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  • 8/8/2019 Zeit: Ein organisiertes Verbbechen

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    25. November 2010 DIE ZEIT No 48 21

    Zwischenhndler

    kauft die Ware an, zahlt Preis

    plus Mehrwertsteuer, verkauft die

    Ware mit Aufschlag weiter, kassiert

    vom Kunden den Preis plus Mehrwert-

    steuer und fhrt diese korrekt an das

    Finanzamt ab, lsst sich vom Finanz-

    amt aber die an die Betrgerfirma

    gezahlte Mehrwertsteuer

    (Vorsteuer) er-

    statten

    ... und

    lst sich auf,

    bevor das Finanzamt

    ihr auf die Schliche

    kommt. Geschfts-

    fhrer tauchen

    ab

    Das Karussell

    der Betrger

    Hndler verkauft

    teure Waren (wie

    Handy, Computerchips,

    Emissionsrechte)

    an deutsche

    Betrugsfirma

    .

    Betrgerfirma

    kauft Waren aus demAusland steuerfrei an,

    verkauft sie an einen

    deutschen Zwischenhndler,

    kassiert Preis plus 19 Prozent

    Mehrwertsteuer, fhrt sie

    aber nicht an das

    Finanzamt ab ...

    2.

    3.

    4.

    Hndler kauft die

    Ware, zahlt Preis plus

    Mehrwertsteuer, holt sich die

    Mehrwertsteuer vom Finanz-

    amt zurck und verkauft die

    Ware anschlieend legal und

    steuerfrei wieder ins Ausland.

    Das Karussell kann sich

    von Neuem

    drehen

    4.

    So funktioniert die Hinterziehung

    der Mehrwertsteuer

    Europ

    isc

    hes

    Au

    sla

    nd

    WIRTSCHAFTWall Street: Die Dealsdes Hedgefonds-ManagersSteve Cohen S. 29

    Wenn die Wirtschaft wchst, dann freuen sichPolitiker. Auch der Bundesverkehrsminister.Nur bedeutet Wachstum fr Peter Ramsaue r,dass ein Riesenproblem noch schneller alserwartet auf ihn zurollt. Bis zum Jahr 2025sollen im Gterverkehr 70 Prozent mehrWaren durchs Land transportiert werden. DieFrage ist nur: Auf welchem Wege? Schonheute sind die Straen dicht, die Schienenbelegt und die Mittel fr den Ausbau knapp.

    Verkehrspolitik ist deshalb eine Frage vonPrioritten. Und Ramsauer machte kurz nach

    Amtsantritt eine klare Ansage: Den Zuwachsim Gterverkehr knne unser Straennetznicht verkraften, sagte er im Dezember ver-gangenen Jahres. Er msste deshalb mglichstvollstndig auf die Schiene verlagert werden.Das wre gut fr die Umwelt. Denn Gterz-ge stoen pro transportierte Tonne auf einenKilometer rund zwei Drittel weniger des Kli-magases CO aus als schwere Lastwagen.

    Wachsen kann der Verkehr auf der Schieneaber nur, wenn die Engpsse im deutschenSchienennetz beseitigt werden.

    Heute, knapp ein Jahr spter, hat Ramsauerseinen Vorsatz offenbar aufgegeben. In seinem

    Aktionsplan, der den ganz groen Verkehrs-infarkt der Zukunft vermeiden soll, ist voneiner Verlagerung auf die Gterbahn kaumnoch die Rede. Stattdessen darf sich vor allemdie Straenlobby ber die geplanten 30 Einzel-manahmen freuen. Zum Beispiel lsst Rams-auer in mehreren Bundeslndern Gigalinertesten, riesige Laster, die von den Alpen biszur Nordsee fahren sollen. Gleichzeitig hatRamsauer die bereits beschlossene Mauterh-hung fr technisch veraltete und deswegenbesonders umweltschdliche Laster zurck-genommen. Und er lsst an den Autobahnenzustzliche Parkpltze fr Lastwagen bauen.Mit Gterverkehr scheint Ramsauer vor allemLkw-Verkehr zu meinen. Die Autoindustrieklatscht Beifall.

    Zwar erklrte der Verkehrsminister amMontag erneut, er wolle nach wie vor einenmglichst groen Anteil des zustzlichenVerkehrs auf die Schiene bringen. Aber erhandelt nicht so. Gerade erst hat sein Minis-

    terium neun Bahnprojekte von der Liste derBauvorhaben gestrichen, weil sie sich nichtrechneten. Gleichzeitig hlt er an Prestigestre-cken wie den ICE-Trassen von Nrnberg nachErfurt und von Wendlingen nach Ulm fest,obwohl sie fr den Gterverkehr nahezu nutz-los sind. Auf diese Weise wird viel Geld ver-graben, das an anderer Stelle sinnvoller in-vestiert wre. Elf Milliarden Euro wrden lauteiner Studie fr das Umweltbundesamt rei-chen, um das deutsche Schienennetz fr denGterverkehr etwa doppelt so leistungsfhigzu machen wie heute. Ein Vorhaben, das sichlohnen wrde.

    Dagegen die Realitt: Mehr als 70 Pro-zent der Waren werden hierzulande auf derStrae bewegt, nur 17 Prozent auf derSchiene. Und Ramsauer scheint daran we-nig ndern zu wollen. KERSTIN BUND

    Falsche AnsageDer Verkehrsminister knickt vorder Lkw-Lobby ein

    G T E R V E R K E H R

    Kopf und Haupt60 SEKUNDEN FR

    Wer nur Bahnhof versteht, wei gerade maldie Hlfte. Erst der vordere Teil des Wortesverrt Kennern, worum es sich handelt: einenDurchgangs-, Trennungs, Kreuzungs- oder gar

    Anschlussbahnhof? Schon ein Blick auf Wi-kipedia erffnet die faszinierende Vielfalt ur-baner Schienenverkehrsarchitektur. Dochnicht bei allen Bahnhofsformen ist die Ab-grenzung trennscharf mglich, wie der Streitum Stuttgart 21 zeigt: Der Hauptbahnhof derSchwabenkapitale ist ja bekanntlich ein Kopf-bahnhof, wobei man sich fragen kann, worindenn der Unterschied liegt. Im Duden stehenKopf und Haupt synonym, sodass folglich

    jeder Kopf- ein Hauptbahnhof sein msste.Ist er aber nicht, weswegen man ihn korrekter-weise Sack- oder Der-Zug-wechselt-hier-die-Fahrtrichtung-Bahnhof nennen msste. Ge-legenheitspassagiere erkennen ihn brigensdaran, dass die Rentnerinnen im Abteil schlag-artig die Seite wechseln, sobald der Zug zumHalten gekommen ist, weil ihnen beim Rck-

    wrtsfahren immer bel wird. Allein das wreGrund genug, Stuttgart 21 zu bauen.

    Viel spannender ist die Frage, wie sich derSchlichter Heiner Geiler entscheidet, wenner demnchst sein Urteil spricht. Den Weg frStuttgart 21 zu ebnen hiee nmlich auch, eine

    Antwort auf die Frage zu finden, ob man je-manden kpfen kann, ohne ihn zu enthaup-ten. Das aber ist, wie jeder Scharfrichter wei,ganz groes Handwerk an der Grenze zur Un-mglichkeit. MARCUS ROHWETTER

    Es gibt Menschen in Deutschland,die kaufen bei der Bank Gold, umes zu verunreinigen. In kleinenfen schmelzen sie die Barren ein,werfen Kupfermnzen oder Drahtdazu und lassen das Gemisch er-kalten. Eine merkwrdige Pro-

    zedur, und man muss sich in den Untiefen desSteuerrechts auskennen, um zu begreifen, warumdas unreine Gold anschlieend wertvoller ist als dasreine. Um 19 Prozent wertvoller.

    Es liegt an der Mehrwertsteuer. Goldbarren dr-fen in Deutschland verkauft werden, ohne dass daraufMehrwertsteuer geschlagen wird. Fr verunreinigtesGold gilt diese Ausnahme nicht, bei einem Verkauffallen 19 Prozent Mehrwertsteuer an.

    Das nutzen Betrger aus. Sie bringen ihr Misch-metall zu einer Scheideanstalt und verkaufen es dort.Dabei kassieren sie den Materialpreis und obendrein19 Prozent Mehrwertsteuer. Hatten die Barren ur-prnglich 100 000 Euro gekostet, so ist aus ihnen

    ein Goldgemisch mit einem Verkaufspreis von, grob

    gerechnet, 119 000 Euro geworden. Davon stehendem Einlieferer 100 000 Euro zu, 19 000 gehrendem Staat. Aber der bekommt sie nicht, weil derSteuerschuldner mit dem Geld abtaucht.

    Umsatzsteuerbetrug ist eine Spezialitt von KlausHerrmann. Er leitet das Referat Fahndung und Straf-achen in der Oberfinanzdirektion (OFD) Koblenz

    und hat viele Jahre Fronterfahrung. Die Goldmaschekennt er schon lange. Aber seit Anfang des Jahrescheint es da richtig abzugehen, sagt er.

    Es ist ein Vergehen mit lokalen Strukturen. Tat-orte: Koblenz, Pirmasens, Traunstein, Pforzheim.Ttergruppen kommen aus der Trkei oder Syrien,aber auch Deutsche, Franzosen und Osteuropermischen mit. Nicht nur mit der Verunreinigung vonGold lsst sich Geld machen. Manche Betrger kau-fen Schmuck und Zahngold auf, andere schmuggelnAltgold aus dem Ausland ein. Sie liefern es bei Gro-hndlern ab. Beim Ankauf von privat wird keineUmsatzsteuer fllig, der Weiterverkauf luft auf Rech-nung. Dafr bezahlt der Grohndler die Mehrwert-teuer holt sie sich aber vom Finanzamt zurck.

    Vorsteuerabzug heit das, es ist der entscheiden-de Mechanismus, ohne den der Umsatzsteuerbetrugmeistens unmglich wre. Der Staat erlaubt den Ab-zug, weil die Umsatzsteuer als Steuer gedacht ist, dievom Endverbraucher getragen werden soll. Unter-nehmen sollen damit also nicht belastet werden. ImPrinzip funktioniert das so: Wird eine Ware von einerFirma an eine andere geliefert, ist die Steuer fllig.Das Empfnger-Unternehmen kann sie sich abererstatten lassen. So wird auf jeder Stufe der Verarbei-ung eines Produktes nur der dabei geschaffene Mehr-

    wert besteuert deshalb heit solch eine Umsatz-teuer auch Mehrwertsteuer. Der letzte Kufer in der

    Kette trgt die ganze Last.Das System hat einen groen Nachteil. Es basier t

    auf Vertrauen und setzt die Ehrlichkeit und die Mit-

    arbeit der Unternehmer voraus deshalb ist es anfl-lig fr Hinterziehungen und Betrgereien. Inzwischenist der Umsatzsteuerbetrug neben dem Drogenhandeleines der eintrglichsten Geschftsmodelle fr Klein-kriminelle wie fr die Organisierte Kriminalitt. Jahrfr Jahr bestehlen sie den deutschen Staat um zwei-stellige Milliardenbetrge, die EU-Lnder insgesamtgar um geschtzte 100 Milliarden Euro.

    Privatanlegern, die ihr Spargeld zwecks Steuer-betrug ins Ausland schaffen, kommt der Fiskus aufdie Schliche, seit er auf Daten-CDs von Schweizerund Liechtensteiner Banken zurckgreifen kann. DenUmsatzsteuerbetrug aber knnen die Fahnder desStaates kaum eindmmen, obwohl er wohl nochteurer ist. Nach meiner Einschtzung ist der Schadenfr den Staat bei der Umsatzsteuer hher als bei denKapitalertrgen, sagt Konrad Vetter, Leitender Re-gierungsdirektor in der Oberfinanzdirektion (OFD)Karlsruhe und dort fr die Steuerfahndung undStrafsachen zustndig.

    Nicht dass die Fahnder immer scheitern. In Mann-heim zum Beispiel haben sie gerade sechs Tter

    inhaftieren knnen. In Rheinland-Pfalz habenErmittler jngst eine Gold-Betrugsstrukturaufgedeckt, bei der 17 Millionen Euroverschwanden. Unter den Ttern gab eseine Hierarchie wie beim Milit r, wiedie Ermittler beim Abhren vonTelefongesprchen erfuhren. DieHintermnner sprachen von denKleinlieferanten als Soldaten.Die Fahnder ihrerseits nennendiese kleinen GoldankuferSchreiber, weil sie Rechnun-gen schreiben, mit denen dieKomplizen dann den Fiskusabzocken. Das Recht, eineRechnung zu schreiben, ist wieeine Lizenz zum Gelddrucken,erklrt Vetter. 19 Prozent kriegtder Empfnger von Vater Staat.Das ist wie ein Gutschein, den maneinlst.

    Die Soldaten nehmen beim Ver-kauf des Goldes Umsatzsteuer ein,fhren sie aber nicht ab. Bevor ihnen dasFinanzamt auf die Schliche kommt, sind sieweg, meist im Ausland. Von ihrer Beute drfensie einen Teil behalten. Das meiste Geld aber flietzu den Organisatoren des Betrugs. Manchmal sinddas Bandenchefs im Hintergrund, manchmal aberdie Grohndler selbst.

    Die geben sich als ehrbare Kaufleute. Auf demPapier sieht es meist auch danach aus. Diese Betrgerhaben eine Buchhaltung und einen Steuerberater, sieknnen Rechnungen vorweisen und haben die vonihnen selbst vereinnahmten Umsatzsteuern korrektabgefhrt. Den Fahndern fllt es schwer, den Nach-weis zu fhren, dass die groen mit den kleinen Be-trgern kooperiert haben. Dass sie wussten, dass der

    Kleine mit der Steuer trmen wrde. Und dass dieBeute geteilt wurde.

    So etwas ist kaum zu ermitteln, wenn die Fahndernicht observi eren und Telefone abhren. Was sie in-zwischen tun. In Rheinland-Pfalz haben sie die Zu-sammenarbeit mit der Polizei intensiviert. Oft habenes die beiden Behrden mit derselben Klientel zu tun.Wir wissen von Junkies, die als Schreiber fungiertenund damit so viel Geld machten, dass sie anfangenkonnten zu dealen, sagt Herrmann.

    Die Umsatzsteuer ist eine der wichtigsten Finan-zierungsquellen des Staates, dieses Jahr wird der Fiskusetwa 180 Milliarden Euro einnehmen. Den Schaden,den Hinterzieher anrichten, schtztedas ifo Institut zuletzt fr das Jahr2008, danach belief sich der Steu-erausfall auf 17 Milliarden Euro.Das hiee: Fast jeder zehnteSteuer-

    Euro landet nicht inder Staatskasse. Das Geld wrde fast ausreichen, dieSozialhilfe zu finanzieren.

    Allerdings ist nicht jeder verlorene Steuer-Eurodas Ergebnis von Kriminalitt: Wenn Unterneh-men pleitegehen, bleiben sie auch Umsatzsteuernschuldig. Und die Schwarzarbeit fhrt ebenfallsdazu, dass der Staat weniger Mehrwertsteuer ein-nimmt, als ihm zusteht.

    Einen von Kriminellen verursachten Groschadenhat der Fiskus jngst im Handel mit Emissionsrech-ten erlitten. Die CO-Zertifikate erlauben es Firmen,eine bestimmte Menge von Abgasen auszustoen.Ein Handelsgut, das nicht transportiert werden muss,eignet sich vorzglich fr diese Form der Abzocke.Als die deutschen Finanzbehrden von den britischengewarnt wurden, war es zu spt. Kriminelle hattensich, als serise Geschftsleute getarnt, bei den Finanz-mtern hohe Vorsteuerbetrge erstatten lassen. DerSchaden wird auf 180 Millionen Euro geschtzt.

    Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt durch-forstet derzeit die Unterlagen und Festplatten, die siebei einer bundesweiten Razzia im April sichergestellt

    hat. 1000 Beamte hatten 230 Bros und Woh-nungen durchsucht. Die Staatsanwlte er-mitteln gegen 150 Beschuldigte, es geht um50 Firmen. Sie waren auch bei der DeutschenBank, mehrere ihrer Mitarbeiter stehen unterVerdacht. Whrend die Bank behauptet, beider Auswahl ihrer Geschftspartner sorgfltig

    gewesen zu sein, glauben die Ermittler, dass

    Banker mit Betrgern gemeinsame Sachegemacht haben knnten.Die Staatsanwlte haben Indizien

    fr Karussell-Geschfte gefunden.Dabei handelt es sich um die K-

    nigsklasse des Umsatzsteuer-betrugs. Das Prinzip: Einedeutsche Firma importiert eineWare aus dem europischen Ausland. Das ist steuerfrei,seit 1993 der europischeBinnenmarkt geschaffenwurde. Sie verkauft die Warean eine deutsche Firma wei-ter, schlgt die Mehrwert-steuer auf, fhrt sie abernicht ab. Die Empfngerfir-ma holt sich die Vorsteuer zu-

    rck und verkauft die Waresteuerfrei in Ausland. Sind die

    Tter abgebrht, lassen sie dasKarussell mehrere Runden wei-

    terfahren. Eine Station in der oftmalslangen Handelskette ist regelmig

    eine Scheinfirma. Experten nennen sieden missing trader: ein Hndler, der irgend-

    wann von der Bildflche verschwindet. Mitsamtden Steuer-Millionen.

    Die Umsatzsteuer ist ins Visier von Ttergruppender Organisierten Kriminalitt geraten, die multi-national operieren und Schwachstellen einzelner EU-Staaten systematisch ausnutzen, schrieb der Koblen-zer OFD-Mann Herrmann im Februar an den Fi-nanzausschuss des Bundestags. Fr schlimmer als denSteuerausfall hlt der rheinland-pflzische Cheffahn-der, dass sich kriminelle Strukturen etablieren, die

    Ein organisiertes VerbrechenSteuerbetrger bestehlen die Staatskasse um Milliardenbetrge. Die Fahnder knnen sie nicht stoppen VON RDIGER JUNGBLUTH

    Fortsetzung auf S. 22