Wirtschaft Geld allein macht nicht glücklich? Stimmt!4d126a94-b8b6-41c9-98fb...die Maestro-Karte...

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die Maestro-Karte und das E-Banking an einem Ort sind: bei der Bank Coop. Anzeige 47 sonntagszeitung.ch | 27. September 2015 Wirtschaft Geld allein macht nicht glücklich? Stimmt! Mehr und mehr Menschen sind bereit, zugunsten von Selbstverwirklichung substanzielle Lohneinbussen in Kauf zu nehmen. Für die Wohlstandsinsel Schweiz ist das bezeichnend für den Entscheid, sich bei einem Arbeitgeber zu bewerben. Wich- tiger sind den Hochschulabsolven- ten ein kreatives Umfeld, heraus- fordernde Arbeiten oder Entschei- dungsträger, welche die eigene Ent- wicklung unterstützen. Bei den Frauen liegt das Kriterium sogar ausserhalb der wichtigsten zehn Punkte. Hermann J. Stern kennt das Phänomen. Der Geschäftsführer des auf Leistungsmessung spezia- lisierten Unternehmens Obermatt beobachtet seit längerem, dass Jun- ge weniger auf Statussymbole ach- ten. «Freiheit, Flexibilität oder Ent- wicklungsmöglichkeiten werden wichtiger, und der Lohn büsst eher an Bedeutung ein», meint Stern. Er könne dies zwar nicht empirisch belegen. Aber für ihn ist klar: «Die eigentliche Lohndiskussion wird durch die Debatte um CEO-Löh- ne, die in den Medien eine über- mässige Präsenz hat, in den Schat- ten gestellt.» Er erhält Sukkurs von Bruno S. Frey, ständiger Gastprofessor der Universität Basel. «Die Glücksfor- schung zeigt, dass andere Dinge wichtiger werden, wenn man erst mal genug Geld hat. Und weil es der Schweiz sehr gut geht, gibt es auch mehr Leute, die auf Einkom- men verzichten können und dafür andere Bedürfnisse befriedigen», so der Ökonom. Bewusster Lohnverzicht ist schwierig zu vermitteln «Weniger ist mehr» – die Abwer- tung des Lohns als Motivations- faktor ist tatsächlich ein Auswuchs der Wohlstandsinsel Schweiz. Wir sind sozusagen auf der obersten Stufe der Maslowschen Bedürfnis- pyramide angelangt, wo Selbstver- wirklichung im Vordergrund steht. Die Arbeitslosigkeit in unserem Land ist mit 3,2 Prozent benei- denswert tief, das Sozial- und Ren- tensystem komfortabel, die Durch- schnittslöhne gehören zu den höchsten in Europa. Wer hier lebt, kann sich finanzielle Abstriche buchstäblich leisten. «Mir fehlt nichts. Ich kann mir immer noch schöne Ferien leisten oder andere Dinge, die mir wich- tig sind», sagt Regula Straub, 55. Und das, obwohl sie als Geschäfts- führerin der Schweizer Berghilfe nur noch gut die Hälfte von früher verdient. Straub arbeitete während 20 Jahren in verschiedenen Füh- rungspositionen in der Privatwirt- schaft. Als Head of Telecom and Network Operations bei der UBS etwa waren ihr 75 Leute unterstellt, und sie roch bei der Grossbank während sechs Jahren buchstäb- lich an der Welt des Geldes. An- fang 50 schliesslich kam die Sinn- krise. «Ich ging nach den Ferien einfach nicht mehr so gerne arbei- ten, obwohl es mir vordergründig gut ging und ich spannende Auf- gaben hatte», erzählt Straub. Schliesslich wagte sie 2011 den Sprung zur Non-Profit-Organisa- tion Berghilfe. Dass ihr Wechsel tatsächlich ihre ureigene Entschei- dung war und sie dafür auch bereit war, auf viel Lohn zu verzichten, glaubte ihr niemand. «Mein Mann fand, ich sei wahnsinnig», so Straub. Und auch der Headhun- ter, der den Berghilfe-Job zu beset- zen hatte, brauchte Überzeugungs- arbeit, bis er die dreifache Mutter ins Rennen schickte. Heute macht es sie glücklich, dass sie anderen Menschen zu einem besseren Leben verhelfen kann, etwa mit der Unterstützung für das Menzihuus in Kerenzer- berg GL, einer Wohn- und Arbeits- stätte für Suchtabhängige und Be- hinderte. Straubs Arbeitsbelastung ist nicht viel kleiner, aber sie ist we- niger fremdbestimmt. Ähnlich ergeht es Ex-McKinsey- Mann Marc Maurer, der inzwi- schen zwei kleine Kinder hat: «Wir leisten uns nur noch wenig Luxus, aber ich habe deutlich mehr Le- bensqualität und kann meine Zeit besser steuern.» Downsizing als Glücksmotor – ein Erfolgsrezept für jedermann? Wäre Migros-Chef Herbert Bolli- ger demzufolge mit 450 000 Fran- ken Lohn wirklich genauso moti- viert wie mit seinen 900 000 Fran- ken? Die Forschung zeigt: Wer bereits viel verdient und sein Ein- kommen dann steigert, kann seine Lebenszufriedenheit nicht mehr im Gleichschritt in die Höhe trei- ben. Bei Menschen mit tieferem Einkommen führt hingegen ein Sa- lärsprung zu grösserer Zufrieden- heit. Demzufolge wäre Bolliger mit der Hälfte vermutlich genauso gut unterwegs beim orangen Riesen. Auch Vergütungsspezialist Her- mann J. Stern setzt ein Fragezei- chen hinter die monetären Anrei- ze im Management. «Man geht da- von aus, dass ein Bonus zu mehr Leistung motiviert. Empirisch ist das aber nicht nachweisbar», so der Unternehmer. In seiner Firma mit sechs Mitarbeitern herrscht des- halb totale Lohntransparenz. «Wir diskutieren über die Löhne und stimmen darüber ab.» Kein Geheimnis sind die Löhne seit über 20 Jahren auch bei der Zürcher Informatikfirma Ergon. Wer sich dort anstellen lässt, kriegt Ende Jahr auf einer Excel-Tabelle eine Übersicht, wer in der Firma wie viel verdient – inklusive Bo- nusanteil. Jeder weiss, was der CEO eintütet. Im Jahr 2013 dekla- rierte er seinen Lohn in der Wirt- schaftssendung «Eco» sogar mal öffentlich: 213 000 Franken. Der Teambonus bei Ergon wird von den Mitarbeitern selber verteilt. Die Erfahrung zeigt: Keineswegs geschieht dies immer gleichmäs- sig. «Oft verzichten gewisse Perso- nen zugunsten von anderen auf einen Teil des Bonus», sagt Ergon- Geschäftsleitungsmitglied Gabri- ela Keller. Für sie bietet das System handfeste Vorteile: «Geld ist bei uns aufgrund des transparenten Lohnsystems mit klar definierten Stufen ein deutlich kleinerer Stres- sor als anderswo.» Geld als Treiber des Schaffens – auch für Claudia Kraaz ist er re- lativ. «Natürlich möchte ich für meine Leistung gut bezahlt wer- den. Aber ich werde nie mehr auf das Niveau von früher kommen. Dafür habe ich als Unternehmerin einen deutlich höheren Eigenbe- stimmungsgrad und lebe meine Berufung.» Kommentar ― 22 «Ich wollte nicht länger in dieser Parallelwelt leben, auch wenn ich sehr gut bezahlt war» Marc Maurer, 33 «Ich kann mir immer noch schöne Ferien leisten oder andere Dinge, die mir wichtig sind» Regula Straub, 55 «Ich habe als Unternehmerin einen höheren Eigenbestim- mungsgrad und lebe meine Berufung» Claudia Kraaz, 48 Karin Kofler, Armin Müller (Text), Gian Marco Castelberg (Fotos) Zürich Der Tiefpunkt war erreicht, als ein Projekt, für welches er drei Monate lang Tag und Nacht ge- schuftet hatte, einfach versandete. Der Kunde von Marc Maurer setz- te die Vorschläge, die er damals als McKinsey-Berater ausgearbeitet hatte, schlicht nie um. Fünf Jahre hatte er für die Beratungsikone McKinsey 70-Stunden-Wochen ab- solviert, die in der Regel am Mon- tagmorgen früh auf dem Flugha- fen Kloten ihren Anfang nahmen und am Freitagabend spät ende- ten. Am Wochenende musste al- les komprimiert nachgeholt wer- den, was unter der Woche keine Chance hatte: Familie, Freunde, Ausgang, Sport. «Ich wollte nicht länger in dieser Parallelwelt leben, auch wenn ich sehr gut bezahlt war», erzählt Marc Maurer. Anfang 2013 wechselte er nach einem kurzen Intermezzo bei Valora zum Schweizer Laufschuh- Start-up On, das 2010 gegründet wurde. «Hart abstossen, weich landen», lautet der Claim des Unternehmens mit inzwischen 70 Mitarbeitenden. Zumindest was den Lohn angeht, war Mau- rers Landung indes hart: «Ich verdiene heute 30 bis 50 Prozent weniger als bei McKinsey, habe aber mehr unternehmerische Frei- heit», sagt der MBA-Absolvent, der auch eine Beteiligung an On hält und in der Geschäftsleitung für Operations zuständig ist. Er selber nennt sich lieber «chief happiness deliverer». Weit weg von ihrem ursprüng- lichen Lohn als stellvertretende Kommunikationschefin der Credit Suisse ist heute auch die 48-jähri- ge Claudia Kraaz. 50 Leute hatte sie damals, im Jahr 2004, unter sich. Die Tage waren lang, das Geld ist nicht gleich Geld Wer mehr verdient, ist glücklicher – allerdings gilt das nur im unteren Einkommensbereich, wie die Forschung zeigt. Bei hohem Lohn macht eine Steigerung nur wenig glücklicher und der kleine Effekt schwächt sich über die Zeit auch noch stark ab, weil man sich schnell daran gewöhnt. Trotzdem gilt: Je höher der Lohn für die Arbeit, desto wichtiger wird das Geld, wie Unter- suchungen des Stanford-Profes- sors Jeffrey Pfeffer zeigen. Das gilt aber nicht für Einkommen aus anderen Quellen wie Investments oder Lotterien. Denn Geld aus Ar- beit ist auch ein Signal für Leistung, Kompetenz und Wertschätzung. Und davon kann man nicht genug kriegen. Jobwahl: Die Kriterien Bankkonto voll. «Ich genoss es, Geld zu haben, aber ich wollte mich nie davon abhängig machen und habe darum meine Fixkosten im Zaum gehalten», sagt Kraaz. Seit 2014 ist sie ihr eigener Chef, coacht mit ihrer in Zürich ansässi- gen Firma namens Stress and Balance Führungskräfte, die auf ein Burn-out zusteuern, und gibt Referate zum Thema. In den ers- ten sechs Monaten kam gar kein Geld rein, heute läuft das Geschäft gut. «Aber ich liege weit weg von meinem letzten Lohn als Kommu- nikationschefin. Auch weil ich we- gen meiner zwei kleinen Kinder 60 Prozent arbeite, erklärt Kraaz. Fehlen tut ihr nichts. Der Wohlstand in der Schweiz fördert andere Bedürfnisse Maurers und Kraaz’ Einstellung teilen viele. Etwa Herbert Bolliger. 900 000 Franken kassiert der Mi- gros-Chef jährlich für seine Diens- te. «Ich würde es auch für die Hälf- te machen», sagt er in der «Welt- woche». Bosch-CEO Volkmar Denner stellt die Frage: «Was macht den nötigen Antrieb im Job aus? Geld allein ist es nicht, das kann sogar demotivierend wirken.» Ein hoher Lohn als erstrebens- wertes Karriereziel, als entschei- dende Würdigung der eigenen Leistung: Zumindest in der Schweiz deutet vieles darauf hin, dass das Traktandum nicht mehr a priori an erster Stelle steht, son- dern Werte wie Selbstverwirkli- chung und Sinnerfüllung zuneh- mend in den Fokus rücken – vor allem in der jungen Generation. Die Umfragen von Universum, einer Organisation, die jedes Jahr Tausende von Studierenden nach ihren Präferenzen im Berufsleben fragt, zeigen: Ein guter Lohn steht bei Männern auf den Plätzen sechs und sieben der Top-Ten-Kriterien Frauen 1. Gute Referenz für die Karriere 2. Kreatives, dynamisches Umfeld 3. Abwechslungsreiche Aufgaben 4. Angenehme Arbeitsumgebung 5. Respekt gegenüber Angestellten 6. Attraktive Produkte 7. Herausfordernde Arbeit 8. Mögliche Auslandseinsätze 9. Weiterbildung und Entwicklung 10. Aufstiegsmöglichkeiten Männer 1. Gute Referenz für die Karriere 2. Herausfordernde Arbeit 3. Kreatives, dynamisches Umfeld 4. Unterstützung durch Vorgesetzte 5. Aufstiegsmöglichkeiten 6. Hoher zukünftiger Lohn 7. Konkurrenzfähiges Grundsalär 8. Attraktive Produkte 9. Weiterbildung und Entwicklung 10. Abwechslungsreiche Aufgaben

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die Maestro-Karte und dasE-Banking an einem Ort sind:bei der Bank Coop.

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47sonntagszeitung.ch | 27. September 2015 Wirtschaft

Geld allein macht nicht

glücklich? Stimmt!

Mehr und mehr Menschen sind bereit, zugunsten von Selbstverwirklichung

substanzielle Lohneinbussen in Kauf zu nehmen. Für die Wohlstandsinsel Schweiz

ist das bezeichnend

für den Entscheid, sich bei einem Arbeitgeber zu bewerben. Wich­tiger sind den Hochschulabsolven­ten ein kreatives Umfeld, heraus­fordernde Arbeiten oder Entschei­dungsträger, welche die eigene Ent­wicklung unterstützen. Bei den Frauen liegt das Kriterium sogar ausserhalb der wichtigsten zehn Punkte.

Hermann J. Stern kennt das Phänomen. Der Geschäftsführer des auf Leistungsmessung spezia­lisierten Unternehmens Obermatt beobachtet seit längerem, dass Jun­ge weniger auf Statussymbole ach­ten. «Freiheit, Flexibilität oder Ent­wicklungsmöglichkeiten werden wichtiger, und der Lohn büsst eher an Bedeutung ein», meint Stern. Er könne dies zwar nicht empirisch belegen. Aber für ihn ist klar: «Die eigentliche Lohndiskussion wird durch die Debatte um CEO­Löh­ne, die in den Medien eine über­mässige Präsenz hat, in den Schat­ten gestellt.»

Er erhält Sukkurs von Bruno S. Frey, ständiger Gastprofessor der Universität Basel. «Die Glücksfor­schung zeigt, dass andere Dinge wichtiger werden, wenn man erst mal genug Geld hat. Und weil es der Schweiz sehr gut geht, gibt es auch mehr Leute, die auf Einkom­men verzichten können und dafür andere Bedürfnisse befriedigen», so der Ökonom.

Bewusster Lohnverzicht ist schwierig zu vermitteln

«Weniger ist mehr» – die Abwer­tung des Lohns als Motivations­faktor ist tatsächlich ein Auswuchs der Wohlstandsinsel Schweiz. Wir sind sozusagen auf der obersten Stufe der Maslowschen Bedürfnis­pyramide angelangt, wo Selbstver­wirklichung im Vordergrund steht. Die Arbeitslosigkeit in unserem Land ist mit 3,2 Prozent benei­

denswert tief, das Sozial­ und Ren­tensystem komfortabel, die Durch­schnittslöhne gehören zu den höchsten in Europa. Wer hier lebt, kann sich finanzielle Abstriche buchstäblich leisten.

«Mir fehlt nichts. Ich kann mir immer noch schöne Ferien leisten oder andere Dinge, die mir wich­tig sind», sagt Regula Straub, 55. Und das, obwohl sie als Geschäfts­führerin der Schweizer Berghilfe nur noch gut die Hälfte von früher verdient. Straub arbeitete während 20 Jahren in verschiedenen Füh­rungspositionen in der Privatwirt­schaft. Als Head of Telecom and Network Operations bei der UBS etwa waren ihr 75 Leute unterstellt, und sie roch bei der Grossbank während sechs Jahren buchstäb­lich an der Welt des Geldes. An­fang 50 schliesslich kam die Sinn­krise. «Ich ging nach den Ferien einfach nicht mehr so gerne arbei­ten, obwohl es mir vordergründig gut ging und ich spannende Auf­gaben hatte», erzählt Straub. Schliesslich wagte sie 2011 den Sprung zur Non­Profit­Organisa­tion Berghilfe. Dass ihr Wechsel tatsächlich ihre ureigene Entschei­dung war und sie dafür auch bereit war, auf viel Lohn zu verzichten, glaubte ihr niemand. «Mein Mann fand, ich sei wahnsinnig», so Straub. Und auch der Headhun­ter, der den Berghilfe­Job zu beset­zen hatte, brauchte Überzeugungs­arbeit, bis er die dreifache Mutter ins Rennen schickte.

Heute macht es sie glücklich, dass sie anderen Menschen zu einem besseren Leben verhelfen kann, etwa mit der Unterstützung für das Menzihuus in Kerenzer­berg GL, einer Wohn­ und Arbeits­stätte für Suchtabhängige und Be­hinderte. Straubs Arbeitsbelastung ist nicht viel kleiner, aber sie ist we­niger fremdbestimmt.

Ähnlich ergeht es Ex­McKinsey­Mann Marc Maurer, der inzwi­schen zwei kleine Kinder hat: «Wir leisten uns nur noch wenig Luxus, aber ich habe deutlich mehr Le­bensqualität und kann meine Zeit besser steuern.»

Downsizing als Glücksmotor – ein Erfolgsrezept für jedermann? Wäre Migros­Chef Herbert Bolli­ger demzufolge mit 450 000 Fran­ken Lohn wirklich genauso moti­viert wie mit seinen 900 000 Fran­ken? Die Forschung zeigt: Wer bereits viel verdient und sein Ein­kommen dann steigert, kann seine Lebenszufriedenheit nicht mehr im Gleichschritt in die Höhe trei­

ben. Bei Menschen mit tieferem Einkommen führt hingegen ein Sa­lärsprung zu grösserer Zufrieden­heit. Demzufolge wäre Bolliger mit der Hälfte vermutlich genauso gut unterwegs beim orangen Riesen.

Auch Vergütungsspezialist Her­mann J. Stern setzt ein Fragezei­chen hinter die monetären Anrei­ze im Management. «Man geht da­von aus, dass ein Bonus zu mehr Leistung motiviert. Empirisch ist das aber nicht nachweisbar», so der Unternehmer. In seiner Firma mit sechs Mitarbeitern herrscht des­halb totale Lohntransparenz. «Wir diskutieren über die Löhne und stimmen darüber ab.»

Kein Geheimnis sind die Löhne seit über 20 Jahren auch bei der Zürcher Informatikfirma Ergon. Wer sich dort anstellen lässt, kriegt Ende Jahr auf einer Excel­Tabelle eine Übersicht, wer in der Firma wie viel verdient – inklusive Bo­nusanteil. Jeder weiss, was der CEO eintütet. Im Jahr 2013 dekla­rierte er seinen Lohn in der Wirt­schaftssendung «Eco» sogar mal öffentlich: 213 000 Franken. Der Teambonus bei Ergon wird von den Mitarbeitern selber verteilt. Die Erfahrung zeigt: Keineswegs geschieht dies immer gleichmäs­sig. «Oft verzichten gewisse Perso­nen zugunsten von anderen auf

einen Teil des Bonus», sagt Ergon­Geschäftsleitungsmitglied Gabri­ela Keller. Für sie bietet das System handfeste Vorteile: «Geld ist bei uns aufgrund des transparenten Lohnsystems mit klar definierten Stufen ein deutlich kleinerer Stres­sor als anderswo.»

Geld als Treiber des Schaffens – auch für Claudia Kraaz ist er re­lativ. «Natürlich möchte ich für meine Leistung gut bezahlt wer­den. Aber ich werde nie mehr auf das Niveau von früher kommen. Dafür habe ich als Unternehmerin einen deutlich höheren Eigenbe­stimmungsgrad und lebe meine Berufung.» Kommentar ― 22

«Ich wollte nicht länger in dieser

Parallelwelt leben, auch wenn

ich sehr gut bezahlt war»

Marc Maurer, 33

«Ich kann mir immer noch

schöne Ferien leisten oder

andere Dinge, die mir wichtig

sind»Regula Straub, 55

«Ich habe als Unternehmerin einen höheren Eigenbestim-mungsgrad

und lebe meine Berufung»Claudia Kraaz, 48

Karin Kofler, Armin Müller (Text), Gian Marco Castelberg (Fotos)

Zürich Der Tiefpunkt war erreicht, als ein Projekt, für welches er drei Monate lang Tag und Nacht ge­schuftet hatte, einfach versandete. Der Kunde von Marc Maurer setz­te die Vorschläge, die er damals als McKinsey­Berater ausgearbeitet hatte, schlicht nie um. Fünf Jahre hatte er für die Beratungsikone McKinsey 70­Stunden­Wochen ab­solviert, die in der Regel am Mon­tagmorgen früh auf dem Flugha­fen Kloten ihren Anfang nahmen und am Freitagabend spät ende­ten. Am Wochenende musste al­les komprimiert nachgeholt wer­den, was unter der Woche keine Chance hatte: Familie, Freunde, Ausgang, Sport. «Ich wollte nicht länger in dieser Parallelwelt leben, auch wenn ich sehr gut bezahlt war», erzählt Marc Maurer.

Anfang 2013 wechselte er nach einem kurzen Intermezzo bei Valora zum Schweizer Laufschuh­Start­up On, das 2010 gegründet wurde. «Hart abstossen, weich landen», lautet der Claim des Unternehmens mit inzwischen 70 Mitarbeitenden. Zumindest was den Lohn angeht, war Mau­rers Landung indes hart: «Ich verdiene heute 30 bis 50 Prozent weniger als bei McKinsey, habe aber mehr unternehmerische Frei­heit», sagt der MBA­Absolvent, der auch eine Beteiligung an On hält und in der Geschäftsleitung für Operations zuständig ist. Er selber nennt sich lieber «chief happiness deliverer».

Weit weg von ihrem ursprüng­lichen Lohn als stellvertretende Kommunikationschefin der Credit Suisse ist heute auch die 48­jähri­ge Claudia Kraaz. 50 Leute hatte sie damals, im Jahr 2004, unter sich. Die Tage waren lang, das

Geld ist nicht gleich Geld

Wer mehr verdient, ist glücklicher – allerdings gilt das nur im unteren Einkommensbereich, wie die Forschung zeigt. Bei hohem Lohn macht eine Steigerung nur wenig glücklicher und der kleine Effekt schwächt sich über die Zeit auch noch stark ab, weil man sich schnell daran gewöhnt. Trotzdem gilt: Je höher der Lohn für die Arbeit, desto wichtiger wird das Geld, wie Unter-suchungen des Stanford-Profes-sors Jeffrey Pfeffer zeigen. Das gilt aber nicht für Einkommen aus anderen Quellen wie Investments oder Lotterien. Denn Geld aus Ar-beit ist auch ein Signal für Leistung, Kompetenz und Wertschätzung. Und davon kann man nicht genug kriegen.

Jobwahl: Die KriterienBankkonto voll. «Ich genoss es, Geld zu haben, aber ich wollte mich nie davon abhängig machen und habe darum meine Fixkosten im Zaum gehalten», sagt Kraaz. Seit 2014 ist sie ihr eigener Chef, coacht mit ihrer in Zürich ansässi­gen Firma namens Stress and Balance Führungskräfte, die auf ein Burn­out zusteuern, und gibt Referate zum Thema. In den ers­ten sechs Monaten kam gar kein Geld rein, heute läuft das Geschäft gut. «Aber ich liege weit weg von meinem letzten Lohn als Kommu­nikationschefin. Auch weil ich we­gen meiner zwei kleinen Kinder 60 Prozent arbeite, erklärt Kraaz. Fehlen tut ihr nichts.

Der Wohlstand in der Schweiz fördert andere Bedürfnisse

Maurers und Kraaz’ Einstellung teilen viele. Etwa Herbert Bolliger. 900 000 Franken kassiert der Mi­gros­Chef jährlich für seine Diens­te. «Ich würde es auch für die Hälf­te machen», sagt er in der «Welt­woche». Bosch­CEO Volkmar Denner stellt die Frage: «Was macht den nötigen Antrieb im Job aus? Geld allein ist es nicht, das kann sogar demotivierend wirken.»

Ein hoher Lohn als erstrebens­wertes Karriereziel, als entschei­dende Würdigung der eigenen Leistung: Zumindest in der Schweiz deutet vieles darauf hin, dass das Traktandum nicht mehr a priori an erster Stelle steht, son­dern Werte wie Selbstverwirkli­chung und Sinnerfüllung zuneh­mend in den Fokus rücken – vor allem in der jungen Generation. Die Umfragen von Universum, einer Organisation, die jedes Jahr Tausende von Studierenden nach ihren Präferenzen im Berufsleben fragt, zeigen: Ein guter Lohn steht bei Männern auf den Plätzen sechs und sieben der Top­Ten­Kriterien

Frauen 1. Gute Referenz für die Karriere 2. Kreatives, dynamisches Umfeld 3. Abwechslungsreiche Aufgaben 4. Angenehme Arbeitsumgebung 5. Respekt gegenüber Angestellten 6. Attraktive Produkte 7. Herausfordernde Arbeit 8. Mögliche Auslandseinsätze 9. Weiterbildung und Entwicklung 10. Aufstiegsmöglichkeiten

Männer 1. Gute Referenz für die Karriere 2. Herausfordernde Arbeit 3. Kreatives, dynamisches Umfeld 4. Unterstützung durch Vorgesetzte 5. Aufstiegsmöglichkeiten 6. Hoher zukünftiger Lohn 7. Konkurrenzfähiges Grundsalär 8. Attraktive Produkte 9. Weiterbildung und Entwicklung 10. Abwechslungsreiche Aufgaben