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M NTAGE Zeitschrift für differenzierte Wahrnehmung BERGKRISTALL GUSEN Nr. 1 / Dezember 2008

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M NTAGEZeitschrift für differenzierte Wahrnehmung

BERGKRISTALL

G U S E N

Nr. 1 / Dezember 2008

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Nr. 1 / Dezember 2008

GUSEN BERGKRISTALL ist das Thema der 2. Ausgabe von !Gusen war das größte Nebenlager des Konzentrationslagers Mauthausen. Die Lager Gusen II und Gusen III wurden ab 1940 zum Bau der unterirdischen Tunnelanlagen mit dem Decknamen Bergkristall in St. Georgen a. d. Gusen und Kellerbau in Gusen für die Produktion von Waffen und Flugzeugen errichtet.Mindestens 35.800 Menschen wurden getötet.Im Gegensatz zum KL Mauthausen, wo die Republik Österreich von den Alliierten zur Errichtung und zum Erhalt der Gedenkstätte KL Mauthausen verpflichtet wurde, verschwanden die Überreste und Spuren des KL Gusen aus der zeitgeschichtlichen Auseinandersetzung und der öffentlichen Erinnerung. Die Errichtung des Memorial Gusens rund um den noch erhaltenen Krematoriumsofen, ist den Überlebenden des KL Gusen zu verdanken. Erst in den letzten 10 Jahren erkannte die Republik ihre Verantwortung für die Erhaltung des ehemaligen Konzentrationslagers Gusen als Erinnerungsort.Ich lebe in der Nachbargemeinde von St. Georgen a. d. Gusen und bin auch hier aufgewachsen. 2007 habe ich mich aufgemacht, in Gusen und St. Georgen nach den lebendigen Spuren der Vergangenheit zu forschen. Gleichzeitig hörte ich von der Berufsgruppe der StrahlerInnen – Menschen, die in den Alpen nach Bergkristallen suchen.Ich besuchte die Ausstellung der Riesenkristalle in Flüelen/Schweiz. Die mächtige Schönheit der Bergkristalle möchte ich dem erdrückenden Grauen des National-sozialismus gegenüberstellen. Die abgebildeten Gebäude von Gusen und St. Georgen sind Zeugen aus der Vergangenheit in Originalbausubstanz!Mich interessiert die Frage nach den emotionalen, seelischen und körperlichen Folgen der Naziherrschaft für die überlebenden KZ-Häftlinge, deren Angehörige, die Bevölkerung…wie ist Weiterleben möglich? Was bedeutet dieses Erbe für die 2. und 3. Nachkriegsgeneration?Liebe LeserIn kein einfaches Thema, ich weiß – dennoch!Ich freue mich über Rückmeldungen z.b. unter [email protected] !Falls du auch weiterhin kostenlos erhalten möchtest, ersuche ich um eine kurze Mitteilung per Email!

Anna

Der sensationelle Fund eines klaren Riesenkristalls von einem Meter mit anderen Kristallen zu einer Gruppe verwachsen kann seit dem 1. März 2008 in einer permanenten Ausstellung bewundert werden. Die alte Kirche Flüelen wurde so umgestaltet, dass die grossen Rauchquarze, Bergkristalle und Rosa-Fluorite bestens zur Geltung kommen. Geheimnisvoll leuch-ten die kunstvoll arrangierten Kristalle in den dunkel gehaltenen Räumlichkeiten aus den Vitrinen. Es sind weit über 20 Einzel- und Kristallgruppen, jede von eindrücklicher Grösse und häufig auch bester Qualität ausgestellt.

Ausstellung der Riesenkristalle vom Planggenstock (UR)

Die Ausstellung ist ab dem 1. März 2008 permanent:

Ort: Alte Kirche Flüelen (im Dorfzentrum, neben Bahnhof)Zeiten: 10:00 - 18:00 UhrEintritt:Erwachsene Fr. 10.-;Kinder Fr. 5.-

EDITORIAL

Impressum

Herausgeberin: Anna Rafetseder Erscheinungsort: LuftenbergKontakt: [email protected]

Copyright © rafetseder

Alle Rechte vorbehalten.Jede Art von Vervielfältigung ist untersagt!

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Liebe LeserInnen,

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PROLOG

Die FaktenDie StrahlerInnen

StrahlerInnen werden besonders in der Schweiz die alpinen Kristall- und MineralsucherInnen genannt - in jüngster Zeit wird der Begriff auch außerhalb der Schweiz für MineralsammlerInnen allgemein verwendet.Der Name StrahlerIn kommt daher, dass auch die Kristalle „Strahlen“ (Einzahl „Strahl“) genannt werden und infolgedessen bezeichnet „strahlen“ die Tätigkeit, „strahlig“ kristallreich.

In der Schweiz wurden und werden die meisten Kristalle und Mineralien im Gebiet der Alpen ge-funden, hauptsächlich in den Kantonen Uri, Grau-bünden, Tessin, Wallis und Bern. Zum Suchen von Kristallen und Mineralien braucht es, nebst wenigen Ausnahmen, in den meisten Kantonen ein Strahler-Patent, welches bei den betreffenden Korporationen oder Gemeinden gegen eine Gebühr angefordert werden kann.Die Strahler pflegen einen Ehrenkodex. Wer eine Fundstelle mit seinem Namen markiert und ein Werk-zeug zurücklässt, stellt sicher, dass kein anderer Strahler sich an diesem Ort zu schaffen macht. Von einer Person dürfen gleichzeitig höchstens drei Fund-stellen im gleichen Fundgebiet belegt werden.Weil die Fundgebiete stark abgesucht sind, braucht es nebst fundiertem Wissen viel Ausdauer und Glück, um schöne Kristalle und Mineralien zu finden. Trotzdem werden diese unerreichten Kunstwerke der Natur immer wieder durch die Hände des Strahlers/der Strahlerin aus dem Dunkel ans Licht gebracht!

Das Konzentrationslager Gusen existierte seit 1940 als Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen.Dieses Nebenlager lag ca. 4,5 km westlich vonMauthausen bei der Einmündung des Flusses Gusen in die Donau, zwischen den Orten St.Georgen a.d. Gusen und Langenstein, Oberösterreich, Bezirkshaupt-mannschaft Perg.Es diente anfangs zum Betrieb der Steinbrüche Kasten-hof, Gusen, Pierbauer und der Ziegelei Lungitz. Diese gehörten der Deutschen Erd- und Steinwerke GmbH (DEST), eine Firma der SS. Von 1942-1944 wurden mehrere Montagehallen für die Rüstungsfirmen Steyr-Werke und Messerschmitt-AG, Regensburg errichtet. Es folgte die Herstellung von Flugzeugteilen, Karabi-ner, Maschinenpistolen, Sturmgewehre, Flugmotoren.

März 1944: Eröffnung von Lager Gusen II in St. Georgen a. d. Gusen für den Stollenbau zur unterirdischen Einzelanfertigung und Montage von DüsenjägernDezember 1944: Eröffnung Lager Gusen III nördlich von St. Georgen in Lungitz zum Betrieb der Ziegelei und Bäckerei LungitzGusen war in der Endphase größer als das Stamm-lager Mauthausen. Die Soll-Stärke der beiden großen Lager Gusen I+II (Gusen III hatte rund 300 Insassen) betrug ab Ende 1944 rund 25.000 Personen. Die DEST hatte ihre Zentrale mitsamt ihren Zivilange-stellten in St. Georgen, die Lager-SS (auch die SS des Stammlagers, vor allem die Offiziere) war zu einem großen Teil in Langenstein und St. Georgen ansässig. Dem Lagerkomplex Gusen kann daher eine ausge-

sprochen dominante Position für die umliegenden Orte zugeschrieben werden.

Tunnelanlage Bergkristall

1944 begann in unmittelbarer Nähe von Lager Gusen I und Gusen II ein umfangreicher Stollenbau zur unterirdischen Verlagerung der Flugzeug-produktion. Insgesamt 10 Kilometer Tunnel und mehr als 50.000 m² wurde in einer Breite von 6-8 m und Höhe von 10-15 m in den Granit und in die Sand-ablagerungen der Berge zwischen dem Steinbruch Kastenhof und St. Georgen gegraben. Die Stollen von „Bergkristall“ verfügten über eigene Gleisanschlüsse, gewaltig dimensionierte Lüftungssysteme und wurden sukzessiv mit einer Betonverschalung ausgekleidet. Mit diesem, unter dem Tarnnamen „BERGKRISTALL“ durchgeführtem Projekt erreichte der Komplex Mau-thausen/Gusen/St.Georgen gegen Kriegsende höchste Bedeutung für die Kriegsindustrie des ge-samten Deutschen Reiches. Im Sommer 1944 wurde bereits parallel zum Ausbau der Tunnelanlage mit der Produktion von Flugzeugbauteilen begonnen. Nach alliierten Geheimdienstberichten sollen in BERG-KRISTALL bereits 987 Düsenjäger am Fließband pro-duziert worden sein. Das Projekt unterlag größter Ge-heimhaltung! Diese Großbunkeranlage wurde in nur 13 Monaten Bauzeit von KZ-Häftlingen errichtet. Das KL Gusen II wurde infolge von Sterblichkeitsraten bis 98 % zu einem der schrecklichsten KZ Schauplätze in der europäischen Geschichte. Die mittlere Lebens-erwartung eines KZ-Häflings lag bei 4 Monaten.

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Paul von Känel und Franz von Arx

Während der Sommer- und Herbstmonate bearbeiten die beiden Berufsstrahler gemeinsam seit 14 Jahren die großen Klüfte am Planggenstock im Kanton Uri/Schweiz.Dabei arbeiten und leben sie unter einfachsten Bedingungen in 2600m Höhe und graben sich in mühevoller Handarbeit durch den harten Granit.Am 21.September 2005 gelang ihnen der sensationelle Fund:„Was uns hier nach Jahrmillionen der Dunkelheit im Licht einer Lampe entgegenleuchtet, hat all unsere Vorstellungen bei weitem übertroffen:Rauchquarze von Schönheit und Größe, wie man sie in den letzten 300 bis 400 Jahren in den Alpen wohl kaum gefunden hat, bis zirka 150 Kilogramm schwere Einzelkristalle, andere gut 1 Meter lang.“ (Eintrag aus dem Kluftbuch)

In der permanenten Ausstellung in Flüelen/Schweiz können diese einmaligen Kristalle bestaunt werden!

Nach Kriegsende wurden teilweise strategisch wich-tige Betriebsmittel durch US-Spezialtruppen sicherge-stellt und schließlich mit dem technologisch weniger bedeutenden Inventar ab August 1945 den Sowjet-Truppen übergeben. Der Großbunker selber wurde gesprengt. Alle Anlagen blieben bis zum Staats-vertrag sowjetisches Eigentum. In den darauffolgenden Jahren verfiel die Anlage.Erst 2001-2004 wurde sie von der Bundesimmobili-engenossenschaft restauriert, bzw. an jenen Stellen, über denen neue Häuser liegen (Einsturzgefahr), verfüllt.

Tunnelanlage KellerbauDiese befand sich hinter dem Lager Gusen I und wurde schon 1943 von KZ-Häftlingen angelegt mit einer Größe von 12.000m² . Hier waren Teile einer Maschinenpistolen-Fertigung der Steyr-Werke untergebracht.

Die Überlebenden und die Toten

Die Gesamtanzahl der von 25.5.1940 - 4.5.1945 im KZ Gusen (I,II,III) offiziell erfassten Häftlingen beträgt 67.667 Personen, wobei die tatsächliche Zahl weitaus höher ist.Von ihnen wurden 33.365 Menschen getötet dazu müssen noch jene nicht „offiziell registrierten Toten gezählt werden.Am 5. Mai 1945 – Tag der Befreiung - befanden sich im Umkreis von St. Georgen und Gusen (Gusen I,II,III) 21.207 namentlich erfasste überlebende Häft-linge, dazu ungezählte nicht registrierte ungarische Männer, Frauen und Kinder. Danach starben noch etwa 2000 an den Folgen der Gefangenschaft. Nach der Befreiung der Gusener Lager wurde seitens der U.S. Army eine massive Informationspolitik über die dort begangenen Verbrechen betrieben. Die Gusener Zivilbevölkerung musste bei der Beerdigung der Toten helfen und zum Arbeitseinsatz in den Lagern antreten.

NachgeschichteDas Lager Gusen II wurde von den amerikanischen Truppen komplett niedergebrannt. Das Lager Gusen I wurde durch die örtliche Gemeinde verkauft. Holz und Steine des Lagers wurden von der heimischen Bevölkerung als Baumaterial verwendet. Nach Übernahme durch die Sowjets führten diese die Steinbrüche weiter und nutzten die Lagerbaracken als Truppenunterkünfte. 1955/56 wurde der Häflings-friedhof in Gusen aufgelöst und die Mehrzahl der Toten auf dem Areal der Gedenkstätte Mauthausen beerdigt. Um den Krematoriumsofen entstand auf Betreiben ehemaliger französischer und polnischer Häftlinge eine inoffizielle Gedenkstätte.Nach Abzug der sowjetischen Truppen 1955 begann die Gemeinde Langenstein mit der Planung einer Wohnsiedlung auf dem Lagergelände. 1961 kauften ehemalige italienische Häftlinge das Grundstück, auf dem die Reste des Krematoriums standen, und schenk-ten es der Gemeinde, die im Gegenzug der Errich-tung einer Gedenkstätte an diesem Ort zustimmte.NachtragNach Kriegsende bestand für Mitglieder der NSDAP und mancher Organisationen eine Registrierungs-pflicht, die die Registrierten in drei Gruppen teilte: Kriegsverbrecher, Belastete (ca. 42.000) und Minder-belastete (495.000 Menschen). Die Minderbelasteten wurden mit der Nazi-Amnestie vom 21.April 1948 wieder in die Gesellschaft integriert und konnten 1949 an den Wahlen teilnehmen. Die Gefahr, dass die meisten ehemaligen Nationalsozialisten bei der Wahl für die ÖVP stimmen würden, die in Gmunden sogar Verhandlungen mit Repräsentanten der Nazis führte, brachte die SPÖ dazu, eine „Vierte Kraft“ bei der Parteibildung zu unterstützen, die das ehemalige deutschnationale Lager auffangen sollte. So wurde der Verband der Unabhängigen, später Freiheitliche Partei Österreich (FPÖ) ins Leben gerufen! 1957 erließ die österreichische Regierung schließlich eine Generalamnestie auch für schwerbelastete National-sozialisten.

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GUSEN Heute

KZ - Gedenkstätte Memorial Gusen / Besucherzentrum GUSEN Georgestrasse 6 A-4222 Langenstein Memorial um den ehemaligen Krematoriumsofen Übergang in das BesucherInnenzentrum mit Ausstellung

Riesenkristallgruppe mit Hauptspitze von ca. 1 Meter Länge

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Ehemaliger Haupteingang (Jourhaus) in das Konzentrationslagers Gusen, heute Wohnhaus im Jourhaus waren die Räume der SS-Lagerführung und -verwaltung und Verhörräume untergebracht ehemalige SS-Unterkünfte, heute teilweise noch bewohnt

Flüelen am Vierwaldstättersee Bergkristalle mit ca. 40 cm Durchmesser Bergkristallgruppe mit rosa Fluorite

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erhaltene ehemalige Lagergebäude , heute privat gewerblich genutzt Gelände des ehemaligen KZ Gusen, heute Wohnsiedlung Blick auf das Gelände des KZ Gusen Eingang Stollenanlage Kellerbau in Gusen Gelände um den Steinbruch mit Originalsteinbrecher im Hintergrund, heute Steinbruch in

Betrieb der Firma Poschacher Ehemalige Lagergebäude mit Steinbrecher

einzelne Bergkristalle ca. 50 cm hoch liegende Kristallspitze ca. 80 cm

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Züge rollen überKöpfe hinwegins Grabam Haus vorbeirollt die große Nothinter geschlossenen Vorhängen rollt diegroße NotZug um Zugaus dem Leben gerissen

Die Sonne will nicht untergehen an diesem Tagin tausend orangenen Farbenmit viel Luft und Licht und siesteht fast stillund will nicht untergehenin diesem letzten Augenblick eines Menschenlebens

ST. GEORGEN a.d. GUSEN Heute

Text der Gedenktafel: Schleppbahn - Dieser internationale Radweg (Donauradweg) verläuft an dieser Stelle auf der Trasse der ehemaligen Schleppbahn, welche ab 1943 das schreckliche Konzentrations- lager KL GUSEN I mit dem Bahnhof von St. Georgen a. d. Gusen verband. Tausende KZ-Häftlinge des ehemaligen KL GUSEN II wurden auch ab März 1944 entlang dieses kurzen Bahndammstückes täglich mehrmals für den mörderischen Arbeitseinsatz bei der Errichtung des in unmittelbarer Nähe befindlichen unterirdischen Düsenjäger-Montagewerkes „Bergkristall“ umgeschlagen Text der Gedenktafel: Schleppbahnbrücke - Im April 1941 von KZ-Häftlingen des ehemaligen

KL Gusen I über den Fluss Gusen errichtet. Für Tausende bedeutete die Fahrt über diese Brücke einen Weg ohne Wiederkehr.

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Tunnelanlage Bergkristall - heute Brunnenschutzgebiet Blick in das Areal, im Vordergrund Brunnen, im Hintergrund Mauerreste Eingang in die Stollen heute (nicht öffentlich zugänglich) Teilweise zugeschütteter Stolleneingang Mauerreste im Originalzustand Brunnenanlage verwitternde Reste der Originalanalge

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Das Gericht sprach von Gerechtigkeit.Wir sprechen von Angst.Sie meinen Furcht.Ich sage leben.Und meine sterben.

Während sich meine Nachbarinnen häuslich in ihren Leben einrichten,mache ich mir Gedanken über die Zwischenräume,in denen so manche Seele hängengeblieben istund hilflos herumbaumelt.

Während sich meine Nachbarinnen häuslich in ihren Leben einrichten,horche ich auf Stimmen aus Ritzen und Spaltenund wiege nachts unbemerkt die kleinen Kinder.

Während sich meine Nachbarinnen häuslich in ihren Leben einrichten,forsche ich am Himmel nach Zeichenund packe heimlich Sachen für schlechte Zeitenund füttere Gespensterund Geister.

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Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH (DEST) - Hauptquartier - heute Wohnhaus Das DEST-Hauptquartier beinhaltete das Verwaltungszentrum der lokalen Steinbrüche und weiterer Objekte in Österreich (Grossraming) und Beneschau in Bömen. Weiters waren 2 Geschäfte und Wohnungen untergebracht.

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Obere Reihe: Ehemalige Führersiedlung für SS-Angehörige hinter dem DEST-Hauptquartier heute Siedlungsstrasse mit Wohngebiet Untere Reihe: Ehemalige Führersiedlung für SS-Angehörige zwischen St.Georgen und Gusen

heute Wohngebiet

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Braunund Erdeaus der Erdein den Steingehauengeschlagengebohrtgemordet Braun und Grasüber die Wiesenins Landverscharrt

Braun und Regender mitnimmtdie Seufzer ins Innerezu den Hüterinnendie warten

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EPILOG

HüterInnen der Erde

Bergkristall besteht aus Quarz, also reiner Kieselsäure mit der Formel SiO2 =Siliziumdioxid. Dieses Mineral, aus dem sich auch Sand und Kiesel-steine aufbauen, ist nach dem Feldspat das häufigste auf der Erde.Die alten Griechen glaubten, dass es sich bei Berg-kristallen um Eis handelt, welches so lange gefroren war, dass es nicht mehr auftaut. Daher auch die Bezeichnung „Kristall“ (griechisch: ’krystallos’ = Eis). Der Bergkristall entstand vor Urzeiten tief im Inneren unserer Erde, unter hohem Druck und bei hohen Temperaturen. Die Formenvielfalt des Bergkristalls ist fast unbegrenzt. Er erscheint in den ausgefallensten Formen. Da gibt es Doppelender, Zwillingsspitzen, Phantomkristalle, Monolithe usw.! Die Kristalle beste-hen in den meisten Fällen aus einer Kombination von Prisma und zwei Rhomboeden. Es kommen daneben aber auch Pyramiden und Trapezoederflächen vor.Am häufigsten ist eine Zwillingsbildung zu beobachten.Vereinfacht gesagt, wuchsen sie von einem Keim aus in wässerigen Lösungen zu einem Kristall heran. Verantwortlich für das spätere Aussehen des Kristalls waren dabei mehrere Faktoren, wie die Bildungstem-peratur, Druck, Lösungsbestandteile sowie Übersätti-gungsgrad der Lösung. Die Anlagerung der einzelnen Bausteine folgte dabei eigenen innerenGesetzmäßigkeiten.

Die bedeutendsten Mineralfunde der Schweiz stam-men aus alpinen Zerrklüften. Bei diesen handelt es sich um wenige Dezimeter bis einige Meter grosse Hohlräume, die bei der Entstehung der Alpen durch gewaltige Kräfte aufgerissen wurden, als die Gesteine noch in Tiefen von rund 10-15 Kilometer lagen. Die Klufthohlräume füllten sich mit bis 450 Grad Celsius heissen hydrothermalen Lösungen. Diese warmen Mineralwasser enthielten neben Wasser, Salz und Kohlensäure einige Gramm pro Liter an gelösten Mineralien.Sie wurden zuvor im Nebengestein der Klüfte aufge-löst. Bergkristalle und die sie begleitenden Mineralien sind also bei hoher Temperatur in einer wässrigen Lösung gewachsen. Im Laufe der Hebung des Alpen-gebietes um wenige Millimeter pro Jahr kühlten sich das Gestein und die darin enthaltenen Klüfte und Wasser ab. Diese langsame Abkühlung dürfte der Hauptgrund für die oft grossartige Kristallisation der alpinen Mineralien sein.Im Gotthardgebiet fand die Bildung der Kluft-mineralien vor rund 19-14 Millionen Jahren statt.In dieser Zeit kühlte sich das Nebengestein ab und wurde gehoben. Diese Veränderungen sind wesentlich für die Kristallisation der alpinen Zerr-kluftmineralien verantwortlich. Die Kristalle wuchsen durchschnittlich rund 1/10 000 Millimeter pro Jahr. Bei starker Druckentlastung, zum Beispiel infolge von Erdbeben, konnten Kristalle aber auch in kürzerer Zeit wachsen.

Hans Marsálek: Konzentrationslager Gusen Österreichische Lagergemeinschaft Mauthausen Konzentrationslager GUSEN 1939 – 1945: Ausstellung/Besucherzentrum GUSEN R. A. Haunschmied, J-R. Mills, S.Witzany-Durda: St. Georgen Gusen Mauthausen Heimathaus St. Georgen a. d. Gusen Das unsichtbare Lager AUDIOWEG GUSEN Franz von Arx und Paul von Känel: Broschüre und Ausstellung Riesenkristalle Karl Vocelka: Geschichte Österreichs Gedichte und Fotos A. Rafetseder

Quellen:

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Thema nächstes Heft:

VORSCHAU

TONKELL - Geheimnis der Vegetation

erscheint im Juni

nach 1940 - vor 1950

Ich weiss nicht mehr wann ich diesen Traum hatte. Ich ging auf einem steinigen Pfad einen Berg hinauf (es war der San Salvatore). Ich sah meine Freundin Irène Zurkinden in sonnen-durchschienenem hellgrünem Gebüsch stehen. Auch ihre Wimpern und Haare (die von Natur blond sind) hatten einen grünen Schimmer. Ich sagte: „Ich bin das Geheimnis der Vegetation“.

aus Aufzeichnungen 1928 - 1985 von Meret Oppenheim

Bereits erschienene - Ausgaben zum Nachbestellen: Erinnerung an den leeren Raum Nr. 0/Juni 2008

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