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Zum Gutachten der DPG über den KPK Zum Gutachten der Deutschen Physikalischen Gesellschaft über den Karlsruher Physikkurs Christoph Strunk Karsten Rincke Experimentelle und Angewandte Physik / Didaktik der Physik Universitätsstr. , D- Regensburg Dieser Text kann abgerufen werden unter: http://www.uni-regensburg.de/physik/didaktik-physik/Aktuelles/index.html Inhaltsverzeichnis Hintergründe und Intention des vorliegenden Textes . Zusammenfassung .............. . Grundlegendes zum Karlsruher Physikkurs . Der Impulsstrom in der Mechanik . Verhalten unter Drehungen ......... . Messbarkeit der Richtung des Impulsstroms . Zur fachlichen Ergänzung des Gutachtens: Die Frage oener und geschlossener Integrationsächen .............. Entropie und Wärme in der Thermodynamik . Temperaturausgleich ............. . Entropieleitfähigkeit ............. . Freie Expansion ............... Magnetische Ladungen und der Begri des Vakuums in der Elektrodynamik . Magnetische Ladungen ........... . Zur fachlichen Ergänzung des Gutachtens: Die Frage der Interpretation der Quellen des H-Feldes ................... . Äther/Vakuum ................ Anschlussfähigkeit Zusammenfassende Stellungnahme zum Gutachten Additum: Der Karlsruher Physikkurs im Wettstreit mit konkurrierenden fachdidaktischen Konzepten Literatur Hintergründe und Intention des vorliegenden Textes . Zusammenfassung Das von der DPG in Aurag gegebene Gutachten über den Karlsruher Physikkurs (KPK) beklagt eine Reihe fachlicher Dezite. Die vorliegende Erörterung grei diese Kritik auf und setzt sie in Beziehung zu den Inhalten etablierter physika- lischer Lehrbücher und zu den Originaltexten, in denen der KPK publiziert ist. Dazu sollen zunächst die im Gutachten der DPG beklagten Dezite fachlich beleuchtet werden. Wei- ter wird danach gefragt, ob die daraus abgeleiteten Schluss- folgerungen auf den KPK zutreen. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass die Argumentation der Gutachter in wichtigen Punkten nicht stichhaltig ist oder sich auf Aussagen bezieht, die im Text des KPK nicht enthalten sind. Es ist unser Ziel die Debatte über den KPK auf einer sachli- chen Ebene zu führen. . Grundlegendes zum Karlsruher Physikkurs Der KPK geht von der Feststellung aus, dass die Relation zwi- schen Strom, Stromdichte und durchströmter Fläche für die extensiven Größen Ladung, Energie, Entropie, Stomenge, Impuls und Drehimpuls jeweils dieselbe ist. Diese Herange- hensweise fordert die Vorstellung heraus, da eine Vorstellung über das, was da jeweils ießt, nur im Fall der Stomenge mit alltagsgemäßen mentalen Bildern ausgemalt werden kann – in den anderen Fällen handelt es sich um abstrakte Größen, für die passende mentale Bilder im Unterricht erst geschaen werden müssen. Die Frage ist berechtigt, weshalb man als Lehrkra ein Kon- zept wählen sollte, in dessen Zentrum die Vorstellung von der Strömung abstrakter physikalischer Größen steht. Eine Antwort kann wenigstens auf zwei Arten gegeben werden – empirisch oder pragmatisch. Der Versuch, die Frage empi- risch zu beantworten, bedeutete, die Eignung des Konzepts im Feld Schule zu untersuchen. Empirische Untersuchun- gen zur Wirksamkeit fachdidaktischer Konzepte (sowohl des KPK wie auch vieler anderer Herangehensweisen) sind

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ZumGutachten der DPG über den KPK

ZumGutachten der Deutschen Physikalischen Gesellschaftüber den

Karlsruher PhysikkursChristoph StrunkKarsten Rincke

Experimentelle und Angewandte Physik / Didaktik der PhysikUniversitätsstr. 31, D-93053 RegensburgDieser Text kann abgerufenwerden unter:

http://www.uni-regensburg.de/physik/didaktik-physik/Aktuelles/index.html

Inhaltsverzeichnis

1 Hintergründe und Intention des

vorliegenden Textes 1

1.1 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Grundlegendes zum Karlsruher Physikkurs . 1

2 Der Impulsstrom in derMechanik 2

2.1 Verhalten unter Drehungen . . . . . . . . . 32.2 Messbarkeit der Richtung des Impulsstroms 32.3 Zur fachlichen Ergänzung des Gutachtens:

Die Frage oòener und geschlossenerIntegrations�ächen . . . . . . . . . . . . . . 5

3 Entropie undWärme in der

Thermodynamik 6

3.1 Temperaturausgleich . . . . . . . . . . . . . 63.2 Entropieleitfähigkeit . . . . . . . . . . . . . 73.3 Freie Expansion . . . . . . . . . . . . . . . 7

4 Magnetische Ladungen und der

Begri� des Vakuums in der

Elektrodynamik 8

4.1 Magnetische Ladungen . . . . . . . . . . . 84.2 Zur fachlichen Ergänzung des Gutachtens:

Die Frage der Interpretation der Quellen desH⃗-Feldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

4.3 Äther/Vakuum . . . . . . . . . . . . . . . . 9

5 Anschlussfähigkeit 10

6 Zusammenfassende Stellungnahme

zumGutachten 11

7 Additum:

Der Karlsruher Physikkurs im Wettstreit mit

konkurrierenden fachdidaktischen Konzepten 11

Literatur 12

1 Hintergründe und Intention des vorliegenden Textes

1.1 Zusammenfassung

Das von der DPG in Au�rag gegebene Gutachten über denKarlsruher Physikkurs (KPK) beklagt eine Reihe fachlicherDeûzite. Die vorliegende Erörterung grei� diese Kritik aufund setzt sie inBeziehung zu den Inhalten etablierter physika-lischer Lehrbücher und zu den Originaltexten, in denen derKPK publiziert ist. Dazu sollen zunächst die im Gutachtender DPG beklagten Deûzite fachlich beleuchtet werden. Wei-ter wird danach gefragt, ob die daraus abgeleiteten Schluss-folgerungen auf den KPK zutreòen. Wir kommen zu demErgebnis, dass die Argumentation der Gutachter in wichtigenPunkten nicht stichhaltig ist oder sich auf Aussagen bezieht,die im Text des KPK nicht enthalten sind.Es ist unser Ziel die Debatte über den KPK auf einer sachli-chen Ebene zu führen.

1.2 Grundlegendes zum Karlsruher Physikkurs

Der KPK geht von der Feststellung aus, dass die Relation zwi-schen Strom, Stromdichte und durchströmter Fläche für dieextensiven Größen Ladung, Energie, Entropie, Stoòmenge,Impuls und Drehimpuls jeweils dieselbe ist. DieseHerange-hensweise fordert dieVorstellung heraus, da eineVorstellungüber das,was da jeweils �ießt, nur im Fall der Stoòmengemitalltagsgemäßen mentalen Bildern ausgemalt werden kann –in den anderen Fällen handelt es sich um abstrakte Größen,für die passendementale Bilder imUnterricht erst geschaòenwerden müssen.Die Frage ist berechtigt, weshalbman als Lehrkra� ein Kon-zept wählen sollte, in dessen Zentrum die Vorstellung vonder Strömung abstrakter physikalischer Größen steht. EineAntwort kann wenigstens auf zwei Arten gegeben werden –empirisch oder pragmatisch. Der Versuch, die Frage empi-risch zu beantworten, bedeutete, die Eignung des Konzeptsim Feld Schule zu untersuchen. Empirische Untersuchun-gen zur Wirksamkeit fachdidaktischer Konzepte (sowohldes KPK wie auch vieler anderer Herangehensweisen) sind

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C. Strunk und K. Rincke, Universität Regensburg

unternommen und national wie international publiziert wor-den. Dass sie sich jedoch nicht in der Weise niederschlagen,dass sich Lehrkrä�e, Lehrplanentwickler und Vertreter derFachdidaktik schließlich auf das eine vermeintlich besteKon-zept festlegten, hat viele Gründe. Ein Grund liegt darin, dassdie Erwartungen an Bildungsergebnisse einem steten gesell-scha�lichen Wandel unterworfen sind, sodass auch der Un-terricht einer steten Veränderung, im günstigen Falle einerFortentwicklung, unterworfen sein muss. Das Nebeneinan-der unterschiedlicher fachdidaktischerKonzepte kann als einwichtiger Motor für eine solche Fortentwicklung begriòenwerden, in Abschnitt 7 gehen wir nochmals darauf ein.Eine pragmatische Antwort auf die Frage, warum man dasKonzept wählen sollte, wäre der Hinweis, dass die in Redestehenden Begriòe Ladung, Energie, Entropie, Stoòmenge,Impuls und Drehimpuls die gesamte Physik durchdringen.Siemüssen letztlich als abstrakteGrößen verstanden werden,weil sie sich nur als abstrakte Größen für die Beschreibungeiner unüberschaubaren Anzahl von verschiedenen Phäno-menen als leistungsfähig erweisen. Es darf durchaus als we-sentliche Aufgabe des Physikunterrichts angesehen werden– ob an der Schule oder an der Universität – dass er eine ge-wisse Vertrautheit mit diesen abstrakten Größen herstellenmöge. Es kann als ein Vorzug des KPK angesehen werden,dass er die Abstraktheit der physikalischen Größen mit einerMetapher von suggestiver Kra� kombiniert – der Metapherdes Fließens, die in Bezug auf Stoòmengen (z.B. vonWasser)her vertraut ist.Die Entwickler des KPK sehen einen Vorteil dieser Darstel-lung darin, dass eine gemeinsame Perspektive für ursprüng-lich als verschieden angesehene Disziplinen der Physik ent-steht, die es erlaubt – bei aller Verschiedenheit der betrachte-ten Phänomene – Querverbindungen und strukturelle Ge-meinsamkeiten zu erkennen. Welches Gewicht dieses Argu-ment für denKPK in letzterKonsequenz hat, kannwiederumentweder empirisch (s.o.) oder aber normativ beantwortetwerden. Die normative Antwort wäre eine solche, die fest-stellt, ob es als ein wesentlicher Gewinn für die naturwissen-scha�liche Grundbildung angesehen werden soll, dass einesolche vereinheitlichende Sichtweise vermittelt wird, oderob dies zugunsten anderer Aspekte verzichtbar erscheint.Wohlgemerkt: Dies ist oòenbar keine physikalisch-fachliche,sondern eine bildungstheoretische Frage.

2 Der Impulsstrom in der Mechanik

Die konzeptionelleMotivation des KPK speist sich aus derTatsache, dass dieNewton’schen Gesetze – trotz ihrer unzwei-felha�en historischen Erfolge – in mindestens dreifacherHinsicht dem heutigen Stand der Physik widersprechen:

1. Sie beinhalten Fernwechselwirkungen, bei denen dieBewegung eines Körpers durch instantane Änderun-

gen der Krä�e auf andere beliebig weit entfernte Kör-per übertragenwird.Dieswiderspricht der ErkenntnisEinsteins, dass sich Kra�wirkungen stetsmit endlicherGeschwindigkeit ausbreiten, und die Lichtgeschwin-digkeit nicht überschreiten können.

2. Das erste Newton’sche Gesetz setzt (ebenfalls imWiderspruch zur Relativitätstheorie) den absolutenRaum und die absolute Zeit Newtons voraus, ohnedie nicht erklärt werden kann, was eine ›geradlinig-gleichförmige‹ Bewegung ist.

3. Die Gesetze versagen bei der Beschreibung punktför-miger Körper (oder Teilchen), wenn deren Abständein Bereichen der de Broglie-Wellenlänge liegen.

Es stellt eine erhebliche Belastung für das Verständnis dermodernen Physik dar, wenn zur Einführung der Physik einAxiomensystem verwendet wird, das seit 100 Jahren als über-holt anzusehen ist, weil es ein in wesentlichen Punkten un-zutreòendes physikalisches Weltbild suggeriert. Eine expe-rimentelle Falsiûzierung der Newton‘schen Gesetze liefertjedes kommerzielle GPS-System, das nicht funktionierenwürde, wenn in die zur Positionsbestimmung verwendetenAlgorithmen nicht die allgemein-relativistischen Korrektu-ren zu Newton’schen Gravitationstheorie berücksichtigten.Bisher steht jedeGeneration von Schülern und Studendierenvor dem Problem, dass sie das in den ersten Schul- und Stu-dienjahren gefestigteWeltbild der klassischen Physik durchmodernere Vorstellungen ablösen müssen, die dem wider-sprechen, was zuvor als unumstößliches Grundgesetz galt.Ein solcher Aufbau des Faches auf Grundlagen, die sich be-reits vor langer Zeit als unhaltbar herausgestellt haben, wärebeispielsweise in der Mathematik undenkbar.DasZiel derEntwickler desKPKwar es diesesProblem durcheine alternative Darstellung derMechanik und der Elektrody-namik zu entschärfen, die von einem anderen Grundprinzipausgeht, welches bis heute Gültigkeit hat. Dieses alternativeGrundprinzip ist das der Impulserhaltung mit der entspre-chenden Kontinuitätsgleichung. Die Frage, ob sich dieserZugang in der Schule oder in der Universität besser oderschlechter als der traditionelle eignet, ist von der nach seinerfachlichen Korrektheit strikt zu trennen.Im KPK werden die Newton’schen Gesetze als Ausdruck derImpulserhaltung in statischen Kra�feldern interpretiert. Da-bei fällt der Kra� die Rolle eines Impuls�usses oder Impuls-stroms zu.Die BegriòeKra� und Impulsstrom sind synonym.Der Ausdruck Strom verdeutlicht dabei, dass sich eine erhal-tene Größe allein durch Zustrom oder Weg�ießen, nichtaber durch Erzeugung oder Vernichtung ändern kann. Das2. Newton’scheGesetz bzw. dieKontinuitätsgleichung für denImpulsstrom legen das Vorzeichen des Kra�vektors bzw. desImpulsstromvektors relativ zur Zeitableitung des Impulsesfest. Selbstverständlich hängt das Vorzeichen des Kra�vek-tors bzw. des Impulsstromvektors von der Wahl des Koordi-natensystems ab.

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ZumGutachten der DPG über den KPK

Im Gegensatz zu anderen strömenden Größen wie der elek-trischen Ladung, der Energie oder der Teilchenzahl bringtdieVektornatur des Impulses aber eine zusätzlichemathema-tische Komplikation, die aus einer für die Schule geeignetenElementarisierung herauszuhalten ist. Weil die drei Impuls-komponenten jeweils für sich einen Erhaltungssatz befolgen,ist die Impulsstromdichte G, die zusammen mit der orien-tierten Fläche A⃗ den Impulsstrom

F⃗ = G ⋅ A⃗ (1)

bestimmt, kein Vektor, sondern ein Tensor zweiter Stufe,nämlich der aus der Elastizitätstheorie, der Elektrodynamikund der Hydrodynamik bekannte (negative)1 Spannungsten-sor. Dessen Elemente bestimmen den mechanischen Span-nungszustand eines elastischen Mediums. In den im Gutach-ten betrachteten eindimensionalen Beispielen werden dieseKomplikationen vermieden.

2.1 Verhalten unter Drehungen

Im eindimensionalen Fall wird der mechanische Spannungs-zustand durch einen einfachen Skalar beschrieben, der po-sitiv (Druckspannung) oder negativ (Zugspannung) seinkann, und dieses Vorzeichen bei Inversion oder Drehungder Koordinatensystems um 180◦ beibehält. Die im Gutach-ten beschriebenen vermeintlichen Inkonsistenzen entstehendadurch, dass dieRichtung desKra�vektors bzw. des Impulss-tromvektors fälschlicherweise nicht von der Strömungsrich-tung der x-Komponente des Impulses unterschieden wird.Die in Abb. 2 des Gutachtens mit Pfeilspitzen versehenengestrichelten Linie stellen nicht denVektor des Impulsstromsdar (dieser ist identisch mit dem ebenfalls eingezeichnetenKra�vektor), sondern den Stromdichtevektor für positivenx-Impuls. Entsprechend steht bei den Vektoren auch ›Im-puls‹ (um die Fließrichtung für positiven x-Impuls anzu-deuten), und nicht ›Impulsstrom‹. Dies wird in der Original-Bildunterschri� des KPK durch den Satz »...beideMale �ießtx-Impuls in negativer x-Richtung« zum Ausdruck gebracht.In der von den Gutachtern hinzugefügten Abb. 2c bleibt die-ser Satz richtig, weil durch die Drehung sowohl die x-Achse,als auch die Fließrichtung umgekehrt werden.Die Gutachterstellen korrekt fest:»Der Vergleich von Abbildung 2a und 2c zeigt sehr anschau-lich dass die Lage des KPK-Impulsstroms eng mit der Lage desKoordinatensystems verbunden ist.«Dies ist folgerichtig und liegt nur daran, dass durch die Dre-hung des Koordinatensystems auch positiver in negativenx-Impuls übergeht. Wenn in einem elektrischen Stromkreisdas Vorzeichen der strömenden Ladung umgekehrt wird, soändert sich die Lage des elektrischen Stromdichtevektors inderselben Weise.

2.2 Messbarkeit der Richtung des Impulsstroms

Das Gutachten stellt korrekt fest, dass es das Prinzip actio =reactio unmöglich mache zu sagen, ob positiver Impuls nachlinks oder negativer Impuls nach rechts ströme. Es ist richtig,dass der mechanische Spannungszustand eines elastischenMediums keine Strömungsrichtung auszeichnet. Anderer-seits tritt genau dasselbe Problem in der Elektrizitätslehreauf. Auch ein Amperemeter kann nicht entscheiden, ob po-sitive Ladung nach links oder negative Ladung nach rechts�ießt, weil die zur Messung ausgenutzte Lorentzkra� oderder elektrische Potenzialabfall in beiden Fällen derselbe ist.Die technische Stromrichtung wird durch die willkürlicheKonvention festgelegt, dass die strömende Ladung positivsei. In der Elektrizitätslehre wird aus dieser Willkür nichtgeschlossen, dass dem elektrischen Strom »keine objektiveRealität« zukomme, und für diesen »im Gebäude der Physik«deshalb »kein Platz« sei. Die im KPK benutzte Konventionzur Festlegung der Strömungsrichtung des Impulses ist zuder in der Elektrizitätslehre benutzten Konvention zur Fest-legung der technischen Stromrichtung analog.Das Fazit des Gutachtens (S. 6) »Die eingangs gestellte Frage,ob die Aussagen des KPK über die Richtung des Impulsstromsexperimentell überprüfbar sind,muss verneint werden. Des-halb ist die vom KPK eingeführte Richtung des Impulsstromseine willkürlich festgelegte Konvention, der keine objektive Rea-lität zukommt: Es gibt diesen Strom in der Natur nicht. Damithat der KPK-Impulsstrom auch keinen Platz im Gebäude derPhysik und ganz gewiss auch nicht im Physikunterricht« lässtaußer Acht, dass der Impulsstrom mit der Kra� identisch ist.Von Seiten des KPK könnte derartigen Missverständnissenvorgebeugt werden, indem der Text stärker betonte, dass dieBegriòe Kra� und Impulsstrom Synonyme sind.Die Gutachter schließen aus der in Abb. 3a des Gutachtensbestehenden Spiegelsymmetrie, dass die Orientierung desin dieser statischen Anordnung �ießenden und in sich ge-schlossenen Impulsstroms nicht experimentell bestimmtwer-den und dieser Impulsstrom daher nicht existieren könne.Diese Schlussweise ist nicht korrekt, weil der Wert des Im-pulsstroms gemäß Gl. 1 durch das Produkt aus der Impuls-stromdichte G (die in einer Dimension ein Skalar ist) undeiner entweder im Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzei-gersinn orientierten Fläche gegeben ist. DieWillkür bei derOrientierung dieses Flächenvektors entspricht dem Prinzipactio = reactio undmacht die im KPK benutzte (oder eineandere) Vorzeichen-Konvention erforderlich. Eine von Nullverschiedene Impulsstromdichte ist mit der Symmetrie derAnordnung verträglich, weil G kein Vektor, sondern ein Ska-lar, bzw. in zwei und dreiDimensionen ein Tensor 2. Stufe ist.Aus diesem Grund sind die im KPK beschriebenen geschlos-senen Impulsströme durch den Wert der Impulsstromdichte(der mechanischen Spannung) und der orientierten Fläche A⃗

1Dieses Vorzeichen spiegelt die unterschiedlichen Vorzeichenkonventionen in der Kontinuumsmechanik und der Newton’schen Mechanik wider.

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C. Strunk und K. Rincke, Universität Regensburg

aM1 M2A1 A0

A2

A3 A4

A6

A5

F2

bA1

F1

A2

A4

A5

A3

Abbildung 1: a Illustration eines geschlossenen Impulsstromkreises analog zu Abb. 3 des Gutachtens. Die Federkonstanten,die Längen L der Federn im entspannten Zustand und dieMassen seien gleich, sodass die Anordnung perfekt symmetrischist. Die orientierten Flächen A⃗1 bis A⃗6 geben den Strömungspfad des geschlossenen Impulsstromkreises an. In den Federnbesteht eine Zugspannung, in dem horizontalen Teil der Halterung eine Druckspannung. Die Impulserhaltung drückt sichdadurch aus, dass die Integration des Spannungstensors über jede dieser Flächen denselben Wert der x-ImpulsstromstärkeFx(mit demselben Vorzeichen!) liefert. Entlang der Flächen A⃗2 und A⃗4 durch die senkrechten Teile der Halterung besteht

eine Scherspannung, hier steht die Richtung des strömenden Impulses senkrecht auf der Stromrichtung; diese wird durchNebendiagonal-Elemente des Spannungstensors beschrieben. Der durch die Fläche A⃗1 �ießende Impulsstrom gibt die Kra�an,mit der das linke Federende nach links gezogen wird (F1x < 0). Wird das Vorzeichen der Fläche umgekehrt wie bei derFläche A⃗0, so erhält man die nach dem Prinzip actio = reactio entgegengesetzt gleiche Kra�,mit der die Feder dieHalterungnach rechts zieht (F0x > 0).bWird die Verbindung zwischen den beiden Kugeln mit den Massen M1 und M2 durchtrennt, so ist der Stromkreis un-terbrochen und dieMassen werden zunächst nach außen beschleunigt.Während die linke Kugel dabei positiven Impulsabgibt (F⃗1), nimmt die rechte Kugel positiven Impuls auf (F⃗2); dieser �ießt nach der Vorzeichenkonvention des KPK überdie Federn und die Halterung von der linken zur rechten Kugel. Unterschreitet die Länge der Federn deren RuhlängeL, so kehren sich die Vorzeichen aller lokalen Spannungen sowie die Impulsstromrichtungen um. Die Kugeln werdenabgebremst und es bildet sich bekanntlich eine harmonische Schwingung der Kugeln um die Ruhlänge der Federn aus.Im Anfangszustand in b sind die Krä�e auf die Kugeln/die Impulsstromstärken maximal, die Geschwindigkeiten dagegenNull, genau wie in der statischen (!) Anordnung in a. Daher muss auch in a ein konstanter, aber von Null verschiedenerImpulsstrom �ießen, dessenVorzeichen durch die gewählteOrientierung der Flächen gegeben ist. Entscheidet man sich gegendieVorzeichen-Konvention des KPK und orientiert alle Flächen um, so ändert sich die Strömungsrichtung des Impulses undes �ießt nach demDurchtrennen derVerbindung zunächst negativer Impuls von der rechten zur linken Kugel – physikalischhandelt es sich aber um denselben Vorgang!

eindeutig bestimmt. Dies wird in Abbildung 1 des vorliegen-den Textes illustriert, die eine der zum Gutachten analogesymmetrische Situation sowohl im statischen als auch imdynamischen Fall darstellt.Die Gutachter kritisieren außerdem, dass die Etikettierung›positiver Impuls‹ von Bezugsystem abhängig ist, wohinge-gen das Vorzeichen einer Ladung absolut, d.h. unabhängigvom gewählten Koordinatensystem festgestellt werden kann.Dieser Unterschied ist jedoch den Größen Ladung und Im-puls inhärent und nicht für den KPK speziûsch. Er mussin jeder Darstellung der Physik au�reten. Andererseits istes kein Einzelfall, dass dieWerte bestimmter physikalischerGrößen vom Bezugssystem abhängen: Die Relativitätstheo-rie sagt nicht, dass solchen Größen keine objektive Realitätzukomme, sondern, dass die fundamentalen Gleichungender Physik in einer Weise formuliert werden sollten, die un-ter Transformationen des Bezugssystems invariant ist. Dazuist erforderlich, dass alle Größen, die in diese Gleichungen

eingehen, bei Wechsel des Koordinatensystems in einer Wei-se transformiert werden, welche die Form der Gleichungenerhält. Dieses Kriterium erfüllen sowohl der Impulsstrom-Vektor (die Kra�) als auch der Tensor der Impulsstromdichte(der Spannungstensor).Der Impulsstrom im KPK ist nichts anderes als eine konse-quent verwendete Elementarisierung des in der Physik wohl-etablierten Konzepts des Spannungstensors.2 Dass er sehrwohl einen »Platz im Gebäude der Physik« hat, wird auchdadurch illustriert, dass ihm in dem bekannten LehrbuchLandau und Lifschitz (1991, S. 14ò.) ein ganzer Abschnittgewidmet wird, der mit »Der Impulsstrom« überschriebenist.

2Zum Begriò der Elementarisierung siehe z. B. Kattmann, Duit, Gropengießer und Komorek (1997).3http://www.dpg-physik.de/veroeòentlichung/stellungnahmen_gutachter/kpk-ergaenzung.pdf

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ZumGutachten der DPG über den KPK

2.3 Zur fachlichen Ergänzung des Gutachtens:Die Frage o�ener und geschlossenerIntegrations�ächen

In dem von derselben Gutachtergruppe verfassten Text Er-gänzende Bemerkungen zum DPG-Gutachten über den Karls-ruher Physikkurs3, datiert auf den 9.April 2013, schreiben dieAutoren in der Zusammenfassung (S. 3): »Der KPK gibt dieNewton’schen Axiome de facto auf und geht zur Kontinuums-mechanik über. Dies verschleiert, dass die Kontinuumsmecha-nik fundamental auf den drei Newton’schen Axiomen beruht.«Diese Aussage ist zwar richtig, aber sie verschleiert ihrerseits,dass die so hergeleitete Kontinuumsmechanik nur der Grenz-fall einer allgemein-relativistischen Kontinuumsmechanikist, in der die Newton’schen Gesetze nicht mehr gelten. Ausdiesem Grund ist die Impulserhaltung als fundamentaler alsdie Newton’sche Gesetze anzusehen, denn letztere sindmitder modernen Physik nicht kompatibel. Die Frage ist, obes der KPK erlaubt die fachlichen Inhalte und grundsätzli-chen Zusammenhänge der Schulphysik mit angemessenemAufwand zu reproduzieren. Dies ist der Fall, weil nicht dieInhalte, sondern nur deren Interpretationen teilweise anderssind.Weiter schreiben die Autoren: »Der korrekte Impulsstromentsteht durch die Integration über g e s ch lo s s en e [Hervorh.im Orig.] Ober�ächen. Stattdessen integriert der KPK überbeliebige, insbesondere auch oòene Flächen. Deswegen erfülltder KPK im Allgemeinen die Impulserhaltung nicht, sonderntäuscht insbesondere in statischen Situationen Impulsströmevor, in denen kein statischer Impuls �ießt.« Dazu ist festzuhal-ten, dass die Gutachter nicht begründen, warum die Integra-tion über oòene Flächen unzulässig sein soll. Im Gegensatzzu dieser hese ist es bei Strömungsvorgängen allgemeinüblich über oòene Flächen zu integrieren. So ist es bei derWasserströmung durch ein Rohr oder der elektrischen Strö-mung durch einenDraht oòensichtlich ausreichend über denRohr- beziehungsweise Drahtquerschnitt zu integrieren, umdie Stromstärke zu erhalten. Ließe man nur geschlosseneFlächen zu, so erhielte man in allen Situationen, in denengeschlossene Stromkreise vorliegen, die Stromstärke Null.Aus dem Verschwinden eines globalen Stromes kann manaber niemals auf das Verschwinden der lokalen Stromdich-te schließen, da sich Strombeiträge auf den verschiedenenTeilen der geschlossenen Fläche zu Null addieren können.Genau dies ist im oberen Teil der Abb. 2 in der Ergänzungzum Gutachten der Fall.Oòensichtliche Beispiele sind geschlossene elektrische Strom-kreise und die Ringströmungen in den Ozeanen. In einemgeschlossenen elektrischen Leiter kann durch Induktion einRingstrom angeworfen werden. Dessen Existenz lässt sichzwar nicht durch die Anhäufung von Ladung experimentellnachweisen, wohl aber durch das Magnetfeld, welches die-ser Strom erzeugt. Genauso äußert sich ein Impulsstrom ineinem Medium durch die elastische Deformation des Medi-

ums. Die Stärke der Deformation ist genau wie die lokaleImpulsstromdichte eine lokale Größe und unabhängig da-von, ob der Impulsstromkreis oòen oder geschlossen ist.Dieswurde in Abb. 1a und b dieser Stellungnahme illustriert. Fürdie grundsätzliche Existenz eines Spannungszustands derFedern ist es unerheblich, ob dieser statisch festgehalten (ge-schlossener Impulsstromkreis in Abb. 1a), oder dynamischveränderlich (oòener Stromkreis in Abb. 1b) ist.Die Schlussweise der Gutachter läu� darauf hinaus, die Exis-tenz derMeeresströmungenmit demArgument zu bestreiten,dass diese nur dadurch nachgewiesen werden könnten, dasssich der Meeresspiegel irgendwo signiûkant ändere.Nachdem die Gutachter das Beispiel des hydrostatischenDruckes bemühen,möchten wir dieses nutzen, um die Argu-mentation des KPK daran noch einmal zu erklären:Wir be-trachten ein im homogenen Gravitationsfeld vertikal stehen-desmitWasser gefülltes Rohr, das am unterenEnde durch einVentil verschlossen ist. Entsprechend der Vorschri� der Gut-achter integrierenwir den Spannungstensor desWassers überdie (geschlossene) Wasserober�äche und stellen fest, dassein (nach der KPK-Konvention) positiver Nettostrom vonz-Impuls in dasWasser hinein�ießt, weil derDruck am unte-ren Ende der Wassersäule größer als am oberen ist, währenddie Integration über die zylindrische Seiten�äche keinen Bei-trag liefert. Warum setzt sich das Wasser nicht in nach obenBewegung? Weil über das Gravitationsfeld (welches seineneigenen Spannungstensor besitzt, der den Impulssübertragdurch das Gravitationsfeld beschreibt) ein entgegengesetzt-gleicher Nettostrom von z-Impuls wieder heraus�ießt, so-dass der insgesamt auf das Wasser übertragene Impulsstromverschwindet. Wird das Ventil geöònet und Reibungseòektevernachlässigt, so verschwinden die Druckdiòerenz und da-mit der positive Beitrag zum Impulsstrom. Dann setzt sichdieWassersäule nach unten in Bewegung. Ist diese Form derBeschreibung wirklich komplizierter, als die konventionelle?Schließlichmöchtenwirnoch auf die Bemerkung derGutach-ter eingehen, dass mit der Eliminierung des 1. NewtonschenAxioms auch der Begriò des Inertialsystems verloren gehe.Wie in Falk undRuppel (1975) in §30 ausführlich beschrieben,lassen sich Inertialsysteme unter ausschließlicher Verwen-dung der Impulsbilanz eines N-Körpersystems wie folgt deû-nieren: Ein Inertialsystem liegt vor, wenn in diesem die Kör-per ausschließlich untereinander Impuls austauschen undder Schwerpunktsimpuls des Systems des N-Körpersystemskonstant ist. Wenn letzteres nicht erfüllt ist, dann muss dasN-Körpersystem mit einem weiteren System Impuls austau-schen. Bei diesem weiteren System handelt es sich um das inFalk und Ruppel (1975) so bezeichnete Trägheitsfeld. Diesesist nach demÄquivalenzprinzip derAllgemeinenRelativitäts-theoriemit dem Gravitationsfeld identisch, da nicht unter-schieden werden kann, ob das betrachtete N-Körpersystemdurch ein Gravitationsfeld beschleunigt wird, oder ob daszur Beschreibung verwendete Bezugssystem beschleunigt

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und damit kein Inertialsystem ist. Auch dieser Einwand derGutachter ist damit nicht stichhaltig.

3 Entropie undWärme in der Thermodynamik

Einführungen in dieWärmelehre leiden seit über 150 Jah-ren an den begriøichen Schwierigkeiten, diemit den vielfa-chen Änderungen der Bedeutung desWortes ›Wärme‹ in derFrühphase der hermodynamik zusammenhängen. DieseSchwierigkeiten äußern sich auch darin, dass das Fach ›ex-perimentelle hermodynamik‹ in der Regel selbst an derUniversität bei Studierenden unbeliebt ist. Die in der Physikheute übliche Erklärung des Wortes ›Wärme‹ lautet: »Wär-me ist eine Form der Energie«. Leider ist diese Erklärungziemlich inhaltsleer, denn die Energie ist mitnichten für dieWärmelehre speziûsch, sondern tritt in allen Gebieten derPhysik auf.Will man die Energieform ›Wärme‹ gegen andereFormen der Energie nicht nur durch qualitative Vorstellun-gen (»Wärme ist ungeordnete Bewegung«), sondern auchdurch messbare Größen abgrenzen, so führt oòenbar am Be-griò der Entropie keinWeg vorbei.An der Universität tragenneuere Lehrbücher (Kittel & Krömer, 2001, Schroeder, 2000,Stierstadt, 2010) dem dadurch Rechnung, dass die Entropievon vornherein über ihren Zusammenhang mit der Statisti-schen Physik eingeführt wird. Für Herangehensweisen imSchulunterricht erscheint dieser Weg verschlossen, weil diedafür nötigen Grundbegriòe in den gängigen didaktischenKonzepten nicht bereit gestellt werden. Die Einführung desBegriòs erfolgt – wie auch sonst o� – phänomenologisch.Der KPK baut diehermodynamik in einer mit der Fachwis-senscha� konformenWeise von vornherein auf konjugiertenPaaren von extensiven und intensiven Größen auf, anstattdie traditionell als nicht-exakte Diòerenziale beschriebenenEnergieformen Wärme und Arbeit zu verwenden. Dazu ver-knüp� der KPK die Entropie mit den eher stoøichen All-tagsvorstellungen von der Wärme, ohne die Entropie (eben-sowenig wie die Energie, die elektrische Ladung, oder denImpuls) zu einer neuen Art von Stoò zu erklären. Auf derAlltagsebene hat dieWärme keine Einheit (auch nicht Joule),weil nichts gemessen wird. Es ist hinlänglich dokumentiert,wie sehr der Alltagsbegriò der Wärmemit dem der Tempe-ratur interferiert (vgl. etwa Duit, 1986). Die Einführung desphysikalischen Begriòs der ›Wärme‹ stellt sich im Unterrichtinsofern als eine Standardsituation dar, als der Unterrichtdeutlich machen muss, was fachlich gemeint ist, und wasnicht gemeint ist. Die dabei vorgenommenen Bedeutungszu-weisungen sind Setzungen, sie ergeben sich nicht zwingendaus fachlichenÜberlegungen,weilAlltagsbegriòe keine Fach-begriòe sind. Es ist nicht nur möglich, den Alltagsbegriò der›Wärme‹ mit einem FachbegriòWärme zu verbinden, indemder FachbegriòWärme als Übertragungsform von Energievorgestellt wird –mit demselben Recht kann man alternativ

den Alltagsbegriò der ›Wärme‹ in dieNähe des fachlichenEntropiebegriòs rücken. In beiden Fällen werden Schülerin-nen und Schüler Umdeutungen ihres Alltagsbegriòs vorneh-men müssen, wenn sie fachlich argumentieren wollen.Die Entwickler des KPK werben für ihre Art der Setzungmit dem Hinweis, dass die physikalische Größe Entropieden vorphysikalischen Alltagsvorstellungen der ›Wärme‹ inhohemMaße ähnele.Auf dieseWeisewerde ein intuitivesVer-ständnis einer schwierigen Größe erreicht, welches von derstatistischen Interpretation der Entropie unabhängig, abermit dieser kompatibel ist.Die Beziehung zwischen der Entro-pie und dem thermischen Energie-Übertrag wird erst späterhergestellt (zum Zusammenhang zwischen Chronologie derEinführung und begriøicher Hierarchie sei auf die Ausfüh-rungen in Abschn. 7 verwiesen). Dieses Vorgehen ist demin der Elektrizitätslehre analog: Auch dort werden zuerstdie elektrische Ladung, der elektrische Strom und dann dieelektrische Leitfähigkeit eingeführt. Erst später wird disku-tiert, dass neben der elektrischen Ladung stets auch Energieübertragen wird.Wenn man sich entschlossen hat, nicht die Energie, sondernzuerst die Entropie als für thermische Phänomene typischeGröße einzuführen, braucht man auch eine Einheit. Im KPKwird dazu die Einheit Carnot (Ct) eingeführt. Sobald dieVerbindung mit der Energie hergestellt ist, können auch dieEinheiten von Entropie und Energie in Relation gesetzt wer-den: Ct = J/K.Die Autoren des Gutachtens behaupten, dass im KPK dieEntropie und der physikalische FachbegriòWärme gleich-gesetzt werden. Diese Aussage ist jedoch im KPK-Lehrbuchnicht zu ûnden. Dort wird die Entropie als Basisgröße zurBeschreibung thermischer Phänomene eingeführt und fest-gestellt, dass diese viele Ähnlichkeiten mit dem habe, was imAlltag qualitativ als ›Wärme‹ bezeichnet werde. Diese Aussa-ge desKPK ist ohneZweifel richtig.DieGutachter verkennen,dass dieVerbindung zwischenAlltags- und Fachbegriòdurchden Unterricht gesetzt wird und nicht von vornherein gege-ben ist.4 Es ist unseres Erachtens nicht korrekt die SetzungAlltagsbegriò ›Wärme‹ = FachbegriòWärme für absolut zuerklären und auf dieser Basis einen fundamentalen Fehler zuidentiûzieren.In dem Gutachten werden die Kommentare zur Wärmelehreunter den Überschri�en Temperaturausgleich, Expansion ei-nes Gases ins Vakuum und Entropie-Leitfähigkeit ausgeführt.Wir betrachten zunächst den ersten und den letzten der dreiPunkte, weil diese eine enge inhaltliche Beziehung haben.

3.1 Temperaturausgleich

Die Gutachter stellen an den KPK eine besondere Anforde-rung: Statt auf Seite 7 in Herrmann (2010b) nur eine erste

4Im Alltag ist beispielsweisemit dem Wort ›Kra�‹ o� nicht die physikalische Kra�, sondern die Energie gemeint (›Kra�stoò‹, ›Atomkra�werk‹ etc.).

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ZumGutachten der DPG über den KPK

Einführung in die einfachsten thermischen Phänomene zugeben, wie man es von den ersten Seiten eines Lehrbuchserwartet, fordern sie, dass die Erklärung dieser Phänomenebereits an dieser Stelle vollständig sein müsse: »Wenn manaber schon die Entropie einführt, wie es der KPK tut und wasin diesem Beispiel eine Komplikation ist, dann muss man ihreRolle bei Naturprozessen auch vollständig und richtig erklären.Gerade dies geschieht im KPK nicht.«Neben der den Grundannahmen für eine gelingende Ele-mentarisierung widersprechenden (weil übermäßigen) For-derung ist die Aussage darüber hinaus unrichtig, weil derZusammenhang zwischen Entropieübertrag und Energie-übertrag bereits wenige Seiten später in Abschnitt 1.10 aufSeite 17 und die Entropieerzeugung beim Wärmeleitungsvor-gang in Abschnitt 1.11 auf Seite 19 erklärt werden.Wie ist der Vorwurf der Gutachter zu lesen? Wird dem KPKernstlich vorgeworfen, dass 12 Seiten nötig sind, um die Ge-samtheit des Phänomens der Wärmeleitung samt aller Grö-ßen einzuführen, die zu dessen quantitativer Beschreibungerforderlich sind?

3.2 Entropieleitfähigkeit

DieGutachter sind derMeinung, dass dasKonzept der Entro-pieleitfähigkeit nicht tragfähig sei, weil auf der kalten Seiteeines Leiters mehr Entropie ankomme als von der heißen Sei-te wegströme. Jedoch ist zu beachten, dass die weggeströmteEntropiemenge tatsächlich proportional zur Temperaturdif-ferenz ∆T ist, wohingegen die erzeugte Entropiemenge pro-portional zu ∆T 2 ist. Der Wärmeleitungsprozess lässt sichohnehin nur für hinreichend kleine ∆T durch einen linea-ren Zusammenhang zwischen ∆T und dem EntropiestromISbeziehungsweise dem Energiestrom I

Ebeschreiben. Das

impliziert aber, dass nichtlineare Beiträge wie der durch dieEntropieerzeugung vernachlässigbar seinmüssen.Wenn diesbei hinreichend kleinem ∆T erfüllt ist, hängen die Proportio-nalitätsfaktoren σ

S(T ) und λ(T ) zwischen ∆T einerseits sowie

ISund I

Eandererseits gemäß σ

S(T ) = λ(T )/T zusammen,wo-

bei λ(T ) die konventionell über den Energiestrom deûnierteWärmeleitfähigkeit ist. Die Proportionalität zwischen σ

S(T )

und λ(T ) ist durch die auf Flächenmit konstanter Temperaturfür den Zusammenhang zwischen Energiestrom und Entro-piestrom gültige Gleichung I

E= T ⋅ I

S(Gl. 10 in Abschnitt

1.10) begründet.Bei praktischenMessungen derWärmeleitfä-higkeit werden typischerweiseWerte von ∆T im Bereich von1% der Temperatur verwendet, um dieGültigkeit der linearenNäherung sicherzustellen. Da dieMessgenauigkeiten für dieAbsolutwerte von λ und T in der Regel im Bereich von einemProzent liegen, ist es völlig angemessen und keineswegs will-kürlich, den Mittelwert solch kleiner T-Intervalle als Eintrag

für die aus derMessung resultierendeWertetabelle von σS(T )

oder λ(T ) zu verwenden. Das Konzept der Entropieleitfähig-keit ist daher zwanglos vereinbar mit der konventionell überdas Fourier’sche Gesetz deûnierten Wärmeleitfähigkeit.

3.3 Freie Expansion

DieGutachterwenden ein, dass die inAbschnitt 2.7 gegebeneBeschreibung der irreversiblen Expansion eines (nicht not-wendigerweise idealen) Gases in das Vakuum unrichtig sei.Diese Behauptung gründet sich auf die Lesart der Gutachter,dass sich die auf Seite 41 des KPK angegebenen Beobachtun-gen

1. Wenn man einem Gas Entropie zuführt, nimmt dieTemperatur zu,

2. wenn man ein Gas bei konstanter Entropie expandiert,nimmt die Temperatur ab.

direkt auf den Prozess der freien Expansion ins Vakuumbeziehen. Dies geht aus dem Text aber nicht hervor. Die Au-toren des KPK erinnern den Leser an dieser Stelle nur andiese bekannten Eigenscha�en eines Gases, um möglicheErwartungen für das Versuchsergebnis zu begründen. Umdie bei diesem Prozess in der Realität au�retenden Kompli-kationen5 zu umgehen, werden nur der Anfangs- und derEndzustand vor und nach der Expansion betrachtet. Anstattnun den komplizierten und imDetail schwer zu beschreiben-den realen Prozess der irreversiblen Expansion zu betrachten,ersetzen die Autoren des KPK den realen Prozess durch dieVerkettung zweier reversibler Ersatzprozesse, nämlich eineisentrope Expansion unter Arbeitsleistung, und eine isocho-re Erwärmung, bei der dem Gas die bei der Expansion imersten Prozessschritt entzogene Energiemenge zusammenmit der entsprechenden Entropiemenge aus einemWärmere-servoir wieder zugeführt wird. Entscheidend für die Schluss-folgerung, dass die Temperatur eines (idealen) Gases bei derirreversiblen Expansion konstant bleibt, ist die Tatsache, dassder Anfangs- und der Endzustand des Gases bei dem rea-len und dem reversiblen Ersatzprozess identisch sind. DieseTatsache rechtfertigt die Aussage des KPK, dass sich »beideEòekte in der Wirkung gerade aufheben«.Ein solches Vorgehen wird von den Autoren konventionellerLehrbücher (vgl. z.B. Nolting, 2005, S. 179) sogar als das ein-zig mögliche bezeichnet, weil die traditionelle Darstellungder hermodynamik nur reversible Prozesse für quantitativbehandelbar erklärt. Dies liegt daran, dass bei irreversiblenProzessen die Entropieänderung bekanntlich von der Sum-me der zu- und abgeführten Entropiebeträge verschiedenist.Warum soll dieses von konventionellen Lehrbüchern vor-geschriebene Verfahren den Autoren des KPK nicht erlaubtsein?

5Das im Ausgangsbehälter enthaltene Gas expandiert näherungsweise adiabatisch und kühlt sich daher zunächst ab, während das in den anfangs leerenBehälter einströmende Gas adiabatisch komprimiert wird und sich zunächst erwärmt, bis der Prozess derWärmeleitung zu einem Temperaturausgleichzwischen beiden Behältern führt. Erst diese gemeinsame Endtemperatur kann mit der Anfangstemperatur verglichen werden.

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C. Strunk und K. Rincke, Universität Regensburg

Das Fazit der Gutachter zu diesem Teil des Gutachtens lautet:»Der Versuch des KPK, neben der Temperatur allein die Entro-pie in den Mittelpunkt des Unterrichts über dieWärmelehrezu stellen,muss als physikalisch irreführend und immer wie-der zu falschen Schlussfolgerungen führend angesehen werden.Er setzt zwei physikalisch unterschiedliche Größen gleich undbegeht damit einen elementaren Fehler. Die an den Anfanggestellte, fundamental falsche Identiûkation von Entropie undWärme führt sofort zu Widersprüchen. Wie die oben beschrie-benen Beispiele zeigen, fallen die Autoren des KPK zum Teilselbst darauf herein, wie z.B. bei der Expansion eines idealenGases ins Vakuum. Wie könnte ein solcher Zugang für Schülereinfacher verständlich sein? Während die physikalisch richtigeErklärung der Entropie fehlt, dass sie nämlich über den Ablaufirreversibler Vorgänge entscheidet und angibt, wieviele Zustän-de ein System einnehmen kann, führt sie der KPK unnötiger-weise als Komplikation ein, wo der Begriò der Wärmemengeausreichen würde«. Im Gutachten werden Aussagen falsiû-ziert, die entweder im Text des KPK nicht enthalten, oderfachlich korrekt sind. Dagegen wird das Fehlen von wich-tigen Aussagen moniert, die im Text sehr wohl enthaltensind.

4 Magnetische Ladungen und der Begri� des Vakuums inder Elektrodynamik

4.1 Magnetische Ladungen

Die Gutachter schreiben »Von Paul Dirac stammt die Speku-lation, dass es magnetische Ladungen und einen magnetischenMonopol als Elementarteilchen geben könnte.Die Existenzma-gnetischer Ladungen würde in den Maxwell-Gleichungen dieAsymmetrie zwischen der elektrischen Feldstärke und der ma-gnetischen Flussdichte beheben. Trotz intensiver Bemühungenist es bislang nicht gelungen, experimentell isolierte magne-tische Ladungen nachzuweisen. Entgegen dieser experimen-tell veriûzierten Tatsache, die auch in den Elektrodynamik-Unterrichtshilfen des KPK [2]6 anerkannt wird (S.15), geht derKPK in dem Lehrbuch für die Sekundarstufe 2, Band 1, Elek-trodynamik [3]7 von der Existenz magnetischer Ladungen aus(S.41)« Diese Passage überrascht in doppelter Hinsicht:

1. Es lässt sich schwerlich behaupten, dass die Nicht-Existenz magnetischer Monopole experimentell veriû-ziert sei.Dies stünde im ausdrücklichen Gegensatz zurin der empirischenWissenscha� allgemein geteiltenerkenntnistheoretischen Grundposition, nach der dieNicht-Existenz eines experimentellen Befundes nurfalsiûziert, niemals aber veriûziert werden kann.

2. Die Gutachter gehen davon aus, dass die im KPK mitdem Wort ›magnetische Ladungen‹ bezeichneten Ob-jektemagnetischeMonopole seien.Dies steht im expli-

ziten Gegensatz zum Text des KPK, in dem es auf ebendieser Seite heißt: »Die gesamtemagnetische LadungeinesMagneten ist Null [Hervorhebung im Original].Das ist anders als bei der elektrischenLadung.Man kanneinem Körper eine [...] geringe elektrische Nettoladunggeben. Dieser Unterschied zwischen elektrischer undmagnetischer Ladung ist sehr wichtig. Er hat zur Folge,dass es zwar elektrische Ströme (�ießende elektrische La-dung) gibt, aber keinemagnetischen Ströme (�ießendemagnetische Ladung).« Oòenbar war es die ausdrück-liche Absicht der Autoren des KPK, bei ihren Leserngenau dieses Missverständnis – dass magnetische La-dungen identisch mit magnetischen Monopolen seien– zu vermeiden, und auf den zentralen Unterschiedzwischen frei beweglichen elektrischen und gebunde-nen magnetischen Ladungen hinzuweisen. Dennochstellen die Gutachter weiter unten erneut fest: »Dasnaheliegende Experiment ist, den Stabmagneten ausein-ander zu sägen (vgl. Abb.6). Wie wir wissen, entstehendabei nur zwei neue Stabmagneten und keine isolierteLadung. Das ist kein Einzelfall, sondern wie oben schonberichtet ist bisher die Suche nach magnetischen Mono-polen erfolglos geblieben. Also gibt es für magnetischeLadungen bisher keine experimentelle Rechtfertigung.«

Diese Aussagen im Gutachten stehen im Gegensatz zu denenin hochangesehenen klassischen Lehrbüchern. Beispielswei-se liest man in dem neu bearbeiteten Gerthsen (Meschede,2006, S. 363): »In gewissen Fällen liegt es jedoch nahe, ander Vorstellung räumlich konzentrierter ›magnetischer Ladun-gen‹ festzuhalten. Bei langen Spulen oder Stabmagneten (Län-ge l) könnte man an den Polschuhen, wo praktisch alle B⃗-Linien aus- oder einströmen, annähernd punktförmige ›ma-gnetische Ladungen‹ oder Polstärken ±P anbringen, sodasssich das magnetischeMoment der Spule oder des Stabes ergibtals µ = P l .«Daher ist umso überraschender, dass das Gutachten mit derfolgendenAussage fortfährt: »Die Frage ist nicht, ob esmagne-tische Ladungen gibt oder nicht, sondern, ob ihre Einführungzweckmäßig ist. Das nun ist ein Argument, das das Vorgehendes KPK in den Augen seriöser Wissenscha�ler vollständig dis-kreditiert. Es ist ein oòensichtliches Beispiel dafür, wie im KPKfundamentale physikalische Tatsachen zugunsten didaktischerÜberzeugungen verbogen werden.« Auch hier werden Aussa-gen des KPK als falsch oder irreführend hingestellt, obwohlin etablierten konventionellen Lehrbüchern ähnliche Aussa-gen zu ûnden sind. Bei unvoreingenommener Betrachtungdes Textes (Herrmann, 2010a, S. 41ò)wird oòensichtlich, dassdie KPK-Autoren von magnetischen Ober�ächenladungenund nicht von magnetischen Monopolen sprechen – so wieandere konventionelle Lehrbücher auch (Meschede, 2006Jackson, 1975).

6Herrmann (2002).7Herrmann (2010a).

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ZumGutachten der DPG über den KPK

Die Gutachter schreiben weiter: »Die Arbeitsgruppe der Deut-schen Physikalischen Gesellscha� ist der Ansicht, dass auch inder Schule nur experimentell belegbare Fakten vermittelt wer-den dürfen und dazu eine didaktischeMethode gesuchtwerdenmuss und nicht umgekehrt physikalische ›Fakten‹ erfundenwer-den dürfen, damit die didaktischeMethodemöglichst elegantwird.« Wir halten diese Aussage für zustimmungsfähig undgehen davon aus, dass sie allgemein geteilt wird. Jedoch fehltbis zu dieser Stelle (und auch im Folgenden) der Nachweis,dass die Autoren des KPK experimentelle Fakten erfundenhätten.

4.2 Zur fachlichen Ergänzung des Gutachtens:Die Frage der Interpretation der Quellen des H⃗-Feldes

In ihrer fachlichen Ergänzung des Gutachtens verwendendie Autoren – in überraschendem Gegensatz zu ihrem Gut-achten – einige Seiten darauf, Dinge zu erklären, die im KPKganz genauso gesehen werden, nämlich, dass dieQuellen desH⃗-Feldes Senken der Magnetisierung M⃗ sind. Dabei behar-ren dieGutachter allerdings auf ihrer Lesart, dass die im KPKbeschriebenen magnetischen Ladungen magnetischeMono-pole im Sinne Diracs seien. Dass diese Lesart (bei positiverBetrachtungsweise) ein Missverständnis ist, wird beispiels-weise im Vorlesungsskript von F. Herrmann8 deutlich, womagnetische und elektrische Größen zueinander in Bezie-hung gesetzt werden und ausdrücklich von ›magnetischenScheinladungen‹ an den Enden eines Magneten die Rede ist.Noch ausdrücklicher: Es wird gesagt, dass die elektrischeLadungsdichte auf der magnetischen Seite Null zu setzen ist‚»denn es gibt keine freiemagnetische Ladung« (S. 52 unten).Wie in der fachlichen Ergänzung von den Gutachtern festge-stellt, ist es genauso möglich das B-Feld eines Dauermagne-ten durch die Ampere’schen Molekularströme, nämlich diegebundenen (elektrischen) Ober�ächenströme µ0rot M⃗ zubeschreiben. Dies liefert genau dieselben Beziehungen zwi-schen B⃗, H⃗ und M⃗ wie die im KPK zur Erklärung benutzten(ebenso gebundenen) magnetischen Ober�ächenladungen.Letztere stellen das exakte Analogon der in Zusammenhangmit dielektrischen Medien au�retenden und ebenfalls an dieOber�ächen gebundenen Polarisationsladungen dar. Wiederliegt ein Beispiel vor, in dem zwei verschiedene Erklärungen(magnetischeOber�ächenladungen vs. elektrischeOber�ä-chenströme) zu exakt derselben Phänomenologie führen unddaher experimentell nicht zu unterscheiden sind. Gegen elek-trische Ober�ächenströme spricht, dass das Magnetfeld vonDauermagneten in der Regel von Elektronenspins erzeugtwird, die sich bekanntlich nicht auf die orbitale Bewegungeiner elektrischen Ladung zurückführen lässt.

4.3 Äther/Vakuum

Das Gutachten zu diesem Abschnitt beginnt wie folgt: »DerKPK stellt sich die Frage ([4]9, S.46): ›Worin läu� die elek-tromagnetischeWelle eigentlich? Wer oder was fungiert hierals Träger?‹ Obwohl diemoderne Physik beginnendmit denExperimenten von Fizeau sowie von Michelson undMorleydie Existenz eines solchen Trägers ausgeschlossen hat, schreibtder KPK weiter ([4], S.46): ›Daraufhin [oòenbar nach diesenExperimenten, (Anm. d. Gutachter)] gabman ihm [dem Trä-ger (Anm. d. Gutachter)] einen neuen Namen, denn mit demNamen Äther verbanden sich zu viele veraltete Vorstellungen.Dieser neue Name ist ‚Vakuum’, auf Deutsch ‚das Leere’. DenTräger der elektromagnetischen Wellen nennt man ‚Vakuum’.[...]Wenn man sagt, in einem Raumbereich beûnde sich Va-kuum, so meint man, dass sich dort zwar keine Materie imSinne der Chemie beûndet, wohl aber etwas anderes: ebender Träger der elektromagnetischen Welle. Solange keineWelledurch das Vakuum läu�, beûndet sich das Vakuum in seinem‚Grundzustand’‹«.Die Autoren des KPK-Textes sagen hier deutlich, dass mitdem Wort Äther veraltete Vorstellungen verbunden seien,welche sie nicht teilten. Dennoch unterstellen ihnen die Gut-achter eben jenes veraltete Verständnis, nämlich dass mitdem Wort ›Träger‹ dasselbe gemeint sei wiemit dem Begriò›Äther‹ zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dieser Unterstel-lung zu folgen erscheint uns unfair, sagen die KPK-Autorendoch schon in der nachfolgenden Passage »Man glaubte aberzunächst, Licht sei eine mechanischeWelle in diesem Äther,eineWelle bei der sich der Träger bewegt, genauso, wie sichbei Schallwellen die Lu� bewegt.« Die Autoren des KPK di-stanzieren sich also ausdrücklich von jenem inzwischen ver-worfenen Äthermodell. Ungeachtet dessen kommentierendie Gutachter weiter: »Der KPK argumentiert dagegen, dassdurch die Experimente zwar die BezeichnungÄther abgeschaùwurde, dass aber trotzdem die elektromagnetischen Wellen im-mer noch ein Trägermedium (ähnlich wie die Schallwellen)hätten. So dargestellt, entsteht einemindestens irreführende,wenn nicht falsche Vorstellung.« Es wird unseres Erachtenszu Unrecht unterstellt, dass die KPK-Autoren den elektroma-gnetischenWellen ein Trägermedium von derselben Naturwie den Schallwellen zuschrieben.Bemerkenswert ist, dass die Gutachter nachfolgend äußern:»Sie [elektromagnetischeWellen, Anm. d. Autoren] »brau-chen also weder den Äther noch das Vakuum als Trägermedi-um«, dieseÜberzeugung aber gleich im nächsten Satz wiederrelativieren: »Zwar kann man aufgrund der Quantenfeldtheo-rie das Vakuum als einen modernen Nachfolger des Äthersansehen«. Genau diese Aussagemacht auch der KPK auf Sei-te 46. Die Gutachter stellen weiter klar: »Ein entscheidenderUnterschied zum klassischen Äther ist aber, dass das Vaku-

8http://www.physikdidaktik.uni-karlsruhe.de/skripten (19. April 2013).9Herrmann (2010c)

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C. Strunk und K. Rincke, Universität Regensburg

um der Quantenfeldtheorie Lorentz-invariant ist, damit derRelativitätstheorie genügt und somit kein Bezugssystem aus-zeichnet.« Dies ist ohne Zweifel richtig. Entsprechend stehtim KPK-Text an keiner Stelle, dass das im KPK diskutierteTrägermedium ein Bezugssystem auszeichne. Wie sollte dasVakuum auch ein Bezugssystem auszeichnen?Die hese des Gutachtens »Die hier aufgeführten Beispielebelegen, dass der KPK nach dem gegenwärtigen Stand der wis-senscha�lichen Erkenntnis falsche Aussagen macht (Existenzmagnetischer Ladungen oder Monopole) oder durch unprä-zise Formulierungen falsche Vorstellungen hervorrufen kann(Vakuum)« lässt sich auch für dieses Beispiel nicht durchTextstellen im KPK belegen.

5 Anschlussfähigkeit

Die Anschlussfähigkeit ist eine wichtige Frage, die inhaltlichdiskutiert werden sollte. In dem Gutachten wird diese Fragezwar aufgeworfen, jedoch nur in einem recht eingeschränk-ten Sinn beantwortet: »Es ist dieAufgabe desPhysikunterrichts,den derzeitigen Stand der Physik so darzustellen, dass Schülerdie Phänomene der Natur und technische Geräte verstehenkönnen. [...] Dazu muss sich die Schulphysik an die natio-nal und international gebräuchlichen Begriòe halten, die denDialog innerhalb und außerhalb der Physiker-Gemeinscha�überhaupt erst ermöglichen und sich bei experimenteller Über-prüfung bewährt haben. Der Impulsstrom des KPK genügtdiesen Anforderungen nicht, was man daran sieht, dass dieserBegriò in gebräuchlichen national und international verbreite-ten Lehrbüchern für Studierende der Physik überhaupt nichtvorkommt. Dazu braucht man nur die Stichwortverzeichnisseverschiedener Lehrbücher anzuschauen. Im Index des Lehr-buchs Gerthsen Physik [6] wird 14-mal auf den Begriò derKra� hingewiesen, aber kein einziges Mal auf einen Impuls-strom.«Nachdem dasGutachten zuvor ausführlich die fachlicheRele-vanz des ›Impulsstroms‹ negiert hat, beschränkt sich dasGut-achten nun darauf, festzustellen welche Begriòe allgemeinverwendet werden. Das Abzählen von Stichwortverzeichnis-sen ist unseres Erachtens keine geeigneteMethode, um fest-zustellen, welche Begriòe in der Wissenscha�sgemeinscha�in welchem Maße geteilt werden. Selbst für den Fall, dassman entsprechende Resultate als Indizien für die Ablehnungoder Annahme eines Begriòs verwenden wollte, weisen wirdarauf hin, dass die uns vorliegende Ausgabe des Gerthsen(Meschede, 2006) den Begriò des Impulsstroms anmehrerenStellen im Fließtext verwendet (S. 171 und 239), sodass dieKompatibilität dieses vollständig mit der Kra� identischenBegriòes mit konventionelleren Darstellungen der Physikgegeben zu sein scheint. Andere angesehene Bücher verwen-den diesen Begriò ebenfalls – in Landau und Lifschitz (1991)taucht der Begriò ›Impulsstromdichte‹ sogar in dem ansons-ten sehr knappen Index auf.

Im Hinblick auf die Kritik der Gutachter an der Einführungvon Einheiten, die in der Physik nicht allgemein verwen-det werden, teilen wir den Standpunkt der Gutachter. Auchwenn diese aus der Sicht der KPK-Entwickler nützlich seinmögen, sind wir der Ansicht, dass die sich potenziell darausergebenden Kommunikationsprobleme vermieden werdensollten.Insgesamt würden wir aber die Frage für wichtiger halten,welche Vor- oder Nachteile Schülerinnen und Schüler erfah-ren, die nach den KPK unterrichtet wurden, wenn sie eineAusbildung oder ein Studium aufnehmen und später in dasBerufsleben eintreten. In den Diskussionen um den KPKbegegnet man immer wieder dem Hinweis, dass Schülerin-nen und Schüler, die nach diesem Kurs unterrichtet wur-den, nicht in gleicher Weise am öòentlichen Diskurs übernaturwissenscha�lichehemen teilnehmen könnten, da sieden Umgang mit einem verbreiteteren Begriò wie dem der›Kra�‹ nur am Rande gelernt und geübt hätten. Der Begriòdes Impulsstroms sei im Alltag ungebräuchlich.Das ist zunächst richtig. Richtig ist allerdings auch, dass derKra�begriò, wie ihn andere Konzepte einführen und wieer den Fachkolleginnen und -kollegen gewohnt ist, nur voneiner Minderheit der Schülerinnen und Schüler mit den Vor-stellungsbildern gefüllt wird, die im Physikunterricht inten-diert sind. Nach einschlägigen Untersuchungen liegen dieVorstellungen von der ›Kra�‹ in der Nähe der ›Energie‹, der›Vitalität‹ oder der ›Bewegung‹. Wenn im Alltag oder in po-pulärwissenscha�licher Literatur von ›Kra�‹ die Rede ist,muss man damit rechnen, dass die Kommunikationspartnerein buntes Bild von Vorstellungen aktivieren, und nur wenigdaran wird an den Physikunterricht erinnern.Aus den mit dem Fachbegriò Kra� verbundenen Verständ-nisproblemen darfman nun nicht schließen, dass der Begriòdes Impulsstroms die bessereWahl sei, ohne dies zuvor durchaussagefähige empirische Untersuchungen untermauert zuhaben. Diese Arbeiten sollten Auskun� darüber geben, wel-che Erfahrungen die Schülerinnen und Schüler, die nachdem KPK unterrichtet wurden, und solche, die Mechanikauf demWege eines anderen Konzepts kennen gelernt haben,in Studium und Beruf nun tatsächlich machen.Bezüglich der anschlussfähigen Gestaltung des KPK sehenwir auch dessen Entwickler in der P�icht. Eine Aussage wie»Den Namen Impulsstromstärke für dieGröße F gibt es seit An-fang des vorigen Jahrhunderts. Der Name Kra� für die GrößeF ist aber heute noch weit verbreitet, ja er wird sogar viel häu-ûger gebraucht als der Name Impulsstromstärke« (Herrmann,2010d, S. 32) halten wir zur Erreichung dieses Ziels für nichtgeeignet. Unserem Verständnis nach wird hier der Versuchunternommen, darüber zu entscheiden, welcher der Begriòe›Kra�‹ oder ›Impulsstromstärke‹ der zukun�sfähigere sei. Sowie wir oben die Argumentation der Gutachter kritisiert ha-ben, die auf das Zählen vonWörtern in einemGlossar hinauslief, so kritisieren wir auch den Versuch der KPK-Autoren,

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ZumGutachten der DPG über den KPK

darüber zu beûnden,welcherBegriò in der Fachgemeinscha�vorzugsweise zu verwenden sei.

6 Zusammenfassende Stellungnahme zumGutachten

Die in dem Gutachten aufgeworfenen fachlichen Fragen unddie Fragenach derAnschlussfähigkeit sind selbstverständlichlegitim. Wir hoòen diese Fragen so beantwortet zu haben,dass erkennbar ist, dass die Grundideen des KPK fachlichrichtig und die von den Gutachtern erhobenen Vorwürfe unbe-rechtigt sind.In Bezug auf die Frage nach der Anschlussfähigkeit sindwir der Überzeugung, dass diese in nachhaltiger Weise nurdurch belastbare empirische Untersuchungen beantwortetwerden kann. Wir halten die Argumentation des Gutachtensin diesem Punkt für zu vordergründig und erlauben uns imfolgenden noch einige Bemerkungen zur Wahrnehmung desKPK durch die Fachdidaktik und Fachwissenscha�.

7 Additum:Der Karlsruher Physikkurs imWettstreit mitkonkurrierenden fachdidaktischen Konzepten

Die Diskussionen um den Karlsruher Physikkurs in den letz-ten zwei Dekaden haben gezeigt, dass der KPK immer wie-der als fremdartig wahrgenommen wird. Wir formulierenan dieser Stelle eine Einschätzung dafür, woher dieseWahr-nehmung rühren könnte.Die Entwickler des KPK sind bei der Ausarbeitung einerfachlich wohlbegründeten konzeptuellen Idee gefolgt, es istdie Idee der Strömung physikalischer Größen. Folgerichtigbeginnt derKurs zurMechanik in derMittelstufemit der Ein-führung des Impulses als mengenartiger Größe (Herrmann,1995, S. 25ò.).Der Text diskutiert die Eigenscha�en der für dieSchülerinnen und Schüler neuen Größe in Zusammenhangmit den Größen Geschwindigkeit undMasse von Körpernund bettet dies in eine Reihe einfacher Beispiele aus demAlltag ein, bevor auf Seite 39 die Impulsstromstärke einge-führt wird, die auf Seite 40 als ein Synonym zum Wort Kra�identiûziert wird.10 Die Entscheidung der Entwickler, dieStrömung von Größen als Leitidee zu verwenden, bedingt ei-ne bestimmte Chronologie, in der Begriòe eingeführt werden.Diese Chronologie bildet zugleich in gewisser Weise auchdie Begriòshierarchie ab, nach der in diesem Kurs gearbeitetwird – Grundbegriòe werden zeitlicher früher eingeführt alssolche, die aus Grundbegriòen abgeleitet werden. Der Im-puls tritt als Grundbegriò auf, auf den alle später folgendenÜberlegungen zur Mechanik aufbauen. Die Entscheidung

für eine bestimmte leitende Entwicklungsidee induziert alsoeine speziûsche Begriòshierarchie, eine speziûsche Ordnungder Begriòe, nicht aber, dass neue physikalische Größen er-funden würden.11 Die (unzulässige) Gleichsetzung der ver-meintlichen Neuigkeit von Begriòen mit der Neuigkeit derOrdnung alter Begriòe scheint uns ein wesentlicher Quellfür vieleMissverständnisse.Es sei betont, dass die Entscheidung für eine bestimmteLeitidee in Zusammenhang mit jedem denkbaren Konzepteine jeweils eigene Chronologie der Einführung von Begrif-fen bedingt, und dass sich damit auch eine je eigene Ord-nung der Begriòe heraus stellt. Um dies an einem anderenBeispiel deutlich zu machen, greifen wir uns das Konzeptzur Mechanik heraus, dessen Grundideen in den 1970er Jah-ren von Walter Jung formuliert wurden, das in der Grup-pe um H. Wiesner an der LMU München in den 1990erJahren weiter ausgearbeitet wurde (vgl. u.a. Wiesner, 1994,Wodzinski &Wiesner, 1994a,Wodzinski &Wiesner, 1994b,Wodzinski &Wiesner, 1994c) und aktuell in weiter entwi-ckelter Form als Lehrtext für den Schulgebrauch vorliegt(M. Hopf, T. Wilhelm, C. Waltner, V. Tobias,H. Wiesner12).Die Entwickler dieses Konzepts folgen der Idee, dass Bewe-gungen physikalisch nicht ganzheitlich zu beschreiben sind(wie das in Begriòen wie »Kreisbewegung« oder »gradlini-ge Bewegung« ungünstigerweise suggeriert wird), sondernPunkt-für-Punkt. Eineweitere zentrale Idee ist die der gegen-seitigen Einwirkung von Körpern, die dann vorliegt, wenneine Änderung vonRichtung oder Tempo (Geschwindigkeits-betrag) beobachtet wird. Diese Leitideen bedingen, dass dasKonzept die Bedeutung des Terminus’ Richtung betont, dasses vonAnfang an einen vektoriellen Geschwindigkeitsbegriòvorsieht (anders als in vielen konventionellenKonzepten undim KPK), und dass es schließlich einen auf den ersten Blickungewöhnlichen deûnitorischen Zusammenhang zwischenKra�,Masse, Zusatzgeschwindigkeit und Einwirkungsdauervorstellt: F⃗ ⋅∆t = m ⋅∆v⃗.Auch hierwerdenweder neue Begrif-fe, geschweige denn eine neue Physik produziert, sondern»nur« eine bestimmte Ordnung der Begriòe.Verschiedene Ordnungen von Begriòen, wie sie durch un-terschiedliche fachdidaktische Entwicklungsideen erzeugtwerden, führen zu unterschiedlichen Schwerpunktsetzungenim Unterricht, zu unterschiedlichen Eignungen zur Beschrei-bung von Phänomenenbereichen, und sie führen auch dazu,dass in je eigener Weise auf lernhinderliche Alltagskonzepteeingegangen werden kann. Wenn ein Konzept auf seine Eig-nung für die Schule hin bewertetwerden soll, dannwirdmanunterschiedliche Fragen an seineWirkung richten:Wie istdieQualität des erworbenenWissens einzuschätzen?Welchepersönlichen Einstellungen undWerthaltungen zur Wissen-

10Durch die Einführung des neuen Wortes »Impulsstromstärke« wird das Problem der so genannten Polysemie gemildert, das immer dann entsteht, wennBegriòe, die aus dem Alltag bekannt sind (»Kra�«), in der Physik mit neuen Bedeutungen belegt werden sollen.

11Es sei der Hinweis gestattet, dass die Einführung von neuen Einheiten wie Huygens oder Carnot nicht mit der Einführung eines neuen Grundbegriòs zuverwechseln ist.

12Der Lehrtext ist unter http://www.thomas-wilhelm.net/Mechanikbuch_Druckversion.pdf (19. April 2013) abrufbar.

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C. Strunk und K. Rincke, Universität Regensburg

scha� Physik werden durch das Konzept begünstigt? In wel-chem Maß fördert es die Entwicklung von Motivation undInteresse? In welchem Maß gelingt es, lernhinderliche All-tagskonzepte zugunsten fachlich anschlussfähiger Konzepteaufzubauen?Die Konkurrenz unterschiedlicher fachdidaktischer Konzep-te stellt sich also als ein Wettstreit auf vielen Ebenen dar, derletztlich nur durch intensive empirische Arbeit überzeugendbetrieben werden kann. Ein Re�ex, Unvertrautes abzuleh-nen und womöglich die Erfahrungen aus der eigenen Schul-biograûe als Referenz für das Beûnden über Eignung oderNichteignung von Unterrichtskonzepten zu verwenden, istvor diesem Hintergrund nicht zielführend – zumal, wenndieser Re�ex von Hochschullehrern gezeigt wird, bei denenman davon ausgehen darf, dass sie stets zurMinderheit(!) der-jenigen gehört haben, die über alle Unzulänglichkeiten undWidersprüche der schulphysikalischen Darstellungsweisenhinweg die Physik »verstanden« haben.

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