Zeit: Forschen mit Facebook

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orschen mit Facebook  Wissenschaftler nutzen Soziale Netzwerke als Labors für ihre soziologischen Studien VON CHRISTIAN HEINRICH D er traurigste Tag des Jahres 2010 war für die Deut- schen laut Facebook der 7.  Juli. Als die Nationalmann- schaft bei der Fußballwelt- meisterschaft in Südafrika mit 0 : 1 gegen Spanien verlor und damit das Finale verpasste, sank der »Facebook Happiness Index« auf sein Jahresmini- mum. Die Stimmung in dem Sozialen Netzwerk war demnach trüber als an jedem anderen Tag. Im Jahr 2007 hat das Unternehmen diesen Index eingeführt. Anhand von positiven und negativen Begriffen in den Statusmeldungen, die Facebook-Nutzer ins Netz stellen, ermitteln die Betreiber der Seite die kollektive Stimmung der Facebook-Gemeinde international, aber auch für einzelne Länder. Am schlechtesten bisher war demnach die Stimmung der Deutschen am 23.  Januar 2008. Am Vortag hatte sich der Film- schauspieler Heath Ledger das Leben genom- men. Und die höchsten der Gefühle, abseits von Feiertagen wie Weihnachten, Silvester und Ostern, zeigte die Nation am Tag nach der Wahl von Barack Obama zum Präsidenten der USA. »Der Index ist schneller und genauer als jede Umfrage, bei der immer auch die Gefahr besteht, dass man keine wahrheitsgemäßen Antworten erhält«, sagt der Sozialwissenschaftler Niels van Doorn, der zurzeit an der Johns Hopkins Uni- versity in Baltimore arbeitet. Schon wegen der Menge seiner Daten schlage der Facebook-Indi- kator bei der statistischen Genauig keit alle kon- ventionellen Erhebungen. »Eine Analyse dieses Umfangs ist erst mit den Sozialen Netzwerken im Internet möglich geworden.« Andererseits: Erdbeben, Tsunami und Reaktorunfall in Japan hinterließen keine Delle im Facebook-Index.  Waren die Deutschen von den Ereignissen völlig unbeeindruckt?  Auf Facebook äußern Menschen ihre Gedan- ken und Gefühle vor ihrem Freundeskreis. Und diese Entblößungen werden dauerhaft in einer Datenbank gespeichert. Der mangelnde Daten- schutz in Sozialen Netzwerken wird immer wieder kritisiert, aber für Soziologen und Psy- chologen können die Daten einen wertvollen Fundus dar- stellen. Manche sprechen schon von einer neuen Ära der em- pirischen Sozialforschung. Al- lein auf Facebook sind 700 Mil lionen Menschen angemel- det, die einander Nachrichten schreiben, Bilder und Videos mit einander teilen und ihre Lieblingslinks austauschen. Mit  jeder Aktivität offenbaren sie ein bisschen mehr über ihr Leben, ihre Ansich- ten, Sehnsüchte und Abneigungen. Niels van Doorn hat bereits vor einigen Jah- ren fünf Wochen lang die Mitteilungen, die ein Kreis von 19 niederländischen Freunden im So- zialen Netzwerk Myspace untereinander aus- tauschte, mit deren Einverständnis protokolliert und analysiert. Er sammelte Hunderte von Nachrichten, angefangen vom Austausch über die Erlebnisse im Nachtclub am Vortag bis hin zu Fragen nach geliehenen CDs. Die Kommuni- kation der Clique gliederte er in vier Bereiche: Popkultur, Nachtleben, Drogen und Sexualität. 2009 veröffentlichte er seine Ergebnisse in der ZeitschriftNew Media and Society – das Protokoll eines authentischen Austauschs, untersucht mit der Forscherlupe des Sozialwissenschaftlers. »Sol- che Daten hätte ich vor zehn Jahren kaum so un- kompliziert sammeln können«, sagt van Doorn. Ungeordnet ist die Datenflut zunächst ein rie- siger Haufen Informationsmüll. »Aber wer richtig sucht, findet darin unermesslich kostbare Daten- schätze, die nur darauf warten, von uns untersucht zu werden«, behauptet Sam Gosling, Psychologe an der University of Texas. In seinem Tonfall schwingt die Erregung des Goldgräbers mit, der in wertlosem Geröll nach Nuggets sucht. »Wir werden in den nächsten Jah- ren eine Menge über uns lernen!«  Aber lernen die Forscher dabei tatsäch- lich etwas über die Menschen – oder nur darü- ber, wie die sich darstellen? Ist das Verhalten in Sozialen Netzwerken tatsächlich authentisch? Oder schaffen sich die Beteiligten eine künstliche Identität, die mit ihrem »Offline-Verhalten« nur wenig zu tun hat? Die Ansicht, der Benutzer er- schaffe auf den Seiten ein geschöntes, idealisier - tes Bild seiner selbst, war in den vergangenen  Jahren weit verbreitet. Doch inzwischen gewinnt die Gegenthese an Boden: dass wir unsere Per- sönlichkeit einfach auf die Sozialen Netze aus- dehnen. Zeige mir dein Facebook-Profil, und ich sage dir, wer du bist.  Wer hat recht? Mitja Back, Psychologe an der Universität Mainz, wollte es wissen. Gemeinsam mit Kollegen, darunter auch Sam Gosling aus Texas, rekrutierte er 236 Nutzer von Facebook und StudiVZ aus Deutschland und den USA. Die Forscher verglichen die Persönlichkeit und Verhaltensweisen, die das Profil auf ihrer Internetse ite wider- spiegelt, mit dem Verhalten, das die Men- schen off line an den Tag legten. Sie machten mit den Testpersonen und jeweils vier Freunden Persönlichkeitstests, während sie den Charakter auf den Onlineprofilen von Fremden einstufen ließen. Das Ergebnis sei eindeutig gewesen, sagt Back: »In den Facebook-Profilen spiegeln sich reale Persönlichkeitseigenschaften wider.« Für Nicole Ellison, Medienwissenschaftlerin an der Michigan State University, war das keine Überraschun g. »Dass sich alles ändert, das dachte man schon beim Telefon, auch bei der E-Mail. Inzwischen sind diese Medien so gut in den All- tag integriert, dass wir gar nicht mehr darüber nachdenken. So wird es bei Sozialen Netz werk- seiten auch sein, so ist es heute bis zu einem ge- wissen Grad schon.« Mehr als 200 nur mit Facebook-Daten zu- stande gekommene wissenschaftliche Arbeiten wurden bereits veröffentlicht. Die Untersuchun- gen beschäftigen sich zum Beispiel mit der Frage, wie sich Facebook an Universitäten in der Lehre einsetzen ließe oder wie man durch Soziale Netz- werke die ärztliche Betreuung verbessern könnte.  Auch für Familienforscher ist das neue Medium interessant. »Früher haben sich selbst große Fa- milien regelmäßig an einem zentralen Ort ge- troffen, etwa im Haus des Ältesten«, sagt Janosch Schobin vom Hamburger Institut für Sozialfor- schung. »Eine norwegische Studie zeigt, dass auch Familienbeziehungen zunehmend auf Face- book gepflegt werden.« Man tausche Bilder, Videos, Neuig- keiten aus und stärke so den fa- miliären Zusammenhalt. »Ge- rade für verstreute Familien dürfte diese Möglichkeit auf Dauer immer attraktiver wer- den«, sagt Schobin. Nachdem die Globalisierung die Welt ver- größert hat, lassen Soziale Netze sie wieder näher zusammenrü- cken. Die Motivation aber ist dabei häufig die gleiche wie vor Hunderten von Jahren. Das größte Problem für die Forscher ist, überhaupt an die Daten zu kommen. Entgegen dem Vorurteil sind die Facebook-Ent- blößungen eben nicht für jeden zugänglich. Wer von außen etwa mit Suchrobotern versucht, an möglichst viele Nutzerdaten zu kommen, der erhält nur das, was die Mitglieder für jedermann öffent- lich zeigen – und das ist oft nicht mehr als der Name. Zudem verbietet Facebook diese Sammelei in seinen Nutzungsbestimmungen und droht mit Klagen. Nur in sehr wenigen Fällen hat die Firma anonymisierte Datensätze an externe Forscher wei- tergegeben. Die übliche Methode, die externe Forscher wie Janosch Schobin benutzen: Sie programmie- ren eine Anwendung, die mit Zustimmung der Nutzer die Aktivitäten automatisch aufzeichnet. Verweigert aber nur eine Handvoll Nutzer aus der Zielgruppe die Zustimmung, ist der Daten- satz schon nicht mehr repräsentativ. Gut dran sind die Wissenschaftler, die für Facebook selbst arbeiten – ihnen steht der ge- samte Datenbestand offen. Unter Leitung des Soziologen Cameron Marlow beschäftigt die Firma das Facebook Data Team, eine mehr als 15-köpfige Gruppe von Soziologen und Sta- tistikern. Von ihnen stammt auch der Facebook Happiness Index, den sie in- zwischen so weit verfeinert haben, dass sich die Daten auch gezielt für bestimmte Personenkreise auswerten lassen. Sind bei- spielsweise Mitglieder, die angegeben haben, in einer Beziehung zu sein, glücklicher als der Durchschnitt? Ja, sind sie. Natürlich beteuern die Facebook-Forscher, die Daten würden nur anonym verarbeitet und ließen keinen Rück- schluss auf einzelne Personen zu. Cameron Marlows Data Team hat auch eine  Antwort auf die Frage, mit wie vielen Mensch en Datenmonopol Nur die bei Facebook beschäftigten Forscher haben vollen Zugriff auf die Nutzerdaten man überhaupt eine wirkliche Beziehung haben kann. Die Grenze seien 150, offline wie online, postulierte vor einigen Jahren der Anthropologe Robin Dunbar von der Oxford University – mehr verkrafte unser Gehirn nicht. Tatsächlich scheint Facebook das zu bestätigen: Auch in Sozialen Net- zen gilt die Dunbar-Zahl, wie sie inzwischen ge- nannt wird. Die durchschnittliche Zahl an Freunden liegt bei 120. Und selbst wer mehr als 500 hat, kommuniziere nur mit einem knappen Dutzend von ihnen regel- mäßig direkt über Nachrichten, hat Mar- lows Team festgestellt. Und was ist mit der dunklen Seite von Facebook? Mit Online-Stalking, Mobbing und der  Weiterverbreitung peinlicher Partyfotos? Von den offiziellen Firmen-Forschern wird man darauf wohl kaum eine Antwort bekommen. Der Student Robert  Wilson von der University of Texas hat alle bisher erschienenen Forschungsarbeiten über das Soziale Netz gelesen und eine Handvoll zu den Problemen mit Facebook gefunden. So wurde etwa festgestellt, dass potenzielle Arbeitgeber Frauen in Vor- stellungsgesprächen strenger bewerteten, wenn sie vorher auf ihrem Facebook-Profil allzu offene, saloppe Äußerungen gefunden hatten. Umfragen in Unternehme n ergaben, dass Facebook-S urfen bis zu fünf Prozent der Produktivität schluckt.  All diese Forschungen sind nur die ersten Son- den, mit denen Wissenschaftler in das neue Sozial- geflecht vordringen. »Eine Menge ungelöster Fragen liegt vor uns«, sagt Sam Gosling. Wie gehen Men- schen zum Beispiel damit um, dass sie auf Face book ihre unterschiedlichen Freundeskreise nicht mehr voneinander trennen können? Offline differenzieren wir da sehr stark – seit Jahrhunderten. »Schon die Medici haben streng unterschieden zwischen Hei- ratskreisen und Handelskreisen und sind damit in beiden Kreisen ziemlich erfolgreich gewesen«, sagt Schobin. Auf Facebook sieht jeder »Freund« alle unsere Veröffentlichungen – der Kumpel aus dem Fußballverein wie der Chef im Büro. Viele Studen- ten zögern schon, wenn ihre Dozenten oder gar El- tern ihnen die Online-Freundschaft andienen. Sol- len die alle kompromittierenden Partyfotos sehen können? Die Möglichkeit von Face- book, Freunde bestimmten Gruppen zuzutei- len, hält Gosling noch nicht für ausreichend. Längst wirkt das Soziale Netzwerk auf unser reales Leben zurück. Es beeinflusst, welche Konzer- te wir besuchen, welche Produkte wir kaufen, wo wir essen gehen. »Vor fünf Jahren suchte man im Internet noch den Chinesen anhand der Speisekar- te aus. Heute schauen viele nur noch, wer ihn bei Facebook mit ›gefällt mir‹ markiert«, sagt Gosling. »Facebook ist eine neue Möglichkeit, Einfluss zu nehmen«, bestätigt auch der Medienwissenschaftler Cliff Lampe von der Michigan State University. Manches YouTube-Video wird erst durch eine Er- wähnung auf einem Facebook-Profil wirklich be- kannt, haben Forscher aus Zürich bereits 2008 ge- zeigt. Und so könnten die Sozialen Netze dazu führen, dass wir uns in einer immer mehr fragmen- tierten Öffentlichkeit wieder so orientieren wie einst unsere Vorväter: nämlich an dem, was unsere Freunde empfehlen. 37 1. Juni 2011 DIE ZEIT N o 23 WISSEN    I    l    l   u   s    t   r   a    t    i   o   n   :    N    i   e    l   s    S   c    h   r    ö    d   e   r    f    ü   r    D    I    E    Z    E    I    T    /   w   w   w  .   n    i   e    l   s     s   c    h   r    ö    d   e   r  .    d   e Gu t fürdie Umwe lt,gut fürSie. BI O-E RDGAS. BIO-ERDGAS gehörtdie Zukunft.Es wirdaus nachwachse ndenRohstoen produziert und besitzt Erdgasqualität. Außerdem ist es CO 2 -arm und leistet einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz. BIO-ERDGAS wird bei uns in Deutschland erzeugt und auch genutzt: Zum Beispiel als saubere Energie für Erdgas-Heizungen. Mehr Informationen unter der Infoline 0180 2 00 08 25* oder unter www.erdgas.info/bio-erdgas *6 Cent/ AnrufausdemNetzder Deutsc henTeleko m,max. 42Cent/Min.ausden deutsch enMobilfunknet zen.  Die erneuerbare Energie.  B  i  o  -  E  r  d  g  a  s .

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Facebook Wissenschaftler nutzen Soziale Netzwerkeals Labors für ihre soziologischen StudienVON CHRISTIAN HEINRICH

Der traurigste Tag des Jahres2010 war für die Deut-schen laut Facebook der 7.

 Juli. Als die Nationalmann-schaft bei der Fußballwelt-meisterschaft in Südafrika mit 0 : 1 gegen Spanien

verlor und damit das Finale verpasste, sank der»Facebook Happiness Index« auf sein Jahresmini-mum. Die Stimmung in dem Sozialen Netzwerk 

war demnach trüber als an jedem anderen Tag.Im Jahr 2007 hat das Unternehmen diesenIndex eingeführt. Anhand von positiven undnegativen Begriffen in den Statusmeldungen, dieFacebook-Nutzer ins Netz stellen, ermitteln dieBetreiber der Seite die kollektive Stimmung derFacebook-Gemeinde international, aber auch füreinzelne Länder. Am schlechtesten bisher wardemnach die Stimmung der Deutschen am 23.Januar 2008. Am Vortag hatte sich der Film-schauspieler Heath Ledger das Leben genom-men. Und die höchsten der Gefühle, abseits vonFeiertagen wie Weihnachten, Silvester undOstern, zeigte die Nation am Tag nach der Wahlvon Barack Obama zum Präsidenten der USA.

»Der Index ist schneller und genauer als jedeUmfrage, bei der immer auch die Gefahr besteht,dass man keine wahrheitsgemäßen Antwortenerhält«, sagt der Sozialwissenschaftler Niels vanDoorn, der zurzeit an der Johns Hopkins Uni-versity in Baltimore arbeitet. Schon wegen derMenge seiner Daten schlage der Facebook-Indi-kator bei der statistischen Genauig keit alle kon-ventionellen Erhebungen. »Eine Analyse diesesUmfangs ist erst mit den Sozialen Netzwerkenim Internet möglich geworden.« Andererseits:Erdbeben, Tsunami und Reaktorunfall in Japanhinterließen keine Delle im Facebook-Index.Waren die Deutschen von den Ereignissen völlig unbeeindruckt?

 Auf Facebook äußern Menschen ihre Gedan-ken und Gefühle vor ihrem Freundeskreis. Unddiese Entblößungen werden dauerhaft in einerDatenbank gespeichert. Der mangelnde Daten-schutz in Sozialen Netzwerkenwird immer wieder kritisiert,aber für Soziologen und Psy-chologen können die Dateneinen wertvollen Fundus dar-stellen. Manche sprechen schonvon einer neuen Ära der em-pirischen Sozialforschung. Al-lein auf Facebook sind 700Millionen Menschen angemel-det, die einander Nachrichtenschreiben, Bilder und Videosmiteinander teilen und ihreLieblingslinks austauschen. Mitjeder Aktivität offenbaren sie

ein bisschen mehr über ihr Leben, ihre Ansich-ten, Sehnsüchte und Abneigungen.Niels van Doorn hat bereits vor einigen Jah-

ren fünf Wochen lang die Mitteilungen, die einKreis von 19 niederländischen Freunden im So-zialen Netzwerk Myspace untereinander aus-tauschte, mit deren Einverständnis protokolliertund analysiert. Er sammelte Hunderte vonNachrichten, angefangen vom Austausch überdie Erlebnisse im Nachtclub am Vortag bis hinzu Fragen nach geliehenen CDs. Die Kommuni-kation der Clique gliederte er in vier Bereiche:Popkultur, Nachtleben, Drogen und Sexualität.2009 veröffentlichte er seine Ergebnisse in derZeitschriftNew Media and Society – das Protokolleines authentischen Austauschs, untersucht mitder Forscherlupe des Sozialwissenschaftlers. »Sol-che Daten hätte ich vor zehn Jahren kaum so un-kompliziert sammeln können«, sagt van Doorn.

Ungeordnet ist die Datenflut zunächst ein rie-siger Haufen Informationsmüll. »Aber wer richtig sucht, findet darin unermesslich kostbare Daten-schätze, die nur darauf warten, von uns untersuchtzu werden«, behauptet Sam Gosling, Psychologe

an der University of Texas. In seinem Tonfallschwingt die Erregung des Goldgräbers mit,der in wertlosem Geröll nach Nuggetssucht. »Wir werden in den nächsten Jah-ren eine Menge über uns lernen!«

  Aber lernen die Forscher dabei tatsäch-lich etwas über die Menschen – oder nur darü-ber, wie die sich darstellen? Ist das Verhalten inSozialen Netzwerken tatsächlich authentisch?Oder schaffen sich die Beteiligten eine künstlicheIdentität, die mit ihrem »Offline-Verhalten« nurwenig zu tun hat? Die Ansicht, der Benutzer er-schaffe auf den Seiten ein geschöntes, idealisier-tes Bild seiner selbst, war in den vergangenen

 Jahren weit verbreitet. Doch inzwischen gewinntdie Gegenthese an Boden: dass wir unsere Per-sönlichkeit einfach auf die Sozialen Netze aus-dehnen. Zeige mir dein Facebook-Profil, und ichsage dir, wer du bist.

 Wer hat recht? Mitja Back, Psychologe an derUniversität Mainz, wollte es wissen. Gemeinsammit Kollegen, darunter auch Sam Gosling aus Texas, rekrutierte er 236 Nutzer vonFacebook und StudiVZ aus Deutschland

und den USA. Die Forscher verglichendie Persönlichkeit und Verhaltensweisen,die das Profil auf ihrer Internetseite wider-spiegelt, mit dem Verhalten, das die Men-schen off line an den Tag legten. Sie machtenmit den Testpersonen und jeweils vier FreundenPersönlichkeitstests, während sie den Charakterauf den Onlineprofilen von Fremden einstufenließen. Das Ergebnis sei eindeutig gewesen, sagtBack: »In den Facebook-Profilen spiegeln sichreale Persönlichkeitseigenschaften wider.«

Für Nicole Ellison, Medienwissenschaftlerinan der Michigan State University, war das keineÜberraschung. »Dass sich alles ändert, das dachteman schon beim Telefon, auch bei der E-Mail.Inzwischen sind diese Medien so gut in den All-tag integriert, dass wir gar nicht mehr darübernachdenken. So wird es bei Sozialen Netzwerk-seiten auch sein, so ist es heute bis zu einem ge-wissen Grad schon.«

Mehr als 200 nur mit Facebook-Daten zu-stande gekommene wissenschaftliche Arbeitenwurden bereits veröffentlicht. Die Untersuchun-gen beschäftigen sich zum Beispiel mit der Frage,wie sich Facebook an Universitäten in der Lehreeinsetzen ließe oder wie man durch Soziale Netz-werke die ärztliche Betreuung verbessern könnte.

 Auch für Familienforscher ist das neue Mediuminteressant. »Früher haben sich selbst große Fa-milien regelmäßig an einem zentralen Ort ge-troffen, etwa im Haus des Ältesten«, sagt JanoschSchobin vom Hamburger Institut für Sozialfor-schung. »Eine norwegische Studie zeigt, dassauch Familienbeziehungen zunehmend auf Face-

book gepflegt werden.« Mantausche Bilder, Videos, Neuig-keiten aus und stärke so den fa-miliären Zusammenhalt. »Ge-rade für verstreute Familiendürfte diese Möglichkeit auf Dauer immer attraktiver wer-den«, sagt Schobin. Nachdemdie Globalisierung die Welt ver-größert hat, lassen Soziale Netzesie wieder näher zusammenrü-cken. Die Motivation aber istdabei häufig die gleiche wie vorHunderten von Jahren.

Das größte Problem für die

Forscher ist, überhaupt an die Daten zu kommen.Entgegen dem Vorurteil sind die Facebook-Ent-blößungen eben nicht für jeden zugänglich. Wervon außen etwa mit Suchrobotern versucht, anmöglichst viele Nutzerdaten zu kommen, der erhältnur das, was die Mitglieder für jedermann öffent-lich zeigen – und das ist oft nicht mehr als derName. Zudem verbietet Facebook diese Sammeleiin seinen Nutzungsbestimmungen und droht mitKlagen. Nur in sehr wenigen Fällen hat die Firma anonymisierte Datensätze an externe Forscher wei-tergegeben.

Die übliche Methode, die externe Forscherwie Janosch Schobin benutzen: Sie programmie-ren eine Anwendung, die mit Zustimmung derNutzer die Aktivitäten automatisch aufzeichnet.Verweigert aber nur eine Handvoll Nutzer ausder Zielgruppe die Zustimmung, ist der Daten-satz schon nicht mehr repräsentativ.

Gut dran sind die Wissenschaftler, die fürFacebook selbst arbeiten – ihnen steht der ge-samte Datenbestand offen. Unter Leitung desSoziologen Cameron Marlow beschäftigt dieFirma das Facebook Data Team, eine mehr als

15-köpfige Gruppe von Soziologen und Sta-tistikern. Von ihnen stammt auch derFacebook Happiness Index, den sie in-zwischen so weit verfeinert haben, dass

sich die Daten auch gezielt für bestimmtePersonenkreise auswerten lassen. Sind bei-

spielsweise Mitglieder, die angegeben haben, ineiner Beziehung zu sein, glücklicher als derDurchschnitt? Ja, sind sie. Natürlich beteuerndie Facebook-Forscher, die Daten würden nuranonym verarbeitet und ließen keinen Rück-schluss auf einzelne Personen zu.

Cameron Marlows Data Team hat auch eine Antwort auf die Frage, mit wie vielen Menschen

Datenmonopol

Nur die bei Facebook beschäftigten Forscher

haben vollenZugriff auf die

Nutzerdaten

man überhaupt eine wirkliche Beziehung habenkann. Die Grenze seien 150, offline wie online,postulierte vor einigen Jahren der AnthropologeRobin Dunbar von der Oxford University – mehrverkrafte unser Gehirn nicht. Tatsächlich scheintFacebook das zu bestätigen: Auch in Sozialen Net-zen gilt die Dunbar-Zahl, wie sie inzwischen ge-

nannt wird. Die durchschnittliche Zahl anFreunden liegt bei 120. Und selbst wermehr als 500 hat, kommuniziere nur mit

einem knappen Dutzend von ihnen regel-mäßig direkt über Nachrichten, hat Mar-lows Team festgestellt.

Und was ist mit der dunklen Seite vonFacebook? Mit Online-Stalking, Mobbing und der

  Weiterverbreitung peinlicher Partyfotos? Von denoffiziellen Firmen-Forschern wird man darauf wohlkaum eine Antwort bekommen. Der Student Robert

 Wilson von der University of Texas hat alle bishererschienenen Forschungsarbeiten über das SozialeNetz gelesen und eine Handvoll zu den Problemenmit Facebook gefunden. So wurde etwa festgestellt,

dass potenzielle Arbeitgeber Frauen in Vor-stellungsgesprächen strenger bewerteten, wennsie vorher auf ihrem Facebook-Profil allzu offene,saloppe Äußerungen gefunden hatten. Umfragen inUnternehmen ergaben, dass Facebook-Surfen bis zufünf Prozent der Produktivität schluckt.

 All diese Forschungen sind nur die ersten Son-den, mit denen Wissenschaftler in das neue Sozial-geflecht vordringen. »Eine Menge ungelöster Fragenliegt vor uns«, sagt Sam Gosling. Wie gehen Men-

schen zum Beispiel damit um, dass sie auf Facebook ihre unterschiedlichen Freundeskreise nicht mehrvoneinander trennen können? Offline differenzierenwir da sehr stark – seit Jahrhunderten. »Schon dieMedici haben streng unterschieden zwischen Hei-ratskreisen und Handelskreisen und sind damit inbeiden Kreisen ziemlich erfolgreich gewesen«, sagtSchobin. Auf Facebook sieht jeder »Freund« alleunsere Veröffentlichungen – der Kumpel aus demFußballverein wie der Chef im Büro. Viele Studen-ten zögern schon, wenn ihre Dozenten oder gar El-tern ihnen die Online-Freundschaft andienen. Sol-

len die alle kompromittierenden Partyfotossehen können? Die Möglichkeit von Face-

book, Freunde bestimmten Gruppen zuzutei-len, hält Gosling noch nicht für ausreichend.

Längst wirkt das Soziale Netzwerk auf unserreales Leben zurück. Es beeinflusst, welche Konzer-te wir besuchen, welche Produkte wir kaufen, wowir essen gehen. »Vor fünf Jahren suchte man imInternet noch den Chinesen anhand der Speisekar-te aus. Heute schauen viele nur noch, wer ihn bei

Facebook mit ›gefällt mir‹ markiert«, sagt Gosling.»Facebook ist eine neue Möglichkeit, Einfluss zunehmen«, bestätigt auch der MedienwissenschaftlerCliff Lampe von der Michigan State University.Manches YouTube-Video wird erst durch eine Er-wähnung auf einem Facebook-Profil wirklich be-kannt, haben Forscher aus Zürich bereits 2008 ge-zeigt. Und so könnten die Sozialen Netze dazuführen, dass wir uns in einer immer mehr fragmen-tierten Öffentlichkeit wieder so orientieren wieeinst unsere Vorväter: nämlich an dem, was unsereFreunde empfehlen.

37 1. Juni 2011 DIE ZEIT No 23 WISSEN

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