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Ulrich Ott 12 VIVEKA 47 Wissenschaft & Meditation Ein Gespräch mit Dr. Ulrich Ott

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Ulrich Ott

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Wissenschaft& Meditation

Ein GesprächmitDr. Ulrich Ott

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Ein Gespräch

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HERR OTT, SIE BESCHÄFTIGEN sich alsWissenschaftler seit langer Zeit mit Me-ditation. Was versteht die Forschung ei-gentlich darunter?

Wenn man versucht, alle Spielarten vonMeditation allgemein zu definieren,wird es sehr schwierig. Deshalb ist mei-ne Herangehensweise, Meditation als ei-nen Oberbegriff zu verstehen. Darunterfallen dann verschiedene Methoden, dieman unterschiedlich einteilen kann. ZumBeispiel in Methoden mit Bewegung,Methoden ohne Bewegung, in die tradi-tionellen Methoden oder die klinischenVerfahren. In der Wissenschaft brau-chen wir eine jeweils spezifische Defini-tion von Meditation. Wenn wir eine Stu-die machen, heißt es dann am Anfangetwa: »Innerhalb dieser Studie wird mitMeditation bezeichnet: ...« und es folgteine entsprechende Arbeitsdefinition.Sehr gerne nimmt man hier natürlichMethoden, die standardisiert sind. Ausdiesem Grund löste die transzendentale

Meditation (TM) zu ihren Hochzeiten ei-nen Riesenboom an Studien aus. Manhatte damals erstmalig ein Meditations-verfahren, das sehr hoch standardisiertwar, denn die Unterweisungstexte fürdie Lehrer sind bei der TM ja quasi aus-wendig gelernt.

Das traditionell als Grundlage des Yogaangesehene Yoga Sûtra beschreibt Me-ditation als einen dreistufigen Prozess.Zuerst muss ich in der Lage sein, michmit einem Objekt zu verbinden. Danngelingt es mir, diese Ausrichtung auf-recht zu erhalten. Die damit verbundeneganz besondere innere Gestimmtheit»dehnt sich aus«, wie es da wörtlichheißt. Daraus entwickelt sich schließlichein Erleben noch größerer Intensität:Das, was ich normalerweise als mein Icherlebe, tritt zurück, gerade so »als ob«es verschwunden wäre. Dafür füllt michdas, worauf ich ausgerichtet bin, völligaus. Was lässt sich im wissenschaft-lichen Kontext mit dieser Definition vonMeditation anfangen?

Die ersten beiden Stufen bilden ziemlichgenau das ab, was auch in den Neuro-wissenschaften als Definition für Medi-tation gebraucht wird: ein Objekt aus-wählen und auf diesem Objekt die Auf-merksamkeit halten, das ist die Stan-dard-Definition für objektbezogene Me-ditation.

Der andere Teil, der sich auf das re-lativierte Ich-Gefühl bezieht, ist von derForschung noch nicht angemessen kon-zipiert. Gerade das Zusammenfallen vonSubjekt, Objekt und dem Vorgang desBeobachtens, geht ja schon in Richtungeiner mystischen Einheitserfahrung. Mitder experimentellen Untersuchung vonsolchen Zuständen haben die Neurowis-senschaften noch ein Problem.

Was gilt denn – wissenschaftlich gese-hen – als Grundlegendes von Medita-tion? Ist es das Ausrichten an sich? Wel-che Rolle spielen unterschiedlichen Fo-kusse, also zum Beispiel der Atem odermein Körper oder ein Bild, ein Gefühl,das ich in mir erzeuge oder erinnere?

Zum einen: In Abhängigkeit vom Objektder Meditation kann ich im Gehirnunterschiedliche Aktivitäten feststellen,

weil dort die Repräsentation des Objektsaufgebaut wird, wenn ich es in meinerAufmerksamkeit halte. Unabhängig vomObjekt brauche ich aber natürlich auchStrukturen, die dafür sorgen, dass ichauch wirklich dabei bleibe. Die bemer-ken, wenn ich abdrifte und mich dannzurückholen. Diese Strukturen sind un-abhängig vom Objekt, das ich gewählthabe. D.h. es gibt einen objektabhängi-gen Teil – das ist nicht unbedingt derwichtigere Teil – und es gibt den Teil derMeta-Perspektive, der Kontrolle des ges-amten Prozesses, der Regulation derAufmerksamkeit. Unter diesem Aspektist das Objekt, auf das ich meditiere, re-lativ gleichgültig.

Zum anderen kann man allerdingssagen, dass verschiedene Objekte fürdie einzelnen Personen unterschiedlichgut funktionieren. Nehmen wir einmaldie Methode des Atemzüge-Zählens. Fürmanche ist der Atem ein wunderbarerFokus, aber das Zählen der Atemzügelenkt sie ab. Und ein anderer sagt:»Zählen ist super, wenn ich nicht zähle,bin ich sofort weg vom Atem.« Undauch für die gleiche Person bleibt dasnicht immer gleich. In manchen Zeitenklappt es mit dem Zählen gut, danngeht es aber auch genau so gut ohne.

Neben meiner Forschungstätigkeitunterrichte ich auch noch Meditation ander Universität. In diesem Semester ha-be ich die sehr überraschende Erfahrunggemacht, wie bedeutend die Wirkungbestimmter Klänge ist. Normalerweisewürde man ja erwarten, dass es relativgleichgültig ist, welche Töne man in derMeditation für sich wiederholt. Aberwenn ich die Leute wählen lasse, zeigensich große Unterschiede: Manchespricht ein bestimmter Begriff, ein deut-sches Wort an, wie Ruhe oder Glückoder Frieden. Andere haben einen in-tensiven Zugang zu dem indischen Man-tra »soham«. Und noch andere findenes sehr angenehm, den Klang der Spra-che mit dem Gefühl des Atems zu ver-binden. Was ich damit sagen will: DasObjekt selbst ist nicht gleichgültig, aberich kann in Bezug darauf nichts vorher-sagen.

Ein wichtiger Ansatz im Unterrichtenvon Meditation ist daher, verschiedeneTechniken zu vermitteln und darauswählen zu lassen, was jemandem am

Ulrich Ott ist einer der führendenMeditationsforscher im deutsch-sprachigen Raum. Als Psychologearbeitete er am Institut fürPsychobiologie und Verhaltens-medizin an der Justus-Liebig-Uni-versität in dem Projekt Psycho-physiologie veränderter Bewusst-seinszustände, seit 2005 ist er Mit-arbeiter am Bender Institute ofNeuroimaging in Freiburg und lei-tet dort die Arbeitsgruppe Verän-derte Bewusstseinszustände.Seine viel beachtete Forschungs-arbeit ist für uns sicher auch des-halb von besonderem Wert, weiler sie auf dem Hintergrund eige-ner Meditationspraxis und vielErfahrung im Unterrichten vonMeditation entwickelt.

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werden, kann man so zum Zuschauerder eigenen mentalen Prozesse werdenund das Schauen an sich wahrnehmen.Im Zen wird das sehr schön ausgedrücktmit dem Begriff der »Selbstwesens-schau« – man erhält Einsicht in das ei-gene Wesen.

Erleben kann man dieses Zurücktre-ten aus der Identifikation in der Medita-tion wunderbar. Ich spreche von demVorgang, wo man gleichsam von hintendas Ganze, was da agiert einschließlichseines identifizierten Ichs mit seinen Rol-len beobachtet. Man erlebt, dass manquasi aus seinem eigenen Bild heraus-tritt.

Für die Forschung wird dabei immerklarer, dass unser Selbst sehr viele Facet-ten, viele verschiedenen Anteile hat. Ei-nige dieser Facetten werden durch Me-ditation hervorgehoben, verstärkt, undandere werden geschwächt. So kann esdazu kommen, dass man durch Medita-tion das eigene Selbstbild so verändert,dass es nicht ganz so abhängig ist vomUrteil anderer, sondern autonomer wird,authentischer. Übrigens ein weitererwichtiger Begriff, den die Meditieren-den uns oft nennen. Sie sagen: »Ichwerde durch Meditation authentischer.«

Könnte man sagen, dass der mentaleModus der Meditation sich dadurchauszeichnet, dass ich bestimme, wohinmein Geist sich richtet, und damit imGegensatz steht zum jenem Modus, woich gezogen werde durch Gedanken,durch Gefühle? Hat diese gleichsam imHintergrund stattfindende Aktivität et-was zu tun mit Selbstbestimmtheit?

Ja, und man kann diese unterschied-lichen Modi des Geistes sehr genau erle-ben; aber entsprechend neurophysiolo-gisch erklären und beschreiben lässt sichdas alles bis jetzt noch nicht. Dazu ver-fügt die Forschung für diesen Bereichnoch nicht über die richtigen Experi-mente, obwohl es schon einige sehr vielversprechende Ansätze gibt, die in dieseRichtung gehen.

Um Studien zu machen, brauchenwir einfach mehr Leute, die zuverlässigvon dem einen Modus in den anderenwechseln können, in dieses Hinter-grundbewusstsein, diesen schauenden

ne bekannte Einteilung unterscheidetdazu zwei Bereiche. Der erste: Ich befin-de mich in sozialen Interaktionen, in de-nen mir von außen Rollen angebotenwerden, die ich annehme. So gewinneich ein gewisses Image, forme einSelbstbild, das ich dann verteidige. Die-ses Selbst erwächst also aus dem sozia-len Bild, das die anderen von mir haben,und wird durch Spiegelungsprozessestabilisiert. Gleichzeitig haben wir oftdas Gefühl: Wer ich wirklich bin, wasich wirklich will, das ist noch einmal et-was anders. Damit ist der zweite Bereichangesprochen.

Die Einteilung unterscheidet alsoeinerseits in die Maske, die Fassade, dasImage, und andererseits das selbstbezo-gene Eins-mit-mir-selbst-Sein, authen-tisch sein, souverän, autonom sein, dasSelbstbestimmt-Sein.

Für mich – darum geht es auch im-mer in meinem Buch (Meditation fürSkeptiker, s. Besprechung auf S. 15) –ist Meditation eigentlich primär ein Wegzur Selbstbestimmung. Dabei muss icherst einmal in der Lage sein, wahrzu-nehmen, was ich bin, wer ich bin undwie ich mich fühle. Dazu ist es nötig,meine Aufmerksamkeit ganz stark aufmein Innenleben zu richten. Der Aspektder Selbst-Erkenntnis gilt ja auch als einsehr wichtiger Schritt in der Meditation.Dafür müssen erst mal die Gedanken alssolche erkannt und dann die Identifika-tion mit ihnen aufgehoben werden.Wenn sie dann auf lange Sicht beruhigt

meisten zusagt. Leider fehlt diese Offen-heit oft beim Unterrichten von Medita-tion. Ein undogmatisches Herangehenan diese Frage finde ich aber sehr wich-tig. Die Wissenschaft ist hier viel freier,weil sie keine Traditionen im Rückenhat, die gewissen Präferenzen vorge-ben.

Wenn wir noch einen Moment bei dertraditionellen Definition von Meditationverweilen können: Im Gesamtkonzeptdes Yoga Sûtra steht in unserem Ver-ständnis des Textes die mystische Ein-heitserfahrung ja gar nicht so sehr imVordergrund, wie es oft erscheint. Vielwichtiger ist die Idee, dass Meditationmir hilft, ein besseres Verständnis vonetwas zu entwickeln. Allerdings ein Ver-ständnis, das danach fragt, was etwasfür mich bedeutet, wie es mich persön-lich berührt.

Meine Frage an Sie in diesem Zu-sammenhang: Spielt dieser Aspekt derSuche nach einem besseren Verstehen-Können in der wissenschaftlichen Be-trachtung von Meditation eine Rolle?

Ja, auf alle Fälle. Das gilt ganz be-sonders erst einmal in Bezug auf dasWissen über den Körper, die Empfin-dungen, das Gefühl – also in Bezug aufdie Selbsterkenntnis, wenn man somöchte. Dieser Bereich der Meditationist quasi die Eintrittskarte in die For-schung zu unseren psychischen Funktio-nen. Und hier können wir tatsächlichauf bereits entwickelte Testverfahrenzurückgreifen und schauen, was sichdabei durch Meditation verändert.

Es gibt hier zuerst einmal For-schungsansätze, die Meditation primärunter dem Aspekt des mentalen Trai-nings fassen: Durch Meditation trainiereich, mich zu entspannen, meine Auf-merksamkeit zu richten, meine Emotio-nen zu beruhigen.

Daneben gibt es eben noch jenenBereich des Ich, des Selbst und derSelbsterkenntnis, der in Ihren Fragen jaschon anklang. Hier bewegen wir uns inRichtung des Themas emotionale Intelli-genz. Also: Inwiefern weiß ich eigent-lich, was mit mir los ist? Wie gut kenneich mich überhaupt selbst? Und inwie-weit bin ich überhaupt eins mit mir? Ei-

Für mich ist Meditation eigentlich

primär ein Weg zurSelbstbestimmung.Dabei muss ich ersteinmal in der Lage

sein, wahrzunehmen,was ich bin, wer ichbin und wie ich mich

fühle.

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Modus. Es wird noch ein bisschen dau-ern, bis man reichlich Probanden hat,die genug trainiert sind, willentlichwechseln zu können zwischen den bei-den Modi. Erst in Untersuchungen mitsolchen Leuten kann man diese zwei Zu-stände vergleichen und schauen, was imGehirn passiert.

Gleich welche Meditation man prakti-ziert – wir sind der Meinung, letztlichsollte es eigentlich nicht darum gehen,sich ständig nur mit sich selbst zu be-schäftigen. Vielmehr sollte es darum ge-hen, sich wirklich auf etwas einzulassen,sich hinzuwenden und sich damit zuöffnen für ein Verstehen. Sind solcheVorstellungen für Forschungsprojekteschon ein Thema oder ist man davonnoch meilenweit entfernt?

Nein, so weit entfernt gar nicht.Sehr viele Menschen merken, dass

sie zum Beispiel nach einem intensivenMeditations-Retreat ausgesprochen of-fen sind. Weil Meditation nicht nur eineKlärung nach innen mit sich bringt, son-dern das Wegnehmen der Filter, die al-les einteilen, Zukunft und Vergangen-heit mit einbezogen. Intensives Meditie-ren führt dazu, dass man wirklich in derGegenwart ist, nicht nur in der Gegen-wart mit sich selbst, sondern auch in derGegenwart seiner Umgebung. Der Spa-ziergang in der Natur wird dann zu ei-nem Erlebnis, das Essen, die Begegnungmit jemandem. Im Alltagsgeschäft gehtman eigentlich achtlos aneinander vor-bei und die Blicke haben auch nicht die-se Intensität von Kontakt oder kreuzensich erst gar nicht. Dieses Öffnen nachInnen und nach Außen geht für michHand in Hand. Die subjektive Seite sol-cher Erfahrungen lässt sich in der For-schung immer gut erfragen, also auchder Aspekt, den Sie gerade angespro-chen haben.

Würde Sie jemand fragen: »Was eigent-lich habe ich davon, wenn ich meditiere,was nützt es mir?« Welche Antwortenwären wirklich wissenschaftlich unter-mauert?

Die am besten belegte Wirkung vonMeditation ist die Entspannung. Man

kann mit Meditation eine tiefe Entspan-nung hervorrufen; deswegen kann Me-ditation heute als ein Entspannungs-Verfahren mit nachgewiesener Wirkunggelten.

Sehr gut belegt ist auch, dass Medi-tieren eine positive Wirkung bei sehrvielen Erkrankungen hat, vor allem beiÄngsten, stressbedingten Erkrankungen,Schmerzen, bis hin zu Essstörungen und

Aufmerksamkeitsstörungen. In meinemBuch können Sie die vollständige Listedazu finden.

Die Grundlagenforschung zeigt auchganz klar, dass Meditation eine positiveWirkung auf die Fähigkeit hat, die eige-ne Aufmerksamkeit zu steuern. DurchMeditieren lernt man, seine Aufmerk-samkeits-Ressourcen besser zu verteilen.Man wird weniger ablenkbar. Im Grun-de ist das nichts anderes als das, was je-des Üben hervorbringt: Wenn man Fahr-rad fahren übt, kann man’s halt auchbesser.

Der dritte Bereich betrifft die Emo-tionen. Zwar gibt es dazu noch nicht soviele Studien, aber es ist sicher belegt,dass man durch Meditation lernen kann,

mit Emotionen anders umzugehen. Vorallem kann man die innerpsychischenMechanismen, die zu Störungen führen,beobachten, erkennen und dann auchverändern. Bei Depressionen etwa gibtes einen Mechanismus von Gedankenund Gefühlen, der in einer Abwärtsspi-rale endet: Ich verurteile mich, ich zwei-fle, ich fühle mich noch schlechter. BeiAggressionen gibt es etwas Ähnliches:Man ärgert sich und steigert sich danngedanklich immer mehr hinein. Es istdieses mentale, emotionale Aufschau-keln, das sich durch Achtsamkeit unddurch Meditation erkennen lässt. Dannkann man es fallen lassen, weil manmerkt, dass es einem nur schadet.

Für die Bereiche Entspannung, Auf-merksamkeit und Emotionsregulation al-so gibt es ganz klare wissenschaftlicheBefunde. Und es gibt darüber hinausdafür entsprechende Modelle, die sehrgut beschreiben, was da passiert.

Am besten untersucht sind zu Zeitübrigens die Achtsamkeits-basiertenMethoden, insbesondere die so genann-te Mindfulness-Based Stress-Reduction(MBSR)1 . Es gibt nebenbei eine sehrschöne aktuelle Meta-Analyse zu acht-samkeits-basierten Verfahren aus demJahr 2009. Diese Analyse zeigt, dass dasProgramm der MBSR wirksam ist bei ei-ner ganzen Reihe von Störungen, die icheben genannt habe.

Über einen vierten Bereich habenwir schon gesprochen: die Erlangungvon mehr Selbsterkenntnis. Hier man-gelt es noch an exakten Belegen. Es gibterste Ansätze, aber man kann diesenWeg zur Selbsterkenntnis noch nichtobjektiv nachweisbar beschreiben.

Was sind für Sie persönlich die größtenoffenen Fragen in diesem ganzen For-schungsprozess?

1) Weil es in Kursen sehr standardisiert unterrichtetwerden kann, ist das Verfahren der Achtsamkeits-basierten Stressreduktion – Mindfullness-BasedStress-Reduction (MBSR) – ein therapeutisch und fürwissenschaftliche Studien gern genutztes Verfahren.Es wurde Ende der 70er Jahre von Jon Kabat-Zinn inden USA entwickelt und besteht u.a. aus den Ele-menten: Systematische Körperwahrnehmung (Body-Scan), »Sanfte Yogaübungen«, »Stilles Sitzen«,Atembeobachtung.

Für die Forschungwird immer klarer,

dass unser Selbst sehrviele Facetten, viele

verschiedenen Anteilehat. Einige dieser Facetten werdendurch Meditation hervorgehoben,

verstärkt, und anderewerden geschwächt.

So kann es dazu kommen, dass man

durch Meditation daseigene Selbstbild so

verändert.

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Wie stark sollte die Meditation durchAnweisungen strukturiert sein? Und in-wiefern konditioniert man durch dieVorgabe von diesem und jenem das Be-wusstsein schon wieder – wo Medita-tion ja eigentlich eine Dekonditionie-rung anstrebt.

Da drängt sich noch eine Frage auf. In-wieweit ist nicht jede Erfahrung in derMeditation kontextgebunden? Christli-che Meditationen zum Beispiel endenimmer – wenn sie wirklich in die Tiefegegangen sind – im Einssein mit Gottoder im Einssein mit bestimmten er-wünschten Gefühlen wie Barmherzig-keit oder Vergebung. Analog dazumacht jemand, der im Zen meditiert, vieleher eine Erfahrung von Leere. Lässtsich der Meditationsprozess überhauptals ungebunden von seinem Kontextverstehen? Oder müssen wir nicht viel-mehr davon ausgehen, dass die Erfah-rung auch in tiefster Meditation sich im-mer in einem bestimmten persönlichenund kulturellen Rahmen bewegen wird?

Jeder Mensch interpretiert seine Erfah-rungen und hat Erwartungen an das,was in der Meditation auftreten kannoder sollte. Wenn man Meditation wis-senschaftlich untersucht, ist dieser Fak-tor natürlich immer mit einzubeziehen.Auch wenn ich dasselbe tue, macht eseinen Unterschied, ob meine Zielset-zung ist, mich zu entspannen, oder Gottkennen zu lernen. Das Eine geschieht imStress-Bewältigungs-Kontext, das Ande-re in einem spirituellen Zusammenhang.In Erwartung dessen, was auftretenkann, erfüllen sich ja oft auch Prophe-zeiungen. Und gerade wenn Sie innereBilder haben, dann sind diese natürlichauch von dem geprägt, was Sie an Bil-dern schon mitbekommen haben, in derKirche oder eben in Büchern. Ich glaubeaber, dass es auch Erfahrungen gibt, dienicht sehr stark davon beeinflusst sind.Einheitserfahrungen etwa sind etwas,was sich durch verschiedene Epochenund auch Kulturen hindurch zieht; dascheint doch auch ein gemeinsamerKern vorzuliegen. Zudem sprechen auchdie durch Drogen induzierten Erfahrun-gen dafür, dass es für die auf diese Artinduzierten Wahrnehmungsveränderun-

ze ich mich hin, ohne dass ich mir weh-tue, ohne dass ich nur noch an meinKnie denke mit seinen Schmerzen? Unddann: Welche Objekte sind optimal?Kann man irgendeinen Fokus nehmen,der einem geeignet erscheint? So sagtes zumindest der Yoga, nicht wahr?Diese große Beliebigkeit kann die Wahlaber auch zur Qual machen und istnebenbei auch ein Problem für die wis-senschaftlichen Untersuchungen. Inmeinem Buch empfehle ich deshalb:Fangt mit dem Atem an, da habt ihr einObjekt, das nicht irgendwie religiös ver-ortet ist – der Atem ist universell – undman kann damit schon sehr schön dieersten Stufen von Ruhe erreichen. Es istein Objekt, das sich bewegt, und sokann man die Aufmerksamkeit gut dar-an schulen.

Oder die Frage: Wann soll ich medi-tieren, wie oft, wie lange? Als Forscherkann ich dazu nur sagen: Leider wissenwir bisher darüber nichts.

Oder die Frage: Wie baue ich dasGanze auf, wie geht das weiter? In mei-nem Buch habe ich versucht, das malein bisschen zu sortieren, angefangenmit den einfachsten Stufen: Aufmerk-samkeit, Emotionsregulation, Gedan-kenkontrolle bis hin zu den Seins-Erfah-rungen.

Wir erleben beim Unterrichten von Me-ditation immer wieder, dass Menschenauch dann sehr tiefe Erfahrungen ma-chen, wenn sie einfach immer nur dengleichen Fokus behalten, z.B. nur beimAtem bleiben oder bei einem Objekt,das sie sich ausgesucht haben oder beieiner Fragestellung. Ohne dass man sieexplizit auffordert, einen Schritt weiterzu gehen, ihnen gleichsam von außeneinen möglichen neuen Schritt präsen-tiert, führt sie ihre Erfahrung von diesemeinen Objekt, z.B. dem Atem, darüberhinaus, etwa zum Thema Vergänglich-keit, zu Fragen des eigenen Selbstver-ständnisses. Öffnet das »Nur«-ausge-richtet-Sein oder das »Nur«-in-diesem-Modus-Sein die Türen nicht auch ohnebegleitende Interpretationen dessen,was ich erfahre?

Das ist eine weitere Frage, zu der dieForschung bis jetzt wenig sagen kann:

Eben diese nach der Selbsterkenntnis,und noch eine andere, an der viele For-scherinnen und Forscher jetzt auch ar-beiten. Es ist die Frage danach, wie manMeditation optimal lernen kann. Ichmeine erlernen und trainieren. Ich stelleimmer wieder fest, dass die Reaktionder Meditierenden auf eine Anweisungsehr, sehr unterschiedlich ist. Man hat ineinem Kurs zwölf Leute, fünfzehn Leute;man macht nach der Meditation eine

Feedback-Runde und fragt: Wie ist esdenn gegangen? Und jeder erzählt eineandere Geschichte. Es gibt zwar immerauch Übereinstimmungen; viele sagen:»Am Anfang war das absolute Chaos,es war furchtbar, Gedanken hier, Ge-danken da, Gedanken dort.« Aberwenn sie weiter ins Detail gehen, sinddie Antworten doch schon sehr ver-schieden. Wie sich ein Lernprozess opti-mal gestalten und unterstützen lässt, istdeshalb noch eine offene Frage für dieForschung und eine große Herausforde-rung.

Nehmen Sie nur das Sitzen: Wie set-

Wie kann man Meditation optimal

lernen? Ich stelle immer wieder fest,

dass die Reaktion der Meditierenden auf

eine Anweisung sehr,sehr unterschiedlichist. Man hat in einem

Kurs zwölf Leute,fünfzehn Leute; man

macht nach der Meditation eine

Feed-back-Runde undfragt: Wie ist es denngegangen? Und jedererzählt eine andere

Geschichte.

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sammenhang mit der Beschreibung vonMeditationserfahrungen dieses oder je-nes sagt.

Ja. Ganz sicher bedarf es einer Klarheitder Sprache. Sie kennen ja Aussagenwie: »Na, mein drittes Chakra, das istgestern aufgegangen, wie geht’s denndeinem?«, dieses ein bisschen Spielenmit esoterischem Flair, was ja auch –nebenbei gesagt – Teil von narzissti-schen Persönlichkeitsstörungen werdenkann: Man fühlt sich eben als jemandganz besonderes, weil man Yoga machtund dann auch noch diese ganz tollenKundalini-Erfahrungen für sich verbu-chen kann.

Dagegen ist es wichtig, eine gemein-same Sprache wirklich ideologie-unab-hängiger Art zu finden. Sie sollte Erfah-rungen ohne die ganzen Konzepte be-schreiben, die da dahinter oder drumherum gebaut werden.

Eine offene Kommunikation ist dafür si-cher eine wesentliche Bedingung.

Dr. Ott: Absolut. Aber das istmanchmal recht schwierig in der wis-senschaftlichen Zusammenarbeit mitMeditierenden. Ich habe vor längererZeit eine große Studie mit Zen-Meditie-renden in Frankfurt am Main gemacht.Das war deshalb nicht einfach, weil esim Zen ein ungeschriebenes Gesetz gibt,das da lautet: »Rede nicht von deinenErfahrungen.« Natürlich stimmt es, dassjede Erfahrung, wenn ich sie jemandemgegenüber verbalisiere, sofort die Ge-fahr der Ego-Aufplusterung in sich birgt.Für Forscher ist das aber auf der ande-ren Seite natürlich fatal. Wenn sich dieMeditierenden aber darüber im Klarensind, dass sie von ihren Erfahrungen be-richten, um der Forschung zu helfenund nicht, um sich selbst darzustellen,klappt das auch. Dazu braucht es aberdurchaus ein gewisses Vertrauen vonSeiten der Meditierenden gegenüberden Forschern, und wir wissen das sehrzu schätzen. ▼

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gen biologische Mechanismen gibt, diebestimmte Erfahrungen ermöglichen.Deren Interpretation ist dann allerdingsnoch einmal eine andere Sache.

Sie haben es schon angesprochen: In Ih-rem Buch versuchen Sie, Meditationser-fahrungen in Bereiche unterschiedlicherTiefe einzuordnen: 1. »Hindernisse« –zum Beispiel Unruhe oder Langeweile.2. »Entspannung«, 3. »Konzentration« –zum Beispiel verbunden mit der Erfah-rung einer inneren Mitte, Gleichmut. 4.»Essentielle Qualitäten« – wie zum Bei-spiel Klarheit, Liebe, Demut und schließ-lich 5. »Nicht–Dualität« – zum Beispielverbunden mit Erfahrungen von Eins-sein, Leerheit.

Ja. In einer 2003 veröffentlichen Studiewurden 40 erfahrene Meditationsleh-rende gebeten, eine Reihe typischer Er-fahrungen hinsichtlich ihrer jeweiligenTiefe einzustufen. Ihre Urteile zeigtenein hohes Maß an Übereinstimmung,das Ergebnis haben Sie zitiert. Allerdingsist »tief« durchaus kein unproblemati-sches Kriterium. Fragt man nämlichnach, was das nun inhaltlich konkret be-deutet, dann ist das sehr unterschied-lich. Für die einen ist das die tiefe Ent-spannung; für die anderen ist sie dastiefe Gefühl; für andere ist die Tiefe da,wenn Leere auftritt.

Aber auch ein Begriff wie »Leere«bedarf der Konkretisierung. Zu der Fra-ge nach dem »Bewusstseinsfeld« vonLeer haben die Teilnehmer zum Beispielmeist so geantwortet: »Keine Emotio-nen, Empfindungen oder Gedanken«.Das Aufmerksamkeitsfeld war also leer.Das Wort »Leere« steht dabei also kei-neswegs für die buddhistische »Leere«und die ganze Philosophie, die darumgebastelt ist. Auch ist damit keine Wer-tigkeit verbunden; es geht hier um reineErfahrung.

In genauen Fragebögen lässt sich soetwas dann jeweils für ein Individuumkonkretisieren. Dabei findet man sehrviele typische Erfahrungen, die sich be-schreiben lassen und an Hand derer sichauch zwischen Personen Vergleiche an-stellen lassen.Es stellt sich also die Frage, was eigent-lich jemand meint, wenn er im Zu-

SEHR EMPFEHLENSWERT für alle, diesich über den Stand der Meditationsfor-schung informieren wollen: Meditationfür Skeptiker. Es bietet einen gutenÜberblick über die gesamte gegenwärti-ge wissenschaftliche Auseinanderset-zung: Wie lässt sich Meditation wissen-schaftlich fassen? Welche Erklärungsan-sätze zu ihrer Wirkung bieten sich an?Wie lassen sich die dabei gemachten Er-fahrungen einordnen? Welche Wirkun-gen auf die Gesundheit sind wissen-schaftlich untersucht, welche können alsgesichert gelten?Was dieses Buch lesenswert macht, fasstOtt an dessen Ende selbst zusammen:»Meditation, wie sie in diesem Buch ver-standen und vorgestellt wird, verbindetRationalität und Spiritualität miteinan-der, fördert einerseits die Selbstbestim-mung und Gesundung des Einzelnen,macht ihm andererseits jedoch auchsein ökologisches und soziales Einge-bundensein bewusst. Eine Meditations-praxis, die auf individuelle Selbster-kenntnis ausgerichtet ist, fördert zu-gleich eine Haltung der Offenheit, Tole-ranz und des Mitgefühls: Wenn Siedurch dieses Buch dazu angeregt wer-den, Meditation in diesem Sinne anzu-wenden, dann hat es seinen Sinn er-füllt.«Ulrich Ott: Meditation für Skeptiker.O.W. Barth Verlag, € 14,99