Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel … Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819...

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell? - 1 - Vorbereitungsseminar zur Großen Exkursion im Wintersemester 2003 Ökonomischer und technologischer Wandel in Singapur und Malaysia Leitung: Dipl.-Geogr. Matthias Kiese Thema: Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute ...ein neues Entwicklungsmodell? Referenten Ariumaa Dalai, 5. Semester Oliver König, 7. Semester Stefan Graf, 7. Semester Universität Hannover Geographisches Institut Abteilung Wirtschaftsgeographie

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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Vorbereitungsseminar zur Großen Exkursion im Wintersemester 2003

Ökonomischer und technologischer Wandel in Singapur und Malaysia

Leitung: Dipl.-Geogr. Matthias Kiese

Thema:

Wirtschaftliche Entwicklung und StrukturwandelSingapurs von 1819 bis heute

...ein neues Entwicklungsmodell?

Referenten

Ariumaa Dalai, 5. Semester

Oliver König, 7. Semester

Stefan Graf, 7. Semester

Universität HannoverGeographisches InstitutAbteilungWirtschaftsgeographie

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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Gliederung

Abbildungsverzeichnis ............................................................................................... I

Tabellenverzeichnis ................................................................................................... II

Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................ III

1. Einleitung.............................................................................................................. 4

2. Geographische Lage und Bevölkerung Singapurs. .......................................... 4

3. Stadtgründung...................................................................................................... 5

4. Wirtschaftliche Entwicklung Singapurs.............................................................. 6

4.1. Entwicklung bis zur Unabhängigkeit ................................................................. 6

4.2. Arbeitsintensive Industrialisierung .................................................................... 7

4.3. Exportorientierte Industrialisierung.................................................................... 9

4.4. Versuch der qualitativen Anhebung der Wirtschaft (1974 – 1979) .................. 11

4.5. Wirtschaftliche Restrukturierung (1979 – 1984) .............................................. 12

4.6. Diversifizierung und Regionalisierung (1985 – 1997) ...................................... 12

4.7. Asienkrise (1997 – 1998)................................................................................ 14

4.8. Übergang zur wissensbasierten Ökonomie (Ab 1998) .................................... 14

5. Wirtschaftlicher Strukturwandel in Singapur anhand der Sektoren ............... 16

5.1. Sekundärer Sektor am Bsp. Elektronikindustrie u. Biotechnologie.................. 16

5.2. Tertiärer Sektor............................................................................................... 19

6. Die Entwicklung und Veränder ung der Expo rtstruktur ................................... 20

7. Interne und externe Wachstumsdeterminanten ............................................... 22

7.1. Interne Wachstumsdeterminanten .................................................................. 22

7.1.1. Politische Stabilität ..................................................................................... 22

7.1.2. Die Rolle des Staates als Wirtschaftsakteur ............................................... 23

7.1.3. Makroökonomische Stabilität ...................................................................... 24

7.1.4. Verkehrstechnische und institutionelle Infrastruktur .................................... 25

7.2. Externe Wachstumsdeterminanten................................................................. 25

7.2.1. Standortgunst ............................................................................................. 25

7.2.2. Ausländische Direktinvestitionen ................................................................ 26

7.2.3. Multinationale Unternehmen....................................................................... 27

8. Aktuelle Probleme der Wirtschaft Singapurs ................................................... 28

8.1. Schwächen im inländischen Privatsektors ...................................................... 28

8.2. Schwächen des Arbeitsmarktes...................................................................... 29

8.3. Schwächen im FuE-Bereich............................................................................ 29

9. Entwicklungsmodell Singapur........................................................................... 30

10. Literaturverzeichnis .......................................................................................... 31

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I Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Streiks in Singapur 1955-1973 Seite 9

Abb. 2 BSP-Wachstum Singapurs 1960-1973 Seite 11

Abb. 3 Entwicklung der Arbeitslosenentwicklung in % 1970-2002 Seite 16

Abb. 4 Exportstruktur nach Warengruppen in Singapur Seite 20

II Tabellenverzeichnis

Tab. 1 Bevölkerungsentwicklung in Singapur 1970 – 2001 Seite 5

Tab. 2 Phasen der wirtschaftlichen Entwicklung Seite 6

Tab. 3 Produktionsstruktur im Verarbeitenden Gewerbe 1960-1999 Seite 17

Tab. 4 Produktionsstruktur in Singapurs Elektronikindustrie 1970-1999 Seite 18

Tab. 5 Singapurs Exportgüter (Mio. S$) Seite 20

Tab. 6 Exporte pro Kopf in asiatischen Exportländern in US$ 1997 Seite 21

Tab. 7 Arbeitslosigkeit und Inflationsrate in Singapur 1991-2001 Seite 24

Tab. 8 Entwicklung sowie Zielländer der ADI Singapurs Seite 26

Tab. 9 Entwicklung sowie Herkunftsländer von ADI Seite 27

III Abkürzungsverzeichnis

ADI Ausländische Direktinvestitionen

BIP Bruttoinlandsprodukt

EDB Economic Development Board

FuE Forschung und Entwicklung

GLC Government-linked companies

IuK Informations- u. Kommunikationstechnologien

LU Lokale Unternehmen

MNU Multinationale Unternehmen

NIC Newly industrialised countries

NSTB National Science and Technology Board

PAP People’s Action Party

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1. Einleitung

Der Stadtstaat Singapur, ehemals britische Kolonie, entwickelte sich seit seiner

Unabhängigkeit im Jahre 1965 innerhalb von drei Jahrzehnten von einem britischen Handels-

und Militärstützpunkt zu einem der am schnellsten wachsenden jungen Industrieländer Asiens.

Aus dem einstigen britischen Handelsdepot wurde zunächst ein Billiglohnland für die

arbeitsintensive Fertigungsindustrie, dann im Zuge des wirtschaftlichen Aufbaus ein

Exportland technologisch hochstehender Produkte. Heute besitzt Singapur ein urbanes

Bankenzentrum, einen modernen Containerhafen, der zu den größten der Welt zählt und das

erste und größte Modellindustriegebiet Asiens in Jurong Town, in dem eine Vielzahl

multinationaler Unternehmen (MNU) im 24-Stunden-Betrieb für den Export produziert. Somit

entwickelt sich Singapur zu einem ernsthaften Konkurrenten der westlichen Industrieländer.

Die wirtschaftliche Entwicklungsdynamik in den letzten drei Jahrzehnten läßt sich an den

einschlägigen Wirtschafts- und Sozialindikatoren konkreter ablesen. Singapurs

Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs zwischen 1960 und 1990 um jährlich durchschnittlich 8,7 %,

in der frühen Aufbauphase von 1966 bis 1973 sogar um 12,7 %. Durch dieses anhaltende

Wirtschaftswachstum hat sich die (Summe) der produzierten Güter und Dienstleistungen mehr

als verzwanzigfacht. Ende der 80er Jahre rückte Singapur in die exklusive Gruppe der 25

Weltbank-Mitgliedsländer der oberen Einkommensklasse auf. Inzwischen steht Singapur in

der Liste der reichsten Länder auf Platz drei*. Nach Japan hat der Stadtstaat das höchste Pro-

Kopf-Einkommen in Asien*. Nur zwei Prozent der Landesfläche wird noch agrarisch genutzt.

In der Industrie reicht die Produktionspalette vom Mikrochip über Computer, Büromaschinen

sowie Radio- und Fernsehgerät bis zum Schiffsbau. Bedeutend sind ferner Ölraffinerien, die

Metallindustrie, der Maschinenbau sowie die Chemie- und Bekleidungsindustrie. Der

Ausbruch der Wirtschaftskrise in Asien 1997 erfasste zwei Jahre später auch Singapur,

allerdings erholte sich das Land schneller als andere Staaten in der Region, wenngleich auch

die Wachstumsraten noch immer unter denjenigen vor 1997 liegen (vgl. W. Bürklin 1993,

S.15).

2. Geographische Lage und Bevölkerung Singapurs

Die Insel ist seit 1923 mit dem Festland (Malaysia) durch einen langen Brückendamm, den

„Causeway“ verbunden, der außer Bahn- und Straßenanschluss auch die lebenswichtige

Fernwasserleitung trägt.

Durch künstliche Landgewinnung ist die Insel seit 1973 von 536 km² auf 648 km²* - also etwas

größer als auf ehemalige Westberlinfläche - angewachsen (vgl. H. Uhlig 1988, S.471f). Die

Bevölkerung ist ethnisch äußerst heterogen und besteht aus etwa 77 % Chinesen, die (*-

http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/regionen/singapur/grundlagen.htm/) zwar zu 99 % aus

Südchina stammt, aber in zahlreiche Dialekt– und Sozialgruppen gegliedert ist, 14% Malaien,

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7,6 % Indern, und die restlichen 1,4 % sind kosmopolitisch bunt gemischt(http://www.uni-

kassel.de/fb10/frieden/regionen/singapur/grundlagen.htm/).

Zwischen 1970 und 2001 kam es nahezu zu einer Verdopplung der Bevölkerung in Singapurs

von 2 Mio. auf knapp über 4. Mio. Einwohner. Während die einheimische Bevölkerung in

diesem Zeitraum um ca. 1,6% jährlich wuchs, nahm der Ausländeranteil im gleichen Zeitraum

um durchschnittlich ca. 8,5% zu.

Von 1990 bis 2001 stieg die Zahl der Jugendlichen zwischen 0-19 Jahren leicht an, während

die Zahl der 20-29 Jährigen zurück ging. Insgesamt stieg die ältere Bevölkerung konstant

durchschnittlich um 3,7% Wachstumsraten pro Jahr an, was sich auf das durchschnittliche

Alter des Landes direkt bemerkbar machte, so betrug 2000 das durchschnittliche Alter 34,2

Jahre, während 1990 das Durchschnittsalter noch 29,8 Jahre war.

Tab. 1 Bevölkerungsentwicklung in Singapur

Total 1970 1980 1990 2000 2001Bevölkerung insgesamt 2.074,5 2.413,9 3.047,1 4.017,7 4.131,2Singapurische Bevölkerung 2.013,6 2.282,1 2.735,9 3.263,2 3.319,1Ausländischer Bevölkerungsteil 60,9 131,8 311,3 754,5 812,1Wachstumsraten Bevölkerung insgesamt 2,8% 1,5% 2,3% 2,8% 2,8%Singapurische Bevölkerung k.A. 1,3% 1,7% 1,8% 1,7%Ausländischer Bevölkerungsteil k.A. 8,0% 9,0% 9,3% 7,6%

Quelle: SdoS, 2002

3. Stadtgründung

1819 errichtete Sir Thomas Stamford Raffles im Auftrag der British East India Company auf

einer 42×22 km großen Insel vor der Südspitze Malayas in heutigen Singapur einen

Handelsstützpunkt. Raffles hatte Singapur, das sich zur dieser Zeit verkehrsmäßig in einer

peripheren Lage befand, wegen seines natürlichen, taifunsicheren Tiefwasserhafens

ausgewählt. Es sollte gegenüber dem damals dichtem Netz der holländischen

Handelsstützpunkte zum Ausweichstandort auf dem Malayischen Archipel werden.

Hauptinteresse der British East India Company war, Singapur als Freihafen zu nutzen, um

damit der holländischen Handelsvormacht in der Region entgegentreten zu können.

Bis zu der Eröffnung des Suez-Kanals, der Verbreitung der Dampfschifffahrt hatte Singapur

für das britische Weltreich politisch noch keine Bedeutung. Allerdings änderte es sich im Jahre

1869 schlagartig, denn mit der Eröffnung des Suez-Kanals rückte Singapur in eine

geographisch zentrale Lage, da die Suez-Route die frühere Kap-Route ersetzte und damit den

alten Seeweg erheblich verkürzte.

In dieser strategisch und handelspolitisch günstigen Lage am Schlüsselpunkt der

Seedurchfahrt zwischen Malaysia und Indonesien, zwischen Indischem Ozean und

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Südchinesischem Meer wurde Singapur zu einem bedeutenden Umschlagsplatz für

Handelswaren, zur Bunkerstation für Kohle und Treibstoff auf der Ost-West-Handelsroute und

zu einem der wichtigsten britischen Militärstützpunkte in Ostasien (vgl. W. Bürklin 1993, S.19;

H. Uhlig 1988, S.471)

4. Wirtschaftliche Entwicklung Singapurs

4.1. Entwicklung bis zur Unabhängigkeit

Singapurs wirtschaftliche Entwicklung kann man seit der Gründung Singapurs in folgende

sieben Phasen (siehe Tab. 1) unterteilen, wobei die eigentliche industrielle Entwicklung ab

1959 anfängt.

Tab. 2 Phasen der wirtschaftlichen Entwicklung Singapurs1819 – 1959 Umschlagshafen (Entrepot)

1959 – 1965 Importsubstitutierende Industrialisierung

1966 – 1973 Arbeitsintensive Exportindustrialisierung

1974 – 1984 Strukturwandel zugunsten sach –und humankapitalintensiver Industrien

1985 – 1997 Diversifizierung und Regionalisierung

1997 - 1998 Asienkrise

seit 1998 Übergang zur wissensbasierten Ökonomie

Quelle: Kiese 2002, S. 81

Um im internationalen Handel konkurrenzfähig zu sein, unterstützten alle britischen

Gouverneure die Entwicklung des Hafens und unterhielten ein effizientes System staatlicher

Minimalverwaltung. Sie reduzierten die Steuerquoten auf ein Minimum und verzichteten

zeitweise vollständig auf Hafengebühren. In dieser Hochphase des britischen Imperiums

blühte Singapur wirtschaftlich auf und wurde rasch zum bedeutendsten

Umschlagshandelszentrum (Entrepot) Südostasiens für Exporte aus der Region sowie

Importe aus Europa, Indien und China. Allerdings nach dem Zweiten Weltkrieg wurde

Singapurs Wettbewerbsfähigkeit als Entrepot zunehmend von den Nachbarländern bedroht,

da diese, um die Zwischenhändler zu umgehen, angefangen hatten, ihre eigenen

Umschlagshäfen zu entwickeln.

Als 1959 Singapur von der Kolonialmacht die Selbstverwaltungsautonomie erhielt, gewann die

bis heute regierende, sozialistisch orientierte People`s Action Party (PAP) die Wahl. Das

hatte ziemlich großen Einfluß auf die weitere Entwicklung des Landes.

Zur der Zeit wurde Singapur mit den folgenden Problemen konfrontiert:

���� Verstärkte Konkurrenz im Entrepot-Handel;

���� Arbeitslosigkeit, die sich zusätzlich durch die seit den 50er Jahren steigende

Geburtenwelle mit Wachstumsraten bis zu 4,3 Prozent in den nächsten Jahren noch

verschärfen sollte;

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���� die Verlagerung der Kapital- und Geschäftsaktivitäten von Unternehmen, die durch die

neue Regierung verunsichert sind, in die benachbarte Staaten;

���� Politisches Investitionsrisiko hielt ausländische Investoren von einem Engagement in

Singapur ab. Dazu waren auch die lokalen Unternehmer eher zurückhaltender in

Hinsicht auf Investitionen für den heimischen industriellen Sektor. Darüber hinaus

verfügte weder die Unternehmer über die notwendigen Produktionstechnologien noch

die Arbeiter über den notwendigen Ausbildungsstand, um eine konkurrenzfähige

Produktion aufnehmen zu können;

���� Schließlich war auch die für eine rasche Industrialisierung notwendige Infrastruktur

nicht vorhanden (vgl. W.Bürklin 1993, S.25f; M. Kiese 2002, S.81f).

Somit war es für Singapur dringend erforderlich, alternative Einkommens- und

Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen.

4.2. Arbeitsintensive Industrialisierung

1959 betrug in Singapur die Arbeitszeit 44 Wochenstunden bei elf gesetzlichen Feiertagen,

sieben Tagen bezahltem Urlaub, 28 bezahlten Krankheitstagen und zwei Monaten

Schwangerschaftsurlaub. Mehrarbeit war zu einem Überstundensatz von 150 % zu vergüten,

der sich an Sonn – und Feiertagen verdoppelte. Hinzu kamen Zuschüsse zu Verpflegung,

Wohnung und Arztkosten und die Garantie jährlicher Bonuszahlungen. Mit diesen

Einkommensverbesserungen, die aufgrund massiven gewerkschaftlichen Drucks durchgesetzt

wurden, hatte Singapur 1960 das höchste Lohnniveau im asiatischen Raum erreicht (vgl.

W.Bürklin 1993, S.23).

Aus diesen und politischen Gründen entschied sich die neue PAP – Regierung für ein staatlich

geschützten Aufbau einer Fertigungsindustrie, da sie die durch gestiegene Arbeitskosten

verteuerten Singapurer Produkte durch Zölle und Importbeschränkungen vor der

ausländischen Konkurrenz schützen musste. Der Aufbau des Verarbeitenden Gewerbes sollte

im Rahmen einer Strategie der Importsubstitution für den Binnenmarkt der Malaysischen

Föderation, der Singapur am 16. September 1963 beitrat, erfolgen.

Dafür wurde ein Industrialisierungsprogramm entwickelt, bei dem sich Singapur die

Unterstützung der Entwicklungsbehörden der Vereinten Nationen nahm.

Es wurde ein ausdifferenzierter Industrialisierungsplan erstellt, der den Ausbildungsstand der

erwerbstätigen Bevölkerung und die nicht vorhandenen Rohstoffvorkommen berücksichtigte.

Demzufolge war einen langfristigen Aufbau von Kapazitäten in den Bereichen Schiffsbau und -

reparatur sowie Metall-, Elektrogüter- und chemische Industrie vorgesehen. Um den Plan

rasch umzusetzen, richtete Singapur eine zentrale Behörde – das Wirtschaftsentwicklungsamt

(Economic Development Board, EDB) – zur Unterstützung ein.

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Das bedeutendste Einzelprojekt des Entwicklungsplans, in das der größte Teil der Finanzhilfe

der Vereinten Nationen floss, war der Aufbau des Industriegebietes Jurong im verkehrsmäßig

kaum erschlossenen Westen der Insel.

In der Folgezeit wurden immer differenziertere Angebote von Infrastrukturleistungen

bereitgestellt und es wurden steuerliche Anreize für neue Produktionsunternehmen und deren

Schutz durch Importzölle und -quoten vorgesehen (vgl. W.Bürklin 1993, S. 26ff).

Zwischen 1950 und 1985 flossen dem Stadtstaat über das United Nations Development

Programm insgesamt 27,22 Mio. US Dollar zu, es wurden 744 Experten für unterschiedliche

Projekte entsandt, 2029 Ausbildungsstipendien gewährt und 7,782 Mio. US Dollar für

Einrichtung und apparative Ausstattung zur Verfügung gestellt. Weit wichtiger aber war die

symbolische Wirkung auf ausländische Investoren, die darin die wirtschaftspolitische

Verlässlichkeit der neuen Regierung bestätigt sahen (vgl. W.Bürklin 1993, S.31).

Nach dem die Industrieansiedlung in Singapur in den ersten Jahren nur sehr langsam

vorangegangen war, löste die Ankündigung des gemeinsamen Marktes einen enormen

Aufschwung aus. Allein im Jahre 1963 wurden 95 neue Pionierzertifikate vergeben, die

Investitionen in Höhe von 380 Mio. Singapur Dollar und einen Beschäftigungseffekt von

18.000 Arbeitsplätzen nach sich zogen. Dennoch kam es bald zu Problemen, die

hauptsächlich in den politischen und ethnischen Differenzen zwischen Singapur und der

malaysischen Zentralregierung lagen. Schließlich wurde Singapur aus der Föderation

entlassen und erhielt am 9. August 1965 seine volle Unabhängigkeit.

Trotz der relativ kurzen Zeit brachte die Mitgliedschaft entscheidende Weichenstellungen für

die Durchsetzung des Industrialisierungsprogramms. Der Eintritt beseitigte für die neue (PAP)

Regierung die kommunistische Opposition, was ihre zukünftige Macht verstärken sollte.

Darauf bauend wurde eine gesetzliche Neuordnung des Gewerkschafts- und Arbeitsrechtes

genommen. Das Ergebnis war eine rasche und dauerhafte Begrenzung von Streiks und

Arbeitskämpfen: Fanden während der großen Auseinandersetzungen von 1961 noch 116

Streiks statt, so wurde diese Zahl 1967 auf zehn reduziert. Die danach folgenden

Arbeitsniederlegungen waren von nur kurzer Dauer. Seit 1978 ist Singapur faktisch streikfrei

(siehe Abb.1)(vgl. W.Bürklin 1993, S.34f).

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

- 9 -

S t ei k s i n S in g apu r 1 9 5 5 - 1 9 7 9

1 1 6

8 8

4 7

4 05 2

1 05 1 07 4 1 0

1 4

3 0

1 0

3 9

2 7

4 04 5

2 2

0

2 0

4 0

6 0

8 0

1 0 0

1 2 0

1 4 0

1 9 5 5 1 9 6 0 1 9 6 5 1 9 7 0 1 9 7 5 1 9 8 0

J a h r

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de

r S

tr

eik

s

Abb. 1 Eigene Darstellung aus W.Bürklin 1993, S.36

Der Austritt klärte zwar die ethnischen Fronten, allerdings bedeutete es gleichzeitig den

endgültigen Abschied vom großen Binnenmarkt mit Malaysia. Damit war die Voraussetzung

für den Erfolg der importsubstituierenden Industrialisierung weggefallen. In der Folge wurde

Singapur für all die ausländischen Investoren, die wegen des geschützten Marktes nach

Singapur gekommen waren, uninteressant. Allein im Jahre 1966 zogen rund 30 amerikanische

Industrielle ihre Investitionszusagen in Jurong zurück. So machte Singapurs Bruch mit der

malayischen Föderation die Exportorientierung der Wirtschaft unumgänglich.

Mit der Importsubstitutionsindustrialisierung waren die unterstützenden Institutionen und

infrastrukturellen Einrichtungen in wesentlichen für die weitere Industrialisierung geschaffen.

Trotz des 5,7 prozentigen durchschnittlichen Wirtschaftswachstums zwischen 1961–1965 hat

sich der Anteil des verarbeitenden Gewerbes am realen BIP von 16,9% (1960) auf 19,1%

(1965) erhöht.

Die Arbeitslosigkeit blieb jedoch mit schätzungsweise mehr als 10% nach wie vor hoch, und

die Summe der ausländischen Direktinvestitionen (ADI) im verarbeitenden Gewerbe belief

sich von 1960 – 1965 nur auf 157 Mio. US $ (vgl. Fischer 2001, S. 29)

4.3. Exportorientierte Industrialisierung

Während die Mehrzahl der Entwicklungsländer eine Strategie der Importsubstitution

verfolgten, entschied sich Singapur für eine Strategie der arbeitsintensiven

Exportindustrialisierung auf der Basis von ausländischen Direktinvestitionen. Die

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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Exportorientierung in der Wirtschaft wurde mit verschiedenen, großzügigen steuerlichen

Anreizen gefördert.

Der Transfer von Kapital und Unternehmensgewinnen ins Ausland wurde legalisiert und es

wurden den wichtigsten Partnerstaaten Verhandlungen über Investitionsschutzabkommen

angeboten: 1966 mit den Vereinigten Staaten, danach mit weiteren Staaten und im Jahre

1975 mit der Bundesrepublik. Schließlich wurden Zug um Zug weitere Steuern abgeschafft

(vgl. W.Bürklin 1993, S.43).

Die Auflösung der militärischen Stützpunkte Großbritanniens 1971 traf Singapur aus

wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Gründen hart, da direkt im Stützpunkt 30.000

Personen beschäftigt, und darüber hinaus 100.000 bis 150.000 Personen direkt oder indirekt

davon abhängig waren. Das war rund ein Viertel der erwerbstätigen Bevölkerung Singapurs.

Außerdem verfügte das Land weder über eigene Streitkräfte noch über die staatlichen

Einnahmen, um die notwendigen Militärausgaben tragen zu können.

Darauf reagierte die Regierung mit massiven Kostenentlastungen zur Verbesserung der

Wettbewerbsfähigkeit der singapurischen Wirtschaft, z.B. durch weitere Steuersenkungen,

Zollbefreiungen für die notwendigen Einfuhren der Fertigungsindustrie, sowie eine Senkung

der Lohnkosten über eine erneute Reform der Arbeitsgesetzgebung (vgl. W.Bürklin 1993,

S.44f).

Zusätzlich wurde der Staat in den für die wirtschaftliche Entwicklung notwendigen Güter und

Dienstleistungen, die von den privaten Unternehmen nicht oder nicht ausreichendem Maße

angeboten wurden, tätig. Der Staat bediente sich dazu eines Systems von halbstaatlichen

Unternehmen, den Statutory Boards. Es entstanden durchschnittlich 70 Boards, deren Zahl

und Aufgaben stetig ausgeweitet wurden, um neue Probleme auf möglichst unbürokratischem

Wege rasch und effektiv lösen zu können. Darüber hinaus gründeten entweder die Ministerien

oder der drei staatlichen Dachgesellschaften- Temasek Holdings Pte.Ltd., Ministery of

National Development (MND) Holdings Pte. Ltd. und Sheng-Li Holdings Co.Pte.Ltd.- rechtlich

selbständige Gesellschaften, die nach marktwirtschaftlichen Prinzip arbeiten. Diese

Regierungsgesellschaften boten ein breites Spektrum von Infrastruktur, Gütern und

Dienstleistungen an. Die Zahl dieser Unternehmen, die jeweils zu den größten ihrer Sparte in

Singapur gehörten, war bis 1986 auf 634 angestiegen.

Der steigende Welthandel und die Verlegung von Firmen der Textil- und Bekleidungsindustrie

aus anderen asiatischen Ländern nach Singapur sorgten für einen hohen Zufluss von ADI.

Singapurs Infrastrukturinvestitionen und Investitionsanreize lockten viele Unternehmen aus

den Industrieländern an, die in der Endphase des Nachkriegsbooms nach Möglichkeiten zur

Auslagerung arbeitsintensiver Fertigung an kostengünstigen Standorte suchten. Es wurden

von der Regierung bevorzugte MNU angesiedelt, die mit ihren Ressourcen und internationalen

Netzwerken genügend Arbeitsplätze, Produktionskapazitäten, Technologien, Know-How und

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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ausländische Märkte anboten und schaffen konnten. Von 1968 bis 1973 beliefen sich die

Investitionen allein im verarbeitenden Gewerbe auf mehr als 2,3 Mrd. US Dollar. Dieser

Strategiewandel erwies sich als überaus erfolgreich: In der folgenden Abbildung wird das

Wachstum des BSP Singapurs in dem Zeitraum zwischen 1960 und 1973 in Prozent gezeigt.

0

8 ,6

7

1 0 ,5

-4

6 ,5

1 0 ,6

1 31 4 ,3

1 3 ,41 3 ,41 2 ,5

1 3 ,3

1 1 ,3

-4

-2

0

2

4

6

8

1 0

1 2

1 4

1 6

Pr

ozen

t

1 9 6 0 1 9 6 2 1 9 6 4 1 9 6 6 1 9 6 8 1 9 7 0 1 9 7 2

J a h r

B S P - W a c h s t u m S in g a p u r s 1 9 6 0 - 1 9 7 3

Abb.2 Eigene Darstellung aus W.Bürklin 1993, S.40

Bei einem hohen Wachstum des realen BIPs um durchschnittlich 12,7% zwischen 1966-1973

stieg der Anteil des verarbeitenden Gewerbes am BIP von 16% (1963) auf 22,3% (1973).

Allein in diesem Sektor entstanden von 1967 bis 1973 147.500 neue Arbeitsplätze, so dass

es Anfang der 70er Jahre erstmals zu einer Verknappung der Arbeitskräfte kam. (vgl. M. Kiese

2002, S.83; Fischer 2001, S. 31; W. Bürklin 1993, S.51fff).

4.4. Versuch der qualitativen Anhebung der Wirt schaft (1974 – 1979)

Wurde der Zeitraum zwischen 1966-1973 noch durch die Ausweitung der arbeitsintensiven

Produktion in der Textil- und Bekleidungsindustrie geprägt, kam es ab Mitte der 70er Jahre

aufgrund von Engpässen auf dem Arbeitsmarkt und den langsam ansteigenden Lohnkosten

bei stagnierender Arbeitsproduktivität sowie der zunehmenden Konkurrenz durch andere

Niedriglohnländern gerade in arbeitsintensiven Sektoren zu dem Versuch des Aufbaus von

kapital-, technologie- und humankapitalintensiver Industrien (vgl. Menkhoff 1995, S.16). Mit

dem Ziel des technologischen Aufholprozesses versuchte die Regierung die Wirtschaft zu

restrukturieren, indem insbesondere die fertigungs- und technologieintensiven Bereiche wie

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

- 12 -

die Computer-, Elektronik-, Erölverarbeitung und chemische Industrien speziell gefördert

wurden. Jedoch scheiterte dieser erste Anlauf an externen Umständen wie der ersten Ölkrise

1973 und der darauffolgenden weltweiten Rezession von 1974-1976 (vgl. Fischer 2000, S.33).

Während es im Verarbeitenden Gewerbe aufgrund der hohen Abhängigkeit von ausländischen

Märkten zu einem massiven Stellenabbau kam, wuchsen die Bereiche des Bauwesens und

des Finanzsektors und trugen zu einem Anstieg des realen BIP auf durchschnittlich 7,6% p.a.

(1973-78) mit bei. Der geplante wirtschaftsstrukturelle Wandel konnte dann 1979 durchgesetzt

werden.

4.5. Wirtschaftliche Restrukturierung (1979 – 1984)

Aufgrund des einsetzenden Arbeitskräftemangels Mitte der 70er Jahre und den steigenden

Löhnen wurde deutlich, dass die Konkurrenz aus anderen „Billiglohnländern“ die ebenfalls mit

niedrigen Löhnen warben zu groß wurde. 1979 wurde als Reaktion darauf die Second

Industrial Revolution (SIR) eingeleitet. Mit der Einführung einer Hochlohnpolitik versuchte die

Regierung arbeitsintensive Industrien zu verdrängen und sie durch höherwertige, technologie-

und kapitalintensive Industriezweigen zu ersetzten. So gab es Anreize für Unternehmen zur

Steigerung der Produktivität und der inländischen Wertschöpfung. Die Lohnsteigerungen

schwächten die Wettbewerbsfähigkeit Singapurs bei arbeitsintensiven Industrien und erhöhten

sie bei technologie- und fertigungsintensiven (vgl. Fischer 2000, S.34 ff.). Ergebnis dieser

politischen Eingriffe war, dass die Löhne bald die Produktivitätsgewinne überstiegen. Des

weiteren schuf man vermehrt finanzielle Anreize, förderte Aktivitäten im FuE – Bereich und

verbesserte weiter die Bildung der Arbeitskräfte. Im Zeitraum von 1979-84 stieg das reale BIP

durchschnittlich um 7,8% p.a.. Die Arbeitslosenquote lag in diesem Zeitraum bei 2,7%. Der

Industrieanteil am BIP erreichte bis 1980 mit 28,1% seinen Höchststand und fiel bis 1985

wieder auf nur noch 22% ab. Der Aufbau der technologieintensiven Industrien erfolgte

allerdings in erster Linie durch MNU aus Japan, Europa und den USA.

Mit der Restrukturierung des Verarbeitenden Gewerbes wollte Singapur seine internationale

Wettbewerbsfähigkeit ausbauen. „Wie sich zeigen sollte, war die Umstrukturierung jedoch zu

schnell vollzogen worden, so dass Singapur 1985 in eine schwere wirtschaftliche Krise geriet“

(Fischer, 2000 S.35).

4.6. Diversifizierung und Regi onalisier ung (1985 – 1997)

Bedingt durch die Rezession 1985, ausgelöst u.a. durch die Hochlohnpolitik und die

nachlassende Weltnachfrage sowie die Aufwertung des S$, stellte sich erstmals ein negatives

Wachstum des realen BIP von –1,6% ein. Die Arbeitslosenquote stieg zwischenzeitig auf bis

zu 6,5% (1986) an, und die Investitionen im Verarbeitenden Gewerbe gingen um zwei Drittel

zurück. Um die Krise zu bewältigen, leitete die Regierung einschneidende kostenreduzierende

Maßnahmen sowie eine veränderte Lohnpolitik ein. Diese Maßnahmen führten dazu, dass

Page 13: Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel … Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell? - 3 - I Abbildungsverzeichnis Abb.

Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

- 13 -

sich die Wirtschaft 1987 wieder erholen konnte und die Arbeitslosenquote 1990 wieder auf

1,7% gesenkt wurde und sich bis 1997 unter 3% halten konnten. Die Krise hatte die starke

Abhängigkeit von den MNU gezeigt. Aufgrund dessen wurde die Stützung eigener

einheimischer Unternehmen gefördert, um die Verwundbarkeit Singapurs in Zukunft zu

verringern. Neben den kurzfristigen Maßnahmen der Regierung, um die Rezession zu

überwinden, wurde auch die Entwicklung Singapurs zum regionalen Dienstleistungszentrum

vorangetrieben. Mit dem Ziel Singapur zu einem „globalen total business centre“ (Fischer

2000, S.36) auszubauen, kam es 1989 zur Initiierung des Wachstumsdreieck (growth

triangles) Singapur-Johor (Malaysia) und Riau Inseln (Indonesien) mit dem Ziel, Singapur als

Operationszentrum für MNU sowie als Produktionsstandort für höherwertige Teile der

Wertschöpfungskette in Asien zu etablieren. Der schon in den 1980er Jahren begonnene

Strukturwandel hin zu einer wissensbasierten und wissensintensiven Industrialisierung in

Singapur sowie die Regionalisierung der einheimischen Unternehmen stehen auch in den

1990er Jahren weiter im Vordergrund. Anhaltende nachlassende Wettbewerbsvorteile auf

dem Niedriglohnsektor veranlassten Singapur weiter zum verstärkten Aufbau von technologie-

und humankapitalintensiven Industrien. Innerhalb des Verarbeitenden Gewerbes kam es zu

einem Bedeutungsanstieg des Elektroniksektors, auf den in der zweiten Hälfte der 90er Jahre

knapp die Hälfte der Industrieproduktion entfielt. Im Vergleich waren es 1980 nur 14,2% (vgl.

Kiese 2002, S.85). Man erkannte, dass eine verstärkte Technologieorientierung der Wirtschaft

die Wachstumsdynamik im Stadtstaat aufrecht erhalten kann. In den letzten Jahren legte

Singapur ein erhöhtes Augenmerk auf die Errichtung und Erweiterung von FuE –

Einrichtungen. Darunter fällt auch der geplante „Technology Corridor“, in dem durch die

Ansiedlung von Industrieunternehmen und Forschungseinrichtungen die Zusammenarbeit im

FuE-Bereich verstärkt werden soll. Dass diese Bemühungen noch am Anfang stehen, zeigen

die 1996 von der Regierung und von privater Seite investierten finanziellen Mitteln, die mit

1,35% des BIP im Vergleich z.B. zu Südkorea (2,7%) oder Deutschland (2,3%) relativ niedrig

ausfallen (vgl. Diez 1999, S.24). Vielmehr sind die MNU immer noch die wichtigste Quelle und

Träger für Kapital, Know-How und Technologietransfer. Singapur profitiert davon mit einem

beschleunigten wirtschaftlichen Wachstumsprozess und einer fortschreitenden Integration in

den Welthandel. Um die wirtschaftspolitischen Ziele, wie u.a. die verstärkte Anziehung von

High-Tech Unternehmen, die Förderung wertschöpfungsintensiver Aktivitäten sowie

Investitionen in die Aus- und Weiterbildung umsetzten zu können, wurde 1991 der Strategic

Economic Plan entwickelt, der zahlreiche sektorale und thematische Programme enthielt.

Beispielsweise das Programm Manufacturing 2000. Die wirtschaftliche Entwicklung Singapurs

soll gleichermaßen durch das Verarbeitenden Gewerbe und den Dienstleistungssektor als

„Twin engines of growth“ vorangetrieben werden. Um dies zu gewährleisten, soll es

strukturelle Veränderungen im Verarbeitenden Gewerbe zugunsten höherwertiger

Page 14: Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel … Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell? - 3 - I Abbildungsverzeichnis Abb.

Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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Industriezweige geben und der Beschäftigungsanteil insgesamt bei 20% gehalten werden. Im

International Buisness Hub 2000 soll durch Initiativen im Dienstleistungsbereich Singapurs

Position als regionales Zentrum für Unternehmens- und Finanzdienstleistungen, für Logistik

und IuK-Technologien gestärkt und ausgebaut, sowie eine vermehrte Ansiedlung von

regionalen HQ Funktionen von MNU angezogen werden. Mit dem Regionalisierungsprogramm

Regionalisation 2000 rückte die Regionalisierung der Wirtschaft als ein zentrales Ziel in die

Mitte Ihrer Wirtschaftspolitik. Es sollen vor allem lokale Unternehmen dazu bewegt werden, im

Ausland zu investieren (vgl. Kiese 2002, S.84). So können einerseits die einheimischen

Unternehmen am industriellen Wachstum anderer Regionen profitieren, und andererseits

reduziert sich die gesamtwirtschaftliche Abhängigkeit des Landes von ausländischen

Kapitalgebern. 1991 wurde ebenfalls das NSTB gegründet um eine Forcierung der FuE-

Aktivitäten voranzutreiben. Mittel waren hier vor allem der erste und zweite National Science

and Technology Plan.

4.7. Asienkrise (1997 – 1998)

Die asiatische Finanz- und Währungskrise, die ab Mitte 1997 von Thailand ausging, hat die

NIC`s unterschiedlich stark betroffen. Während z.B. Indonesien und Malaysia stark betroffen

waren blieb Singapur relativ verschont, musste jedoch auch eine Verlangsamung seines

Wachstums hinnehmen. 1998 ging das Wachstum des BIP auf -0,1% zurück, der Aktienindex

fiel um 60% und der Immobilienmarkt brach um 40% ein. Auch bei den In- und Exporten

mussten Einbrüche verkraftet werden (12,2% und 23,3%). Die Arbeitslosenquote stieg 1998

auf 3,2% und 1999 auf 4,6% an. Als Ursache für diese Rückgänge wird u.a. die verringerte

regionale Nachfrage als Folge der Asienkrise gesehen. Die Abwertung der

Nachbarlandswährungen besonders in Thailand, Indonesien und Malaysia hat Singapur für

Kunden und Investoren teuer gemacht und gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit des Landes

(vgl. Pohl 1999, S. 337). Wirtschaftlich waren vor allem der Handel, der Tourismus sowie die

Finanz- und Unternehmensdienstleistungen von der Krise betroffen. Dies galt allerdings nicht

für den Export von Zwischenprodukten, da dieser überwiegend außerregionale Märkte

bediente. Als Gründe, dass Singapur im Vergleich nur gering von der Asienkrise betroffen war,

werden zum einen immer wieder die festen makroökonomischen Grundlagen, ein gesundes

Finanzsystem und die politische und soziale Stabilität zum anderen die vorgezogenen

Liberalisierungsmaßnahmen bei der Telekommunikation und den Finanzmärkten gesehen.

Allerdings hat sich sie politische und wirtschaftliche Stabilität im direktem Umfeld Singapurs

seit der Asienkrise teilweise erheblich verschlechtert.

4.8. Übergang zur wissensbasierten Ökonomie (ab 1998)

Als Lehre aus der Asienkrise verstärkte Singapur die Bemühungen, seine Wirtschaft in

Richtung einer Knowledge-based economy zu entwickeln, um seine Position im

Page 15: Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel … Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell? - 3 - I Abbildungsverzeichnis Abb.

Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

- 15 -

internationalen Wettbewerb langfristig zu sichern. Die Fähigkeit, auf Wissen zuzugreifen, es

anzuwenden und ausnutzen zu können, wird immer mehr in den Vordergrund gerückt (vgl.

Fischer 2000, S.37). So sollte das bloße Hinzufügen von Wertschöpfungsanteilen zunehmend

durch die Generierung eigenen Wissens ersetzt werden (vgl. Kiese 2002, S.86). Es wurden

acht strategische Überlegungen angeführt um diese Vorhaben zu realisieren. „(...)Die

Beibehaltung von Verarbeitenden Gewerbe und Dienstleistungssektor als

Wachstumsmotoren, die Stärkung der Außenwirtschaft, den Aufbau international

wettbewerbsfähiger Unternehmen, die Stärkung endogener KMU, die Realisierung von

Wettbewerbsvorteilen durch Humankapital sowie Wissenschaft, Technologie und Innovation,

die Optimierung des Ressourcenmanagements sowie die wirtschaftsfördernde Rolle der

öffentlichen Hand(...)“ (vgl. Kiese 2002, S.87). Mit dem vom EDB 1999 aufgestellten Industry

21 Master Plan soll versucht werden, Singapur zu einem führenden Kompetenzzentrum für

wissensbasierte Aktivitäten sowie zur Entscheidungszentrale multinationaler Unternehmen

auszubauen. Dienstleistungen und hochwertige Industrien sollen innerhalb der nächsten zehn

Jahre 40% des BIP erwirtschaften. Der Premierminister Singapurs GOH CHOK TONG entwarf

2001 eine New Economy Strategy mit, der Singapur die vorhandenen

Entwicklungshemmnisse überwinden und sich zu einer weltweit vernetzten Global City

entwickeln soll. Die hohen Land- und Lohnkosten, die Schwäche der inländischen

Unternehmen sowie die hohe Abhängigkeit von der Elektronikbranche sollen durch fünf

Kernpunkte der Strategie überwunden werden. Mit der Internationalisierung sollen neue

Märkte in der eigenen aber auch in fremden Regionen erschlossen werden. Der

Strukturwandel innerhalb der Industrie soll durch weitere Deregulierung fortgesetzt werden.

Hier stehen insbesondere der Aufbau von neuen Kompetenzfeldern in der

Informationstechnologie und den Life Sciences im Vordergrund. Das Humankapital soll bei

gleichzeitiger Anwerbung von ausländischen Spezialisten verbessert und ausgebaut werden.

Eigene Innovationen sollen den Import von Wissen ergänzen und es soll eine

Unternehmensstruktur etabliert werden, die sich durch höhere Risiko- u. Gründerbereitschaft

auszeichnet (vgl. Peebles G.; Wilson P, 2002 S.255).

Die wachsende wirtschaftliche Bedeutung Chinas, verstärkt durch die fortschreitende

Globalisierung, führt seit Jahren zu einer Verschiebung des Wirtschaftsgefüges in Ost/

Südostasiens. MNU verlagern ihre Aufmerksamkeit zunehmend auf China. Singapur muss

derzeit durch die schwerste Wirtschaftskrise seit der Gründung der Republik 1965 gehen. Dies

wird eine weitest gehende Neuorientierung der Wirtschaft in Singapur erfordern. Wurde 1999

und 2000 noch ein BIP Wachstum von 5,8% bzw. 9,9% erreicht, schrumpft es 2001 um 2%.

Während sich die Arbeitslosenquote in den 1990er bei etwa 3% halten konnte, stieg sie ab

Ende 1999 sukzessiv auf 6% im Jahre 2002 an.

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

- 16 -

Abb.3 Entwicklung der Arbeitslosenentwicklung in % 1970-2002

0,0%

2,0%

4,0%

6,0%

8,0%

10,0%

12,0%

1970

1975

1980

1985

1986

1987

1988

1989

1990

1991

1992

1993

1994

1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

Arbeitslosenquote

Der Stadtstaat sieht sich derzeit vier hauptsächlichen Problemen gegenüber stehen: zum

einen die momentanen Schwächen der Hauptabsatzmärkte in den USA sowie in Südostasien,

zum anderen die Konzentration auf nur wenige Branchen (die Elektronik, das

Ingenieurswesen sowie die chemische Industrie) und der extreme wirtschaftliche

Bedeutungszuwachs Chinas. Singapur muss jetzt kämpfen, um seine Position im

internationalen Wettbewerb zu wahren (vgl. FAZ 05.11.2002).

Unter dem Druck der wirtschaftlichen Realität sowie um die Standortqualität im Stadtstaat zu

erhalten bzw. zu erhöhen, hat die Regierung ein Maßnahmenbündel beschlossen, das z.B. die

Last der direkten Steuern für Unternehmen mindern soll, die Flexibilisierung der Löhne und

Pensionskassengeldern, die Liberalisierungen im Immobilienbereich sowie ein Überdenken

der Rolle des Staates in traditionell als strategisch betrachteten Sektoren wie

Telekommunikation, Shipping und Energieversorgung (vgl. Hein 2002). Der Einfluss des

Staates soll also weiter gesenkt werden, indem Teile der GLC an der Börse veräußert werden

sollen. Ein Problem dabei ist der schwache lokale Unternehmenssektor, der nicht genug

Kapital aufweist um sich an den Anteilen zu beteiligen (vgl. Peebles G.; Wilson P, 2002

S.258).

5. Wirtschaftlicher Strukturwandel in Singapur anhand der Sektoren

Im Folgenden werden die jeweiligen Entwicklungen der einzelnen Sektoren beschrieben. Da

der Primäre Sektor Anfang der 90er Jahre in die Bedeutungslosigkeit abgesunken ist, wird er

hier nicht näher betrachtet.

5.1. Sekundärer Sektor

Der sekundäre Sektor Singapurs wird bis heute überwiegend durch exportorientierte

ausländische MNU dominiert. Zwischen den Jahren 1960-1980 nahm der Anteil am BIP des

Quelle: SDoS 2002

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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Verarbeitenden Gewerbes von 15,2% auf 28,1% zu und stabilisierte sich danach um 25%. In

dieser Zeit unterlag die Industriestruktur in Singapur einem erheblichen Wandel. Die zu

Beginn der Industrialisierung in Singapur dominierende arbeitsintensive Leichtindustrie wie

z.B. die Textil- und Bekleidungsindustrie oder Tabakindustrie hat spätestens seit den 1990er

Jahren ihren Einfluss gänzlich verloren. Die schon in den 1960er Jahren errichteten

Raffinerien legten die Grundlage für die sich anschließenden sachkapitalintensiven Industrien

wie die Erdölverarbeitung. Sie gewann in den 1970er und 1980er Jahren zunehmend an

Bedeutung und stellte die Basis für die Anziehung von verwandten Industrien wie der

Petrochemie und der chemischen Industrie dar. 1980 erreichten diese Branchen zusammen

einen Wert von 41,4% an der gesamten Produktionsstruktur, sanken in der Folgezeit jedoch

ab und stabilisierten sich dank der Förderung des Clusterkonzepts – Die Konzentration von

Industrieunternehmen einer Branche, um u.a. interne Ersparnisse, Skalenerträge und

Komplementäreffekte nutzen zukönnen - bei etwa 20% in den 90er Jahren. Heute dominieren

humankapital- und technologieintensive Branchen den Sekundären Sektor Singapurs. Die

Elektronikindustrie stellt derzeit mit Abstand die wichtigste Branche dar. Sie nimmt 1999

51,4% der Produktionsstruktur des Verarbeitenden Gewerbes ein. In Zukunft soll das

Verarbeitende Gewerbe weiter diversifiziert werden, dennoch wird erwartet, dass die

Elektronikindustrie auf längere Zeit noch die dominierende Branche bleibt.

Konnten in den vergangenen Jahren fast durchgehend Produktions- und Absatzsteigerungen

im Verarbeitenden Gewerbe verzeichnet werden, so zeigt sich momentan die ungesunde

Abhängigkeit Singapurs vom Elektronik-Sektor. Konnten im Jahr 2000 noch ca. 15% Zuwachs

verbucht werden, so kam es 2001 zu einem Einbruch von minus 12%. Grund hierfür war die

schwache Nachfrage an Elektronikprodukten in den USA.

Tab.3 Produktionsstruktur im Verarbeitenden Gewerbe, 1960-1999 1960 1970 1980 1990 1995 1999

Arbeitsintensive Leichtindustrie 44,8% 29,0% 14,2% 8,3% 4,7% 3,6%

Erdölverarbeitung & chemische Industrie 17,6% 36,6% 41,4% 25,0% 17,7% 20,6%

Elektronikindustrie 3,7% 7,3% 16,9% 39,1% 51,1% 51,4%

Sonstige 33,9% 27,1% 27,5% 27,6% 26,5% 24,4%

Summe 100,0% 100,0% 100,0% 100,0% 100,0% 100,0%Quelle: vgl. Kiese 2002, S.91

Beispiel Elektronikindustrie

Die Elektronikindustrie begann sich in den späten 1960er Jahren in Singapur niederzulassen

und entwickelte sich Ende der 1980er bzw. Anfang der 1990er Jahre zur dominierenden

Branche im Verarbeitenden Gewerbe. Sie stellt heute mit Abstand die wichtigste

Industriesparte in Singapur dar. 1999 waren zwar nur 5,2% der ansässigen

Industrieunternehmen in Singapur in dieser Branche tätig, jedoch vereinten sie knapp 31% der

Beschäftigten, 43,6% der Wertschöpfung und 62,2% der Direktimporte im Verarbeitenden

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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Gewerbe auf sich (vgl. Kiese, 2002 S.91). Die Elektronikindustrie gilt somit als die

Schlüsselindustrie für das Wirtschaftswachstum in Singapur. Auch innerhalb der

Elektronikindustrie gab es einschneidende strukturelle Veränderungen. Bis 1980 wurde dieser

Sektor durch arbeitsintensive Montagetätigkeiten in Unterhaltungselektronik und

Halbleiterfertigung dominiert. In den 80er Jahren wurden diese Bereiche zunehmend durch die

Fertigung von Computern, EDV- und Kommunikationsgeräten abgelöst. Mit Seagate kam

1982 erstmals die Produktion von Diskettenlaufwerken in Singapur auf. Gründe für Seagate,

sich in Singapur niederzulassen, waren vor allem finanzielle Anreize und die Disziplin der

Arbeitnehmerschaft. In der Folge (1986-96) produzierte Singapur jedes Jahr 45-50% der

gesamten Weltproduktion von Diskettenlaufwerken. In den späten 90er Jahren hatten 4 der 5

wichtigsten Hersteller ihre Hauptproduktion von Diskettenlaufwerken in Singapur. In den

letzten Jahren kam es allerdings zu einer Verlagerung in die Nachbarregionen Malaysia und

Indonesien (vgl. Peebles G.; Wilson P, 2002 S.100). Seit den 1990er Jahren ist es gelungen,

eine bewusste Diversifizierung der Elektronikindustrie zu vollziehen. Die Fertigung von

Siliziumchips oder LCD-Displays sowie eines Teils der sachkapital- u. technologieintensiven

Halbleiterindustrie konnten in Singapur etabliert werden. Die Bedeutung des Elektroniksektors

in Singapur wird auch deutlich, wenn man sieht, dass fast 50% der industriellen FuE-

Aufwendungen 1994 auf diesen Sektor entfielen. 2001 waren 61% der Investitionen des

gesamten verarbeitenden Sektors in diesem Bereich.

Die hohe Bedeutung der Elektronikindustrie und die damit verbundene Verwundbarkeit

Singapurs bei der globalen Nachfrage nach Elektronikprodukten zeigt sich momentan sehr

deutlich. Die Gesamtwachstumsraten Singapurs werden stark durch die Elektronikindustrie

beeinflusst.

Tab.4 Produktionsstruktur in Singapurs Elektronikindustrie, 1970-19991970 1975 1980 1990 1995 1999

Unterhaltungselektronik 100,0% 30,6% 38,9% 17,7% 7,8% 3,4%

Schaltkreise und Komponenten 0,0% 69,4% 54,5% 35,2% 27,6% 24,9%

Computer & Peripheriegeräte 0,0% 0,0% 5,4% 42,3% 47,0% 46,6%

Telekommunikation u.a. 0,0% 0,0% 1,2% 4,8% 17,6% 25,1%

Summe 100,0% 100,0% 100,0% 100,0% 100,0% 100,0%Quelle: Kiese 2002, S. 92

Beispiel Biotechnologie

In Zukunft soll Singapur mehr und mehr zum regionalen Zentrum für Zukunftsbranchen

ausgebaut werden, um die Abhängigkeit von der Elektronikindustrie zu reduzieren. Um

Zukunftsindustrien wie die Biotechnologien in Asien zu etablieren, müssen die Staaten

zunächst die wichtigen Grundlagen wie Rechtssicherheit, Ausbildung der Bevölkerung und ein

forschungsfreundliches Klima schaffen. In Singapur soll das Zentrum für die Biotechnologie in

Asien entstehen. Es gewährt den Unternehmen einen liberalen Umgang mit einem „Rohstoff“

Page 19: Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel … Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell? - 3 - I Abbildungsverzeichnis Abb.

Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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der Biotechnologie - den Stammzellen - und verschafft sich somit einen klaren

Wettbewerbsvorteil gegenüber Europa und den USA. Die Biotechnologie als ein

wissensintensives Betätigungsfeld soll zukünftig eine weitere Säule im Verarbeitenden

Gewerbe darstellen. Ziel der Regierung ist es, Singapur als ein Zentrum für Biotechnologie

auszubauen und selbst fünfzehn „worldclass“ Unternehmen auf diesem Sektor

hervorzubringen. Derzeit trägt die Branche jedoch mit 6,6 Mrd. S$ Jahresleistung nur ca. 5%

an der Gesamtproduktion der Industrie mit bei. Allerdings sollen es 2005 schon 12,5 Mrd. S$

sein (vgl. FAZ 20.08.02). Ein weiterer Baustein des Projekts ist der Wissenschaftspark

Biopolis für 300 Mio. S$, in dem in Zukunft 1500 Wissenschaftler forschen sollen (vgl. Peebles

G.; Wilson P, 2002 S.265). Trotz der staatlichen Finanzspritzen von fast 4. Mrd. US Dollar wird

es allerdings noch dauern, bis die Biotechnologie sich in Singapur rentiert. „Der Ausbau der

angestrebten Zukunftsbranchen ist ein Zeichen dafür, dass sich Singapur den globalen

Wachstumsbranchen anschließen will. So werden Bio- und Informationstechnik als

wesentlicher Bestandteil einer Knowledge-based economy gesehen“ (Fischer 2000, S. 77).

5.2. Tertiärer Sektor

„Mit steigendem wirtschaftlichen Fortschritt nehmen in der Regel auch die

Dienstleistungsanteile am BIP zu“ (Schrader 1995, S.6). Auch in Singapur erfährt der

traditionell starke tertiäre Sektor einen erheblichen Bedeutungszuwachs. Die

Wirtschaftsstruktur wird durch den Dienstleistungssektor dominiert. 1996 entfielen darauf 64%

des BIP (1999 sogar 67%). Handel, Banken und Versicherungen bilden somit eine wichtige

Säule in Singapurs Ökonomie. Innerhalb des Sektors kommt es immer mehr zu einer

Verschiebung. Geringwertige Dienstleistungen wie z.B. der Zwischenhandel verlieren

zunehmend an Bedeutung. Dagegen gewinnen hochwertige, internationale Dienstleistungen

wie z.B. der Finanzsektor und die Geschäftsdienstleistungen immer mehr an Einfluss.

Singapur zählt mittlerweile zu den zehn größten internationalen Finanzzentren der Welt. 1998

gab es in Singapur 145 Banken, 74 Handelsbanken und 17 Finanzierungsunternehmen. Der

Devisenhandel nahm beispielsweise von 1986 auf 1990 um 200% auf 80 Mrd. US$ pro Tag zu

(vgl. Fu-Chen, ohne Jahr). Der Aufstieg zu einem führenden Finanzplatz wurde durch die

Regierung seit den 1970er Jahren gezielt gefördert, u.a. durch die frühzeitige Liberalisierung

des Devisenhandels und eine nur sehr geringe Besteuerung aller Finanzgeschäfte.

Wirtschaftsstrukturelles Ziel ist es, Singapur als ein Kontenpunkt im weltweiten Netzwerk des

Angebots und der Nachfrage nach Dienstleistungen zu etablieren. Als ein zentraler Ort der

Weltwirtschaft soll es Schnittstelle für die Kontrolle und Lenkung von

Investitionsentscheidungen, Kapital- und Gütertransfers werden. 2001 musste der

Dienstleistungssektor allerdings erhebliche Rückschläge beim Wachstum hinnehmen.

Während die Transport- und Kommunikationsdienstleistungen sowie die Finanz- und

Geschäftsdienstleistungen noch geringe positive Werte ausweisen konnten, musste der

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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Handel ein Minus von 2,8% verbuchen. Um sich gegen Konkurrenten wie z.B. China oder

Taiwan durchzusetzten, muss Singapur sich weiter zu einer dienstleistungsorientierten

Gesellschaft entwickeln, um sich bei potentiellen hochwertigen Dienstleistungen wie z.B.

Finanz- oder Unternehmensdienstleistungen einen Vorsprung gegenüber den Mitbewerben zu

verschaffen (vgl. Peebles G.; Wilson P, 2002 S.252).

6. Die Entwicklung und Veränder ung der Expo rtstruktur

Um einen erfolgreichen industriellen Transformationsprozess und seine Auswirkung auf die

Exportstruktur aufzuzeigen, werden die Anteile von Maschinen und Elektrotechnik am

Gesamtexport als Indikator

herangezogen (vgl. Schrader

1995, S.7). Vor der

Industrialisierung, als

Singapur noch fast

ausschließlich vom Entrepot-

Handel geprägt wurde, waren

es vor allem Naturprodukte

und Produkte des

Verarbeitenden Gewerbes

aus Europa, die über

Singapur nach Asien

exportiert wurden. Mit der

einsetzenden Industrialisierung wurden nun auch Güter exportiert, die in Singapur hergestellt

wurden. Mit der Zeit kam es zu weiteren Verschiebungen des Handelsschwerpunktes. Waren

es in den 1960ern noch Rohmaterialien (vor allem Kautschuk), so wurden sie in den 1970er

Jahren von Maschinen, Transportgütern und Rohöl verdrängt. In den 1980er Jahren erhöhte

sich der Anteil der elektronischen Güter am Export. Seit den 1990er Jahren (Tab.4) steigt der

Anteil der höherwertigen Produkte am Export weiter. Hauptausfuhrgüter sind heute Maschinen

und Ausrüstungen, elektronische Komponenten, Erdöl und chemische Produkte (vgl. Fischer

2000, S.52). „Dem Stadtstaat ist es somit gelungen, seine Exportstruktur zu diversifizieren und

zu modernisieren“ (Schrader 1995, S.7).

Tab.5 Singapurs Exportgüter (Mio. S$)Exporte 1988 1995 1996 1997 1998 1999

Nahrungsmittel 4.667 5.153 5.160 5.223 4.515 4.984

Rohstoffe 2.999 2.086 1.889 1.787 1.367 1.471

Chemische Produkte 5.809 11.385 10.940 11.268 10.280 11.212

Maschinen und Elektronik 37.939 110.007 116.262 122.474 122.116 128.807Quelle: Fischer 2000, S.52; eigenen Darstellung

Abb.3 Exportstruktur nach Warengruppen in Singapur

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

90%

100%

1970 1991 1999

übrige Industrieprodukte

Textilien, Bekleidung

Maschinen, Elektrotechnik,Fahrzeuge

sonstige Rohstoffe

Mineralien, Metalle,Brennstoffe

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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Die hohe Bedeutung des Handels ergibt sich aus der Rolle Singapurs als „Re-Export-

Wirtschaft“. Das bedeutet, dass die Exporte eines Landes stark von den importierten

Rohstoffen, Kapitalgütern, Vorprodukten sowie Komponenten und Teilen abhängig ist.

Entscheidend für das Wachstum ist, wie viel Wert im Inland hinzugefügt wurde. In Singapur

beträgt der Anteil der Re-Exporte 40%, nur 60% wurden also tatsächlich in Singapur

produziert. Die Bedeutung des Exportes für Singapur wird deutlich wenn man sieht, dass er

1998 270% des BIP ausmachte, was in der Welt unerreicht ist. Singapur zählt somit zu den

sogenannten „Supertraders“ - Länder mit einem seht hohen Exportanteil am BSP - (vgl.

Schätzl, 2000 S.211). Bei den Pro-Kopf-Exporten liegt Singapur fast immer an erster Stelle

(Tab.5). 1999 wurden hochtechnologische Güter (beinhalten die gesamten

Elektronikprodukte) mit einem Wert vom 66,1 Mrd. S$ exportiert, was etwa 65,3% der

gesamten Exporte (ohne Re-Exporte) ausmacht (vgl. Fischer 2000, S.53). Hier wird noch mal

deutlich, dass es Singapur gelungen ist, seine Exportstruktur einer grundlegenden

Diversifizierung zu unterziehen.

Tab.6 Exporte pro Kopf in Asiatischen Exportländer in US$ 1997 (ohne Industrieländer)

Hochtechnologische Produkte Mitteltechnologische Produkte Geringtechnologische Produkte

Singapur 21.207 Singapur 5572 Singapur 2646

Taiwan 1.894 Taiwan 1001 Hongkong 2129

Malaysia 1.782 Süd Korea 723 Taiwan 1697

Hongkong 1.235 Hongkong 503 Süd Korea 705

Süd Korea 858 Malaysia 492 Malaysia 404Quelle: Fischer 2000, S.53; eigene Darstellung

Die wichtigsten Handelspartner sind die USA, Japan, Malaysia, Hongkong und Europa. Der

asiatische Raum stellt aber die Haupthandelsregion für Singapur dar, 1999 nahm er knapp

61% des Gesamthandels ein (USA 20%, Europa 16%). Die schleppende Auslandsnachfrage

an Elektronikprodukten und die Wirtschaftskrisen in den Nachbarländern wirken sich derzeit

belastend auf den Export Singapurs aus. 2001 fiel der Export um 9,4% auf 426. Mrd. S$ (vgl.

www.singstat.gov.sg, 20.06.02). Die starke Abhängigkeit vom Export lässt Singapur auf der

einen Seite profitieren, auf der anderen Seite gefährdet sie aber auch die internationale

Wettbewerbsfähigkeit. Es zeigt sich eine Verwundbarkeit gegenüber sinkender ausländischer

Nachfrage, einem Preisverfall wichtiger Produkte und einem steigenden Konkurrenzdruck

anderer Länder. Auch technologische Veränderungen können sich nachteilig auswirken.

„Daher ist es wichtig, auch im Außenhandel eine stärkere Diversifizierung und einen Ausbau

der eigenen Technologien voranzutreiben, um solchen Gefahren entgegenzuwirken“ (Fischer

2000, S.56).

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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7. Interne und externen Wachstumsdeterminanten

Der wirtschaftliche Aufschwung Singapurs hängt von einer Vielzahl interner sowie externer

Faktoren ab. Im nun Folgenden sollen die wichtigsten Entwicklungsdeterminanten näher

betrachtete werden.

7.1. Interne Wachstumsdeterminanten

Interne Wachstumsdeterminanten werden speziell in Singapur vorwiegend von der Regierung

gesteuert. Hierin liegt eine entscheidende Voraussetzung der äußerst dynamischen

Entwicklung der Wirtschaft Singapurs. Besonders im Mittelpunkt liegen dabei die politische

und makroökonomische Entwicklungsdeterminanten sowie die verkehrstechnische und

institutionelle Infrastruktur.

7.1.1. Politische Stabilität

Die politische Stabilität des Landes wird vorwiegend bedingt durch das herrschende „Ein-

Parteien-System“, das real lediglich nur die PAP (People’s Action Party) umfasst. Aufgrund

der Tatsache, dass sich wiederholt nicht genügend Gegenkandidaten fanden, stand bereits

vor der letzen Wahl Anfang 2001 fest, dass die seit 1959 regierende Partei bis zum Jahr 2006

die Regierung stellen wird.

Festzuhalten bleibt, dass in einer der bestbezahltesten Regierungen der Welt das Wort

Bestechung ein Fremdwort zu sein scheint. Denn gerade verglichen mit anderen Ländern

Südostasiens ist Korruption in Singapur de facto nicht vorhanden.

Die Regierung findet ihre politische Legitimation in der Durchsetzung von wirtschaftlichen und

sozialen Maßnahmen, die nötig sind um gegebene Entwicklungsziele zu erreichen (vgl.:

Kiese, 2002, S. 97).

Diese Maßnahmen waren u.a. die fast vollständige Entmachtung der Gewerkschaften, was

eine wettbewerbsfähige Lohnpolitik erlaubte, eine staatliche Intervenierung am Kapitalmarkt

(Zwangssparen) sowie eine staatliche Flächennutzungsplanung (Beschränkung des

Privateigentums an Boden, was zur Folge hatte, dass sich der Staatsanteil an Land von 49%

1965 auf ca. 80% Mitte der 80er Jahre; vgl.: Kiese, 2002, S. 98). Es kam aber gleichfalls zu

einer sehr moderate Steuerpolitik sowohl für Unternehmen (Körperschaftssteuerhöchstsatz

von 27%) als auch für Arbeitnehmer (Einkommensteuer zwischen 25 bis 30%; vgl.: Low, 1998,

S. 116).

Die Nachteile, die sich aus diesem politischem System ergaben, waren zum einen die z.T.

sehr autoritären Züge, die u.U. individuelle und politische Rechte beschnitten, aber auch die

freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit sowie die Entfaltung von Oppositionsparteien stark

einschränkten. Zum anderen kam es zu einer Beamtenschaft, die sich lediglich an den

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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Interessen und Zielen der Regierung – sprich der PAP – orientierte. Diese gesamten Nachteile

wurden allerdings zugunsten der Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit

hingenommen.

7.1.2. Die Rolle des Staates als Wirtschaftsakteur

Der Regierung trat aber nicht nur als rigide Staatsmacht auf, sondern nahm auch selbst als

Unternehmer am Marktgeschehen teil. Es haben sich zwei unterschiedliche

Organisationsformen herausgebildet: zum eine die Government-linked Companies (GLC), die

gleich den privaten Unternehmen operieren und somit in direkter Konkurrenz zu den MNU und

LU stehen; zum anderen die sog. statutory boards, die eher autonomen Organisationen

gleichen. Die statutory boards sind eher mit Behörden oder #2stattlichen Agenturen“, denn mit

Unternehmen zu vergleichen.

Das Besondere an den GLC ist, dass sie wie andere Privatunternehmen den nationalen und

internationalen Marktmechanismen unterworfen sind und bei Unwirtschaftlichkeit geschlossen

werden können. Diese Staatsunternehmen wurde vorwiegend in Bereichen gegründet, die

ausländischen Investoren nicht zugänglich sind oder in denen Unterinvestitionen zu

befürchten sind (z.B. Militär, Presse, Bildung etc., vgl.: Fischer, 2000, S. 43). Der

stellvertretend Premierminister Singapurs betonte, dass die „Politik nicht in die strategischen

oder kaufmännischen Entscheidungen der GLC“ eingreife (Zitat in: FAZ, 2. Mai 2002, S. 27).

Seit Mitte der 80er Jahre kam es zu vermehrten Privatisierungsanstrengungen seitens der

Regierung; es soll aber zukünftig nicht zu einer vollständigen Abgabe der Staatsunternehmen

in private Hände kommen, da der Staat weiterhin Einfluss haben will.

Laut amerikanischen Untersuchungen werden 60% des Bruttoinlandsproduktes durch

Staatsunternehmen erwirtschaftet – das Singapurer Department of Statistics (SDoS) kommt

jedoch nur auf einen Anteil von 13%, die durch GLC erwirtschaftet werden. Demgegenüber

stehen laut dem SDoS über 40%, die von ausländischen Unternehmer erbracht werden. Die

unterschiedlichen Zahlen ergeben sich aus unterschiedlichen Definitionen von

Staatsunternehmen.

Die staatlichen Unternehmensbeteiligungen werden von der sog. Temasek Holding verwaltet,

die nach dem früheren Namen Singapurs benannt ist. Rund 27% des gesamten Marktkapitals

der Unternehmen, die an der Börse Singapurs gehandelt werden, liegen in den Händen der

Temasek Holding (vgl.: FAZ; 2. Mai 2001).

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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7.1.3. Makroökonomische Stab ilität

Eine Vielzahl der im Folgenden genannten Faktoren, die zu der momentanen

makroökonomischen Stabilität des Landes führten, basieren auf der Tatsache, dass das Land

durch die „Dauerherrschaft“ der PAP ein sehr hohes Maß an politischer aber auch an sozialer

Stabilität genießt. Ein Beweis hierfür ist die Asienkrise, die auch vor Singapur nicht Halt

gemacht hat. Dennoch war Singapur das Land, das die Krise am besten bewältigen konnte

und die geringsten Einbußen hinnehmen musste. Singapur war als erstes „Krisenland“ in der

Lage, wieder auf dem Wachstumspfad zurückkehren zu können, wenn auch mit

Aktienverlusten, Währungsverlusten sowie einem geringerem Volkseinkommen als vor der

Krise (vgl.: Peebles & Wilson, 2002, S. 244).

Die makroökonomische Stabilität des Landes zeigt sich u.a. in der äußerst geringen

Inflationsrate – seit Mitte der 1970er Jahre weist Singapur im südostasiatischen Vergleich eine

der niedrigsten Inflationsraten auf (vgl.: Fischer, 2000, S. 48). Dies wurde u.a. durch eine

Wechselkurspolitik ermöglicht, die darauf bedacht war, eine importierte Inflation möglichst zu

verhindern.

Ein weiteres Zeichen der volkswirtschaftlichen Stabilität ist die seit den 1970er Jahren äußerst

niedrige Arbeitslosenquote (im Zeitraum zwischen 1973 bis 1999 lag die Arbeitslosenquote

durchschnittlich bei 3,8%; vgl.: Fischer, 2000, S. 49). Seit der Asienkrise ist sie zwar gestiegen

und befindet sich heute auf dem historischen Höchststand von 6,4% im dritten Quartal 2002

(vgl.: SDoS, 2002). Dies stellt für den Stadtstaat eine ernstzunehmende Gefahr dar, denn ein

gesellschaftlicher Grundpfeiler war seit jeher der Wohlstand der multiethnischen Bevölkerung.

Tab.7 Arbeitslosigkeit und Inflationsrate in Singapur von 1991 bis 2001

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001

Arbeitslosenquote 1,9% 2,7% 2,7% 2,6% 2,7% 3% 2,4% 3,2% 4,6% 4,4% 3,4%

Inflationsrate 3,4% 2,3% 2,3% 3,1% 1,7% 1,4% 2% -0,3% 0% 1,3% 1%

Quelle: SDoS, 2002

Ebenfalls seit Mitte der 1970er Jahre weist Singapurs Haushalt einen Überschuss auf. Dies

versetzte das Land in die Möglichkeit, für staatliche Programme, Infrastrukturvorhaben sowie

finanzielle Anreize für MNU und Unterstützung für LU sich nicht verschulden zu müssen. Des

weiteren sind eine hohe Spar- und Investitionsquote, Devisenreserven, bedingt u.a. durch den

relativ hohen Anteil an Direktinvestitionen am Kapitalimport sowie eine stabile Währung

Merkmale der ökonomischen Rahmenbedingungen (vgl.: Kiese, 2002, S. 85).

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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Die gesamte makroökonomische Stabilität ist ein Zeichnen für die umsichtige Haushaltspolitik

sowie die geringen wirtschaftlichen Risiken, die sowohl seitens der Regierung aber auch

seitens der Unternehmen in Singapur eingegangen werden. Dies geschah allerdings alles vor

dem Hintergrund, dass das Unternehmensumfeld für MNU möglichst attraktiv gehalten werden

sollte.

7.1.4. Verkehrstechnische und institutionelle Infrastruktur

Bereits zu Beginn der Industrialisierung hatte die Entwicklung einer leistungsfähigen und

effizienten Infrastruktur eine vorrangige Position inne. Es wurden v.a. das Verkehrsnetz

ausgebaut, Flughafen und zahlreiche Industrieparks gebaut. Die nötigen finanziellen Mittel

stammten hierbei zumeist aus den nicht zu unterschätzenden Staatseinkünften und nur zu

einem ganz geringem Teil aus Krediten. Es kam ebenfalls zu einem weiterem Ausbau und

Verbesserung des Hafens, da die Kapazitäten aufgrund des stetig steigenden

Handelsvolumen bald an ihre Grenzen stießen.

Die diversen Industrieparks wurden geschaffen, um ausländische Unternehmen nach

Singapur zu ziehen, dies sind u.a. der Jurong-Industriepark, International Business Park

(Hochtechnologiepark), Science Park (FuE-Park) sowie der Park für Petrochemie (vgl.:

Fischer, 2000, S. 39).

Eine wesentliche Grundvoraussetzung, um die Attraktivität eines Standortes für eine

„konwledge-based economy“, wie sie in Singapur angestrebt wurde, zu erhöhen, liegt in der

Qualität der Kommunikationsinfrastruktur. Beides, Dichte und Ausstattung an

Telekommunikationseinrichtungen, sind in Singapur in guter Quantität und Qualität zu finden

(vgl.: Oestreich, 1995, S. 39).

7.2. Externe Entwicklungsdeterminanten

Die externen Entwicklungsdeterminanten, die am prägendsten für die Wirtschaft Singapurs

waren, sind v.a. in der geographischen Lage, der geschichtlichen Entwicklung sowie der

Entwicklung des Weltmarktes und die damit zusammenhängenden Auswirkungen auf

Singapurs Märkte zu finden und sollen im Folgenden eine nähere Erläuterung finden.

7.2.1. Standortgunst

Aufgrund der äußerst günstigen geographischen Lage des Stadtstaates innerhalb der Strasse

von Malacca – dem wichtigsten Seeweg zwischen Indischem Ozean und Südchinesischem

Meer – konnte sich hier bereits während der Besetzung durch die Kolonialmächte Niederlande

und Großbritannien der bedeutendste Umschlaghafen (Entrepôt) in Südostasien herausbilden.

Hier wurden die Exporte aus der Region und die Importe v.a. aus Europa, Indien und China

umgeschlagen (vgl.: Kiese, 2002, S. 81).

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es dann zu Bestrebungen der anderen Nachbarländer, sich

ebenfalls auf diesem Markt als Zwischenhändler etablieren zu wollen. Dies führte dazu, dass

sich Singapur andere Möglichkeiten des wirtschaftlichen Agierens suchen musste. Nichts

desto trotz ist der Hafen Singapurs heute noch der wichtigste Hafen im Bereich des

Gesamtfrachtverkehrs. Diese Neuorientierung der Wirtschaft Singapurs hatte zur Folge, dass

sich die Regierung vermehrt um ADI und MNU bemühte sowie in den Schlüsselindustrien

Government-linked companies (GLC) gründete.

Singapur ist heute umgeben von z.T. äußerst labilen Demokratien. Diese Tatsache verringert

die Zahl der Länder Südostasiens, mit denen ein Großteil der MNU nachhaltig Außenhandel

betreiben können. Das bedeutet, dass Singapur als Standort für MNU, die sich in Südostasien

etablieren wollen und hierhin ihren ersten Schritt setzen, immer attraktiver wird.

7.2.2. Ausländische Direktinvestitionen

Einen zentralen Punkt der Wirtschaftspolitik Singapurs stellt die exportorientierte

Industrialisierungsstrategie dar. Hierbei stehen ADI und Außenhandel im Mittelpunkt der

Entwicklungsstrategie. Die Regierung machte sich ausländische Investoren zu nutze, da das

Land nicht über die nötigen technischen und finanziellen Ressourcen sowie über das nötige

Humankapital und Know-how verfügte, die es brauchte, um derart erfolgreich auf dem

Weltmarkt agieren zu können.

Als ehrgeiziges Ziel hat sich der Stadtstaat gesetzt, der Hauptstandort der Region für

Unternehmenssitze von MNU zu werden – dies soll durch eine möglichst hohe Rate an ADI

am Gesamtkapitalimport geschehen.

Der immense Vorteil, der die Unternehmen in Singapur erwartet, ist der relativ homogene

Markt, wohingegen viele der anderen südostasiatischen Märkte uneinheitlich sind. Weiterer

Vorteil Singapurs für Investoren ist die politisch stabile Situation des Staates, aber auch die

Exportförderungspolitik der Regierung (vgl.: Küpper, 2002, S. 33).

Durch die zunehmende Weltmarktintegration und der vermehrten Ansiedlung von MNU in

Singapur kam es zu einem massiven Zustrom an ADI besonders seit Beginn der 1990er

Jahre.

Tab.8: Entwicklung sowie Zielländer der Ausländischen Direktinvestitionen Singapurs

ASEAN China Hong Kong Europa USA Gesamt in Mio. S$1993 27,5% 2,9% 17,3% 7,1% 8,0% 22.1811994 32,5% 5,2% 16,6% 7,4% 5,6% 29.7651995 33,2% 7,9% 13,8% 9,9% 5,3% 39.1451996 29,5% 12,0% 11,1% 12,8% 5,4% 42.2241997 24,5% 13,7% 10,1% 14,2% 4,6% 57.1921998 27,7% 16,8% 9,5% 6,4% 5,5% 52.918

Quelle: SDoS, 2001

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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Auch die Unternehmen Singapur selbst begannen in den 90er Jahren sich ebenfalls

unternehmerisch im Ausland zu betätigen. Der Aktionsraum war v.a. auf Südostasien

beschränkt; ein wesentlicher Schwerpunkt, besonders in den letzen Jahren, der ADI aus

Singapur war China.

Tab.9: Entwicklung sowie Herkunftsländer von Ausländischen Direktinvestitionen

ASEAN China Hong Kong Europa USA Gesamt in Mio. S$1988 5,0% 0,3% 6,3% 27,0% 21,3% 35.7991993 6,1% 0,4% 6,0% 28,4% 18,0% 62.7671994 6,6% 0,3% 4,9% 21,2% 16,2% 74.6051995 6,7% 0,4% 4,6% 20,6% 16,9% 84.2671996 6,3% 0,5% 4,4% 31,6% 16,8% 94.0051997 6,1% 0,5% 3,4% 30,2% 18,4% 112.1201998 5,9% 1,0% 2,3% 32,2% 15,9% 125.638

Quelle: SDoS, 2001

Historisch gesehen waren während der Spezialisierung auf arbeitsintensive Industrien des

Verarbeitenden Gewerbes v.a. Großbritannien sowie die Niederlande die Hauptquellgebiete

für ADI. Später als die Bedeutung der gut ausgebauten Transport- und

Telekommunikationsinfrastruktur immer wichtiger wurde, verlagerte sich die Herkunft von ADI

zunehmend auf Amerika, Europa sowie Japan (vgl.: Fischer, 2000, S. 57).

7.2.3. Multinationale Unternehmen

Bereits seit den Zeiten des „Entrepôt“-Handels war die Wirtschaft Singapurs stark auf Im- und

Export von (Zwischen-) Gütern ausgerichtet und die Wirtschaftssubjekte Singapurs kennen

sich somit mit Handelspartnern aus, die jenseits der Grenzen Singapurs liegen.

Die verstärkte Internationalisierung der Wirtschaft Singapurs lässt sich an dem hohen Anteil

an Unternehmen erkennen, die sich in ausländischer Hand befinden (etwa 48% des BIP wird

durch Unternehmen erwirtschaftet, die ihren Hauptsitz in einem anderen Land haben; vgl.:

Peebles & Wilson, 2002, S. 264). Diese Entwicklung war bewusst von der Regierung

gesteuert worden – es wurde intensiv Einfluss auf die anzuziehenden Branchen bzw.

Industrien genommen. Mittel hierzu waren v.a. finanzielle und strukturelle Anreize sowie das

fast vollständige Fehlen von staatlichen Ge- und Verboten.

Die Vorteile von MNU treten besonders charakteristisch in den Anfängen der wirtschaftlichen

Entwicklung einer Volkswirtschaft auf; dies sind u.a. die zügige Schaffung von neuen

Arbeitsplätzen, Bereitstellung von nötigem Kapital und technischen Mittel sowie Wissen sowie

Auslöser für den Nachzug von ausländischen Talenten (vgl.: Fischer, 2000, S. 60).

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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Die Tatsache, dass diese Vorteile von zahlreichen MNU erkannt worden, führte zu einer

starken Abhängigkeit der Wirtschaft Singapurs von ausländischen Investoren. Dies hat

unübersehbare Nachteile zur Folge. Z.B. die Tatsache, dass MNU selten in ihren

ausländischen Niederlassung FuE betreiben, führte zu einem nur unzureichend ausgebildeten

FuE-Sektor. Zudem konnte sich der privatwirtschaftliche Sektor nur äußerst

unterdurchschnittlich entwickeln, da die Marktmacht der MNU sowie die

Industrialisierungspolitik der Regierung sie massiv behinderte. Des weiteren kann kein

nennenswerter Technologie- und Wissenstransfer von den MNU zu den LU festgestellt

werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Markt und die Volkswirtschaft Singapurs für

viele der MNU als Sprungbrett dienen sollte, den gesamten südostasiatischen Markt zu

erreichen; bedingt auch durch die Tatsache, dass der Markt Singapurs zu klein ist.

8. Aktuelle Probleme der Wirtschaft Singapurs

Die aktuelle Lage der Wirtschaft Singapur ist nicht mehr so glänzend wie ehedem. Zum einen

wird die Situation belastet durch die Auswirkungen der Asienkrise, auch wenn Singapur diese

am schnellsten der südostasiatischen Länder überwinden konnte. Zum anderen kommen

Absatzeinbußen in Singapurs beiden größten Absatzmärkten Amerika und Südostasien sowie

ein immenses Wirtschaftswachstum Chinas hinzu.

Weitere Problemfelder sind die hohen Lohn- und Landkosten, hohe Abhängigkeit der

Wirtschaft von der Elektronikindustrie ebenso wie das wenig dynamische wirtschaftliche

Umfeld Singapurs (vgl.: Kiese, 2002, S. 87).

Viele der Probleme mit denen die Wirtschaft Singapurs zu kämpfen hat, sind jedoch

„hausgemacht“. Eine kleine Auswahl soll hier nun näher erläutert werden.

8.1. Schwächen im inländischen Privatsektor

Die massive Förderung von sowie die aktive Werbung um MNU seitens der Regierung

Singapurs in Kombination mit der extrem beherrschende Position der Staatsunternehmen,

führte zu einem unterentwickelten Privatsektor, der keine eigenständigen Impulse

hervorbringen kann, da er von den zahlreichen Staatsunternehmen praktisch verdrängt

worden ist. Die Regierung verspricht sich von einem Teilrückzug aus der Wirtschaft nun eine

Stärkung der privatwirtschaftlichen Initiativen (vgl.: Pohl, 1999, S. 337).

Ein weiterer Negativfaktor ist, dass die Großunternehmen die ohnehin angespannte

Arbeitsmarktsituation weiter verschärfen. Dies äußert sich in der Tatsache, dass potenzielle

Jungunternehmer, denen zugetraut werden kann, Start-ups zu gründen und die somit die

Basis für den Aufbau einer inländischen Unternehmenslandschaft bilden könnten, von den

Großunternehmen mit Spitzenlöhnen sowie Sozialprestige geködert werden.

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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Es ist also unumgänglich, dass die Regierung zukünftig den privaten Sektor stärkt sowie den

Menschen eine Art „Unternehmentalität“ beibringt und somit eine eigene Unternehmenskultur

entwickeln kann (vgl.: Mahiznan, & Yuan, 1998, S. 5).

8.2. Schwächen des Arbeitsmarktes

Singapur kann sich nicht mehr auf seinen früheren Standortvorteil im Bereich der

Billiglohnproduktion verlassen – diese Vorteile musste das Land zumeist an andere

südostasiatische Länder (z.B. Batam – Indonesien) abgeben.

Der bedingt durch die Größe des Landes nur begrenzte Arbeitskräftepool und das Fehlen der

sonst in anderen Industrieländern vorhandene „Intelligenzschicht“ zwingt Singapur dazu, die

benötigten Arbeitskräfte zu importieren. Des weiteren sind in etwa zwei Drittel der

Arbeitskräfte un- oder unterqualifiziert, was in Zukunft immens negative Auswirkungen auf die

Entwicklung zu einer wissensbasierten Ökonomie haben wird (vgl.: Fischer, 2000, S.69).

Ein weiterer Nachteil, der v.a. meist ausländische Anleger verschreckt, ist die

„Vetternwirtschaft“. Für die Verantwortlichen in der eng verbundenen Wirtschaft und Politik

folgt dieses Phänomen lediglich einer Tradition, in der jeder seinen Nächsten versorgt. Hinzu

kommt das Argument, warum sollte in einem Land, das ohnehin schon arm an Humankapital

ist, die Besten diskriminiert werden nur aufgrund ihrer Familienzugehörigkeit von

Führungspositionen ausgeschlossen werden.

Der Mangel an ausreichend qualifizierten Arbeitskräften wird sich als massives Hindernis für

die Wirtschaft Singapurs auf dem Weg in eine knowledge-based economy erweisen (vgl.:

Fischer, 2000, S. 69). Dieses Hindernis gilt es auszuräumen, da sich ansonsten die

kapitalintensive Produktion mit hoher Wertschöpfung hier nicht in dem gewünschtem Ausmaß

ansiedeln kann.

8.3. Schwächen im FuE-Bereich

Die Defizite im Bereich von FuE werden v.a. bedingt durch die hohe Intensität von MNU sowie

des hohen Anteils von ADI am Kapitalimport.

Die Regierung hat zwei Technologiepläne verabschiedet, die u.a. die Förderung von FuE zum

Ziel hatten. Dennoch sind trotz einiger Erfolge immer noch z.T. erhebliche Defizite erkennbar.

Die Inputfaktoren wie z.B. wissenschaftliche Mitarbeiter oder Anteil am BIP, der für FuE

aufgewandt wird, sind in den letzten Jahren zwar gestiegen und Singapur scheint im

weltweiten Vergleich aufzuholen. Betrachtet man jedoch die Throughputfaktoren, wie z.B.

Patentanmeldungen, so stellt man fest, dass Singapur hier noch Entwicklungsbedarf aufweist

(Fischer, 2000, S. 73).

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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Als besonders problematisch zeigen sich der Mangel an FuE im Bereich des

Technologietransfers - hier wird die wichtigste Quelle in den MNU und nicht wie anzustreben

in den eigenen LU gesehen.

9. Entwicklungsmodell Singapur

Als abschließende Betrachtung soll die Möglichkeit, in wie weit die Entwicklung Singapurs

auch für andere Länder modellhaft anwendbar sein könnte, näher untersucht werden.

Festzuhalten bleibt, dass sich das Land zu einem Zeitpunkt dem Weltmarkt öffnete, zu dem

sowohl Handel und Exportsektor weltweit expandierten, als auch das Zinsniveau äußerst

niedrig war (vgl.: Menkhoff, 1995, S.17). Des weiteren kam es durch die massive Anwerbung

von ADI und die Tatsache, dass Singapur Mitglied der ASEAN wurde und sich damit für den

Kapitalismus und gegen den Sozialismus entschieden hat, erhebliche finanzielle Mittel v.a.

aus den USA.

Die Regierung war zudem in der Lage, diese finanziellen Mittel sowie die vorhandenen

Ressourcen des Stadtstaates so zu akkumulieren und einzusetzen, dass sie den

größtmöglichen Nutzen für die Wirtschaft hatten. Weiterhin nahm die Bevölkerung z.T.

erhebliche Einschneidungen bzw. Einschränkungen im Bereich der individuellen Freiheit in

Kauf, um ein hohes Wirtschaftswachstum zu gewährleisten.

Singapur hat es bis heute geschafft, seine Produktionsfaktoren sowie die nötige

Aufmerksamkeit auf die Branchen mit dem größten Wachstumspotenzial zu richten. Inwieweit

das in Zukunft ebenfalls der Fall sein wird, bleibt abzuwarten.

Es lässt sich also leicht vermuten, dass die wirtschaftliche Entwicklung Singapurs sehr speziell

war und nicht ohne Weiteres auf andere Volkswirtschaften ohne Einschränkungen

Übertragbarkeit besitzt. Nichts desto trotz können Teilelemente dieser Entwicklungspolitik, wie

z.B. die Fokussierung auf einige wenige Wachstumsbranchen, für einige Entwicklungsländer

durchaus positive Effekte zur Folge haben.

Aus dem Weg zum Fortschritt will Singapur kein Geheimnis machen und versucht, seine

Erfolgsrezepte an andere Entwicklungsländer weiterzugeben. Hauptsächlich werden in

bilateralen Kooperationen Fortbildungen und Workshops veranstaltet. Diese

Fortbildungsprogramme beschäftigen sich u.a. mit Bank- und Finanzgeschäften,

Informationstechnologie, Umweltschutz, innerbetriebliche Fortbildung sowie

Armutsbekämpfung (vgl.: FAZ, 30. September 1996). Dies hat nicht nur für die am Aufstieg

interessierten Länder einen Vorteil, sondern erlaubt es auch Singapur, in die neuen und evtl.

aufstrebenden Märkte zu investieren sowie die Rolle als extrem nach außen orientierte

Wirtschaft zu festigen und gegebenenfalls auszubauen.

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Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel Singapurs von 1819 bis heute – ein neues Entwicklungsmodell?

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FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung), 05.11.2001 – Dem Staatstadt in Südostasien drohteine wirtschaftliche Eiszeit

FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung), 02.05.2002 - Nur mühsam trennt sich Singapur vonseinen Staatsunternehmen

FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung), 20.08.2002 – Die asiatischen Staaten hoffen auf dieBiotechnologie