Wm special 2014

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WE ÄM WE ÄM kunst, kultur & politik

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Transcript of Wm special 2014

WE ÄMWE ÄM

kunst, kul tur & pol i t ik

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KoNtaKt verein dieperspektive, zentralstrasse 167,

8003 zürich rEDaKtioN simon jacoby & conradin zellweger & manuel

perriard & konstantin furrer & marius wenger

& andrea schweizer GEstaltuNG isabella furler & sarah sbalchiero

lEKtorat konstantin furrer DrucK nzz print

auFlaGE 15'000 artiKEl EiNsENDEN [email protected]

WErbuNG [email protected]

abo [email protected]

lEsErbriEFE [email protected] GÖNNErKoNto

pc 87-85011-6, vermerk: gern geschehen

thEMa DEr NÄchstEN ausGabE dein leben ist eine app

rEDaKtioNsschluss

donnerstag, 3. juli 2014, 23.55 uhr

IMPRESSUM

EdITorIAL EdITorIAL

ILLUSTrATIon Simone Hörler

WM FiEbEr - Das sPEKtaKEl Mit ViElEN GEsichtErN

Endlich WM! Das wird sich manch einer gesagt haben. Auch Leute, die eigentlich

wenig mit Fussball am Hut haben. Dazu gehöre auch ich. Die WM ist nicht ein Fuss-ballfest, es ist ein Volksfest und zwar von ganz vielen Völkern. Man könnte fast sa-gen ein Weltfest. Ich kann mich an die WM 1994 erinnern - ich war da Kindergarten. Wir haben nur noch über die Weltmeister-schaft gesprochen. Wir haben Bildchen ge-tauscht, Fussball gespielt und Länderflag-gen auswendig gelernt. Von meinen Eltern bekam ich einen wunderschönen hellblau-en Argentinien-Fussball. Seither bin ich an jeder WM für Argentinien. Wir haben in der Nachbarschaft Mini-Tourniere veran-staltet und Pokale gebastelt. Fussball ge-schaut haben wir wohl auch hin und wie-der - daran erinnern kann ich mich aber nicht.

Brasilien - zwischen Traumsträn-den und Armenviertel

Eine Weltmeisterschaft in Brasilien ist in vieler Hinsicht speziell. Brasilien ist Rekordsieger der WM! Auch wenn Fuss-ball aus Asien und Europa kommt, haben es die Südamerikaner mit dem Samba im Blut geschafft, fünf mal Weltmeister zu werden. Brasilien ist in den letzten Jahren vor allem als Vorzeigemodell für ein wirt-schaftlich aufblühendes Schwellenland herausgestochen, hat aber auch immer wieder mit negativen Schlagzeilen auf sich aufmerksam gemacht. Brandrodung des Amazonas, die scheinbare Tatenlosigkeit bezüglich der Favelas ( Armenviertel ) und seit dem Sommer 2013 eben auch zum Teil gewalttätige Demonstrationen gegen die Fussballweltmeisterschaft. Offensicht-lich stellt der Mega-Event das fünftgrösste Land der Welt vor einige Probleme. Der in Brasilien lebende Anthropologe Martin

Curi erklärt im Interview (seite 26), das sei nur eine Bestätigung von Klischees und gefundenes Fressen für die Medien. Der brasilianische Fotograf Leandro Giga reiste für uns zur Baustelle des Stadions in São Paulo. Auf dieser Baustelle sind drei Bau-arbeiter ums Leben gekommen (seite 16). Auch was mit den Stadien und der ganzen Infrastruktur rund um die WM nach dem Turnier geschieht, ist noch ein grosses Fra-gezeichen. Besonders ein Stadion in der Amazonas-Metropole Manaus erntet viel Kopfschütteln (seite 12).

Die Oberflächliche Welt vonIbrahimović & Co.

Fussballer sind nicht die wortge-wandtesten Menschen. Bei Interviews nach den Spielen traut man regelmässig seinen Augen und Ohren nicht. Was die da ins Mikrofon labern. Dann gibt es noch diesen Schlag Fussballspieler, welche sich für Übermenschen halten. Ibrahimović tweetet regelmässig Sprüche wie: « Nothing Zlatan does is easy. That's why Zlatan does it » oder « If you can be anyone, be Zlatan ». Aber es ist ja auch nicht die Aufgabe der Spieler schlaue Dinge zu sagen. Dafür gibt es ja die Trainer. Spass bei Seite. Fuss-baller sind, trotzt ihrer manchmal leicht dümmlich wirkenden Art, regelrechte Su-perstars. Jungs hängen ihre Zimmer mit Postern von Fussballstars voll und nen-nen Ronaldo und Messi als ihre Vorbilder (seite 32). Woran liegt das? Vielleicht daran, dass Fussballspiel als etwas sehr männliches gesehn wird. Es gibt Bier und Bälle. Für 90 Minuten geht es nur darum seine Lieblingsmannschaft anzufeuern. Eine männerdominierte Welt, in der Ho-mosexualität nicht geduldet wird. Als sich der Schwedische Fussballstar Anton Hysén 2011 outete lief ein raunen durch die Fuss-ballwelt. Als «Emanzipationsgeschichte im wichtigsten Volkssport Europas» wur-de das Outing bewertet. Bedeutet das Be-kanntwerden von Hyséns Homosexualität das Ende seiner Kariere? Nein. Bewegte das Outing viele Fussballstars dazu es Hyséns nachzutun? Nein. Noch immer ist es eines der grossen Tabus im Fussball, während Schwulsein anderweitig meist völlig ak-zeptiert ist (seite 24). Es sei denn in Län-dern wie Russland und Katar. Dort finden übrigens die zwei folgenden Weltmeister-schaften nach Brasilien statt.

Hopp Schwiiz!Zugegeben, wir sind nicht die grosse

Fussballnation. Ein grosses Turnier konn-te die Schweizer Nati noch nie gewinnen. Eine Silbermedaille an den Olympischen Spielen 1924 war auch schon das höchste der Gefühle. Momentan sind wir immer-hin auf Platz sieben der Fifa Weltrangli-ste, dank der herausragenden Qualifikati-on für die WM durfte die Schweiz für die Auslosung der Gruppenspiele im stärksten Topf Platz nehmen. Soviel zu unserer Nati. Für alle, die gerne mit ihrem Fussballwis-sen angeben, wir haben die grössten Irrtü-mer rund um Fussball und die WM aufge-listet (seite 6). Es bleibt uns die Daumen zu Drücken und kräftig in die Vuvuzela zu blasen. Aber Achtung: die Spiele finden dieses Jahr zum Teil in der Nacht statt. Da ist der Streit mit schlafbedürftigen Anti-fussballfans schon vorprogrammiert. Das könnte mitunter einen Grund sein, warum die Public Viewings in Zürich dieses Jahr nur ziemlich eingeschränkt möglich sind. Ein Blick nach Basel zeigt, die dürfen län-ger wach bleiben als wir! Anyway. Die Bars schliessen um Mitternacht, die späteren Spiele musst du zu Hause vor dem Fernse-her kucken. Nicht ganz so das WM-Feeling, dass wir uns erhofft haben (seite 10).

Die Fifa und ihr ZirkusdirektorDas mit der Fussballnation vorhin

war nur die halbe Wahrheit. Denn nicht zuletzt der wichtigste Fussball-Mensch der Welt kommt aus der Schweiz. Sepp Blatter ist seit 1998 Präsident der Fifa. Neben Kor-ruption wird dem Fussballkönig Narziss-mus par excellence nachgesagt. Ein Fuss-ballturnier in seinem Heimatkanton dem Wallis trägt keinen geringeren Namen als «Sepp Blatter Turnier». Aber auch dem Weltfussballverband wird so einiges vor-geworfen. Dubiose Sponsorenverträge und Steuerbefreiungen trotz Milliardenum-sätzen. Wir haben das enthüllende Buch vom langjährigen Fifa-Kritiker und Journa-listen Andew Jennings unter die Lupe ge-nommen (seite 36). Auf unsere Interview-Anfrage an die Fifa bekamen wir folgende Antwort: «Es ist immer wieder erstaunlich, wie Medien, die sich nie um Fussball küm-mern, vor Weltmeisterschaften plötzlich fundierte Sonderbeilagen produzieren wollen» (seite 14). Ein erstaunliches State-ment von einem Weltfussball-Verband so

kurz vor dem grössten Fussballfest. Denn eigentlich sollte doch Fussball diesen Som-mer in aller Munde sein. Die Bilder sollen um die Welt gehen. Fussball soll uns die vielen Konflikte der Welt vergessen las-sen, uns zeigen, dass sich Länder in einem sportlichen Wettkampf messen können und auch verlieren können. Menschen sol-len zum Fussball spielen animiert werden.

Fussball ist ein Weltsport. Um Fussball haben sich Organisationen gebil-det. Fussball ist Macht und Geld. Fussball bringt Länder zusammen und spaltet Ge-müter - aber meist friedlich. Als ich kürz-lich in Brasilien war, wurde ich von einem Jungen zum Fussballspiel eingeladen. Wir spielten auf einem kleinen, herunterge-kommenen Feld auf einer riesigen Farm in der Nähe von São Paulo. Der weisse Farm-besitzer, die mehrheitlich dunkelhäutigen Hilfsarbeiter und einige Bauern waren schon mitten im Spiel. Ich entpupte mich relativ schnell als schlechtester Spieler auf dem Feld. Das war egal. Bald wurden Witze über den ungeschickten Gringo ( Auslän-der ) gemacht. Als ich dann noch den Farm-besitzer von den Füssen fegte und ihm bei-nahe das Fussgelenk brach, sah ich mich schon vom Platz verbannt. Falsch gedacht. Humpelnd spielte er mir den Ball zu und scherzte, die Seleção ( Brasilianische Natio-nalmannschaft ) müsse sich vor der Schwei-zer Mannschaft offensichtlich gut in Acht nehmen.

Für die Redaktion von dieperspektive

Conradin Zellweger

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Fussball ist wie schach, nur ohne Würfel

Tippst du auch immer 2:1? Zehn dreiste Fussball-

Behauptungen auf dem Prüfstand.

WM-SPEZIALAUSGABE

14

Fifa

die Fifa hat keine Freude an diesem Text :-)

Vier dinge, die du über den Verband wissen solltest.

16

Die schweigende 20 Millionen stadt

der Fotograf Leandro Giga gibt uns Einblicke in

die Baustelle São Paolo.

26

« Dank der WM schauen alle hier her »

Konrad Stähelin befragt den Brasilienkenner Martin Curi über tote Bauarbeiter, demos, rio de Janeiro und

Fussball.

30

Die WM und die schweizer

Es gibt fünf Fantypen. Welcher bist du? ( Hoffentlich

nicht der Ignorant )

32

Das superstarphänomen im Fussball

Bist du einem Superstar verfallen? ronaldo oder Ibrahimovic?

Hier steht alles rund um das Star-Phänomen

im Fussball34

Vielleicht in amerika, aber nicht hier

der Geschichtenerzähler geht rum: den Scheiss

Franzosen werden wir's zeigen!

36

Denn sie wissen was sie tun

Luzia Tschirky über Sepp, die Fifa und

die Korruption.

aNNa KaVVasiaDi

aus Thessaloniki. Setzt auf Griechenland.

Und du so, häsch gärn Uzo?

seite 6

siMoNE hÖrlEr

26 Jahre alt, hat erst getscheggt, dass

schon wieder Fussball-WM ist, als sie den Illu-Auftrag

für « dieperspektive » bekommen hat. Ebbe ha kei

Ahnig uf wer me do söll setze, isch Ängland

debii?seiten 2, 30, 31

JorDaN MarZuKi

aus Jakarta, Indonesien. orthodox cat lover.

The winner of this year World Cup is north Korea.

www.theballetcats.comseite 34

MichEllE MosEr

22 Jahre, isch nie übermässig am mitfiebere während de Spiel, da sie

sowieso immer grad denn ufdr Toilette isch wenn

es Tor gschosse wird. Setzt uf Holland.

seite 10

illustratoriNNEN uND illustratorEN

DiEsEr ausGabE

danke, dass Ihr Fussball schöngezeichnet habt.

danke für die Farben in der Bleiwüste. danke für die

visuellen rgasmen.

19

lass es raus!

das Programm und die Infos rund um

die WM–Events an der Gessnerallee

23

Die ewigen Zweiten –holland will mehr

oranje! dieses Jahr wird alles anders.

Corsin erklärt.

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take me, i'm Yours!

Wieso ist Homosexualität im Fussball eigentlich so ein

Tabuthema?

12

Elefantes brancos

WM vorbei, Fussball–touristen weg, Stadien leer.

Und dann?

InHALT

sarah sbalchiEro

Kennt die Intimzone der Statue von rio.

*Zwinkerzwinker*Parapapipiii,

setzt auf Italien.cover & visuelles Konzept

isabElla FurlEr

24 Jahre jung,ist imfall auch Messi.

Sie findet « Bschiissä » voll oke, wenns niemand merkt.

Setzt auf Argentinien.layout & visuelles Konzept

sarah sbalchiEro

Kennt die Intimzone der Statue von rio.

*Zwinkerzwinker*

isabElla FurlEr

24 Jahre jung,ist imfall auch Messi.

Sie findet

sarah sbalchiEro isabElla FurlEr

söll setze, isch Ängland

seiten 2, 30, 31

für « dieperspektive » bekommen hat. Ebbe ha kei

Ahnig uf wer me do söll setze, isch Ängland

www.theballetcats.com

hat erst getscheggt, dass schon wieder Fussball-WM ist, als sie den Illu-Auftrag

für « dieperspektive »

orthodox cat lover. The winner of this year

World Cup is north Korea.www.theballetcats.com

siMoNE hÖrlEr

26 Jahre alt, hat erst getscheggt, dass

JorDaN MarZuKi

aus Jakarta, Indonesien. orthodox cat lover.

visuellen rgasmen.visuellen rgasmen.

cover & visuelles Konzept visuelles Konzept

*Zwinkerzwinker*Parapapipiii,

setzt auf Italien.cover & visuelles Konzept

Sie findet oke, wenns niemand merkt.

Setzt auf Argentinien.layout

MAI – JULI 2014

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Die anarchie des Fussballschauens

Ausrufen kann man immer, verbieten auch. die Stadt

Zürich versuchts, die Fans gehen trotzdem auf

die Strasse!

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WM– SPEZIALAUSGABE/Fussball ist wie Schach, nur ohne Würfel

» Fussball

ist WiE schach.

Nur ohNE

WürFEl «TEXT Silvan KämpfenILLUSTrATIon Anna Kavvasiadi

LUKAS PodoLSKI

/Fussball ist wie Schach, nur ohne Würfel

An der WM gibt es den besten Fussball zu sehenEigentlich wäre es ja logisch, wenn an einer

Weltmeisterschaften nehmen die besten Fussball-nationen der Welt teilnehmen würden. Doch weit gefehlt. Wäre dem wirklich so, dann dürften aus Asien und Afrika jeweils nur zwei Länder mitmachen statt deren fünf. Die FIFA denkt global, das ist legitim, und sie hat natürlich auch kein Interesse daran, mögliche Zukunftsmärkte zu vergraulen. So werden auch dieses Jahr die Klagen kommen, wenn es in der gesamten Vorrunde viel-leicht drei gute Spiele gibt, die auch wirklich von Relevanz sind. Früher konnte man sich noch auf die nächste Europameisterschaft vertrösten. Doch leider wird jetzt die EM von 16 auf 24 Mannschaf-ten aufgestockt, weshalb auch dort das Niveau erheblich sinken wird. Leider muss man mittlerweile sagen: Am höchsten ist die Qualitätsdichte in der Champions League.

Für Normalsterbliche wird es fast unmöglich sein, an Tickets zu kommenDie Brasilianer gelten zwar als fussballverrückt. Damit

meint man vor allem, dass an jeder Ecke jedes Kind mit einem Tennisball am Fuss mehr anfangen kann als die Schweizer Tee-nager auf der Playstation. Und ja, die Brasilianer werden den pa-thetischen lateinamerikanischen Patriotismus an den Tag legen und mit aller Kraft ihr Team anfeuern. Doch Schweiz-Honduras in Manaús? Iran-Nigeria in Curitiba? Belgien-Algerien in Belo Ho-rizonte? Das interessiert in der lokalen Bevölkerung nun wirklich niemanden. Zudem werden diese Länder auch nicht von Zehn-tausenden von Schlachtenbummlern begleitet. Bei vielen Spielen wird es also ein Leichtes sein, auf dem Graumarkt ein Billet zu kaufen zu deutlich niedrigeren Preisen. Zudem werden auch die-ses Mal bei fast jedem Spiel wieder Tausende Plätze leer bleiben, weil es die Angestellten der Sponsoren nicht für nötig empfinden, ihre Gratistickets einzulösen.

Spanien und sein Tiki-Taka-Zeugs haben ausgedientMan mag es zum Gähnen finden, was die Spanier seit Jah-

ren abliefern. Vor allem ist ihr Spiel nicht variabel. Und bei ihrem Vorzeigeklub Barcelona ging es in diesem Jahr ziemlich abwärts. Doch die Primera División hat in dieser Saison Europa wieder ein-mal den Stempel aufgedrückt. Und das Arsenal an neuen jungen Talenten scheint für Schnauz-Träger-Trainer Vicente Del Bosque unerschöpflich. Und jetzt läuft auch noch einer der besten Brasi-lianer, Diego Costa, für La Roja auf. Spanien hat die besten Spieler und funktioniert nun auch als Team. Die Iberer sind Favorit. Na-türlich gehört aber auch Deutschland seit Jahren zu den besten Fussballländern der Welt und wird auch in diesem Jahr wieder um den Titel mitspielen. Daneben kann Brasilien statt am grossen Druck zu zerbrechen – die wahrscheinlichere Variante – auch von Anfang bis Ende auf einer Euphoriewelle reiten und den Heim-vorteil vollends nutzen, der dieses Mal wegen des Klimas auch wirklich einer ist. Den Titel machen also wahrscheinlich Spanien, Deutschland und Brasilien unter sich aus. Darüber hinaus sind Ita-lien und Frankreich als Turniermannschaften sicher zu allem fä-hig. Sollte aber am 13. Juli irgendein anderes Land den WM-Pokal in die Höhe stemmen, käme das sicherlich einer nie dagewesenen Überraschung gleich. Argentinien oder Holland fehlt vor allem in

im Fernsehen, im büro, in der bar: Die selbsternannten Experten laufen

an der WM wieder zur hochform auf. Damit ihr gar nicht mehr hinhören

müsst, wollen wir gerade noch rechtzeitig aufräumen mit den dreistesten

behauptungen.

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/Fussball ist wie Schach, nur ohne Würfel

«Anthony Chens Erstling

begeistert mit Liebe, Humor und

Herzlichkeit.»

VARIETY

ILO ILOVON ANTHONY CHEN, SINGAPUR

IM JUNI IM KINO

Vier Fussball-Abende mit dem Neumarkt-Ensemble, Live-Spielen und Video-Schnipseln inkl. abtrünnigen FIFA-Praktikanten und Günter Netzers Haushälterin, falschen Maskottchen und schlech-ten Perücken, Leinwand und Bier.

13.06.: Spanien – Niederlande20.06.: Schweiz – Frankreich26.06.: Deutschland – USA28.06.: Achtelinale 

Infos auf theaterneumarkt.ch 3

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« Irgendein Land legt los

wie die Feuer-wehr, fertigt Aus-

tralien oder den Iran mit 6:0 ab, bietet schöne

Spielzüge, und die WM hat bereits ihren

ersten Star-Spieler »

der Abwehr die Qualität. Belgien, Kolumbien oder Chile sind läs-sige Geheimtipps für Fussball-Hipster, aber auch nicht mehr.

An der WM geht es für einmal nicht ums GeldDie Heimat, der ewige Heldenstatus, die verschworene Ge-

meinschaft! Bitte nicht vergessen, wir reden hier von Fussball. Zwar winken an der WM keine grossen Prämien, aber das Turnier ist die beste Plattform für die ganz grossen Transfer- und Marke-ting-Deals wie auch für politische Ziele. Manches ist ziemlich gut belegt: etwa die Mussolini-Hörigkeit der Schiedsrichter an der WM 1934 oder die Getreide-Lieferung der argentinischen Junta an Peru, mit dem sie sich den nötigen 6:0-Sieg erkaufte. Anderes mag an Verschwörungs-theorien grenzen, wirft aber berechtigte Fragen auf: Warum zum Beispiel lief Ronaldo ( für die jüngeren Jahrgän-ge: in Brasilien gab’s auch mal so einen ) im WM-Final 98 in seinen Nike-Schuhen auf, obwohl es ihm offensichtlich hundsmies ging? Und wie bloss kamen 2002 in Korea so krasse Fehl-entscheidungen zugunsten der Gastgeber zustande? Wer die WM geniessen will, blendet solche Fragen am besten aus und stellt sie sich erst nach dem Turnier.

Ein guter Start ins Turnier ist die halbe MieteEs wiederholt sich bei jeder End-

runde. Irgendein Land legt los wie die Feuerwehr, fertigt Australi-en oder den Iran mit 6:0 ab, bietet schöne Spielzüge, und die WM hat bereits ihren ersten Star-Spieler. Die Mannschaft wird dann jeweils zum Favoriten erklärt mit der Begründung: « Die haben bisher am meisten überzeugt. » Ein regelmässiger Kandidat dafür ist Deutschland, aber auch die Holländer oder die Russen fallen häufig in diese Kategorie. Vergessen wird dabei stets, dass das Tur-nier erst im Achtel- oder gar erst im Viertelfinal losgeht (siehe Abschnitt 1). Die Bedeutung der Vorrunde für den Ausgang des Turniers geht gegen Null. Italien und Frankreich werden sich dort irgendwie durchgewurstelt haben gegen Costa Rica und Hondu-ras. Doch gegen ebenbürtige Nationen werden sie wieder bereit sein wie eh und je. Ach ja: Wie ging 2010 nochmal das erste Spiel der Spanier aus?

Während einer Endrunde lässt sich jeder Schrott verkaufenKennt ihr Goleo? Das ist dieser Löwe, der keine Hose trägt

und uns durch das deutsche Sommermärchen 2006 begleitete. Nun, Goleo ist pleite. Der Hersteller musste noch vor der Weltmei-sterschaft Insolvenz beantragen. Goleo wollte sich partout nicht gut verkaufen. Sowas aber auch. Viel lernte man nicht daraus. Zwei Jahre später liess die Migros nach der Euro 2008 verlauten: « Euro-Produkte wie Küchenaccessoires, Bettwäsche mit Schweizer Wappen, aber auch die Euro-Maskottchen Trix und Flix verkauf-ten sich weniger gut als erwartet. » Fazit: Selbst der homo oeco-nomicus ist nicht so sehr auf den Kopf gefallen, wie sich das man-che Hersteller wünschen. Diesen Sommer wird das WM-Sortiment hoffentlich in eine erträgliche Grösse haben.

Endlich schafft es einmal ein afrikanisches Team nach vorneAls Roger Milla 1990 Kamerun in den Viertelfinal schoss

und an der Eckfahne tänzelte, schloss die Welt gleich den ganzen afrikanischen Fussball ins Herzen. Seither wird regelmässig der

ganz grosse fussballerische Aufstieg des fünften Kontinents angekün-digt. Die Elfenbeinküste etwa ist zuletzt immer wieder als Geheim-favorit betitelt worden. Tatsächlich erreichten seither nur Senegal (2002) und Ghana (2010) den Viertelfinal. Eine höchst bescheidene Bi-lanz. Korrupte Verbände, egoistische Stars, unmotivierte Trainer aus Europa: die Liste der Probleme ist lang. Trotz viel Talent wird es also auch dieses Mal nichts mit einem afrikanischen Exploit.

Die Austragung einer WM lohnt sichSüdafrika hat nur einen Teil der hohen Investitionen wieder

einnehmen können und steht nun mit schwach ausgelasteten Stadi-en da. Von den wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen

haben die beiden BRIC-Staaten Südafrika und Brasilien relativ viel gemeinsam. Nun könnte man meinen, in einer Fussball-Nation

wie Brasilien seien wenigstens die Stadien von längerfristigem Nutzen. Doch auch das wird sich noch weisen müssen. Im

Schnitt kommen in Brasilien 15000 Zuschauer zu den Spie-len in der höchsten Liga. Das sind weniger als in Belgien,

China oder Mexiko. Im Dschungel von Manaús wird ein Stadion errichtet, obwohl dort nur eine Drittliga-Mann-

schaft kickt. Dennoch kann ein Event wie die WM – wenn auch nicht von allen Seiten erwünschte – posi-

tive Effekte zeitigen und als Weckruf dienen: Es bildet sich eine Zivilgesellschaft, die nicht mehr blindem

Patriotismus nacheifert und sich Gedanken macht über das Gesundheitswesen, Bildung und soziale Gerechtigkeit.

Selbst ehemalige Fussball-Stars wie Romário engagieren sich nun in diesen Bereichen – « dank » der WM.

Chancen haben jene Länder, von denen man die Spieler kennt

Aufgepasst auf Bosnien, die haben eine Super-Mannschaft! Nicht wenig lassen sich zur Zeit zu solchen Aussagen verleiten. Sie müssen auch nicht unbedingt falsch sein. Aber die einzige Begrün-dung dafür lautet letztlich: Die haben ein paar Spieler, die man aus der Bundesliga kennt, von Hoffenheim, Braunschweig oder Stuttgart. Nur, wer ist dieser « man »? Andere Länder können auch auf gutes Per-sonal zählen, Chile zum Beispiel. Nur spielen die nicht in Deutsch-land, sondern in Italien, Spanien oder in Südamerika selber. In den dortigen Ligen wird auch ziemlich gut Fussball gespielt. Nur sieht man ihn nicht in der ARD, im ZDF oder auf Sport 1. Die Engländer sind hier die noch grössten Spezialisten. Ginge es nach ihnen, wird einfach jene Mannschaft Weltmeister, welche die meisten Premier-League-Kicker in den Reihen hat (also England). Dem wollen wir nicht verfallen und verfahren auch während der WM stets nach dem Motto: Was ich nicht weiss, macht mich heiss.

Wer keine Ahnung hat beim WM-Toto, der tippe immer schön auf 2:1« Ja, Team A wird wahrscheinlich gewinnen. Aber Team B macht

doch sicher auch noch ein Tor. Schliesslich will man ja nicht fies sein und die Zuschauer wollen ein gutes Spiel sehen. Also naheliegend: 2:1 geht’s aus. » Die Statistik lügt nicht und besagt etwas anderes: Zwar gehen tatsächlich 14,5 Prozent aller WM-Spiele 2:1 aus. Das ist aber nicht das häufigste Resultat. Dieses lautet 1:0 und erfolgt in 18,8 Pro-zent der Begegnungen. Schliesslich ist Italien ja auch schon viermal Weltmeister geworden. Sei’s drum: An diesen Tippspielen gewinnen eh immer die Ahnungslosen.

silvan Kämpfen ist Redaktor beim ZWÖLF. Das Magazin beleuchtet den Schweizer Fussball und alles Interessante drumherum. Die WM- Ausgabe ist ab 26. Mai am Kiosk und auf www.zwoelf.ch erhältlich.

thE END

Silvan Kämpfen

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Die anarchie des Fussballschauens.

Eine Zürcher WM-Polemik

WM– SPEZIALAUSGABE/die Anarchie des Fussballschauens /die Anarchie des Fussballschauens

Elf Flaschen auf dem Spielfeld aber keine im Kühlschrank ? Wir helfen.

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U R B A N E G E T R Ä N K E L I E F E R U N G E N

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TEXT Simeon MilkovskiILLUSTrATIon Michelle Moser

S iebter Juni Zweitau-sendundacht. Hunderte - mal mehr, mal weni-ger - rotweiss gekleidete

Menschen sehen in eine Richtung, nach Westen, wo die Leinwand steht. Die Luft riecht nach Bier und Aschenbecher, das no-torische Menschenmassensummen ist hier ein Gemisch aus Gegröl, Skandierungen und diesem kollektiven Seufzen, wenn der Pass nicht ankommt. Schweiz kickt den Ball gegen Tschechien. Es wird das Spiel sein, dass uns bei der Endabrechnung zum Gruppenletzten verdammt. Kurz vor der Pause ein Schrei, ein Zähneknirschen, und unser Nationalheld ad interim Alex Frei liegt auf der Bahre. Das Kollektiv stöhnt auf. Mehr Bier.

Elfter Juni Zweitausendacht. Hun-derte ziemlich rotweiss gekleidete Men-schen (mittlerweile sind auch Blauweisse in unregelmässigen Abständen anzutref-fen) sehen nach Westen, wo die Leinwand steht und Basel, in dessen Joggeli die Schweiz gegen die Türkei den Ball kickt. Es ist ein Spiel mit emotionaler Tiefe: win or die. Hakan Yakin bringt uns nach einer halben Stunde in Führung. Hoffnung? Re-gen setzt ein, Fussball wird zu Tipkick, von Pfütze zu Pfütze rollt der Ball. In Zürich scheint noch die Sonne. Nach Abpfiff ist klar – wir sind die Verlierer. Zum Weinen keine Zeit, der Himmel übernimmt dank-bar die Aufgabe. Mit Wildfremden, die

wie ich keine Regenschirme dabei haben, quetsche ich mich unters Helmhaus und wir teilen unsere Bierdosen.

Sechzehnter Juni Zweitausend-zehn, frühabends. Am Bahnhofsplatz geht nichts mehr. Die Trams, Busse und Autos kommen nicht mehr durch, weil Horden junger Leute dort Fussball spielen. Die Schweiz hat gerade gegen Spanien gewon-nen.

Elfter Juli Zweitausendzehn. Mit kollektivem Kettengerauche verteidigen wir unsere Quadratmeter im Knäuel und haben sogar noch Platz für einen Zu-spätkommenden. Im orange-roten Meer wogen wir, die Hirne gefüllt mit Abseits-fallen, Fehlpfiffen, Holzfüssen, Kamikaze-fouls, Bananenbällen und natürlich den verzerrten Gesichtern aller angezählten sterbenden Schwäne, die im letzten Monat auf dem Weg ins Finale ihr wahres Gesicht gezeigt haben. De Jong fährt die Stollen aus, nach Neunzig stehts Nullnull, Iniesta holt aus, Stekelenburg ist geschlagen, die Furia Rioja säuft Champagner aus dem Kübel, oder Sangria. So schön es auch war, jetzt ist es vorbei.

Die WM ist nicht einfach ein Wettbe-werb, er ist Ereignis. Die WM ist nicht nur ein institutionalisierter Rahmen, die beste Fussballnation zu küren. Er ist ein Fest, er prägt den Sommer, in dem er stattfindet, er nimmt dem Monat vor den Schulferien seinen ätzenden Charakter. Er formt den Alltag. Es wird wieder Abseits erklärt und nicht verstanden werden müssen. Und die Mitbewohnerin, die sonst nicht mal den deutschen Nationaltorwart kennt, steht plötzlich mit dem Sixpack in der Tür und ruft « Zum Idaplatz! HOLLAND spielt gegen CHILE! ». Wann sieht man denn schonmal Chile spielen?

Der World Cup führt zusammen. Das ist das Wichtigste.

Und doch ist er ein Steilpass für un-sere Stadt, um wieder mal zu zeigen, dass sie die unlustigste und biederste Provinz nördlich der Alpen ist, die sich noch Gross-stadt schimpfen will. St. Gallen öffnet für die Spiele der Schweiz ihre AFG Arena, und das notorische gute Vorbild Basel erlaubt ihren Bars einfach, bis halb drei Uhr auch draussen zu senden. Zwar sind die Zürcher Regelungen nicht mehr ganz so absurd wie noch vor vier Jahren. Sie erinnern sich, WM live draussen ja, aber nur ohne Ton. Man stelle sich Südafrika ohne das stete Bzz der Vuvuzelas vor – zum Heulen. Einer der wenigen Fälle, in denen die Zürcher Re-gierung dann für einmal einlenkte, als sie gemerkt hat, dass sie diesen Irrsinn nicht mehr unter « Erlaubt ist, was nicht stört » verkaufen konnte. Wohl eher: Erlaubt ist, was nicht stört, da sowieso alles stört.

Die Zürcher Regierung lässt sich zur heutigen WM sogar als überaus tole-

rant zitieren. Klar, wenn ein Alternativer den Polizeichef stellt, kann er nicht wie-der mit der Ton-ab-Masche daher geradelt kommen. Doch gut zwinglianisch wird Euphorie hinten angestellt, überlässt man die Grossanlässe Unternehmern wie Rolf Hiltl (Maag Halle) oder verklärt sie endgül-tig zu Massenkitsch (Bahnhofshalle, über-haupt erst ab den Achtelfinals). Für die Mitternachtsgruppenspiele werden WM-Suchthaufen dann nach innen verbannt. Für grosse Outdooranlässe fehlt dem Gas-trofilz wohl die Motivation, wie man an den kaum eingegangenen Bewerbungen ablesen kann. Auf Anfrage stellen sich die meisten Barbetreiber auf einen quasi-nor-malen Geschäftsgang ein: Letzte Runde auf den zweiten Abpfiff des Tages, das Mitter-nachtsspiel darf man sich dann zu Hause gönnen, wenn man will. Das SRF hat ja die Konzessionen.« Und überhaupt », so der la-chende Gestus, « wer will denn schon Russ-land gegen Südkorea sehen? »

Ich wette mit jedem einzelnen einen Kasten Bier, dass ich das Spiel Russland ge-gen Südkorea, angepfiffen um Mitternacht mittwochabends, irgendwo biernippend in der Runde mitverfolgen kann. Die WM-Anarchie hat eigentlich nur einen Feind: die Schnösel und Hipster-Progressiven, die sich sowieso zu schade für solch einen Bauernevent sind. Doch die Schweiz ist ein

Volk voller Bauern und vielen dem Futbol sehr viel stärker zugeneigten Kulturen.

Das kollektive Fussballgegucke alle vier Jahre entzieht sich einer nachvollzieh-baren Grundlegung. Hier sind andere Kräf-te am Werk, kurzlebige, hochdynamische Impulse, die die Gassen um zehn Uhr abends leer fegen oder vollpumpen. Wenn die Stadt Zürich meint, für Grabesstille auf den Strassen sorgen zu müssen, soll sie das doch tun. Wenn am 15. Juni England ge-gen Italien erst um Mitternacht angepfif-fen wird, wird trotzdem jeder, der will, für seine Mannschaft johlen. Und muss sich dafür nicht, wie noch im 94, in eine semi-legale nikotingefärbte Höhle mit kleinem Scharzweissbildschirm zurückziehen. Die einen werden vor Freude Biergläser durch die Luft schmeissen, die anderen werfen sich aus Frust durch die Fensterscheibe. Die Halbfinals werden alle erst frühestens Mitternacht abgepfiffen. Wer glaubt, die Langstrasse bliebe danach jeweils ausge-storben, kann nur im Zürcher Stadtrat walten. Es wird wieder gehupt, geprügelt, gekreischt, gesungen und auf Tramgleise gekotzt werden. Die Stadt wird wieder le-ben. Da hilft nicht mal mehr kein Public-Viewing.

simeon, Dreiundzwanzig. Philosoph, Musiker und quöllfrisch. Setzt zähneknirschend auf Deutschland und hofft auf alles andere.

thE END

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ElEFaNtEs braNcos Was geschieht nach dem turnier mit den stadien?

WM– SPEZIALAUSGABE/Elefantes Brancos /Elefantes Brancos

TEXT Konrad StähelinFoToGrAFIE Conradin Zellweger

A ls « Weisse Elefanten » gelten an einer WM die Stadien, die für diesen einen Anlass gebaut

wurden und Gefahr laufen, später kaum Verwendung zu finden. So geschehen in Südafrika, wo die Spielstätten nach der WM vor vier Jahren nur mehr nett aus-schauen und im Unterhalt Millionen ver-schlingen.

Auch Brasilien, im Gegensatz zu Südafrika ein Fussball-Land, plagt sich mit mehreren Problem-Arenen. Zwei prä-gnante Beispiele: Im « Estadio Mané Garrin-cha » von Brasilia spielt ein Zweitligist, der erfolgreichste Verein in der Dschungelme-tropole Manaus ist sogar bloss viertklassig und zieht im Schnitt ein paar Hundert Fans an. Planspiele sind die Verwendung einiger Stadien für Konzerte oder Messen, in Manaus dachten Funktionäre zeitweise gar laut über eine Umfunktionierung zum Gefängnis nach.

Mit einem interessanten Modell – in Europa wäre dies undenkbar – feierten die Stadionbetreiber in Brasilia während des ersten Betriebsjahres Erfolge: Drei der beliebten Klubs aus Rio (Flamengo, Flumi-nense, Vasco da Gama), die Anhänger im ganzen Land haben, nutzten ihr Heim-recht für Spiele im Mané Garrincha.

Konrad stähelin, 24, ist freier Journalist aus Zürich.

thE END

14 15

So viel Steuern zahlt die FifaImmer wieder geht das Gerücht herum, der als Verein or-

ganisierte Weltfussballverband zahle in Zürich keine Steuern. Das ist so nicht richtig. Gemäss Fifa-Finanzbericht bezahlte der Verband zwischen 2003 und 2010 rund eine Million Dollar in die Staatskasse. Von da an erhöhte sich die Zahl bis 2013 auf rund 17 Millionen Dollar. Der Verein bezeichnete seinen Steuerbeitrag als «freiwillig». Das ist falsch: Da er nicht steuerbefreit ist, muss er zahlen, wie jeder andere Verein auch. Ob die Fifa aus steuer-rechtlichen Gründen als Verein organisiert ist, lässt sich schwer sagen. Das Zürcher Steueramt teilt auf Anfrage lediglich mit, dass Vereine einen etwas tieferen Steuersatz als Aktiengesellschaften haben (vier Prozent auf den Gewinn, statt acht Prozent) – «grund-sätzlich werden sie aber gleich besteuert, wie Unternehmen.» Da nur auf den Gewinn Steuern erhoben werden, halten sich hart-näckige Gerüchte, dass die Fifa absichtlich grosse Verlust-Events durchführt und so das Geld umverteilt, damit die Steuerlast sinkt.

Der Präsident möchte mit Herr Präsident angesprochenwerdenJoseph S. Blatter – so heisst einer der mächtigsten Män-

ner der Welt, so heisst der allmächtige Präsident der Fifa. Der 78-jährige Walliser präsidiert den Weltverband seit 16 Jah-ren. Und kann nicht genug kriegen. Wahrscheinlich wird Blat-ter nächstes Jahr für eine weitere Amtszeit kandidieren. Man kann von ihm halten, was man will: Nicht mal seine schärfsten Kritiker können bestreiten, dass Sepp Blatter sein Handwerk versteht: Er hat die Fifa zentralisiert, als Präsident ist er prak-tisch unantastbar, die Kassen des Vereins sind prall gefüllt. Wenn Sie dem Fifa-Chef mal begegnen, sollten Sie folgendes wis-sen: Sepp Blatter möchte immer mit «Herr Präsident» angespro-chen werden und ist ständig von zwei seiner wunderschönen und jungen «Assistentinnen» umgeben. Für Präsident Blatter ist der Fussball das wichtigste und grösste auf der Welt. Und in der Welt des Fussballs ist Präsident Blatter das wichtigste und grösste.

Der Fussballverband setzt sich ein für Grundrechte«Die Welt ist von natürlicher Schönheit und kultureller

Vielfalt geprägt, aber auch voller Ungerechtigkeit, da viele noch immer ihrer Grundrechte beraubt sind. Die Fifa hat deshalb die Pflicht, der Welt die Hand zu reichen und sie über den Hoffnungs-träger Fussball zu berühren und zusammenzuführen.» So sieht der Fussballverband seine eigene Rolle.

Das Spiel soll entwickelt werden, «wobei der völkerverbin-dende, erzieherische, kulturelle und humanitäre Stellenwert des Fussballs berücksichtigt werden soll.» Alle Menschen sollen teil-haben können. So will die Fifa einen globalen Beitrag zur Frie-densbildung und sozialer Integration leisten. Wenn wir nach Brasilien oder Qatar schauen, kann diese Mission nicht immer optimal in die Realität umgesetzt werden: Auf den Baustellen ster-ben Arbeiter, Einheimische werden menschenrechtswidrig umge-siedelt, lokale Händler verlieren ihre Lebensgrundlage. Beispiel: Die Fifa vergibt Lizenzen an Grossunternehmen, die für die Ver-pflegung während der Weltmeisterschaft zuständig sind. Brasili-anische Kleinverpfleger und Imbissstände werden weggewiesen. Anspruch und Wirklichkeit gehen nicht immer Hand in Hand.

Die Fifa hat Geburtstag, Alles Gute!Die Fifa ist der grösste Sportverband der Welt und koordi-

niert den grössten Sportanlass der Welt. 1904 wurde sie in Paris gegründet, am 21. Mai 2014 wird die Fifa 110 Jahre alt – alles Gute zum Geburtstag! Der Fifa-Hauptsitz in Zürich ist die eigentliche Schaltzentrale des Weltfussballs. 209 Nationalverbände haben sich zu sechs Kontinentalverbänden zusammengeschlossen und der Verwaltung der Fifa unterstellt. Obwohl das nach föderalisti-schen Strukturen tönt, haben die National- und Kontinentalver-bände wenig zu sagen. Alles, was mit den Weltmeisterschaften zu tun hat, entscheidet die Fifa: Trickotbestimmungen, Fernseh-rechte, Verpflegung (Heineken ist das Fifa-Bier), Bälle, Vergabe der Austragungsorte, Abschaffung der Stehplätze in den Stadien…

Mit dem Fussball hat die Fifa ein Konzept erschaffen, welches es ihr erlaubt, weltweit das Leben der Menschen zu be-einflussen. Und sie breitet sich immer weiter aus. Könnte man die Aktivitäten der Fifa als modernen Imperialismus bezeichnen, welcher unter dem Deckmantel des Sports versucht die Welt zu erobern?

simon Jacoby, setzt voll auf Deutschland als Weltmeister und freut sich darauf, an der WM mal alle 17 verschiedenen Fussball-Shirts passend verwenden zu können. Daneben: Co-Leiter dieperspektive, 25, blaue Augen, unsingle

Dinge, die sie über

die Fifa wissen sollten

1

2

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4

Die Fifa – allmächtig, riesig, undurchsichtig

– beschert uns alle vier Jahre wunderbare sommertage.

Damit dieser Mega-Event durchgeführt werden kann, braucht es

eine mächtige und gut funktionierende organisation: Die Fifa,

der Weltfussballverband mit sitz in Zürich. Darüber gibt

es unglaublich viel zu sagen. Wir haben vier aspekte rausgepickt

und präsentieren diese in aller Kürze.

WM– SPEZIALAUSGABE/Vier dinge, die Sie über die FIFA wissen sollten /Vier dinge, die Sie über die FIFA wissen sollten

TEXT Simon JacobyILLUSTrATIon Isabella Furler

Disclaimer:

Die Fragen im Text wurden der Pressestelle der Fifa zur Beant-wortung vorgelegt.Leider hat der Verantwort-liche Walter De Gregorio nur folgende (unverändert abgedruckte) Antworten zurückgeschickt:

1. Es ist immer wieder er-staunlich, wie Medien, die sich nie um Fussball kümmern, vor Weltmeisterschaften plötz-lich fundierte Sonderbeilagen produzieren wollen.

2. Noch erstaunlicher ist, in welcher Tonlage von derlei Experten die Fragen an die FIFA gestellt werden wie in Ihrem Fall.

3. Auf Suggestivfragen gibt es keine Antworten, da die Suggestivfrage ja bereits die Antwort impliziert – wenn auch nur die Ihrige.

4. Sie dürfen das Obige abdrucken, soviel zur Trans-parenz.

Fragen an die Fifa:

Über 1,3 Milliarden Dollar Umsatz, 72 Millionen Gewinn, 17 Millionen Steuern – lohnt es sich für die Fifa finanziell, sich als Verein zu organisieren? Schmälert die Fifa ihren Gewinn absichtlich, um weniger Steuern zu bezahlen?

Fragen an die Fifa:

Was versteht die Fifa unter Grundrechte?Die Fifa will authentisch, integer und transparent sein. Stimmt es, dass das Gastge-berland der Fifa eine Steuerbefreiung garantieren muss? Stimmt es, dass die Bewerbung mit dem grössten Kostenvoranschlag gewinnt?

thE END

16 17

WM– SPEZIALAUSGABE/die schweigende Millionen–Metropole /die schweigende Millionen–Metropole

TEXT Conradin ZellwegerFoToGrAFIE Leandro Giga

S ão Paulo hat fünf grosse Fussballclubs. Jeder der fünf Stadtclubs hat ein Stadion - alle haben sie

mehr Plätze als der Zürcher Letzigrund. Die Arena Corinthians ist das Stadion wo das Eröffnungsspiel zwischen Brasilien und Kroatien stattfindet. Im Mai - nicht mal einen Monat vor der Weltmeister-schaft steht das Stadion noch im Bau. Kranen stehen noch und Erde wird mit rie-sen Lastwagen angeliefert. Den Arbeitern merkt man den knappen Zeitplan nicht an. In São Paulo ist es still. Anders als in Rio de Janeiro wo die Leute den Frust über die Bedingungen der Weltmeisterschaft auf die Strasse hinausschreien und es regel-mässig zu gewalttätigen Demonstrationen kommt. In São Paulo ist es still. Verdächtig still. Die Arena Corinthians wird auf die WM hin fertig sein. Die Fernsehkameras werden die lachenden Kinder zeigen, wie sie mit den Nationalhelden auf das frische Grün hinaustreten.

Leandro Giga

Die schweigende 20 Millionen – Metropole

« Ich kann mich noch an die Vorbereitungen der letzten sechs Weltmeister-

schaften erinnern. Keine war so traurig

wie diese. »

Im Bau befindliche Arena Corinthians - drei Arbeiter sind bei den Bauarbeiten umgekommen.

thE END

18

LASS ES rAUS!/das Programm

leandro Giga, begann mit 15 Jahren zu fotografieren. Heute sucht er in Bildern die Emotionen und Details, die im Alltag zu flüchtig sind um Beachtung zu finden. Ist Musiker und hat eine zwiespältige Beziehung zu seiner Heimatstadt São Paulo.

« Ich erinnere mich, dass wir als Kinder immer die Strassen

bemalt haben, wenn es Richtung WM ging. Heute feiert

in São Paulo niemand den nahenden Cup. »

Leandro Giga

/die schweigende Millionen–Metropole

LASS ES RAUS !

Eröffnungsparty

23. Mai 2014 | 20 Uhr GESSnERALLEE

Südbühne

TRYAnGLE

Performances / Installationen

12. Juni 2014 | 20.00 Uhr

15. Juni 2014 | 17.00 Uhr

20. Juni 2014 | 20.00 Uhr

25. Juni 2014 | 21.00 Uhr

04. Juli 2014 | 17.00 Uhr

05. Juli 2014 | 17.00 Uhr

08. Juli 2014 | 21.00 Uhr

09. Juli 2014 | 21.00 Uhr

12. Juli 2014 | 21.00 Uhr

STADTRAUM

START: Südbühne

PEnTAGOn I - III

Performance - Reihe

21. Juni 2014 | 20 Uhr

28. Juni 2014 | 20 Uhr

12. Juli 2014 | 20 Uhr

GESSnERALLEE

Südbühne

GAME

Tanzperformance

04. | 05. Juli 2014 | 24 Uhr

06. Juli 2014 | 20 Uhr

GESSnERALLEE

Südbühne

LASS ES RAUS !

FinalParty

12. Juli 2014 | 24 Uhr GESSnERALLEE

Südbühne

TRYAnGLE

Performances / Installationen

17 UhR

START: Südbühne

20 UhR

START: Südbühne

21 UhR

START:

Südbühne

Einführung TRYAnGLE

im Anschluss WM-Eröffnungsspiel & Tanzveranstaltung12. Juni 2014

COORDInATIOn MODEL Molly Haslund, Anja Lina Egli

SChIzOPhOnIA Séverine Urwyler

AEkE motion Dominik Fornezzi

15. Juni 2014 20. Juni 2014 25. Juni 2014

COORDInATIOn MODEL Molly Haslund, Anja Lina Egli

unDRIVEn WM-SPEzIAL Niklas Leifert

SPIEL UnD RITUS Ines Wuttke

AEkE motion Dominik Fornezzi

PERCEPTIOn BREAD Martin Schinagl

4. Juli 2014

5. Juli 2014

8. Juli 2014

9. Juli 2014

COORDInATIOn MODEL Molly Haslund, Anja Lina Egli

unDRIVEn WM-SPEzIAL Niklas Leifert

SPIEL UnD RITUS Ines Wuttke

AEkE motion Dominik Fornezzi

CIRCLE PERFORMAnCE Haslund

PERCEPTIOn BREAD Martin Schinagl

12. Juli 2014

TRYAnGLE

Das dreieckige Beobachtungsfeld TRYANGLE

untersucht die Auswirkungen des globalen

Mega - Events „Fussball - WM“, auf die Kultur

der Stadt Zürich. Zwischen den Koordinaten

Südbühne - Idaplatz - Bullingerplatz, inden

gleichzeitig zu WM-Spielen Performances

bei Public Viewings statt. Starte mit uns bei

der Südbühne oder:

WATCh FOR ThE BIKE !

LASS ES RAUS !

LASS ES RAUS ! ist eine künstlerische Reaktion auf das globale Mega-Event „FIFA Fussball - Weltmeisterschaft Brasilien

2014“. Ein mehrspuriges, interdisziplinäres Performance - Projekt, welches die Auswirkungen der WM auf die Kultur der Stadt

Zürich beobachtet und sich positioniert.

„Das Theater ist etwas absolut schlechtes: eine Bühne der Illusionen und der Passivität, die man zugunsten dessen aufheben

muss, was sie verbietet, zugunsten der Erkenntnis und der Handlung, der Handlung des Erkennens und der vom Wissen

geleiteten Handlung. (...) Man braucht ein Theater ohne Zuschauer, wo die Anwesenden lernen, anstatt von Bildern verführt zu

werden, wo sie aktive Teilnehmende werden, anstatt passive Voyeurs zu sein.“

Der emanzipierte Zuschauer; Jacques Rancière

STAU

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BäCKERAnLAGE

KASERnEnAREAL

/das Programm /das Programm

PENTAGON I - III

Die dreiteilige Performance-Reihe

‚PENTAGON‘ mit den Headlines „Ekstase

- Schlachtfeld - Korruption“ spielt mit

Hintergründen der Fussball - WM. Die

Kuratoren Dominik Fornezzi, Anja Lina

Egli, der Schauspieler Nicolas Batthyany

und die Redaktion der Zeitung „Die

Perspektive“ durchforsten gemeinsam

den Reiz der Eventität, rauschen durch

temporäre Ausnahmezustände, verfolgen

maiöse Hintergedanken und prügeln sich

beim lorentinischen „Calcio Storico“ -

dem historischen Fussball, ohne Regeln,

mit Fäusten.

GAME

Das Opfer seiner eigenen männlichen

Hegemonie sein. Mathias Ringgenberg

inszeniert unter dem Motto des Spielens

die Tanzperformance ‚GAME‘. Eine Gruppe

junger Männer im Austausch mit ihrem

Mann-Sein. Durch virtuose Etüden wird

ein Konkurrenz- und Differenzkampf

ausgetragen, welcher weitere

Männlichkeitsdiskurse aufgreift. ‚GAME‘

ist die „Boy-Group“, die sich wieder einmal

Zeit nimmt, miteinander zu spielen.

PERCEPTION BREAD

,PERCEPTION BREAD` ist ein

philosophischer KultTalkGipfel über

Hyperindividualisierung, auf Rädern.

Mit gelebter Präsenz und exakten

Analysen moderiert und projiziert

der österreichische Filmemacher,

Schriftsteller und Entertainer Martin

Schinagl, zeitgleich zu WM-Spielen, aus

und um den ,PERCEPTION BREAD` -

Tourbus.

www.perceptionbread.com

AEKE MOTION

Trans - Projekteur Dominik Fornezzi

observiert systemisch öffentliches

Schauen. Experimental - Zonen werden

abgesteckt, kollektive Emotionen

eingefangen, verwertet und wieder

ausgespuckt. Ein Live - Reenactment

einer kulturanalytischen Messung, das der

Frage nachgeht, wie es zustande kommt,

dass ein Ich sich fühlt.

www.fornezzi.com

SPIEL UND RITUS

Ein Public Viewing - Ort wird zur

imaginären Bühne, einem Spielfeld, bei

dem sich die Grenzen zwischen Akteur

und Zuschauer aulösen. Die Szenograin

und Performance-Künstlerin Ines Wuttke

inszeniert Ritual - Zeremonien, welche

die Schnittstelle zwischen Realem und

Fiktivem aufgreift und transformiert. Um

in den rauschhaft - liminalen Zustand

des Fussballspiels zu gelangen, werden

gemeinsam Übergangsrituale vollzogen.

www.ineswuttke.de

COORDINATION MODEL

‚COORDINATION MODEL‘ nennt die

dänische Künstlerin Molly Haslund ihre

partizipative Installation, bestehend aus

acht Schaukeln, die während der WM vor

der Südbühne steht. Der ofizielle Slogan

der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft

Brasilien 2014 lautet: „All in one rhythm“.

Die Installation als kritisch - spielerische

Analogie zum Slogan ist eine Aufforderung

der Künstlerin zur öffentlichen Beteiligung

und Interaktion. www.mollyhaslund.com

SCHIZOPHONIA

Die Künstlerin Séverine Urwyler

sammelt Soundscapes ausgewählter

Fussballspiele. In ihrer inneraktiven

Soundinstallation ‚SCHIZOPHONIA‘ kann

sich jeder den akustischen Ausdruck

kollektiver Emotionen direkt unter

die Haut gehen lassen. Erregte Fans

erfahren durch ‚SCHIZOPHONIA‘ Zustände

tiefer Entspannung. Die Einverleibung

ekstatischer Rhythmen und der eigene

Körper als Resonanzraum - eine

meditative Fussballerfahrung.

www.severineurwyler.blogspot.ch

UNDRIVEN WM-SPEZIAL

Brot und Spiele sind nicht genug!

Während sportlicher Grossereignisse

geraten politisch und gesellschaftlich

brisante Themen in der Regel in

den Hintergrund der allgemeinen

Aufmerksamkeit.

Dem gilt es entgegenzuwirken: Ab dem

Viertelinale lädt Niklas Leifert sieben

Experten aus verschiedenen Städten in

sein mobiles Studio ein. Die Gespräche

werden zeitgleich zu den Spielen per

Livestream in die Südbühne übertragen.

www.undriven.net

CIRCLE PERFORMANCE

Die dänische Performance - und

Installationskünstlerin Molly Haslund

zeichnet mit drei überdimensionalen

Zirkeln Kreise in das ‚TRYANGLE‘. Diese

partizipative Performance wird zu einem

tänzerischen Akt, der unser Verhältnis

zum öffentlichen Raum während der WM

relektiert.

www.mollyhaslund.com

/das Programm

J ohannesburg, 11. Juli 2010, 21:51 Uhr. Es läuft die 62. Minute im WM-Final zwischen Spanien und Holland. Robben schnappt sich nach einem Traumpass von Sneijder das Leder und kann allei-

ne auf Iker Casillas losziehen. Eine Nation hält den Atem an. Auf dem Museumsplein in Amsterdam haben sich 180‘000 Supporter der Niederlande versammelt und setzen zum epischen Jubelschrei an. Doch ... es kommt ganz anders. Mit einer Glanzparade vereitelt der Spanische Schlussmann diese absolute Topmöglichkeit und hält das 0:0. Der Rest des Spiels ist bekannt. Andres Iniesta knallt in der 116. Minute per Volley die Kugel zum entscheidenden 1:0 in die Maschen und versetzt ganz Fussballholland in Schockstar-re. Spanien wird Weltmeister, Holland Vizeweltmeister. Wieder einmal. Nach 1974 gegen Westdeutschland und 1978 gegen Ar-gentinien bedeutet die Pleite gegen Spanien bereits die dritte

Niederlage in einem WM-Final für die Oranjes. Noch nie konnten die Mannen aus dem Tulpenland eine

WM Endrunde für sich entscheiden. Dies hat sich tief ins kollektive Fussballgedächtnis eines jeden

Holländer eingebrannt und tiefe Narben hin-terlassen.

Dieses Mal soll nun alles anders werden. Einiges spricht dafür, vieles dage-gen. Louis van Gaal, Coach der « Elftal », kann vor allem im Angriff auch an die-

ser WM auf absolute Topstars zählen. Mit Spieler wie Robben und van Persie hat Hol-

land nach wie vor Stürmer von absolutem Weltklasseformat in seinen Reihen. Besonders

Arjen Robben zeigte bei Bayern München eine Bombensaison. Er strotzt nur so vor Selbstvertrau-

en. Van Persie hatte nach mehreren klasse Saisons in der Premier League heuer einen etwas schwereren

Stand. Mit « nur » 12 Treffern für Manchester United blieb er diese Saison deutlich unter seinen Möglichkeiten. Dass er aber zu den allerbesten seines Metiers gehört, muss er wohl keinem mehr be-weisen. Angeführt von den beiden Tormaschinen, spazierten die Holländer auch dementsprechend locker durch die WM-Qualifika-tion und vermochten auf ganzer Linie zu überzeugen.

So weit so gut also, doch Hand aufs Herz liebe Fussball-freunde! Kennen Sie Spieler wie Martins Indi, Daryl Janmaat oder Joel Veltman? Wohl kaum. Diese jungen Herren sollen an der WM aber Knipser wie Diego Costa in die Schranken weisen. Ob der To-talumbau der Holland-Defensive erfolgreich sein wird, steht noch völlig in den Sternen. Dazu kommt der blamable Auftritt der Nie-derländer an der letzten EM in der Ukraine. Alle drei Spiele gingen damals verloren. Auch bei der 0:2 Niederlage im letzten Freund-schaftsspiel gegen Frankreich vermochte die Van Gaal-Truppe alles andere als zu überzeugen.

Salvador da Bahia, 13. Juni 2014, 16:00 Uhr. In diesem Au-genblick beginnt das erste Spiel der Gruppe B. Wieder trifft Hol-land auf Spanien – die grosse Finalreprise von Südafrika bereits am zweiten Spieltag der WM. Die anwesenden Holland-Fans sind sich sicher, dieses Mal packen es Robben und Co. Denn in einem sind die Oranjes und ihr Anhang nämlich schon lange Weltmeister – in Sachen Optimismus!

corsin Manser, ist 26 und studiert im Master Zeitgeschichte in Fribourg. Nebenbei schreibt er sich bei Watson die Finger wund und lässt bei seiner Tätigkeit als Barkeeper in der Maag Halle die Herzen seiner Kunden höher schlagen. An der WM wird der Schweiz-Holländische Doppelbürger sowohl den Oranjes als auch den Eidgenossen die Daumen drücken.

thE END

WM– SPEZIALAUSGABE/die ewigen Zweiten – Holland will mehr

TEXT Corsin Manser

Die ewigen Zweiten –holland will mehr

« Dieses Mal soll nun alles

anders werden. Einiges spricht dafür,

vieles dagegen »

Corsin Manser

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/Take M

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Rome — Italy coach M.L. on Wednesday said he would not se-lect two players for his squad if they were openly involved in a ho-mosexual rela-tionship.But the veteran coach, who led Italy to World Cup glory in 2006, in-sisted that choice was not due to homophobia but due to the re-IT

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The Soia (Bulgaria) News Agency and 7 Dni Sport are reporting that four soccer players have been expelled from their club in Varna, Bulgaria, for having sex in the

SEX IN THE TEAM LOCKER ROOM.

quirements of team morale."In the current cli-mate, two nation-al team players could never be in-volved in an open relationship," he told a web-TV sta-tion."This is not a question of cul-ture but is more related to the fact that such a rela-tion would create conlicts contrary to the interests of the dynamics of the group."Imagine how a homosexual cou-ple in football would be per-ceived. "Even if, socially, most peo-ple would support and understand such a situation it would none-theless become magniied and eventually would be viewed nega-tively."M.L. has previ-ously stated that in 40 years in foot-ball he has never met a homosexual and that there are no gay players. He also said that he would have no problems picking a gay player but that person would ind it hard to live as an openly gay footballer.

Coach M.L. has previ-ously stated that in 40 years in football he has never met a homo-

team locker room. Ofi-cials with the MAX club discovered the four hav-ing sex with one anoth-er in the locker room. Coach G.D. has con-irmed the expulsion with 7 Dni Sport, say-ing that the homosexu-al players were kicked out for damaging the

club's reputation.

sexual and that there are no gay players. Sunday 28 November 2010

A Publication by Mathias Ringgenberg

ing it up like a bra He wore a hat with a lower in it some time ago and came off with ‘i’m proud

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Here me out before you thumb me down and kill me. At training, he wore his jumper like a girl tie-

player to come out, I would envisage they’d be a hard man, with an established reputation, and perhaps a year or two at most left in the game, so if coming out brought too much hardship, it wouldn’t matter so much professionally.”

“Do I think that’s right? Of course not,” he added. “It’s a very sad state of affairs. But it’s a fact that homophobia in football is as strong now as it was 10 years ago. If you’d asked me in 2000 whether I thought we’d have a famous, openly gay footballer by 2010 I would have said yes.

“I’ve had two h i g h - p r o -file Premier League football clients in the past five years who’ve been gay or bisexual and my advice has been not to make that pub-lic. For a top

TAKE ME

I’M YOURS

of my sexuality’ When he scores, he sometimes puckers up and blows kiss-es to the crowd his calender of 2007-

08 features him lying on the beach with sand on his stomach whilst other footballers are scoring a goal

“You look across so-ciety and see openly gay people in music, movies, television, politics, the clergy, and it’s not a problem, nor in many sports. It’s not that footballers are homophobic but the fans can be vicious.”

Sunday 17 October 2010

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2726

Der anthropologe Martin curi

über brasiliens umgang mit Fussball

und die bedeutung der WM .

InTErVIEW Konrad Stähelin, rio de Janeiro

WM– SPEZIALAUSGABE/Interview mit dem Brasilienkenner Martin Curi /Interview mit dem Brasilienkenner Martin Curi

M artin Curi hat das Ipanema-Vier te l als Treffpunkt für unser Gespräch

ausgesucht. Weil das Glacé hier so gut ist. Noch famoser aber ist der Strand, wo sich Surfer und Volleyballer austoben, weltbekannt seit den 1960ern dank dem Bossa-Nova-Hit « The Girl from Ipanema ». Damals dominierten die Künstler das Quartier, heute wohnen und shoppen hier die besser Betuchten von Rio. Im letzten Sommer demonstrierte die junge Mittel-schicht in diesen Strassen. Wer sie heute begeht, sieht Gentrifizierung, Blechlawi-ne und Touristen. Ein Land, das sich seit der Machtübernahme der Sozialisten 2005 konstant verändert. Aktuell schaut ihm die ganze Welt dabei zu.

Martin Curi, warum ist Brasilien das « Land des Fussballs », wie Sie es in Ih-rem Buch beschreiben?

Weil der Fussball hier allgegenwär-tig ist. Am sichtbarsten ist sein Dominanz, wenn die Nationalmannschaft, die Selecão, an einer WM spielt. Dann schliessen alle Geschäfte, jede und jeder sitzt vor dem Fernseher. Die Schweizer Armee könnte in zwei Minuten das ganze Land einnehmen, keiner würde es mitkriegen. Eine WM ist der Nationalfeiermonat Brasiliens.

Auch wenn die Selecão schlecht spielt?

Dann tritt der Strassenköter– Komplex ein.

Wie bitte?Brasilien schaute schon immer zu

den Industrieländern auf, wollte modern sein, fühlte sich aber minderwertig. Wenn man Weltmeister wird, ist man auf Augen-höhe, hat die ehemaligen Kolonialherren besiegt. Wenn nicht, geht die grosse Dis-kussion los, wo die Probleme des Landes liegen. Man fühlt sich erniedrigt, sucht Schuldige. Ein Schriftsteller hat diese Hal-tung vor Jahrzehnten mit der eines Stras-senköters verglichen.

Warum ist nicht einfach der Trai-ner schuld oder die Manschaft schlecht?

Über den Fussball werden gesell-schaftliche Themen dramatisiert. Ein Bei-spiel: 1950, während der bisher einzigen Heim-WM, fühlte man sich als multikultu-relles Land dem als rassistisch wahrgenom-menen Rest der Welt überlegen. Auch in der Selecão spielten Spieler verschiedener

Hautfarben friedlich zusammen, und das sogar erfolgreich, man war haushoher Favorit. Als man aber das entscheidende Spiel gegen Uruguay verlor, wurden die dunkelhäutigen brasilianischen Spieler zu Sündenböcken erklärt. Sie hatten das Volk vertreten und versagt, also hatte auch das Volk versagt.

Würde Brasilien nicht Weltmei-ster, hätten also wieder die dunkelhäu-tigen Spieler Schuld?

Nein, diese Diskussion über die Hautfarbe ist längst abgeflacht, sie ent-sprach damals dem Zeitgeist. Heute sind andere Themen aktuell.

Wohl diejenigen, für die während des Confederations-Cup im letzten Juni Millionen Brasilianer auf die Strasse gin-gen...

Genau. Auch wenn man kein Spiel verlor, war das auch so ein Moment, in dem man letztlich diskutierte: Wie soll Brasilien sein? Man brauchte dafür wieder ein Fussballturnier.

Und wie soll Brasilien für die De-monstranten sein?

Wenn Sie das zehn Demonstranten von damals fragten, würden Sie zehn verschiedene Antworten kriegen. Einen Grundtenor gab es aber doch: Die Wirt-schaft wächst zwar seit Jahren, für genü-gend Ärzte, Bildung oder öffentlichen Ver-kehr scheint aber kein Geld vorhanden zu sein. Der Protest richtete sich ausserdem gegen die Korruption, die diesem Politik-system immanent ist.

Im Kreuzfeuer der Kritik stand Präsidentin Dilma Rousseff (Arbeiterpar-tei). Hängt ihre Wiederwahl im Oktober auch vom Ausgang der WM ab?

Hundertprozentig, die WM wird zu einem Wahlkampfthema. Obwohl der Fussball dann nicht so wichtig ist. Die Leu-te hoffen, dass mit der Organisation alles klappt. Rousseff hätte die Wiederwahl dann auf sicher. Aber wie würde das Land nur vor der Welt dastehen, wenn etwas schiefginge?

Als Schwellenland halt, da kann schon mal was daneben gehen.

Das ist eine arrogante Haltung der Industrieländer, die mich unglaublich stört. Niemand hat die Turniere in Fran-kreich oder Deutschland infrage gestellt. Wenn nun Südafrika oder Brasilien die WM durchführen, müssen sie sich ständig rechtfertigen. Was sollte die ewige Frage

« Dank der WM schautplötzlich jeder hierhin »

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Sie war damals ziemlich rabiat, gelinde gesagt.

Die Taktik war: Tränengas schiessen und auf alles draufknüppeln, was sich be-wegt. Sie hat damit noch mehr Demons-tranten mobilisiert, ohne es zu wollen.

Die Polizei ist laut Menschen-rechtsorganisationen auch für Tausende von illegalen Zwangsumsiedlungen für Infrastrukturprojekte verantwortlich.

Es wurde viel darüber geredet, dass die Polizeistrategien sich ändern müssten. Das ist ein weiterer Erfolg der WM.

Ausserdem hinterlässt sie ein paar Infrastrukturprojekte, zwölf Stadien und ein grosses Loch in der Staatskas-se. Sie ist mit bis zu 33 Milliarden Reais (rund 12 Milliarden Franken) die teuerste der Geschichte. Und das in einem Land, in dem laut Weltbank einer von fünf Ein-wohnern arm ist.

Ohne die Ausgaben verteidigen zu wollen, bemühe ich hier einen Vergleich des brasilianischen Sportministers Aldo Rebelo: Eine WM ist wie eine Hochzeit. Nicht jeder hat das Glück, ein solches Fest schmeissen zu dürfen. Wenn er also an der Reihe ist, lädt er unglaublich viele Leute ein und gibt viel Geld dafür aus. Denn an der Party werden wichtige Kontakte ge-knüpft.

Deswegen muss ich an meiner Hochzeit doch nicht gleich ein Jahresge-halt verprassen.

Im Konzert der Grossen ist Brasi-lien ein Schwergewicht, das Land fühlte sich aber zu wenig wahrgenommen. Nun schaut jeder hierhin.

Nochmals: Man hätte es billiger haben können.

Klar, hätte man. Aber warum war die Hochzeit von William und Kate so be-eindruckend? Weil geprotzt wurde. Der Sport hat für die Imagearbeit von Ländern eine wichtige Aufgabe übernommen. Wer meint, es wäre besser für ein Land, ein sol-ches Turnier nicht zu übernehmen, liegt falsch. Ausserdem haben in der Vergan-genheit immer diejenigen Bewerber den Zuschlag für die WM erhalten, die den höchsten Kostenvoranschlag gemacht hat-ten. Damit merkt die Fifa, dass dort am meisten Geld fliessen wird.

Wer sich umhört, der merkt: In Brasilien ist das öffentliche Bild des Weltverbandes ziemlich beschädigt.

Nachdem sie den Zuschlag erhalten hatten, dachten die Brasilianer, sie dürften nun eine WM nach ihren Vorstellungen or-ganisieren. Sie haben bald gemerkt: Nicht wir machen die WM, die Fifa macht sie. Sie hat nun das Bild eines Imperialisten, eines kapitalistischen Eindringlings, der nicht einmal Steuern bezahlt.

Wie würde die WM ausschauen, wenn Brasilien sie organisiert hätte?

Natürlich ist ein grosser Teil der Fanwünsche Fantasie. Stehplätze zum Bei-spiel hätten auch brasilianische Organisa-toren nicht zugelassen. Was aber wirklich kritisch gesehen wird, ist die grossräu-mige Abgrenzung der Stadien. Einerseits können ambulante Händler ihre Produkte nicht mehr verkaufen. Weiter hatten aber sogar Anwohner Probleme, in ihre Woh-nungen zu gelangen oder Freunde nach Hause einzuladen. Die Fifa hätte da mehr Fingerspitzengefühl zeigen können.

Konrad stähelin, 24,ist freier Journalist aus Zürich.

/Interview mit dem Brasilienkenner Martin Curi

vor der WM, ob die Stadien rechtzeitig fer-tig werden? Natürlich! Da sind internatio-nale Grossunternehmen am Werk.

Als Planer und Architekten viel-leicht. Die Generalunternehmer sind Brasilianer, und auf deren Baustellen sind bei Unfällen schon sieben Arbeiter gestorben.

wird laut Als ob es keine Bauunfälle in Deutschland gäbe! In der gleichen Woche, wie in São Paulo der Kran aufs Stadiondach gefallen ist und zwei Arbeiter umgekom-men sind, ist in Hessen ein Kran in einen Supermarkt gestürzt. Eine Frau ist gestor-ben. Nur hat über das erste Ereignis am nächsten Tag die ganze Welt diskutiert, nach dem anderen hat kein Hahn gekräht. Wir selektionieren die Nachrichten nach Stereotypen – der Deutsche sei so super organisiert, der Brasilianer nun mal nicht.

Auf den Stadionbaustellen für die WM 2006 in Deutschland ist kein Arbei-ter gestorben. Ist das Zufall?

zögert Ich glaube, ja. Aber ich bin kein Ingenieur, ich kenne die Sicherheits-lage auf den Baustellen nicht genau. Die internationalen Journalisten, die die Bra-silianer regelmässig zur Schnecke machen, aber auch nicht.

Die Welt hatte 2006 von Deutsch-land eine perfekt organisierte WM er-wartet und erhalten. Sie hat das Land aber auch von einer ganz anderen Seite kennengelernt, es vielleicht erstmals als freundlich wahrgenommen. Kann die WM ein Land verändern oder bloss des-sen Image?

Eine WM allein kann niemals ein Land verändern. Aber sie kann Prozesse anstossen, wie wir in Brasilien beobach-ten können. Und sie kann wie im Falle Deutschlands das Image eines Landes in der Welt beeinflussen.

Bisher hatte der Rest der Welt von Brasilien vor allem Bilder von Strand und Lebensfreude im Kopf.

Klar, wer mag das schon nicht? Ein Ziel der Regierung war auch, mit diesem Image Touristen anzulocken. Die Demons-trationen haben dem etwas hinzugefügt. Jetzt denken viele: Toll, eine letzte WM in einem demokratischen Land, bevor sie in Russland und Katar stattfindet.

Werden die Leute während der WM wieder auf die Strasse gehen?

Es wird bestimmt Demonstrationen geben. Die Frage ist die nach dem Ausmass: Die Luft ist nach dem ersten Mal ein wenig raus. Ausserdem haben zwar die grössten Demonstrationen während des Confede-rations-Cup zeitgleich mit den Partien der Selecão stattgefunden; während einer WM ist das aber undenkbar, dafür ist das Spiel zu wichtig. Und letztlich wird sich die Po-lizei geschickter verhalten als im letzten Sommer.

Martin curi

Der 38-jährige Deutsche ist Anthropologe und Autor und lebt seit 2002 in Rio de Janeiro. Er forscht am brasili-anischen Nationalmuseum zum Einfluss der Fussball-Welt-meisterschaft 2014 auf die Gesellschaft. Er ist mit einer Brasilianerin verheiratet.

Nach der Biographie « Friedenreich – Das verges-sene Genie » 2009; (Verlag die

Werkstatt, 128 s.) publizierte Curi 2013 « Brasilien - Land des Fussballs » (Verlag die Werkstatt,

352 s.)

gib din däzuegib din däzue

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Die WM und die schweizer

WM– SPEZIALAUSGABE/die WM und die Schweizer /die WM und die Schweizer

TEXT Marius WengerILLUSTrATIon Simone Hörler

G emäss Wikipedia gilt die Fussball-WM als zweitwichtigstes Spor-tereignis der Welt, di-

rekt nach den Olympischen Spielen. Dass das Quatsch ist, weiss hierzulande jedes Kind. Die Fussball-Weltmeisterschaft ist erstens definitiv das allerwichtigste Spor-tereignis der Welt und zweitens definitiv mehr als nur ein sportliches Grossereignis ist. An der Fussball-WM kommt hierzulan-de keiner vorbei, während einem Monat ist sie omnipräsent und beeinflusst das tägliche Leben von uns allen, ob wir nun wollen oder nicht. Selbst die paar Weni-gen, die versuchen der WM zu entwischen, müssen sich dazu dermassen anstrengen, dass auch sie nicht mehr behaupten kön-nen, ihr Leben laufe von der WM unbe-einflusst weiter. Was geschieht also mit Schweizerinnen und Schweizern, wenn sie so plötzlich und unvorbereitet mit dem Phänomen WM konfrontiert werden? Die Reaktionen verlaufen unterschiedlich. Der Versuch einer Typisierung.

Der FussballliebhaberFür den Fussballliebhaber ist die

WM-Zeit wie Geburtstag und Weihnach-ten zusammen. Die Vorfreude auf die WM beginnt jeweils vier Jahre zuvor, unmittel-bar nach dem das Finalspiel des vorher-gehenden Turniers abgepfiffen wurde. 64 Fussballspiele innerhalb von 31 Tagen sind für ihn das höchste der Gefühle. Auf die WM hat er sich dementsprechend auch intensivst vorbereitet. Egal, ob es um die Siegeschancen beim Spiel Elfenbeinküste gegen Japan geht, wer auf Platz 17 der ewi-gen Torschützenliste steht, wie der zweite Halbfinal der WM 1978 ausgegangen ist – der Fussballiebhaber weiss alles. Das Wun-der von Bern scheint ihm genauso prä-sent wie das Stadtderby von vergangenem Sonntag. Er ist der Experte wenn es um Fussball geht, deshalb duldet er auch kei-nerlei Widerrede. Und wehe du versuchst ihm trotzdem klarzumachen, dass da kein Abseits war, wo er eins gesehen hat! Alles in allem ist der Fussballliebhaber aber ein friedlicher Mitmensch während der WM. (Klar, er befindet sich ja auch in einem vierwöchigen glücklichen Flash-Zustand.) Schöne Spiele und verdiente Sieger sind ihm wichtiger als der Sieg seiner Lieb-lingsmannschaft, und er freut sich durch-aus, wenn weniger fussballaffine Freunde plötzlich Interesse für sein Ein und Alles zeigen.

Der gelangweilte UltraFür den FCZ-/FCB-/GC-/etc.-Ultra ist

Fussball ebenso wie für den Fussballlieb-haber Lebensinhalt. Und doch verstehen sich die beiden ganz und gar nicht. Der

Ultra – übrigens nicht mit dem Hooligan gleichzusetzen – lebt für seinen Klub, und insbesondere seine Fangruppierung. Er verpasst kein Auswärtsspiel seines Ver-eins, die andern Ultras sind seine Familie. Während der WM wird’s ihm dann aber plötzlich zu bunt. Wenn Krethi und Plethi plötzlich fussballbegeistert ist, wenn Bas-ler und Zürcher sich nach Xherdans Füh-rungstreffer in den Armen liegen, dann packt den Ultra schon mal die Angst, dass es zu Ende geht mit der Fankultur, für die er lebt. In dieser Kultur nämlich macht Fussball nur dann Spass wenn der eigene Verein auf dem Platz und die Mit-Ultras neben einem in der Kurve stehen. Fussball des Klubs wegen, nicht Fussball des Fuss-balls wegen. Ihm ist ebenso unerklärlich, dass die WM« wichtigstes Fussballereignis » genannt werden kann, wo doch sein Ver-ein gar nicht dabei ist, und dass jemand Fussball nur der schönen Spiele wegen verfolgt. Noch schlimmer ist für den Ultra nur noch die Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung, die während der WM an jeder Strassenecke mit Fernseher herrscht.

Der Fussball-PatriotDen Fussball-Patrioten gibt’s in zwei

verschiedenen Unterarten. Der Typische Patriot reist an alle Spiele der Schweizer Nati. Und alle Spiele heisst, dass ihm nicht nur Joggeli und Wankdorf bestens be-kannt sind, sondern auch die Nationalsta-dien in Luxemburg, Reykjavik und Baku. Die Reisen an die Auswärtsspiele gehören zu seinen persönlichen Highlights. Manch-mal plagt ihn zuerst ein mulmiges Gefühl, wenn er sieht in welche Stadt es bei der nächsten Reise geht, da es dort ja schon nicht unbedingt so sauber ist und die Ein-heimischen mit gegnerischen Fans weiss Gott was machen. Wenn das extra gechar-terte Flugzeug dann abhebt freut er sich doch jedes Mal wie ein kleines Kind, denn er weiss, ein Flugzeug gefüllt mit seiner Spezies, da ist er sicher, und da wird die Reise bestimmt sauglatt. Praktisch, dass sich die Fussball-Patrioten leicht an ihrer Kleidung erkennen können: Rotes T-Shirt mit weissem Kreuz, rotes Sennenkäppi mit weissem Kreuz, beliebtes Accessoire sind Kuhglocken jeder Grösse. Eine WM ohne Schweiz ist für den Fussball-Patrioten wie Brot ohne Chäs.

Dann ist da noch der Atypische Fussball-Patriot. Er hält sich über lan-ge Zeit bedeckt und ist vor und nach der WM schwierig zu erkennen. Er denkt und lebt global, über Patriotismus und den Typischen Fussball-Patrioten macht er sich selbst oft lustig. Wenn dann aller-dings die WM beginnt, kann er Helvetias Pfeilen nicht mehr entgehen. Er schafft es nicht länger, sein rotes T-Shirt mit weis-

sem Kreuz unter dem Hemd oder dem sze-nigen Pulli zu verbergen. Während er im alltäglichen Leben noch mit dem Fussball-liebhaber Champions-League guckt, zeigt er während der WM dann plötzlich sein tiefstes Inneres und solidarisiert sich mit dem ihm verwandten typischen Patrioten.

Der Plötzlich-FussballfanDer Plötzlich-Fussballfan ist wäh-

rend der WM sehr verbreitet und in di-versen Ausprägungen anzutreffen. In sei-nem Alltag interessiert er sich kaum für Fussball, doch kaum beginnt die WM, ist er begeisterter Fussballanhänger. In man-chen Fällen wird er tatsächlich von dem in der WM-Zeit besonders potenten Fussball-Virus infiziert und begeistert sich plötzlich für das Spiel. Die Chancen, dass er sich von einem Tag auf den andern mit dem Fuss-ballliebhaber besser versteht, sind hoch. Sofern der Neuinfizierte sich nicht als Ex-perte ausgibt. Tut er dies, ist er beim Fuss-ballliebhaber schnell untendurch. Eben-falls wenig Respekt vom Fussballliebhaber erntet der Plötzlich-Fussballfan der zwei-ten Ausprägung: Um bei seinen fussballaf-finen Freunden während der WM respek-tiert zu werden, tut er so, als würde er sich für den Fussball brennend interessieren. Er ist jeden Abend dort, wo Fussball läuft, in Tat und Wahrheit aber nicht wegen des Spiels, sondern wegen seinen Freunden, und – ganz wichtig – dem Bier. 32 Sommer-abende am Stück mit seinen Freunden und 99% der ganzen Stadt auf der Gass, Bier und Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung an jeder Strassenecke, das ist für ihn das höchste der Gefühle. Wenn er ein Tor oder den Ausgang des Spiels verpasst, ist das für ihn halb so schlimm. Solang das Bier nicht ausgeht und er mit allerlei sympathi-schen Freunden und Fremden darüber re-den kann, wie lässig doch die WM und der Fussball ist, dann geht’s ihm blendend. Dass das Aufeinandertreffen des Plötzlich-Fussballfans mit vielen oben beschrie-benen Typen erhebliches Konfliktpoten-zial enthält, muss nicht näher erläutert werden. Und die Ursache dafür ist nicht seine überdurchschnittlich grosse Liebe zum Gerstensaft. Seine Chancen auf eine friedliche und freudige WM sind dennoch gut. Das hängt damit zusammen, dass die Wahrscheinlichkeit auf einen Artgenossen zu stossen für ihn ausserordentlich hoch ist. Und Artgenossen verstehen sich in der Regel recht gut. Das kann dann unter Um-ständen mit der geteilten Liebe zum Ger-stensaft zusammenhängen.

Der IgnorantJa, auch den gibt’s. Ihn zu finden ge-

staltet sich aber eher schwierig, da er sich oft (gezwungenermassen) in seine Höhle

zurückzieht. Für ihn ist die WM-Zeit hart, sehr hart. An allen Orten der Stadt regiert plötzlich König Fussball. Er kann kaum aus der Wohnung ohne der WM über den Weg zu laufen. Seine Freunde sprechen mor-gens bis nachmittags über die Spiele des Vortages, bevor sie sich abends wieder alle gemeinsam vor irgendeiner öffentlichen Glotze treffen um den 22 Männchen beim Ball-Nachrennen zuzuschauen. Normaler-weise findet der Ignorant Fussball einfach langweilig, er kann nicht begreifen, wie ein so banaler Sport einen vernünftigen Menschen derart faszinieren kann. Da er dem ganzen Zirkus gut aus dem Weg ge-hen kann, stört er sich aber auch nicht weiter daran. Normalerweise hat er auch Freunde, die ebenso wenig für den Fussball übrig haben. Nicht so während der WM. Normalerweise haben fussballbegeisterte Freunde am nächsten Tag wieder Zeit für ihn. Nicht so während der WM. Während vier Wochen wird der Ignorant zum Fuss-ballhasser. Nicht in der Einsamkeit zu ver-elenden ist nicht einfach für ihn. Noch nicht einmal fernsehen kann er so allein, denn auf jedem Kanal läuft ja... Eben.

Dann ist da noch ein weiterer WM-Ignorant: Es ist der Überzeugte Moralist. Ob es ihn tatsächlich gibt ist allerdings un-klar, möglicherweise ist er auch eine Spe-zies, die jeweils just zum Anpfiff der WM ausstirbt. Er will der WM nicht aus Desin-teresse entwischen, nein, er will sie gezielt boykottieren. Fussball mag er eigentlich ganz gerne, er kickt ja auch selbst in der alternativen Liga, doch die WM kann er aus moralisch-ethischen Gründen nicht unterstützen. Seinen Freunden versucht er die Party zu vermiesen, indem er ihnen immer wieder erzählt wie viele Arbeiter beim Bau der Stadien umgekommen seien, was die Fifa doch für ein korrupter, geld-gieriger Verein sei und dass Coca Cola und Carlsberg, das sie – seine Freunde - wäh-rend vier Wochen nonstop in sich rein-kippen, elendes Kapitalistengesöff sei. Mit wenig Wirkung. Im Vorfeld der WM haben ihm viele seiner Freunde noch interessiert zugehört und seine Meinungen durchaus geteilt. Kaum wird das Eröffnungsspiel dann aber angepfiffen, stösst er auf taube Ohren. Der Bann von König WM ist stärker als der des Moralisten.

Für WM-Hasser und Boykotteure ist es also schwer, die WM-Zeit erträglich zu gestalten. Die Möglichkeiten beschrän-ken sich in etwa auf a) vor der Zivilisation fliehen, b) ebenfalls Plötzlich-Fussballfan werden (kann mit Schwerpunktlegung auf Bier -aus der lokalen Kleinbrauerei natür-lich- durchaus erträglich sein) oder c) sich mit dem Ultra solidarisieren.

Marius Wenger, ist Redaktions-/Verlagsmitarbeiter bei dieperspektive, und Bachelor der Politikwissenschaft.

Der Fussballliebhaber Der Plötzlich–Fussballfan

Der IgnorantDer gelangweilte Ultra

Der Fussball–Patriot

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DAS SUPERSTARPHÄNOMEN

IM FUSSBALL

VoN KÄMPFErN, saubErMÄNNErN uND schÖNliNGEN

TEXT Andrea SchweizerILLUSTRATION Isabella Furler

WM– SPEZIALAUSGABE/Superstarphänomen im Fussball /Superstarphänomen im Fussball

« Persönlich hoffe ich also, dass

Portugal Weltmeister wird, damit wir

Ronaldo nochmals weinen sehen »

Das Qualifikationsspiel für die diesjährige Fussballweltmeister-schaft am 20. November 2013 Schweden gegen Portugal. Da-mals ging es darum, welches der beiden Länder sich für die Endrunde in Brasilien qualifi-

zieren würde. Doch eigentlich drehte es sich für jeden Zuschauer nur darum, wel-chem der beiden Superstars man an der WM zujubeln konnte: Cristiano Ronaldo oder Zlatan Ibrahimovic. Doch warum in-teressieren wir uns so sehr für die Einzel-akteure? Wären die Mannschaften ohne sie nicht genau so interessant? Katja Rost, Professorin für Soziologie an der Universi-tät Zürich, liefert dafür einen Erklärungs-ansatz. Bei Fussballern ist es ähnlich wie bei Schauspielern und Musikern. Wir ver-ehren sie, da sie sozusagen unsere moder-nen Helden sind, welche ihren extrem ho-hen Status in Folge ihres hohen Talentes, guten Aussehens oder ihres Reichtums in unserer Gesellschaft erworben haben. Fan einer bestimmten Person zu sein stellt auch ein bestimmtes Selbstimage her, ist also Teil unserer Persönlichkeit. Im Unter-schied zu Schauspielern und Musikern ist der Sportstar stärker an beobachtbare und messbare Leistungen und somit an Talent gekoppelt, weshalb dem Sportler seine Er-folge oft mehr gegönnt werden.

Seit einigen Jahren haben wir ein paar neue Charakterköpfe, um welche sich der ganze Fussballzirkus dreht. Nach dem koksenden Maradona, dem fettleibigen Ronaldo (der Brasilianer) und dem metro-sexuellen Beckham werden unsere Sympa-thien nun vom eingebildeten Schönling Cristiano Ronaldo (der Portugiese), dem egozentrischen Kämpfer Zlatan Ibrahimo-vic, dem Saubermann Lionel Messi und dem stillen Bulldozer Wayne Rooney be-ansprucht. Zugegeben, ich verstehe nicht viel von Fussball, von technischem Kön-nen schon gar nicht. Doch sogar mir fällt auf, dass Rooney trotz seiner rustikalen Spielart ein technischer Könner ist. Er ist sympathisch, weil er nicht sein Maul vor und nach den Spielen weit aufreisst und sich lieber auf seine offensichtlich harte Arbeit auf dem Spielfeld konzentriert. Ne-ben dem Fussball machen auch optische Makel nicht vor dem Superstar Rooney halt, weshalb er sich vor ein paar Jahren einer Kopfhaartransplantation unterzie-hen musste. Mit seiner natürlichen und

bodenständigen Art ist zu erwarten, dass er einen grossen Fanklub hat. Das pure Gegenteil vom bescheidenen Rooney ist Zlatan Ibrahimovic. Würde man denken. Der König der Fallrückzieher scheint doch sehr arrogant und selbstüberzeugt rüber-zukommen. In seinem Interview mit BBC vom letzten September spricht er zwar schon vor allem von seinen persönlichen Plänen und Wünschen ( von seinen Mann-schaften wird kaum gesprochen ), betont aber auch, dass er sich durchaus bewusst ist, dass die meisten Leute ihn als sehr ar-rogant einschätzen. Dies macht ihn doch gerade wieder sehr sympathisch! Doch Zlatan scheint sich durchaus bewusst zu sein, wie er den Hype um seine Person beibehalten kann. Nach dem oben genannten Spiel ver-kündete er selbstsicher: « A World Cup without me is not worth wat-ching ». Wahrschein-lich übertreibt er damit ein wenig, auch wenn die Anzahl der Fa l l rückzieher w a h r s c h e i n l i c h drastisch tiefer sein wird. Für ande-re Magie wird wohl der argentinische Zau-berzwerg Lionel Messi sorgen. Dem Jungen von nebenan ist es von allen Fuss-ballstars am unangenehmsten, so sehr im Rampenlicht zu stehen. Genau wie es seine braunen Augen versprechen, ist er eine treue Seele. Seit 13 spielt er für den FC Barcelona, wo er zum Meister des Tiki-Taka-Fussballs wurde. Was mich jedoch wundert, warum der mehrfache Weltfuss-baller des Jahres genau dieses Können mit der Argentinischen Nationalmannschaft nicht umsetzen kann. So sind sie zwar an jeder Endrunde dabei, kommen aber sel-ten über die Gruppenspiele hinaus. Natür-lich kann Gewinnen und Verlieren nicht nur von einem Spieler abhängig gemacht werden und trotzdem verliert der kleine Fussballer mit einer gigantischen Ablöse-summe ( 250 Millionen Euro ) ziemlich an Magie, wenn er diese nur im Umfeld des milliardenschweren FC Barcelona entfal-ten kann. Jemand, der sich selber selbst-bewusst als ein besserer Fussballer als

Messi bezeichnet, ist Cristiano Ronaldo. Ich kann mich noch gut erinnern, als mit 14 alle Girlies auf ihn standen und Poster von ihm tauschten. Mir ging das nie so, für mich war er immer ein aufgeblasener Schönling, der sich selbst für viel zu wich-tig hält. Als er älter wurde ( und ich auch ), begann mir immer mehr aufzufallen, was für ein Kämpfer er ist. Klar, wenn ein Fuss-baller in der Halbzeitpause seine Frisur ändert, festigt das schon eher seinen Ruf als Primadonna. Aber wenn er trotzdem in jedem Spiel eine Top-Leistung erbringt und eine Passion für seinen Beruf an den Tag legt, wie ich es noch bei keinem gese-hen habe, verdient sogar Ronaldo meinen Respekt. Sogar meine Sympathie gewon-

nen hat er, als er im Januar dieses Jahres zum Weltfuss-

baller des Jahres gewählt wurde. Als er da mit

seinem kleinen Sohn ( wer ist eigentlich die

Mutter??? ) auf der Bühne stand und

weinte während seiner Dankesre-

de, bekam sogar ich feuchte Augen.

Persönlich hoffe ich also, dass Portu-

gal Weltmeister wird, damit wir Ronaldo noch-

mals weinen sehen.

andrea schweizer, 23, studiert Geschichte und Publizistik, setzt auf Italien als Weltmeister. Schaut Fussball imfall nicht nur wegen den schönen Männern.

Andrea Schweizer

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Vielleicht in amerika, aber hier nicht

« Fremdenhass ist nur deshalb so verbreitet,

weil es die einfachste Form von Hass darstellt »

Dorothee Jenny

TEXT Pascal Woodtli ILLUSTrATIon Jordan Marzuki

WM– SPEZIALAUSGABE/Über nazis und Hooligans im Fussball /Über nazis und Hooligans im Fussball

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A ls Remo am Abend nach Hause kam, sas-sen seine Frau und seine zwei Töchter bereits am Esstisch und warteten auf ihn. Er war zu spät. Während er sich entschul-digte, beziehungsweise über seinen Chef beklagte, strich er den Kleinen über ihre

gelockten Köpfe. Die gute Stimmung liess er sich nicht nehmen. Er freute sich schon seit Tagen auf diesen Mittwoch. Heute war das Spiel gegen Frankreich und er ging mit einigen Kollegen ins Pub, wo man eine Leinwand installiert hatte und alle Spiele live über-trug. Nach dem Essen verschwand Remo im Schlafzimmer. Sein hell-blaues Hemd zog er aus und warf es in die Ecke. Er betrachtete sei-nen nackten Oberkörper im Wandspiegel.

Als Remos Mutter hierher zog, war er gerade mal sieben. Sei-nen Vater hat er bis heute nie gesehen. Remo erinnerte sich noch immer sehr gut an diese einsame Zeit, wie er sich als Stadtkind hier auf dem Land ausgeschlossen fühlte. Remo war ein schlechter Schü-ler und ein Aussenseiter. Schliesslich, ein paar Jahre später, fand er Freunde. Sehr spezielle Freunde. Sie hatten strikte Regeln und Parolen, aber man half sich gegenseitig und verbrachte viel Zeit mitei-nander. Remo war endlich zufrieden und liess sich formen. Erst als er dann Schwierigkeiten hatte, eine Lehrstelle zu finden, realisierte er, dass seine Freunde einen Einfluss auf ihn hatten, der von anderen Menschen nicht goutiert , ja sogar gefürchtet wurde.

Remo rieb sich seine Brust. Die kreisrunde Narbe sah man kaum noch. So lange war es nun schon her, dass er sich das Tat-too hatte weglasern lassen. Er war immer noch sehr kräftig und gut in Form für sein Alter. Feierlich nahm er das rote Trikot mit der weissen Neun vom Kleiderbügel. An der Strasse, wo Remo mit seiner Familie wohnte, liessen viele Leute die Nationalflagge vom Balkon hängen. Darüber freute sich Remo richtiggehend, denn er war stolz auf sein Land. Es war das beste Land, das er kannte und er fühlte sich hier geborgen. Wenn es nach ihm ginge, würde er seine Flagge permanent präsentieren. Aber irgendwann in seinem Leben hatte er akzeptieren müssen, dass es nicht salonfähig war, wenn man Na-tionalstolz zu offen zeigte. Vielleicht in Amerika, aber hier nicht. Dabei konnte er ihn bei so vielen Leuten wahrnehmen.

Als er sich vollständig umgezogen hatte, nahm er noch den Schal von der Wand und band ihn sich um. Er hörte es klingeln. Eu-phorie. Das musste Sven sein, der ihn abholen kam. Er lächelte sei-nem verkleideten Spiegelbild noch einmal zu, dann wurde er ernst und salutierte. Den Scheiss-Franzosen werden wir’s zeigen.

Pascal Woodtli ist Wirtschaftschemiestudent aus Winterthur, 25 Jahre alt und interessiert sich überhaupt nicht für Fussball.

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bezeichnen, verliert er keine Minute die Nonchalance. Dabei hatte Jen-nings gar nie vor sich mit dem Aufdecken der Fifa Machenschaften zu beschäftigen, sondern das Thema wurde von einem Sportjournalisten der « Daily Mail » an ihn he-rangetragen.

Mit Blatters Einstieg wurde es undurchsichtig

Damals soll er darauf gesagt ha-ben: « Nein, vergiss es. Fussball ist riesig. Es würde Jahre dauern herauszufinden, was innerhalb der Fifa läuft. » Heute ist er eine Persona non grata und nicht zu-gelassen an Pressekonferenzen der Fifa. Der einzige Journalist weltweit. Eine offi-zielle Erklärung, weswegen er diesen Kon-ferenzen nicht beiwohnen darf, ist ihm die Fifa bis heute schuldig geblieben. Das Buch « Foul! » ist keine leichte Lektüre, was wenig erstaunt bei der akribischen Aufar-beitung intransparenter Vorgänge in einer globalen Organisation. Die Verstrickungen und Verwirrungen bei der Fifa sind derart komplex, dass mehr als einmal beim Lesen des Buches der Anhang mit Auflistung al-ler wichtigeren Personen und ihrer Positi-onen hilft. Das Buch ist aber trotz allem spannend. Der Einstieg Blatters in die Fifa 1975 wird bereits als sehr undurchsich-tig beschrieben und genau auf die Zeit datiert, in der die Organisation in die In-transparenz abdriftete.

Immer näher zur MachtBlatter kam über die Sportmarke

Adidas, wo er als rechte Hand des Konzern-leiters arbeitete, zur Fifa. Seine erste Stelle bei der Fifa, als Manager der von Coca-Cola gesponsorten Entwicklungsprogramme, steht stellvertretend für die damals neu-artige Kommerzialisierung des Fussballs. Wem es heute als normal erscheint, dass für Milliarden Sponsoring Verträge mit Coca Cola und Mc Donalds abgeschlossen werden, wird spätestens bei der Lektüre klar, dass dies wenig mit den von der Fifa angepriesenen Grundsätzen zu tun hat. Blatter ist laut Jennings damals zur Fifa geholt worden, weil er als einer der Ih-

des Fehlens jeglicher Grundlage fallenge-lassen worden. Der Staatsanwalt Hubmann habe beim Treffen sogar ein Wörterbuch hervorgenommen, um ja zu verhindern, dass es zu einem falschen Wort kommt. Und dementiert nichtsdestotrotz die Aus-sage der Fifa gegenüber Jennings. Es war die fehlende Beweislage laut Aussagen des Staatsanwaltes welche eine Untersu-chung der Vorwürfe unmöglich machte. Es gilt die Unschuldsvermutung. Die Fifa spricht in Zusammenhang mit Jennings Vorwürfen immer von « Fiktion », « un-wahr », « nicht gerechtfertigt » und « unan-gebracht ».

Keine Gründe, die für Blatter sprechen

2003 kündigte die Fifa an gegen Jennings gerichtlich vorzugehen, hat aber eine Klage nicht durchgezogen und es blieb beim Versuch sein Buch in der Schweiz verbieten zu lassen. Immer wie-der taucht der « Sonnenberg » im Buch auf als Ort der düsteren Machenschaften und Schmiergeldzahlungen. Eigentlich Eigen-tum der Stadt Zürich wird dieser seit 1996 als « erweiterter Geschäftssitz » von der Fifa genutzt. Für 1‘500 Franken pro Jahr kön-nen Privatpersonen eine Mitgliedschaft erwerben im « Sonnenberg Fifa Club » unter dem Patronat Blatters. Laut deren Website kann vor Ort « diskutiert, gelacht und Brücken gebaut werden ». Je weiter Jennings die Fäden der Korruption spinnt, von Vergabe der Weltmeisterschaften zur nächsten Wiederwahlkampagne von Blat-ter, wird es immer unvorstellbarer, wes-wegen Schweizer Behörden nicht schon längst wirkliche Schritte unternommen haben. Regt man sich hierzulande über die « Schlechtmacherei » des Landes im Aus-land auf, wäre es wohl zielführender sich zu fragen, ob es nicht fehlender Wille ist den Sonnenberg auszuleuchten.

Nach der Fussballweltmeisterschaft in Brasilien wartet nächstes Jahr die Wahl des Fifa Präsidenten. Blatter hat sich im Mai für eine erneute Kandidatur entschie-den. Passend dazu nennt « Zeit Online » alle Gründe, weswegen dies gut für den Fussball und die Welt ist. Unausgespro-chen gibt es von Seiten der Sportjourna-listen keine Gründe für Blatters erneute Kandidatur. Jennings 375 Seiten starkes Buch lassen daran auch keinen Zweifel.

Denn sie wissen was sie tun.

Fifa und Korruption scheinen untrennbar

verbunden. Gerade vor dem Fussballhöhepunkt

in brasilien drängt sich die Frage wieder auf,

wie man eigentlich mit gutem Gewissen

zuschauen soll. argumente gegen die Fifa gäbe

es mehr als genug. und ausserdem ein

ausserordentliches buch.

WM– SPEZIALAUSGABE/denn Sie wissen was sie tun /denn Sie wissen was sie tun

TEXT Luzia Tschirky « Ihr Standort ist die Schweiz.Dort, wo Whistle-Blowing ein Ver-

brechen ist. Ihre Dokumente sind für immer geheim. Niemand wird jemals die Beweise finden. »

Mit diesem Gedicht beginnt das Buch « Foul. Hinter der Fassade der Fifa: Bestechungen, Wahlbetrug, Ticket-Skan-dale. » Darin beschreibt der schottische Investigativjournalist Andrew Jennings, wie die Fifa in den 70-er Jahre durch ille-gale Machenschaften übernommen wur-de und seither immer tiefer in den Stru-del von Korruption hinuntersinkt. Sepp Blatter ist seit der Übernahme der Prä-sidentschaft 1998 so etwas, wie der Kapi-tän eines Schiffes, dass in Schieflage über Sümpfe driftet. Geht es nach ihm, so hätte ich dieses Buch nie lesen sollen, denn der Fifa-Präsident versuchte es per Gerichtsbe-schluss in der Schweiz zu verbieten.

Journalist als «Abfall » bezeichnetSieben Jahre hat Jennings für das

Buch recherchiert. Sieben Jahren, dafür braucht es mehr als Durchhaltewillen. Blat-ter selbst hält nicht viel von diesen « selbst-ernannten Investigativjournalisten », wie er sich im Interview mit Roger Schawinski abschätzig über jene äussert. Andrew Jen-nings ist der Star unter jenen Journalisten, die der Fifa zu Leibe rücken. Mit britischer Höflichkeit befragt er Fifa Exekutivkom-miteemitglieder und selbst wenn diese vor laufender Kamera ihn als Zitat « Abfall »

rigen bezeichnet wurde. Der Raum

für Spekulati-onen, was ge-nau damit ge-

meint sein sollte, bleibt gross. Im

Buch « Foul! » zeich-net Jennings den Weg

Blatters nach, immer höher, immer näher an

die Macht, die er selbst nach eigenen Aussagen

schätzt.

Wo bleibt die Transparenz?Blatter zitiert in Interviews auf Fra-

gen zu seiner Macht gerne Machiavelli: « Es ist nicht der Titel, sondern die Macht dahinter. » Im Falle Blatters dürfte das ak-tuelle Amt mit seinem Einfluss gleichbe-deutend stehen. Jegliche Vorwürfe die im Buch gegen Blatter erhoben werden, de-mentiert dieser mit der Nennung angeb-licher Verschwörungen innerhalb der Fifa gegen seine Person. Dieses Narrativ des zum Opfer gewordenen Präsidenten legt Blatter über die Jahre hinweg nicht ab. Mit seiner Recherchen versucht Jennings he-rauszufinden, wie hoch der Salär Blatters ist. Doch mehr als die Gesamtsummer al-ler im Jahr 2005 ausbezahlten Löhne von 51 Millionen Schweizer Franken, ist nicht zu erfahren. Und auch heute schweigt sich Blatter gegenüber der Öffentlichkeit bezüglich seines Entgeltes aus. Es fällt schwer die Transparenzbemühungen und « Ethikkommission » für voll zu nehmen, wenn diese grundlegende Sache nicht ein für alle mal geklärt wird. Blatter und die Fifa berufen sich dabei auf die Tradition der Schweizer Verschwiegenheit über Löh-ne.

Es gilt die Unschuldsvermutung Die Schweiz kommt in Jennings

Buch « Foul! » nicht gut weg. Er beschreibt Zürich als Stadt des grossen Geldes, in der die Fifa ein gemütliches zu Hause gefun-den hat und deren Behörden mit Passivi-tät glänzen. So zum Beispiel das Treffen mit dem Leiter der « Besonderen Staats-anwaltschaften » des Kanton Zürichs. Dies nachdem Blatter und die Fifa nach der Einstellung eines gerichtlichen Verfahrens verbreiteten, die Vorwürfe seien aufgrund

« Jennings beschreibt

Zürich als Stadt des grossen Geldes,

in der die Fifa ein gemütliches zu Hause

gefunden hat und deren Behörden mit

Passivität glänzen »

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Luzia Tschirky

16.– pro Stück �ESSNERALLEEZÜRICH

Theater / Tanz / Performance

Gib din Sänf däzue!Du füllst diese Zeitschrift! Bei dieperspektive hast du es in der Hand, was es zu Lesen gibt, welche Themen aufgegriffen und welche Bilder abgedruckt werden. dieperspektive ist eine lesergenerierte Zeitung. Das bedeutet, wenn dich ein Phänomen besonders beschäftigt, du über etwas Spezielles Bescheid weisst, oder einfach gerne Kurz–geschichten schreibst: Schicks uns an [email protected] - egal, wie verrückt es auch sein mag!

Wie kann ich für dieperspektive schreiben/illustrieren?Sende deinen Beitrag bis zum Redaktionsschluss an [email protected] oder lade ihn über die Webseite hoch. Als Dankeschön für eingesendete Beiträge bekommst du ein Halbjahres–abonnement. Wird der Beitrag veröffentlichtbekommst du ein Jahresabonnement.Nächster Redaktionsschluss: Donnerstag, 3. Juli 23:55 Uhr

Zu welchen Themen kann ich schreiben?Pro Ausgabe gibt es ein Schwerpunktthema. Dein Beitrag hat erfahrungsgemäss die grössten Chancen, wenn er dieses Thema in irgendeiner Form behandelt. Es werden Jedoch auch Beiträge über andere Themenabgedruckt. Ausgewählt werden die Beiträge übrigens an der öffentlichen Redaktionssitzung. Dazu bist du herzlich eingeladen. Thema der nächsten Ausgabe:Dein Leben ist eine App – und du schaust in dein Smartphone.

Wo finde ich dieperspektive regelmässig?Am einfachsten findest du dieperspektive in deinem Briefkasten. Für 30 Franken bekommst du ein Jahresabonnement. Du findest dieperspektive auch in Kaffees, Bars, Hochschulen und Läden. Die vollständige Liste findest du auf dieperspektive.ch. Jahresabonnement: SMS mit « hopp » und vollständige Adresse an 079 372 36 02.

AnlässeAls Abonnent von dieperspektive kannst du kostenlos an allen unseren Anlässen teilnehmen. Wir machen politische Diskussionen, Lesungen, Ausstellungen und vieles mehr.

OnlineIm Wilde World Web findest du uns auf: dieperspektive.ch, Facebook, Twitter, Issue

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