XV Beschwörungen, Mythologeme und historiolae

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 XV Beschwörunge n, Mythologeme und historiolae In mesopotamischer Tradition stehen die in Rituale integrierten hethiti- schen, hattischen, luwischen und hurritischen historiolae; das sind die Ri- tualhandlungen begleitende Erzählungen, Dialoge oder kleine Legenden oftmals märchenhaften Charakters mit mythologischen Bezügen, die aus der sumerischen und altbabylonischen Literatur wohl bekannt sind. 1  Si e dienen als beglaubigte Präzedenzfälle in der Sphäre der Götter und wer- den in Analogie zu der präsenten Situation des Patie nten bzw . des Ritual- herrn gesetzt. Ebenso wie in der Vergangenheit, im Mythos oder in der Götterwelt, ein guter Ausgang herbeigeführt worden war, so soll nun auch in der Gegenwart die Heilung erfolgreich verlaufen, indem man mit der Rezitation die zuständigen Gottheiten auffordert, in dieser Weise re- petitiv zu handeln. Stets geht es dabei um die Heilung des Erkrankten, sei es durch eine Gottheit, sei es die Anreise und Ankunft hilfreicher Gott- heiten zum Ritualschauplatz, das Herbeischaffen der Ritualmaterien aus fernen Regionen oder das V ertreiben feindlicher Mächte. Am bekanntesten ist die in vielen Varianten überlieferte altbabyloni- sche Erzählung vom Mondgott, der von ihm geschwängerten Kuh und der schließlich glücklich verlaufenden Geburt. Die sicherlich ursprüng- lich selbständige Erzählung, die in hethitischer Sprache auch vom Son- nengott berichtet wird 2 , ist in babylonische Geburtshilferituale integriert und scheint auch fragmentarisch in einem hurritischen Ritual vorzulie- gen. Die historiola lebt in aramäischen und später in mandäischen apotropäi- schen Ritualen oder Zaubertexten fort. Manche Motive scheinen sogar in die europäischen Zaubermärchen Eingang gefunden zu haben. 3 1. Die R eise der Seele i n das T otenreich Obwohl, wie sich zeigen wird, Teile der Erzählung nahe zu unverständlich sind, ist der Text trotzdem interessant genug, um hier vorgestellt zu wer- den. Der Anfang der Tafel ist nicht erhalten: 1 M. J. Geller , 2001, 225– 237. C. Ambos, 2004, 51 mit Anm.360. S. L. Sanders, 200 1. Zu den hethitischen historiolae siehe MMMH, 86–91. 2 Siehe S. 202. 3 Siehe S.320–323.

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XV Beschwörungen, Mythologemeund historiolae

In mesopotamischer Tradition stehen die in Rituale integrierten hethiti-schen, hattischen, luwischen und hurritischen historiolae; das sind die Ri-tualhandlungen begleitende Erzählungen, Dialoge oder kleine Legendenoftmals märchenhaften Charakters mit mythologischen Bezügen, die ausder sumerischen und altbabylonischen Literatur wohl bekannt sind.1 Sie

dienen als beglaubigte Präzedenzfälle in der Sphäre der Götter und wer-den in Analogie zu der präsenten Situation des Patienten bzw. des Ritual-herrn gesetzt. Ebenso wie in der Vergangenheit, im Mythos oder in derGötterwelt, ein guter Ausgang herbeigeführt worden war, so soll nunauch in der Gegenwart die Heilung erfolgreich verlaufen, indem man mitder Rezitation die zuständigen Gottheiten auffordert, in dieser Weise re-petitiv zu handeln. Stets geht es dabei um die Heilung des Erkrankten, seies durch eine Gottheit, sei es die Anreise und Ankunft hilfreicher Gott-heiten zum Ritualschauplatz, das Herbeischaffen der Ritualmaterien aus

fernen Regionen oder das Vertreiben feindlicher Mächte.Am bekanntesten ist die in vielen Varianten überlieferte altbabyloni-sche Erzählung vom Mondgott, der von ihm geschwängerten Kuh undder schließlich glücklich verlaufenden Geburt. Die sicherlich ursprüng-lich selbständige Erzählung, die in hethitischer Sprache auch vom Son-nengott berichtet wird2, ist in babylonische Geburtshilferituale integriertund scheint auch fragmentarisch in einem hurritischen Ritual vorzulie-gen.

Die historiola lebt in aramäischen und später in mandäischen apotropäi-schen Ritualen oder Zaubertexten fort. Manche Motive scheinen sogar indie europäischen Zaubermärchen Eingang gefunden zu haben.3

1. Die Reise der Seele in das Totenreich

Obwohl, wie sich zeigen wird, Teile der Erzählung nahezu unverständlichsind, ist der Text trotzdem interessant genug, um hier vorgestellt zu wer-den. Der Anfang der Tafel ist nicht erhalten:

1 M.J. Geller, 2001, 225–237. C. Ambos, 2004, 51 mit Anm.360. S. L. Sanders, 2001. Zu denhethitischen historiolae siehe MMMH, 86–91.

2 Siehe S. 202.3 Siehe S.320–323.

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Eine unklare Zeile: „[ ] das Rind, ein Tier für dich; das Schaf, [ein Tierfür d]ich; im Himmel – ein Tier für di[ch]; [ein Tier für di]ch (ist) ullapakadanki [ ] die Menschenseele [ ]. Der [x]-Genius kam.“

Kommentar: Dieser Absatz könnte als Tieropfer oder als Tiersubstitute ver-standen werden. „Der [x]-Genius“ (Text: [ . . . ]x-s e-pa) kann nicht zu [DINGIR-

kam-r ]u-s e-pa ergänzt werden, da das abgebrochene Zeichen dem Rest der Zei-chen IT oder DA, nicht aber RU entspricht.

Bienen und Vögel sollen für die Menschenseele die iyatar-Materie(„Üppigkeit/Überfluß“) bringen: „Wohin im Gebirge soll die Biene sie(die Üppigkeit) bringen und an ihren Platz stellen? (Auch) wenn sie in derEbene ist, soll die Biene sie bringen und an ihren Platz stellen; was von ei-nem gepflügten Feld ist, sollen die Bienen bringen und an ihren Platz stel-len; die Bienen sollen eine Reise von drei (oder) vier Tagen machen (Text:

gehen) und meinen Überfluß bringen. Falls vom Meer aus, soll ihn dieMöwe (lahanza-Vogel) (bringen) und ihn an ihren Platz stellen; falls vomFluß aus, soll sie der huwalas-Vogel bringen und ihn an ihren Platz stel-len. (§-Strich) Und was vom Himmel ist, soll der Adler mit einem Stabe inder Klaue bringen.“

Kommentar: Vielleicht sind es diese von den drei Vögeln herbeigebrachten „ge-wünschten“ Materien, mit denen der Überfluß der Seele gemeint ist.

Die Zubereitung der iyatar-Materie durch Schlagen oder Stoßen:„Das Gewünschte (das ist wohl die herbeigeschaffte iyatar-Materie) soll

mit seinem Stab geschlagen sein. Der Ziegenbock soll es mit dem Huf schlagen. Der Schafbock (Text: Schaf) soll es mit den Hörnern hinein-schlagen. Das Mutterschaf soll es mit der Ramsnase schlagen. Die Mutter-göttin ist tränenreich; und mit den Tränen (soll) es geschlagen (sein). Undwas ihr teuer ist, ist auf den acht Körperteilen  geöffnet. Feuer soll[ges]chlagen sein. Die Seele ist üppig (und) [ ]. Für sie soll keine Orakel-anfrage gemacht werden.“ (§-Strich)

Kommentar: Hier könnte eine Ritualhandlung vorliegen, bei der die Materienvon einem Ziegenbock, einem Schafbock und einem Mutterschaf gestoßen oder

geschlagen werden.Ein Dialog über den Weg, den die Seele einschlagen wird: „,Die Seeleist groß; die Seele ist groß.‘ ,Wessen Seele ist groß?‘ ,Die Menschenseele istgroß.‘ ,Und welchen Weg nimmt sie?‘ ,Sie nimmt den Großen Weg; sienimmt den unsichtbaren Weg.‘“

Die Seele spricht im Moment des Todes, wo sie sich vom Körper ent-fernt: „Rein ist die Seele der Sonnengottheit, die Seele der Mutter! Warumverlaufe ich, ein Sterblicher, mich? Ich werde gehen zum [d ]a?sanatt-Ort;den Fluß werde ich sehen; [ich werde] in einen Teich fallen; ich werde in

die/den tenawa-Unterwelt(sfluß) gehen; [ ] Die Übel der/des tenawa-Unterwelt(sflusses) [ ] auf den Weiden [ ] zum Gott [ ...“Der Rest der Tafel ist weggebrochen; das folgende Fragment aber dürfte

nach einer nur kleinen Lacuna hier anzuschließen sein:

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1. Die Reise der Seele in das Totenreich 239

Die Erinnerungslosigkeit der Seele im Totenreich: „[und ihn hält]das Unheil der/des tenawa-Unterwelt(sflusses), so daß] er [seine Ver-wandtschaft] nicht erkennt. Der eine [erke]nnt den an[deren nicht].Schwestern der gleichen Mutter [erken]nen (einander) [nicht]. Brüderdesselben Vaters er[kennen] (einander) [nicht]. Die Mutter erkennt [ihreigenes] Kind [nicht]. [Das Kind] erkennt [seine eigene Mu]tter [nicht].[ ... er]kennt [nicht]. [ ... ] erkennt [nicht].“

Die erbärmliche Existenz im Totenreich: „Sie essen [nic]ht von ei-nem [schö]nen Tisch; [von] einem schönen Stuhl essen sie [nich]t; aus ei-nem schönen Becher trinken sie nicht; [gut]e Speisen essen sie nicht; guteGetränke trinken sie [nic]ht; sie es[sen] Schmutz (und) [trin]ken Brack-wasser.“

Kommentar und literarische Vergleiche: Die nur zum Teil erhaltene und ver-ständliche junghethitische Erzählung vom Weg der Seele des Verstorbenen in dasTotenreich ist keiner der bekannten Textgruppen zuzuordnen. Es liegt aber nahe,in ihr die historiola eines Totenrituals zu sehen. Luwismen sprechen gegen die An-nahme einer hurritischen Vorlage. Die Beschreibung der traurigen Existenz imTotenreich entspricht nicht den Vorstellungen des hethitischen Totenrituals, son-dern geht eher auf babylonische oder syrische Vorlagen zurück.

Für die Topographie der Unterwelt sind die Begriffe [d ]a?sanatt-Ort, Fluß,Teich, tenawa- und Weiden von Bedeutung.

Überraschend sind die Parallelen zu griechischen Totenvorstellungen. EinWegbereiter als Psychopompos, der die Seele in die Unterwelt geleitet, erinnertan den Gott Hermes. Auch in griechischer Vorstellung erlischt das Bewußtseinund das Gedächtnis der Totenseele, wenn sie das Wasser des Vergessens aus demFluß Lethe „Vergessenheit“ trinkt. Bereits in der homerischen Dichtung klingtdie Bewußtlosigkeit der gewöhnlichen Toten in der Nekyia, dem 11. Buch derOdyssee, in den Worten der Zauberin Kirke zu Odysseus an: „ZeusentsproßterLaertes-Sohn, reich an Erfindungen, Odysseus! Nicht länger sollt ihr wider eurenWillen jetzt hier in meinem Hause bleiben. Doch gilt es, einen anderen Weg zuvorzu vollenden und zu gelangen in die Häuser des Hades und der schrecklichenPersephoneia, um die Seele des Thebaners Teiresias zu befragen, des blinden Se-hers, dem die Sinne beständig geblieben sind. Ihm hat Persephoneia auch im TodeEinsicht gegeben, daß er allein bei Verstand ist, die anderen aber schwirren umherals Schatten“ [Od. 11,488–495]. Einen Ausweg aus der „Vergessenheit“ bieten dieorphischen Mysterien, deren Mysten vom Schicksal des Vergessens befreit sind.4

Text und ausgewählte Literatur: CTH 457.6. [KUB 43.60 und KBo 22.178 (+)KUB 48.109 Vs. II 2–11]. G. C. Moore, 1975, 191–200. H. A. Hoffner, Jr., 19982,33–34 und 1988*, 191–199. A. Ünal, 1994, 859–860. Th.P. J. van den Hout, 1994*,71.

4 Siehe E. Rohde, 18982, Band II, 210.

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2. Die historiola vom blutroten Mond 

Ähnlich wie ein babylonisches Ritual gegen eine schwierige Geburt mit

der historiola vom Mondgott und der Kuh eingeleitet wird, beginnt auchdas hethitisch-luwische Ritual der Frau Pittei, „wenn eine Frau ein Kindgebiert“, mit einer in die Vergangenheit projizierten, poetisch anmuten-den dramatischen Erzählung: Am schwarzen Nachthimmel stand derblutrote Mond, der von Wolkenfetzen umgeben war und in die Kammerder Gebärenden eintrat. Die Mutter erstarrte und schrie vor Schreck. Dabenachrichtigte der vom Himmel herabblickende Wettergott die Mutter-göttinnen und Hebammen: „Der [Him]mel kleidete sich in Schwarz; mitduwiya(-Kleidern) kleidete (er) sich; der Mond aber kleidete sich in

Blut(rot); [und] er umgürtete sich mit den Fellen des Todes; und er nahmsich den Pfeil des Todes; und er nahm sich den Bogen des Todes. In der(einen) Hand hielt er loderndes Feuer; in der (anderen) Hand hielt er dengezückten Dolch. So betrat plötzlich der Schreckliche das Tor [ ] ... Sie(die gebärende Frau) fürchtete sich, erschreckte sich. Seitwärts ging ihrMund, die Augen gingen seitwärts, die neun Körperglieder gingen seit-wärts. Der Kopf des Kindes ging durch sie, wobei sie es immer wiedernach oben drückte. Die Mutter des Knaben schrie. Da blickte Tarhun vomHimmel herab (und sagte): ,Was ist denn (da auf der Erde geschehen);

wieso gibt es keine (Hilfe)?!‘“ Nahtlos wechselt der Text jetzt vom Prä-teritum in das Präsens; d.h. wie nun jene Geburt in illo tempore zu einemguten Ende gekommen war, so wird sie auch in diesem jetzigen Fall glück-lich verlaufen. Nachdem dann die das Ritual ausführende Hebamme demneugeborenen Knaben gegen die auf ihn gerichteten Verfluchungen eineapotropäisch wirkende Salbe in die Gehörgänge appliziert hat, folgt eineumfangreiche Beschwörung, die damit endet, daß der Verursacher der Be-hexung den Himmel in seiner Breite (d.h. wohl einen umgestürzten Him-mel) und eine aufgerissene Erde sehen soll.

Kommentar: Die Formel, daß eine Gottheit vom Himmel blickt, die Not einesMenschen oder eine bedrohliche Situation wahrnimmt, ihr Erstaunen äußert (sie-he S. 121) und hilfreich eingreift, stammt wohl primär aus der hattisch-hethiti-schen Ritualschicht, wo sich das Motiv auf die Göttin Kamrusepa bezieht. DieZahl Neun steht für die Gesamtheit der Körperteile.

Die beschriebene Erscheinung des Mondes könnte ein böses Omen sein aberauch auf eine Mondfinsternis hinweisen, die auf Betreiben der Schadenstifter bzw.der Hexen eingetreten ist, damit der blutrote, bewaffnete Mond das Kind der Ge-bärenden vernichte. In diesem Zusammenhang verweist M. Giorgieri, 2004, 425(mit weiterer Literatur) auf lateinische Textstellen, die den durch magische Mani-

pulationen verfinsterten Monde als „blutig“ bezeichnen.Zu dem Motiv des umgestürzten Himmels (nepis palhamman) und der aufge-

rissenen Erde (tekan kinuwandan) verweist Giorgieri auf Apuleius, Metamor-phosen I, 8, 4: Saga inquit et diuina potens caelum deponere.

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3. Zwei Historiolae des Feuers 241

Literatur: KUB 44.4+KBo 13.241 Rs. (bearbeitet von G. M. Beckman, 1983,176–199) Rs. 1–5; die Übersetzung der zitierten Zeilen folgt M. Giorgieri, 2004,409f.

 3. Zwei historiolae des Feuers

Die auf luwische Rituale zurückgehende hethitische Beschwörung desFeuers der Göttin Kamrusepa dient der Heilung eines Erkrankten. Diefür die Beschwörung benötigte materia magica besteht aus dem „Feuerder Steppe“, einem Stück Rohr und drei verschiedenfarbigen Wollsorten,welche Kamrusepa herbeizubringen anordnet: „Folgendermaßen sprichtKamrusepa: ,Geht, Feuer [der] Step[pe] neh[mt], Emmer eines bewässer-

ten (Feldes) nehmt; nehmt auch rote Wolle, schwarze Wolle (und) ge[lbe]Wol[le]; nehmt einen [Ro]hrstengel und besprecht (all)es. Und [dieses]wendet an seinen Nacken und jenes wendet an seine Füße! (§-Strich) Unddie Krankheit des Kopfes soll zu Dunst werden; sie soll zum Himmel auf-steigen (Text: gehen)! Die dunkle Erde soll seine Krankheit von der Handfortschaffen! Die Wolke überwindet die Krankheit nicht; nun soll sieoben der Himmel überwinden und unten soll sie die Erde überwinden!Beschwörung des Feuers.“ Man bringt nun das Feuer herbei und facht esmit Gerstenstroh an. Die Rezitation fährt fort: „Man brachte ihm (dem

Feuer) die Krankheit; und man brachte ihm die Krankheit der Augen, undman brachte ihm die Krankheit der Füße; und man brachte ihm dieKrankheit der Hände; und man brachte ihm die Krankheit des Kopfes.Und (von) ihm (dem Patienten) verschwand das Fieber und eilte hinweg.“(§-Strich) Das Fieber scheint nun, in einem kenubi-Gefäß verschlossen,zum Meere gebracht zu werden.5

Text und ausgewählte Literatur: KUB 17.8 Rs.IV, bearbeitet von G. Kellerman,1987*. Vgl. auch F. Starke, 1985, 217 und 259. Kol.IV ist transkribiert von E. La-roche 1965, 166–168; siehe auch MMMH 161f. Ähnlich ist KBo 13.260 Rs. III

21'–33'.In einer anderen, poetische Analogien enthaltenden, jedoch nur teilwei-se verständlichen Beschwörung ist das Feuer mit dem Verhalten einzelnerTiere verglichen: „Sie (die Magierin) beschwört ihn (den Patienten) aberso: Das Feuer, das Kind des Sonnengottes, groll[te]; und es geschah, daß esin die Dunkelheit ging. In der Dunkelheit versteckte es sich wie eineSchlange; w[ie] ein kunkuliyatiya-Tier ringelte es sich ein. (§-Strich)Streifte das (Wachs) der Biene ab; sprang wie ein Adler auf; und einemAdler [brachte es] die Botsch[aft]: ,Auf dem Wege ist keine Kälte (mehr).‘

(§-Strich) [ ].“

5 Siehe S. 112–114.

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Text und ausgewählte Literatur: KUB 43.62 Vs. II 5–11; Vs. II 1–11, Rs. III 2'–12'besprochen von H. C. Melchert, 2003, 283f. vgl. auch N. Oettinger, 1979, 363Anm.214. MMMH 162, CHD P, 198 und HEG 2, 2001, 507.

4. Die Beschaffung des Quell- und des Meerwassers

Diese historiola ist Teil eines Rituals zur Reinigung eines Hauses oder desPalastes von Zank und Mord. Sie erzählt, wie das Quellwasser zumSchauplatz des Rituals herbeigeschafft wird: Der Priester bringt derQuellgöttin bzw. der Quelle, aus der er das Wasser für die Reinigungschöpfen will, Wein, Brot, Grütze, Getreidebrei und einem Gemüsetopf als Opfer dar und spricht: „Die Angelegenheit, um deren willen ich ge-kommen bin, danach möge mich die Quelle, das Wasser, befragen. Mit miraber ist die Is ˇ tar vom Felde gekommen.“ Nachdem man der Statuette derIs ˇ tar an das linke Ohr einen Ring angelegt, ihr ein leeres Gefäß für dasWasser in die Hand gegeben und sie mit einem Kopfgewinde geschmückthat, wendet sich die Göttin an die Quellen: „Sie sprach zu den Quellen, siesprach zu den Wasserlöchern, [sie sprach zu] ...[ ], sie sprach zur Gott-heit des Wassers: ,Jenes Wasser, um dessen willen ich gekommen bin, gebtmir! Jenes Wasser der Reinheit, welches Blut(tat) und Schwur reinigt,welches das Torgebäude reinigt, welches [die Zunge der] Men[ge], Verflu-

chung, Vergehen und Panik reinigt!‘“ Darauf antwortet [die Quelle] undweist dabei auf die chthonische Herkunft ihres Wassers hin: „,SchöpfeWasser siebenmal od[er] schöpfe Wasser achtmal, gieße (es) aus; das Was-ser, das du aber [beim ach]ten Male verlangst, jenes [Wa]sser schöpfe undnimm es!‘ (§-Strich). Und unter dem Kumarbi, von (seinem) Thron weg,[und ...] ... für die Sonnengöttin der Erde fließt es als (ihr) Haar.“ DieQuelle spricht nun von der Beschaffung des Meerwassers: „Während dunun jenes Wasser fortträgst, wird der Falke sogleich anderes Wasser ausdem Meer herbeibringen. In der Rechten wird er das Wasser halten, in der

Linken aber wird er die (Beschwörungs-)Worte halten.“ Die Is ˇ tar eilt nunvon ihrer Stadt Ninive zum Schauplatz des Ritualgeschehens herbei:„Is ˇ tar eilte; und von Ninive zog sie vor (ihrem) Falken einher. In dieRechte nahm sie das Wasser, in die Linke aber nahm sie die (Beschwö-rungs-)Worte. Rechts träufelt sie das Wasser aus, (nach) links aber sprichtsie die (Beschwörungs-)Worte: ,In das Haus möge das Gute eintreten!Das Böse möge es (mit den) Augen suchen und es hinauswerfen! Reinigensoll das reine Wasser die böse Zunge, Unreinheit, Blut(tat), Vergehen(und) Verfluchung. Wie der Wind Spreu verjagt und über das Meer trägt,

ebenso soll er auch jenes Hauses Blut(tat), Unreinheit vertreiben und überdas Meer tragen! Und es soll zu den reinen Bergen gehen und es soll zuden tiefen Brunnen gehen!‘“ Nach dieser Rezitation opfert der PriesterBrot und Wein. Der historiola entsprechend „schöpft er siebenmal Was-

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5. Die Historiola der Meteoritsteine aus Ninive 243

ser; er gießt es aus. „[Das Wasser aber], das er beim [achten] Male schöpft,das n[immt er. Ferner] nimmt er zweimal sieben Kieselsteine aus derQuelle und wirft sie in [sein Gefäß].“ Schließlich bringt er das Reini-gungswasser in das Haus des Ritualherrn.

Text und ausgewählte Literatur: KUB 41.8 Vs. II 4'–27' Duplikate: KBo 10.45Vs. II 30–60 und KUB 12.56 Rs. III 2'–12'); vgl. MMMH 87f.

5. Die historiola der Meteoritsteine aus Ninive

Auf Meteorite, die sich in der Atmosphäre erhitzen, bezieht sich die fol-gende historiola von den heißen Steinen, die in Form eines Dialogs in hur-ritischer Sprache mit einer hethitischen Übersetzung in einem Ritual derMagierin Salasu enthalten ist: „Von welchem (Ort) kamen sie, die heißen[Steine]? von welchem Gebirge fielen sie herab, die heißen Steine?‘ ,Dieheißen Steine kamen von Ninive, von dem Gebirge ... kamen sie her [ ] ...nach Art von [ ]. Vor Is ˇ tar kamen sie.‘ Is ˇ tar fragt die heißen Steine: ,Vonwelchem (Ort) kamt ihr, von welchem Gebirge [fielt] ihr herab?‘ [ ] (Esantworten die Steine) ,Wir kamen vom Hause des Ritualherrn herbei. DenGefesselten haben wir gelöst, den angepflockten Mann haben wir losge-lassen.‘“

Kommentar: KBo 19.145 (= ChS I/5 Nr. 40) Rs. 30–43. Das Gefesselt- undAngepflocktsein bezieht sich auf den Zustand der Behexung, vgl. dazu MMMH88f.

Eine spätantike literarische Parallele zu einem von einem Berg herab-gefallenen und zischenden Meteoritstein enthält der Bericht des Philoso-phen Damaskios in seiner Biographie des Isidoros: Damaskios erzählt,daß er auf einer Reise einen Mann namens Eusebios kennengelernt hatte,der einen Stein verehrte. Dieser Eusebios „erzählte auch, es sei einmalplötzlich der fromme Drang über ihn gekommen, von der Stadt Emesaaus, als es schon beinahe Mitternacht war, den sehr weiten Ausflug nach

dem Berge zu machen, auf welchem ein alter Tempel der Athene steht. Ersei aber sehr schnell am Fuß des Berges angelangt, er habe sich an Ortund Stelle hingesetzt und, da er (so lange) gewandert, ausgeruht. Da habeer aber gesehen, wie auf einmal eine Feuerkugel aus der Höhe herab-schoß und wie ein gewaltiger Löwe an die Kugel herantrat. Dieser seiaber wieder plötzlich verschwunden. Er selbst sei aber dann auf die Ku-gel zugelaufen, als das Feuer eben erlöschen wollte. Er habe sie gepackt,und dies sei der Baitylos (nach Philon von Byblos „beseelter Stein“) ge-wesen. Dann habe er ihn in die Höhe gehoben und ausgefragt, welchem

Gott er angehöre. Jener aber habe geantwortet, er gehöre dem (Gott)Gennaios an.“ Die Erzählung berichtet, daß der Stein, wenn er Orakelverkündete, „einen fein zischenden Ton“ von sich gab. Mit diesem „feinzischenden Ton“ dürfte ein hethitisches Ritual „das Aufschreien“ der in

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XV Beschwörungen, Mythologeme und historiolae244

Wasser geworfenen erhitzten Steine bezeichnen: „Wirf Holzkohle [undeinen erhitzten Stein] (in das Wasser). Wie nun der erhitzte Stein und dieHolzkohle im Wasser aufschreien (d. h. zischen), dann zerspringen undverstummen, so sollen auch deine (und) deiner Truppe Mannhaftigkeit,eure Kampf(kraft) und eure Erkundungsfähigkeit ebenso zerspringenund ebenso verlöschen und wie der Stein taub werden und verstum-men!“

Literatur: S.M.E. Fick, 2004.