunächst vorallem, um bei einer Stockung der Zulieferung

Klinkerwerk/Normalklinker spezielle Klinkersteine fürden Schornstein und Kanalbau werden in demKlinkerwerk Lichterfeld, Kreis Finsterwalde, gebrannt.Automatische Anlagensteuerung und Robotertechnikermöglichen es den 180 Mitarbeitern des Werkes, indem Ende Mai (1988) der Dauerbetrieb aufgenom-men wurde, künftig 26 Millionen Stück dieserBausteine pro Jahr zu produzieren. Das ist das Drei-fache der veralteten und stillgelegten Produktionsstätte.Für die Anlagenfahrerin A. R. haben sich die Arbeits-bedingungen an der mordernen Strangpresse wesent-lich verbessert. (Zeitgenössische Bildlegende desAllgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes der DDR,ADN)

(Foto: Bundesarchiv, Bild 183, 1988/0727/401)

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weiter produzieren zu können, später viel-leicht auch, um mit den Vorräten im Interesseder besseren eigenen Versorgung einenKompensationshandel mit anderen Betrie-ben zu betreiben. Bei diesen Vorräten han-delte es sich um nichtgenutzte Werte, umVergeudung von Akkumulationsmitteln. Diese“außerplanmäßige” Bevorratung führte,obwohl aus betriebswirtschaftlicher Sichtunter planwirtschaftlichen Bedingungenplausibel, volkswirtschaftlich zur Verschwen-dung. Sie war genau das Gegenteil derdamals aufkommenden Kosten sparendenund effizienzsteigernden “just in time”–Strategien westlicher Unternehmen.

5.4. Die Ursachen der Mangelwirtschaft

Über die Ursachen der Mangelwirtschaftund auch darüber, ob der Mangel an Güternwirklich der Planwirtschaft systemimmanentist, oder ob er bei kluger Wirtschaftspolitikdoch hätten vermieden werden können, gibtes bis heute unter den Wirtschaftswissen-schaftlern unterschiedliche Auffassungen.Generell anerkannt ist, dass Mangelerschei-nungen auch bei steigenden Produktions-zahlen und einer expandierenden Wirtschaftauftraten und mit dem Ablauf des Planungs-prozesses zu tun hatten. Die zentral vorge-gebenen Planziele der DDR waren in derRegel zu ehrgeizig. Zu geringe Reserven

(Foto: Sächsisches Wirtschaftsarchiv e.V., Fotosammlung)Wendeschweißautomat, um 1985

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wurden, wenn überhaupt, eingeplant.Sobald Planvorgaben nicht erfüllt werdenkonnten, machte sich das beim Konsumentenoder beim Endproduzenten als Mangel be-merkbar. Da half auch wenig, wenn im Laufedes Jahres der Plan“präzisiert”, d.h. nachunten korrigiert wurde. Das geschah für denjeweiligen Betrieb. Die dem Plan zu Grundeliegenden Verflechtungsberechnungen die-ses Betriebes mit Zulieferern und eventuellenWeiterverarbeitern waren in der Regel in diePlanpräzisierung nicht einbezogen. Darausergab sich eine Differenz zwischen demursprünglichem und den tatsächlich realisier-baren Ausmaß der materialbilanziertenarbeitsteiligen Beziehungen.

Natürlich hätte man auch anders planenkönnen: weniger ehrgeizig von Seiten derZentrale. Man hätte auch größere Reserven(zusätzliche Investitionsgüter oder Ma-terialien) einplanen können. Von Ehrlichkeitund Augenmaß bei der Herstellung derPläne, vom selbstlosem Einsatz der Werk-leitung und der Werktätigen zur unbedingtenPlanerfüllung, war oft die Rede. Wettbe-werbe wurden zwischen “sozialistischen Bri-gaden” immer wieder zu diesem Zweckgeführt. Realisiert wurde diese Art derPlanung und Planerfüllung, die im Planjahreinen reibungsarmen Produktionsablauf gesi-chert hätte, jedoch selten. Wenn ein Phä-nomen immer wieder auftritt, obwohl eigent-

(Foto: Bundesarchiv, Bild 183, 1989/0613/404)Mit Null-Fehler-Produktion sichern die Zeitzer ZEMAG-Kollektive die anerkannt hohe Qualität ihrer Großgeräte,von denen zwei Drittel das Gütezeichen “Q” tragen. Wichtigster Partner des TAKRAF-Kombinatsbetriebes ist dieSowjetunion, an die 90 Prozent der ZEMAG-Erzeugnisse geliefert werden. Auf der Taktstraße entstehen täglichvier Großgeräte.(Zeitgenössische Bildlegende des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes der DDR, ADN)

49dung des Arbeitskräftepotenzials durch Un-terbeschäftigung). Sie bedeutet auch nicht,dass der Mangel zu jeder Zeit gleich starkspürbar ist. Das liegt erstens daran, dass“äußere” Faktoren, die sich nicht aus demWirtschaftssystem ableiten lassen, denMangel verstärken oder abschwächen kön-nen. Zweitens können die vom Wirtschafts-system ausgehenden Wirkungen zeitlichunterschiedlich ausgeprägt sein.

lich alle Beteiligten das gern verhindernmöchten, dazu aber offensichtlich nicht derLage sind, dann kann man m. E. von einerim System begründeten Schieflage spre-chen.

Systembedingte Mangelwirtschaft heißtnicht, dass das System daran in letzter Konse-quenz zu Grunde gehen muss (Genausowenig wie die kapitalistischen Marktwirt-schaften an der millionenfachen Verschwen-

(Foto: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Fotosammlung)VEB Kombinat Vereinigte Spielwarenwerke Sonneberg “Sonni”

505.5. Verstärkung bzw. Abschwächung desMangelwirtschaft durch nicht systembe-dingte Einflüsse und durch Reformen imWirtschaftssystem

Die auf den ersten Blick einfachste Möglich-keit, den Mangel an konkreten Komponen-ten, Ersatzteilen usw. zu mildern bzw. zubeseitigen, ist der Bezug der knappen Güterüber den Außenhandel. Tatsächlich erwiessich der Außenhandel mit der UdSSR als einwesentlicher Faktor für die Verringerung desRohstoffmangels in der DDR. Doch dieseLösungsvariante war an zwei Bedingungengeknüpft: Erstens musste die DDR die Roh-stoffeinfuhren mit der Lieferung von Fertig-erzeugnissen kompensieren. Zweitens mus-ste die Sowjetunion lieferfähig sein. Siekonnte oder wollte dies aber nicht unbe-grenzt, weder bei Eisen und Stahl währendder weltweiten Aufrüstung in der Zeit desKoreakrieges zu Beginn der 50er Jahre,noch in den Zeiten der Erdölhöchstpreise aufdem Weltmarkt von Mitte der 70er bis Mitteder 80er Jahre. Darüber hinaus waren dieWirtschaften der Sowjetunion und der ande-ren RGW-Länder Knappheitswirtschaftenwie die der DDR und litten unter Produktions-stockungen, die dann zur Verzögerung bzw.sogar zum Ausfall langfristig geplanterLieferungen an die DDR führten. Mit derarti-gen Knappheitsproblemen wie im SW hattedie DDR es im NSW nicht zu tun. DasAngebot auf dem Weltmarkt war – für diemeisten Wirtschaftsgüter – quantitativ undqualitativ unbegrenzt. Aber die für denBezug der Waren benötigten Devisen mus-ste die DDR durch eigene Exporte erst erar-beiten. Dies war nun wieder seitens der DDR-Wirtschaft keineswegs unbegrenzt möglich.Die Aufnahme von Krediten – wie in den

70er Jahren – verschob das Kompensations-problem, hob es aber nicht auf.

Darüber hinaus gab es auch politischeEinschränkungen des Zugangs der DDR-Volkswirtschaft zum “freien Markt”. Diesesind auf den – mit geringerer oder größererIntensität – während der gesamten Existenzder DDR geführten Wirtschaftskrieg desWestens gegen die “kommunistischenStaaten” zurückzuführen. Während der 50erJahre benutzten erst die Westalliierten unddann die Bundesregierung selbst denInterzonenhandel, um die DDR-Wirtschaftdurch die Verweigerung des Bezugs vonbestimmten Erzeugnissen (vor allem vonKohle und Stahl) zu destabilisieren. Das führ-te für die ostdeutsche Wirtschaft zu bedeu-tenden Effizienzverlusten. Teilweise, weilnicht weiter gearbeitet werden konnte, wennbestimmten Stahlsorten plötzlich nicht mehrlieferbar waren und erst auf Umwegen (u.a.an Cocom vorbei) besorgt werden mussten.Vor allem aber, weil man, um eine halbwegssichere Zulieferbasis zu haben, mit bedeu-tenden Kosten eine eigene Eisen- undStahlindustrie in der DDR aufbauen musste.Die gleiche Situation wiederholte sich aufdem Gebiet der Mikroelektronik seit Mitteder 70er Jahre. In diesem Falle waren dieAuswirkungen nicht nur größer, sondern derSchaden erwies sich letztlich als nicht mehrreparierbar. Im Unterschied zur Metallurgiegelang es der DDR bis 1989 nicht, eineeigene, konkurrenzfähige mikroelektroni-sche Basis aufzubauen, was wesentlich zurPolitik des “Exports um jeden Preis” der 80erJahre und damit zum Abfluss von National-einkommen aus der DDR in Milliardenhöhebeitrug – Mittel, die dann für Investitionen inder DDR selbst nicht mehr zur Verfügung stan-den.

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Zu den nicht systembedingten Einwirkungengehört ferner auch die demographischeEntwicklung, die in der Regel nicht, schongar nicht kurzfristig, durch die Gesellschaftoder gar den Staat zu beeinflussen ist. Diesystemimmanente Knappheit von Arbeitskräf-ten in der DDR wurde in den 50er sowie den70er und 80er Jahren dadurch gemildert,dass auf Grund der höheren Geburtenrate15 bis 20 Jahre zuvor mehr junge Arbeits-kräfte in den Produktionsprozess eintraten alsBeschäftigte aus ihm ausschieden. Außer-dem standen ausländische Arbeitskräfte –vor allem Vietnamesen – zur Verfügung.

Entscheidend für den Grad der Knappheit –in diesem Fall an Arbeitskräften – waren dienicht systemimmanenten Faktoren jedoch

nicht. Denn die DDR-Wirtschaft hatte anArbeitskräfteknappheit in den demogra-phisch günstigen 70er Jahren mehr zu leidenals in den demographisch ungünstigen 60erJahren, als sich die niedrige Geburtenrateder Kriegs- und Nachkriegszeit auf die Zahlder ins Berufsleben eintretenden DDR-Bürgernegativ auswirkte. Zwar klagten die Betriebeauch während der 60er Jahre (schon vor-beugend) über Arbeitkräftemangel, dochwurde er nicht zur “Produktionsbremse” wiespäter. Tatsächlich gelang es, den demo-graphisch bedingten Rückgang der Beschäf-tigten, der in die Hunderttausende ging,durch Einsparung von Arbeitskräften, haupt-sächlich auf dem Wege betrieblicher Ratio-nalisierung, zu kompensieren. Zum sorgsa-men Umgang mit Arbeitskräften bzw. -löhnen

(Foto: Stadtarchiv Erfurt)Vietnamesiche Werktätige mit ihrem Lehrmeister im VEB Presse- und Scherenbau Erfurt 1968, (Originaltext zum Foto)

52als gewinnmindernden Kostenfaktor regtedas “Neue Ökonomische System” an, mitdem die Eigenverantwortung der Betriebe fürihre Erzeugung sowie ihre Ausstattung mitmateriellen und finanziellen Mitteln ange-strebt und teilweise verwirklicht wurde.Wenn überhaupt jemals, dann wurdewährend der 60er Jahren in der DDR der

Mangelwirtschaft ernsthaft und teilweiseerfolgreich der Kampf angesagt. Allerdingsscheiterte die Reform 1970 am System,weniger am wirtschaftlichen als am politi-schen. Beide waren zu DDR-Zeiten untrenn-bar miteinander verbunden. Und so blieb dieMangelwirtschaft Markenzeichen von 40Jahren Wirtschaftsentwicklung in der DDR.

Im VEB Feuerungsanlagenbau Holzhausen werdenTeile für die Mahlkammer, in denen Rohbraunkohlezerkleinert wird, bis zu einem Durchmesser von 3,27m bearbeitet. Das Werk, ein Betrieb desKombinat Kraftwerkanlagenbau Berlin, ist wichtigerZulieferer für die Industrie- , Heiz- und Konden-sationskraftwerke der Republik. (ZeitgenössischeBildlegende des Allgemeinen Deutschen Nach-richtendienstes der DDR, ADN)

(Foto: Bundesarchiv, Bild 183, 1989/0223/402 KB)

536. “So wie wir heutearbeiten, werden wir

morgen leben!”Wirtschaftsalltag und diewirtschaftliche Seite des

Alltagslebens

54September/Oktober des jeweiligen Jahreswieder “nach oben” in die Ministerien unddie SPK. Dort blieben die Einwände aus denKombinaten und Betrieben in der Regel un-beachtet. Nach Beratungen mit dem Wirt-schaftssekretariat des ZK der SED legte diePlankommission sogar oft noch etwas auf diestaatlichen Forderungen vom Frühjahr draufund gab sie dann an die Betriebe und Kom-binate zurück.

In den Betrieben kannte man natürlich dieseVorgehensweise. Die Kombinats- und Be-triebsdirektoren waren deshalb bestrebt, sichgegen die überzogenen Planvorgaben “vonoben” zu wappnen, indem sie ihre wahrenProduktionsmöglichkeiten verschleierten undunterhalb der Höchstauslastung planten, umdie zu erwartenden umfangreicheren staatli-chen Planvorgaben doch noch erreichen zukönnen.

Rein theoretisch hätten sich Betriebsleitungenund Plankommission bzw. Ministerium natür-lich gleich auf realistischere Plankennzifferneinigen können. Das hätte manche krummenManöver, viel Papier und Tausende mit Plan-rechnungen aller Art vergeudete Arbeits-stunden gespart. Aber das war – mit teilwei-ser Ausnahme der 60er Jahre, als zurVerhinderung “weicher Pläne” “ökonomischenHebel” eingesetzt wurden – offensichtlichnicht möglich. So blieb nur noch das “Planpo-ker” als aufwändiges Regulierungsinstrumentfür die jährliche Erzeugung. Wer es beherrsch-te, der galt als ein erfolgreicher Direktor.

Aber auch wenn es den Betrieben nichtgelang, mit Tricks realistischere Pläne durch-zusetzen, bestand noch eine Möglichkeit zurPlanerfüllung. War der Werkleiter gewitztgenug, die Plankommission davon zu über-zeugen, dass nicht sein Betrieb, sondern

6.1 “Plandiskussion”: Zur Rolle der Werk-leitungen und Belegschaftsvertretungen imPlanungsprozess

Die zentrale Wirtschaftslenkung vollzog sichin der Praxis nicht mittels der propagandis-tisch hervorgehobenen “Perspektivpläne”,sondern über die Jahresplanung.

Das Konzept des wichtigsten Planteils, desjährlichen Produktionsplanes, wurde ge-wöhnlich im Januar/Februar eines laufendenJahres für das nächstfolgende Jahr in der SPKdurch Konsultationen mit den Branchenminis-terien sowie durch die “Querschnittsminis-terien” für Finanzen, Wissenschaft und Tech-nik, Außenhandel sowie Materialwirtschafterarbeitet. Grundlage war die Analyse desWirtschaftsablaufs im Jahr zuvor sowie dieEinschätzung des Plananlaufs für das begin-nende Jahr.

War man sich “oben” auch bewusst, dassman nicht einfach die gewünschten Planzielevorgeben konnte, so sollten die Betriebe,VVB und Kombinate mittels der Planaufgabedoch zu höchstmöglicher Leistung verpflich-tet werden. Dazu diente aus der Sicht desMinisteriums auch die “Plandiskussion” inden Betrieben, an der, von den Gewerk-schaften organisiert, die Betriebsangehö-rigen teilzunehmen hatten. Der wirkliche Akteur der Plandiskussion war die Betriebs-leitung. Sie versuchte, für das Unternehmengünstigere, d.h. eher zu erfüllende Aufga-ben, u.a. mittels Sortimentsverschiebung, als“Initiative der Werktätigen” auszugeben.

Die Plankennziffern, mit Kommentaren undKorrekturwünschen “von unten” versehen,gingen, nachdem die “Planrunde” in den Be-trieben und im Kombinat beendet war, im

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äußere Einflüsse den Rückstand in derPlanerfüllung bewirkt hatten, dann winkteihm spätestens zum IV. Quartal des Jahreseine “Planpräzisierung”, d.h. eine Reduzie-rung des Jahresplanes. Damit waren die seitEnde der 40er Jahre übliche gewordene Prä-mierung aus dem Direktorfonds bzw. dieJahresendprämie, die in den 70er Jahrenimmer mehr zum 13. Monatsgehalt derWerktätigen in der DDR wurde, gerettet.

Volkswirtschaftlich ließ sich der eingetreteneRückstand natürlich nicht mit einem Feder-strich ausgleichen. Deswegen gab es die“Planpräzisierung” nicht im Abonnement.

Überstunden, um den Monatsplan zu retten,waren auch in den 70er und 80er Jahren invielen Betrieben Gang und Gäbe. Auf Über-stunden musste vor allem zurückgegriffenwerden, wenn unpünktliche ZulieferungenWarte- und Stillstandszeiten verursacht hat-ten bzw. dem Betrieb mitten im Jahr Plan-änderungen (Produktionserhöhungen oderSortimentsveränderungen) vom zuständigenMinisterium “aufgebrummt” wurden, weil“außerplanmäßig” ein akuter Mangel an die-sem oder jenem wichtigen Wirtschaftsguteingetreten war oder sich (vor allem in den80er Jahren) ein günstiges Exportgeschäftanbot.

(Foto: Bundesarchiv, Bild 183, 1989/0427/401)Karl-Marx-Stadt: Eine Reihe umfassender Rationalisierungsmaßnahmen werden im VEB Schwarzenberg in die-sem Jahr voll produktionswirksam. Damit werden auch die hohen Wettbewerbsziele realisiert, in diesem JahrWaschautomaten des Typs WA Kompakt über den Plan zu produzieren. Wesentlich rationalisiert wurde u.a.die Behälterfertigung für den WA Kompakt durch die hochspezialisierte Sonderanlage. (Zeitgenössische Bild-legende des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes der DDR, ADN)

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6.2. Brigaden und Wettbewerbsbewegung

Die (möglichst vorfristige) Erfüllung ihrerAbteilungspläne hatten sich die Brigaden zurAufgabe zu machen. Deren eigentlicheGeschichte begann im März 1950 mit dervom FDGB organisierten massenhaften Bil-dung von Arbeitsbrigaden. Anfang der 50erJahre war etwa ein Drittel, Mitte der 50erJahre die Hälfte der Industriearbeiter in Ar-beitsbrigaden organisiert. Die – ebenfalls imAuftrage der Partei und zusammen mit derFDJ vom FDGB initiierten – “Brigaden dersozialistischen Arbeit” gab es seit Anfang1959. Anders als im Falle der Arbeitsbriga-den verpflichteten sich ihre Mitglieder nichtnur “sozialistisch zu arbeiten”, sondern auch“sozialistisch zu lernen und zu leben”. Ver-glichen mit den schon bestehenden Arbeits-brigaden sollte sich in den sozialistischenBrigaden die “progressive Elite” der Indus-triearbeiter zusammenfinden. Aber bereits

ab 1960 war knapp die Hälfte der Arbeiterin den Betrieben in “Kollektiven der sozialis-tischen Arbeit” organisiert, wie die offizielleBezeichnung der Brigaden seit März 1962lautete. Im Jahre 1969 arbeitete erstmals dieMehrheit der Beschäftigten volkseigenerIndustriebetriebe in Brigaden. Bereits zweiJahre später waren es zwei Drittel, 1988sogar 84 %. In anderen Wirtschaftszweigenfand das Brigadesystem nicht im gleichenMaße Anwendung. In der zweiten Hälfte der80er Jahre aber dürfte es kaum einen größe-ren VEB gegeben haben, in dem nicht dieMehrzahl der betrieblichen ArbeitsgruppenBrigaden waren.

Die Brigaden unterschieden sich von bisdahin üblichen Arbeitsgruppen bzw. Kolon-nen mindestens in drei Merkmalen. Siewaren erstens das Resultat einer Entschei-dung der Arbeitsgruppe selbst, d.h. die Bil-dung von Brigaden war Sache der Beteilig-ten. Zweitens schlossen die Brigaden

Flexible Reaktion auf Kundenwünsche sowie Vorzüge in der Arbeitsorganisation und Einführungneuer technologischer Lösungen ermöglicht eineneue rechnergestützte Montagestrecke für Allgasher-de, die kürzlich vorfristig im VEB Gas- und Elektro-werke Dessau in Betrieb ging. Dadurch verbessertensich die Arbeitsbedingungen für die Werktätigenund die Produktivität wurde gesteigert, derzeit ver-lassen täglich mehr als 600 Gasherde die Montage-linien des Werkes.(Zeitgenössische Bildlegende desAllgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes derDDR, ADN)

(Foto: Bundesarchiv, Bild 183, 1988/0203/411)

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(Fotos: Stadtarchiv Erfurt)

58jährlich einen Brigadevertrag mit derWerkleitung und der Betriebsgewerkschafts-leitung (BGL) ab bzw. stellten sich in einemvon beiden Institutionen gebilligtem “Kampf-programm” zur “Erringung des Titels ‘Kollek-tiv der sozialistischen Arbeit’” zusätzlicheProduktionsaufgaben, mit denen (meistens)die Menge der herzustellenden Produkte zuüberbieten oder (seltener) die Qualität derproduzierten Erzeugnisse im Rahmen dergerade propagierten Form des “sozialisti-schen Wettbewerbs” zu steigern war. Diesozialistischen Brigaden übernahmen auchVerpflichtungen, die über den Arbeitsplatzhinausreichten. Diese bezogen sich einer-seits auf Qualifizierungsaufgaben (“sozialis-tisch lernen”). Andererseits umfassten sieunter der Rubrik “sozialistisch leben” kulturel-le oder gesellige Aktivitäten nach Feier-abend und an den Wochenenden bzw.Unterstützungsmaßnahmen für Schulen (“Pa-tenschaften”) oder Kommunen (“Aufbauein-sätze”). Werkleitung und BGL verpflichteten

sich im Brigadevertrag ihrerseits, die für dieErfüllung und Übererfüllung der Produktions-pläne durch die Brigade benötigten Materia-lien und Zulieferungen “kontinuierlich bereit-zustellen”. Die über den Produktionsprozesshinausgehenden Aktivitäten der Brigadedurch Freistellungen (vor allem für Qualifi-zierungslehrgänge) und mit Geld (z.B. fürTheaterbesuche und Brigadefahrten) galt eszu unterstützen. Drittens hatten die Brigadendirekten Einfluss auf die Bestimmung desArbeitsgruppenleiters. Wurden die traditio-nellen Arbeitsgruppen unmittelbar durch denLeiter bzw. mittelbar über eine vom Abtei-lungsleiter bzw. Meister eingesetzte Person(Kolonnenführer, Vorarbeiter, Einrichter) gelei-tet, so stand an der Spitze der Brigade derBrigadier. Obwohl 1950 vom Bundesvor-stand des FDGB keineswegs vorgegeben,setzte sich in den Arbeitsbrigaden rasch dieWahl des Brigadiers aus der Mitte desKollektivs heraus durch.

(Foto: Stadtarchiv Erfurt)Kantine der VEB Kühlmöbelwerkes in Erfurt um 1980

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In der betrieblichen Realität waren allerdingsoft die hier anhand der konstitutiven Momen-te der Brigade erläuterten Unterschiede der“sozialistischen Kollektive” zu den gewöhnli-chen Arbeitsgruppen weniger deutlich: AnStelle der Wahl der Brigadiere trat vielfachderen Einsetzung durch den Meister, aller-dings in Abstimmung mit den Brigademitglie-dern. Freiwilligkeit schloss Nötigung nichtaus. Brigadeverträge hatte die Betriebslei-tung teilweise so weit vorbereitet, dass die Vordrucke nur noch ausgefüllt werden brauch-ten.

Wie hoch der auf diese Art zu Stande ge-kommenen Anteil formal gebildeter Brigadenwar, ist schwer zu bestimmen. Auch eineAussage des Bundesvorstandes des FDGB

vom Juli 1959, “dass kaum die Hälfte (dergemeldeten sozialistischen Brigaden) echtsich dieser Bewegung angeschlossenhaben”, beruhte letztlich auf Schätzungen.Somit lässt sich auch die Zahl derjenigenBrigaden, in denen engagiert um eine Ver-besserung der Produktionsmethoden ge-kämpft wurde, nicht mit Sicherheit bestim-men. Es kann aber angenommen werden,dass der Anteil der “unechten” Brigaden,umso größer war, je mehr von Seiten derSED-Führung Druck gemacht oder materielleAnreize geboten wurden, alle Beschäftigten(zumindest in den Industriebetrieben) inBrigaden zu organisieren. Das war mitSicherheit in den 70er und 80er Jahren derFall.

Eine neue Technologie zur höheren Veredelung vonGewindebohrern wurde im VEB WerkzeugfabrikAltenburg produktionswirksam. In einer Vakuumkam-mer werden die Werkzeuge ionisiert und mit Titan-nitrit beschichtet. Der verschleißfestere Überzug er-höht die Standzeiten der Gewindebohrer auf dasDreifache. In diesem Jahr werden die Altenburger130 000 Stück vom TYP L in den Größen M3 undM10 liefern.(Zeitgenössische Bildlegende des Allge-meinen Deutschen Nachrichtendienstes der DDR,ADN)

(Foto: Bundesarchiv, Bild 183, 1987/0727/412)

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6.3 Brigadealltag: Norm, Arbeitsleistungund Brigadetagebuch

Aktivistentaten sollten vor allem dazu beitra-gen, die der zentralen Führung zu niedrigerscheinenden Arbeitsnormen mit von denArbeitsnormern ermittelten “technisch begrün-deten Arbeitsnormen” in Übereinstimmung zubringen. Im Herbst 1948 legte der HauerAdolf Hennecke nach intensiver Vorbereitungeine besonders große Menge geförderterKohle vor. Seine Leistung sollte allen Werk-tätigen als Ansporn dienen. Der gewünschteErfolg blieb allerdings aus. Die Mehrzahl derNormen blieb “weich”, d.h. es kam zu be-trächtlichen Übererfüllungen und bei Leistungs-lohn zu einem höheren Arbeitereinkommen.Lohnentwicklung und Leistung klafften – mit

Ausnahme vielleicht der 60er Jahre – vor allemim schwerer zu regulierenden Maschinenbaustets auseinander. Nach dem durch zentralangeordneten Normerhöhungen ausgelöstenAufstand des 17. Juni 1953 begnügte sichdie SED-Führung mit Appellen an “ehrliche”Normen, die sich u.a. in den von Ulbricht aufdem V. Parteitag der SED 1958 verkündeten“zehn Geboten der sozialistischen Moral” nie-derschlugen. Für deren Realisierung sollten die“sozialistischen Brigaden” ab 1959 eintreten.

Die in der Normenfrage nunmehr auf sichgestellten Betriebsleitungen wussten um dierelativ starke Position der Arbeiter nach demScheitern einer zentralen Regelung derNormfrage. Sie setzten Normerhöhungennur in dem Maße durch, wie das auf dem

(Foto: Sächsisches Wirtschaftsarchiv e.V., Fotosammlung)Auszeichnung von Kampfgruppenmitgliedern um 1970

61Wege des Kompromisses mit der Beleg-schaft, im “Lohnaushandeln”, möglich war.Im Interesse des gesamten Kollektivs übte sichder Brigadier mit stillschweigender Duldungdes Meisters im “Schreiben von Normer-füllung”.

Mit dem Brigadevertrag war in der Regel dieVerpflichtung verbunden, ein Brigadetage-buch zu führen. Derartige Tagebücher sindvom Ende der 50er bis zum Ende der 80erJahre jährlich zu Zehntausenden geführt wor-den. Demnach wäre das Brigadetagebuchdie ideale Quelle zur Studium der Arbeits-verhältnisse und des Arbeitsklimas in denBrigaden. Das ist jedoch nur bedingt derFall. Am Anfang gab es genug “engagierte”Brigaden, nach deren Auffassung dasBrigadebuch “kein Buch der guten Taten”,sonder eine Widerspiegelung realen be-trieblichen Lebens “ohne Schönfärberei” seinsollte. Aber bereits zu Beginn der 60er Jahrewurde bemängelt, dass der “inneren Aus-einandersetzung” der Brigade im Tagebuchnicht mehr genügend Raum gewidmet wür-de. Diese Tendenz setzte sich in den 70erund 80er Jahren offensichtlich unvermindertfort. Im Jahre 1987 stellte die SchriftstellerinMarga Tschirner in einem Brief an denBundesvorstand des FDGB fest, “dass sichder Inhalt der Tagebücher, im Gegensatz zufrüher, verändert hat. Nicht mehr die Tage-buchform wird gehandhabt, sondern dasSchreiben von Artikeln mit Überschriften überBrigadeausflüge, Besuch in der Patenklasse2

usw. .... Auseinandersetzungen werdenkaum geschildert. Kritische Bemerkungenfehlen, meist auch Probleme der Arbeit”.

6.4 Die Funktionen der betrieblichenSozialpolitik

Lohnerhöhungen kamen in der DDR wenigerüber Tarifverträge, als mittels staatlicherDekrete bzw. durch “weiche Normen” zuStande. Sie machten aber letztlich nur Sinn,wenn mit dem zusätzlichen Einkommen auchentsprechend mehr Güter in den Kaufhallenund Einzelhandelsgeschäften erworben wer-den konnten. Aus den gleichen Gründen wiebei Produktionsmitteln existierte Mangelwirt-schaft auch im Konsumgüterbereich. Eine derMöglichkeiten, den ständig spürbaren Man-gel an gewissen Gebrauchsgütern undDienstleistungen für die Arbeitenden nichtoder weniger spürbar zu machen bestand inder betrieblichen Sozialpolitik.

Der Betrieb war in der DDR nicht nur Arbeits-stätte, sondern bis zu einem gewissen Gradauch Lebensmittelpunkt. Er vermittelte Ur-laubsreisen bzw. Ferienplätze in betriebsei-gene Heime und verfügte über begehrteWerkswohnungen. Bestandteile betriebli-cher Sozialpolitik waren des Weiteren derUnterhalt von Kantinen sowie Werkläden, indem Belegschaftsmitglieder ganz regulärerwerben konnten, was “draußen” “Bück-ware3” war. Im Rahmen der betrieblichenSozialpolitik wurden auch Kindergärten,Sportstätten, Betriebsorchester und Kultur-gruppen eingerichtet und betreut. Finanziertwurden diese sozialen “Extras” überwie-gend aus den Erlösen der Produktion.

2 Vielen Brigaden war eine Schulklasse zugewiesen, mit der die Brigade Freizeitaktivitäten durchführte.3 So wurden Mangelwaren genannt. Ursprünglich deshalb, weil diese waren unter dem Ladentisch versteckt wurden undnur an Bekannte des Verkaufspersonals ausgegeben wurden. Um die Waren zu greifen, mussten sich die Verkäuferinnenund Verkäufer “bücken”.

62Die betriebliche Sozialpolitik erfüllte in derDDR mehrere Funktionen. Für soziale Ver-besserungen hatte die revolutionäre Arbeiter-bewegung seit Jahrzehnten gestritten. DieseVerbesserungen waren betriebsärztlicheVorsorge und Betreuung, Pausenversorgung,Wohnraum und sportliche Betätigung, dieteilweise in Betrieben des Bergbaus und derSchwerindustrie schon vor 1945 durchge-setzt worden waren, doch wurden sie im“Arbeiter-und-Bauern-Staat” DDR flächen-deckend eingeführt. Sozialpolitische Maß-nahmen erleichterten – das galt insbesonde-re für Frauen – die Bewältigung desArbeitslebens. Die betriebliche Sozialpolitikhatte zweitens eine legitimatorische Funk-tion. Lücken in der Versorgung und Betreu-ung, die es generell noch gab, sollten für dieArbeitenden aufgehoben werden. Und dieBelegschaften, vor allem der Schwerpunkt-betriebe, sollten stärker noch als dieGesamtbevölkerung an “Partei und Regie-rung” gebunden werden. Drittens hatte diebetriebliche Sozialpolitik eine ökonomischeFunktion. Sie sollte die Leistungsfähigkeit derWerktätigen sichern (das galt besonders für

die Einrichtungen des betrieblichen Gesund-heitswesens), ihre Leistungsbereitschaft stei-gern, und damit unmittelbar zur Produktiv-kraftentfaltung beitragen. Diese Seite hattebesonders Ulbricht am Herzen gelegen.Unter Honecker nahm vor allem die Legitima-tionsfunktion an Bedeutung zu, da es mitHilfe der betrieblichen Sozialpolitik über län-gere Zeit möglich war, die gegen Ende der70er Jahre nachlassende Qualität der Ver-sorgung im Alltag von den Betriebsbeleg-schaften noch für einige Jahre fernzuhalten.

Werkleiter und Kombinatsdirektoren schätz-ten die betriebliche Sozialpolitik vor allemals Lenkungsinstrument für die Versorgung mitArbeitskräften. Die Hervorbringung und Bei-behaltung einer Stammbelegschaft, Grund-voraussetzung für eine stabile Planerfüllung,vollzog sich im Wesentlichen dadurch, dassmit “Extras” im Bereich der betrieblichen So-zialpolitik freie Arbeitskräfte angelockt odergebundene aus mit Sozialeinrichtungenschlechter ausgestatteten Betrieben abgezo-gen wurden.

637. Zusammenbruchoder Abbruch der

DDR-Planwirtschaft?

647.1 Einschneidende Maßnahmen und ris-kante Geschäfte zur Bewältigung der Schul-denkrise

Die DDR richtete ihre gesamte Wirtschaft aufden Export in den Westen aus. Anteilmäßigstieg der Westexport von 30 % 1980 auf49 % 1989 aller ausgeführten Waren. Dieshatte massive Veränderungen in der Produk-tion zur Folge. Allerdings weniger im Sinndes vom X. Parteitag der SED 1981 in hek-tischer Eile erlassenen 10-Punkte-Programmsin Richtung der Intensivierung und Effektivie-rung. Vielmehr standen hinsichtlich ihrer

volkswirtschaftlichen Auswirkungen nichtdurchkalkulierte Hau-Ruck-Aktionen auf derTagesordnung. Bewusst wurde dabei dieSubstanz der Industriezweige außerhalb desExport- und Elektronikbereichs durch Verrin-gerung der produktiven Investitionen ver-nachlässigt. Gleichzeitig wurden zu Gunstenvon Westexporten auch Abstriche im Kon-sumgüterbereich gemacht. Die spürbare Ver-schlechterung der Versorgung bei hochwer-tigen Konsumgütern und Sortimentslückenbei den “1000 kleinen Dingen” wirkten sichzunehmend auch auf die privilegierte Versor-gung der Beschäftigten von Großbetriebennegativ aus.

(Foto: Bundesarchiv, Bild 183, 1988/0506/420)Im Stammbetrieb des VEB Petrolchemischen Kombinates Schwedt wird seit 1964 Erdöl verarbeitet. DieTreibstoff- und Heizölraffinerie dieser Anfangsjahre ist heute (1988) ein petrolchemischer Produktionskomplex miteinem weitverzeigten Erzeugnisprofil. Treibstoffe, Heizöle, Aromaten, Paraffine, Stickstoffdünger, Faserrohstoffe,Labor- und Feinchemikalien sowie Konsumgüter für den Haushaltsbereich werden im Werk produziert. (Zeitge-nössische Bildlegende des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes der DDR, ADN)

65Immerhin gelang es mit Importkürzungen und“Exporten um jeden Preis” die Handels- undZahlungsbilanz der DDR gegenüber demWesten wieder aktiv zu machen und, wie esdie Bundesbank einschätzt, “ein respektab-les Liquiditätspolster” aufzubauen. Die Schul-den in harter Währung verringerten sich zwi-schen 1982 und 1985 von 25 auf 15,5Mrd. DM. Die DDR-Wirtschaft schien sichkonsolidiert zu haben.

Die teilweise Entschuldung der DDR war vorallem durch die Verarbeitung von aus sowje-tischen Erdöl in den Raffinerien von Schwedtan der Oder hergestellten Erdölderivaten

und deren Export erreicht worden. Das “Erdölgeschäft” war sehr riskant, da dieExportgewinne auf der Differenz zwischen(niedrigeren) sowjetischen und (höheren)Weltmarktpreisen für Öl beruhten. Ende desJahres 1985 fielen die seit 12 Jahren starküberhöhten Weltmarktpreise innerhalb vonwenigen Wochen auf die Hälfte. Dadurchwurden auch die aus dem Derivate-Export-geschäft der DDR erwirtschafteten Devisen-einnahmen um etwa die Hälfte reduziert. Der“umgekehrte Erdölschock” brachte die DDRerneut – und diesmal endgültig – in eineschwierige Lage.

(Foto: Bundesarchiv, Bild 183, 1989/1012/425)Eine moderne Hautcreme-Produktionsstätte ging im VEB Miltitz/Waldsheim vorfristig in Betrieb. Auf hochpro-duktiven Anlagen wird jetzt neben drei Sorten Florena-Creme in neuer 75-Milliliter-Abpackung auch die inter-national renommierte Nivea-Creme für den DDR-Binnenmarkt hergestellt. Eine neue Produktionsstätte wurdedurch das Kosmetikkombinat Berlin in Zusammenarbeit mit den Firmen Beiersdorf AG Hamburg (BRD) und SIAB(Schweden) errichtet. (Zeitgenössische Bildlegende des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes der DDR,ADN)

667.2 Vom Scheitern der wirtschaftlichen Kon-solidierungspolitik zum “Wirtschaften ohneZukunftskonzept”

Als das “Derivategeschäft” nicht mehr funktio-nierte und die Mikroelektronik weiterhin nichtzur Erhöhung der Attraktivität der Maschinen-bauexporte der DDR beitragen konnte, wurdenZahlungsbilanz und Leistungsbilanz wiedernegativ. Die Nettoverschuldung gegenüberdem westlichen Ausland nahm erneut zu, von15,5 Mrd. 1985 auf 19,9 Mrd. 1989.

Schon aus der fast parallelen Entwicklungvon Außenhandelsbilanz und Verschuldungs-entwicklung gegenüber dem NSW wird er-kennbar, dass die teilweise seit der zweitenHälfte der 60er Jahre anfallenden direktenZahlungen der Bundesrepublik an die DDRin Form von Autobahngebühren, über das“Müllgeschäft”4 oder die “KirchengeschäfteA und B” (u.a. Häftlingsfreikäufe) vergleichs-weise wenig Einfluss auf die Zahlungsbilanzder DDR bzw. ihre Westverschuldung hatten.Auch die als spektakulär empfundenen“Strauß’schen Milliardenkredite”5 von 1983und 1984 waren mehr von psychologischer

4 Die Bundesrepublik exportierte gegen hohe Gebühren Müll in die DDR.5 Der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß vermittelte zwei große Bankkredite an die DDR.

(Foto: Bundesarchiv, Bild 183, 1988/0222/400)Eine weitere Leistungssteigerung bei der Produktion von Kupferdraht streben die Metallurgen an der Draht-Gieß-Walzanlage der Kupfer-Silber-Hütte “Fritz Beyling” in Hettstedt an. In diesem Jahr bedeutet das eine Steigerungum 1 500 t des hochwertigen Vormaterials für die Drahtziehereien. 83% aller Erzeugnisse der DWG-Anlagesollen das Gütezeichen “Q” erhalten. (Zeitgenössische Bildlegende des Allgemeinen Deutschen Nachrichten-dienstes der DDR, ADN)

67Wirkung im Vergleich zu einer allerdings mitdauerhaften Schäden für die DDR-Volkswirt-schaft erkauften Exportoffensive. Dies wurdeauch von Seite der Bundesregierung be-stätigt, als der langjährige Bundesfinanzminis-ter Theo Waigel anlässlich des 10. Jah-restages der Währungsunion vor dem Bun-destag erklärte: “Die Transferleistungen derBundesrepublik und die Kredite des Westenstrugen trotz gegenteiliger Äußerungen kei-neswegs zur Verlängerung der Lebenszeit derDDR bei. Sie waren schon von ihrem Volumenher nicht mehr als ein Tropfen auf den heißenStein.”

Eine bedeutende Rolle für die Niedergangder DDR-Wirtschaft spielte neben dem fastvollständigen Verzicht auf ökologische Sa-nierung der Industrie der Verzicht auf

Investitionen außerhalb der Schwerpunkt-zweige. Ende der 80er Jahre waren 21%der Ausrüstungen in der Industrie der DDRbereits über 20 Jahre alt (in der Bundes-republik 6 %). Noch weniger als um dieErhaltung der Maschinen und Anlagen küm-merte man sich um die Werksgebäude. Vonihnen waren 1987/88 45 % älter als 20 Jahre. In vielen Zweigen lebte die DDR-Wirtschaft von der Substanz. Mit Ausnahmeder elektronischen sowie der Datenverar-beitungs- und Büromaschinenindustrie san-ken in den 80er Jahren deshalb auch dieZuwachsraten der Industrieproduktion. Wiedie zunehmende Wachstumsschwäche derDDR-Wirtschaft in der Zukunft abgestellt wer-den sollte, darüber schwiegen sich diePlanentwürfe der DDR für die 90er Jahre aus.Dass die Fehlentwicklung der DDR-Wirt-

(Foto: Sächsisches Wirtschaftsarchiv e.V., Fotosammlung)Montage von Antriebskästen bei dem VEB Bodenbearbeitungsgeräte “Karl Marx” Leipzig, 1987

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schaft Mitte der 80er Jahre unter den Bedin-gungen der SED-Herrschaft und des zentralis-tischen Planungssystems unkorrigierbar wur-de, ist nicht schwer nachzuweisen. Wannsich die Ursachen für den Niedergang derDDR-Wirtschaft herausbildeten ist weitausschwieriger festzustellen. Mit einiger Sicher-heit lässt sich sagen, dass der Niedergangder DDR-Wirtschaft nicht allein einem Ur-sachenkomplex zugeordnet werden kann.Das gilt auch für die Auffassung, dass ihreUnterlegenheit “systembedingt” war, wobeiu.a. neben Mangelwirtschaft auf die demzentralen Planungssystem innewohnenden

wirtschaftlichen Abkapselungs- und Autarkie-tendenzen abgehoben wird. Dieses Argu-ment für sich genommen kann jedoch nichterklären, warum die DDR bis Mitte der 70erJahre, also über zweieinhalb Jahrzehnte,Wachstumsraten des Bruttosozialproduktesrealisieren konnte, die in etwa denen derBundesrepublik und der anderen größerenwesteuropäischen Marktwirtschaften ent-sprachen. Ein zweites Argument nennt –abgeleitet aus der wachsenden Auslandsver-schuldung der DDR – die mangelndeKonkurrenzfähigkeit der unter den Bedingun-gen der Planwirtschaft erzeugten DDR-

(Foto: Bundesarchiv, Bild 193, 1989/0822/405)Im Stahlbau des VEB Zementanlagenbau Dessau nehmen die Großanlagen, die hier hergestellt werden,Konturen an. Die Anlagen und Einzelausrüstungen sind für die Erzaufbereitung, die Granulierung imWirbelschichtverfahren und die Lebensmittelindustrie bestimmt. Nach 40jähriger Wirtschaftskooperation mit derSowjetunion werden 1989 rund 30% der Gesamtproduktion des Dessauer Betriebes dorthin exportiert.(Zeitgenössische Bildlegende des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes der DDR, ADN)

69Produkte auf dem freien Markt als Ursachedes Niedergangs. Dabei muss aber geklärtwerden, warum es der DDR bis Mitte der70er Jahre sehr wohl gelang, Qualitätser-zeugnisse zu produzieren, die auch imWesten geschätzt wurden. Deren Export (oftallerdings zu Preisen, die keinen Gewinnzuließen) überforderte nicht die Wirtschaftwie das dann in den 80er Jahren der Fallwar. Drittens wird, wenn es um das Zurück-bleiben der DDR-Wirtschaft geht, dies häu-fig mit einer falschen Wirtschaftspolitik desPolitbüros bzw. der Unfähigkeit seiner maß-gebenden Mitglieder, wirtschaftliche Sach-verhältnisse zu beurteilen, begründet. Insbe-sondere die “Einheit von Wirtschafts- undSozialpolitik” und diverse von Günter Mittagvorgenommene willkürliche und gegen denRat der Fachleute vollzogene Eingriffe in dieWirtschaft werden genannt. Wägt man die-se Argument ab, dann ist zu bedenken, dassMittag bereits seit 1965 (mit einerUnterbrechung 1973 bis 1976) Wirt-schaftssekretär des ZK war und ihn Ulbrichtspätestens ab 1967 und Honecker seit1976 im Bereich der Wirtschaft schaltenund walten ließen. Die Ergebnisse warenaber in der ersten Periode “mittagscherMachtentfaltung” vergleichsweise positiv, inden 80er Jahren deutlich negativ.

Wer sich also um die Beantwortung derFragen nach den Ursachen des wirtschaftli-chen Niedergangs bemüht, wird gut darantun, die genannten Ursachenkomplexe im Zu-

sammenhang zu betrachten. Er wird dabeifeststellen, dass sie sich seit der zweiten Hälf-te der 70er Jahre gegenseitig so beeinflus-sten, sodass sich ihre negativen Wirkungenkumulierten. Das auslösende Moment für dieAbwärtsspirale waren dabei zweifellos Ent-wicklungen auf dem Weltmarkt, in den die inmancher Hinsicht durchaus “autarke” DDR-Wirtschaft doch in beträchtlichem Maße ein-gebunden war. Im Unterschied zu anderenInnovationen, etwa dem Übergang von derKohle- zur Petrochemie in den Fünfziger-/Sechzigerjahren, erwies sich die DDR nichtin der Lage, die Wirtschaft zu “mikroelektro-nisieren”. Damit aber wurden die Ausfuhr vonDDR-Produkten in westliche Industrieländer fürdie DDR zu einem nicht nur technischen, son-dern auch wirtschaftlichen Problem, weil sie

Die Fischverarbeitung gehört zu den wichtigstenIndustriezweigen Rostocks. Ihre Grundlage bildeteine Fangflotte von 56 Hochseefischereifahrzeugen.(Zeitgenössische Bildlegende des Allgemeinen Deut-schen Nachrichtendienstes der DDR, ADN)

(Foto: Bundesarchiv, Bild 183, 1987/1205/410)

70zur Nationaleinkommen verzehrenden Politikdes “Exports um jeden Preis” Zuflucht neh-men musste. Auch um ihre durch eine –gemessen an der wirtschaftlichen Leistungs-kraft – überzogene Konsumpolitik ent-standenen Auslandsschulden zu bedienen.

Die drohende Zahlungsunfähigkeit brachtedie DDR ab Anfang der 80er Jahre in eineSituation, die die SED-Führung veranlasste,für die Mehrzahl der Wirtschaftsbereichezum Wirtschaften auf Kosten der Substanzüberzugehen. Das war eine Politik, die aufDauer gesehen auch mit einer rigorosenUmverteilung der Mittel durch die zentralePlanung nicht mehr zu bewältigen war. Indieser Situation wurden in einsamer Höhewirtschaftliche Entscheidungen getroffen, diesich später als Fehlentscheidungen heraus-stellten und zu beträchtlichen Funktionsstö-

rungen in der Wirtschaft führten. Besonderskatastrophale Auswirkungen hatte die Um-stellung des Exports auf Erdölderivate unddie damit verbundene Heizölablösung durchBraunkohle im Inland. Akzeptiert man, dasskeiner der genannten Faktoren im Einzelnen,sondern alle im Verein den Niedergang derDDR-Wirtschaft bewirkten, dann lässt sich alsZeit des Wirksamwerden der zum Nieder-gang führenden Ursachen die zweiten Hälfteder 70er Jahre benennen.

Rund 40 000 Erzeugnisse werden im KombinatLausitzer Glas hergestellt, die Palette reicht vom fein-sten Glas für die Mikroelektronik bis zum Bleikristall-Römer. Die Lausitzer Glasmacher stützen sich dabeiauf jahrhundertelange Traditionen und modernste wis-senschaftlich-technische Erkenntnisse. Etwa 40% ihrerErzeugnisse, die für den Bedarf der Bevölkerung her-gestellt werden, wollen die etwa 19 000 Glasar-beiter des Kombinates in diesem Jahr neu entwickeln.(Zeitgenössische Bildlegende des Allgemeinen Deut-schen Nachrichtendienstes der DDR, ADN)

(Foto: Bundesarchiv, Bild 183, 1988/0126/412)

717.3 Abbruch als Aufbruch: UnterschiedlicheKonzepte zur wirtschaftlichen Konsolidie-rung der ostdeutschen Wirtschaft währendder “Wende”

Aus der Abwärtsspirale hätte sich die DDR-Wirtschaft offensichtlich nur befreien kön-nen, wenn es zum Abbruch der Zentral-planung und zu einem konsequenten wirt-schaftspolitischen Umsteuern gekommenwäre. Eine derartige Maßnahme, die bisMitte der 80er Jahre hinein wohl noch vonder Mehrzahl der Beschäftigten mitgetragenworden wäre, ob sie sich nun in leitenderStellung befanden oder an den Maschinenstanden, kam wegen der politischen bzw.gesellschaftlichen Konstruktion der SED-Herrschaft als Diktatur nicht zu Stande. Dassei darauf zurückzuführen, argumentiert derehemalige stellvertretende Leiter der SPK,Siegfried Wenzel rückblickend, “dass es dasPostulat der führenden Rolle der Partei gege-ben hat, den Weisheits- und Wahr-heitsanspruch einer Partei, ein Monopol.Das war die Hauptbremse sowohl für dieEntfaltung des Planungssystems ... als auchfür die Entfaltung der Initiative der Men-schen.” Offensichtlich war man in derFührungsspitze nicht bereit, auf ein vorgebli-ches sicheres Terrain – die Planwirtschaft inihrer DDR-spezifischen Ausprägung – zu ver-zichten und sich auf eine grundlegendeDiskussion mit deutlich anders geartetenAuffassungen einzulassen. Für diese Diskus-sion öffneten sich “Partei und Regierung” erstunter Ministerpräsident Hans Modrow am17. November 1989, d.h. nach dem SturzHoneckers und Mittags durch die Protesteauf der Straße.

“Das Regierungskonzept zur Wirtschaftsre-form in der DDR”, am 1.2. 1990 vom Minis-

terrat gebilligt und am 5.2. vom RundenTisch akzeptiert, bezog sich noch auf die Re-gierungserklärung vom November. Jedochhatte sich unter dem Einfluss der Wirtschafts-ministerin Christa Luft zwischen der Regie-rungserklärung im November 1989 und derVeröffentlichung des Reformkonzeptes An-fang Februar 1989 im Programm für denwirtschaftlichen Aufbruch eine wesentlicheAkzentverschiebung vollzogen: Hatte Mod-row noch von einer “grundlegenden Erneue-rung der sozialistischen Planwirtschaft” ge-sprochen und die Losung ausgegeben“Nicht Planung ohne Markt, nicht Marktwirt-schaft statt Plan”, so forderte das Regierungs-konzept einen “radikalen, schnellen Über-gang von der Kommandowirtschaft einerzentralistischen Direktivplanung zu einersozial und ökologisch orientierten Marktwirt-schaft”. Durch Rücknahme der Enteignungenvon 1972, der Gestattung von Jointventuresmit Firmen der Bundesrepublik und des west-lichen Auslands sowie der Zulassung priva-ter Unternehmensgründungen sollte eine plu-ralistische Eigentumsgrundlage für dieostdeutsche Wirtschaft entstehen. Das Kon-zept sah vor, die Transformation in dreiEtappen zu vollziehen. Für das Jahr 1992waren als Krönung der Reformanstrengungendie “vollständige Freigabe der Preisbildungzu Marktprinzipien” und der “Übergang aufdie durchgängige Konvertibilität der Wäh-rung” vorgesehen.

Anfang 1990 aber war zu einer “inneren”Lösung der Wirtschaftsprobleme der DDRdie Mehrzahl ihrer Bürger nicht mehr bereit.Der wirtschaftlich mächtigere Nachbar, dieBundesrepublik Deutschland, deren Regie-rung im Februar 1990 ihr eigenes Konzepteines “Aufbruchs Ost”, mit der Währungs-union als Initialzündung für die Übernahmeder bundesdeutschen Marktwirtschaft ver-

72kündet hatte, bevorzugte ebenfalls dieVereinigung beider Staaten.

Die nach der ersten freien Volkskammerwahlvom März 1990 in der DDR an die Machtgekommene Regierung de Maizière schlosssich der von der Bundesregierung angebo-tenen Lösungsvariante an, und hob die vonder Regierung Modrow veranlassten Reform-maßnahmen auf bzw. schrieb sie entspre-

chend dem Konzept der Bundesregierungum, wie z.B. im Falle der Treuhandanstalt.Volkskammer und Bundestag billigten am21.6.1990 den Staatsvertrag über dieWährungs-, Wirtschafts- und Sozialunionund machten damit den Weg für dessenInkrafttreten am 1. Juli 1990 frei. Mit diesemTag erlosch die Souveränität der DDR aufwirtschaftlichem und sozialem Gebiet.

73Abkürzungsverzeichnis

AG Aktiengesellschaft

BIP Bruttoinlandsprodukt

BSP Bruttosozialprodukt

BGL Betriebsgewerkschaftsleitung

CDU Christlich-Demokratische Union (Blockpartei)

Cocom Coordinating Committee

CNC Computerized Numeric Control

DDR Deutsche Demokratische Republik

DWK Deutsche Wirtschaftskommission

EDV Elektronische Datenverarbeitung

EKO Eisenhüttenkombinat Ost

ESO Erfurt Südost (Betrieb)

FDGB Freier Deutscher Gewerkschaftsbund

FDJ Freie Deutsche Jugend

HA Hauptabteilung

HO Handelsorganisation (staatlicher Einzelhandel)

HVA Hauptverwaltung Aufklärung (des MfS)

IBM International Business Machines Corporation

Koko (Bereich) Kommerzielle Koordinierung (im Ministerium fürAußenhandel der DDR)

LDP Liberaldemokratische Partei (Blockpartei)

MfS Ministerium für Staatssicherheit

NC Numeric Control

NSW nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet

PB Politbüro

RGW Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe

74SAG Sowjetische Aktiengesellschaft

SED Sozialistische Einheitspartei Deutschland

SKK Sowjetische Kontrollkommission

SMAD Sowjetische Militäradministration in Deutschland

SPK Staatliche Plankommission

SW Sozialistisches Wirtschaftsgebiet

SWT Sektion Wissenschaft und Technik (des MfS)

TSA Technologische Spezialausrüstungen

UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken

USA Vereinigte Staaten von Amerika

VEB Volkseigener Betrieb

VVB Vereinigung Volkseigener Betriebe

ZK Zentralkomitee (der SED)

75

Ahrens, Ralf: Gegenseitige Wirtschaftshilfe. Die DDR imRGW. Strukturen und handelspolitische Strate-gien 1963 – 1976 (Böhlau Verlag) Köln 2000.

Baar, Lothar/Uwe Müller/Frank Zschaler:Strukturveränderungen und Wachstums-schwankungen. Investitionen und Budgetin der DDR 1949 bis 1989. In: Jahrbuchfür Wirtschaftsgeschichte (Frankfurt/Main)2/1995.

Fritze, Lothar: Panoptikum DDR-Wirtschaft. Machtverhält-nisse, Organisationsstrukturen, Funktions-mechanismen (Olzog Verlag) München 1993.

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Karlsch, Rainer: Allein bezahlt? Die Reparationsleistungen derSBZ/DDR 1945 – 1953 (Ch. Links Verlag)Berlin 1993.

Kehrer, Gerhard: Industriestandort Ostdeutschland (FIDES)Berlin 2000

Klenke, Olaf: Ist die DDR an der Globalisierung geschei-tert? Autarke Wirtschaftspolitik versus inter-nationale Weltwirtschaft – Das BeispielMikroelektronik (Peter Lang) Frankfurt amMain 2001.

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Weiterführende Literatur: