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Sonderdruck aus

ZEITSCHRIFT FVR DEUTSCHE PHILOLOGIE

Herausgegeben von

Werner Besm und Hanmut Steinedte

in Verbindung mit

Christoph Conneau bull Norbert Oellen bull Helmut Tervooren

112 Band 1993 Heft 1

SYNTAKTISCHE RESTRIKTIONEN BEI ABSTRAKTA shyGESTERN UND HEUTEl

von Rosemarie Luumlhr Gieszligen

Abstract

Ausgehend von der Unterscheidung von innerer und raquoaumluszligerer Sprachgeschichte wershyden in einem ersten Schritt Abstrakta danach subklassifiziert ob sie mit einem attributiven daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen oder nicht Die dabei festgestellten Restriktionen werden anschlieszligend mit Hilfe dreier oppositiver Begriffs- und Analysekategorien genauer gefaszligt Weiterhin wird untersucht ob die Restriktionen die bei den Abstrakta des heutigen Deutsch festgestellt wurden auch in den fruumlheren Sprach stufen des Deutschen nachzuweisen moumlglicherweise sogar universeller Natur sind

On the basis of the distinction between interna and external linguistic history abstract nouns are first subclassified according to whether they can be used with an attributive daszligshyc1ause or not The restrictions noted in this process are then stated more precisely with the

of three oppositions A further step is to examine whether the restrietions found in connection with abstract nouns in Modern German are also present in earlier periods of the German language or whether they are possibly even universal features

A Vorbemerkung

Betrachtet man die Geschichte einer Sprache so ist es uumlblich nach innerer und aumluszligerer Sprachgeschichte zu unterscheiden2 Die Beschreibung der inneren Sprachgeschichte hat die Veraumlnderungen in der Grammatik also von Lauten Formen Wortbildungen und -bedeutungen und syntaktischen Strukturen zum Inhalt Dagegen ist die aumluszligere Sprachgeschichte auf die Sprachtraumlger ausgeshyrichtet3 Untersucht man nun Sprachwandelphaumlnomene so lassen sich in erster Linie fuumlr Veraumlnderungen im Wortschatz Beziehungen zu den Sprachtraumlgern herstellen da das Neuaufkommen wie auch das Verschwinden von Woumlrtern nicht selten auf relativ sicher fixierbare aumluszligere Einfluumlsse ruumlckfuumlhrbar ist Innershyhalb der Sprachgeschichte des Deutschen gilt dies in besonderem Maszlige fuumlr die Wortart Substantiv und da wiederum nicht nur fuumlr Konkreta wie man aufgrund

1 Der vorliegende Aufsatz geht auf einen Vortrag zuruumlck 2 H Penzl Das Fruumlhneuhochdeutsche und die Periodisierung der Geschichte der deutshyschen Sprache in Chloe Beihefte zum Daphnis 3 Barocker Lustspiegel 1984 S 15 I Reiffenstein Interne und externe Sprachgeschichte In Deutsche Sprachgeschichte

undlagen Methoden Perspektiven Festschrift fuumlr J Erben zum 65 Geburtstag hg v Besch Frankfurt am MainBernNew YorkParis 1990 S 21 H mit weiterer Literatur

J Mit P von Polenz Geschichte der deutschen Sprache (Sammlung Goumlschen 2206) BerlinNew York 91978 S 7 kann man sagen daszlig die ~aumluszligere Sprachgeschichte nach der historischen Stellung der Sprache in der Gesamtkultur der jeweiligen Sprechergrupshypen fragt

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Rosemarie Liihr

der zahlreichen durch die zunehmende Technisierung bedingten Neubildungen in letzter Zeit denken koumlnnte Auch fuumlr das Aufkommen von Abstrakta koumlnnen die Gruumlnde bei den Sprachtraumlgern gesucht werden Nimmt man sich etwa die aumluszligere Geschichte der nach lateinischem Vorbild zustande gekommenen deutschen Abstrakta vor so hat Notker von St Gallen im ersten philosophishyschen Werk in deutscher Sprache in seiner Uumlbersetzung von Boethius De consolatione philosophiae nachweislich eine nicht geringe Anzahl wissenshyschaftlicher lateinischer Abstrakta zum ersten Mal ins Deutsche uumlbersetzt4 Was die innere Geschichte der Abstrakta angeht so stand bisher vor allem die Bildeweise dieser Woumlrter im Mittelpunkt des Interesses5 Daszlig aber Abstrakta auch fuumlr die historische Syntax des Deutschen neue Einsichten abwerfen koumlnnen wurde bislang kaum beachtet6 So kann man fuumlr die zuweilen schwierige Unterscheidung von Konkreta und Abstrakta nicht nur des heutigen sondern auch des fruumlheren Deutsch zunaumlchst einfach folgendes syntaktische Kriterium aufstellen7

Man weitet den Begriff Abstraktum so aus daszlig man die Kombiniershybarkeit mit einem attributiven daszlig-Satz als eines der Kriterien fuumlr abstrakt einfuumlhrt8 Nach diesem Unterscheidungsmerkmal ergibt sich Substantive die nicht mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen sind den Konkreta zuzushyrechnen Dagegen gehoumlren alle Substantive mit einem solchen daszlig-Satz zur Subklasse der Substantive die Abstrakta sind vgl

(1) die Hoffnung daszlig der Sohn bald zuruumlckkehrt gegenuumlber

(2) -das Buch daszlig der Sohn bald zuruumlckkehrt

Daszlig man die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz aber auch noch unter einem ganz anderen Gesichtspunkt als unter dem Gesichtspunkt der Differenzierung von

4 A Bach Geschichte der deutschen Sprache Wiesbaden 9[0 JJ S 165 f 5 Zum Beispiel wurde nachgewiesen daszlig bei den zur Zeit der Scholastik aufgekommenen deutschen Abstrakta feste Beziehungen zwischen den deutschen und den lateinischen Abstraktsuffixen herrschen vgl MoserlWellmannIWolf Geschichte der deutschen Sprashyche Althochdeutsch-Mittelhochdeutsch von N R Wolf (Uni-Taschenbuumlcher 1139) Heishydelberg 1981 S 188 f 6 Vgl aber R Luumlhr Typen von Explikativsaumltzen im Althochdeutschen in Kolloquium Zur Syntax des Althochdeutschen Universite J Moulin Lyon IU 28 Februar-3 Maumlrz 1990 hg von Y Desportes Paris 1993 7 Dagegen nimmt D Hartmann Studien zum bestimmten Artikel in Morant und Galie und anderen rheinischen Denkmaumllern des Mittelalters (Beitraumlge zur deutschen Philologie 38) Gieszligen 1967 S 26 f nur eine inhaltliche Einteilung der Abstrakta vor naumlmlich Menschliche Vorstellungen (Zum Menschen gehoumlrige Begriffe Vom Menschen unabhaumlnshygige Begriffe) Einmalige Vorgaumlnge Vorgaumlnge ereignishaften Charakters Eigentliche Abstrakta (Zustaumlnde Eigenschaften Verhaumlltnisse Wissenschaften) Vorgangswoumlrter (Subshystantivierte Infinitive) 8 Vgl B Sandberg Zur Repraumlsentation Besetzung und Funktion einiger zentraler Leerstellen bei Substantiven (Goumlteborger germanistische Forschungen 18) Goumlteborg 1979 S 115 In bestimmten Faumlllen sind anstelle des daszlig-Satzes auch Infinitivkonstruktionen

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Konkreta und Abstrakta sehen kann soU Beispiel (3) ein Satz von Schopenshy

hauer verdeutlichen

(3) Schopenhauer Welt als Wille und Vorstellung 11279 die Erkenntniszlig daszlig

die Notwendigkeit der Bewegungen aufdie Motive mit denen auf Reize gemeinshyschaftlich ist wird uns die Einsicht erleichtern daszlig

Man sieht wie ein kompetenter Schreiber deutscher Prosa eine philosophische Aussage formuliert indem er von der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz zweifashychen Gebrauch macht und zwar einmal in der syntaktischen Funktion eines Subjekts (die Erkenntniszlig daszlig ) und das andere Mal in der Funktion eines Objekts (die Einsicht daszlig ) Saumltze die Abstrakta mit einem daszlig-Satz enthalten gehoumlren zu den komplizieneren syntaktischen Strukturen des Deutshyschen Von Sprechern oder Schreibern mit geringerer Sprachkompetenz werden sie kaum verwendet Wollte man dieses Faktum fuumlr die aumluszligere Sprachgeshyschichte nutzen so koumlnnte man Texte auf die Haumlufigkeit der Fuumlgung Abstrakshytum + daszlig-Satz durchmustern und sich Gedanken uumlber die Gruumlnde fuumlr das Auftreten oder Fehlen solcher Konstruktionen bei den einzelnen Autoren

machen

Interessanter noch als eine Untersuchung der Haumlufigkeit der Fuumlgung Abstrakshytum + daszlig-Satz erscheint aber eine Fragestellung die sich aus folgendem ergibt Laumlngst nicht alle Abstrakta des Deutschen koumlnnen mit einem daszlig-Satz verbunshyden werden Das zeigen die folgenden ungrammatischen Saumltze des heutigen

Deutsch

(4) Gluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde

ihnen nicht zuteil

(5) Der Friede daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen

wurde ihnen nicht zuteil

(6) Der Unfall daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ereignet sich jeden Tagregt niemanden auf 10

9 Zitiert nach O Behaghel Deutsche Syntax Eine geschichtliche Darstellung Bd III Die Satz gebilde Heidelberg 1928 S 131 10 Eine weitere Restriktion tritt in folgendem Satz auf Die Beachtung daszlig viele Feuer die Gegend erleuchteten floumlszligte den Weiszligen noch mehr

Furcht vor den Indianern ein Da im Althochdeutschen keine Abstrakta mit einer Bedeutung wie Beachtung auftreten (vgl auch Beruumlcksichtigung Respektierung) wird die sich hier zeigende syntaktische Restriktion naumlmlich das Bedeutungsmerkmal Prozeszlig (gegenuumlber Resultat) bei Ableishytungen von faktiven Verben nicht weiter verfolgt dazu R Luumlhr Satzkomplemente in der Nominalphrase in Die Nominalphrase hg von E LoumlbeltT Tappe 1992

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Rosemarie Luumlhr

Da es sich bei den Substantiven Gluumlck Friede und Unfall um solche Substantive handelt die nach herrschender Auffassung Abstrakta sind ist die Gruppe der Abstrakta offensichtlich zu teilen in eine Subklasse die mit einem daszlig-Satz verbunden werden kann und in eine Subklasse bei der dies - gegebenenfalls unter bestimmten Bedingungen - nicht moumlglich ist Es liegt auf der Hand daszlig es fuumlr die Ungrarnmatikalitaumlt der Beispielsaumltze (4) bis (6) Gruumlnde geben muszlig und zwar Gruumlnde die in der Bedeutung der Abstrakta liegen Hier kommt also eine syntaktische Restriktion oder Beschraumlnkung zum Tragen naumlmlich daszlig ein Abstraktum unter bestimmten Umstaumlnden nicht mit einem daszlig-Satz verbunden werden kann Uumlbertraumlgt man diese Einsicht auf die innere Sprachgeschichte so folgt daraus die Frage ob die in den Beispielsaumltzen auftretenden syntaktischen Beschraumlnkungen bei Abstrakta schon in den aumllteren Stufen des heutigen Deutsch gegolten haben oder nicht Eine solche Fragestellung ist natuumlrlich nur sinnvoll wenn der zu untersuchende aumlltere Sprachzustand bereits uumlber eine hinreichend groszlige Menge erstens von Abstrakta und zweitens auch von Abstrakta + daszligshySatz verfuumlgt Denn nur in einem solchen Fall kann durch die Gegenuumlberstellung von Abstrakta mit und von Abstrakta ohne daszlig-Satz auf die vorauszusetzenden Unterschiede der beiden Typen von Abstrakta geschlossen werden Im Alt- und Mittelhochdeutschen ist die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz bereits voll ausgeshybildet auch treten zahlreiche noch naumlher zu charakterisierende Abstrakta ohne daszlig-Satz auf Aus diesem Grunde erscheint es legitim die am Neuhochdeutshyschen entwickelte Frage nach syntaktischen Restriktionen bei Abstrakta auf die aumllteren Stufen des Deutschen zu uumlbertragen zumal mit einer derartigen Untersushychung Neuland betreten wird Problematisch ist jedoch daszlig das Alt- und Mittelhochdeutsche Corpus sprachen sind Weil in solchen Sprachen das Fehlen einer syntaktischen Konstruktion auf Zufall beruhen kann gibt es nur einen Weg um den Mangel einer historischen Ersatzkompetenzll auszugleichen Es muumlssen genuumlgend Belege uumlberpruumlft werden Dabei gilt speziell fuumlr die folgende Untersuchung die sich ja mit syntaktischen Restriktionen befassen wird Es ist viel schwieriger nachzuweisen daszlig etwas regel haft nicht existiert als nachzushyweisen daszlig etwas regelhaft ausgebildet und damit vorhanden ist

Es wird also ein Problem der inneren Sprachgeschichte behandelt Die aumluszligere Geschichte der Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz spielt aber insofern in die angesprochene Problematik hinein als auch im Lateinischen die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz auftritt und die althochdeutschen Texte zum groszligen Teil Uumlbersetzungen oder Paraphrasen lateinischer Texte sind Zum Vorhandensein der Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz im Lateinischen vgl etwa Satz (7)

11 Dazu R Grosse Lexik und Syntax im Althochdeutschen in Deutsche Sprachgeshyschichte [Anm 2] S 94

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

(7) Apud Epicurum duo bona sunt ut corpus dolore animus perturbatione careat Bei Epikur gibt es zwei Guumlter (naumlmlich) daszlig der Koumlrper von Schmerz die Seele von Verwirrung frei sei12

Wie anhand von sprachinternen Fakten gezeigt aber hier nicht weiter ausgefuumlhrt wird hat zwar das Deutsche die Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz unabshyhaumlngig vom Lateinischen entwickelt3 dennoch ist nicht auszuschlieszligen daszlig die deutschsprachigen Autoren aumllterer Zeit Besonderheiten der lateinischen Fuumlgung nachgeahmt haben

Die Untersuchung gliedert sich in folgende Schritte Der Einfachheit halber und zwar weil die syntaktischen Restriktionen bei Abstrakta von der Gegenwartsshysprache her leichter erfaszligt werden koumlnnen als von den Vorstufen des heutigen Deutsch wird mit den syntaktischen Restriktionen heute begonnen Anhand der schon vorgestellten Beispielsaumltze (4) bis (6) sollen die bei Abstrakta auftretenden Restriktionen eroumlrtert werden Bezug genommen wird auf eigene Einsichten die im Laufe einer laumlngeren Beschaumlftigung mit Abstrakta gewonnen wurden die

12 K Bayer] Lindauer Lateinische Grammatik Auf der Grundlage der Lateinischen Schulgrammatik von Landgraf-Leitschuh neu bearb BamberglMuumlnchen 1977 S 218 B Zum einen zeigt sich daszlig die gleichen Konstruktionen auch in anderen germanischen Sprachen wie zum Beispiel im Altsaumlchsischen vorhanden sind Zum anderen sind die explikativen Fuumlgungen mit Hilfe der im Germanischen vorhandenen Sprachmittel erklaumlrshybar Dabei sind explikative Fuumlgungen als Objekte syntaktisch wahrscheinlich auf andere Weise als explikative Fuumlgungen in Subjektsfunktion entstanden Im Falle von explikativen Fuumlgungen in Objektsfunktion bilden Saumltze mit Verben die sowohl einen substantivischen Ausdruck als auch einen inhaltlich entsprechenden daz-Satz regieren koumlnnen die Nahtshystelle (vgl etwa klagoumln + Gen-Objektdaz-Satz) Steht hinter einem solchen Verb ein substantivischer Ausdruck als Objekt und wurde als Nachtrag ein daz-Satz hinzugefuumlgt so war der ganze Komplex als Einheit auffaszligbar wenn die Bedeutung des Abstraktums eine Explikation durch einen daz-Satz zulieszlig Dieses komplexe Satzglied konnte dann auch in Verbindung mit Verben die keinen daz-Satz regierten verwendet werden (vgl etwa ahd die guollichi geben daz ) Dagegen bilden bei der Entstehung explikativer Fuumlgungen in der Funktion eines Subjekts wahrscheinlich Saumltze mit dem Verb sein als Kopula den Ausgangspunkt Trat zu dem Verb sein eine lokale oder temporale Bestimshymung hinzu so war diese als Ergaumlnzung die die zweite ValenzsteIle des Verbs ausfuumlllt und das Verb sein als Vollverb (herrschen existieren) auffaszligbar Dadurch wurde der dazshySatz zum Teil des Subjekts vgl Die Sitte herrschte zu Rom daszlig man wenn Herrscher siegreich vom Kampf kamen dem allerredegewandtesten befahl das Siegeslob auf dem Kapitol vorzunehmen (vgl mit Stellung des daszlig-Satzes unmittelbar nach seinem Bezugswort vor dem finiten Verb Die Sitte daszlig man wenn Herrscher siegreich vom Kampf kamen dem allerredegewandtesten befahl das Siegeslob auf dem Kapitol vorzushynehmen herrschte zu Rom) Ausgehend von solchen Konstruktionen konnte die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz dann auch in der Funktion eines Praumldikatsnomens auftreten vgl der eigentliche Anlaszlig war der Umstand daszlig Weiteres bei Luumlhr [Anm 6] anders G Muumlllerffh F rings Die Entstehung der deutschen daszlig-Saumltze (Berichte uumlber die Verhandlungen der saumlchsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig) Berlin 1959

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Rosfm4rie Luumlhr

aber noch ergaumlnzungs beduumlrftig sind und ausgebaut werden muumlssen 14 Fuumlr den nachfolgenden Vergleich der heute feststellbaren syntaktischen Restriktionen bei Abstrakta mit denen fruumlherer Sprachstufen des Deutschen werden in erster Linie althochdeutsche Texte ausgewaumlhlt da es im folgenden auch um das Alter der Restriktionen auf deutschem Sprachgebiet geht herangezogen werden die umfangreicheren althochdeutschen Sprachdenkmaumller wie die Benediktinerregel die Tatianuumlbersetzung die Schriften Otfrids von Weiszligen burg und Notkers von St Gallen Da die Autoren dieser Texte alle mehr oder weniger lateinischen Vorbildern folgen wird noch ein mittelhochdeutscher Text fuumlr den keinerlei Zusammenhang mit dem Lateinischen bestanden hat ausgewaumlhlt und zwar das Nibelungenlied Der Vergleich fuumlhrt abschlieszligend zur Beantwortung der Frage ob sich bei den behandelten Restriktionen Sprach wandel phaumlnomene auswirken oder ob die Beschraumlnkungen eher genereller Art sind In diesem Zusammenhang ist noch einmal auf das Lateinische zuruumlckzukommen

B Untersuchungsteil

L Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta im heutigen Deutsch

Proben haben ergeben daszlig es sich empfiehlt die zu eroumlrternden Beschraumlnkunshygen nach bestimmten oppositiven Begriffs- und Analysepaaren zu ordnen Dabei stehen drei Begriffs- und Analysepaare zu Gebote naumlmlich die Paare individuashylisierend - generalisierend diskontinuativ - kontinuativ und nichtidenshytifizierend - identifizierend Hinzu kommt noch folgende generelle Untershyscheidung Abstrakta die mit einem daszlig-Satz kombinierbar sind koumlnnen im heutigen Deutsch in drei Subklassen unterteilt werden Das geht aus bestimmten Operationen also Verfahren die der Ermittlung sprachlicher Regularitaumlten und ihrer Struktur dienen hervor VgL die Beispielsaumltze (8) (9) und (4 a)

(8) Die Meinung daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben muumlssen ist anscheinend nicht allgemein verbreitet

(9) Die Ansicht daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben muumlssen ist anscheinend nicht allgemein verbreitet

(4 a) Das Gluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Die Umformungsprobe macht deutlich daszlig von den drei syntaktischen Fuumlgunshygen die Meinung daszlig die Ansicht daszlig und das Gluumlck daszlig nur das Syntagma die Meinung daszlig auf eine ebenfalls einen daszlig-Satz enthaltende Basis naumlmlich auf meinen daszlig mit einem daszlig-Satz in der Funktion eines Objekts zuruumlckgefuumlhrt werden kann vgl

14 R Luumlhr Zur Subklassifizierung von Abstrakta Wert und Grenzen operationaler Verfahren Sprachwissenschaft 16 1991 S 419 H Luumlhr [Anm 6J Luumlhr [Anm 10J

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

(8 a) Sie meinten daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben muumlssen

Die Valenz des Verbs ein Objekt in Form eines daszlig-Satzes zu sich zu nehmen ist in diesem Fall also auf das Substantiv uumlbergegangen

Die Austauschprobe ergibt daszlig anscheinend auch Abstrakta mit einer aumlhnlichen Bedeutung wie diejenigen die die Valenz der verbalen Basis uumlbernehmen mit einem daszlig-Satz kombinierbar sind vgl die Saumltze (8) und (9) mit den Abstrakta Meinung und Ansicht von denen Ansicht nicht auf eine verbale Basis mit daszligshySatz ruumlckfuumlhrbar ist Im Sprecherbewuszligtsein kann ein Syntagma wie die Ansicht daszlig jedoch ebenso wie das Syntagma die Meinung daszlig auf die verbale Basis meinen daszlig bezogen werden weshalb bei den Abstrakta des Typs Meinung und Ansicht zwei Arten von Substantivvalenz zu unterscheiden sind eine die aus einer tatsaumlchlichen und eine die aus einer virtuellen Basis mit daszlig-Satz abgeleishytet iSt15 Demgegenuumlber gibt es fuumlr das Abstraktum Gluumlck in (4 a) weder eine tatsaumlchliche noch eine virtuelle Basis mit einem daszlig-Satz Der daszlig-Satz ist hier explikativer Art er waumlhlt aus der Menge der vom Begriff Gluumlck umfaszligten Gluumlcksfaumllle einen aus

Ordnet man nun die Abstrakta in den ungrammatischen Saumltzen (4) bis (6) den drei Subtypen von Abstrakta mit daszlig-Satz zu so gehoumlren ebenso wie Gluumlck selbst auch die Abstrakta Unfall und Friede zum dritten Typ da weder eine tatsaumlchliche noch eine virtuelle Ableitungsbasis mit daszlig-Satz synchron nachshyweisbar ist

Um nun herauszufinden warum die Saumltze (4) bis (6) ungrammatisch sind werden neuhochdeutsche Saumltze gebildet die aumlhnliche aus Abstraktum und daszligshySatz bestehende Fuumlgung enthalten

1 individualisierend - generalisierend

Der einfachste Fall ist der ungrammatische Satz (4) Waumlhrend das Abstraktum Gluumlck ohne daszlig-Satz artikellos verwendet werden kann ist dies in Verbindung mit einem daszlig-Satz nicht moumlglich vgL die Saumltze (4 b) und

(4 b) Gluumlck gibt es nicht

(4) fGluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Satz (4) wird sofort grammatisch wenn anstelle des O-Artikels der bestimmte Artikel mit dem Abstraktum Gluumlck verbunden wird vgL den schon angefuumlhrten Satz (4 a)

(4 a) Das Gluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

15 Vgl H Paul Deutsche Grammatik Bd IV Syntax (zweite Halle (Saale) 51959 S 247 f

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Im Falle des artikellosen Gebrauchs druumlckt der O-Artikel beim Abstraktum Generalisierung aus Demgegenuumlber hat der bestimmte Artikel in Verbindung mit einem Abstraktum + daszlig-Satz neben der determinierenden Funktion eine individualisierende Funktion16 So weist in Beispiel (4 a) der bestimmte Artikel darauf hin daszlig wie bemerkt von allen moumlglichen Gluumlcksfaumlllen durch den daszligshySatz einer ausgesondert wird Da auch der unbestimmte Artikel individualisieshyrend eingesetzt werden kann ist es nicht verwunderlich daszlig in gleicher Weise der unbestimmte Artikel bei Abstrakta + daszlig-Satz vorkommt vgl

(10) Joh 1839 Ihr habt aber eine Gewohnheit daszlig ich euch einen auf Ostern losgebe 1

Als erste syntaktische Restriktion ist somit festzuhalten In der Fuumlgung Abstrakshytum + daszlig-Satz kann im Neuhochdeutschen das Abstraktum nicht artikellos und damit in generalisierender Funktion verwendet werden Der Grund ist In der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz wird aus der Menge der moumlglichen Sachvershyhalte die unter den Begriff des uumlbergeordneten Abstraktums fallen durch den daszlig-Satz einer spezifiziert d h ausgesondert Deshalb ist ein Artikel in indivishydualisierender Funktion notwendig

2 diskontinuativ - kontinuativ

Auch beim zweiten Begriffs- und Analysepaar ist von Bedeutung daszlig durch den daszlig-Satz ein Sachverhalt aus dem uumlbergeordneten Begriff ausgesondert wird Wenn nun bei einem Abstraktum wie Friede kein daszlig-Satz moumlglich ist so ist dieser Begriff anscheinend nicht von der Art daszlig ein Einzelsachverhalt abstrashyhierbar ist vgl den ungrammatischen Satz (5)

(5) Der Friede daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Grammatisch ist dagegen wiederum der schon oumlfters angefuumlhrte Satz (4 a)

(4 a) Das Gluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Woran liegt nun die unterschiedliche Grammatikalitaumlt der Saumltze (5) und (4 a) Um eine Antwort auf diese Frage zu finden ist auf die Bedeutungsstrukturen der Woumlrter Gluumlck und Friede einzugehen beides sind Abstrakta die Zustaumlnde bezeichnen also Sachverhalte die uumlber einen bestimmten Zeitraum hinweg in ihren relevanten Zuumlgen gleichbleiben Es ist jedoch zu pruumlfen ob es bei den Konkreta aumlhnliche Bedeutungsunterschiede wie bei diesen Abstrakta gibt namrshy

16 Vergleichbar ist die Artikelsetzung bei Abstrakta wenn ein notwendiger Relativsatz folgt (vgl Hartmann [Anm7] S 78 H PaulP WiehlS Grosse Mittelhochdeutsche Grammatik Tuumlbingen 231989 S 385) 17 Nach Behaghel [Anm 9] S 131

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Syntaletische Restriktionen bei Abstrakta

lieh abgesehen von dem grundlegenden syntaktischen Unterschied daszlig nur Abstrakta mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen Zu diesem Zweck soll auf die Bedeutungen der Konkreta Wald und Holz eingegangen werden waumlhshyrend das Kollektivum Wald eine theoretisch zaumlhlbare Mehrzahl von Individuen naumlmlich von Baumlumen bezeichnet ist es im Falle des Masseworts Holz eine nicht weiter zerlegbare Menge tS Wald ist nach dieser Unterscheidung ein Diskontishynuativum und Holz ein Kontinuativum Uumlbertraumlgt man diese semantische Unterscheidung auf die Abstrakta Gluumlck und Friede19

so scheint es bei diesen Abstrakta ebenso eine Differenzierung nach den Merkmalen diskontinuativ und kontinuativ zu geben dabei gilt Nur bei Diskontinuativa wie Gluumlck kann mit Hilfe des daszlig-Satzes eine bestimmte Sachverhaltsbeschreibung ausgesondert werden vgl etwa das folgende Beispiel

(11) Das Gluumlck daszlig Hans die Pruumlfung bestanden hat daszlig Hans keine Verletzungen davongetragen hat daszlig Hans im Lotto gewonnen hat

kann ich gar nicht fassen

Dagegen duumlrfte die Zustandsbezeichnung Friede ein Kontinuativum sein weil eben keine Sachverhalts beschreibung durch einen daszlig-Satz aussonderbar ist

Die zweite syntaktische Restriktion lautet demnach Bei einer Zustandsbezeichshynung verhindert das Bedeutungsmerkmal kontinuativ die Kombinierbarkeit

mit einem daszlig-Satz

3 nichtidentifizierend identifizierend

Was unter dem Gegensatz nichtidentifizierend identifizierend zu versteshyhen ist soll an dem schon angefuumlhrten Satz (6) und an einem weiteren ungramshymatischen Beispielsatz eroumlrtert werden Waumlhrend die Saumltze (6) und (12) ungramshymatisch sind ist Satz (13) akzeptabel

1amp W Abraham Terminologie zur neueren Linguistik Tuumlbingen 21988 S 361 19 Vgl H Kubczak Das Verhaumlltnis von Intension und Extension als sprachwissenschaftshyliches Problem (Forschungsberichte des Instituts fuumlr Deutsche Sprache 23) Tuumlbingen 1975 S 42 f Nach H Kubczaks Auffassung ist bei einer Zustandsbezeichnung ein Zustand also eine einelementige Klasse angebbar welche durch eine Intension naumlher bestimmt wird Treten nun Quantifizierungen wie in zwei Buumlcher und zwei Freiheiten auf so ergibt sich nach H Kubczak folgender Unterschied zwischen den Konkreta und den Abstrakta Mit zwei Buumlcher koumlnnen Elemente aus einer Klasse von gegenstaumlndlichen Eigenschaftstraumlgern angesprochen werden die als solche lediglich durch die intensionale Definition von Buch definiert sind Und obwohl sich jedes auszligersprachliche Buch von jedem anderen irgendwie unterscheiden mag bezieht man sich mit zwei Buumlcher nicht auf diese Unterschiede Mit zwei Freiheiten werden indessen gerade zwei Entitaumlten ausdruumlckshylich angesprochen auf deren Unterschiede es bei aller Gemeinsamkeit ankommt Die in dem Begriff zwei Freiheiten gegebenen unterschiedlichen Abhaumlngigkeitsverhaumlltnisse wuumlrshyden sich zu Freiheit wie Arten zu einer Gattung verhalten

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Rosemarie Luumlhr

(6) Der Unfall daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ereignet sich jeden Tagregt niemanden auf

(12) Die Verletzung daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat hatte schlimme Folgen

(13) Das Ungluumlck daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ereignet sich jeden Tagregt niemanden auf

Ein ehemals d h zu seiner Zeit sicher korrekter Satz mit dem Abstraktum Unfall + daszlig-Satz ist bei Goethe belegt

(14) Ich habe zwar den Unfall erlitten dasz alle meine Sachen gestrandet lo

Das Abstraktum Unfall hatte fruumlher anscheinend eine weitere Bedeutung und wurde im Sinne von Ungluumlck verwendet vgl die Umformung (14 a)

(14 a) Ich habe zwar das Ungluumlck erlitten daszlig alle meine Sachen gestrandet sind

Es fragt sich wiederum wieso die Saumltze mit den Abstrakta der Bedeutung Ungluumlck grammatisch die Saumltze mit Vorgangsbezeichnungen21 der Bedeutung Unfall oder Verletzung jedoch ungrammatisch sind Geht man zuerst auf die Bedeutung des Abstraktums Verletzung ein so kann man mit O Behaghel22 hier von einem relativen Begriff sprechen das ist ein ergaumlnzungsbeduumldtiger Begriff der nur vollzogen werden kann wenn gleichzeitig andere Vorstellunshygen ins Bewuszligtsein treten Ein Begriff wie Verletzung wird zum Beispiel durch den Ausdruck von Vorstellungen wie wer wurde wie und wann verletzt ergaumlnzt und damit gesaumlttigt Dadurch wird der Begriffstraumlger hier also der Sachverhalt auf den der Begriff Verletzung zutrifft identifizierr3 vgl

(12 a) Die Verletzung des Fingers die Hans sich beim Brotschneiden zugezogen hat war erheblich

Ist aber der mit einem Begriff gemeinte Sachverhalt identifiziert so ist eine Aussonderung oder Explikation eines Einzelsachverhalts in Form eines daszligshySatzes nicht mehr moumlglich Aumlhnlich verhaumllt es sich bei dem Abstraktum Unfall in seiner modernen Bedeutung Heute bezeichnet dieses Wort einen dem Versicheshy

20 J GrimmW Grimm Deutsches Woumlrterbuch Bd XlIII Leipzig 1936 Sp 526 21 Vorgangsbezeichnungen sind Bezeichnungen fuumlr innerhalb eines bestimmten Zeitabshyschnitts ablaufende Uumlbergaumlnge von einem Zustand in einen anderen Zustand J Pleines Handlung-Kausalitaumlt-Intension (Tuumlbinger Beitraumlge zur Linguistik 68) Tuumlbingen 1976 S 55 ff 22 Deutsche Syntax Eine geschichtliche Darstellung Bd I Die Wortklassen und WOrtshyformen A Nomen Pronomen Heidelberg 1923 S 23 2J Vgl S Loumlbners Intensionale Verben und Funktionalbegriffe (Ergebnisse und Methoshyden moderner Sprachwissenschaft 7) Tuumlbingen 1979 S 34 f Definition der Funktionalshybegriffe

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

rungsrecht zugehoumlrigen Begriff und ist eingeschraumlnkt auf ein Ereignis welches infolge einer ploumltzlichen vom Betroffenen nicht gewollten Einwirkung Koumlrpershyverletzung oder Toumltung eines Menschen herbeifuumlhrt Auch hier ist eine Identifishyzierung des gemeinten Sachverhalts gegeben weshalb in der Gegenwartssprache der Begriff Unfall nicht weiter durch einen daszlig-Satz expliziert werden kann Dagegen gehoumlrt der Begriff Ungluumlck in der Terminologie O Behaghels zu den absoluten Begriffen die wie er sagt fuumlr sich allein eine abgeschlossene Vorstellung verkoumlrpern 24 Eine Identifizierung eines bestimmten Sachverhalts liegt hier also nicht vor Handelt es sich aber bei einem absoluten Begriff um ein potentielles Diskontinuativum so kann in einem geeigneten Kontext ein Einzelsachverhalt also ein bestimmter Ungluumlcksfall in Form eines daszlig-Satzes

abstrahiert werden vgl (13)

Moumlglicherweise ist der zwischen Abstrakta wie Unfall und Verletzung einerseits und Ungluumlck andererseits bestehende Bedeutungsunterschied auch durch einen Test erfaszligbar Im Falle des Abstraktums Ungluumlck kann der daszlig-Satz die Stelle

des Subjekts einnehmen vgl

(13 a) Daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ist ein Ungluumlck

Dagegen sind derartige Subjektsaumltze bei den Abstrakta Unfall und Verletzung

kaum moumlglich

(6 a) Daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ist ein Unfall

(12 b) Daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat ist eine Verletzung25

Als dritte syntaktische Restriktion ergibt sich somit Wird bei einem abstrakten Begriff der gemeinte Sachverhalt durch gleichzeitig im Bewuszligtsein vorhandene Vorstellungen identifiziert ist eine Explizierung des Begriffs durch einen daszligshy

Satz nicht moumlglich

Es ist nun zu pruumlfen ob durch die Begriffs- und Analysepaare individualisieshyrend - generalisierend diskontinuativ kontinuativ und nichtidentifishy

24 [Anm 22] S 22 25 Vgl Loumlbner [Anm 23] S 40 Moumlglich ist jedoch Daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat ist eine schlimme Verletzungeine Verletzung die keine schlimme Folgen haben kann Der Begriff Verletzung ist hier durch einen Zusatz spezifiziert Demgegenuumlber gehen C Fabricius-Hansenl A von Stechow Explikative und implikative Nominalerweiterungen im Deutschen in Zeitschrift fuumlr Sprachwissenschaft 81989 S 175 ff nicht darauf ein daszlig etwa bei Moumlglichkeit einem Abstraktum vom Typ Ungluumlck in Verbindung mit einer explikativen S-Erweiterung das Abstraktum ohne Spezifikation stehen kann (Daszlig man sich geirrt haben kann ist eine Moumlglichkeit) waumlhrend dies bei Gedanke notwendig ist vgl Daszlig ich dich beleidigt habe ist ein Gedanke der mich beunruhigt mit Daszlig ich dich beleidigt habe ist ein Gedanke

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Rosemarie Luumlhr

zierend - identifizierend auch in den Vorstufen des Deutschen syntaktische Restriktionen bei Abstrakta erfaszligt werden koumlnnen Dabei soll auf moumlgliche lateinische Vorbilder geachtet werden

II Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta im fruumlheren Deutsch

Der Ruumlckblick in die Sprachgeschichte ergibt folgende Befunde Zunaumlchst einmal ist festzustellen daszlig die durch die Substantive Meinung Ansicht und Gluumlck verkoumlrperten drei Haupttypen von Abstrakta mit attributivem daszlig-Satz seit althochdeutscher Zeit vertreten sind und zwar nicht nur wenn ein lateinishysches Vorbild nachweisbar ist vgL

zu dem Typ Meinung dessen zugrundeliegendes Verb ebenfalls einen daz-Satz regiert

(15) Althochdeutsch

mit lateinischem Vorbild Tatian antwurti (Antwort) daz responsum ne (antwunen daz) bibot (Gebot) daz mandatum ut (vgL gibiotan daz)

ohne lateinisches Vorbild Otfrid gilouba Glaube (gilouben daz) giniti Rat (ratan daz) redina Uumlbershylegung (vgl redinon daz)

Notker beneimeda Verheiszligung (vgl mhd beneimen daz) orhta (jurhten daz) gedang Gedanke (denehen daz) gedingi Hoffnung (gedingen daz) geiiht Aussage (iehen daz) ilunga Streben (ilen daz) lob Lob (vgl mhd loben daz) reda Uumlberlegung (vgl redon daz) uuan Ansicht (uuanen daz) zala Aussage (zellen daz) zeichen Zeichen (vgL zeigon daz)

Mittelhochdeutsch Nibelungenlied bete Bitte (bitten daz) gedinge Hoffnung (gedingen daz) wan Glaube (wknen daz) vreude Freude (vreuwen daz) itewizen Vorwershyfen (itewizen daz) trost Trost (tramen daz) klage Klage (klagen daz) nit Rat (raten daz) urloup Erlaubnis (erlouben daz)

Und dem Typ Ansicht mit einer aus einer virtuellen Basis abgeleiteten Valenz sind zuzuordnen

Althochdeutsch ohne lateinisches Vorbild Otfrid wort Wort (vgl jehen daz)26

26 Nach der Definition daszlig Woumlrter die mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen auf jeden Fall Abstrakta sind stellt sich ahd wort zu den Abstrakta obwohl ein Wort eine physikalisch meszligbare Groumlszlige ist Auch G O Curme A Grammar of the German Language New York 21922 S 63 betrachtet Woumlrter wie Wort als Abstrakta (vgl sein Beispieljammern ist unnuumltz) Ein explizites Unterscheidungskriterium gibt er jedoch nicht an

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Notker wort unliument Verleumdung (vgl jehen daz) tagalti Freude (vgl sich rewen daz )27

Mittelhochdeutsch Nibelungenlied mtere Bericht (vgL jehen daz) eit Eid (vgl swern daz)

schult Schuld (vgl itewizen daz)

Erstaunlich groszlig ist im Althochdeutschen die Anzahl der Abstrakta der dritten Gruppe der Substantive also die wie Gluumlck weder auf eine tatsaumlchliche noch auf eine virtuelle Basis mit einem daszlig-Satz in der Funktion eines Objekts ruumlckfuumlhrshybar sind Es handelt sich zum einen um Bezeichnungen fuumlr Zustaumlnde und zum anderen um Bezeichnungen fuumlr Handlungen also fuumlr kausal verursachte Vorshy

gaumlnge vgl

(17) mit lateinischem Vorbild Tatian gilumphida Gelegenheit fuumlr lat apportunitas

ohne lateinisches Vorbild Otfrid dtit Begebenheit gizami herrliche Fuumlgung28 salida Seligkeit ruam Ehre missidat Missetat

Notker muoza Gelegenheit Moumlglichkeit sito Brauch taugeni Mysterium gnada Gnade beil heilhati Heil segen Segen Tibti () Ordnung era

guollichi Ruhm unera Schmach unreht Unrecht unebeni Ungeshyrechtigkeit seult Schuld leid Leid brutti Schrecken missetat Missetat29

27 Aus Abstrakta die eine bestimmte Disposition fuumlr Handlungen und Einstellungen bezeichnen wie Kraft Kuumlhnheit Dummheit kann eine konsekutive Relation erschlossen werden Derartige Abstrakta bleiben im folgenden auszliger Betracht Mit einem daz-Satz sind im Althochdeutschen Abstrakta des Typs Kraft verbunden im Falle von Otfrid maht Macht krart Kraft beldida Kuumlhnheit guati Vonrefflichkeit Notker chraft baldi Kuumlhnheit festi Festigkeit ernest Eifer lat patientia Geduld lat stulticia Dummshyheit brodi Schwachheit ubeli Schlechtigkeit argi Bosheit lat natura Eigenart und im Nibelungenlied degenheit Tapferkeit sterke Kraft Weitere derartige Abstrakta die im Althochdeutschen nicht mit einem daszlig-Satz auftreten aber im Neuhochdeutschen mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen sind etwa reinida hreinnissa reinnusseda Reinheit spaumlhida wizz sapientia unwizzi Unverstand wihida wihi heilagnessi

wirdi Wuumlrde beldi Kuumlhnheit eregrehti Barmherzigkeit armherzi Mitshygedulti Geduld otmuoti Demut mihilnessi Herrlichkeit Majestaumlt unsubarnessi

Unreinheit unruohha Gleichguumlltigkeit Sorglosigkeit tumbheit Dummheit tumpnissi Torheit untarworfanii Unterwuumlrfigkeit gotnissa Goumlttlichkeit hartnissa Hme kilihnissa Gleichheit Aumlhnlichkeit miltid Mitleid miltnissa Sanftmut (zu weiteren Abstrakta vgl A R Lingl Uumlber den Gebrauch der Abstrakta im Plural im Ahd und Mhd Phi Diss Muumlnchen 1934 S 8 H) 28 Im Falle von ahd gilumphida und gizami liegt zwar ein Verb gizeman bzw gilimpfan sich geziemen zugrunde doch fungiert der bei diesen Verben auftretende daszlig-Satz als Subjektsatz 29 Hinzu kommen noch Zeitbegriffe wie Tatian Otfrid Notker zit Zeit Otfrid frist Frist Tatian taga qage Otfrid altar Alter Nibelungenlied tac stunde wile zit ferner Tatian Notker namo Name und Otfrid thing Notker ding Ding

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Rosemarie Luumlhr

Nibelungenlied geluumlcke Gluumlck heil Heil ungemach Ungluumlck era Ehre liep GefallenJO

Bemerkenswen ist daszlig die Bedeutungen der alt- und mittelhochdeutschen Abstrakta der dritten Gruppe genau bei den Abstrakta auftreten31

die im Neuhochdeutschen ebenfalls mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen 32

1 individualisierend - generalisierend

Wendet man sich nun den drei in Zusammenhang mit den Restriktionen bei Abstrakta aufgestellten Begriffs- und Analysepaaren im Alt- und Mittelhochshydeutschen zu so empfiehlt es sich wieder mit dem Gegensatzpaar individualishysierend - generalisierend zu beginnen wie bemerkt ist dieses an die Verwenshydung des Artikels geknuumlpft Zunaumlchst einmal ist zu bemerken daszlig im Althochshydeutschen Abstrakta noch artikellos vorkommen koumlnnen die im heutigen Deutsch mit einem Artikel verwendet werden muumlssen vgl

30 Abstrakta mit daszlig-Satz in Wolframs von Eschenbach Parzival sind art bete botschaft dinc ere gedanke gewalt gewin helfe klage kumber Ion mere not rat riwe selde schult sin site stat teidinc tac trost trure urbot volge vuore werc wUe wille witze wunder ZUuml zit zorn Auffallend ist sippe daz (H Baumltjer Die verwendung der konjunkshytion daz in Wolfram von Eschenbachs Parzival Phil Diss Marburg 1890 S 42 ff) Und bei Hartmann von Aue begegnen gedanc reht mere heil trost list rat gedinge wan gewalt wort pris zwivel guot torheit sage wille gehenge selde guumlete gemuumlete dinc gewinn tugende ere valsch schade (Hornig Formen und gebrauch des satzartikels oder der conjunction daz bei Hartmarm von Aue Eine grammatische studie Programm der Ritter-Akademie zu Brandenburg Brandenburg 1847 S 5 f 13 f 17) Auch bei Bertshyhold von Regensburg erscheint die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz Es finden sich Bezugswoumlrter wie zit tac dienest vgl auch Ausdrucksweisen wie 52918 der muoz die juncfrouwen haben diu da heizet gerehtikeit daz er ze rehte guumltet unde widergit II 20610 daz ist gar ein griulichiu suumlnde unde sie heizet unkiusche daz man und frouwen unkiusche sint mit einander (H Roetteken Der zusammengesetzte Satz bei Berthold von Regensshyburg Ein Beitrag zur mittelhochdeutschen Syntax Straszligburg 1884 66 f) In der mittelshyhochdeutschen Urkundensprache begegnen u a gewalt reht zit gehuumlgede beziugede warnung unschult mit daszlig-Satz (B KirschsteinlU Schulze Woumlrterbuch der mittelhochshydeutschen Urkundensprache auf der Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurshykunden bis zum Jahre 13004 Lfg brief-dingen Berlin 1989 S 360) 31 Innerhalb der dritten Gruppe fehlen im Althochdeutschen noch Bezeichnungen fuumlr Ereignisse wie Gluumlcksfall Vorfall Zufall Ruumlckschlag Abenteuer 32 In einem Fall verhaumllt es sich scheinbar anders Tatian 2205 noh thanne ni uuestun sie giscrib thaz inan gilanf fon tode zi arstantanne nondum enim sciebant scripturam quill oportet eum a mortuis resuTgere Luther Joh 209 Denn sie wusten die Schrifft noch nicht I das er von den Todten aufferstehen muste Mentel Joh 209 Wann er wesst dennoch nit die schrifft das im gezam zersteen von den dotten nhd Denn sie kannten die Aussage der Schrift noch nicht daszlig er von den Toten auferstehen wuumlrde Ahd giscrib friihnhd Schrifft fungiert hier jedoch nicht als Konkreshytum sondern als Abstraktum mit der Bedeutung Aussage der Schrift

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

(18) Otfrid I 1818 so duat uns ubarmuati So bestraft uns der UumlbermutJ)

Geht man nun zu der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz uumlber so fehlt der Artikel in der Tatianuumlbersetzung genau wie bei dem lateinischen Vorbild vgl

(19) Tatian 1542 inti fon thanan suohta gilumphida thaz her in salti uzzan menigi und von da an suchte er die Gelegenheit daszlig er ihn auszligerhalb der Menge ausliefern konnte fuumlr lat et exinde querebat oportunitatem ut eum

traderet sine tubis 34

Anders steht es wenn kein lateinisches Vorbild zugrunde liegt Der bestimmte Artikel oder ein anderes ihn vertretendes Artikelwort erscheint fast durchwegs35

vgl

(20) Otfrid III 1643 f Ziu ist thanne iu widarmuati thisu selba guati theih einan man allan in then dag deta heilan Warum ist euch dann eben diese gute Tat zuwider daszlig ich einen Menschen ganz und gar an dem Tag geheilt habe36

n Behaghel [Anm22] S 68 ff vgl auch Hartrnann [Anm 7] S 85 f zum Mittelshyhochdeutschen 4 Vg ferner Tatian 147 intiih gisah intigiuuiznessisageta thaz therist gotes sun fuumlr lat et ego vidi et testimonium perhibui quill hic est filius dei 215 giuuizscaj thaz fuumlr lat testimonium quod 2205 giscrib thaz fuumlr lat scriptura quill 88 antvvurte thaz fuumlr lat Tesponso ne (vg Tatian 74) 13534 bibot thaz fuumlr lat mandatum ut Die Verbindung Adjektiv und Artikel erscheint 1606 Niuui bibot thaz fuumlr lat Mandatum novum ut 35 Ausnahmen sind Notker I 816 15 f loh nu dunchet mir muoza zegesehenne daz ih lesendo geeiscota fone dem demonum guoti I 3327 f Fure triuuon dang engilto ih unsculde unde lukkes unliumendes taz Eh si reus maiestatis Pro premiis uerl uirtutis subimus poenas falsi sceleris Vgl aus dem Nibelungenlied 8781 ff Urloup sie gewunnen daz si fuumlr solden gan

Sie erhielten die Erlaubnis daszlig sie vortraten Im Mittelhochdeutschen fehlt der Artikel bei festen Redewendungen wie Nibelungenshylied mere sagen daz danc sagen daz gedingen haben daz muot haben daz middot Aventin freiheit geben haben erlangen daz gnad geben erwerben daz neutralitatem halten daz gluumlk geben (neben das gluumlk geben) daz usw G Kinateder Die syntaktischen Funktionen der Konjunktion daszlig bei Aventin Phi Diss Muumlnchen 1897 S 53 ff 36 Vgl Otfrid II 128 V 1149 f thaz gizami thaz III 2075f thill selbun dat middot thaz V 643 f thio langun missidati thaz III 2511 f thie fristi thaz middot CV 2586) V 1145 f thes beren thinges thaz 12345 in thiu thing thaz middot III 2094 f thaz altar thaz I 231 f zi theru stullu zi theru ziti thaz

7 ZfdPh (Band 112 Heft 1) 97

Rosemarie Luumlhr

Ganz vereinzelt findet sich auch schon der unbestimmte Artikel bei der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz im Alt- und Mittelhochdeutschen vgl

Otfrid III 1633 f lh deta ein werk maraz giwisso wizit ir thaz theih bi einan man gimeinta in sambazdag giheilta Ich tat ein groszliges Werk gewiszlig wiszligt ihr das daszlig ich [mich] in betreff eines Mannes entschied ihn am Sabbat geheilt habe37

(22) Nibelungenlied 11311 H Da sprach der kuumlnic Gunther ich swuor ir einen eit daz ich ir getdte nimmer mere leit und wil es [uumlrbaz huumleten (23) 13702 ff die heten einen muot daz si da niht ensparten deheiner stahte guot 38

Daszlig die Verbindung unbestimmter Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen auftritt ist erstaunlich denn auszligerhalb dieser Fuumlgung kommt der unbestimmte Artikel bei Abstrakta in dieser Sprachstufe nur gelegentlich

39vor

Notker 11 16514 H dia tougeni unserro herzon daz II 14723 f Dia gnada daz I 6916 ff dero uneron daz II 55917 f Soliches segenes daz 11 1946 f dem missetate daz II 7315 f des leides daz II 16012 ff des tinges daz II 6125 H an dinero heilhafti daz I 5813 H die uuana taz II 1921 f daz unreht daz II 4879 f die guollichi daz (II 4872 H) I 3572 H tia barun not taz (15737 L) II 53927 H fone deme leide daz II 7622 f fone dien sculden daz I 3611 H an demo dinge dJz (II 10713 H) I 20416 f iro rihti daz (konsekutiv) Auch bei den Eigenschaftsbezeichnungen deren daszlig-Satz eine konsekutive Faumlrbung hat findet sich der Artikel vgL Ottrid V 59 thia beldida thaz IV 3613 sino gUat~ thaz V 2530 f minera dumpheiti mines selbes ubili thaz Notker I 5568 H mit tem baldi daz I 45223 H dia uesti taz II 2244 f dia bruti daz 129813 f sin ernest daz II 31724 f iro brOdi daz 37 Nicht sicher ist der unbestimmte Artikel nachweisbar in Otfrid III 1517 Lertun sie nan einan ruam thaz er gidJti imo einan duam imo ein gizami thaz er zeru firu quami Sie belehrten ihn daszlig er sich einen Ruhm verschaffen muumlsse ein Ansehen eine wundershybare Tat daszlig er zu der Feier komme Anders sind wohl zu beurteilen Tatian 226 then scuof her namon thaz sie hiezzin Boanerges fuumlr lat quibus inposuit nomina Boanerges Notker I 30130 f pe diu habet si einen anderen namen daz si intellectus beizet vgL I 75217 f II 28514 f 38 Vgl auch Aventin ein zeit das Kinateder [Anm 34] S 53 39 Vgl Behaghel [Anm22] S47 (Otfrid einan ruam) Nach PaullWiehlGrosse [Anm 16] S385 wird im Mittelhochdeutschen der unbestimmte Artikel mit dem

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Die Ergebnisse der Untersuchung des Gegensatzpaars generalisierend - idenshytifizierend im aumllteren Deutsch sind Schon im Althochdeutschen erscheint vor der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz fast ausnahmslos der Artikel und zwar in der Mehrzahl der Faumllle der bestimmte Artikel gelegentlich aber auch der unbestimmte Artikel Daher besteht Grund zu der Annahme daszlig die Entwickshylung zur Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz in dieser Sprachstufe so ziemlich abgeschlossen ist Der generalisierenden Funktion des O-Artikels steht in der Verbindung mit Abstrakta + daszlig-Satz die individualisierende Funktion des bestimmten und unbestimmten Artikels gegenuumlber die die einen Einzelsachshyverhalt aussondernde Funktion dieses Nebensatzes unterstuumltzt Fuumlr die syntaktishyschen Restriktionen bei Abstrakta ergibt sich somit Wahrscheinlich schon zur Zeit Otfrids blockiert der O-Artikel die Verbindung eines Abstraktums mit

einem daszlig-Satz

2 diskontinuativ kontinuativ

Wie die Belege unter (17) zeigen konnten bereits im Althochdeutschen Abstrakta des Typs Gluumlck also solche Abstrakta die das Bedeutungsmerkmal diskontinuativ haben mit einem daszlig-Satz verbunden werden

Diesen stehen Zustandsbezeichnungen gegenuumlber die an keiner Belegstelle mit einem daszlig-Satz auftreten vgl etwa

(24)40 Ahd Nob suaznissi Liebe [ridu restt Friede ruowa stillimuoti Ruhe41 stilnissi Stille tougalnessi Verborgenheit unruowa giruornissi Unshy

ruhe

Mhd liebe vride ruowe

Es ist nicht zu uumlbersehen daszlig es sich hier gerade um solche Abstrakta handelt bei denen auch im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz vorkommt Das legt die Folgerung nahe daszlig diese Abstrakta wie das neuhochdeutsche Abstraktum Friede das Bedeutungsmerkmal kontinuativ haben Trifft dies zu so kann man sagen daszlig schon vom Althochdeutschen an das Bedeutungsmerkmal kontinuashytiv eine Restriktion fuumlr die Kombinierbarkeit mit einem daszlig-Satz darstellt

Abstraktum verbunden bull wenn eine Erscheinungsform des Begriffs bezeichnet werden soll (Nibelungenlied einen grozen nit) vgl auch F Zimmer Das artikellose Substantivum in den Predigten Bertholds von Regensburg in Beitraumlge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 26 1901 S 354 40 Hat ein Wort mehrere Bedeutungen erfolgt eine Angabe nur der Bedeutung(en) die fuumlr die jeweilige Einordnung einschlaumlgig ist (sind) 41 Im Neuhochdeutschen ist allerdines moumlelich Er hatte nicht die Ruhe daszligmiddot (vgL Anm27)

7 99

Rosemarie Luumlhr

3 nichtidentifizierend - identifizierend Das dritte Begriffs- und Analysepaar naumlmlich der Gegensatz nichtidentifizieshyrend identifizierend wurde anhand von nhd Ungluumlck einerseits und Unfall und Verletzung andererseits eroumlrtert Daszlig im Falle von Unfall und Verletzung im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz auftritt wurde damit begruumlndet daszlig bei diesen Vorgangsbezeichnungen gleichzeitig andere Vorstellungen mit dem Abstraktum verbunden sind die den gemeinten Sachverhalt identifizieren Aus dem mit dem Abstraktum bezeichneten Begriff ist somit kein Einzelsachverhalt ableitbar Geht man nun der Frage nach ob auch in den untersuchten alt- und mittelhochdeutschen Quellen das Merkmal identifizierend bei Abstrakta eine Restriktion fuumlr einen daszlig-Satz darstellt so empfiehlt es sich solche Abstrakta zu untersuchen die gegebenenfalls zusammen mit Synonymen mindestens zehnmal belegt sind Es wird die Beleglage von Abstrakta die Verfolgung Untergang und Auferstehung bedeuten betrachtet (25) Ahd aumlhtunga Verfolgung ferlornissa ferlornissida zegengeda Untershygang irstantnissi urstendi urstendida Auferstehung

Vgl etwa aus dem Mhd die semantischen Entsprechungen ahte ervolgunge jage Verfolgung niderganc zergancnisse Untergang uferstandunge Aufershystehung42

Im Neuhochdeutschen ist bei Abstrakta mit solchen Bedeutungen der bezeichshynete Sachverhalt identifiziert weshalb keine attributiven daszlig-Saumltze auftreten Fuumlr das aumlltere Deutsch ist dies in gleicher Weise zu erwarten In der Tat finden sich auch im Alt- und Mittelhochdeutschen nach Abstrakta der Bedeutung Verfolgung Untergang und Auferstehung keine daszlig-Saumltze Es erscheinen vielmehr Ausdrucksweisen wie die folgende (26) Notker 11 52315 f Du bist fundamentum du habest kestatet dina tccleshysiam unde dannan uueret si ane zegengeda Du bist das Fundament du hast deine Kirche errichtet und von da an waumlhrt sie ohne Untergang

Weil hier davon die Rede ist daszlig die Kirche nicht vom Untergang bedroht ist ist der Sachverhalt auf den der Begriff zegengeda zutrifft identifiziert Damit eruumlbrigt sich der Anschluszlig eines einen bestimmten Sachverhalt aussondernden daszlig-Satzes

Da also sowohl im Neuhochdeutschen wie im Alt- und Mittelhochdeutschen Vorgangsbezeichnungen durch die ein Sachverhalt identifiziert wird43 keinen

42 Die mittelhochdeutschen Belege sind unterschiedlichen Quellen entnommen 43 Auch bei bestimmten Zustandsbezeichnungen ist der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert weshalb kein daszlig-Satz auftreten kann vgl etwa ahd irwartnissa Vergaumlngshylichkeit armuati Armutfriuntscaf(t) huldl Freundschaft (in den Bedeutungen Huld Gunst Gnade waumlre bei huldl jedoch ein daszlig-Satz anschlieszligbar)ientscaft Feindschaft gesundeda heilida Gesundheit cuumlmida Krankheit ewarttuom Priestertum Priestershyamt alt Alter mhd vriuntschaft vientschaft

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

daszlig-Satz neben sich haben kann die Folgerung nur ~ein daszlig schon im aumllteren Deutsch das Merkmal identifizierend die Anschlieszligbarkeit eines daszlig-Satzes

bei Abstrakta verhindert

C Zusammenfassung und Ausblick

Die Untersuchung einiger syntaktischer Restriktionen bei Abstrakta des heutishygen und aumllteren Deutsch hat folgendes ergeben Wie im Neuhochdeutschen haben bereits im Alt- und Mittelhochdeutschen die semantischen Merkmale generalisierend kontinuativ und identifizierend den Anschluszlig eines daszligshySatzes bei einem Abstraktum blockiert Waumlhrend die Bedeutungsmerkmale kontinuativ und identifizierend einem Abstraktum inhaumlrieren - die neushyhochdeutschen Beispiele waren die Abstrakta Friede und Unfall (Verletzung)- kam das Bedeutungsmerkmal generalisierend in dem ungrammatischen Beishyspiel Gluumlck daszlig dadurch zustande daszlig ein Abstraktum ohne Artikel verwenshydet wurde Soweit aus den Belegen ableitbar ist sind bei den untersuchten Restriktionen kaum Sprachwandelphaumlnomene nachweisbar Dies gilt auch fuumlr das am Artikel festgemachte Begriffs- und Analysepaar individualisierend shygeneralisierend Denn obwohl im Althochdeutschen der Artikel bei Abstrakta noch nicht in der Weise ausgebildet war wie im Neuhochdeutschen ist die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen von woumlrtlichen Nachahmungen des Lateinischen abgesehen fast durchwegs vom Artikel begleitet und zwar sowohl vom bestimmten als auch vom unbestimmten Artikel Es fragt sich nun ob mit den am Neuhochdeutschen festgestellten und am alt- und mittelhochdeutschen Sprachmaterial bestaumltigten drei semantischen Merkmalen generalisierend kontinuativ und identifizierend generelle Merkmale fuumlr die Blockierung von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta gefunden worden sind Zur Beantwortung dieser Frage soll keine moderne europaumlische Sprache herangezogen werden44 sondern das Lateinische bis zum Mittellateinischen Denn erstens ist diese Form des Lateinischen wie das Alt- und Mittelhochdeutshysche eine Corpussprache zweitens besitzt das Lateinische wie zu sehen war auch die Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz und zwar mit den Konjunktioshynen quod quia und ut und drittens stehen das Lateinische und Deutsche genetisch in keinem zu engen Verwandtschaftsverhaumlltnis

44 Vgl etwa die stets mit dem Artikel oder einem anderen Artikelwort auftretenden Fuumlgungen frz lidee que lespoir que weitere Abstrakta in solchen Fuumlgungen sind annonce assurance avis bruit certitude chose conviction crainte croyance desir doute fait impression joie malheur nouvelle opinion ordre pensee peur preuve principe promesse regret sentiment serment signe tImoignage vom volonte (M Grevisse Le Bon Usage Grammaire fran~aise daujordhui Paris-Gembloux 111980 0deg 3423 2556 2593) und ne the fact that the opinion that usw

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Rosemarie Luumlhr

Die Ergebnisse der Untersuchung sind Zustandsbezeichnungen des Typs Friede45

also die Abstrakta mit dem Bedeutungsmerkmal kontinuativ treten im Lateinischen ebensowenig wie im Deutschen mit einem daszlig-Satz auf Gleishyches gilt fuumlr Vorgangsbezeichnungen des Typs Unfalto der gegenuumlber dem Typ Ungluumlck einen Sachverhalt identifiziert Dagegen koumlnnen im Lateinischen wie im Deutschen Abstrakta mit der Bedeutung

(27) Meinung (sententia opinio) Zeugnis (testimonium) Antwort (responshysum) Glaube ifides) Trost (consolatio) Gebot (mandatum) Angelegenshyheit (res) Gelegenheit (occasio opportunitas) Gut (bonumt7

mit einem daszlig-Satz verbunden werden Da von diesen Abstrakta die Woumlrter fuumlr Angelegenheit Gelegenheit und Gut dem deutschen Typ Gluumlck mit dem Bedeutungsmerkmal diskontinuativ zuzurechnen sind scheint dieses Bedeushytungsmerkmal auf jeden Fall eine Bedingung fuumlr die Kombinierbarkeit eines dem Typ Gluumlck angehoumlrigen Abstraktums mit einem daszlig-Satz darzustellen Obwohl das Lateinische nicht uumlber ein Artikelsystem wie das Deutsche vershyfuumlgt48 gibt es Hinweise darauf daszlig auch das Lateinische dazu neigt die spezifizierende Funktion des daszlig-Satzes durch ein individualisierendes Artikelshywort wie ille oder unus beim Abstraktum zu unterstuumltzen vgl Fuumlgungen wie illa sententia quod una consolatio quod Da dem so ist scheinen das Lateinische und das Deutsche unabhaumlngig voneinander hinsichtlich der Bedingungen sowohl fuumlr das Auftreten als auch fuumlr das Fehlen von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta die gleichen Eigenschaften zu besitzen

Diese Behauptung kann durch ein Faktum der aumluszligeren Sprachgeschichte des Deutschen gestuumltzt werden Notker von St Gallen lieszlig oftmals bei seinen Uumlbersetzungen lateinische Begriffe die seinen Schuumllern schon bekannt waren oder die als Fachausdruumlcke galten unuumlbersetzt wodurch eine althochdeutschshylateinische Mischprosa entstand Was nun die hier interessierende althochdeutshysche Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz angeht so hat Notker vollkomshymen korrekt in diese Fuumlgungen zuweilen solche lateinischen Abstrakta ein geshy

45 Vgl lat Wahrheit (veritas) Liebe (amor caritas pietas benevolentia induigentia usw) Friede (pax) Ruhe (requies tranquillitas otium) Stille (silentium) ferner Zustandsbezeichnungen bei denen der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert ist wie Vergaumlnglichkeit (brevitas fragiiitas) Armut (paupertas mopia egestas) Freundschaft (amicitia necessitudo) Feindschaft (inimicitia dissensio) vgl Anm 43 46 Vgl lateinische Verbalabstrakta wie perturbatio Verwirrung defensio Verteidigung unio Vereinigung 47 Mit lat benignitas quod (A Draeger Historische Syntax der lateinischen Sprache Bd H Leipzig 21878 S 220 f) vgl nhd die Kraft daszlig Derartige Belege finden sich im Altlatein (z B bei Plautus) dann aber vor allem im Mittel- und Spaumltlatein 48 Vgl J B HofmannlA Szantyr Lateinische Syntax und Stilistik (Handbuch der Altertumswissenschaft II 22) Muumlnchen 1965 S 191 H

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~f~j - rlt1IItt i$ 4il 4JIt k( 41

Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

setzt die von ihrer Bedeutung her mit einem daszlig-Satz verbunden werden

koumlnnen vgl

(28) Notker I 1025 ff Tarazuo triffet tisiu disputatio daz diuitif den man nemugen saligen getuon Dazu paszligt diese disputatio (Eroumlrterung) daszlig Reichtuumlmer den Menschen nicht selig machen koumlnnen

(29) I 2508 f dien fOlget note diu conclusio daz al daztir ist kuot ist daraus folgt notwendigerweise die conclusio (der Schluszlig) daszlig alles was ist

bull 49gut Ist

Wichtig ist daszlig fuumlr diese Stellen ein unmittelbares lateinisches Vorbild fehlt Notker der wie man annimmt die lateinische Sprache ebenso gediegen wie seine Muttersprache zu handhaben verstand konnte deswegen bewuszligt oder unbewuszligt ein lateinisches Abstraktum zwanglos in eine deutsche Fuumlgung einpasshysen weil die Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz nicht nur in beiden Sprachen vorhanden ist sondern auch die Restriktionen eingeschlossen in uumlbereinstimmender Weise funktionierte

Sind die vorgebrachten Uumlberlegungen richtig so ist diesmal mit der inneren Sprachgeschichte des Deutschen ganz anders verfahren worden als es sonst allgemein uumlblich ist Sonst wird die innere Sprachgeschichte meistens dazu benutzt auffallende synchron nicht weiter erklaumlrbare Erscheinungen der Gegenwartssprache genetisch herzuleiten was oftmals mit der Beschreibung von Sprachwandelphaumlnomenen verbunden ist In der vorliegenden Untersuchung wurden dagegen syntaktische Besonderheiten des Neuhochdeutschen zu erklaumlshyren versucht und dann auf entsprechende Regularitaumlten in den aumllteren Stufen des Deutschen verwiesen5o Die Sprachgeschichte diente somit als Stuumltze fuumlr die Auffassung daszlig mit den Restriktionen genereller wirkende Regeln gefunden worden sind Daszlig mit solchen Regeln zu rechnen ist machte auch der Vergleich mit dem Lateinischen wahrscheinlich wie gezeigt verfuumlgt diese Sprache uumlber die entsprechende Konstruktion und uumlber Restriktionen wie sie das Deutsche

aufweist

49 Auch die folgenden lateinischen Abstrakta erscheinen bei Notker in der Konstruktion Abstraktum + daz-Satz exultatio Freude ordo Ordnung consequentia () Folge contrarium Gegenteil scandalum Aumlrgernis natura Wesen 50 Vgl W Labovs Some principles of linguistic methodology in Language and Society 1 (1972) S 101 On the use of the present to explain the past in Proceedings of the Eleventh International Congress of Linguists Bologna-Florence Aug 28-Sept 2 1972 ed by L Heilmann Bologna S 849 uniformitarian principle bull The linguistic processhyses taking place around us are the same as those that have operated to produce the historical record ferner C Christy Uniformitarianism in Linguistics (Amsterdam Studies in the Theory and History of Linguistic Science 31) AmsterdamPhiladelphia 1983 S 51 80

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Rosemarie Luumlhr Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Hinzu kam der Gluumlcksfall daszlig Notkers deutsch-lateinische Sprachkompetenz die Auffassung stuumltzt daszlig die untersuchte Konstruktion mitsamt ihren Restrikshytionen in beiden Sprachen weitgehend identisch ist Dies gibt hinreichend Anlaszlig zu der an die kuumlnftige Forschung zu richtenden Forderung daszlig bei Untersushychungen von Phaumlnomenen der inneren Sprachgeschichte auch die aumluszligere Sprachgeschichte gebuumlhrend zu beruumlcksichtigen ist

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Page 2: ZEITSCHRIFT FVR DEUTSCHE PHILOLOGIEdwee.eu/Rosemarie_Luehr/userfiles/downloads/Sonderdruck... · 2017. 12. 22. · Besm . und Hanmut Steinedte in Verbindung mit Christoph Conneau

SYNTAKTISCHE RESTRIKTIONEN BEI ABSTRAKTA shyGESTERN UND HEUTEl

von Rosemarie Luumlhr Gieszligen

Abstract

Ausgehend von der Unterscheidung von innerer und raquoaumluszligerer Sprachgeschichte wershyden in einem ersten Schritt Abstrakta danach subklassifiziert ob sie mit einem attributiven daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen oder nicht Die dabei festgestellten Restriktionen werden anschlieszligend mit Hilfe dreier oppositiver Begriffs- und Analysekategorien genauer gefaszligt Weiterhin wird untersucht ob die Restriktionen die bei den Abstrakta des heutigen Deutsch festgestellt wurden auch in den fruumlheren Sprach stufen des Deutschen nachzuweisen moumlglicherweise sogar universeller Natur sind

On the basis of the distinction between interna and external linguistic history abstract nouns are first subclassified according to whether they can be used with an attributive daszligshyc1ause or not The restrictions noted in this process are then stated more precisely with the

of three oppositions A further step is to examine whether the restrietions found in connection with abstract nouns in Modern German are also present in earlier periods of the German language or whether they are possibly even universal features

A Vorbemerkung

Betrachtet man die Geschichte einer Sprache so ist es uumlblich nach innerer und aumluszligerer Sprachgeschichte zu unterscheiden2 Die Beschreibung der inneren Sprachgeschichte hat die Veraumlnderungen in der Grammatik also von Lauten Formen Wortbildungen und -bedeutungen und syntaktischen Strukturen zum Inhalt Dagegen ist die aumluszligere Sprachgeschichte auf die Sprachtraumlger ausgeshyrichtet3 Untersucht man nun Sprachwandelphaumlnomene so lassen sich in erster Linie fuumlr Veraumlnderungen im Wortschatz Beziehungen zu den Sprachtraumlgern herstellen da das Neuaufkommen wie auch das Verschwinden von Woumlrtern nicht selten auf relativ sicher fixierbare aumluszligere Einfluumlsse ruumlckfuumlhrbar ist Innershyhalb der Sprachgeschichte des Deutschen gilt dies in besonderem Maszlige fuumlr die Wortart Substantiv und da wiederum nicht nur fuumlr Konkreta wie man aufgrund

1 Der vorliegende Aufsatz geht auf einen Vortrag zuruumlck 2 H Penzl Das Fruumlhneuhochdeutsche und die Periodisierung der Geschichte der deutshyschen Sprache in Chloe Beihefte zum Daphnis 3 Barocker Lustspiegel 1984 S 15 I Reiffenstein Interne und externe Sprachgeschichte In Deutsche Sprachgeschichte

undlagen Methoden Perspektiven Festschrift fuumlr J Erben zum 65 Geburtstag hg v Besch Frankfurt am MainBernNew YorkParis 1990 S 21 H mit weiterer Literatur

J Mit P von Polenz Geschichte der deutschen Sprache (Sammlung Goumlschen 2206) BerlinNew York 91978 S 7 kann man sagen daszlig die ~aumluszligere Sprachgeschichte nach der historischen Stellung der Sprache in der Gesamtkultur der jeweiligen Sprechergrupshypen fragt

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Rosemarie Liihr

der zahlreichen durch die zunehmende Technisierung bedingten Neubildungen in letzter Zeit denken koumlnnte Auch fuumlr das Aufkommen von Abstrakta koumlnnen die Gruumlnde bei den Sprachtraumlgern gesucht werden Nimmt man sich etwa die aumluszligere Geschichte der nach lateinischem Vorbild zustande gekommenen deutschen Abstrakta vor so hat Notker von St Gallen im ersten philosophishyschen Werk in deutscher Sprache in seiner Uumlbersetzung von Boethius De consolatione philosophiae nachweislich eine nicht geringe Anzahl wissenshyschaftlicher lateinischer Abstrakta zum ersten Mal ins Deutsche uumlbersetzt4 Was die innere Geschichte der Abstrakta angeht so stand bisher vor allem die Bildeweise dieser Woumlrter im Mittelpunkt des Interesses5 Daszlig aber Abstrakta auch fuumlr die historische Syntax des Deutschen neue Einsichten abwerfen koumlnnen wurde bislang kaum beachtet6 So kann man fuumlr die zuweilen schwierige Unterscheidung von Konkreta und Abstrakta nicht nur des heutigen sondern auch des fruumlheren Deutsch zunaumlchst einfach folgendes syntaktische Kriterium aufstellen7

Man weitet den Begriff Abstraktum so aus daszlig man die Kombiniershybarkeit mit einem attributiven daszlig-Satz als eines der Kriterien fuumlr abstrakt einfuumlhrt8 Nach diesem Unterscheidungsmerkmal ergibt sich Substantive die nicht mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen sind den Konkreta zuzushyrechnen Dagegen gehoumlren alle Substantive mit einem solchen daszlig-Satz zur Subklasse der Substantive die Abstrakta sind vgl

(1) die Hoffnung daszlig der Sohn bald zuruumlckkehrt gegenuumlber

(2) -das Buch daszlig der Sohn bald zuruumlckkehrt

Daszlig man die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz aber auch noch unter einem ganz anderen Gesichtspunkt als unter dem Gesichtspunkt der Differenzierung von

4 A Bach Geschichte der deutschen Sprache Wiesbaden 9[0 JJ S 165 f 5 Zum Beispiel wurde nachgewiesen daszlig bei den zur Zeit der Scholastik aufgekommenen deutschen Abstrakta feste Beziehungen zwischen den deutschen und den lateinischen Abstraktsuffixen herrschen vgl MoserlWellmannIWolf Geschichte der deutschen Sprashyche Althochdeutsch-Mittelhochdeutsch von N R Wolf (Uni-Taschenbuumlcher 1139) Heishydelberg 1981 S 188 f 6 Vgl aber R Luumlhr Typen von Explikativsaumltzen im Althochdeutschen in Kolloquium Zur Syntax des Althochdeutschen Universite J Moulin Lyon IU 28 Februar-3 Maumlrz 1990 hg von Y Desportes Paris 1993 7 Dagegen nimmt D Hartmann Studien zum bestimmten Artikel in Morant und Galie und anderen rheinischen Denkmaumllern des Mittelalters (Beitraumlge zur deutschen Philologie 38) Gieszligen 1967 S 26 f nur eine inhaltliche Einteilung der Abstrakta vor naumlmlich Menschliche Vorstellungen (Zum Menschen gehoumlrige Begriffe Vom Menschen unabhaumlnshygige Begriffe) Einmalige Vorgaumlnge Vorgaumlnge ereignishaften Charakters Eigentliche Abstrakta (Zustaumlnde Eigenschaften Verhaumlltnisse Wissenschaften) Vorgangswoumlrter (Subshystantivierte Infinitive) 8 Vgl B Sandberg Zur Repraumlsentation Besetzung und Funktion einiger zentraler Leerstellen bei Substantiven (Goumlteborger germanistische Forschungen 18) Goumlteborg 1979 S 115 In bestimmten Faumlllen sind anstelle des daszlig-Satzes auch Infinitivkonstruktionen

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Konkreta und Abstrakta sehen kann soU Beispiel (3) ein Satz von Schopenshy

hauer verdeutlichen

(3) Schopenhauer Welt als Wille und Vorstellung 11279 die Erkenntniszlig daszlig

die Notwendigkeit der Bewegungen aufdie Motive mit denen auf Reize gemeinshyschaftlich ist wird uns die Einsicht erleichtern daszlig

Man sieht wie ein kompetenter Schreiber deutscher Prosa eine philosophische Aussage formuliert indem er von der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz zweifashychen Gebrauch macht und zwar einmal in der syntaktischen Funktion eines Subjekts (die Erkenntniszlig daszlig ) und das andere Mal in der Funktion eines Objekts (die Einsicht daszlig ) Saumltze die Abstrakta mit einem daszlig-Satz enthalten gehoumlren zu den komplizieneren syntaktischen Strukturen des Deutshyschen Von Sprechern oder Schreibern mit geringerer Sprachkompetenz werden sie kaum verwendet Wollte man dieses Faktum fuumlr die aumluszligere Sprachgeshyschichte nutzen so koumlnnte man Texte auf die Haumlufigkeit der Fuumlgung Abstrakshytum + daszlig-Satz durchmustern und sich Gedanken uumlber die Gruumlnde fuumlr das Auftreten oder Fehlen solcher Konstruktionen bei den einzelnen Autoren

machen

Interessanter noch als eine Untersuchung der Haumlufigkeit der Fuumlgung Abstrakshytum + daszlig-Satz erscheint aber eine Fragestellung die sich aus folgendem ergibt Laumlngst nicht alle Abstrakta des Deutschen koumlnnen mit einem daszlig-Satz verbunshyden werden Das zeigen die folgenden ungrammatischen Saumltze des heutigen

Deutsch

(4) Gluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde

ihnen nicht zuteil

(5) Der Friede daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen

wurde ihnen nicht zuteil

(6) Der Unfall daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ereignet sich jeden Tagregt niemanden auf 10

9 Zitiert nach O Behaghel Deutsche Syntax Eine geschichtliche Darstellung Bd III Die Satz gebilde Heidelberg 1928 S 131 10 Eine weitere Restriktion tritt in folgendem Satz auf Die Beachtung daszlig viele Feuer die Gegend erleuchteten floumlszligte den Weiszligen noch mehr

Furcht vor den Indianern ein Da im Althochdeutschen keine Abstrakta mit einer Bedeutung wie Beachtung auftreten (vgl auch Beruumlcksichtigung Respektierung) wird die sich hier zeigende syntaktische Restriktion naumlmlich das Bedeutungsmerkmal Prozeszlig (gegenuumlber Resultat) bei Ableishytungen von faktiven Verben nicht weiter verfolgt dazu R Luumlhr Satzkomplemente in der Nominalphrase in Die Nominalphrase hg von E LoumlbeltT Tappe 1992

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Rosemarie Luumlhr

Da es sich bei den Substantiven Gluumlck Friede und Unfall um solche Substantive handelt die nach herrschender Auffassung Abstrakta sind ist die Gruppe der Abstrakta offensichtlich zu teilen in eine Subklasse die mit einem daszlig-Satz verbunden werden kann und in eine Subklasse bei der dies - gegebenenfalls unter bestimmten Bedingungen - nicht moumlglich ist Es liegt auf der Hand daszlig es fuumlr die Ungrarnmatikalitaumlt der Beispielsaumltze (4) bis (6) Gruumlnde geben muszlig und zwar Gruumlnde die in der Bedeutung der Abstrakta liegen Hier kommt also eine syntaktische Restriktion oder Beschraumlnkung zum Tragen naumlmlich daszlig ein Abstraktum unter bestimmten Umstaumlnden nicht mit einem daszlig-Satz verbunden werden kann Uumlbertraumlgt man diese Einsicht auf die innere Sprachgeschichte so folgt daraus die Frage ob die in den Beispielsaumltzen auftretenden syntaktischen Beschraumlnkungen bei Abstrakta schon in den aumllteren Stufen des heutigen Deutsch gegolten haben oder nicht Eine solche Fragestellung ist natuumlrlich nur sinnvoll wenn der zu untersuchende aumlltere Sprachzustand bereits uumlber eine hinreichend groszlige Menge erstens von Abstrakta und zweitens auch von Abstrakta + daszligshySatz verfuumlgt Denn nur in einem solchen Fall kann durch die Gegenuumlberstellung von Abstrakta mit und von Abstrakta ohne daszlig-Satz auf die vorauszusetzenden Unterschiede der beiden Typen von Abstrakta geschlossen werden Im Alt- und Mittelhochdeutschen ist die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz bereits voll ausgeshybildet auch treten zahlreiche noch naumlher zu charakterisierende Abstrakta ohne daszlig-Satz auf Aus diesem Grunde erscheint es legitim die am Neuhochdeutshyschen entwickelte Frage nach syntaktischen Restriktionen bei Abstrakta auf die aumllteren Stufen des Deutschen zu uumlbertragen zumal mit einer derartigen Untersushychung Neuland betreten wird Problematisch ist jedoch daszlig das Alt- und Mittelhochdeutsche Corpus sprachen sind Weil in solchen Sprachen das Fehlen einer syntaktischen Konstruktion auf Zufall beruhen kann gibt es nur einen Weg um den Mangel einer historischen Ersatzkompetenzll auszugleichen Es muumlssen genuumlgend Belege uumlberpruumlft werden Dabei gilt speziell fuumlr die folgende Untersuchung die sich ja mit syntaktischen Restriktionen befassen wird Es ist viel schwieriger nachzuweisen daszlig etwas regel haft nicht existiert als nachzushyweisen daszlig etwas regelhaft ausgebildet und damit vorhanden ist

Es wird also ein Problem der inneren Sprachgeschichte behandelt Die aumluszligere Geschichte der Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz spielt aber insofern in die angesprochene Problematik hinein als auch im Lateinischen die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz auftritt und die althochdeutschen Texte zum groszligen Teil Uumlbersetzungen oder Paraphrasen lateinischer Texte sind Zum Vorhandensein der Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz im Lateinischen vgl etwa Satz (7)

11 Dazu R Grosse Lexik und Syntax im Althochdeutschen in Deutsche Sprachgeshyschichte [Anm 2] S 94

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

(7) Apud Epicurum duo bona sunt ut corpus dolore animus perturbatione careat Bei Epikur gibt es zwei Guumlter (naumlmlich) daszlig der Koumlrper von Schmerz die Seele von Verwirrung frei sei12

Wie anhand von sprachinternen Fakten gezeigt aber hier nicht weiter ausgefuumlhrt wird hat zwar das Deutsche die Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz unabshyhaumlngig vom Lateinischen entwickelt3 dennoch ist nicht auszuschlieszligen daszlig die deutschsprachigen Autoren aumllterer Zeit Besonderheiten der lateinischen Fuumlgung nachgeahmt haben

Die Untersuchung gliedert sich in folgende Schritte Der Einfachheit halber und zwar weil die syntaktischen Restriktionen bei Abstrakta von der Gegenwartsshysprache her leichter erfaszligt werden koumlnnen als von den Vorstufen des heutigen Deutsch wird mit den syntaktischen Restriktionen heute begonnen Anhand der schon vorgestellten Beispielsaumltze (4) bis (6) sollen die bei Abstrakta auftretenden Restriktionen eroumlrtert werden Bezug genommen wird auf eigene Einsichten die im Laufe einer laumlngeren Beschaumlftigung mit Abstrakta gewonnen wurden die

12 K Bayer] Lindauer Lateinische Grammatik Auf der Grundlage der Lateinischen Schulgrammatik von Landgraf-Leitschuh neu bearb BamberglMuumlnchen 1977 S 218 B Zum einen zeigt sich daszlig die gleichen Konstruktionen auch in anderen germanischen Sprachen wie zum Beispiel im Altsaumlchsischen vorhanden sind Zum anderen sind die explikativen Fuumlgungen mit Hilfe der im Germanischen vorhandenen Sprachmittel erklaumlrshybar Dabei sind explikative Fuumlgungen als Objekte syntaktisch wahrscheinlich auf andere Weise als explikative Fuumlgungen in Subjektsfunktion entstanden Im Falle von explikativen Fuumlgungen in Objektsfunktion bilden Saumltze mit Verben die sowohl einen substantivischen Ausdruck als auch einen inhaltlich entsprechenden daz-Satz regieren koumlnnen die Nahtshystelle (vgl etwa klagoumln + Gen-Objektdaz-Satz) Steht hinter einem solchen Verb ein substantivischer Ausdruck als Objekt und wurde als Nachtrag ein daz-Satz hinzugefuumlgt so war der ganze Komplex als Einheit auffaszligbar wenn die Bedeutung des Abstraktums eine Explikation durch einen daz-Satz zulieszlig Dieses komplexe Satzglied konnte dann auch in Verbindung mit Verben die keinen daz-Satz regierten verwendet werden (vgl etwa ahd die guollichi geben daz ) Dagegen bilden bei der Entstehung explikativer Fuumlgungen in der Funktion eines Subjekts wahrscheinlich Saumltze mit dem Verb sein als Kopula den Ausgangspunkt Trat zu dem Verb sein eine lokale oder temporale Bestimshymung hinzu so war diese als Ergaumlnzung die die zweite ValenzsteIle des Verbs ausfuumlllt und das Verb sein als Vollverb (herrschen existieren) auffaszligbar Dadurch wurde der dazshySatz zum Teil des Subjekts vgl Die Sitte herrschte zu Rom daszlig man wenn Herrscher siegreich vom Kampf kamen dem allerredegewandtesten befahl das Siegeslob auf dem Kapitol vorzunehmen (vgl mit Stellung des daszlig-Satzes unmittelbar nach seinem Bezugswort vor dem finiten Verb Die Sitte daszlig man wenn Herrscher siegreich vom Kampf kamen dem allerredegewandtesten befahl das Siegeslob auf dem Kapitol vorzushynehmen herrschte zu Rom) Ausgehend von solchen Konstruktionen konnte die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz dann auch in der Funktion eines Praumldikatsnomens auftreten vgl der eigentliche Anlaszlig war der Umstand daszlig Weiteres bei Luumlhr [Anm 6] anders G Muumlllerffh F rings Die Entstehung der deutschen daszlig-Saumltze (Berichte uumlber die Verhandlungen der saumlchsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig) Berlin 1959

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Rosfm4rie Luumlhr

aber noch ergaumlnzungs beduumlrftig sind und ausgebaut werden muumlssen 14 Fuumlr den nachfolgenden Vergleich der heute feststellbaren syntaktischen Restriktionen bei Abstrakta mit denen fruumlherer Sprachstufen des Deutschen werden in erster Linie althochdeutsche Texte ausgewaumlhlt da es im folgenden auch um das Alter der Restriktionen auf deutschem Sprachgebiet geht herangezogen werden die umfangreicheren althochdeutschen Sprachdenkmaumller wie die Benediktinerregel die Tatianuumlbersetzung die Schriften Otfrids von Weiszligen burg und Notkers von St Gallen Da die Autoren dieser Texte alle mehr oder weniger lateinischen Vorbildern folgen wird noch ein mittelhochdeutscher Text fuumlr den keinerlei Zusammenhang mit dem Lateinischen bestanden hat ausgewaumlhlt und zwar das Nibelungenlied Der Vergleich fuumlhrt abschlieszligend zur Beantwortung der Frage ob sich bei den behandelten Restriktionen Sprach wandel phaumlnomene auswirken oder ob die Beschraumlnkungen eher genereller Art sind In diesem Zusammenhang ist noch einmal auf das Lateinische zuruumlckzukommen

B Untersuchungsteil

L Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta im heutigen Deutsch

Proben haben ergeben daszlig es sich empfiehlt die zu eroumlrternden Beschraumlnkunshygen nach bestimmten oppositiven Begriffs- und Analysepaaren zu ordnen Dabei stehen drei Begriffs- und Analysepaare zu Gebote naumlmlich die Paare individuashylisierend - generalisierend diskontinuativ - kontinuativ und nichtidenshytifizierend - identifizierend Hinzu kommt noch folgende generelle Untershyscheidung Abstrakta die mit einem daszlig-Satz kombinierbar sind koumlnnen im heutigen Deutsch in drei Subklassen unterteilt werden Das geht aus bestimmten Operationen also Verfahren die der Ermittlung sprachlicher Regularitaumlten und ihrer Struktur dienen hervor VgL die Beispielsaumltze (8) (9) und (4 a)

(8) Die Meinung daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben muumlssen ist anscheinend nicht allgemein verbreitet

(9) Die Ansicht daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben muumlssen ist anscheinend nicht allgemein verbreitet

(4 a) Das Gluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Die Umformungsprobe macht deutlich daszlig von den drei syntaktischen Fuumlgunshygen die Meinung daszlig die Ansicht daszlig und das Gluumlck daszlig nur das Syntagma die Meinung daszlig auf eine ebenfalls einen daszlig-Satz enthaltende Basis naumlmlich auf meinen daszlig mit einem daszlig-Satz in der Funktion eines Objekts zuruumlckgefuumlhrt werden kann vgl

14 R Luumlhr Zur Subklassifizierung von Abstrakta Wert und Grenzen operationaler Verfahren Sprachwissenschaft 16 1991 S 419 H Luumlhr [Anm 6J Luumlhr [Anm 10J

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

(8 a) Sie meinten daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben muumlssen

Die Valenz des Verbs ein Objekt in Form eines daszlig-Satzes zu sich zu nehmen ist in diesem Fall also auf das Substantiv uumlbergegangen

Die Austauschprobe ergibt daszlig anscheinend auch Abstrakta mit einer aumlhnlichen Bedeutung wie diejenigen die die Valenz der verbalen Basis uumlbernehmen mit einem daszlig-Satz kombinierbar sind vgl die Saumltze (8) und (9) mit den Abstrakta Meinung und Ansicht von denen Ansicht nicht auf eine verbale Basis mit daszligshySatz ruumlckfuumlhrbar ist Im Sprecherbewuszligtsein kann ein Syntagma wie die Ansicht daszlig jedoch ebenso wie das Syntagma die Meinung daszlig auf die verbale Basis meinen daszlig bezogen werden weshalb bei den Abstrakta des Typs Meinung und Ansicht zwei Arten von Substantivvalenz zu unterscheiden sind eine die aus einer tatsaumlchlichen und eine die aus einer virtuellen Basis mit daszlig-Satz abgeleishytet iSt15 Demgegenuumlber gibt es fuumlr das Abstraktum Gluumlck in (4 a) weder eine tatsaumlchliche noch eine virtuelle Basis mit einem daszlig-Satz Der daszlig-Satz ist hier explikativer Art er waumlhlt aus der Menge der vom Begriff Gluumlck umfaszligten Gluumlcksfaumllle einen aus

Ordnet man nun die Abstrakta in den ungrammatischen Saumltzen (4) bis (6) den drei Subtypen von Abstrakta mit daszlig-Satz zu so gehoumlren ebenso wie Gluumlck selbst auch die Abstrakta Unfall und Friede zum dritten Typ da weder eine tatsaumlchliche noch eine virtuelle Ableitungsbasis mit daszlig-Satz synchron nachshyweisbar ist

Um nun herauszufinden warum die Saumltze (4) bis (6) ungrammatisch sind werden neuhochdeutsche Saumltze gebildet die aumlhnliche aus Abstraktum und daszligshySatz bestehende Fuumlgung enthalten

1 individualisierend - generalisierend

Der einfachste Fall ist der ungrammatische Satz (4) Waumlhrend das Abstraktum Gluumlck ohne daszlig-Satz artikellos verwendet werden kann ist dies in Verbindung mit einem daszlig-Satz nicht moumlglich vgL die Saumltze (4 b) und

(4 b) Gluumlck gibt es nicht

(4) fGluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Satz (4) wird sofort grammatisch wenn anstelle des O-Artikels der bestimmte Artikel mit dem Abstraktum Gluumlck verbunden wird vgL den schon angefuumlhrten Satz (4 a)

(4 a) Das Gluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

15 Vgl H Paul Deutsche Grammatik Bd IV Syntax (zweite Halle (Saale) 51959 S 247 f

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Rosemarie Luumlhr

Im Falle des artikellosen Gebrauchs druumlckt der O-Artikel beim Abstraktum Generalisierung aus Demgegenuumlber hat der bestimmte Artikel in Verbindung mit einem Abstraktum + daszlig-Satz neben der determinierenden Funktion eine individualisierende Funktion16 So weist in Beispiel (4 a) der bestimmte Artikel darauf hin daszlig wie bemerkt von allen moumlglichen Gluumlcksfaumlllen durch den daszligshySatz einer ausgesondert wird Da auch der unbestimmte Artikel individualisieshyrend eingesetzt werden kann ist es nicht verwunderlich daszlig in gleicher Weise der unbestimmte Artikel bei Abstrakta + daszlig-Satz vorkommt vgl

(10) Joh 1839 Ihr habt aber eine Gewohnheit daszlig ich euch einen auf Ostern losgebe 1

Als erste syntaktische Restriktion ist somit festzuhalten In der Fuumlgung Abstrakshytum + daszlig-Satz kann im Neuhochdeutschen das Abstraktum nicht artikellos und damit in generalisierender Funktion verwendet werden Der Grund ist In der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz wird aus der Menge der moumlglichen Sachvershyhalte die unter den Begriff des uumlbergeordneten Abstraktums fallen durch den daszlig-Satz einer spezifiziert d h ausgesondert Deshalb ist ein Artikel in indivishydualisierender Funktion notwendig

2 diskontinuativ - kontinuativ

Auch beim zweiten Begriffs- und Analysepaar ist von Bedeutung daszlig durch den daszlig-Satz ein Sachverhalt aus dem uumlbergeordneten Begriff ausgesondert wird Wenn nun bei einem Abstraktum wie Friede kein daszlig-Satz moumlglich ist so ist dieser Begriff anscheinend nicht von der Art daszlig ein Einzelsachverhalt abstrashyhierbar ist vgl den ungrammatischen Satz (5)

(5) Der Friede daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Grammatisch ist dagegen wiederum der schon oumlfters angefuumlhrte Satz (4 a)

(4 a) Das Gluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Woran liegt nun die unterschiedliche Grammatikalitaumlt der Saumltze (5) und (4 a) Um eine Antwort auf diese Frage zu finden ist auf die Bedeutungsstrukturen der Woumlrter Gluumlck und Friede einzugehen beides sind Abstrakta die Zustaumlnde bezeichnen also Sachverhalte die uumlber einen bestimmten Zeitraum hinweg in ihren relevanten Zuumlgen gleichbleiben Es ist jedoch zu pruumlfen ob es bei den Konkreta aumlhnliche Bedeutungsunterschiede wie bei diesen Abstrakta gibt namrshy

16 Vergleichbar ist die Artikelsetzung bei Abstrakta wenn ein notwendiger Relativsatz folgt (vgl Hartmann [Anm7] S 78 H PaulP WiehlS Grosse Mittelhochdeutsche Grammatik Tuumlbingen 231989 S 385) 17 Nach Behaghel [Anm 9] S 131

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Syntaletische Restriktionen bei Abstrakta

lieh abgesehen von dem grundlegenden syntaktischen Unterschied daszlig nur Abstrakta mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen Zu diesem Zweck soll auf die Bedeutungen der Konkreta Wald und Holz eingegangen werden waumlhshyrend das Kollektivum Wald eine theoretisch zaumlhlbare Mehrzahl von Individuen naumlmlich von Baumlumen bezeichnet ist es im Falle des Masseworts Holz eine nicht weiter zerlegbare Menge tS Wald ist nach dieser Unterscheidung ein Diskontishynuativum und Holz ein Kontinuativum Uumlbertraumlgt man diese semantische Unterscheidung auf die Abstrakta Gluumlck und Friede19

so scheint es bei diesen Abstrakta ebenso eine Differenzierung nach den Merkmalen diskontinuativ und kontinuativ zu geben dabei gilt Nur bei Diskontinuativa wie Gluumlck kann mit Hilfe des daszlig-Satzes eine bestimmte Sachverhaltsbeschreibung ausgesondert werden vgl etwa das folgende Beispiel

(11) Das Gluumlck daszlig Hans die Pruumlfung bestanden hat daszlig Hans keine Verletzungen davongetragen hat daszlig Hans im Lotto gewonnen hat

kann ich gar nicht fassen

Dagegen duumlrfte die Zustandsbezeichnung Friede ein Kontinuativum sein weil eben keine Sachverhalts beschreibung durch einen daszlig-Satz aussonderbar ist

Die zweite syntaktische Restriktion lautet demnach Bei einer Zustandsbezeichshynung verhindert das Bedeutungsmerkmal kontinuativ die Kombinierbarkeit

mit einem daszlig-Satz

3 nichtidentifizierend identifizierend

Was unter dem Gegensatz nichtidentifizierend identifizierend zu versteshyhen ist soll an dem schon angefuumlhrten Satz (6) und an einem weiteren ungramshymatischen Beispielsatz eroumlrtert werden Waumlhrend die Saumltze (6) und (12) ungramshymatisch sind ist Satz (13) akzeptabel

1amp W Abraham Terminologie zur neueren Linguistik Tuumlbingen 21988 S 361 19 Vgl H Kubczak Das Verhaumlltnis von Intension und Extension als sprachwissenschaftshyliches Problem (Forschungsberichte des Instituts fuumlr Deutsche Sprache 23) Tuumlbingen 1975 S 42 f Nach H Kubczaks Auffassung ist bei einer Zustandsbezeichnung ein Zustand also eine einelementige Klasse angebbar welche durch eine Intension naumlher bestimmt wird Treten nun Quantifizierungen wie in zwei Buumlcher und zwei Freiheiten auf so ergibt sich nach H Kubczak folgender Unterschied zwischen den Konkreta und den Abstrakta Mit zwei Buumlcher koumlnnen Elemente aus einer Klasse von gegenstaumlndlichen Eigenschaftstraumlgern angesprochen werden die als solche lediglich durch die intensionale Definition von Buch definiert sind Und obwohl sich jedes auszligersprachliche Buch von jedem anderen irgendwie unterscheiden mag bezieht man sich mit zwei Buumlcher nicht auf diese Unterschiede Mit zwei Freiheiten werden indessen gerade zwei Entitaumlten ausdruumlckshylich angesprochen auf deren Unterschiede es bei aller Gemeinsamkeit ankommt Die in dem Begriff zwei Freiheiten gegebenen unterschiedlichen Abhaumlngigkeitsverhaumlltnisse wuumlrshyden sich zu Freiheit wie Arten zu einer Gattung verhalten

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Rosemarie Luumlhr

(6) Der Unfall daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ereignet sich jeden Tagregt niemanden auf

(12) Die Verletzung daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat hatte schlimme Folgen

(13) Das Ungluumlck daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ereignet sich jeden Tagregt niemanden auf

Ein ehemals d h zu seiner Zeit sicher korrekter Satz mit dem Abstraktum Unfall + daszlig-Satz ist bei Goethe belegt

(14) Ich habe zwar den Unfall erlitten dasz alle meine Sachen gestrandet lo

Das Abstraktum Unfall hatte fruumlher anscheinend eine weitere Bedeutung und wurde im Sinne von Ungluumlck verwendet vgl die Umformung (14 a)

(14 a) Ich habe zwar das Ungluumlck erlitten daszlig alle meine Sachen gestrandet sind

Es fragt sich wiederum wieso die Saumltze mit den Abstrakta der Bedeutung Ungluumlck grammatisch die Saumltze mit Vorgangsbezeichnungen21 der Bedeutung Unfall oder Verletzung jedoch ungrammatisch sind Geht man zuerst auf die Bedeutung des Abstraktums Verletzung ein so kann man mit O Behaghel22 hier von einem relativen Begriff sprechen das ist ein ergaumlnzungsbeduumldtiger Begriff der nur vollzogen werden kann wenn gleichzeitig andere Vorstellunshygen ins Bewuszligtsein treten Ein Begriff wie Verletzung wird zum Beispiel durch den Ausdruck von Vorstellungen wie wer wurde wie und wann verletzt ergaumlnzt und damit gesaumlttigt Dadurch wird der Begriffstraumlger hier also der Sachverhalt auf den der Begriff Verletzung zutrifft identifizierr3 vgl

(12 a) Die Verletzung des Fingers die Hans sich beim Brotschneiden zugezogen hat war erheblich

Ist aber der mit einem Begriff gemeinte Sachverhalt identifiziert so ist eine Aussonderung oder Explikation eines Einzelsachverhalts in Form eines daszligshySatzes nicht mehr moumlglich Aumlhnlich verhaumllt es sich bei dem Abstraktum Unfall in seiner modernen Bedeutung Heute bezeichnet dieses Wort einen dem Versicheshy

20 J GrimmW Grimm Deutsches Woumlrterbuch Bd XlIII Leipzig 1936 Sp 526 21 Vorgangsbezeichnungen sind Bezeichnungen fuumlr innerhalb eines bestimmten Zeitabshyschnitts ablaufende Uumlbergaumlnge von einem Zustand in einen anderen Zustand J Pleines Handlung-Kausalitaumlt-Intension (Tuumlbinger Beitraumlge zur Linguistik 68) Tuumlbingen 1976 S 55 ff 22 Deutsche Syntax Eine geschichtliche Darstellung Bd I Die Wortklassen und WOrtshyformen A Nomen Pronomen Heidelberg 1923 S 23 2J Vgl S Loumlbners Intensionale Verben und Funktionalbegriffe (Ergebnisse und Methoshyden moderner Sprachwissenschaft 7) Tuumlbingen 1979 S 34 f Definition der Funktionalshybegriffe

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

rungsrecht zugehoumlrigen Begriff und ist eingeschraumlnkt auf ein Ereignis welches infolge einer ploumltzlichen vom Betroffenen nicht gewollten Einwirkung Koumlrpershyverletzung oder Toumltung eines Menschen herbeifuumlhrt Auch hier ist eine Identifishyzierung des gemeinten Sachverhalts gegeben weshalb in der Gegenwartssprache der Begriff Unfall nicht weiter durch einen daszlig-Satz expliziert werden kann Dagegen gehoumlrt der Begriff Ungluumlck in der Terminologie O Behaghels zu den absoluten Begriffen die wie er sagt fuumlr sich allein eine abgeschlossene Vorstellung verkoumlrpern 24 Eine Identifizierung eines bestimmten Sachverhalts liegt hier also nicht vor Handelt es sich aber bei einem absoluten Begriff um ein potentielles Diskontinuativum so kann in einem geeigneten Kontext ein Einzelsachverhalt also ein bestimmter Ungluumlcksfall in Form eines daszlig-Satzes

abstrahiert werden vgl (13)

Moumlglicherweise ist der zwischen Abstrakta wie Unfall und Verletzung einerseits und Ungluumlck andererseits bestehende Bedeutungsunterschied auch durch einen Test erfaszligbar Im Falle des Abstraktums Ungluumlck kann der daszlig-Satz die Stelle

des Subjekts einnehmen vgl

(13 a) Daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ist ein Ungluumlck

Dagegen sind derartige Subjektsaumltze bei den Abstrakta Unfall und Verletzung

kaum moumlglich

(6 a) Daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ist ein Unfall

(12 b) Daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat ist eine Verletzung25

Als dritte syntaktische Restriktion ergibt sich somit Wird bei einem abstrakten Begriff der gemeinte Sachverhalt durch gleichzeitig im Bewuszligtsein vorhandene Vorstellungen identifiziert ist eine Explizierung des Begriffs durch einen daszligshy

Satz nicht moumlglich

Es ist nun zu pruumlfen ob durch die Begriffs- und Analysepaare individualisieshyrend - generalisierend diskontinuativ kontinuativ und nichtidentifishy

24 [Anm 22] S 22 25 Vgl Loumlbner [Anm 23] S 40 Moumlglich ist jedoch Daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat ist eine schlimme Verletzungeine Verletzung die keine schlimme Folgen haben kann Der Begriff Verletzung ist hier durch einen Zusatz spezifiziert Demgegenuumlber gehen C Fabricius-Hansenl A von Stechow Explikative und implikative Nominalerweiterungen im Deutschen in Zeitschrift fuumlr Sprachwissenschaft 81989 S 175 ff nicht darauf ein daszlig etwa bei Moumlglichkeit einem Abstraktum vom Typ Ungluumlck in Verbindung mit einer explikativen S-Erweiterung das Abstraktum ohne Spezifikation stehen kann (Daszlig man sich geirrt haben kann ist eine Moumlglichkeit) waumlhrend dies bei Gedanke notwendig ist vgl Daszlig ich dich beleidigt habe ist ein Gedanke der mich beunruhigt mit Daszlig ich dich beleidigt habe ist ein Gedanke

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Rosemarie Luumlhr

zierend - identifizierend auch in den Vorstufen des Deutschen syntaktische Restriktionen bei Abstrakta erfaszligt werden koumlnnen Dabei soll auf moumlgliche lateinische Vorbilder geachtet werden

II Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta im fruumlheren Deutsch

Der Ruumlckblick in die Sprachgeschichte ergibt folgende Befunde Zunaumlchst einmal ist festzustellen daszlig die durch die Substantive Meinung Ansicht und Gluumlck verkoumlrperten drei Haupttypen von Abstrakta mit attributivem daszlig-Satz seit althochdeutscher Zeit vertreten sind und zwar nicht nur wenn ein lateinishysches Vorbild nachweisbar ist vgL

zu dem Typ Meinung dessen zugrundeliegendes Verb ebenfalls einen daz-Satz regiert

(15) Althochdeutsch

mit lateinischem Vorbild Tatian antwurti (Antwort) daz responsum ne (antwunen daz) bibot (Gebot) daz mandatum ut (vgL gibiotan daz)

ohne lateinisches Vorbild Otfrid gilouba Glaube (gilouben daz) giniti Rat (ratan daz) redina Uumlbershylegung (vgl redinon daz)

Notker beneimeda Verheiszligung (vgl mhd beneimen daz) orhta (jurhten daz) gedang Gedanke (denehen daz) gedingi Hoffnung (gedingen daz) geiiht Aussage (iehen daz) ilunga Streben (ilen daz) lob Lob (vgl mhd loben daz) reda Uumlberlegung (vgl redon daz) uuan Ansicht (uuanen daz) zala Aussage (zellen daz) zeichen Zeichen (vgL zeigon daz)

Mittelhochdeutsch Nibelungenlied bete Bitte (bitten daz) gedinge Hoffnung (gedingen daz) wan Glaube (wknen daz) vreude Freude (vreuwen daz) itewizen Vorwershyfen (itewizen daz) trost Trost (tramen daz) klage Klage (klagen daz) nit Rat (raten daz) urloup Erlaubnis (erlouben daz)

Und dem Typ Ansicht mit einer aus einer virtuellen Basis abgeleiteten Valenz sind zuzuordnen

Althochdeutsch ohne lateinisches Vorbild Otfrid wort Wort (vgl jehen daz)26

26 Nach der Definition daszlig Woumlrter die mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen auf jeden Fall Abstrakta sind stellt sich ahd wort zu den Abstrakta obwohl ein Wort eine physikalisch meszligbare Groumlszlige ist Auch G O Curme A Grammar of the German Language New York 21922 S 63 betrachtet Woumlrter wie Wort als Abstrakta (vgl sein Beispieljammern ist unnuumltz) Ein explizites Unterscheidungskriterium gibt er jedoch nicht an

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Notker wort unliument Verleumdung (vgl jehen daz) tagalti Freude (vgl sich rewen daz )27

Mittelhochdeutsch Nibelungenlied mtere Bericht (vgL jehen daz) eit Eid (vgl swern daz)

schult Schuld (vgl itewizen daz)

Erstaunlich groszlig ist im Althochdeutschen die Anzahl der Abstrakta der dritten Gruppe der Substantive also die wie Gluumlck weder auf eine tatsaumlchliche noch auf eine virtuelle Basis mit einem daszlig-Satz in der Funktion eines Objekts ruumlckfuumlhrshybar sind Es handelt sich zum einen um Bezeichnungen fuumlr Zustaumlnde und zum anderen um Bezeichnungen fuumlr Handlungen also fuumlr kausal verursachte Vorshy

gaumlnge vgl

(17) mit lateinischem Vorbild Tatian gilumphida Gelegenheit fuumlr lat apportunitas

ohne lateinisches Vorbild Otfrid dtit Begebenheit gizami herrliche Fuumlgung28 salida Seligkeit ruam Ehre missidat Missetat

Notker muoza Gelegenheit Moumlglichkeit sito Brauch taugeni Mysterium gnada Gnade beil heilhati Heil segen Segen Tibti () Ordnung era

guollichi Ruhm unera Schmach unreht Unrecht unebeni Ungeshyrechtigkeit seult Schuld leid Leid brutti Schrecken missetat Missetat29

27 Aus Abstrakta die eine bestimmte Disposition fuumlr Handlungen und Einstellungen bezeichnen wie Kraft Kuumlhnheit Dummheit kann eine konsekutive Relation erschlossen werden Derartige Abstrakta bleiben im folgenden auszliger Betracht Mit einem daz-Satz sind im Althochdeutschen Abstrakta des Typs Kraft verbunden im Falle von Otfrid maht Macht krart Kraft beldida Kuumlhnheit guati Vonrefflichkeit Notker chraft baldi Kuumlhnheit festi Festigkeit ernest Eifer lat patientia Geduld lat stulticia Dummshyheit brodi Schwachheit ubeli Schlechtigkeit argi Bosheit lat natura Eigenart und im Nibelungenlied degenheit Tapferkeit sterke Kraft Weitere derartige Abstrakta die im Althochdeutschen nicht mit einem daszlig-Satz auftreten aber im Neuhochdeutschen mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen sind etwa reinida hreinnissa reinnusseda Reinheit spaumlhida wizz sapientia unwizzi Unverstand wihida wihi heilagnessi

wirdi Wuumlrde beldi Kuumlhnheit eregrehti Barmherzigkeit armherzi Mitshygedulti Geduld otmuoti Demut mihilnessi Herrlichkeit Majestaumlt unsubarnessi

Unreinheit unruohha Gleichguumlltigkeit Sorglosigkeit tumbheit Dummheit tumpnissi Torheit untarworfanii Unterwuumlrfigkeit gotnissa Goumlttlichkeit hartnissa Hme kilihnissa Gleichheit Aumlhnlichkeit miltid Mitleid miltnissa Sanftmut (zu weiteren Abstrakta vgl A R Lingl Uumlber den Gebrauch der Abstrakta im Plural im Ahd und Mhd Phi Diss Muumlnchen 1934 S 8 H) 28 Im Falle von ahd gilumphida und gizami liegt zwar ein Verb gizeman bzw gilimpfan sich geziemen zugrunde doch fungiert der bei diesen Verben auftretende daszlig-Satz als Subjektsatz 29 Hinzu kommen noch Zeitbegriffe wie Tatian Otfrid Notker zit Zeit Otfrid frist Frist Tatian taga qage Otfrid altar Alter Nibelungenlied tac stunde wile zit ferner Tatian Notker namo Name und Otfrid thing Notker ding Ding

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Rosemarie Luumlhr

Nibelungenlied geluumlcke Gluumlck heil Heil ungemach Ungluumlck era Ehre liep GefallenJO

Bemerkenswen ist daszlig die Bedeutungen der alt- und mittelhochdeutschen Abstrakta der dritten Gruppe genau bei den Abstrakta auftreten31

die im Neuhochdeutschen ebenfalls mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen 32

1 individualisierend - generalisierend

Wendet man sich nun den drei in Zusammenhang mit den Restriktionen bei Abstrakta aufgestellten Begriffs- und Analysepaaren im Alt- und Mittelhochshydeutschen zu so empfiehlt es sich wieder mit dem Gegensatzpaar individualishysierend - generalisierend zu beginnen wie bemerkt ist dieses an die Verwenshydung des Artikels geknuumlpft Zunaumlchst einmal ist zu bemerken daszlig im Althochshydeutschen Abstrakta noch artikellos vorkommen koumlnnen die im heutigen Deutsch mit einem Artikel verwendet werden muumlssen vgl

30 Abstrakta mit daszlig-Satz in Wolframs von Eschenbach Parzival sind art bete botschaft dinc ere gedanke gewalt gewin helfe klage kumber Ion mere not rat riwe selde schult sin site stat teidinc tac trost trure urbot volge vuore werc wUe wille witze wunder ZUuml zit zorn Auffallend ist sippe daz (H Baumltjer Die verwendung der konjunkshytion daz in Wolfram von Eschenbachs Parzival Phil Diss Marburg 1890 S 42 ff) Und bei Hartmann von Aue begegnen gedanc reht mere heil trost list rat gedinge wan gewalt wort pris zwivel guot torheit sage wille gehenge selde guumlete gemuumlete dinc gewinn tugende ere valsch schade (Hornig Formen und gebrauch des satzartikels oder der conjunction daz bei Hartmarm von Aue Eine grammatische studie Programm der Ritter-Akademie zu Brandenburg Brandenburg 1847 S 5 f 13 f 17) Auch bei Bertshyhold von Regensburg erscheint die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz Es finden sich Bezugswoumlrter wie zit tac dienest vgl auch Ausdrucksweisen wie 52918 der muoz die juncfrouwen haben diu da heizet gerehtikeit daz er ze rehte guumltet unde widergit II 20610 daz ist gar ein griulichiu suumlnde unde sie heizet unkiusche daz man und frouwen unkiusche sint mit einander (H Roetteken Der zusammengesetzte Satz bei Berthold von Regensshyburg Ein Beitrag zur mittelhochdeutschen Syntax Straszligburg 1884 66 f) In der mittelshyhochdeutschen Urkundensprache begegnen u a gewalt reht zit gehuumlgede beziugede warnung unschult mit daszlig-Satz (B KirschsteinlU Schulze Woumlrterbuch der mittelhochshydeutschen Urkundensprache auf der Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurshykunden bis zum Jahre 13004 Lfg brief-dingen Berlin 1989 S 360) 31 Innerhalb der dritten Gruppe fehlen im Althochdeutschen noch Bezeichnungen fuumlr Ereignisse wie Gluumlcksfall Vorfall Zufall Ruumlckschlag Abenteuer 32 In einem Fall verhaumllt es sich scheinbar anders Tatian 2205 noh thanne ni uuestun sie giscrib thaz inan gilanf fon tode zi arstantanne nondum enim sciebant scripturam quill oportet eum a mortuis resuTgere Luther Joh 209 Denn sie wusten die Schrifft noch nicht I das er von den Todten aufferstehen muste Mentel Joh 209 Wann er wesst dennoch nit die schrifft das im gezam zersteen von den dotten nhd Denn sie kannten die Aussage der Schrift noch nicht daszlig er von den Toten auferstehen wuumlrde Ahd giscrib friihnhd Schrifft fungiert hier jedoch nicht als Konkreshytum sondern als Abstraktum mit der Bedeutung Aussage der Schrift

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

(18) Otfrid I 1818 so duat uns ubarmuati So bestraft uns der UumlbermutJ)

Geht man nun zu der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz uumlber so fehlt der Artikel in der Tatianuumlbersetzung genau wie bei dem lateinischen Vorbild vgl

(19) Tatian 1542 inti fon thanan suohta gilumphida thaz her in salti uzzan menigi und von da an suchte er die Gelegenheit daszlig er ihn auszligerhalb der Menge ausliefern konnte fuumlr lat et exinde querebat oportunitatem ut eum

traderet sine tubis 34

Anders steht es wenn kein lateinisches Vorbild zugrunde liegt Der bestimmte Artikel oder ein anderes ihn vertretendes Artikelwort erscheint fast durchwegs35

vgl

(20) Otfrid III 1643 f Ziu ist thanne iu widarmuati thisu selba guati theih einan man allan in then dag deta heilan Warum ist euch dann eben diese gute Tat zuwider daszlig ich einen Menschen ganz und gar an dem Tag geheilt habe36

n Behaghel [Anm22] S 68 ff vgl auch Hartrnann [Anm 7] S 85 f zum Mittelshyhochdeutschen 4 Vg ferner Tatian 147 intiih gisah intigiuuiznessisageta thaz therist gotes sun fuumlr lat et ego vidi et testimonium perhibui quill hic est filius dei 215 giuuizscaj thaz fuumlr lat testimonium quod 2205 giscrib thaz fuumlr lat scriptura quill 88 antvvurte thaz fuumlr lat Tesponso ne (vg Tatian 74) 13534 bibot thaz fuumlr lat mandatum ut Die Verbindung Adjektiv und Artikel erscheint 1606 Niuui bibot thaz fuumlr lat Mandatum novum ut 35 Ausnahmen sind Notker I 816 15 f loh nu dunchet mir muoza zegesehenne daz ih lesendo geeiscota fone dem demonum guoti I 3327 f Fure triuuon dang engilto ih unsculde unde lukkes unliumendes taz Eh si reus maiestatis Pro premiis uerl uirtutis subimus poenas falsi sceleris Vgl aus dem Nibelungenlied 8781 ff Urloup sie gewunnen daz si fuumlr solden gan

Sie erhielten die Erlaubnis daszlig sie vortraten Im Mittelhochdeutschen fehlt der Artikel bei festen Redewendungen wie Nibelungenshylied mere sagen daz danc sagen daz gedingen haben daz muot haben daz middot Aventin freiheit geben haben erlangen daz gnad geben erwerben daz neutralitatem halten daz gluumlk geben (neben das gluumlk geben) daz usw G Kinateder Die syntaktischen Funktionen der Konjunktion daszlig bei Aventin Phi Diss Muumlnchen 1897 S 53 ff 36 Vgl Otfrid II 128 V 1149 f thaz gizami thaz III 2075f thill selbun dat middot thaz V 643 f thio langun missidati thaz III 2511 f thie fristi thaz middot CV 2586) V 1145 f thes beren thinges thaz 12345 in thiu thing thaz middot III 2094 f thaz altar thaz I 231 f zi theru stullu zi theru ziti thaz

7 ZfdPh (Band 112 Heft 1) 97

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Ganz vereinzelt findet sich auch schon der unbestimmte Artikel bei der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz im Alt- und Mittelhochdeutschen vgl

Otfrid III 1633 f lh deta ein werk maraz giwisso wizit ir thaz theih bi einan man gimeinta in sambazdag giheilta Ich tat ein groszliges Werk gewiszlig wiszligt ihr das daszlig ich [mich] in betreff eines Mannes entschied ihn am Sabbat geheilt habe37

(22) Nibelungenlied 11311 H Da sprach der kuumlnic Gunther ich swuor ir einen eit daz ich ir getdte nimmer mere leit und wil es [uumlrbaz huumleten (23) 13702 ff die heten einen muot daz si da niht ensparten deheiner stahte guot 38

Daszlig die Verbindung unbestimmter Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen auftritt ist erstaunlich denn auszligerhalb dieser Fuumlgung kommt der unbestimmte Artikel bei Abstrakta in dieser Sprachstufe nur gelegentlich

39vor

Notker 11 16514 H dia tougeni unserro herzon daz II 14723 f Dia gnada daz I 6916 ff dero uneron daz II 55917 f Soliches segenes daz 11 1946 f dem missetate daz II 7315 f des leides daz II 16012 ff des tinges daz II 6125 H an dinero heilhafti daz I 5813 H die uuana taz II 1921 f daz unreht daz II 4879 f die guollichi daz (II 4872 H) I 3572 H tia barun not taz (15737 L) II 53927 H fone deme leide daz II 7622 f fone dien sculden daz I 3611 H an demo dinge dJz (II 10713 H) I 20416 f iro rihti daz (konsekutiv) Auch bei den Eigenschaftsbezeichnungen deren daszlig-Satz eine konsekutive Faumlrbung hat findet sich der Artikel vgL Ottrid V 59 thia beldida thaz IV 3613 sino gUat~ thaz V 2530 f minera dumpheiti mines selbes ubili thaz Notker I 5568 H mit tem baldi daz I 45223 H dia uesti taz II 2244 f dia bruti daz 129813 f sin ernest daz II 31724 f iro brOdi daz 37 Nicht sicher ist der unbestimmte Artikel nachweisbar in Otfrid III 1517 Lertun sie nan einan ruam thaz er gidJti imo einan duam imo ein gizami thaz er zeru firu quami Sie belehrten ihn daszlig er sich einen Ruhm verschaffen muumlsse ein Ansehen eine wundershybare Tat daszlig er zu der Feier komme Anders sind wohl zu beurteilen Tatian 226 then scuof her namon thaz sie hiezzin Boanerges fuumlr lat quibus inposuit nomina Boanerges Notker I 30130 f pe diu habet si einen anderen namen daz si intellectus beizet vgL I 75217 f II 28514 f 38 Vgl auch Aventin ein zeit das Kinateder [Anm 34] S 53 39 Vgl Behaghel [Anm22] S47 (Otfrid einan ruam) Nach PaullWiehlGrosse [Anm 16] S385 wird im Mittelhochdeutschen der unbestimmte Artikel mit dem

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Die Ergebnisse der Untersuchung des Gegensatzpaars generalisierend - idenshytifizierend im aumllteren Deutsch sind Schon im Althochdeutschen erscheint vor der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz fast ausnahmslos der Artikel und zwar in der Mehrzahl der Faumllle der bestimmte Artikel gelegentlich aber auch der unbestimmte Artikel Daher besteht Grund zu der Annahme daszlig die Entwickshylung zur Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz in dieser Sprachstufe so ziemlich abgeschlossen ist Der generalisierenden Funktion des O-Artikels steht in der Verbindung mit Abstrakta + daszlig-Satz die individualisierende Funktion des bestimmten und unbestimmten Artikels gegenuumlber die die einen Einzelsachshyverhalt aussondernde Funktion dieses Nebensatzes unterstuumltzt Fuumlr die syntaktishyschen Restriktionen bei Abstrakta ergibt sich somit Wahrscheinlich schon zur Zeit Otfrids blockiert der O-Artikel die Verbindung eines Abstraktums mit

einem daszlig-Satz

2 diskontinuativ kontinuativ

Wie die Belege unter (17) zeigen konnten bereits im Althochdeutschen Abstrakta des Typs Gluumlck also solche Abstrakta die das Bedeutungsmerkmal diskontinuativ haben mit einem daszlig-Satz verbunden werden

Diesen stehen Zustandsbezeichnungen gegenuumlber die an keiner Belegstelle mit einem daszlig-Satz auftreten vgl etwa

(24)40 Ahd Nob suaznissi Liebe [ridu restt Friede ruowa stillimuoti Ruhe41 stilnissi Stille tougalnessi Verborgenheit unruowa giruornissi Unshy

ruhe

Mhd liebe vride ruowe

Es ist nicht zu uumlbersehen daszlig es sich hier gerade um solche Abstrakta handelt bei denen auch im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz vorkommt Das legt die Folgerung nahe daszlig diese Abstrakta wie das neuhochdeutsche Abstraktum Friede das Bedeutungsmerkmal kontinuativ haben Trifft dies zu so kann man sagen daszlig schon vom Althochdeutschen an das Bedeutungsmerkmal kontinuashytiv eine Restriktion fuumlr die Kombinierbarkeit mit einem daszlig-Satz darstellt

Abstraktum verbunden bull wenn eine Erscheinungsform des Begriffs bezeichnet werden soll (Nibelungenlied einen grozen nit) vgl auch F Zimmer Das artikellose Substantivum in den Predigten Bertholds von Regensburg in Beitraumlge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 26 1901 S 354 40 Hat ein Wort mehrere Bedeutungen erfolgt eine Angabe nur der Bedeutung(en) die fuumlr die jeweilige Einordnung einschlaumlgig ist (sind) 41 Im Neuhochdeutschen ist allerdines moumlelich Er hatte nicht die Ruhe daszligmiddot (vgL Anm27)

7 99

Rosemarie Luumlhr

3 nichtidentifizierend - identifizierend Das dritte Begriffs- und Analysepaar naumlmlich der Gegensatz nichtidentifizieshyrend identifizierend wurde anhand von nhd Ungluumlck einerseits und Unfall und Verletzung andererseits eroumlrtert Daszlig im Falle von Unfall und Verletzung im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz auftritt wurde damit begruumlndet daszlig bei diesen Vorgangsbezeichnungen gleichzeitig andere Vorstellungen mit dem Abstraktum verbunden sind die den gemeinten Sachverhalt identifizieren Aus dem mit dem Abstraktum bezeichneten Begriff ist somit kein Einzelsachverhalt ableitbar Geht man nun der Frage nach ob auch in den untersuchten alt- und mittelhochdeutschen Quellen das Merkmal identifizierend bei Abstrakta eine Restriktion fuumlr einen daszlig-Satz darstellt so empfiehlt es sich solche Abstrakta zu untersuchen die gegebenenfalls zusammen mit Synonymen mindestens zehnmal belegt sind Es wird die Beleglage von Abstrakta die Verfolgung Untergang und Auferstehung bedeuten betrachtet (25) Ahd aumlhtunga Verfolgung ferlornissa ferlornissida zegengeda Untershygang irstantnissi urstendi urstendida Auferstehung

Vgl etwa aus dem Mhd die semantischen Entsprechungen ahte ervolgunge jage Verfolgung niderganc zergancnisse Untergang uferstandunge Aufershystehung42

Im Neuhochdeutschen ist bei Abstrakta mit solchen Bedeutungen der bezeichshynete Sachverhalt identifiziert weshalb keine attributiven daszlig-Saumltze auftreten Fuumlr das aumlltere Deutsch ist dies in gleicher Weise zu erwarten In der Tat finden sich auch im Alt- und Mittelhochdeutschen nach Abstrakta der Bedeutung Verfolgung Untergang und Auferstehung keine daszlig-Saumltze Es erscheinen vielmehr Ausdrucksweisen wie die folgende (26) Notker 11 52315 f Du bist fundamentum du habest kestatet dina tccleshysiam unde dannan uueret si ane zegengeda Du bist das Fundament du hast deine Kirche errichtet und von da an waumlhrt sie ohne Untergang

Weil hier davon die Rede ist daszlig die Kirche nicht vom Untergang bedroht ist ist der Sachverhalt auf den der Begriff zegengeda zutrifft identifiziert Damit eruumlbrigt sich der Anschluszlig eines einen bestimmten Sachverhalt aussondernden daszlig-Satzes

Da also sowohl im Neuhochdeutschen wie im Alt- und Mittelhochdeutschen Vorgangsbezeichnungen durch die ein Sachverhalt identifiziert wird43 keinen

42 Die mittelhochdeutschen Belege sind unterschiedlichen Quellen entnommen 43 Auch bei bestimmten Zustandsbezeichnungen ist der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert weshalb kein daszlig-Satz auftreten kann vgl etwa ahd irwartnissa Vergaumlngshylichkeit armuati Armutfriuntscaf(t) huldl Freundschaft (in den Bedeutungen Huld Gunst Gnade waumlre bei huldl jedoch ein daszlig-Satz anschlieszligbar)ientscaft Feindschaft gesundeda heilida Gesundheit cuumlmida Krankheit ewarttuom Priestertum Priestershyamt alt Alter mhd vriuntschaft vientschaft

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

daszlig-Satz neben sich haben kann die Folgerung nur ~ein daszlig schon im aumllteren Deutsch das Merkmal identifizierend die Anschlieszligbarkeit eines daszlig-Satzes

bei Abstrakta verhindert

C Zusammenfassung und Ausblick

Die Untersuchung einiger syntaktischer Restriktionen bei Abstrakta des heutishygen und aumllteren Deutsch hat folgendes ergeben Wie im Neuhochdeutschen haben bereits im Alt- und Mittelhochdeutschen die semantischen Merkmale generalisierend kontinuativ und identifizierend den Anschluszlig eines daszligshySatzes bei einem Abstraktum blockiert Waumlhrend die Bedeutungsmerkmale kontinuativ und identifizierend einem Abstraktum inhaumlrieren - die neushyhochdeutschen Beispiele waren die Abstrakta Friede und Unfall (Verletzung)- kam das Bedeutungsmerkmal generalisierend in dem ungrammatischen Beishyspiel Gluumlck daszlig dadurch zustande daszlig ein Abstraktum ohne Artikel verwenshydet wurde Soweit aus den Belegen ableitbar ist sind bei den untersuchten Restriktionen kaum Sprachwandelphaumlnomene nachweisbar Dies gilt auch fuumlr das am Artikel festgemachte Begriffs- und Analysepaar individualisierend shygeneralisierend Denn obwohl im Althochdeutschen der Artikel bei Abstrakta noch nicht in der Weise ausgebildet war wie im Neuhochdeutschen ist die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen von woumlrtlichen Nachahmungen des Lateinischen abgesehen fast durchwegs vom Artikel begleitet und zwar sowohl vom bestimmten als auch vom unbestimmten Artikel Es fragt sich nun ob mit den am Neuhochdeutschen festgestellten und am alt- und mittelhochdeutschen Sprachmaterial bestaumltigten drei semantischen Merkmalen generalisierend kontinuativ und identifizierend generelle Merkmale fuumlr die Blockierung von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta gefunden worden sind Zur Beantwortung dieser Frage soll keine moderne europaumlische Sprache herangezogen werden44 sondern das Lateinische bis zum Mittellateinischen Denn erstens ist diese Form des Lateinischen wie das Alt- und Mittelhochdeutshysche eine Corpussprache zweitens besitzt das Lateinische wie zu sehen war auch die Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz und zwar mit den Konjunktioshynen quod quia und ut und drittens stehen das Lateinische und Deutsche genetisch in keinem zu engen Verwandtschaftsverhaumlltnis

44 Vgl etwa die stets mit dem Artikel oder einem anderen Artikelwort auftretenden Fuumlgungen frz lidee que lespoir que weitere Abstrakta in solchen Fuumlgungen sind annonce assurance avis bruit certitude chose conviction crainte croyance desir doute fait impression joie malheur nouvelle opinion ordre pensee peur preuve principe promesse regret sentiment serment signe tImoignage vom volonte (M Grevisse Le Bon Usage Grammaire fran~aise daujordhui Paris-Gembloux 111980 0deg 3423 2556 2593) und ne the fact that the opinion that usw

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Rosemarie Luumlhr

Die Ergebnisse der Untersuchung sind Zustandsbezeichnungen des Typs Friede45

also die Abstrakta mit dem Bedeutungsmerkmal kontinuativ treten im Lateinischen ebensowenig wie im Deutschen mit einem daszlig-Satz auf Gleishyches gilt fuumlr Vorgangsbezeichnungen des Typs Unfalto der gegenuumlber dem Typ Ungluumlck einen Sachverhalt identifiziert Dagegen koumlnnen im Lateinischen wie im Deutschen Abstrakta mit der Bedeutung

(27) Meinung (sententia opinio) Zeugnis (testimonium) Antwort (responshysum) Glaube ifides) Trost (consolatio) Gebot (mandatum) Angelegenshyheit (res) Gelegenheit (occasio opportunitas) Gut (bonumt7

mit einem daszlig-Satz verbunden werden Da von diesen Abstrakta die Woumlrter fuumlr Angelegenheit Gelegenheit und Gut dem deutschen Typ Gluumlck mit dem Bedeutungsmerkmal diskontinuativ zuzurechnen sind scheint dieses Bedeushytungsmerkmal auf jeden Fall eine Bedingung fuumlr die Kombinierbarkeit eines dem Typ Gluumlck angehoumlrigen Abstraktums mit einem daszlig-Satz darzustellen Obwohl das Lateinische nicht uumlber ein Artikelsystem wie das Deutsche vershyfuumlgt48 gibt es Hinweise darauf daszlig auch das Lateinische dazu neigt die spezifizierende Funktion des daszlig-Satzes durch ein individualisierendes Artikelshywort wie ille oder unus beim Abstraktum zu unterstuumltzen vgl Fuumlgungen wie illa sententia quod una consolatio quod Da dem so ist scheinen das Lateinische und das Deutsche unabhaumlngig voneinander hinsichtlich der Bedingungen sowohl fuumlr das Auftreten als auch fuumlr das Fehlen von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta die gleichen Eigenschaften zu besitzen

Diese Behauptung kann durch ein Faktum der aumluszligeren Sprachgeschichte des Deutschen gestuumltzt werden Notker von St Gallen lieszlig oftmals bei seinen Uumlbersetzungen lateinische Begriffe die seinen Schuumllern schon bekannt waren oder die als Fachausdruumlcke galten unuumlbersetzt wodurch eine althochdeutschshylateinische Mischprosa entstand Was nun die hier interessierende althochdeutshysche Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz angeht so hat Notker vollkomshymen korrekt in diese Fuumlgungen zuweilen solche lateinischen Abstrakta ein geshy

45 Vgl lat Wahrheit (veritas) Liebe (amor caritas pietas benevolentia induigentia usw) Friede (pax) Ruhe (requies tranquillitas otium) Stille (silentium) ferner Zustandsbezeichnungen bei denen der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert ist wie Vergaumlnglichkeit (brevitas fragiiitas) Armut (paupertas mopia egestas) Freundschaft (amicitia necessitudo) Feindschaft (inimicitia dissensio) vgl Anm 43 46 Vgl lateinische Verbalabstrakta wie perturbatio Verwirrung defensio Verteidigung unio Vereinigung 47 Mit lat benignitas quod (A Draeger Historische Syntax der lateinischen Sprache Bd H Leipzig 21878 S 220 f) vgl nhd die Kraft daszlig Derartige Belege finden sich im Altlatein (z B bei Plautus) dann aber vor allem im Mittel- und Spaumltlatein 48 Vgl J B HofmannlA Szantyr Lateinische Syntax und Stilistik (Handbuch der Altertumswissenschaft II 22) Muumlnchen 1965 S 191 H

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~f~j - rlt1IItt i$ 4il 4JIt k( 41

Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

setzt die von ihrer Bedeutung her mit einem daszlig-Satz verbunden werden

koumlnnen vgl

(28) Notker I 1025 ff Tarazuo triffet tisiu disputatio daz diuitif den man nemugen saligen getuon Dazu paszligt diese disputatio (Eroumlrterung) daszlig Reichtuumlmer den Menschen nicht selig machen koumlnnen

(29) I 2508 f dien fOlget note diu conclusio daz al daztir ist kuot ist daraus folgt notwendigerweise die conclusio (der Schluszlig) daszlig alles was ist

bull 49gut Ist

Wichtig ist daszlig fuumlr diese Stellen ein unmittelbares lateinisches Vorbild fehlt Notker der wie man annimmt die lateinische Sprache ebenso gediegen wie seine Muttersprache zu handhaben verstand konnte deswegen bewuszligt oder unbewuszligt ein lateinisches Abstraktum zwanglos in eine deutsche Fuumlgung einpasshysen weil die Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz nicht nur in beiden Sprachen vorhanden ist sondern auch die Restriktionen eingeschlossen in uumlbereinstimmender Weise funktionierte

Sind die vorgebrachten Uumlberlegungen richtig so ist diesmal mit der inneren Sprachgeschichte des Deutschen ganz anders verfahren worden als es sonst allgemein uumlblich ist Sonst wird die innere Sprachgeschichte meistens dazu benutzt auffallende synchron nicht weiter erklaumlrbare Erscheinungen der Gegenwartssprache genetisch herzuleiten was oftmals mit der Beschreibung von Sprachwandelphaumlnomenen verbunden ist In der vorliegenden Untersuchung wurden dagegen syntaktische Besonderheiten des Neuhochdeutschen zu erklaumlshyren versucht und dann auf entsprechende Regularitaumlten in den aumllteren Stufen des Deutschen verwiesen5o Die Sprachgeschichte diente somit als Stuumltze fuumlr die Auffassung daszlig mit den Restriktionen genereller wirkende Regeln gefunden worden sind Daszlig mit solchen Regeln zu rechnen ist machte auch der Vergleich mit dem Lateinischen wahrscheinlich wie gezeigt verfuumlgt diese Sprache uumlber die entsprechende Konstruktion und uumlber Restriktionen wie sie das Deutsche

aufweist

49 Auch die folgenden lateinischen Abstrakta erscheinen bei Notker in der Konstruktion Abstraktum + daz-Satz exultatio Freude ordo Ordnung consequentia () Folge contrarium Gegenteil scandalum Aumlrgernis natura Wesen 50 Vgl W Labovs Some principles of linguistic methodology in Language and Society 1 (1972) S 101 On the use of the present to explain the past in Proceedings of the Eleventh International Congress of Linguists Bologna-Florence Aug 28-Sept 2 1972 ed by L Heilmann Bologna S 849 uniformitarian principle bull The linguistic processhyses taking place around us are the same as those that have operated to produce the historical record ferner C Christy Uniformitarianism in Linguistics (Amsterdam Studies in the Theory and History of Linguistic Science 31) AmsterdamPhiladelphia 1983 S 51 80

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Rosemarie Luumlhr Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Hinzu kam der Gluumlcksfall daszlig Notkers deutsch-lateinische Sprachkompetenz die Auffassung stuumltzt daszlig die untersuchte Konstruktion mitsamt ihren Restrikshytionen in beiden Sprachen weitgehend identisch ist Dies gibt hinreichend Anlaszlig zu der an die kuumlnftige Forschung zu richtenden Forderung daszlig bei Untersushychungen von Phaumlnomenen der inneren Sprachgeschichte auch die aumluszligere Sprachgeschichte gebuumlhrend zu beruumlcksichtigen ist

t f

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Page 3: ZEITSCHRIFT FVR DEUTSCHE PHILOLOGIEdwee.eu/Rosemarie_Luehr/userfiles/downloads/Sonderdruck... · 2017. 12. 22. · Besm . und Hanmut Steinedte in Verbindung mit Christoph Conneau

Rosemarie Liihr

der zahlreichen durch die zunehmende Technisierung bedingten Neubildungen in letzter Zeit denken koumlnnte Auch fuumlr das Aufkommen von Abstrakta koumlnnen die Gruumlnde bei den Sprachtraumlgern gesucht werden Nimmt man sich etwa die aumluszligere Geschichte der nach lateinischem Vorbild zustande gekommenen deutschen Abstrakta vor so hat Notker von St Gallen im ersten philosophishyschen Werk in deutscher Sprache in seiner Uumlbersetzung von Boethius De consolatione philosophiae nachweislich eine nicht geringe Anzahl wissenshyschaftlicher lateinischer Abstrakta zum ersten Mal ins Deutsche uumlbersetzt4 Was die innere Geschichte der Abstrakta angeht so stand bisher vor allem die Bildeweise dieser Woumlrter im Mittelpunkt des Interesses5 Daszlig aber Abstrakta auch fuumlr die historische Syntax des Deutschen neue Einsichten abwerfen koumlnnen wurde bislang kaum beachtet6 So kann man fuumlr die zuweilen schwierige Unterscheidung von Konkreta und Abstrakta nicht nur des heutigen sondern auch des fruumlheren Deutsch zunaumlchst einfach folgendes syntaktische Kriterium aufstellen7

Man weitet den Begriff Abstraktum so aus daszlig man die Kombiniershybarkeit mit einem attributiven daszlig-Satz als eines der Kriterien fuumlr abstrakt einfuumlhrt8 Nach diesem Unterscheidungsmerkmal ergibt sich Substantive die nicht mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen sind den Konkreta zuzushyrechnen Dagegen gehoumlren alle Substantive mit einem solchen daszlig-Satz zur Subklasse der Substantive die Abstrakta sind vgl

(1) die Hoffnung daszlig der Sohn bald zuruumlckkehrt gegenuumlber

(2) -das Buch daszlig der Sohn bald zuruumlckkehrt

Daszlig man die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz aber auch noch unter einem ganz anderen Gesichtspunkt als unter dem Gesichtspunkt der Differenzierung von

4 A Bach Geschichte der deutschen Sprache Wiesbaden 9[0 JJ S 165 f 5 Zum Beispiel wurde nachgewiesen daszlig bei den zur Zeit der Scholastik aufgekommenen deutschen Abstrakta feste Beziehungen zwischen den deutschen und den lateinischen Abstraktsuffixen herrschen vgl MoserlWellmannIWolf Geschichte der deutschen Sprashyche Althochdeutsch-Mittelhochdeutsch von N R Wolf (Uni-Taschenbuumlcher 1139) Heishydelberg 1981 S 188 f 6 Vgl aber R Luumlhr Typen von Explikativsaumltzen im Althochdeutschen in Kolloquium Zur Syntax des Althochdeutschen Universite J Moulin Lyon IU 28 Februar-3 Maumlrz 1990 hg von Y Desportes Paris 1993 7 Dagegen nimmt D Hartmann Studien zum bestimmten Artikel in Morant und Galie und anderen rheinischen Denkmaumllern des Mittelalters (Beitraumlge zur deutschen Philologie 38) Gieszligen 1967 S 26 f nur eine inhaltliche Einteilung der Abstrakta vor naumlmlich Menschliche Vorstellungen (Zum Menschen gehoumlrige Begriffe Vom Menschen unabhaumlnshygige Begriffe) Einmalige Vorgaumlnge Vorgaumlnge ereignishaften Charakters Eigentliche Abstrakta (Zustaumlnde Eigenschaften Verhaumlltnisse Wissenschaften) Vorgangswoumlrter (Subshystantivierte Infinitive) 8 Vgl B Sandberg Zur Repraumlsentation Besetzung und Funktion einiger zentraler Leerstellen bei Substantiven (Goumlteborger germanistische Forschungen 18) Goumlteborg 1979 S 115 In bestimmten Faumlllen sind anstelle des daszlig-Satzes auch Infinitivkonstruktionen

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Konkreta und Abstrakta sehen kann soU Beispiel (3) ein Satz von Schopenshy

hauer verdeutlichen

(3) Schopenhauer Welt als Wille und Vorstellung 11279 die Erkenntniszlig daszlig

die Notwendigkeit der Bewegungen aufdie Motive mit denen auf Reize gemeinshyschaftlich ist wird uns die Einsicht erleichtern daszlig

Man sieht wie ein kompetenter Schreiber deutscher Prosa eine philosophische Aussage formuliert indem er von der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz zweifashychen Gebrauch macht und zwar einmal in der syntaktischen Funktion eines Subjekts (die Erkenntniszlig daszlig ) und das andere Mal in der Funktion eines Objekts (die Einsicht daszlig ) Saumltze die Abstrakta mit einem daszlig-Satz enthalten gehoumlren zu den komplizieneren syntaktischen Strukturen des Deutshyschen Von Sprechern oder Schreibern mit geringerer Sprachkompetenz werden sie kaum verwendet Wollte man dieses Faktum fuumlr die aumluszligere Sprachgeshyschichte nutzen so koumlnnte man Texte auf die Haumlufigkeit der Fuumlgung Abstrakshytum + daszlig-Satz durchmustern und sich Gedanken uumlber die Gruumlnde fuumlr das Auftreten oder Fehlen solcher Konstruktionen bei den einzelnen Autoren

machen

Interessanter noch als eine Untersuchung der Haumlufigkeit der Fuumlgung Abstrakshytum + daszlig-Satz erscheint aber eine Fragestellung die sich aus folgendem ergibt Laumlngst nicht alle Abstrakta des Deutschen koumlnnen mit einem daszlig-Satz verbunshyden werden Das zeigen die folgenden ungrammatischen Saumltze des heutigen

Deutsch

(4) Gluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde

ihnen nicht zuteil

(5) Der Friede daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen

wurde ihnen nicht zuteil

(6) Der Unfall daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ereignet sich jeden Tagregt niemanden auf 10

9 Zitiert nach O Behaghel Deutsche Syntax Eine geschichtliche Darstellung Bd III Die Satz gebilde Heidelberg 1928 S 131 10 Eine weitere Restriktion tritt in folgendem Satz auf Die Beachtung daszlig viele Feuer die Gegend erleuchteten floumlszligte den Weiszligen noch mehr

Furcht vor den Indianern ein Da im Althochdeutschen keine Abstrakta mit einer Bedeutung wie Beachtung auftreten (vgl auch Beruumlcksichtigung Respektierung) wird die sich hier zeigende syntaktische Restriktion naumlmlich das Bedeutungsmerkmal Prozeszlig (gegenuumlber Resultat) bei Ableishytungen von faktiven Verben nicht weiter verfolgt dazu R Luumlhr Satzkomplemente in der Nominalphrase in Die Nominalphrase hg von E LoumlbeltT Tappe 1992

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Rosemarie Luumlhr

Da es sich bei den Substantiven Gluumlck Friede und Unfall um solche Substantive handelt die nach herrschender Auffassung Abstrakta sind ist die Gruppe der Abstrakta offensichtlich zu teilen in eine Subklasse die mit einem daszlig-Satz verbunden werden kann und in eine Subklasse bei der dies - gegebenenfalls unter bestimmten Bedingungen - nicht moumlglich ist Es liegt auf der Hand daszlig es fuumlr die Ungrarnmatikalitaumlt der Beispielsaumltze (4) bis (6) Gruumlnde geben muszlig und zwar Gruumlnde die in der Bedeutung der Abstrakta liegen Hier kommt also eine syntaktische Restriktion oder Beschraumlnkung zum Tragen naumlmlich daszlig ein Abstraktum unter bestimmten Umstaumlnden nicht mit einem daszlig-Satz verbunden werden kann Uumlbertraumlgt man diese Einsicht auf die innere Sprachgeschichte so folgt daraus die Frage ob die in den Beispielsaumltzen auftretenden syntaktischen Beschraumlnkungen bei Abstrakta schon in den aumllteren Stufen des heutigen Deutsch gegolten haben oder nicht Eine solche Fragestellung ist natuumlrlich nur sinnvoll wenn der zu untersuchende aumlltere Sprachzustand bereits uumlber eine hinreichend groszlige Menge erstens von Abstrakta und zweitens auch von Abstrakta + daszligshySatz verfuumlgt Denn nur in einem solchen Fall kann durch die Gegenuumlberstellung von Abstrakta mit und von Abstrakta ohne daszlig-Satz auf die vorauszusetzenden Unterschiede der beiden Typen von Abstrakta geschlossen werden Im Alt- und Mittelhochdeutschen ist die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz bereits voll ausgeshybildet auch treten zahlreiche noch naumlher zu charakterisierende Abstrakta ohne daszlig-Satz auf Aus diesem Grunde erscheint es legitim die am Neuhochdeutshyschen entwickelte Frage nach syntaktischen Restriktionen bei Abstrakta auf die aumllteren Stufen des Deutschen zu uumlbertragen zumal mit einer derartigen Untersushychung Neuland betreten wird Problematisch ist jedoch daszlig das Alt- und Mittelhochdeutsche Corpus sprachen sind Weil in solchen Sprachen das Fehlen einer syntaktischen Konstruktion auf Zufall beruhen kann gibt es nur einen Weg um den Mangel einer historischen Ersatzkompetenzll auszugleichen Es muumlssen genuumlgend Belege uumlberpruumlft werden Dabei gilt speziell fuumlr die folgende Untersuchung die sich ja mit syntaktischen Restriktionen befassen wird Es ist viel schwieriger nachzuweisen daszlig etwas regel haft nicht existiert als nachzushyweisen daszlig etwas regelhaft ausgebildet und damit vorhanden ist

Es wird also ein Problem der inneren Sprachgeschichte behandelt Die aumluszligere Geschichte der Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz spielt aber insofern in die angesprochene Problematik hinein als auch im Lateinischen die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz auftritt und die althochdeutschen Texte zum groszligen Teil Uumlbersetzungen oder Paraphrasen lateinischer Texte sind Zum Vorhandensein der Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz im Lateinischen vgl etwa Satz (7)

11 Dazu R Grosse Lexik und Syntax im Althochdeutschen in Deutsche Sprachgeshyschichte [Anm 2] S 94

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

(7) Apud Epicurum duo bona sunt ut corpus dolore animus perturbatione careat Bei Epikur gibt es zwei Guumlter (naumlmlich) daszlig der Koumlrper von Schmerz die Seele von Verwirrung frei sei12

Wie anhand von sprachinternen Fakten gezeigt aber hier nicht weiter ausgefuumlhrt wird hat zwar das Deutsche die Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz unabshyhaumlngig vom Lateinischen entwickelt3 dennoch ist nicht auszuschlieszligen daszlig die deutschsprachigen Autoren aumllterer Zeit Besonderheiten der lateinischen Fuumlgung nachgeahmt haben

Die Untersuchung gliedert sich in folgende Schritte Der Einfachheit halber und zwar weil die syntaktischen Restriktionen bei Abstrakta von der Gegenwartsshysprache her leichter erfaszligt werden koumlnnen als von den Vorstufen des heutigen Deutsch wird mit den syntaktischen Restriktionen heute begonnen Anhand der schon vorgestellten Beispielsaumltze (4) bis (6) sollen die bei Abstrakta auftretenden Restriktionen eroumlrtert werden Bezug genommen wird auf eigene Einsichten die im Laufe einer laumlngeren Beschaumlftigung mit Abstrakta gewonnen wurden die

12 K Bayer] Lindauer Lateinische Grammatik Auf der Grundlage der Lateinischen Schulgrammatik von Landgraf-Leitschuh neu bearb BamberglMuumlnchen 1977 S 218 B Zum einen zeigt sich daszlig die gleichen Konstruktionen auch in anderen germanischen Sprachen wie zum Beispiel im Altsaumlchsischen vorhanden sind Zum anderen sind die explikativen Fuumlgungen mit Hilfe der im Germanischen vorhandenen Sprachmittel erklaumlrshybar Dabei sind explikative Fuumlgungen als Objekte syntaktisch wahrscheinlich auf andere Weise als explikative Fuumlgungen in Subjektsfunktion entstanden Im Falle von explikativen Fuumlgungen in Objektsfunktion bilden Saumltze mit Verben die sowohl einen substantivischen Ausdruck als auch einen inhaltlich entsprechenden daz-Satz regieren koumlnnen die Nahtshystelle (vgl etwa klagoumln + Gen-Objektdaz-Satz) Steht hinter einem solchen Verb ein substantivischer Ausdruck als Objekt und wurde als Nachtrag ein daz-Satz hinzugefuumlgt so war der ganze Komplex als Einheit auffaszligbar wenn die Bedeutung des Abstraktums eine Explikation durch einen daz-Satz zulieszlig Dieses komplexe Satzglied konnte dann auch in Verbindung mit Verben die keinen daz-Satz regierten verwendet werden (vgl etwa ahd die guollichi geben daz ) Dagegen bilden bei der Entstehung explikativer Fuumlgungen in der Funktion eines Subjekts wahrscheinlich Saumltze mit dem Verb sein als Kopula den Ausgangspunkt Trat zu dem Verb sein eine lokale oder temporale Bestimshymung hinzu so war diese als Ergaumlnzung die die zweite ValenzsteIle des Verbs ausfuumlllt und das Verb sein als Vollverb (herrschen existieren) auffaszligbar Dadurch wurde der dazshySatz zum Teil des Subjekts vgl Die Sitte herrschte zu Rom daszlig man wenn Herrscher siegreich vom Kampf kamen dem allerredegewandtesten befahl das Siegeslob auf dem Kapitol vorzunehmen (vgl mit Stellung des daszlig-Satzes unmittelbar nach seinem Bezugswort vor dem finiten Verb Die Sitte daszlig man wenn Herrscher siegreich vom Kampf kamen dem allerredegewandtesten befahl das Siegeslob auf dem Kapitol vorzushynehmen herrschte zu Rom) Ausgehend von solchen Konstruktionen konnte die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz dann auch in der Funktion eines Praumldikatsnomens auftreten vgl der eigentliche Anlaszlig war der Umstand daszlig Weiteres bei Luumlhr [Anm 6] anders G Muumlllerffh F rings Die Entstehung der deutschen daszlig-Saumltze (Berichte uumlber die Verhandlungen der saumlchsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig) Berlin 1959

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Rosfm4rie Luumlhr

aber noch ergaumlnzungs beduumlrftig sind und ausgebaut werden muumlssen 14 Fuumlr den nachfolgenden Vergleich der heute feststellbaren syntaktischen Restriktionen bei Abstrakta mit denen fruumlherer Sprachstufen des Deutschen werden in erster Linie althochdeutsche Texte ausgewaumlhlt da es im folgenden auch um das Alter der Restriktionen auf deutschem Sprachgebiet geht herangezogen werden die umfangreicheren althochdeutschen Sprachdenkmaumller wie die Benediktinerregel die Tatianuumlbersetzung die Schriften Otfrids von Weiszligen burg und Notkers von St Gallen Da die Autoren dieser Texte alle mehr oder weniger lateinischen Vorbildern folgen wird noch ein mittelhochdeutscher Text fuumlr den keinerlei Zusammenhang mit dem Lateinischen bestanden hat ausgewaumlhlt und zwar das Nibelungenlied Der Vergleich fuumlhrt abschlieszligend zur Beantwortung der Frage ob sich bei den behandelten Restriktionen Sprach wandel phaumlnomene auswirken oder ob die Beschraumlnkungen eher genereller Art sind In diesem Zusammenhang ist noch einmal auf das Lateinische zuruumlckzukommen

B Untersuchungsteil

L Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta im heutigen Deutsch

Proben haben ergeben daszlig es sich empfiehlt die zu eroumlrternden Beschraumlnkunshygen nach bestimmten oppositiven Begriffs- und Analysepaaren zu ordnen Dabei stehen drei Begriffs- und Analysepaare zu Gebote naumlmlich die Paare individuashylisierend - generalisierend diskontinuativ - kontinuativ und nichtidenshytifizierend - identifizierend Hinzu kommt noch folgende generelle Untershyscheidung Abstrakta die mit einem daszlig-Satz kombinierbar sind koumlnnen im heutigen Deutsch in drei Subklassen unterteilt werden Das geht aus bestimmten Operationen also Verfahren die der Ermittlung sprachlicher Regularitaumlten und ihrer Struktur dienen hervor VgL die Beispielsaumltze (8) (9) und (4 a)

(8) Die Meinung daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben muumlssen ist anscheinend nicht allgemein verbreitet

(9) Die Ansicht daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben muumlssen ist anscheinend nicht allgemein verbreitet

(4 a) Das Gluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Die Umformungsprobe macht deutlich daszlig von den drei syntaktischen Fuumlgunshygen die Meinung daszlig die Ansicht daszlig und das Gluumlck daszlig nur das Syntagma die Meinung daszlig auf eine ebenfalls einen daszlig-Satz enthaltende Basis naumlmlich auf meinen daszlig mit einem daszlig-Satz in der Funktion eines Objekts zuruumlckgefuumlhrt werden kann vgl

14 R Luumlhr Zur Subklassifizierung von Abstrakta Wert und Grenzen operationaler Verfahren Sprachwissenschaft 16 1991 S 419 H Luumlhr [Anm 6J Luumlhr [Anm 10J

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

(8 a) Sie meinten daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben muumlssen

Die Valenz des Verbs ein Objekt in Form eines daszlig-Satzes zu sich zu nehmen ist in diesem Fall also auf das Substantiv uumlbergegangen

Die Austauschprobe ergibt daszlig anscheinend auch Abstrakta mit einer aumlhnlichen Bedeutung wie diejenigen die die Valenz der verbalen Basis uumlbernehmen mit einem daszlig-Satz kombinierbar sind vgl die Saumltze (8) und (9) mit den Abstrakta Meinung und Ansicht von denen Ansicht nicht auf eine verbale Basis mit daszligshySatz ruumlckfuumlhrbar ist Im Sprecherbewuszligtsein kann ein Syntagma wie die Ansicht daszlig jedoch ebenso wie das Syntagma die Meinung daszlig auf die verbale Basis meinen daszlig bezogen werden weshalb bei den Abstrakta des Typs Meinung und Ansicht zwei Arten von Substantivvalenz zu unterscheiden sind eine die aus einer tatsaumlchlichen und eine die aus einer virtuellen Basis mit daszlig-Satz abgeleishytet iSt15 Demgegenuumlber gibt es fuumlr das Abstraktum Gluumlck in (4 a) weder eine tatsaumlchliche noch eine virtuelle Basis mit einem daszlig-Satz Der daszlig-Satz ist hier explikativer Art er waumlhlt aus der Menge der vom Begriff Gluumlck umfaszligten Gluumlcksfaumllle einen aus

Ordnet man nun die Abstrakta in den ungrammatischen Saumltzen (4) bis (6) den drei Subtypen von Abstrakta mit daszlig-Satz zu so gehoumlren ebenso wie Gluumlck selbst auch die Abstrakta Unfall und Friede zum dritten Typ da weder eine tatsaumlchliche noch eine virtuelle Ableitungsbasis mit daszlig-Satz synchron nachshyweisbar ist

Um nun herauszufinden warum die Saumltze (4) bis (6) ungrammatisch sind werden neuhochdeutsche Saumltze gebildet die aumlhnliche aus Abstraktum und daszligshySatz bestehende Fuumlgung enthalten

1 individualisierend - generalisierend

Der einfachste Fall ist der ungrammatische Satz (4) Waumlhrend das Abstraktum Gluumlck ohne daszlig-Satz artikellos verwendet werden kann ist dies in Verbindung mit einem daszlig-Satz nicht moumlglich vgL die Saumltze (4 b) und

(4 b) Gluumlck gibt es nicht

(4) fGluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Satz (4) wird sofort grammatisch wenn anstelle des O-Artikels der bestimmte Artikel mit dem Abstraktum Gluumlck verbunden wird vgL den schon angefuumlhrten Satz (4 a)

(4 a) Das Gluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

15 Vgl H Paul Deutsche Grammatik Bd IV Syntax (zweite Halle (Saale) 51959 S 247 f

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Rosemarie Luumlhr

Im Falle des artikellosen Gebrauchs druumlckt der O-Artikel beim Abstraktum Generalisierung aus Demgegenuumlber hat der bestimmte Artikel in Verbindung mit einem Abstraktum + daszlig-Satz neben der determinierenden Funktion eine individualisierende Funktion16 So weist in Beispiel (4 a) der bestimmte Artikel darauf hin daszlig wie bemerkt von allen moumlglichen Gluumlcksfaumlllen durch den daszligshySatz einer ausgesondert wird Da auch der unbestimmte Artikel individualisieshyrend eingesetzt werden kann ist es nicht verwunderlich daszlig in gleicher Weise der unbestimmte Artikel bei Abstrakta + daszlig-Satz vorkommt vgl

(10) Joh 1839 Ihr habt aber eine Gewohnheit daszlig ich euch einen auf Ostern losgebe 1

Als erste syntaktische Restriktion ist somit festzuhalten In der Fuumlgung Abstrakshytum + daszlig-Satz kann im Neuhochdeutschen das Abstraktum nicht artikellos und damit in generalisierender Funktion verwendet werden Der Grund ist In der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz wird aus der Menge der moumlglichen Sachvershyhalte die unter den Begriff des uumlbergeordneten Abstraktums fallen durch den daszlig-Satz einer spezifiziert d h ausgesondert Deshalb ist ein Artikel in indivishydualisierender Funktion notwendig

2 diskontinuativ - kontinuativ

Auch beim zweiten Begriffs- und Analysepaar ist von Bedeutung daszlig durch den daszlig-Satz ein Sachverhalt aus dem uumlbergeordneten Begriff ausgesondert wird Wenn nun bei einem Abstraktum wie Friede kein daszlig-Satz moumlglich ist so ist dieser Begriff anscheinend nicht von der Art daszlig ein Einzelsachverhalt abstrashyhierbar ist vgl den ungrammatischen Satz (5)

(5) Der Friede daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Grammatisch ist dagegen wiederum der schon oumlfters angefuumlhrte Satz (4 a)

(4 a) Das Gluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Woran liegt nun die unterschiedliche Grammatikalitaumlt der Saumltze (5) und (4 a) Um eine Antwort auf diese Frage zu finden ist auf die Bedeutungsstrukturen der Woumlrter Gluumlck und Friede einzugehen beides sind Abstrakta die Zustaumlnde bezeichnen also Sachverhalte die uumlber einen bestimmten Zeitraum hinweg in ihren relevanten Zuumlgen gleichbleiben Es ist jedoch zu pruumlfen ob es bei den Konkreta aumlhnliche Bedeutungsunterschiede wie bei diesen Abstrakta gibt namrshy

16 Vergleichbar ist die Artikelsetzung bei Abstrakta wenn ein notwendiger Relativsatz folgt (vgl Hartmann [Anm7] S 78 H PaulP WiehlS Grosse Mittelhochdeutsche Grammatik Tuumlbingen 231989 S 385) 17 Nach Behaghel [Anm 9] S 131

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Syntaletische Restriktionen bei Abstrakta

lieh abgesehen von dem grundlegenden syntaktischen Unterschied daszlig nur Abstrakta mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen Zu diesem Zweck soll auf die Bedeutungen der Konkreta Wald und Holz eingegangen werden waumlhshyrend das Kollektivum Wald eine theoretisch zaumlhlbare Mehrzahl von Individuen naumlmlich von Baumlumen bezeichnet ist es im Falle des Masseworts Holz eine nicht weiter zerlegbare Menge tS Wald ist nach dieser Unterscheidung ein Diskontishynuativum und Holz ein Kontinuativum Uumlbertraumlgt man diese semantische Unterscheidung auf die Abstrakta Gluumlck und Friede19

so scheint es bei diesen Abstrakta ebenso eine Differenzierung nach den Merkmalen diskontinuativ und kontinuativ zu geben dabei gilt Nur bei Diskontinuativa wie Gluumlck kann mit Hilfe des daszlig-Satzes eine bestimmte Sachverhaltsbeschreibung ausgesondert werden vgl etwa das folgende Beispiel

(11) Das Gluumlck daszlig Hans die Pruumlfung bestanden hat daszlig Hans keine Verletzungen davongetragen hat daszlig Hans im Lotto gewonnen hat

kann ich gar nicht fassen

Dagegen duumlrfte die Zustandsbezeichnung Friede ein Kontinuativum sein weil eben keine Sachverhalts beschreibung durch einen daszlig-Satz aussonderbar ist

Die zweite syntaktische Restriktion lautet demnach Bei einer Zustandsbezeichshynung verhindert das Bedeutungsmerkmal kontinuativ die Kombinierbarkeit

mit einem daszlig-Satz

3 nichtidentifizierend identifizierend

Was unter dem Gegensatz nichtidentifizierend identifizierend zu versteshyhen ist soll an dem schon angefuumlhrten Satz (6) und an einem weiteren ungramshymatischen Beispielsatz eroumlrtert werden Waumlhrend die Saumltze (6) und (12) ungramshymatisch sind ist Satz (13) akzeptabel

1amp W Abraham Terminologie zur neueren Linguistik Tuumlbingen 21988 S 361 19 Vgl H Kubczak Das Verhaumlltnis von Intension und Extension als sprachwissenschaftshyliches Problem (Forschungsberichte des Instituts fuumlr Deutsche Sprache 23) Tuumlbingen 1975 S 42 f Nach H Kubczaks Auffassung ist bei einer Zustandsbezeichnung ein Zustand also eine einelementige Klasse angebbar welche durch eine Intension naumlher bestimmt wird Treten nun Quantifizierungen wie in zwei Buumlcher und zwei Freiheiten auf so ergibt sich nach H Kubczak folgender Unterschied zwischen den Konkreta und den Abstrakta Mit zwei Buumlcher koumlnnen Elemente aus einer Klasse von gegenstaumlndlichen Eigenschaftstraumlgern angesprochen werden die als solche lediglich durch die intensionale Definition von Buch definiert sind Und obwohl sich jedes auszligersprachliche Buch von jedem anderen irgendwie unterscheiden mag bezieht man sich mit zwei Buumlcher nicht auf diese Unterschiede Mit zwei Freiheiten werden indessen gerade zwei Entitaumlten ausdruumlckshylich angesprochen auf deren Unterschiede es bei aller Gemeinsamkeit ankommt Die in dem Begriff zwei Freiheiten gegebenen unterschiedlichen Abhaumlngigkeitsverhaumlltnisse wuumlrshyden sich zu Freiheit wie Arten zu einer Gattung verhalten

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Rosemarie Luumlhr

(6) Der Unfall daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ereignet sich jeden Tagregt niemanden auf

(12) Die Verletzung daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat hatte schlimme Folgen

(13) Das Ungluumlck daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ereignet sich jeden Tagregt niemanden auf

Ein ehemals d h zu seiner Zeit sicher korrekter Satz mit dem Abstraktum Unfall + daszlig-Satz ist bei Goethe belegt

(14) Ich habe zwar den Unfall erlitten dasz alle meine Sachen gestrandet lo

Das Abstraktum Unfall hatte fruumlher anscheinend eine weitere Bedeutung und wurde im Sinne von Ungluumlck verwendet vgl die Umformung (14 a)

(14 a) Ich habe zwar das Ungluumlck erlitten daszlig alle meine Sachen gestrandet sind

Es fragt sich wiederum wieso die Saumltze mit den Abstrakta der Bedeutung Ungluumlck grammatisch die Saumltze mit Vorgangsbezeichnungen21 der Bedeutung Unfall oder Verletzung jedoch ungrammatisch sind Geht man zuerst auf die Bedeutung des Abstraktums Verletzung ein so kann man mit O Behaghel22 hier von einem relativen Begriff sprechen das ist ein ergaumlnzungsbeduumldtiger Begriff der nur vollzogen werden kann wenn gleichzeitig andere Vorstellunshygen ins Bewuszligtsein treten Ein Begriff wie Verletzung wird zum Beispiel durch den Ausdruck von Vorstellungen wie wer wurde wie und wann verletzt ergaumlnzt und damit gesaumlttigt Dadurch wird der Begriffstraumlger hier also der Sachverhalt auf den der Begriff Verletzung zutrifft identifizierr3 vgl

(12 a) Die Verletzung des Fingers die Hans sich beim Brotschneiden zugezogen hat war erheblich

Ist aber der mit einem Begriff gemeinte Sachverhalt identifiziert so ist eine Aussonderung oder Explikation eines Einzelsachverhalts in Form eines daszligshySatzes nicht mehr moumlglich Aumlhnlich verhaumllt es sich bei dem Abstraktum Unfall in seiner modernen Bedeutung Heute bezeichnet dieses Wort einen dem Versicheshy

20 J GrimmW Grimm Deutsches Woumlrterbuch Bd XlIII Leipzig 1936 Sp 526 21 Vorgangsbezeichnungen sind Bezeichnungen fuumlr innerhalb eines bestimmten Zeitabshyschnitts ablaufende Uumlbergaumlnge von einem Zustand in einen anderen Zustand J Pleines Handlung-Kausalitaumlt-Intension (Tuumlbinger Beitraumlge zur Linguistik 68) Tuumlbingen 1976 S 55 ff 22 Deutsche Syntax Eine geschichtliche Darstellung Bd I Die Wortklassen und WOrtshyformen A Nomen Pronomen Heidelberg 1923 S 23 2J Vgl S Loumlbners Intensionale Verben und Funktionalbegriffe (Ergebnisse und Methoshyden moderner Sprachwissenschaft 7) Tuumlbingen 1979 S 34 f Definition der Funktionalshybegriffe

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

rungsrecht zugehoumlrigen Begriff und ist eingeschraumlnkt auf ein Ereignis welches infolge einer ploumltzlichen vom Betroffenen nicht gewollten Einwirkung Koumlrpershyverletzung oder Toumltung eines Menschen herbeifuumlhrt Auch hier ist eine Identifishyzierung des gemeinten Sachverhalts gegeben weshalb in der Gegenwartssprache der Begriff Unfall nicht weiter durch einen daszlig-Satz expliziert werden kann Dagegen gehoumlrt der Begriff Ungluumlck in der Terminologie O Behaghels zu den absoluten Begriffen die wie er sagt fuumlr sich allein eine abgeschlossene Vorstellung verkoumlrpern 24 Eine Identifizierung eines bestimmten Sachverhalts liegt hier also nicht vor Handelt es sich aber bei einem absoluten Begriff um ein potentielles Diskontinuativum so kann in einem geeigneten Kontext ein Einzelsachverhalt also ein bestimmter Ungluumlcksfall in Form eines daszlig-Satzes

abstrahiert werden vgl (13)

Moumlglicherweise ist der zwischen Abstrakta wie Unfall und Verletzung einerseits und Ungluumlck andererseits bestehende Bedeutungsunterschied auch durch einen Test erfaszligbar Im Falle des Abstraktums Ungluumlck kann der daszlig-Satz die Stelle

des Subjekts einnehmen vgl

(13 a) Daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ist ein Ungluumlck

Dagegen sind derartige Subjektsaumltze bei den Abstrakta Unfall und Verletzung

kaum moumlglich

(6 a) Daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ist ein Unfall

(12 b) Daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat ist eine Verletzung25

Als dritte syntaktische Restriktion ergibt sich somit Wird bei einem abstrakten Begriff der gemeinte Sachverhalt durch gleichzeitig im Bewuszligtsein vorhandene Vorstellungen identifiziert ist eine Explizierung des Begriffs durch einen daszligshy

Satz nicht moumlglich

Es ist nun zu pruumlfen ob durch die Begriffs- und Analysepaare individualisieshyrend - generalisierend diskontinuativ kontinuativ und nichtidentifishy

24 [Anm 22] S 22 25 Vgl Loumlbner [Anm 23] S 40 Moumlglich ist jedoch Daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat ist eine schlimme Verletzungeine Verletzung die keine schlimme Folgen haben kann Der Begriff Verletzung ist hier durch einen Zusatz spezifiziert Demgegenuumlber gehen C Fabricius-Hansenl A von Stechow Explikative und implikative Nominalerweiterungen im Deutschen in Zeitschrift fuumlr Sprachwissenschaft 81989 S 175 ff nicht darauf ein daszlig etwa bei Moumlglichkeit einem Abstraktum vom Typ Ungluumlck in Verbindung mit einer explikativen S-Erweiterung das Abstraktum ohne Spezifikation stehen kann (Daszlig man sich geirrt haben kann ist eine Moumlglichkeit) waumlhrend dies bei Gedanke notwendig ist vgl Daszlig ich dich beleidigt habe ist ein Gedanke der mich beunruhigt mit Daszlig ich dich beleidigt habe ist ein Gedanke

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Rosemarie Luumlhr

zierend - identifizierend auch in den Vorstufen des Deutschen syntaktische Restriktionen bei Abstrakta erfaszligt werden koumlnnen Dabei soll auf moumlgliche lateinische Vorbilder geachtet werden

II Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta im fruumlheren Deutsch

Der Ruumlckblick in die Sprachgeschichte ergibt folgende Befunde Zunaumlchst einmal ist festzustellen daszlig die durch die Substantive Meinung Ansicht und Gluumlck verkoumlrperten drei Haupttypen von Abstrakta mit attributivem daszlig-Satz seit althochdeutscher Zeit vertreten sind und zwar nicht nur wenn ein lateinishysches Vorbild nachweisbar ist vgL

zu dem Typ Meinung dessen zugrundeliegendes Verb ebenfalls einen daz-Satz regiert

(15) Althochdeutsch

mit lateinischem Vorbild Tatian antwurti (Antwort) daz responsum ne (antwunen daz) bibot (Gebot) daz mandatum ut (vgL gibiotan daz)

ohne lateinisches Vorbild Otfrid gilouba Glaube (gilouben daz) giniti Rat (ratan daz) redina Uumlbershylegung (vgl redinon daz)

Notker beneimeda Verheiszligung (vgl mhd beneimen daz) orhta (jurhten daz) gedang Gedanke (denehen daz) gedingi Hoffnung (gedingen daz) geiiht Aussage (iehen daz) ilunga Streben (ilen daz) lob Lob (vgl mhd loben daz) reda Uumlberlegung (vgl redon daz) uuan Ansicht (uuanen daz) zala Aussage (zellen daz) zeichen Zeichen (vgL zeigon daz)

Mittelhochdeutsch Nibelungenlied bete Bitte (bitten daz) gedinge Hoffnung (gedingen daz) wan Glaube (wknen daz) vreude Freude (vreuwen daz) itewizen Vorwershyfen (itewizen daz) trost Trost (tramen daz) klage Klage (klagen daz) nit Rat (raten daz) urloup Erlaubnis (erlouben daz)

Und dem Typ Ansicht mit einer aus einer virtuellen Basis abgeleiteten Valenz sind zuzuordnen

Althochdeutsch ohne lateinisches Vorbild Otfrid wort Wort (vgl jehen daz)26

26 Nach der Definition daszlig Woumlrter die mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen auf jeden Fall Abstrakta sind stellt sich ahd wort zu den Abstrakta obwohl ein Wort eine physikalisch meszligbare Groumlszlige ist Auch G O Curme A Grammar of the German Language New York 21922 S 63 betrachtet Woumlrter wie Wort als Abstrakta (vgl sein Beispieljammern ist unnuumltz) Ein explizites Unterscheidungskriterium gibt er jedoch nicht an

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Notker wort unliument Verleumdung (vgl jehen daz) tagalti Freude (vgl sich rewen daz )27

Mittelhochdeutsch Nibelungenlied mtere Bericht (vgL jehen daz) eit Eid (vgl swern daz)

schult Schuld (vgl itewizen daz)

Erstaunlich groszlig ist im Althochdeutschen die Anzahl der Abstrakta der dritten Gruppe der Substantive also die wie Gluumlck weder auf eine tatsaumlchliche noch auf eine virtuelle Basis mit einem daszlig-Satz in der Funktion eines Objekts ruumlckfuumlhrshybar sind Es handelt sich zum einen um Bezeichnungen fuumlr Zustaumlnde und zum anderen um Bezeichnungen fuumlr Handlungen also fuumlr kausal verursachte Vorshy

gaumlnge vgl

(17) mit lateinischem Vorbild Tatian gilumphida Gelegenheit fuumlr lat apportunitas

ohne lateinisches Vorbild Otfrid dtit Begebenheit gizami herrliche Fuumlgung28 salida Seligkeit ruam Ehre missidat Missetat

Notker muoza Gelegenheit Moumlglichkeit sito Brauch taugeni Mysterium gnada Gnade beil heilhati Heil segen Segen Tibti () Ordnung era

guollichi Ruhm unera Schmach unreht Unrecht unebeni Ungeshyrechtigkeit seult Schuld leid Leid brutti Schrecken missetat Missetat29

27 Aus Abstrakta die eine bestimmte Disposition fuumlr Handlungen und Einstellungen bezeichnen wie Kraft Kuumlhnheit Dummheit kann eine konsekutive Relation erschlossen werden Derartige Abstrakta bleiben im folgenden auszliger Betracht Mit einem daz-Satz sind im Althochdeutschen Abstrakta des Typs Kraft verbunden im Falle von Otfrid maht Macht krart Kraft beldida Kuumlhnheit guati Vonrefflichkeit Notker chraft baldi Kuumlhnheit festi Festigkeit ernest Eifer lat patientia Geduld lat stulticia Dummshyheit brodi Schwachheit ubeli Schlechtigkeit argi Bosheit lat natura Eigenart und im Nibelungenlied degenheit Tapferkeit sterke Kraft Weitere derartige Abstrakta die im Althochdeutschen nicht mit einem daszlig-Satz auftreten aber im Neuhochdeutschen mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen sind etwa reinida hreinnissa reinnusseda Reinheit spaumlhida wizz sapientia unwizzi Unverstand wihida wihi heilagnessi

wirdi Wuumlrde beldi Kuumlhnheit eregrehti Barmherzigkeit armherzi Mitshygedulti Geduld otmuoti Demut mihilnessi Herrlichkeit Majestaumlt unsubarnessi

Unreinheit unruohha Gleichguumlltigkeit Sorglosigkeit tumbheit Dummheit tumpnissi Torheit untarworfanii Unterwuumlrfigkeit gotnissa Goumlttlichkeit hartnissa Hme kilihnissa Gleichheit Aumlhnlichkeit miltid Mitleid miltnissa Sanftmut (zu weiteren Abstrakta vgl A R Lingl Uumlber den Gebrauch der Abstrakta im Plural im Ahd und Mhd Phi Diss Muumlnchen 1934 S 8 H) 28 Im Falle von ahd gilumphida und gizami liegt zwar ein Verb gizeman bzw gilimpfan sich geziemen zugrunde doch fungiert der bei diesen Verben auftretende daszlig-Satz als Subjektsatz 29 Hinzu kommen noch Zeitbegriffe wie Tatian Otfrid Notker zit Zeit Otfrid frist Frist Tatian taga qage Otfrid altar Alter Nibelungenlied tac stunde wile zit ferner Tatian Notker namo Name und Otfrid thing Notker ding Ding

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Rosemarie Luumlhr

Nibelungenlied geluumlcke Gluumlck heil Heil ungemach Ungluumlck era Ehre liep GefallenJO

Bemerkenswen ist daszlig die Bedeutungen der alt- und mittelhochdeutschen Abstrakta der dritten Gruppe genau bei den Abstrakta auftreten31

die im Neuhochdeutschen ebenfalls mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen 32

1 individualisierend - generalisierend

Wendet man sich nun den drei in Zusammenhang mit den Restriktionen bei Abstrakta aufgestellten Begriffs- und Analysepaaren im Alt- und Mittelhochshydeutschen zu so empfiehlt es sich wieder mit dem Gegensatzpaar individualishysierend - generalisierend zu beginnen wie bemerkt ist dieses an die Verwenshydung des Artikels geknuumlpft Zunaumlchst einmal ist zu bemerken daszlig im Althochshydeutschen Abstrakta noch artikellos vorkommen koumlnnen die im heutigen Deutsch mit einem Artikel verwendet werden muumlssen vgl

30 Abstrakta mit daszlig-Satz in Wolframs von Eschenbach Parzival sind art bete botschaft dinc ere gedanke gewalt gewin helfe klage kumber Ion mere not rat riwe selde schult sin site stat teidinc tac trost trure urbot volge vuore werc wUe wille witze wunder ZUuml zit zorn Auffallend ist sippe daz (H Baumltjer Die verwendung der konjunkshytion daz in Wolfram von Eschenbachs Parzival Phil Diss Marburg 1890 S 42 ff) Und bei Hartmann von Aue begegnen gedanc reht mere heil trost list rat gedinge wan gewalt wort pris zwivel guot torheit sage wille gehenge selde guumlete gemuumlete dinc gewinn tugende ere valsch schade (Hornig Formen und gebrauch des satzartikels oder der conjunction daz bei Hartmarm von Aue Eine grammatische studie Programm der Ritter-Akademie zu Brandenburg Brandenburg 1847 S 5 f 13 f 17) Auch bei Bertshyhold von Regensburg erscheint die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz Es finden sich Bezugswoumlrter wie zit tac dienest vgl auch Ausdrucksweisen wie 52918 der muoz die juncfrouwen haben diu da heizet gerehtikeit daz er ze rehte guumltet unde widergit II 20610 daz ist gar ein griulichiu suumlnde unde sie heizet unkiusche daz man und frouwen unkiusche sint mit einander (H Roetteken Der zusammengesetzte Satz bei Berthold von Regensshyburg Ein Beitrag zur mittelhochdeutschen Syntax Straszligburg 1884 66 f) In der mittelshyhochdeutschen Urkundensprache begegnen u a gewalt reht zit gehuumlgede beziugede warnung unschult mit daszlig-Satz (B KirschsteinlU Schulze Woumlrterbuch der mittelhochshydeutschen Urkundensprache auf der Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurshykunden bis zum Jahre 13004 Lfg brief-dingen Berlin 1989 S 360) 31 Innerhalb der dritten Gruppe fehlen im Althochdeutschen noch Bezeichnungen fuumlr Ereignisse wie Gluumlcksfall Vorfall Zufall Ruumlckschlag Abenteuer 32 In einem Fall verhaumllt es sich scheinbar anders Tatian 2205 noh thanne ni uuestun sie giscrib thaz inan gilanf fon tode zi arstantanne nondum enim sciebant scripturam quill oportet eum a mortuis resuTgere Luther Joh 209 Denn sie wusten die Schrifft noch nicht I das er von den Todten aufferstehen muste Mentel Joh 209 Wann er wesst dennoch nit die schrifft das im gezam zersteen von den dotten nhd Denn sie kannten die Aussage der Schrift noch nicht daszlig er von den Toten auferstehen wuumlrde Ahd giscrib friihnhd Schrifft fungiert hier jedoch nicht als Konkreshytum sondern als Abstraktum mit der Bedeutung Aussage der Schrift

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

(18) Otfrid I 1818 so duat uns ubarmuati So bestraft uns der UumlbermutJ)

Geht man nun zu der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz uumlber so fehlt der Artikel in der Tatianuumlbersetzung genau wie bei dem lateinischen Vorbild vgl

(19) Tatian 1542 inti fon thanan suohta gilumphida thaz her in salti uzzan menigi und von da an suchte er die Gelegenheit daszlig er ihn auszligerhalb der Menge ausliefern konnte fuumlr lat et exinde querebat oportunitatem ut eum

traderet sine tubis 34

Anders steht es wenn kein lateinisches Vorbild zugrunde liegt Der bestimmte Artikel oder ein anderes ihn vertretendes Artikelwort erscheint fast durchwegs35

vgl

(20) Otfrid III 1643 f Ziu ist thanne iu widarmuati thisu selba guati theih einan man allan in then dag deta heilan Warum ist euch dann eben diese gute Tat zuwider daszlig ich einen Menschen ganz und gar an dem Tag geheilt habe36

n Behaghel [Anm22] S 68 ff vgl auch Hartrnann [Anm 7] S 85 f zum Mittelshyhochdeutschen 4 Vg ferner Tatian 147 intiih gisah intigiuuiznessisageta thaz therist gotes sun fuumlr lat et ego vidi et testimonium perhibui quill hic est filius dei 215 giuuizscaj thaz fuumlr lat testimonium quod 2205 giscrib thaz fuumlr lat scriptura quill 88 antvvurte thaz fuumlr lat Tesponso ne (vg Tatian 74) 13534 bibot thaz fuumlr lat mandatum ut Die Verbindung Adjektiv und Artikel erscheint 1606 Niuui bibot thaz fuumlr lat Mandatum novum ut 35 Ausnahmen sind Notker I 816 15 f loh nu dunchet mir muoza zegesehenne daz ih lesendo geeiscota fone dem demonum guoti I 3327 f Fure triuuon dang engilto ih unsculde unde lukkes unliumendes taz Eh si reus maiestatis Pro premiis uerl uirtutis subimus poenas falsi sceleris Vgl aus dem Nibelungenlied 8781 ff Urloup sie gewunnen daz si fuumlr solden gan

Sie erhielten die Erlaubnis daszlig sie vortraten Im Mittelhochdeutschen fehlt der Artikel bei festen Redewendungen wie Nibelungenshylied mere sagen daz danc sagen daz gedingen haben daz muot haben daz middot Aventin freiheit geben haben erlangen daz gnad geben erwerben daz neutralitatem halten daz gluumlk geben (neben das gluumlk geben) daz usw G Kinateder Die syntaktischen Funktionen der Konjunktion daszlig bei Aventin Phi Diss Muumlnchen 1897 S 53 ff 36 Vgl Otfrid II 128 V 1149 f thaz gizami thaz III 2075f thill selbun dat middot thaz V 643 f thio langun missidati thaz III 2511 f thie fristi thaz middot CV 2586) V 1145 f thes beren thinges thaz 12345 in thiu thing thaz middot III 2094 f thaz altar thaz I 231 f zi theru stullu zi theru ziti thaz

7 ZfdPh (Band 112 Heft 1) 97

Rosemarie Luumlhr

Ganz vereinzelt findet sich auch schon der unbestimmte Artikel bei der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz im Alt- und Mittelhochdeutschen vgl

Otfrid III 1633 f lh deta ein werk maraz giwisso wizit ir thaz theih bi einan man gimeinta in sambazdag giheilta Ich tat ein groszliges Werk gewiszlig wiszligt ihr das daszlig ich [mich] in betreff eines Mannes entschied ihn am Sabbat geheilt habe37

(22) Nibelungenlied 11311 H Da sprach der kuumlnic Gunther ich swuor ir einen eit daz ich ir getdte nimmer mere leit und wil es [uumlrbaz huumleten (23) 13702 ff die heten einen muot daz si da niht ensparten deheiner stahte guot 38

Daszlig die Verbindung unbestimmter Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen auftritt ist erstaunlich denn auszligerhalb dieser Fuumlgung kommt der unbestimmte Artikel bei Abstrakta in dieser Sprachstufe nur gelegentlich

39vor

Notker 11 16514 H dia tougeni unserro herzon daz II 14723 f Dia gnada daz I 6916 ff dero uneron daz II 55917 f Soliches segenes daz 11 1946 f dem missetate daz II 7315 f des leides daz II 16012 ff des tinges daz II 6125 H an dinero heilhafti daz I 5813 H die uuana taz II 1921 f daz unreht daz II 4879 f die guollichi daz (II 4872 H) I 3572 H tia barun not taz (15737 L) II 53927 H fone deme leide daz II 7622 f fone dien sculden daz I 3611 H an demo dinge dJz (II 10713 H) I 20416 f iro rihti daz (konsekutiv) Auch bei den Eigenschaftsbezeichnungen deren daszlig-Satz eine konsekutive Faumlrbung hat findet sich der Artikel vgL Ottrid V 59 thia beldida thaz IV 3613 sino gUat~ thaz V 2530 f minera dumpheiti mines selbes ubili thaz Notker I 5568 H mit tem baldi daz I 45223 H dia uesti taz II 2244 f dia bruti daz 129813 f sin ernest daz II 31724 f iro brOdi daz 37 Nicht sicher ist der unbestimmte Artikel nachweisbar in Otfrid III 1517 Lertun sie nan einan ruam thaz er gidJti imo einan duam imo ein gizami thaz er zeru firu quami Sie belehrten ihn daszlig er sich einen Ruhm verschaffen muumlsse ein Ansehen eine wundershybare Tat daszlig er zu der Feier komme Anders sind wohl zu beurteilen Tatian 226 then scuof her namon thaz sie hiezzin Boanerges fuumlr lat quibus inposuit nomina Boanerges Notker I 30130 f pe diu habet si einen anderen namen daz si intellectus beizet vgL I 75217 f II 28514 f 38 Vgl auch Aventin ein zeit das Kinateder [Anm 34] S 53 39 Vgl Behaghel [Anm22] S47 (Otfrid einan ruam) Nach PaullWiehlGrosse [Anm 16] S385 wird im Mittelhochdeutschen der unbestimmte Artikel mit dem

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Die Ergebnisse der Untersuchung des Gegensatzpaars generalisierend - idenshytifizierend im aumllteren Deutsch sind Schon im Althochdeutschen erscheint vor der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz fast ausnahmslos der Artikel und zwar in der Mehrzahl der Faumllle der bestimmte Artikel gelegentlich aber auch der unbestimmte Artikel Daher besteht Grund zu der Annahme daszlig die Entwickshylung zur Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz in dieser Sprachstufe so ziemlich abgeschlossen ist Der generalisierenden Funktion des O-Artikels steht in der Verbindung mit Abstrakta + daszlig-Satz die individualisierende Funktion des bestimmten und unbestimmten Artikels gegenuumlber die die einen Einzelsachshyverhalt aussondernde Funktion dieses Nebensatzes unterstuumltzt Fuumlr die syntaktishyschen Restriktionen bei Abstrakta ergibt sich somit Wahrscheinlich schon zur Zeit Otfrids blockiert der O-Artikel die Verbindung eines Abstraktums mit

einem daszlig-Satz

2 diskontinuativ kontinuativ

Wie die Belege unter (17) zeigen konnten bereits im Althochdeutschen Abstrakta des Typs Gluumlck also solche Abstrakta die das Bedeutungsmerkmal diskontinuativ haben mit einem daszlig-Satz verbunden werden

Diesen stehen Zustandsbezeichnungen gegenuumlber die an keiner Belegstelle mit einem daszlig-Satz auftreten vgl etwa

(24)40 Ahd Nob suaznissi Liebe [ridu restt Friede ruowa stillimuoti Ruhe41 stilnissi Stille tougalnessi Verborgenheit unruowa giruornissi Unshy

ruhe

Mhd liebe vride ruowe

Es ist nicht zu uumlbersehen daszlig es sich hier gerade um solche Abstrakta handelt bei denen auch im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz vorkommt Das legt die Folgerung nahe daszlig diese Abstrakta wie das neuhochdeutsche Abstraktum Friede das Bedeutungsmerkmal kontinuativ haben Trifft dies zu so kann man sagen daszlig schon vom Althochdeutschen an das Bedeutungsmerkmal kontinuashytiv eine Restriktion fuumlr die Kombinierbarkeit mit einem daszlig-Satz darstellt

Abstraktum verbunden bull wenn eine Erscheinungsform des Begriffs bezeichnet werden soll (Nibelungenlied einen grozen nit) vgl auch F Zimmer Das artikellose Substantivum in den Predigten Bertholds von Regensburg in Beitraumlge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 26 1901 S 354 40 Hat ein Wort mehrere Bedeutungen erfolgt eine Angabe nur der Bedeutung(en) die fuumlr die jeweilige Einordnung einschlaumlgig ist (sind) 41 Im Neuhochdeutschen ist allerdines moumlelich Er hatte nicht die Ruhe daszligmiddot (vgL Anm27)

7 99

Rosemarie Luumlhr

3 nichtidentifizierend - identifizierend Das dritte Begriffs- und Analysepaar naumlmlich der Gegensatz nichtidentifizieshyrend identifizierend wurde anhand von nhd Ungluumlck einerseits und Unfall und Verletzung andererseits eroumlrtert Daszlig im Falle von Unfall und Verletzung im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz auftritt wurde damit begruumlndet daszlig bei diesen Vorgangsbezeichnungen gleichzeitig andere Vorstellungen mit dem Abstraktum verbunden sind die den gemeinten Sachverhalt identifizieren Aus dem mit dem Abstraktum bezeichneten Begriff ist somit kein Einzelsachverhalt ableitbar Geht man nun der Frage nach ob auch in den untersuchten alt- und mittelhochdeutschen Quellen das Merkmal identifizierend bei Abstrakta eine Restriktion fuumlr einen daszlig-Satz darstellt so empfiehlt es sich solche Abstrakta zu untersuchen die gegebenenfalls zusammen mit Synonymen mindestens zehnmal belegt sind Es wird die Beleglage von Abstrakta die Verfolgung Untergang und Auferstehung bedeuten betrachtet (25) Ahd aumlhtunga Verfolgung ferlornissa ferlornissida zegengeda Untershygang irstantnissi urstendi urstendida Auferstehung

Vgl etwa aus dem Mhd die semantischen Entsprechungen ahte ervolgunge jage Verfolgung niderganc zergancnisse Untergang uferstandunge Aufershystehung42

Im Neuhochdeutschen ist bei Abstrakta mit solchen Bedeutungen der bezeichshynete Sachverhalt identifiziert weshalb keine attributiven daszlig-Saumltze auftreten Fuumlr das aumlltere Deutsch ist dies in gleicher Weise zu erwarten In der Tat finden sich auch im Alt- und Mittelhochdeutschen nach Abstrakta der Bedeutung Verfolgung Untergang und Auferstehung keine daszlig-Saumltze Es erscheinen vielmehr Ausdrucksweisen wie die folgende (26) Notker 11 52315 f Du bist fundamentum du habest kestatet dina tccleshysiam unde dannan uueret si ane zegengeda Du bist das Fundament du hast deine Kirche errichtet und von da an waumlhrt sie ohne Untergang

Weil hier davon die Rede ist daszlig die Kirche nicht vom Untergang bedroht ist ist der Sachverhalt auf den der Begriff zegengeda zutrifft identifiziert Damit eruumlbrigt sich der Anschluszlig eines einen bestimmten Sachverhalt aussondernden daszlig-Satzes

Da also sowohl im Neuhochdeutschen wie im Alt- und Mittelhochdeutschen Vorgangsbezeichnungen durch die ein Sachverhalt identifiziert wird43 keinen

42 Die mittelhochdeutschen Belege sind unterschiedlichen Quellen entnommen 43 Auch bei bestimmten Zustandsbezeichnungen ist der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert weshalb kein daszlig-Satz auftreten kann vgl etwa ahd irwartnissa Vergaumlngshylichkeit armuati Armutfriuntscaf(t) huldl Freundschaft (in den Bedeutungen Huld Gunst Gnade waumlre bei huldl jedoch ein daszlig-Satz anschlieszligbar)ientscaft Feindschaft gesundeda heilida Gesundheit cuumlmida Krankheit ewarttuom Priestertum Priestershyamt alt Alter mhd vriuntschaft vientschaft

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

daszlig-Satz neben sich haben kann die Folgerung nur ~ein daszlig schon im aumllteren Deutsch das Merkmal identifizierend die Anschlieszligbarkeit eines daszlig-Satzes

bei Abstrakta verhindert

C Zusammenfassung und Ausblick

Die Untersuchung einiger syntaktischer Restriktionen bei Abstrakta des heutishygen und aumllteren Deutsch hat folgendes ergeben Wie im Neuhochdeutschen haben bereits im Alt- und Mittelhochdeutschen die semantischen Merkmale generalisierend kontinuativ und identifizierend den Anschluszlig eines daszligshySatzes bei einem Abstraktum blockiert Waumlhrend die Bedeutungsmerkmale kontinuativ und identifizierend einem Abstraktum inhaumlrieren - die neushyhochdeutschen Beispiele waren die Abstrakta Friede und Unfall (Verletzung)- kam das Bedeutungsmerkmal generalisierend in dem ungrammatischen Beishyspiel Gluumlck daszlig dadurch zustande daszlig ein Abstraktum ohne Artikel verwenshydet wurde Soweit aus den Belegen ableitbar ist sind bei den untersuchten Restriktionen kaum Sprachwandelphaumlnomene nachweisbar Dies gilt auch fuumlr das am Artikel festgemachte Begriffs- und Analysepaar individualisierend shygeneralisierend Denn obwohl im Althochdeutschen der Artikel bei Abstrakta noch nicht in der Weise ausgebildet war wie im Neuhochdeutschen ist die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen von woumlrtlichen Nachahmungen des Lateinischen abgesehen fast durchwegs vom Artikel begleitet und zwar sowohl vom bestimmten als auch vom unbestimmten Artikel Es fragt sich nun ob mit den am Neuhochdeutschen festgestellten und am alt- und mittelhochdeutschen Sprachmaterial bestaumltigten drei semantischen Merkmalen generalisierend kontinuativ und identifizierend generelle Merkmale fuumlr die Blockierung von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta gefunden worden sind Zur Beantwortung dieser Frage soll keine moderne europaumlische Sprache herangezogen werden44 sondern das Lateinische bis zum Mittellateinischen Denn erstens ist diese Form des Lateinischen wie das Alt- und Mittelhochdeutshysche eine Corpussprache zweitens besitzt das Lateinische wie zu sehen war auch die Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz und zwar mit den Konjunktioshynen quod quia und ut und drittens stehen das Lateinische und Deutsche genetisch in keinem zu engen Verwandtschaftsverhaumlltnis

44 Vgl etwa die stets mit dem Artikel oder einem anderen Artikelwort auftretenden Fuumlgungen frz lidee que lespoir que weitere Abstrakta in solchen Fuumlgungen sind annonce assurance avis bruit certitude chose conviction crainte croyance desir doute fait impression joie malheur nouvelle opinion ordre pensee peur preuve principe promesse regret sentiment serment signe tImoignage vom volonte (M Grevisse Le Bon Usage Grammaire fran~aise daujordhui Paris-Gembloux 111980 0deg 3423 2556 2593) und ne the fact that the opinion that usw

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Rosemarie Luumlhr

Die Ergebnisse der Untersuchung sind Zustandsbezeichnungen des Typs Friede45

also die Abstrakta mit dem Bedeutungsmerkmal kontinuativ treten im Lateinischen ebensowenig wie im Deutschen mit einem daszlig-Satz auf Gleishyches gilt fuumlr Vorgangsbezeichnungen des Typs Unfalto der gegenuumlber dem Typ Ungluumlck einen Sachverhalt identifiziert Dagegen koumlnnen im Lateinischen wie im Deutschen Abstrakta mit der Bedeutung

(27) Meinung (sententia opinio) Zeugnis (testimonium) Antwort (responshysum) Glaube ifides) Trost (consolatio) Gebot (mandatum) Angelegenshyheit (res) Gelegenheit (occasio opportunitas) Gut (bonumt7

mit einem daszlig-Satz verbunden werden Da von diesen Abstrakta die Woumlrter fuumlr Angelegenheit Gelegenheit und Gut dem deutschen Typ Gluumlck mit dem Bedeutungsmerkmal diskontinuativ zuzurechnen sind scheint dieses Bedeushytungsmerkmal auf jeden Fall eine Bedingung fuumlr die Kombinierbarkeit eines dem Typ Gluumlck angehoumlrigen Abstraktums mit einem daszlig-Satz darzustellen Obwohl das Lateinische nicht uumlber ein Artikelsystem wie das Deutsche vershyfuumlgt48 gibt es Hinweise darauf daszlig auch das Lateinische dazu neigt die spezifizierende Funktion des daszlig-Satzes durch ein individualisierendes Artikelshywort wie ille oder unus beim Abstraktum zu unterstuumltzen vgl Fuumlgungen wie illa sententia quod una consolatio quod Da dem so ist scheinen das Lateinische und das Deutsche unabhaumlngig voneinander hinsichtlich der Bedingungen sowohl fuumlr das Auftreten als auch fuumlr das Fehlen von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta die gleichen Eigenschaften zu besitzen

Diese Behauptung kann durch ein Faktum der aumluszligeren Sprachgeschichte des Deutschen gestuumltzt werden Notker von St Gallen lieszlig oftmals bei seinen Uumlbersetzungen lateinische Begriffe die seinen Schuumllern schon bekannt waren oder die als Fachausdruumlcke galten unuumlbersetzt wodurch eine althochdeutschshylateinische Mischprosa entstand Was nun die hier interessierende althochdeutshysche Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz angeht so hat Notker vollkomshymen korrekt in diese Fuumlgungen zuweilen solche lateinischen Abstrakta ein geshy

45 Vgl lat Wahrheit (veritas) Liebe (amor caritas pietas benevolentia induigentia usw) Friede (pax) Ruhe (requies tranquillitas otium) Stille (silentium) ferner Zustandsbezeichnungen bei denen der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert ist wie Vergaumlnglichkeit (brevitas fragiiitas) Armut (paupertas mopia egestas) Freundschaft (amicitia necessitudo) Feindschaft (inimicitia dissensio) vgl Anm 43 46 Vgl lateinische Verbalabstrakta wie perturbatio Verwirrung defensio Verteidigung unio Vereinigung 47 Mit lat benignitas quod (A Draeger Historische Syntax der lateinischen Sprache Bd H Leipzig 21878 S 220 f) vgl nhd die Kraft daszlig Derartige Belege finden sich im Altlatein (z B bei Plautus) dann aber vor allem im Mittel- und Spaumltlatein 48 Vgl J B HofmannlA Szantyr Lateinische Syntax und Stilistik (Handbuch der Altertumswissenschaft II 22) Muumlnchen 1965 S 191 H

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~f~j - rlt1IItt i$ 4il 4JIt k( 41

Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

setzt die von ihrer Bedeutung her mit einem daszlig-Satz verbunden werden

koumlnnen vgl

(28) Notker I 1025 ff Tarazuo triffet tisiu disputatio daz diuitif den man nemugen saligen getuon Dazu paszligt diese disputatio (Eroumlrterung) daszlig Reichtuumlmer den Menschen nicht selig machen koumlnnen

(29) I 2508 f dien fOlget note diu conclusio daz al daztir ist kuot ist daraus folgt notwendigerweise die conclusio (der Schluszlig) daszlig alles was ist

bull 49gut Ist

Wichtig ist daszlig fuumlr diese Stellen ein unmittelbares lateinisches Vorbild fehlt Notker der wie man annimmt die lateinische Sprache ebenso gediegen wie seine Muttersprache zu handhaben verstand konnte deswegen bewuszligt oder unbewuszligt ein lateinisches Abstraktum zwanglos in eine deutsche Fuumlgung einpasshysen weil die Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz nicht nur in beiden Sprachen vorhanden ist sondern auch die Restriktionen eingeschlossen in uumlbereinstimmender Weise funktionierte

Sind die vorgebrachten Uumlberlegungen richtig so ist diesmal mit der inneren Sprachgeschichte des Deutschen ganz anders verfahren worden als es sonst allgemein uumlblich ist Sonst wird die innere Sprachgeschichte meistens dazu benutzt auffallende synchron nicht weiter erklaumlrbare Erscheinungen der Gegenwartssprache genetisch herzuleiten was oftmals mit der Beschreibung von Sprachwandelphaumlnomenen verbunden ist In der vorliegenden Untersuchung wurden dagegen syntaktische Besonderheiten des Neuhochdeutschen zu erklaumlshyren versucht und dann auf entsprechende Regularitaumlten in den aumllteren Stufen des Deutschen verwiesen5o Die Sprachgeschichte diente somit als Stuumltze fuumlr die Auffassung daszlig mit den Restriktionen genereller wirkende Regeln gefunden worden sind Daszlig mit solchen Regeln zu rechnen ist machte auch der Vergleich mit dem Lateinischen wahrscheinlich wie gezeigt verfuumlgt diese Sprache uumlber die entsprechende Konstruktion und uumlber Restriktionen wie sie das Deutsche

aufweist

49 Auch die folgenden lateinischen Abstrakta erscheinen bei Notker in der Konstruktion Abstraktum + daz-Satz exultatio Freude ordo Ordnung consequentia () Folge contrarium Gegenteil scandalum Aumlrgernis natura Wesen 50 Vgl W Labovs Some principles of linguistic methodology in Language and Society 1 (1972) S 101 On the use of the present to explain the past in Proceedings of the Eleventh International Congress of Linguists Bologna-Florence Aug 28-Sept 2 1972 ed by L Heilmann Bologna S 849 uniformitarian principle bull The linguistic processhyses taking place around us are the same as those that have operated to produce the historical record ferner C Christy Uniformitarianism in Linguistics (Amsterdam Studies in the Theory and History of Linguistic Science 31) AmsterdamPhiladelphia 1983 S 51 80

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Rosemarie Luumlhr Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Hinzu kam der Gluumlcksfall daszlig Notkers deutsch-lateinische Sprachkompetenz die Auffassung stuumltzt daszlig die untersuchte Konstruktion mitsamt ihren Restrikshytionen in beiden Sprachen weitgehend identisch ist Dies gibt hinreichend Anlaszlig zu der an die kuumlnftige Forschung zu richtenden Forderung daszlig bei Untersushychungen von Phaumlnomenen der inneren Sprachgeschichte auch die aumluszligere Sprachgeschichte gebuumlhrend zu beruumlcksichtigen ist

t f

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Page 4: ZEITSCHRIFT FVR DEUTSCHE PHILOLOGIEdwee.eu/Rosemarie_Luehr/userfiles/downloads/Sonderdruck... · 2017. 12. 22. · Besm . und Hanmut Steinedte in Verbindung mit Christoph Conneau

Rosemarie Luumlhr

Da es sich bei den Substantiven Gluumlck Friede und Unfall um solche Substantive handelt die nach herrschender Auffassung Abstrakta sind ist die Gruppe der Abstrakta offensichtlich zu teilen in eine Subklasse die mit einem daszlig-Satz verbunden werden kann und in eine Subklasse bei der dies - gegebenenfalls unter bestimmten Bedingungen - nicht moumlglich ist Es liegt auf der Hand daszlig es fuumlr die Ungrarnmatikalitaumlt der Beispielsaumltze (4) bis (6) Gruumlnde geben muszlig und zwar Gruumlnde die in der Bedeutung der Abstrakta liegen Hier kommt also eine syntaktische Restriktion oder Beschraumlnkung zum Tragen naumlmlich daszlig ein Abstraktum unter bestimmten Umstaumlnden nicht mit einem daszlig-Satz verbunden werden kann Uumlbertraumlgt man diese Einsicht auf die innere Sprachgeschichte so folgt daraus die Frage ob die in den Beispielsaumltzen auftretenden syntaktischen Beschraumlnkungen bei Abstrakta schon in den aumllteren Stufen des heutigen Deutsch gegolten haben oder nicht Eine solche Fragestellung ist natuumlrlich nur sinnvoll wenn der zu untersuchende aumlltere Sprachzustand bereits uumlber eine hinreichend groszlige Menge erstens von Abstrakta und zweitens auch von Abstrakta + daszligshySatz verfuumlgt Denn nur in einem solchen Fall kann durch die Gegenuumlberstellung von Abstrakta mit und von Abstrakta ohne daszlig-Satz auf die vorauszusetzenden Unterschiede der beiden Typen von Abstrakta geschlossen werden Im Alt- und Mittelhochdeutschen ist die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz bereits voll ausgeshybildet auch treten zahlreiche noch naumlher zu charakterisierende Abstrakta ohne daszlig-Satz auf Aus diesem Grunde erscheint es legitim die am Neuhochdeutshyschen entwickelte Frage nach syntaktischen Restriktionen bei Abstrakta auf die aumllteren Stufen des Deutschen zu uumlbertragen zumal mit einer derartigen Untersushychung Neuland betreten wird Problematisch ist jedoch daszlig das Alt- und Mittelhochdeutsche Corpus sprachen sind Weil in solchen Sprachen das Fehlen einer syntaktischen Konstruktion auf Zufall beruhen kann gibt es nur einen Weg um den Mangel einer historischen Ersatzkompetenzll auszugleichen Es muumlssen genuumlgend Belege uumlberpruumlft werden Dabei gilt speziell fuumlr die folgende Untersuchung die sich ja mit syntaktischen Restriktionen befassen wird Es ist viel schwieriger nachzuweisen daszlig etwas regel haft nicht existiert als nachzushyweisen daszlig etwas regelhaft ausgebildet und damit vorhanden ist

Es wird also ein Problem der inneren Sprachgeschichte behandelt Die aumluszligere Geschichte der Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz spielt aber insofern in die angesprochene Problematik hinein als auch im Lateinischen die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz auftritt und die althochdeutschen Texte zum groszligen Teil Uumlbersetzungen oder Paraphrasen lateinischer Texte sind Zum Vorhandensein der Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz im Lateinischen vgl etwa Satz (7)

11 Dazu R Grosse Lexik und Syntax im Althochdeutschen in Deutsche Sprachgeshyschichte [Anm 2] S 94

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

(7) Apud Epicurum duo bona sunt ut corpus dolore animus perturbatione careat Bei Epikur gibt es zwei Guumlter (naumlmlich) daszlig der Koumlrper von Schmerz die Seele von Verwirrung frei sei12

Wie anhand von sprachinternen Fakten gezeigt aber hier nicht weiter ausgefuumlhrt wird hat zwar das Deutsche die Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz unabshyhaumlngig vom Lateinischen entwickelt3 dennoch ist nicht auszuschlieszligen daszlig die deutschsprachigen Autoren aumllterer Zeit Besonderheiten der lateinischen Fuumlgung nachgeahmt haben

Die Untersuchung gliedert sich in folgende Schritte Der Einfachheit halber und zwar weil die syntaktischen Restriktionen bei Abstrakta von der Gegenwartsshysprache her leichter erfaszligt werden koumlnnen als von den Vorstufen des heutigen Deutsch wird mit den syntaktischen Restriktionen heute begonnen Anhand der schon vorgestellten Beispielsaumltze (4) bis (6) sollen die bei Abstrakta auftretenden Restriktionen eroumlrtert werden Bezug genommen wird auf eigene Einsichten die im Laufe einer laumlngeren Beschaumlftigung mit Abstrakta gewonnen wurden die

12 K Bayer] Lindauer Lateinische Grammatik Auf der Grundlage der Lateinischen Schulgrammatik von Landgraf-Leitschuh neu bearb BamberglMuumlnchen 1977 S 218 B Zum einen zeigt sich daszlig die gleichen Konstruktionen auch in anderen germanischen Sprachen wie zum Beispiel im Altsaumlchsischen vorhanden sind Zum anderen sind die explikativen Fuumlgungen mit Hilfe der im Germanischen vorhandenen Sprachmittel erklaumlrshybar Dabei sind explikative Fuumlgungen als Objekte syntaktisch wahrscheinlich auf andere Weise als explikative Fuumlgungen in Subjektsfunktion entstanden Im Falle von explikativen Fuumlgungen in Objektsfunktion bilden Saumltze mit Verben die sowohl einen substantivischen Ausdruck als auch einen inhaltlich entsprechenden daz-Satz regieren koumlnnen die Nahtshystelle (vgl etwa klagoumln + Gen-Objektdaz-Satz) Steht hinter einem solchen Verb ein substantivischer Ausdruck als Objekt und wurde als Nachtrag ein daz-Satz hinzugefuumlgt so war der ganze Komplex als Einheit auffaszligbar wenn die Bedeutung des Abstraktums eine Explikation durch einen daz-Satz zulieszlig Dieses komplexe Satzglied konnte dann auch in Verbindung mit Verben die keinen daz-Satz regierten verwendet werden (vgl etwa ahd die guollichi geben daz ) Dagegen bilden bei der Entstehung explikativer Fuumlgungen in der Funktion eines Subjekts wahrscheinlich Saumltze mit dem Verb sein als Kopula den Ausgangspunkt Trat zu dem Verb sein eine lokale oder temporale Bestimshymung hinzu so war diese als Ergaumlnzung die die zweite ValenzsteIle des Verbs ausfuumlllt und das Verb sein als Vollverb (herrschen existieren) auffaszligbar Dadurch wurde der dazshySatz zum Teil des Subjekts vgl Die Sitte herrschte zu Rom daszlig man wenn Herrscher siegreich vom Kampf kamen dem allerredegewandtesten befahl das Siegeslob auf dem Kapitol vorzunehmen (vgl mit Stellung des daszlig-Satzes unmittelbar nach seinem Bezugswort vor dem finiten Verb Die Sitte daszlig man wenn Herrscher siegreich vom Kampf kamen dem allerredegewandtesten befahl das Siegeslob auf dem Kapitol vorzushynehmen herrschte zu Rom) Ausgehend von solchen Konstruktionen konnte die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz dann auch in der Funktion eines Praumldikatsnomens auftreten vgl der eigentliche Anlaszlig war der Umstand daszlig Weiteres bei Luumlhr [Anm 6] anders G Muumlllerffh F rings Die Entstehung der deutschen daszlig-Saumltze (Berichte uumlber die Verhandlungen der saumlchsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig) Berlin 1959

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Rosfm4rie Luumlhr

aber noch ergaumlnzungs beduumlrftig sind und ausgebaut werden muumlssen 14 Fuumlr den nachfolgenden Vergleich der heute feststellbaren syntaktischen Restriktionen bei Abstrakta mit denen fruumlherer Sprachstufen des Deutschen werden in erster Linie althochdeutsche Texte ausgewaumlhlt da es im folgenden auch um das Alter der Restriktionen auf deutschem Sprachgebiet geht herangezogen werden die umfangreicheren althochdeutschen Sprachdenkmaumller wie die Benediktinerregel die Tatianuumlbersetzung die Schriften Otfrids von Weiszligen burg und Notkers von St Gallen Da die Autoren dieser Texte alle mehr oder weniger lateinischen Vorbildern folgen wird noch ein mittelhochdeutscher Text fuumlr den keinerlei Zusammenhang mit dem Lateinischen bestanden hat ausgewaumlhlt und zwar das Nibelungenlied Der Vergleich fuumlhrt abschlieszligend zur Beantwortung der Frage ob sich bei den behandelten Restriktionen Sprach wandel phaumlnomene auswirken oder ob die Beschraumlnkungen eher genereller Art sind In diesem Zusammenhang ist noch einmal auf das Lateinische zuruumlckzukommen

B Untersuchungsteil

L Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta im heutigen Deutsch

Proben haben ergeben daszlig es sich empfiehlt die zu eroumlrternden Beschraumlnkunshygen nach bestimmten oppositiven Begriffs- und Analysepaaren zu ordnen Dabei stehen drei Begriffs- und Analysepaare zu Gebote naumlmlich die Paare individuashylisierend - generalisierend diskontinuativ - kontinuativ und nichtidenshytifizierend - identifizierend Hinzu kommt noch folgende generelle Untershyscheidung Abstrakta die mit einem daszlig-Satz kombinierbar sind koumlnnen im heutigen Deutsch in drei Subklassen unterteilt werden Das geht aus bestimmten Operationen also Verfahren die der Ermittlung sprachlicher Regularitaumlten und ihrer Struktur dienen hervor VgL die Beispielsaumltze (8) (9) und (4 a)

(8) Die Meinung daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben muumlssen ist anscheinend nicht allgemein verbreitet

(9) Die Ansicht daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben muumlssen ist anscheinend nicht allgemein verbreitet

(4 a) Das Gluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Die Umformungsprobe macht deutlich daszlig von den drei syntaktischen Fuumlgunshygen die Meinung daszlig die Ansicht daszlig und das Gluumlck daszlig nur das Syntagma die Meinung daszlig auf eine ebenfalls einen daszlig-Satz enthaltende Basis naumlmlich auf meinen daszlig mit einem daszlig-Satz in der Funktion eines Objekts zuruumlckgefuumlhrt werden kann vgl

14 R Luumlhr Zur Subklassifizierung von Abstrakta Wert und Grenzen operationaler Verfahren Sprachwissenschaft 16 1991 S 419 H Luumlhr [Anm 6J Luumlhr [Anm 10J

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

(8 a) Sie meinten daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben muumlssen

Die Valenz des Verbs ein Objekt in Form eines daszlig-Satzes zu sich zu nehmen ist in diesem Fall also auf das Substantiv uumlbergegangen

Die Austauschprobe ergibt daszlig anscheinend auch Abstrakta mit einer aumlhnlichen Bedeutung wie diejenigen die die Valenz der verbalen Basis uumlbernehmen mit einem daszlig-Satz kombinierbar sind vgl die Saumltze (8) und (9) mit den Abstrakta Meinung und Ansicht von denen Ansicht nicht auf eine verbale Basis mit daszligshySatz ruumlckfuumlhrbar ist Im Sprecherbewuszligtsein kann ein Syntagma wie die Ansicht daszlig jedoch ebenso wie das Syntagma die Meinung daszlig auf die verbale Basis meinen daszlig bezogen werden weshalb bei den Abstrakta des Typs Meinung und Ansicht zwei Arten von Substantivvalenz zu unterscheiden sind eine die aus einer tatsaumlchlichen und eine die aus einer virtuellen Basis mit daszlig-Satz abgeleishytet iSt15 Demgegenuumlber gibt es fuumlr das Abstraktum Gluumlck in (4 a) weder eine tatsaumlchliche noch eine virtuelle Basis mit einem daszlig-Satz Der daszlig-Satz ist hier explikativer Art er waumlhlt aus der Menge der vom Begriff Gluumlck umfaszligten Gluumlcksfaumllle einen aus

Ordnet man nun die Abstrakta in den ungrammatischen Saumltzen (4) bis (6) den drei Subtypen von Abstrakta mit daszlig-Satz zu so gehoumlren ebenso wie Gluumlck selbst auch die Abstrakta Unfall und Friede zum dritten Typ da weder eine tatsaumlchliche noch eine virtuelle Ableitungsbasis mit daszlig-Satz synchron nachshyweisbar ist

Um nun herauszufinden warum die Saumltze (4) bis (6) ungrammatisch sind werden neuhochdeutsche Saumltze gebildet die aumlhnliche aus Abstraktum und daszligshySatz bestehende Fuumlgung enthalten

1 individualisierend - generalisierend

Der einfachste Fall ist der ungrammatische Satz (4) Waumlhrend das Abstraktum Gluumlck ohne daszlig-Satz artikellos verwendet werden kann ist dies in Verbindung mit einem daszlig-Satz nicht moumlglich vgL die Saumltze (4 b) und

(4 b) Gluumlck gibt es nicht

(4) fGluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Satz (4) wird sofort grammatisch wenn anstelle des O-Artikels der bestimmte Artikel mit dem Abstraktum Gluumlck verbunden wird vgL den schon angefuumlhrten Satz (4 a)

(4 a) Das Gluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

15 Vgl H Paul Deutsche Grammatik Bd IV Syntax (zweite Halle (Saale) 51959 S 247 f

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Rosemarie Luumlhr

Im Falle des artikellosen Gebrauchs druumlckt der O-Artikel beim Abstraktum Generalisierung aus Demgegenuumlber hat der bestimmte Artikel in Verbindung mit einem Abstraktum + daszlig-Satz neben der determinierenden Funktion eine individualisierende Funktion16 So weist in Beispiel (4 a) der bestimmte Artikel darauf hin daszlig wie bemerkt von allen moumlglichen Gluumlcksfaumlllen durch den daszligshySatz einer ausgesondert wird Da auch der unbestimmte Artikel individualisieshyrend eingesetzt werden kann ist es nicht verwunderlich daszlig in gleicher Weise der unbestimmte Artikel bei Abstrakta + daszlig-Satz vorkommt vgl

(10) Joh 1839 Ihr habt aber eine Gewohnheit daszlig ich euch einen auf Ostern losgebe 1

Als erste syntaktische Restriktion ist somit festzuhalten In der Fuumlgung Abstrakshytum + daszlig-Satz kann im Neuhochdeutschen das Abstraktum nicht artikellos und damit in generalisierender Funktion verwendet werden Der Grund ist In der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz wird aus der Menge der moumlglichen Sachvershyhalte die unter den Begriff des uumlbergeordneten Abstraktums fallen durch den daszlig-Satz einer spezifiziert d h ausgesondert Deshalb ist ein Artikel in indivishydualisierender Funktion notwendig

2 diskontinuativ - kontinuativ

Auch beim zweiten Begriffs- und Analysepaar ist von Bedeutung daszlig durch den daszlig-Satz ein Sachverhalt aus dem uumlbergeordneten Begriff ausgesondert wird Wenn nun bei einem Abstraktum wie Friede kein daszlig-Satz moumlglich ist so ist dieser Begriff anscheinend nicht von der Art daszlig ein Einzelsachverhalt abstrashyhierbar ist vgl den ungrammatischen Satz (5)

(5) Der Friede daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Grammatisch ist dagegen wiederum der schon oumlfters angefuumlhrte Satz (4 a)

(4 a) Das Gluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Woran liegt nun die unterschiedliche Grammatikalitaumlt der Saumltze (5) und (4 a) Um eine Antwort auf diese Frage zu finden ist auf die Bedeutungsstrukturen der Woumlrter Gluumlck und Friede einzugehen beides sind Abstrakta die Zustaumlnde bezeichnen also Sachverhalte die uumlber einen bestimmten Zeitraum hinweg in ihren relevanten Zuumlgen gleichbleiben Es ist jedoch zu pruumlfen ob es bei den Konkreta aumlhnliche Bedeutungsunterschiede wie bei diesen Abstrakta gibt namrshy

16 Vergleichbar ist die Artikelsetzung bei Abstrakta wenn ein notwendiger Relativsatz folgt (vgl Hartmann [Anm7] S 78 H PaulP WiehlS Grosse Mittelhochdeutsche Grammatik Tuumlbingen 231989 S 385) 17 Nach Behaghel [Anm 9] S 131

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Syntaletische Restriktionen bei Abstrakta

lieh abgesehen von dem grundlegenden syntaktischen Unterschied daszlig nur Abstrakta mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen Zu diesem Zweck soll auf die Bedeutungen der Konkreta Wald und Holz eingegangen werden waumlhshyrend das Kollektivum Wald eine theoretisch zaumlhlbare Mehrzahl von Individuen naumlmlich von Baumlumen bezeichnet ist es im Falle des Masseworts Holz eine nicht weiter zerlegbare Menge tS Wald ist nach dieser Unterscheidung ein Diskontishynuativum und Holz ein Kontinuativum Uumlbertraumlgt man diese semantische Unterscheidung auf die Abstrakta Gluumlck und Friede19

so scheint es bei diesen Abstrakta ebenso eine Differenzierung nach den Merkmalen diskontinuativ und kontinuativ zu geben dabei gilt Nur bei Diskontinuativa wie Gluumlck kann mit Hilfe des daszlig-Satzes eine bestimmte Sachverhaltsbeschreibung ausgesondert werden vgl etwa das folgende Beispiel

(11) Das Gluumlck daszlig Hans die Pruumlfung bestanden hat daszlig Hans keine Verletzungen davongetragen hat daszlig Hans im Lotto gewonnen hat

kann ich gar nicht fassen

Dagegen duumlrfte die Zustandsbezeichnung Friede ein Kontinuativum sein weil eben keine Sachverhalts beschreibung durch einen daszlig-Satz aussonderbar ist

Die zweite syntaktische Restriktion lautet demnach Bei einer Zustandsbezeichshynung verhindert das Bedeutungsmerkmal kontinuativ die Kombinierbarkeit

mit einem daszlig-Satz

3 nichtidentifizierend identifizierend

Was unter dem Gegensatz nichtidentifizierend identifizierend zu versteshyhen ist soll an dem schon angefuumlhrten Satz (6) und an einem weiteren ungramshymatischen Beispielsatz eroumlrtert werden Waumlhrend die Saumltze (6) und (12) ungramshymatisch sind ist Satz (13) akzeptabel

1amp W Abraham Terminologie zur neueren Linguistik Tuumlbingen 21988 S 361 19 Vgl H Kubczak Das Verhaumlltnis von Intension und Extension als sprachwissenschaftshyliches Problem (Forschungsberichte des Instituts fuumlr Deutsche Sprache 23) Tuumlbingen 1975 S 42 f Nach H Kubczaks Auffassung ist bei einer Zustandsbezeichnung ein Zustand also eine einelementige Klasse angebbar welche durch eine Intension naumlher bestimmt wird Treten nun Quantifizierungen wie in zwei Buumlcher und zwei Freiheiten auf so ergibt sich nach H Kubczak folgender Unterschied zwischen den Konkreta und den Abstrakta Mit zwei Buumlcher koumlnnen Elemente aus einer Klasse von gegenstaumlndlichen Eigenschaftstraumlgern angesprochen werden die als solche lediglich durch die intensionale Definition von Buch definiert sind Und obwohl sich jedes auszligersprachliche Buch von jedem anderen irgendwie unterscheiden mag bezieht man sich mit zwei Buumlcher nicht auf diese Unterschiede Mit zwei Freiheiten werden indessen gerade zwei Entitaumlten ausdruumlckshylich angesprochen auf deren Unterschiede es bei aller Gemeinsamkeit ankommt Die in dem Begriff zwei Freiheiten gegebenen unterschiedlichen Abhaumlngigkeitsverhaumlltnisse wuumlrshyden sich zu Freiheit wie Arten zu einer Gattung verhalten

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Rosemarie Luumlhr

(6) Der Unfall daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ereignet sich jeden Tagregt niemanden auf

(12) Die Verletzung daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat hatte schlimme Folgen

(13) Das Ungluumlck daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ereignet sich jeden Tagregt niemanden auf

Ein ehemals d h zu seiner Zeit sicher korrekter Satz mit dem Abstraktum Unfall + daszlig-Satz ist bei Goethe belegt

(14) Ich habe zwar den Unfall erlitten dasz alle meine Sachen gestrandet lo

Das Abstraktum Unfall hatte fruumlher anscheinend eine weitere Bedeutung und wurde im Sinne von Ungluumlck verwendet vgl die Umformung (14 a)

(14 a) Ich habe zwar das Ungluumlck erlitten daszlig alle meine Sachen gestrandet sind

Es fragt sich wiederum wieso die Saumltze mit den Abstrakta der Bedeutung Ungluumlck grammatisch die Saumltze mit Vorgangsbezeichnungen21 der Bedeutung Unfall oder Verletzung jedoch ungrammatisch sind Geht man zuerst auf die Bedeutung des Abstraktums Verletzung ein so kann man mit O Behaghel22 hier von einem relativen Begriff sprechen das ist ein ergaumlnzungsbeduumldtiger Begriff der nur vollzogen werden kann wenn gleichzeitig andere Vorstellunshygen ins Bewuszligtsein treten Ein Begriff wie Verletzung wird zum Beispiel durch den Ausdruck von Vorstellungen wie wer wurde wie und wann verletzt ergaumlnzt und damit gesaumlttigt Dadurch wird der Begriffstraumlger hier also der Sachverhalt auf den der Begriff Verletzung zutrifft identifizierr3 vgl

(12 a) Die Verletzung des Fingers die Hans sich beim Brotschneiden zugezogen hat war erheblich

Ist aber der mit einem Begriff gemeinte Sachverhalt identifiziert so ist eine Aussonderung oder Explikation eines Einzelsachverhalts in Form eines daszligshySatzes nicht mehr moumlglich Aumlhnlich verhaumllt es sich bei dem Abstraktum Unfall in seiner modernen Bedeutung Heute bezeichnet dieses Wort einen dem Versicheshy

20 J GrimmW Grimm Deutsches Woumlrterbuch Bd XlIII Leipzig 1936 Sp 526 21 Vorgangsbezeichnungen sind Bezeichnungen fuumlr innerhalb eines bestimmten Zeitabshyschnitts ablaufende Uumlbergaumlnge von einem Zustand in einen anderen Zustand J Pleines Handlung-Kausalitaumlt-Intension (Tuumlbinger Beitraumlge zur Linguistik 68) Tuumlbingen 1976 S 55 ff 22 Deutsche Syntax Eine geschichtliche Darstellung Bd I Die Wortklassen und WOrtshyformen A Nomen Pronomen Heidelberg 1923 S 23 2J Vgl S Loumlbners Intensionale Verben und Funktionalbegriffe (Ergebnisse und Methoshyden moderner Sprachwissenschaft 7) Tuumlbingen 1979 S 34 f Definition der Funktionalshybegriffe

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

rungsrecht zugehoumlrigen Begriff und ist eingeschraumlnkt auf ein Ereignis welches infolge einer ploumltzlichen vom Betroffenen nicht gewollten Einwirkung Koumlrpershyverletzung oder Toumltung eines Menschen herbeifuumlhrt Auch hier ist eine Identifishyzierung des gemeinten Sachverhalts gegeben weshalb in der Gegenwartssprache der Begriff Unfall nicht weiter durch einen daszlig-Satz expliziert werden kann Dagegen gehoumlrt der Begriff Ungluumlck in der Terminologie O Behaghels zu den absoluten Begriffen die wie er sagt fuumlr sich allein eine abgeschlossene Vorstellung verkoumlrpern 24 Eine Identifizierung eines bestimmten Sachverhalts liegt hier also nicht vor Handelt es sich aber bei einem absoluten Begriff um ein potentielles Diskontinuativum so kann in einem geeigneten Kontext ein Einzelsachverhalt also ein bestimmter Ungluumlcksfall in Form eines daszlig-Satzes

abstrahiert werden vgl (13)

Moumlglicherweise ist der zwischen Abstrakta wie Unfall und Verletzung einerseits und Ungluumlck andererseits bestehende Bedeutungsunterschied auch durch einen Test erfaszligbar Im Falle des Abstraktums Ungluumlck kann der daszlig-Satz die Stelle

des Subjekts einnehmen vgl

(13 a) Daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ist ein Ungluumlck

Dagegen sind derartige Subjektsaumltze bei den Abstrakta Unfall und Verletzung

kaum moumlglich

(6 a) Daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ist ein Unfall

(12 b) Daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat ist eine Verletzung25

Als dritte syntaktische Restriktion ergibt sich somit Wird bei einem abstrakten Begriff der gemeinte Sachverhalt durch gleichzeitig im Bewuszligtsein vorhandene Vorstellungen identifiziert ist eine Explizierung des Begriffs durch einen daszligshy

Satz nicht moumlglich

Es ist nun zu pruumlfen ob durch die Begriffs- und Analysepaare individualisieshyrend - generalisierend diskontinuativ kontinuativ und nichtidentifishy

24 [Anm 22] S 22 25 Vgl Loumlbner [Anm 23] S 40 Moumlglich ist jedoch Daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat ist eine schlimme Verletzungeine Verletzung die keine schlimme Folgen haben kann Der Begriff Verletzung ist hier durch einen Zusatz spezifiziert Demgegenuumlber gehen C Fabricius-Hansenl A von Stechow Explikative und implikative Nominalerweiterungen im Deutschen in Zeitschrift fuumlr Sprachwissenschaft 81989 S 175 ff nicht darauf ein daszlig etwa bei Moumlglichkeit einem Abstraktum vom Typ Ungluumlck in Verbindung mit einer explikativen S-Erweiterung das Abstraktum ohne Spezifikation stehen kann (Daszlig man sich geirrt haben kann ist eine Moumlglichkeit) waumlhrend dies bei Gedanke notwendig ist vgl Daszlig ich dich beleidigt habe ist ein Gedanke der mich beunruhigt mit Daszlig ich dich beleidigt habe ist ein Gedanke

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Rosemarie Luumlhr

zierend - identifizierend auch in den Vorstufen des Deutschen syntaktische Restriktionen bei Abstrakta erfaszligt werden koumlnnen Dabei soll auf moumlgliche lateinische Vorbilder geachtet werden

II Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta im fruumlheren Deutsch

Der Ruumlckblick in die Sprachgeschichte ergibt folgende Befunde Zunaumlchst einmal ist festzustellen daszlig die durch die Substantive Meinung Ansicht und Gluumlck verkoumlrperten drei Haupttypen von Abstrakta mit attributivem daszlig-Satz seit althochdeutscher Zeit vertreten sind und zwar nicht nur wenn ein lateinishysches Vorbild nachweisbar ist vgL

zu dem Typ Meinung dessen zugrundeliegendes Verb ebenfalls einen daz-Satz regiert

(15) Althochdeutsch

mit lateinischem Vorbild Tatian antwurti (Antwort) daz responsum ne (antwunen daz) bibot (Gebot) daz mandatum ut (vgL gibiotan daz)

ohne lateinisches Vorbild Otfrid gilouba Glaube (gilouben daz) giniti Rat (ratan daz) redina Uumlbershylegung (vgl redinon daz)

Notker beneimeda Verheiszligung (vgl mhd beneimen daz) orhta (jurhten daz) gedang Gedanke (denehen daz) gedingi Hoffnung (gedingen daz) geiiht Aussage (iehen daz) ilunga Streben (ilen daz) lob Lob (vgl mhd loben daz) reda Uumlberlegung (vgl redon daz) uuan Ansicht (uuanen daz) zala Aussage (zellen daz) zeichen Zeichen (vgL zeigon daz)

Mittelhochdeutsch Nibelungenlied bete Bitte (bitten daz) gedinge Hoffnung (gedingen daz) wan Glaube (wknen daz) vreude Freude (vreuwen daz) itewizen Vorwershyfen (itewizen daz) trost Trost (tramen daz) klage Klage (klagen daz) nit Rat (raten daz) urloup Erlaubnis (erlouben daz)

Und dem Typ Ansicht mit einer aus einer virtuellen Basis abgeleiteten Valenz sind zuzuordnen

Althochdeutsch ohne lateinisches Vorbild Otfrid wort Wort (vgl jehen daz)26

26 Nach der Definition daszlig Woumlrter die mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen auf jeden Fall Abstrakta sind stellt sich ahd wort zu den Abstrakta obwohl ein Wort eine physikalisch meszligbare Groumlszlige ist Auch G O Curme A Grammar of the German Language New York 21922 S 63 betrachtet Woumlrter wie Wort als Abstrakta (vgl sein Beispieljammern ist unnuumltz) Ein explizites Unterscheidungskriterium gibt er jedoch nicht an

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Notker wort unliument Verleumdung (vgl jehen daz) tagalti Freude (vgl sich rewen daz )27

Mittelhochdeutsch Nibelungenlied mtere Bericht (vgL jehen daz) eit Eid (vgl swern daz)

schult Schuld (vgl itewizen daz)

Erstaunlich groszlig ist im Althochdeutschen die Anzahl der Abstrakta der dritten Gruppe der Substantive also die wie Gluumlck weder auf eine tatsaumlchliche noch auf eine virtuelle Basis mit einem daszlig-Satz in der Funktion eines Objekts ruumlckfuumlhrshybar sind Es handelt sich zum einen um Bezeichnungen fuumlr Zustaumlnde und zum anderen um Bezeichnungen fuumlr Handlungen also fuumlr kausal verursachte Vorshy

gaumlnge vgl

(17) mit lateinischem Vorbild Tatian gilumphida Gelegenheit fuumlr lat apportunitas

ohne lateinisches Vorbild Otfrid dtit Begebenheit gizami herrliche Fuumlgung28 salida Seligkeit ruam Ehre missidat Missetat

Notker muoza Gelegenheit Moumlglichkeit sito Brauch taugeni Mysterium gnada Gnade beil heilhati Heil segen Segen Tibti () Ordnung era

guollichi Ruhm unera Schmach unreht Unrecht unebeni Ungeshyrechtigkeit seult Schuld leid Leid brutti Schrecken missetat Missetat29

27 Aus Abstrakta die eine bestimmte Disposition fuumlr Handlungen und Einstellungen bezeichnen wie Kraft Kuumlhnheit Dummheit kann eine konsekutive Relation erschlossen werden Derartige Abstrakta bleiben im folgenden auszliger Betracht Mit einem daz-Satz sind im Althochdeutschen Abstrakta des Typs Kraft verbunden im Falle von Otfrid maht Macht krart Kraft beldida Kuumlhnheit guati Vonrefflichkeit Notker chraft baldi Kuumlhnheit festi Festigkeit ernest Eifer lat patientia Geduld lat stulticia Dummshyheit brodi Schwachheit ubeli Schlechtigkeit argi Bosheit lat natura Eigenart und im Nibelungenlied degenheit Tapferkeit sterke Kraft Weitere derartige Abstrakta die im Althochdeutschen nicht mit einem daszlig-Satz auftreten aber im Neuhochdeutschen mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen sind etwa reinida hreinnissa reinnusseda Reinheit spaumlhida wizz sapientia unwizzi Unverstand wihida wihi heilagnessi

wirdi Wuumlrde beldi Kuumlhnheit eregrehti Barmherzigkeit armherzi Mitshygedulti Geduld otmuoti Demut mihilnessi Herrlichkeit Majestaumlt unsubarnessi

Unreinheit unruohha Gleichguumlltigkeit Sorglosigkeit tumbheit Dummheit tumpnissi Torheit untarworfanii Unterwuumlrfigkeit gotnissa Goumlttlichkeit hartnissa Hme kilihnissa Gleichheit Aumlhnlichkeit miltid Mitleid miltnissa Sanftmut (zu weiteren Abstrakta vgl A R Lingl Uumlber den Gebrauch der Abstrakta im Plural im Ahd und Mhd Phi Diss Muumlnchen 1934 S 8 H) 28 Im Falle von ahd gilumphida und gizami liegt zwar ein Verb gizeman bzw gilimpfan sich geziemen zugrunde doch fungiert der bei diesen Verben auftretende daszlig-Satz als Subjektsatz 29 Hinzu kommen noch Zeitbegriffe wie Tatian Otfrid Notker zit Zeit Otfrid frist Frist Tatian taga qage Otfrid altar Alter Nibelungenlied tac stunde wile zit ferner Tatian Notker namo Name und Otfrid thing Notker ding Ding

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Rosemarie Luumlhr

Nibelungenlied geluumlcke Gluumlck heil Heil ungemach Ungluumlck era Ehre liep GefallenJO

Bemerkenswen ist daszlig die Bedeutungen der alt- und mittelhochdeutschen Abstrakta der dritten Gruppe genau bei den Abstrakta auftreten31

die im Neuhochdeutschen ebenfalls mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen 32

1 individualisierend - generalisierend

Wendet man sich nun den drei in Zusammenhang mit den Restriktionen bei Abstrakta aufgestellten Begriffs- und Analysepaaren im Alt- und Mittelhochshydeutschen zu so empfiehlt es sich wieder mit dem Gegensatzpaar individualishysierend - generalisierend zu beginnen wie bemerkt ist dieses an die Verwenshydung des Artikels geknuumlpft Zunaumlchst einmal ist zu bemerken daszlig im Althochshydeutschen Abstrakta noch artikellos vorkommen koumlnnen die im heutigen Deutsch mit einem Artikel verwendet werden muumlssen vgl

30 Abstrakta mit daszlig-Satz in Wolframs von Eschenbach Parzival sind art bete botschaft dinc ere gedanke gewalt gewin helfe klage kumber Ion mere not rat riwe selde schult sin site stat teidinc tac trost trure urbot volge vuore werc wUe wille witze wunder ZUuml zit zorn Auffallend ist sippe daz (H Baumltjer Die verwendung der konjunkshytion daz in Wolfram von Eschenbachs Parzival Phil Diss Marburg 1890 S 42 ff) Und bei Hartmann von Aue begegnen gedanc reht mere heil trost list rat gedinge wan gewalt wort pris zwivel guot torheit sage wille gehenge selde guumlete gemuumlete dinc gewinn tugende ere valsch schade (Hornig Formen und gebrauch des satzartikels oder der conjunction daz bei Hartmarm von Aue Eine grammatische studie Programm der Ritter-Akademie zu Brandenburg Brandenburg 1847 S 5 f 13 f 17) Auch bei Bertshyhold von Regensburg erscheint die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz Es finden sich Bezugswoumlrter wie zit tac dienest vgl auch Ausdrucksweisen wie 52918 der muoz die juncfrouwen haben diu da heizet gerehtikeit daz er ze rehte guumltet unde widergit II 20610 daz ist gar ein griulichiu suumlnde unde sie heizet unkiusche daz man und frouwen unkiusche sint mit einander (H Roetteken Der zusammengesetzte Satz bei Berthold von Regensshyburg Ein Beitrag zur mittelhochdeutschen Syntax Straszligburg 1884 66 f) In der mittelshyhochdeutschen Urkundensprache begegnen u a gewalt reht zit gehuumlgede beziugede warnung unschult mit daszlig-Satz (B KirschsteinlU Schulze Woumlrterbuch der mittelhochshydeutschen Urkundensprache auf der Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurshykunden bis zum Jahre 13004 Lfg brief-dingen Berlin 1989 S 360) 31 Innerhalb der dritten Gruppe fehlen im Althochdeutschen noch Bezeichnungen fuumlr Ereignisse wie Gluumlcksfall Vorfall Zufall Ruumlckschlag Abenteuer 32 In einem Fall verhaumllt es sich scheinbar anders Tatian 2205 noh thanne ni uuestun sie giscrib thaz inan gilanf fon tode zi arstantanne nondum enim sciebant scripturam quill oportet eum a mortuis resuTgere Luther Joh 209 Denn sie wusten die Schrifft noch nicht I das er von den Todten aufferstehen muste Mentel Joh 209 Wann er wesst dennoch nit die schrifft das im gezam zersteen von den dotten nhd Denn sie kannten die Aussage der Schrift noch nicht daszlig er von den Toten auferstehen wuumlrde Ahd giscrib friihnhd Schrifft fungiert hier jedoch nicht als Konkreshytum sondern als Abstraktum mit der Bedeutung Aussage der Schrift

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

(18) Otfrid I 1818 so duat uns ubarmuati So bestraft uns der UumlbermutJ)

Geht man nun zu der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz uumlber so fehlt der Artikel in der Tatianuumlbersetzung genau wie bei dem lateinischen Vorbild vgl

(19) Tatian 1542 inti fon thanan suohta gilumphida thaz her in salti uzzan menigi und von da an suchte er die Gelegenheit daszlig er ihn auszligerhalb der Menge ausliefern konnte fuumlr lat et exinde querebat oportunitatem ut eum

traderet sine tubis 34

Anders steht es wenn kein lateinisches Vorbild zugrunde liegt Der bestimmte Artikel oder ein anderes ihn vertretendes Artikelwort erscheint fast durchwegs35

vgl

(20) Otfrid III 1643 f Ziu ist thanne iu widarmuati thisu selba guati theih einan man allan in then dag deta heilan Warum ist euch dann eben diese gute Tat zuwider daszlig ich einen Menschen ganz und gar an dem Tag geheilt habe36

n Behaghel [Anm22] S 68 ff vgl auch Hartrnann [Anm 7] S 85 f zum Mittelshyhochdeutschen 4 Vg ferner Tatian 147 intiih gisah intigiuuiznessisageta thaz therist gotes sun fuumlr lat et ego vidi et testimonium perhibui quill hic est filius dei 215 giuuizscaj thaz fuumlr lat testimonium quod 2205 giscrib thaz fuumlr lat scriptura quill 88 antvvurte thaz fuumlr lat Tesponso ne (vg Tatian 74) 13534 bibot thaz fuumlr lat mandatum ut Die Verbindung Adjektiv und Artikel erscheint 1606 Niuui bibot thaz fuumlr lat Mandatum novum ut 35 Ausnahmen sind Notker I 816 15 f loh nu dunchet mir muoza zegesehenne daz ih lesendo geeiscota fone dem demonum guoti I 3327 f Fure triuuon dang engilto ih unsculde unde lukkes unliumendes taz Eh si reus maiestatis Pro premiis uerl uirtutis subimus poenas falsi sceleris Vgl aus dem Nibelungenlied 8781 ff Urloup sie gewunnen daz si fuumlr solden gan

Sie erhielten die Erlaubnis daszlig sie vortraten Im Mittelhochdeutschen fehlt der Artikel bei festen Redewendungen wie Nibelungenshylied mere sagen daz danc sagen daz gedingen haben daz muot haben daz middot Aventin freiheit geben haben erlangen daz gnad geben erwerben daz neutralitatem halten daz gluumlk geben (neben das gluumlk geben) daz usw G Kinateder Die syntaktischen Funktionen der Konjunktion daszlig bei Aventin Phi Diss Muumlnchen 1897 S 53 ff 36 Vgl Otfrid II 128 V 1149 f thaz gizami thaz III 2075f thill selbun dat middot thaz V 643 f thio langun missidati thaz III 2511 f thie fristi thaz middot CV 2586) V 1145 f thes beren thinges thaz 12345 in thiu thing thaz middot III 2094 f thaz altar thaz I 231 f zi theru stullu zi theru ziti thaz

7 ZfdPh (Band 112 Heft 1) 97

Rosemarie Luumlhr

Ganz vereinzelt findet sich auch schon der unbestimmte Artikel bei der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz im Alt- und Mittelhochdeutschen vgl

Otfrid III 1633 f lh deta ein werk maraz giwisso wizit ir thaz theih bi einan man gimeinta in sambazdag giheilta Ich tat ein groszliges Werk gewiszlig wiszligt ihr das daszlig ich [mich] in betreff eines Mannes entschied ihn am Sabbat geheilt habe37

(22) Nibelungenlied 11311 H Da sprach der kuumlnic Gunther ich swuor ir einen eit daz ich ir getdte nimmer mere leit und wil es [uumlrbaz huumleten (23) 13702 ff die heten einen muot daz si da niht ensparten deheiner stahte guot 38

Daszlig die Verbindung unbestimmter Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen auftritt ist erstaunlich denn auszligerhalb dieser Fuumlgung kommt der unbestimmte Artikel bei Abstrakta in dieser Sprachstufe nur gelegentlich

39vor

Notker 11 16514 H dia tougeni unserro herzon daz II 14723 f Dia gnada daz I 6916 ff dero uneron daz II 55917 f Soliches segenes daz 11 1946 f dem missetate daz II 7315 f des leides daz II 16012 ff des tinges daz II 6125 H an dinero heilhafti daz I 5813 H die uuana taz II 1921 f daz unreht daz II 4879 f die guollichi daz (II 4872 H) I 3572 H tia barun not taz (15737 L) II 53927 H fone deme leide daz II 7622 f fone dien sculden daz I 3611 H an demo dinge dJz (II 10713 H) I 20416 f iro rihti daz (konsekutiv) Auch bei den Eigenschaftsbezeichnungen deren daszlig-Satz eine konsekutive Faumlrbung hat findet sich der Artikel vgL Ottrid V 59 thia beldida thaz IV 3613 sino gUat~ thaz V 2530 f minera dumpheiti mines selbes ubili thaz Notker I 5568 H mit tem baldi daz I 45223 H dia uesti taz II 2244 f dia bruti daz 129813 f sin ernest daz II 31724 f iro brOdi daz 37 Nicht sicher ist der unbestimmte Artikel nachweisbar in Otfrid III 1517 Lertun sie nan einan ruam thaz er gidJti imo einan duam imo ein gizami thaz er zeru firu quami Sie belehrten ihn daszlig er sich einen Ruhm verschaffen muumlsse ein Ansehen eine wundershybare Tat daszlig er zu der Feier komme Anders sind wohl zu beurteilen Tatian 226 then scuof her namon thaz sie hiezzin Boanerges fuumlr lat quibus inposuit nomina Boanerges Notker I 30130 f pe diu habet si einen anderen namen daz si intellectus beizet vgL I 75217 f II 28514 f 38 Vgl auch Aventin ein zeit das Kinateder [Anm 34] S 53 39 Vgl Behaghel [Anm22] S47 (Otfrid einan ruam) Nach PaullWiehlGrosse [Anm 16] S385 wird im Mittelhochdeutschen der unbestimmte Artikel mit dem

98

Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Die Ergebnisse der Untersuchung des Gegensatzpaars generalisierend - idenshytifizierend im aumllteren Deutsch sind Schon im Althochdeutschen erscheint vor der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz fast ausnahmslos der Artikel und zwar in der Mehrzahl der Faumllle der bestimmte Artikel gelegentlich aber auch der unbestimmte Artikel Daher besteht Grund zu der Annahme daszlig die Entwickshylung zur Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz in dieser Sprachstufe so ziemlich abgeschlossen ist Der generalisierenden Funktion des O-Artikels steht in der Verbindung mit Abstrakta + daszlig-Satz die individualisierende Funktion des bestimmten und unbestimmten Artikels gegenuumlber die die einen Einzelsachshyverhalt aussondernde Funktion dieses Nebensatzes unterstuumltzt Fuumlr die syntaktishyschen Restriktionen bei Abstrakta ergibt sich somit Wahrscheinlich schon zur Zeit Otfrids blockiert der O-Artikel die Verbindung eines Abstraktums mit

einem daszlig-Satz

2 diskontinuativ kontinuativ

Wie die Belege unter (17) zeigen konnten bereits im Althochdeutschen Abstrakta des Typs Gluumlck also solche Abstrakta die das Bedeutungsmerkmal diskontinuativ haben mit einem daszlig-Satz verbunden werden

Diesen stehen Zustandsbezeichnungen gegenuumlber die an keiner Belegstelle mit einem daszlig-Satz auftreten vgl etwa

(24)40 Ahd Nob suaznissi Liebe [ridu restt Friede ruowa stillimuoti Ruhe41 stilnissi Stille tougalnessi Verborgenheit unruowa giruornissi Unshy

ruhe

Mhd liebe vride ruowe

Es ist nicht zu uumlbersehen daszlig es sich hier gerade um solche Abstrakta handelt bei denen auch im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz vorkommt Das legt die Folgerung nahe daszlig diese Abstrakta wie das neuhochdeutsche Abstraktum Friede das Bedeutungsmerkmal kontinuativ haben Trifft dies zu so kann man sagen daszlig schon vom Althochdeutschen an das Bedeutungsmerkmal kontinuashytiv eine Restriktion fuumlr die Kombinierbarkeit mit einem daszlig-Satz darstellt

Abstraktum verbunden bull wenn eine Erscheinungsform des Begriffs bezeichnet werden soll (Nibelungenlied einen grozen nit) vgl auch F Zimmer Das artikellose Substantivum in den Predigten Bertholds von Regensburg in Beitraumlge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 26 1901 S 354 40 Hat ein Wort mehrere Bedeutungen erfolgt eine Angabe nur der Bedeutung(en) die fuumlr die jeweilige Einordnung einschlaumlgig ist (sind) 41 Im Neuhochdeutschen ist allerdines moumlelich Er hatte nicht die Ruhe daszligmiddot (vgL Anm27)

7 99

Rosemarie Luumlhr

3 nichtidentifizierend - identifizierend Das dritte Begriffs- und Analysepaar naumlmlich der Gegensatz nichtidentifizieshyrend identifizierend wurde anhand von nhd Ungluumlck einerseits und Unfall und Verletzung andererseits eroumlrtert Daszlig im Falle von Unfall und Verletzung im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz auftritt wurde damit begruumlndet daszlig bei diesen Vorgangsbezeichnungen gleichzeitig andere Vorstellungen mit dem Abstraktum verbunden sind die den gemeinten Sachverhalt identifizieren Aus dem mit dem Abstraktum bezeichneten Begriff ist somit kein Einzelsachverhalt ableitbar Geht man nun der Frage nach ob auch in den untersuchten alt- und mittelhochdeutschen Quellen das Merkmal identifizierend bei Abstrakta eine Restriktion fuumlr einen daszlig-Satz darstellt so empfiehlt es sich solche Abstrakta zu untersuchen die gegebenenfalls zusammen mit Synonymen mindestens zehnmal belegt sind Es wird die Beleglage von Abstrakta die Verfolgung Untergang und Auferstehung bedeuten betrachtet (25) Ahd aumlhtunga Verfolgung ferlornissa ferlornissida zegengeda Untershygang irstantnissi urstendi urstendida Auferstehung

Vgl etwa aus dem Mhd die semantischen Entsprechungen ahte ervolgunge jage Verfolgung niderganc zergancnisse Untergang uferstandunge Aufershystehung42

Im Neuhochdeutschen ist bei Abstrakta mit solchen Bedeutungen der bezeichshynete Sachverhalt identifiziert weshalb keine attributiven daszlig-Saumltze auftreten Fuumlr das aumlltere Deutsch ist dies in gleicher Weise zu erwarten In der Tat finden sich auch im Alt- und Mittelhochdeutschen nach Abstrakta der Bedeutung Verfolgung Untergang und Auferstehung keine daszlig-Saumltze Es erscheinen vielmehr Ausdrucksweisen wie die folgende (26) Notker 11 52315 f Du bist fundamentum du habest kestatet dina tccleshysiam unde dannan uueret si ane zegengeda Du bist das Fundament du hast deine Kirche errichtet und von da an waumlhrt sie ohne Untergang

Weil hier davon die Rede ist daszlig die Kirche nicht vom Untergang bedroht ist ist der Sachverhalt auf den der Begriff zegengeda zutrifft identifiziert Damit eruumlbrigt sich der Anschluszlig eines einen bestimmten Sachverhalt aussondernden daszlig-Satzes

Da also sowohl im Neuhochdeutschen wie im Alt- und Mittelhochdeutschen Vorgangsbezeichnungen durch die ein Sachverhalt identifiziert wird43 keinen

42 Die mittelhochdeutschen Belege sind unterschiedlichen Quellen entnommen 43 Auch bei bestimmten Zustandsbezeichnungen ist der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert weshalb kein daszlig-Satz auftreten kann vgl etwa ahd irwartnissa Vergaumlngshylichkeit armuati Armutfriuntscaf(t) huldl Freundschaft (in den Bedeutungen Huld Gunst Gnade waumlre bei huldl jedoch ein daszlig-Satz anschlieszligbar)ientscaft Feindschaft gesundeda heilida Gesundheit cuumlmida Krankheit ewarttuom Priestertum Priestershyamt alt Alter mhd vriuntschaft vientschaft

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

daszlig-Satz neben sich haben kann die Folgerung nur ~ein daszlig schon im aumllteren Deutsch das Merkmal identifizierend die Anschlieszligbarkeit eines daszlig-Satzes

bei Abstrakta verhindert

C Zusammenfassung und Ausblick

Die Untersuchung einiger syntaktischer Restriktionen bei Abstrakta des heutishygen und aumllteren Deutsch hat folgendes ergeben Wie im Neuhochdeutschen haben bereits im Alt- und Mittelhochdeutschen die semantischen Merkmale generalisierend kontinuativ und identifizierend den Anschluszlig eines daszligshySatzes bei einem Abstraktum blockiert Waumlhrend die Bedeutungsmerkmale kontinuativ und identifizierend einem Abstraktum inhaumlrieren - die neushyhochdeutschen Beispiele waren die Abstrakta Friede und Unfall (Verletzung)- kam das Bedeutungsmerkmal generalisierend in dem ungrammatischen Beishyspiel Gluumlck daszlig dadurch zustande daszlig ein Abstraktum ohne Artikel verwenshydet wurde Soweit aus den Belegen ableitbar ist sind bei den untersuchten Restriktionen kaum Sprachwandelphaumlnomene nachweisbar Dies gilt auch fuumlr das am Artikel festgemachte Begriffs- und Analysepaar individualisierend shygeneralisierend Denn obwohl im Althochdeutschen der Artikel bei Abstrakta noch nicht in der Weise ausgebildet war wie im Neuhochdeutschen ist die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen von woumlrtlichen Nachahmungen des Lateinischen abgesehen fast durchwegs vom Artikel begleitet und zwar sowohl vom bestimmten als auch vom unbestimmten Artikel Es fragt sich nun ob mit den am Neuhochdeutschen festgestellten und am alt- und mittelhochdeutschen Sprachmaterial bestaumltigten drei semantischen Merkmalen generalisierend kontinuativ und identifizierend generelle Merkmale fuumlr die Blockierung von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta gefunden worden sind Zur Beantwortung dieser Frage soll keine moderne europaumlische Sprache herangezogen werden44 sondern das Lateinische bis zum Mittellateinischen Denn erstens ist diese Form des Lateinischen wie das Alt- und Mittelhochdeutshysche eine Corpussprache zweitens besitzt das Lateinische wie zu sehen war auch die Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz und zwar mit den Konjunktioshynen quod quia und ut und drittens stehen das Lateinische und Deutsche genetisch in keinem zu engen Verwandtschaftsverhaumlltnis

44 Vgl etwa die stets mit dem Artikel oder einem anderen Artikelwort auftretenden Fuumlgungen frz lidee que lespoir que weitere Abstrakta in solchen Fuumlgungen sind annonce assurance avis bruit certitude chose conviction crainte croyance desir doute fait impression joie malheur nouvelle opinion ordre pensee peur preuve principe promesse regret sentiment serment signe tImoignage vom volonte (M Grevisse Le Bon Usage Grammaire fran~aise daujordhui Paris-Gembloux 111980 0deg 3423 2556 2593) und ne the fact that the opinion that usw

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Rosemarie Luumlhr

Die Ergebnisse der Untersuchung sind Zustandsbezeichnungen des Typs Friede45

also die Abstrakta mit dem Bedeutungsmerkmal kontinuativ treten im Lateinischen ebensowenig wie im Deutschen mit einem daszlig-Satz auf Gleishyches gilt fuumlr Vorgangsbezeichnungen des Typs Unfalto der gegenuumlber dem Typ Ungluumlck einen Sachverhalt identifiziert Dagegen koumlnnen im Lateinischen wie im Deutschen Abstrakta mit der Bedeutung

(27) Meinung (sententia opinio) Zeugnis (testimonium) Antwort (responshysum) Glaube ifides) Trost (consolatio) Gebot (mandatum) Angelegenshyheit (res) Gelegenheit (occasio opportunitas) Gut (bonumt7

mit einem daszlig-Satz verbunden werden Da von diesen Abstrakta die Woumlrter fuumlr Angelegenheit Gelegenheit und Gut dem deutschen Typ Gluumlck mit dem Bedeutungsmerkmal diskontinuativ zuzurechnen sind scheint dieses Bedeushytungsmerkmal auf jeden Fall eine Bedingung fuumlr die Kombinierbarkeit eines dem Typ Gluumlck angehoumlrigen Abstraktums mit einem daszlig-Satz darzustellen Obwohl das Lateinische nicht uumlber ein Artikelsystem wie das Deutsche vershyfuumlgt48 gibt es Hinweise darauf daszlig auch das Lateinische dazu neigt die spezifizierende Funktion des daszlig-Satzes durch ein individualisierendes Artikelshywort wie ille oder unus beim Abstraktum zu unterstuumltzen vgl Fuumlgungen wie illa sententia quod una consolatio quod Da dem so ist scheinen das Lateinische und das Deutsche unabhaumlngig voneinander hinsichtlich der Bedingungen sowohl fuumlr das Auftreten als auch fuumlr das Fehlen von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta die gleichen Eigenschaften zu besitzen

Diese Behauptung kann durch ein Faktum der aumluszligeren Sprachgeschichte des Deutschen gestuumltzt werden Notker von St Gallen lieszlig oftmals bei seinen Uumlbersetzungen lateinische Begriffe die seinen Schuumllern schon bekannt waren oder die als Fachausdruumlcke galten unuumlbersetzt wodurch eine althochdeutschshylateinische Mischprosa entstand Was nun die hier interessierende althochdeutshysche Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz angeht so hat Notker vollkomshymen korrekt in diese Fuumlgungen zuweilen solche lateinischen Abstrakta ein geshy

45 Vgl lat Wahrheit (veritas) Liebe (amor caritas pietas benevolentia induigentia usw) Friede (pax) Ruhe (requies tranquillitas otium) Stille (silentium) ferner Zustandsbezeichnungen bei denen der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert ist wie Vergaumlnglichkeit (brevitas fragiiitas) Armut (paupertas mopia egestas) Freundschaft (amicitia necessitudo) Feindschaft (inimicitia dissensio) vgl Anm 43 46 Vgl lateinische Verbalabstrakta wie perturbatio Verwirrung defensio Verteidigung unio Vereinigung 47 Mit lat benignitas quod (A Draeger Historische Syntax der lateinischen Sprache Bd H Leipzig 21878 S 220 f) vgl nhd die Kraft daszlig Derartige Belege finden sich im Altlatein (z B bei Plautus) dann aber vor allem im Mittel- und Spaumltlatein 48 Vgl J B HofmannlA Szantyr Lateinische Syntax und Stilistik (Handbuch der Altertumswissenschaft II 22) Muumlnchen 1965 S 191 H

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~f~j - rlt1IItt i$ 4il 4JIt k( 41

Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

setzt die von ihrer Bedeutung her mit einem daszlig-Satz verbunden werden

koumlnnen vgl

(28) Notker I 1025 ff Tarazuo triffet tisiu disputatio daz diuitif den man nemugen saligen getuon Dazu paszligt diese disputatio (Eroumlrterung) daszlig Reichtuumlmer den Menschen nicht selig machen koumlnnen

(29) I 2508 f dien fOlget note diu conclusio daz al daztir ist kuot ist daraus folgt notwendigerweise die conclusio (der Schluszlig) daszlig alles was ist

bull 49gut Ist

Wichtig ist daszlig fuumlr diese Stellen ein unmittelbares lateinisches Vorbild fehlt Notker der wie man annimmt die lateinische Sprache ebenso gediegen wie seine Muttersprache zu handhaben verstand konnte deswegen bewuszligt oder unbewuszligt ein lateinisches Abstraktum zwanglos in eine deutsche Fuumlgung einpasshysen weil die Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz nicht nur in beiden Sprachen vorhanden ist sondern auch die Restriktionen eingeschlossen in uumlbereinstimmender Weise funktionierte

Sind die vorgebrachten Uumlberlegungen richtig so ist diesmal mit der inneren Sprachgeschichte des Deutschen ganz anders verfahren worden als es sonst allgemein uumlblich ist Sonst wird die innere Sprachgeschichte meistens dazu benutzt auffallende synchron nicht weiter erklaumlrbare Erscheinungen der Gegenwartssprache genetisch herzuleiten was oftmals mit der Beschreibung von Sprachwandelphaumlnomenen verbunden ist In der vorliegenden Untersuchung wurden dagegen syntaktische Besonderheiten des Neuhochdeutschen zu erklaumlshyren versucht und dann auf entsprechende Regularitaumlten in den aumllteren Stufen des Deutschen verwiesen5o Die Sprachgeschichte diente somit als Stuumltze fuumlr die Auffassung daszlig mit den Restriktionen genereller wirkende Regeln gefunden worden sind Daszlig mit solchen Regeln zu rechnen ist machte auch der Vergleich mit dem Lateinischen wahrscheinlich wie gezeigt verfuumlgt diese Sprache uumlber die entsprechende Konstruktion und uumlber Restriktionen wie sie das Deutsche

aufweist

49 Auch die folgenden lateinischen Abstrakta erscheinen bei Notker in der Konstruktion Abstraktum + daz-Satz exultatio Freude ordo Ordnung consequentia () Folge contrarium Gegenteil scandalum Aumlrgernis natura Wesen 50 Vgl W Labovs Some principles of linguistic methodology in Language and Society 1 (1972) S 101 On the use of the present to explain the past in Proceedings of the Eleventh International Congress of Linguists Bologna-Florence Aug 28-Sept 2 1972 ed by L Heilmann Bologna S 849 uniformitarian principle bull The linguistic processhyses taking place around us are the same as those that have operated to produce the historical record ferner C Christy Uniformitarianism in Linguistics (Amsterdam Studies in the Theory and History of Linguistic Science 31) AmsterdamPhiladelphia 1983 S 51 80

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Rosemarie Luumlhr Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Hinzu kam der Gluumlcksfall daszlig Notkers deutsch-lateinische Sprachkompetenz die Auffassung stuumltzt daszlig die untersuchte Konstruktion mitsamt ihren Restrikshytionen in beiden Sprachen weitgehend identisch ist Dies gibt hinreichend Anlaszlig zu der an die kuumlnftige Forschung zu richtenden Forderung daszlig bei Untersushychungen von Phaumlnomenen der inneren Sprachgeschichte auch die aumluszligere Sprachgeschichte gebuumlhrend zu beruumlcksichtigen ist

t f

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Page 5: ZEITSCHRIFT FVR DEUTSCHE PHILOLOGIEdwee.eu/Rosemarie_Luehr/userfiles/downloads/Sonderdruck... · 2017. 12. 22. · Besm . und Hanmut Steinedte in Verbindung mit Christoph Conneau

Rosfm4rie Luumlhr

aber noch ergaumlnzungs beduumlrftig sind und ausgebaut werden muumlssen 14 Fuumlr den nachfolgenden Vergleich der heute feststellbaren syntaktischen Restriktionen bei Abstrakta mit denen fruumlherer Sprachstufen des Deutschen werden in erster Linie althochdeutsche Texte ausgewaumlhlt da es im folgenden auch um das Alter der Restriktionen auf deutschem Sprachgebiet geht herangezogen werden die umfangreicheren althochdeutschen Sprachdenkmaumller wie die Benediktinerregel die Tatianuumlbersetzung die Schriften Otfrids von Weiszligen burg und Notkers von St Gallen Da die Autoren dieser Texte alle mehr oder weniger lateinischen Vorbildern folgen wird noch ein mittelhochdeutscher Text fuumlr den keinerlei Zusammenhang mit dem Lateinischen bestanden hat ausgewaumlhlt und zwar das Nibelungenlied Der Vergleich fuumlhrt abschlieszligend zur Beantwortung der Frage ob sich bei den behandelten Restriktionen Sprach wandel phaumlnomene auswirken oder ob die Beschraumlnkungen eher genereller Art sind In diesem Zusammenhang ist noch einmal auf das Lateinische zuruumlckzukommen

B Untersuchungsteil

L Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta im heutigen Deutsch

Proben haben ergeben daszlig es sich empfiehlt die zu eroumlrternden Beschraumlnkunshygen nach bestimmten oppositiven Begriffs- und Analysepaaren zu ordnen Dabei stehen drei Begriffs- und Analysepaare zu Gebote naumlmlich die Paare individuashylisierend - generalisierend diskontinuativ - kontinuativ und nichtidenshytifizierend - identifizierend Hinzu kommt noch folgende generelle Untershyscheidung Abstrakta die mit einem daszlig-Satz kombinierbar sind koumlnnen im heutigen Deutsch in drei Subklassen unterteilt werden Das geht aus bestimmten Operationen also Verfahren die der Ermittlung sprachlicher Regularitaumlten und ihrer Struktur dienen hervor VgL die Beispielsaumltze (8) (9) und (4 a)

(8) Die Meinung daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben muumlssen ist anscheinend nicht allgemein verbreitet

(9) Die Ansicht daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben muumlssen ist anscheinend nicht allgemein verbreitet

(4 a) Das Gluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Die Umformungsprobe macht deutlich daszlig von den drei syntaktischen Fuumlgunshygen die Meinung daszlig die Ansicht daszlig und das Gluumlck daszlig nur das Syntagma die Meinung daszlig auf eine ebenfalls einen daszlig-Satz enthaltende Basis naumlmlich auf meinen daszlig mit einem daszlig-Satz in der Funktion eines Objekts zuruumlckgefuumlhrt werden kann vgl

14 R Luumlhr Zur Subklassifizierung von Abstrakta Wert und Grenzen operationaler Verfahren Sprachwissenschaft 16 1991 S 419 H Luumlhr [Anm 6J Luumlhr [Anm 10J

88

Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

(8 a) Sie meinten daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben muumlssen

Die Valenz des Verbs ein Objekt in Form eines daszlig-Satzes zu sich zu nehmen ist in diesem Fall also auf das Substantiv uumlbergegangen

Die Austauschprobe ergibt daszlig anscheinend auch Abstrakta mit einer aumlhnlichen Bedeutung wie diejenigen die die Valenz der verbalen Basis uumlbernehmen mit einem daszlig-Satz kombinierbar sind vgl die Saumltze (8) und (9) mit den Abstrakta Meinung und Ansicht von denen Ansicht nicht auf eine verbale Basis mit daszligshySatz ruumlckfuumlhrbar ist Im Sprecherbewuszligtsein kann ein Syntagma wie die Ansicht daszlig jedoch ebenso wie das Syntagma die Meinung daszlig auf die verbale Basis meinen daszlig bezogen werden weshalb bei den Abstrakta des Typs Meinung und Ansicht zwei Arten von Substantivvalenz zu unterscheiden sind eine die aus einer tatsaumlchlichen und eine die aus einer virtuellen Basis mit daszlig-Satz abgeleishytet iSt15 Demgegenuumlber gibt es fuumlr das Abstraktum Gluumlck in (4 a) weder eine tatsaumlchliche noch eine virtuelle Basis mit einem daszlig-Satz Der daszlig-Satz ist hier explikativer Art er waumlhlt aus der Menge der vom Begriff Gluumlck umfaszligten Gluumlcksfaumllle einen aus

Ordnet man nun die Abstrakta in den ungrammatischen Saumltzen (4) bis (6) den drei Subtypen von Abstrakta mit daszlig-Satz zu so gehoumlren ebenso wie Gluumlck selbst auch die Abstrakta Unfall und Friede zum dritten Typ da weder eine tatsaumlchliche noch eine virtuelle Ableitungsbasis mit daszlig-Satz synchron nachshyweisbar ist

Um nun herauszufinden warum die Saumltze (4) bis (6) ungrammatisch sind werden neuhochdeutsche Saumltze gebildet die aumlhnliche aus Abstraktum und daszligshySatz bestehende Fuumlgung enthalten

1 individualisierend - generalisierend

Der einfachste Fall ist der ungrammatische Satz (4) Waumlhrend das Abstraktum Gluumlck ohne daszlig-Satz artikellos verwendet werden kann ist dies in Verbindung mit einem daszlig-Satz nicht moumlglich vgL die Saumltze (4 b) und

(4 b) Gluumlck gibt es nicht

(4) fGluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Satz (4) wird sofort grammatisch wenn anstelle des O-Artikels der bestimmte Artikel mit dem Abstraktum Gluumlck verbunden wird vgL den schon angefuumlhrten Satz (4 a)

(4 a) Das Gluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

15 Vgl H Paul Deutsche Grammatik Bd IV Syntax (zweite Halle (Saale) 51959 S 247 f

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Rosemarie Luumlhr

Im Falle des artikellosen Gebrauchs druumlckt der O-Artikel beim Abstraktum Generalisierung aus Demgegenuumlber hat der bestimmte Artikel in Verbindung mit einem Abstraktum + daszlig-Satz neben der determinierenden Funktion eine individualisierende Funktion16 So weist in Beispiel (4 a) der bestimmte Artikel darauf hin daszlig wie bemerkt von allen moumlglichen Gluumlcksfaumlllen durch den daszligshySatz einer ausgesondert wird Da auch der unbestimmte Artikel individualisieshyrend eingesetzt werden kann ist es nicht verwunderlich daszlig in gleicher Weise der unbestimmte Artikel bei Abstrakta + daszlig-Satz vorkommt vgl

(10) Joh 1839 Ihr habt aber eine Gewohnheit daszlig ich euch einen auf Ostern losgebe 1

Als erste syntaktische Restriktion ist somit festzuhalten In der Fuumlgung Abstrakshytum + daszlig-Satz kann im Neuhochdeutschen das Abstraktum nicht artikellos und damit in generalisierender Funktion verwendet werden Der Grund ist In der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz wird aus der Menge der moumlglichen Sachvershyhalte die unter den Begriff des uumlbergeordneten Abstraktums fallen durch den daszlig-Satz einer spezifiziert d h ausgesondert Deshalb ist ein Artikel in indivishydualisierender Funktion notwendig

2 diskontinuativ - kontinuativ

Auch beim zweiten Begriffs- und Analysepaar ist von Bedeutung daszlig durch den daszlig-Satz ein Sachverhalt aus dem uumlbergeordneten Begriff ausgesondert wird Wenn nun bei einem Abstraktum wie Friede kein daszlig-Satz moumlglich ist so ist dieser Begriff anscheinend nicht von der Art daszlig ein Einzelsachverhalt abstrashyhierbar ist vgl den ungrammatischen Satz (5)

(5) Der Friede daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Grammatisch ist dagegen wiederum der schon oumlfters angefuumlhrte Satz (4 a)

(4 a) Das Gluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Woran liegt nun die unterschiedliche Grammatikalitaumlt der Saumltze (5) und (4 a) Um eine Antwort auf diese Frage zu finden ist auf die Bedeutungsstrukturen der Woumlrter Gluumlck und Friede einzugehen beides sind Abstrakta die Zustaumlnde bezeichnen also Sachverhalte die uumlber einen bestimmten Zeitraum hinweg in ihren relevanten Zuumlgen gleichbleiben Es ist jedoch zu pruumlfen ob es bei den Konkreta aumlhnliche Bedeutungsunterschiede wie bei diesen Abstrakta gibt namrshy

16 Vergleichbar ist die Artikelsetzung bei Abstrakta wenn ein notwendiger Relativsatz folgt (vgl Hartmann [Anm7] S 78 H PaulP WiehlS Grosse Mittelhochdeutsche Grammatik Tuumlbingen 231989 S 385) 17 Nach Behaghel [Anm 9] S 131

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Syntaletische Restriktionen bei Abstrakta

lieh abgesehen von dem grundlegenden syntaktischen Unterschied daszlig nur Abstrakta mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen Zu diesem Zweck soll auf die Bedeutungen der Konkreta Wald und Holz eingegangen werden waumlhshyrend das Kollektivum Wald eine theoretisch zaumlhlbare Mehrzahl von Individuen naumlmlich von Baumlumen bezeichnet ist es im Falle des Masseworts Holz eine nicht weiter zerlegbare Menge tS Wald ist nach dieser Unterscheidung ein Diskontishynuativum und Holz ein Kontinuativum Uumlbertraumlgt man diese semantische Unterscheidung auf die Abstrakta Gluumlck und Friede19

so scheint es bei diesen Abstrakta ebenso eine Differenzierung nach den Merkmalen diskontinuativ und kontinuativ zu geben dabei gilt Nur bei Diskontinuativa wie Gluumlck kann mit Hilfe des daszlig-Satzes eine bestimmte Sachverhaltsbeschreibung ausgesondert werden vgl etwa das folgende Beispiel

(11) Das Gluumlck daszlig Hans die Pruumlfung bestanden hat daszlig Hans keine Verletzungen davongetragen hat daszlig Hans im Lotto gewonnen hat

kann ich gar nicht fassen

Dagegen duumlrfte die Zustandsbezeichnung Friede ein Kontinuativum sein weil eben keine Sachverhalts beschreibung durch einen daszlig-Satz aussonderbar ist

Die zweite syntaktische Restriktion lautet demnach Bei einer Zustandsbezeichshynung verhindert das Bedeutungsmerkmal kontinuativ die Kombinierbarkeit

mit einem daszlig-Satz

3 nichtidentifizierend identifizierend

Was unter dem Gegensatz nichtidentifizierend identifizierend zu versteshyhen ist soll an dem schon angefuumlhrten Satz (6) und an einem weiteren ungramshymatischen Beispielsatz eroumlrtert werden Waumlhrend die Saumltze (6) und (12) ungramshymatisch sind ist Satz (13) akzeptabel

1amp W Abraham Terminologie zur neueren Linguistik Tuumlbingen 21988 S 361 19 Vgl H Kubczak Das Verhaumlltnis von Intension und Extension als sprachwissenschaftshyliches Problem (Forschungsberichte des Instituts fuumlr Deutsche Sprache 23) Tuumlbingen 1975 S 42 f Nach H Kubczaks Auffassung ist bei einer Zustandsbezeichnung ein Zustand also eine einelementige Klasse angebbar welche durch eine Intension naumlher bestimmt wird Treten nun Quantifizierungen wie in zwei Buumlcher und zwei Freiheiten auf so ergibt sich nach H Kubczak folgender Unterschied zwischen den Konkreta und den Abstrakta Mit zwei Buumlcher koumlnnen Elemente aus einer Klasse von gegenstaumlndlichen Eigenschaftstraumlgern angesprochen werden die als solche lediglich durch die intensionale Definition von Buch definiert sind Und obwohl sich jedes auszligersprachliche Buch von jedem anderen irgendwie unterscheiden mag bezieht man sich mit zwei Buumlcher nicht auf diese Unterschiede Mit zwei Freiheiten werden indessen gerade zwei Entitaumlten ausdruumlckshylich angesprochen auf deren Unterschiede es bei aller Gemeinsamkeit ankommt Die in dem Begriff zwei Freiheiten gegebenen unterschiedlichen Abhaumlngigkeitsverhaumlltnisse wuumlrshyden sich zu Freiheit wie Arten zu einer Gattung verhalten

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Rosemarie Luumlhr

(6) Der Unfall daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ereignet sich jeden Tagregt niemanden auf

(12) Die Verletzung daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat hatte schlimme Folgen

(13) Das Ungluumlck daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ereignet sich jeden Tagregt niemanden auf

Ein ehemals d h zu seiner Zeit sicher korrekter Satz mit dem Abstraktum Unfall + daszlig-Satz ist bei Goethe belegt

(14) Ich habe zwar den Unfall erlitten dasz alle meine Sachen gestrandet lo

Das Abstraktum Unfall hatte fruumlher anscheinend eine weitere Bedeutung und wurde im Sinne von Ungluumlck verwendet vgl die Umformung (14 a)

(14 a) Ich habe zwar das Ungluumlck erlitten daszlig alle meine Sachen gestrandet sind

Es fragt sich wiederum wieso die Saumltze mit den Abstrakta der Bedeutung Ungluumlck grammatisch die Saumltze mit Vorgangsbezeichnungen21 der Bedeutung Unfall oder Verletzung jedoch ungrammatisch sind Geht man zuerst auf die Bedeutung des Abstraktums Verletzung ein so kann man mit O Behaghel22 hier von einem relativen Begriff sprechen das ist ein ergaumlnzungsbeduumldtiger Begriff der nur vollzogen werden kann wenn gleichzeitig andere Vorstellunshygen ins Bewuszligtsein treten Ein Begriff wie Verletzung wird zum Beispiel durch den Ausdruck von Vorstellungen wie wer wurde wie und wann verletzt ergaumlnzt und damit gesaumlttigt Dadurch wird der Begriffstraumlger hier also der Sachverhalt auf den der Begriff Verletzung zutrifft identifizierr3 vgl

(12 a) Die Verletzung des Fingers die Hans sich beim Brotschneiden zugezogen hat war erheblich

Ist aber der mit einem Begriff gemeinte Sachverhalt identifiziert so ist eine Aussonderung oder Explikation eines Einzelsachverhalts in Form eines daszligshySatzes nicht mehr moumlglich Aumlhnlich verhaumllt es sich bei dem Abstraktum Unfall in seiner modernen Bedeutung Heute bezeichnet dieses Wort einen dem Versicheshy

20 J GrimmW Grimm Deutsches Woumlrterbuch Bd XlIII Leipzig 1936 Sp 526 21 Vorgangsbezeichnungen sind Bezeichnungen fuumlr innerhalb eines bestimmten Zeitabshyschnitts ablaufende Uumlbergaumlnge von einem Zustand in einen anderen Zustand J Pleines Handlung-Kausalitaumlt-Intension (Tuumlbinger Beitraumlge zur Linguistik 68) Tuumlbingen 1976 S 55 ff 22 Deutsche Syntax Eine geschichtliche Darstellung Bd I Die Wortklassen und WOrtshyformen A Nomen Pronomen Heidelberg 1923 S 23 2J Vgl S Loumlbners Intensionale Verben und Funktionalbegriffe (Ergebnisse und Methoshyden moderner Sprachwissenschaft 7) Tuumlbingen 1979 S 34 f Definition der Funktionalshybegriffe

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

rungsrecht zugehoumlrigen Begriff und ist eingeschraumlnkt auf ein Ereignis welches infolge einer ploumltzlichen vom Betroffenen nicht gewollten Einwirkung Koumlrpershyverletzung oder Toumltung eines Menschen herbeifuumlhrt Auch hier ist eine Identifishyzierung des gemeinten Sachverhalts gegeben weshalb in der Gegenwartssprache der Begriff Unfall nicht weiter durch einen daszlig-Satz expliziert werden kann Dagegen gehoumlrt der Begriff Ungluumlck in der Terminologie O Behaghels zu den absoluten Begriffen die wie er sagt fuumlr sich allein eine abgeschlossene Vorstellung verkoumlrpern 24 Eine Identifizierung eines bestimmten Sachverhalts liegt hier also nicht vor Handelt es sich aber bei einem absoluten Begriff um ein potentielles Diskontinuativum so kann in einem geeigneten Kontext ein Einzelsachverhalt also ein bestimmter Ungluumlcksfall in Form eines daszlig-Satzes

abstrahiert werden vgl (13)

Moumlglicherweise ist der zwischen Abstrakta wie Unfall und Verletzung einerseits und Ungluumlck andererseits bestehende Bedeutungsunterschied auch durch einen Test erfaszligbar Im Falle des Abstraktums Ungluumlck kann der daszlig-Satz die Stelle

des Subjekts einnehmen vgl

(13 a) Daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ist ein Ungluumlck

Dagegen sind derartige Subjektsaumltze bei den Abstrakta Unfall und Verletzung

kaum moumlglich

(6 a) Daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ist ein Unfall

(12 b) Daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat ist eine Verletzung25

Als dritte syntaktische Restriktion ergibt sich somit Wird bei einem abstrakten Begriff der gemeinte Sachverhalt durch gleichzeitig im Bewuszligtsein vorhandene Vorstellungen identifiziert ist eine Explizierung des Begriffs durch einen daszligshy

Satz nicht moumlglich

Es ist nun zu pruumlfen ob durch die Begriffs- und Analysepaare individualisieshyrend - generalisierend diskontinuativ kontinuativ und nichtidentifishy

24 [Anm 22] S 22 25 Vgl Loumlbner [Anm 23] S 40 Moumlglich ist jedoch Daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat ist eine schlimme Verletzungeine Verletzung die keine schlimme Folgen haben kann Der Begriff Verletzung ist hier durch einen Zusatz spezifiziert Demgegenuumlber gehen C Fabricius-Hansenl A von Stechow Explikative und implikative Nominalerweiterungen im Deutschen in Zeitschrift fuumlr Sprachwissenschaft 81989 S 175 ff nicht darauf ein daszlig etwa bei Moumlglichkeit einem Abstraktum vom Typ Ungluumlck in Verbindung mit einer explikativen S-Erweiterung das Abstraktum ohne Spezifikation stehen kann (Daszlig man sich geirrt haben kann ist eine Moumlglichkeit) waumlhrend dies bei Gedanke notwendig ist vgl Daszlig ich dich beleidigt habe ist ein Gedanke der mich beunruhigt mit Daszlig ich dich beleidigt habe ist ein Gedanke

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Rosemarie Luumlhr

zierend - identifizierend auch in den Vorstufen des Deutschen syntaktische Restriktionen bei Abstrakta erfaszligt werden koumlnnen Dabei soll auf moumlgliche lateinische Vorbilder geachtet werden

II Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta im fruumlheren Deutsch

Der Ruumlckblick in die Sprachgeschichte ergibt folgende Befunde Zunaumlchst einmal ist festzustellen daszlig die durch die Substantive Meinung Ansicht und Gluumlck verkoumlrperten drei Haupttypen von Abstrakta mit attributivem daszlig-Satz seit althochdeutscher Zeit vertreten sind und zwar nicht nur wenn ein lateinishysches Vorbild nachweisbar ist vgL

zu dem Typ Meinung dessen zugrundeliegendes Verb ebenfalls einen daz-Satz regiert

(15) Althochdeutsch

mit lateinischem Vorbild Tatian antwurti (Antwort) daz responsum ne (antwunen daz) bibot (Gebot) daz mandatum ut (vgL gibiotan daz)

ohne lateinisches Vorbild Otfrid gilouba Glaube (gilouben daz) giniti Rat (ratan daz) redina Uumlbershylegung (vgl redinon daz)

Notker beneimeda Verheiszligung (vgl mhd beneimen daz) orhta (jurhten daz) gedang Gedanke (denehen daz) gedingi Hoffnung (gedingen daz) geiiht Aussage (iehen daz) ilunga Streben (ilen daz) lob Lob (vgl mhd loben daz) reda Uumlberlegung (vgl redon daz) uuan Ansicht (uuanen daz) zala Aussage (zellen daz) zeichen Zeichen (vgL zeigon daz)

Mittelhochdeutsch Nibelungenlied bete Bitte (bitten daz) gedinge Hoffnung (gedingen daz) wan Glaube (wknen daz) vreude Freude (vreuwen daz) itewizen Vorwershyfen (itewizen daz) trost Trost (tramen daz) klage Klage (klagen daz) nit Rat (raten daz) urloup Erlaubnis (erlouben daz)

Und dem Typ Ansicht mit einer aus einer virtuellen Basis abgeleiteten Valenz sind zuzuordnen

Althochdeutsch ohne lateinisches Vorbild Otfrid wort Wort (vgl jehen daz)26

26 Nach der Definition daszlig Woumlrter die mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen auf jeden Fall Abstrakta sind stellt sich ahd wort zu den Abstrakta obwohl ein Wort eine physikalisch meszligbare Groumlszlige ist Auch G O Curme A Grammar of the German Language New York 21922 S 63 betrachtet Woumlrter wie Wort als Abstrakta (vgl sein Beispieljammern ist unnuumltz) Ein explizites Unterscheidungskriterium gibt er jedoch nicht an

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Notker wort unliument Verleumdung (vgl jehen daz) tagalti Freude (vgl sich rewen daz )27

Mittelhochdeutsch Nibelungenlied mtere Bericht (vgL jehen daz) eit Eid (vgl swern daz)

schult Schuld (vgl itewizen daz)

Erstaunlich groszlig ist im Althochdeutschen die Anzahl der Abstrakta der dritten Gruppe der Substantive also die wie Gluumlck weder auf eine tatsaumlchliche noch auf eine virtuelle Basis mit einem daszlig-Satz in der Funktion eines Objekts ruumlckfuumlhrshybar sind Es handelt sich zum einen um Bezeichnungen fuumlr Zustaumlnde und zum anderen um Bezeichnungen fuumlr Handlungen also fuumlr kausal verursachte Vorshy

gaumlnge vgl

(17) mit lateinischem Vorbild Tatian gilumphida Gelegenheit fuumlr lat apportunitas

ohne lateinisches Vorbild Otfrid dtit Begebenheit gizami herrliche Fuumlgung28 salida Seligkeit ruam Ehre missidat Missetat

Notker muoza Gelegenheit Moumlglichkeit sito Brauch taugeni Mysterium gnada Gnade beil heilhati Heil segen Segen Tibti () Ordnung era

guollichi Ruhm unera Schmach unreht Unrecht unebeni Ungeshyrechtigkeit seult Schuld leid Leid brutti Schrecken missetat Missetat29

27 Aus Abstrakta die eine bestimmte Disposition fuumlr Handlungen und Einstellungen bezeichnen wie Kraft Kuumlhnheit Dummheit kann eine konsekutive Relation erschlossen werden Derartige Abstrakta bleiben im folgenden auszliger Betracht Mit einem daz-Satz sind im Althochdeutschen Abstrakta des Typs Kraft verbunden im Falle von Otfrid maht Macht krart Kraft beldida Kuumlhnheit guati Vonrefflichkeit Notker chraft baldi Kuumlhnheit festi Festigkeit ernest Eifer lat patientia Geduld lat stulticia Dummshyheit brodi Schwachheit ubeli Schlechtigkeit argi Bosheit lat natura Eigenart und im Nibelungenlied degenheit Tapferkeit sterke Kraft Weitere derartige Abstrakta die im Althochdeutschen nicht mit einem daszlig-Satz auftreten aber im Neuhochdeutschen mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen sind etwa reinida hreinnissa reinnusseda Reinheit spaumlhida wizz sapientia unwizzi Unverstand wihida wihi heilagnessi

wirdi Wuumlrde beldi Kuumlhnheit eregrehti Barmherzigkeit armherzi Mitshygedulti Geduld otmuoti Demut mihilnessi Herrlichkeit Majestaumlt unsubarnessi

Unreinheit unruohha Gleichguumlltigkeit Sorglosigkeit tumbheit Dummheit tumpnissi Torheit untarworfanii Unterwuumlrfigkeit gotnissa Goumlttlichkeit hartnissa Hme kilihnissa Gleichheit Aumlhnlichkeit miltid Mitleid miltnissa Sanftmut (zu weiteren Abstrakta vgl A R Lingl Uumlber den Gebrauch der Abstrakta im Plural im Ahd und Mhd Phi Diss Muumlnchen 1934 S 8 H) 28 Im Falle von ahd gilumphida und gizami liegt zwar ein Verb gizeman bzw gilimpfan sich geziemen zugrunde doch fungiert der bei diesen Verben auftretende daszlig-Satz als Subjektsatz 29 Hinzu kommen noch Zeitbegriffe wie Tatian Otfrid Notker zit Zeit Otfrid frist Frist Tatian taga qage Otfrid altar Alter Nibelungenlied tac stunde wile zit ferner Tatian Notker namo Name und Otfrid thing Notker ding Ding

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Rosemarie Luumlhr

Nibelungenlied geluumlcke Gluumlck heil Heil ungemach Ungluumlck era Ehre liep GefallenJO

Bemerkenswen ist daszlig die Bedeutungen der alt- und mittelhochdeutschen Abstrakta der dritten Gruppe genau bei den Abstrakta auftreten31

die im Neuhochdeutschen ebenfalls mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen 32

1 individualisierend - generalisierend

Wendet man sich nun den drei in Zusammenhang mit den Restriktionen bei Abstrakta aufgestellten Begriffs- und Analysepaaren im Alt- und Mittelhochshydeutschen zu so empfiehlt es sich wieder mit dem Gegensatzpaar individualishysierend - generalisierend zu beginnen wie bemerkt ist dieses an die Verwenshydung des Artikels geknuumlpft Zunaumlchst einmal ist zu bemerken daszlig im Althochshydeutschen Abstrakta noch artikellos vorkommen koumlnnen die im heutigen Deutsch mit einem Artikel verwendet werden muumlssen vgl

30 Abstrakta mit daszlig-Satz in Wolframs von Eschenbach Parzival sind art bete botschaft dinc ere gedanke gewalt gewin helfe klage kumber Ion mere not rat riwe selde schult sin site stat teidinc tac trost trure urbot volge vuore werc wUe wille witze wunder ZUuml zit zorn Auffallend ist sippe daz (H Baumltjer Die verwendung der konjunkshytion daz in Wolfram von Eschenbachs Parzival Phil Diss Marburg 1890 S 42 ff) Und bei Hartmann von Aue begegnen gedanc reht mere heil trost list rat gedinge wan gewalt wort pris zwivel guot torheit sage wille gehenge selde guumlete gemuumlete dinc gewinn tugende ere valsch schade (Hornig Formen und gebrauch des satzartikels oder der conjunction daz bei Hartmarm von Aue Eine grammatische studie Programm der Ritter-Akademie zu Brandenburg Brandenburg 1847 S 5 f 13 f 17) Auch bei Bertshyhold von Regensburg erscheint die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz Es finden sich Bezugswoumlrter wie zit tac dienest vgl auch Ausdrucksweisen wie 52918 der muoz die juncfrouwen haben diu da heizet gerehtikeit daz er ze rehte guumltet unde widergit II 20610 daz ist gar ein griulichiu suumlnde unde sie heizet unkiusche daz man und frouwen unkiusche sint mit einander (H Roetteken Der zusammengesetzte Satz bei Berthold von Regensshyburg Ein Beitrag zur mittelhochdeutschen Syntax Straszligburg 1884 66 f) In der mittelshyhochdeutschen Urkundensprache begegnen u a gewalt reht zit gehuumlgede beziugede warnung unschult mit daszlig-Satz (B KirschsteinlU Schulze Woumlrterbuch der mittelhochshydeutschen Urkundensprache auf der Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurshykunden bis zum Jahre 13004 Lfg brief-dingen Berlin 1989 S 360) 31 Innerhalb der dritten Gruppe fehlen im Althochdeutschen noch Bezeichnungen fuumlr Ereignisse wie Gluumlcksfall Vorfall Zufall Ruumlckschlag Abenteuer 32 In einem Fall verhaumllt es sich scheinbar anders Tatian 2205 noh thanne ni uuestun sie giscrib thaz inan gilanf fon tode zi arstantanne nondum enim sciebant scripturam quill oportet eum a mortuis resuTgere Luther Joh 209 Denn sie wusten die Schrifft noch nicht I das er von den Todten aufferstehen muste Mentel Joh 209 Wann er wesst dennoch nit die schrifft das im gezam zersteen von den dotten nhd Denn sie kannten die Aussage der Schrift noch nicht daszlig er von den Toten auferstehen wuumlrde Ahd giscrib friihnhd Schrifft fungiert hier jedoch nicht als Konkreshytum sondern als Abstraktum mit der Bedeutung Aussage der Schrift

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

(18) Otfrid I 1818 so duat uns ubarmuati So bestraft uns der UumlbermutJ)

Geht man nun zu der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz uumlber so fehlt der Artikel in der Tatianuumlbersetzung genau wie bei dem lateinischen Vorbild vgl

(19) Tatian 1542 inti fon thanan suohta gilumphida thaz her in salti uzzan menigi und von da an suchte er die Gelegenheit daszlig er ihn auszligerhalb der Menge ausliefern konnte fuumlr lat et exinde querebat oportunitatem ut eum

traderet sine tubis 34

Anders steht es wenn kein lateinisches Vorbild zugrunde liegt Der bestimmte Artikel oder ein anderes ihn vertretendes Artikelwort erscheint fast durchwegs35

vgl

(20) Otfrid III 1643 f Ziu ist thanne iu widarmuati thisu selba guati theih einan man allan in then dag deta heilan Warum ist euch dann eben diese gute Tat zuwider daszlig ich einen Menschen ganz und gar an dem Tag geheilt habe36

n Behaghel [Anm22] S 68 ff vgl auch Hartrnann [Anm 7] S 85 f zum Mittelshyhochdeutschen 4 Vg ferner Tatian 147 intiih gisah intigiuuiznessisageta thaz therist gotes sun fuumlr lat et ego vidi et testimonium perhibui quill hic est filius dei 215 giuuizscaj thaz fuumlr lat testimonium quod 2205 giscrib thaz fuumlr lat scriptura quill 88 antvvurte thaz fuumlr lat Tesponso ne (vg Tatian 74) 13534 bibot thaz fuumlr lat mandatum ut Die Verbindung Adjektiv und Artikel erscheint 1606 Niuui bibot thaz fuumlr lat Mandatum novum ut 35 Ausnahmen sind Notker I 816 15 f loh nu dunchet mir muoza zegesehenne daz ih lesendo geeiscota fone dem demonum guoti I 3327 f Fure triuuon dang engilto ih unsculde unde lukkes unliumendes taz Eh si reus maiestatis Pro premiis uerl uirtutis subimus poenas falsi sceleris Vgl aus dem Nibelungenlied 8781 ff Urloup sie gewunnen daz si fuumlr solden gan

Sie erhielten die Erlaubnis daszlig sie vortraten Im Mittelhochdeutschen fehlt der Artikel bei festen Redewendungen wie Nibelungenshylied mere sagen daz danc sagen daz gedingen haben daz muot haben daz middot Aventin freiheit geben haben erlangen daz gnad geben erwerben daz neutralitatem halten daz gluumlk geben (neben das gluumlk geben) daz usw G Kinateder Die syntaktischen Funktionen der Konjunktion daszlig bei Aventin Phi Diss Muumlnchen 1897 S 53 ff 36 Vgl Otfrid II 128 V 1149 f thaz gizami thaz III 2075f thill selbun dat middot thaz V 643 f thio langun missidati thaz III 2511 f thie fristi thaz middot CV 2586) V 1145 f thes beren thinges thaz 12345 in thiu thing thaz middot III 2094 f thaz altar thaz I 231 f zi theru stullu zi theru ziti thaz

7 ZfdPh (Band 112 Heft 1) 97

Rosemarie Luumlhr

Ganz vereinzelt findet sich auch schon der unbestimmte Artikel bei der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz im Alt- und Mittelhochdeutschen vgl

Otfrid III 1633 f lh deta ein werk maraz giwisso wizit ir thaz theih bi einan man gimeinta in sambazdag giheilta Ich tat ein groszliges Werk gewiszlig wiszligt ihr das daszlig ich [mich] in betreff eines Mannes entschied ihn am Sabbat geheilt habe37

(22) Nibelungenlied 11311 H Da sprach der kuumlnic Gunther ich swuor ir einen eit daz ich ir getdte nimmer mere leit und wil es [uumlrbaz huumleten (23) 13702 ff die heten einen muot daz si da niht ensparten deheiner stahte guot 38

Daszlig die Verbindung unbestimmter Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen auftritt ist erstaunlich denn auszligerhalb dieser Fuumlgung kommt der unbestimmte Artikel bei Abstrakta in dieser Sprachstufe nur gelegentlich

39vor

Notker 11 16514 H dia tougeni unserro herzon daz II 14723 f Dia gnada daz I 6916 ff dero uneron daz II 55917 f Soliches segenes daz 11 1946 f dem missetate daz II 7315 f des leides daz II 16012 ff des tinges daz II 6125 H an dinero heilhafti daz I 5813 H die uuana taz II 1921 f daz unreht daz II 4879 f die guollichi daz (II 4872 H) I 3572 H tia barun not taz (15737 L) II 53927 H fone deme leide daz II 7622 f fone dien sculden daz I 3611 H an demo dinge dJz (II 10713 H) I 20416 f iro rihti daz (konsekutiv) Auch bei den Eigenschaftsbezeichnungen deren daszlig-Satz eine konsekutive Faumlrbung hat findet sich der Artikel vgL Ottrid V 59 thia beldida thaz IV 3613 sino gUat~ thaz V 2530 f minera dumpheiti mines selbes ubili thaz Notker I 5568 H mit tem baldi daz I 45223 H dia uesti taz II 2244 f dia bruti daz 129813 f sin ernest daz II 31724 f iro brOdi daz 37 Nicht sicher ist der unbestimmte Artikel nachweisbar in Otfrid III 1517 Lertun sie nan einan ruam thaz er gidJti imo einan duam imo ein gizami thaz er zeru firu quami Sie belehrten ihn daszlig er sich einen Ruhm verschaffen muumlsse ein Ansehen eine wundershybare Tat daszlig er zu der Feier komme Anders sind wohl zu beurteilen Tatian 226 then scuof her namon thaz sie hiezzin Boanerges fuumlr lat quibus inposuit nomina Boanerges Notker I 30130 f pe diu habet si einen anderen namen daz si intellectus beizet vgL I 75217 f II 28514 f 38 Vgl auch Aventin ein zeit das Kinateder [Anm 34] S 53 39 Vgl Behaghel [Anm22] S47 (Otfrid einan ruam) Nach PaullWiehlGrosse [Anm 16] S385 wird im Mittelhochdeutschen der unbestimmte Artikel mit dem

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Die Ergebnisse der Untersuchung des Gegensatzpaars generalisierend - idenshytifizierend im aumllteren Deutsch sind Schon im Althochdeutschen erscheint vor der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz fast ausnahmslos der Artikel und zwar in der Mehrzahl der Faumllle der bestimmte Artikel gelegentlich aber auch der unbestimmte Artikel Daher besteht Grund zu der Annahme daszlig die Entwickshylung zur Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz in dieser Sprachstufe so ziemlich abgeschlossen ist Der generalisierenden Funktion des O-Artikels steht in der Verbindung mit Abstrakta + daszlig-Satz die individualisierende Funktion des bestimmten und unbestimmten Artikels gegenuumlber die die einen Einzelsachshyverhalt aussondernde Funktion dieses Nebensatzes unterstuumltzt Fuumlr die syntaktishyschen Restriktionen bei Abstrakta ergibt sich somit Wahrscheinlich schon zur Zeit Otfrids blockiert der O-Artikel die Verbindung eines Abstraktums mit

einem daszlig-Satz

2 diskontinuativ kontinuativ

Wie die Belege unter (17) zeigen konnten bereits im Althochdeutschen Abstrakta des Typs Gluumlck also solche Abstrakta die das Bedeutungsmerkmal diskontinuativ haben mit einem daszlig-Satz verbunden werden

Diesen stehen Zustandsbezeichnungen gegenuumlber die an keiner Belegstelle mit einem daszlig-Satz auftreten vgl etwa

(24)40 Ahd Nob suaznissi Liebe [ridu restt Friede ruowa stillimuoti Ruhe41 stilnissi Stille tougalnessi Verborgenheit unruowa giruornissi Unshy

ruhe

Mhd liebe vride ruowe

Es ist nicht zu uumlbersehen daszlig es sich hier gerade um solche Abstrakta handelt bei denen auch im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz vorkommt Das legt die Folgerung nahe daszlig diese Abstrakta wie das neuhochdeutsche Abstraktum Friede das Bedeutungsmerkmal kontinuativ haben Trifft dies zu so kann man sagen daszlig schon vom Althochdeutschen an das Bedeutungsmerkmal kontinuashytiv eine Restriktion fuumlr die Kombinierbarkeit mit einem daszlig-Satz darstellt

Abstraktum verbunden bull wenn eine Erscheinungsform des Begriffs bezeichnet werden soll (Nibelungenlied einen grozen nit) vgl auch F Zimmer Das artikellose Substantivum in den Predigten Bertholds von Regensburg in Beitraumlge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 26 1901 S 354 40 Hat ein Wort mehrere Bedeutungen erfolgt eine Angabe nur der Bedeutung(en) die fuumlr die jeweilige Einordnung einschlaumlgig ist (sind) 41 Im Neuhochdeutschen ist allerdines moumlelich Er hatte nicht die Ruhe daszligmiddot (vgL Anm27)

7 99

Rosemarie Luumlhr

3 nichtidentifizierend - identifizierend Das dritte Begriffs- und Analysepaar naumlmlich der Gegensatz nichtidentifizieshyrend identifizierend wurde anhand von nhd Ungluumlck einerseits und Unfall und Verletzung andererseits eroumlrtert Daszlig im Falle von Unfall und Verletzung im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz auftritt wurde damit begruumlndet daszlig bei diesen Vorgangsbezeichnungen gleichzeitig andere Vorstellungen mit dem Abstraktum verbunden sind die den gemeinten Sachverhalt identifizieren Aus dem mit dem Abstraktum bezeichneten Begriff ist somit kein Einzelsachverhalt ableitbar Geht man nun der Frage nach ob auch in den untersuchten alt- und mittelhochdeutschen Quellen das Merkmal identifizierend bei Abstrakta eine Restriktion fuumlr einen daszlig-Satz darstellt so empfiehlt es sich solche Abstrakta zu untersuchen die gegebenenfalls zusammen mit Synonymen mindestens zehnmal belegt sind Es wird die Beleglage von Abstrakta die Verfolgung Untergang und Auferstehung bedeuten betrachtet (25) Ahd aumlhtunga Verfolgung ferlornissa ferlornissida zegengeda Untershygang irstantnissi urstendi urstendida Auferstehung

Vgl etwa aus dem Mhd die semantischen Entsprechungen ahte ervolgunge jage Verfolgung niderganc zergancnisse Untergang uferstandunge Aufershystehung42

Im Neuhochdeutschen ist bei Abstrakta mit solchen Bedeutungen der bezeichshynete Sachverhalt identifiziert weshalb keine attributiven daszlig-Saumltze auftreten Fuumlr das aumlltere Deutsch ist dies in gleicher Weise zu erwarten In der Tat finden sich auch im Alt- und Mittelhochdeutschen nach Abstrakta der Bedeutung Verfolgung Untergang und Auferstehung keine daszlig-Saumltze Es erscheinen vielmehr Ausdrucksweisen wie die folgende (26) Notker 11 52315 f Du bist fundamentum du habest kestatet dina tccleshysiam unde dannan uueret si ane zegengeda Du bist das Fundament du hast deine Kirche errichtet und von da an waumlhrt sie ohne Untergang

Weil hier davon die Rede ist daszlig die Kirche nicht vom Untergang bedroht ist ist der Sachverhalt auf den der Begriff zegengeda zutrifft identifiziert Damit eruumlbrigt sich der Anschluszlig eines einen bestimmten Sachverhalt aussondernden daszlig-Satzes

Da also sowohl im Neuhochdeutschen wie im Alt- und Mittelhochdeutschen Vorgangsbezeichnungen durch die ein Sachverhalt identifiziert wird43 keinen

42 Die mittelhochdeutschen Belege sind unterschiedlichen Quellen entnommen 43 Auch bei bestimmten Zustandsbezeichnungen ist der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert weshalb kein daszlig-Satz auftreten kann vgl etwa ahd irwartnissa Vergaumlngshylichkeit armuati Armutfriuntscaf(t) huldl Freundschaft (in den Bedeutungen Huld Gunst Gnade waumlre bei huldl jedoch ein daszlig-Satz anschlieszligbar)ientscaft Feindschaft gesundeda heilida Gesundheit cuumlmida Krankheit ewarttuom Priestertum Priestershyamt alt Alter mhd vriuntschaft vientschaft

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

daszlig-Satz neben sich haben kann die Folgerung nur ~ein daszlig schon im aumllteren Deutsch das Merkmal identifizierend die Anschlieszligbarkeit eines daszlig-Satzes

bei Abstrakta verhindert

C Zusammenfassung und Ausblick

Die Untersuchung einiger syntaktischer Restriktionen bei Abstrakta des heutishygen und aumllteren Deutsch hat folgendes ergeben Wie im Neuhochdeutschen haben bereits im Alt- und Mittelhochdeutschen die semantischen Merkmale generalisierend kontinuativ und identifizierend den Anschluszlig eines daszligshySatzes bei einem Abstraktum blockiert Waumlhrend die Bedeutungsmerkmale kontinuativ und identifizierend einem Abstraktum inhaumlrieren - die neushyhochdeutschen Beispiele waren die Abstrakta Friede und Unfall (Verletzung)- kam das Bedeutungsmerkmal generalisierend in dem ungrammatischen Beishyspiel Gluumlck daszlig dadurch zustande daszlig ein Abstraktum ohne Artikel verwenshydet wurde Soweit aus den Belegen ableitbar ist sind bei den untersuchten Restriktionen kaum Sprachwandelphaumlnomene nachweisbar Dies gilt auch fuumlr das am Artikel festgemachte Begriffs- und Analysepaar individualisierend shygeneralisierend Denn obwohl im Althochdeutschen der Artikel bei Abstrakta noch nicht in der Weise ausgebildet war wie im Neuhochdeutschen ist die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen von woumlrtlichen Nachahmungen des Lateinischen abgesehen fast durchwegs vom Artikel begleitet und zwar sowohl vom bestimmten als auch vom unbestimmten Artikel Es fragt sich nun ob mit den am Neuhochdeutschen festgestellten und am alt- und mittelhochdeutschen Sprachmaterial bestaumltigten drei semantischen Merkmalen generalisierend kontinuativ und identifizierend generelle Merkmale fuumlr die Blockierung von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta gefunden worden sind Zur Beantwortung dieser Frage soll keine moderne europaumlische Sprache herangezogen werden44 sondern das Lateinische bis zum Mittellateinischen Denn erstens ist diese Form des Lateinischen wie das Alt- und Mittelhochdeutshysche eine Corpussprache zweitens besitzt das Lateinische wie zu sehen war auch die Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz und zwar mit den Konjunktioshynen quod quia und ut und drittens stehen das Lateinische und Deutsche genetisch in keinem zu engen Verwandtschaftsverhaumlltnis

44 Vgl etwa die stets mit dem Artikel oder einem anderen Artikelwort auftretenden Fuumlgungen frz lidee que lespoir que weitere Abstrakta in solchen Fuumlgungen sind annonce assurance avis bruit certitude chose conviction crainte croyance desir doute fait impression joie malheur nouvelle opinion ordre pensee peur preuve principe promesse regret sentiment serment signe tImoignage vom volonte (M Grevisse Le Bon Usage Grammaire fran~aise daujordhui Paris-Gembloux 111980 0deg 3423 2556 2593) und ne the fact that the opinion that usw

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Rosemarie Luumlhr

Die Ergebnisse der Untersuchung sind Zustandsbezeichnungen des Typs Friede45

also die Abstrakta mit dem Bedeutungsmerkmal kontinuativ treten im Lateinischen ebensowenig wie im Deutschen mit einem daszlig-Satz auf Gleishyches gilt fuumlr Vorgangsbezeichnungen des Typs Unfalto der gegenuumlber dem Typ Ungluumlck einen Sachverhalt identifiziert Dagegen koumlnnen im Lateinischen wie im Deutschen Abstrakta mit der Bedeutung

(27) Meinung (sententia opinio) Zeugnis (testimonium) Antwort (responshysum) Glaube ifides) Trost (consolatio) Gebot (mandatum) Angelegenshyheit (res) Gelegenheit (occasio opportunitas) Gut (bonumt7

mit einem daszlig-Satz verbunden werden Da von diesen Abstrakta die Woumlrter fuumlr Angelegenheit Gelegenheit und Gut dem deutschen Typ Gluumlck mit dem Bedeutungsmerkmal diskontinuativ zuzurechnen sind scheint dieses Bedeushytungsmerkmal auf jeden Fall eine Bedingung fuumlr die Kombinierbarkeit eines dem Typ Gluumlck angehoumlrigen Abstraktums mit einem daszlig-Satz darzustellen Obwohl das Lateinische nicht uumlber ein Artikelsystem wie das Deutsche vershyfuumlgt48 gibt es Hinweise darauf daszlig auch das Lateinische dazu neigt die spezifizierende Funktion des daszlig-Satzes durch ein individualisierendes Artikelshywort wie ille oder unus beim Abstraktum zu unterstuumltzen vgl Fuumlgungen wie illa sententia quod una consolatio quod Da dem so ist scheinen das Lateinische und das Deutsche unabhaumlngig voneinander hinsichtlich der Bedingungen sowohl fuumlr das Auftreten als auch fuumlr das Fehlen von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta die gleichen Eigenschaften zu besitzen

Diese Behauptung kann durch ein Faktum der aumluszligeren Sprachgeschichte des Deutschen gestuumltzt werden Notker von St Gallen lieszlig oftmals bei seinen Uumlbersetzungen lateinische Begriffe die seinen Schuumllern schon bekannt waren oder die als Fachausdruumlcke galten unuumlbersetzt wodurch eine althochdeutschshylateinische Mischprosa entstand Was nun die hier interessierende althochdeutshysche Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz angeht so hat Notker vollkomshymen korrekt in diese Fuumlgungen zuweilen solche lateinischen Abstrakta ein geshy

45 Vgl lat Wahrheit (veritas) Liebe (amor caritas pietas benevolentia induigentia usw) Friede (pax) Ruhe (requies tranquillitas otium) Stille (silentium) ferner Zustandsbezeichnungen bei denen der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert ist wie Vergaumlnglichkeit (brevitas fragiiitas) Armut (paupertas mopia egestas) Freundschaft (amicitia necessitudo) Feindschaft (inimicitia dissensio) vgl Anm 43 46 Vgl lateinische Verbalabstrakta wie perturbatio Verwirrung defensio Verteidigung unio Vereinigung 47 Mit lat benignitas quod (A Draeger Historische Syntax der lateinischen Sprache Bd H Leipzig 21878 S 220 f) vgl nhd die Kraft daszlig Derartige Belege finden sich im Altlatein (z B bei Plautus) dann aber vor allem im Mittel- und Spaumltlatein 48 Vgl J B HofmannlA Szantyr Lateinische Syntax und Stilistik (Handbuch der Altertumswissenschaft II 22) Muumlnchen 1965 S 191 H

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~f~j - rlt1IItt i$ 4il 4JIt k( 41

Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

setzt die von ihrer Bedeutung her mit einem daszlig-Satz verbunden werden

koumlnnen vgl

(28) Notker I 1025 ff Tarazuo triffet tisiu disputatio daz diuitif den man nemugen saligen getuon Dazu paszligt diese disputatio (Eroumlrterung) daszlig Reichtuumlmer den Menschen nicht selig machen koumlnnen

(29) I 2508 f dien fOlget note diu conclusio daz al daztir ist kuot ist daraus folgt notwendigerweise die conclusio (der Schluszlig) daszlig alles was ist

bull 49gut Ist

Wichtig ist daszlig fuumlr diese Stellen ein unmittelbares lateinisches Vorbild fehlt Notker der wie man annimmt die lateinische Sprache ebenso gediegen wie seine Muttersprache zu handhaben verstand konnte deswegen bewuszligt oder unbewuszligt ein lateinisches Abstraktum zwanglos in eine deutsche Fuumlgung einpasshysen weil die Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz nicht nur in beiden Sprachen vorhanden ist sondern auch die Restriktionen eingeschlossen in uumlbereinstimmender Weise funktionierte

Sind die vorgebrachten Uumlberlegungen richtig so ist diesmal mit der inneren Sprachgeschichte des Deutschen ganz anders verfahren worden als es sonst allgemein uumlblich ist Sonst wird die innere Sprachgeschichte meistens dazu benutzt auffallende synchron nicht weiter erklaumlrbare Erscheinungen der Gegenwartssprache genetisch herzuleiten was oftmals mit der Beschreibung von Sprachwandelphaumlnomenen verbunden ist In der vorliegenden Untersuchung wurden dagegen syntaktische Besonderheiten des Neuhochdeutschen zu erklaumlshyren versucht und dann auf entsprechende Regularitaumlten in den aumllteren Stufen des Deutschen verwiesen5o Die Sprachgeschichte diente somit als Stuumltze fuumlr die Auffassung daszlig mit den Restriktionen genereller wirkende Regeln gefunden worden sind Daszlig mit solchen Regeln zu rechnen ist machte auch der Vergleich mit dem Lateinischen wahrscheinlich wie gezeigt verfuumlgt diese Sprache uumlber die entsprechende Konstruktion und uumlber Restriktionen wie sie das Deutsche

aufweist

49 Auch die folgenden lateinischen Abstrakta erscheinen bei Notker in der Konstruktion Abstraktum + daz-Satz exultatio Freude ordo Ordnung consequentia () Folge contrarium Gegenteil scandalum Aumlrgernis natura Wesen 50 Vgl W Labovs Some principles of linguistic methodology in Language and Society 1 (1972) S 101 On the use of the present to explain the past in Proceedings of the Eleventh International Congress of Linguists Bologna-Florence Aug 28-Sept 2 1972 ed by L Heilmann Bologna S 849 uniformitarian principle bull The linguistic processhyses taking place around us are the same as those that have operated to produce the historical record ferner C Christy Uniformitarianism in Linguistics (Amsterdam Studies in the Theory and History of Linguistic Science 31) AmsterdamPhiladelphia 1983 S 51 80

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Rosemarie Luumlhr Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Hinzu kam der Gluumlcksfall daszlig Notkers deutsch-lateinische Sprachkompetenz die Auffassung stuumltzt daszlig die untersuchte Konstruktion mitsamt ihren Restrikshytionen in beiden Sprachen weitgehend identisch ist Dies gibt hinreichend Anlaszlig zu der an die kuumlnftige Forschung zu richtenden Forderung daszlig bei Untersushychungen von Phaumlnomenen der inneren Sprachgeschichte auch die aumluszligere Sprachgeschichte gebuumlhrend zu beruumlcksichtigen ist

t f

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Rosemarie Luumlhr

Im Falle des artikellosen Gebrauchs druumlckt der O-Artikel beim Abstraktum Generalisierung aus Demgegenuumlber hat der bestimmte Artikel in Verbindung mit einem Abstraktum + daszlig-Satz neben der determinierenden Funktion eine individualisierende Funktion16 So weist in Beispiel (4 a) der bestimmte Artikel darauf hin daszlig wie bemerkt von allen moumlglichen Gluumlcksfaumlllen durch den daszligshySatz einer ausgesondert wird Da auch der unbestimmte Artikel individualisieshyrend eingesetzt werden kann ist es nicht verwunderlich daszlig in gleicher Weise der unbestimmte Artikel bei Abstrakta + daszlig-Satz vorkommt vgl

(10) Joh 1839 Ihr habt aber eine Gewohnheit daszlig ich euch einen auf Ostern losgebe 1

Als erste syntaktische Restriktion ist somit festzuhalten In der Fuumlgung Abstrakshytum + daszlig-Satz kann im Neuhochdeutschen das Abstraktum nicht artikellos und damit in generalisierender Funktion verwendet werden Der Grund ist In der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz wird aus der Menge der moumlglichen Sachvershyhalte die unter den Begriff des uumlbergeordneten Abstraktums fallen durch den daszlig-Satz einer spezifiziert d h ausgesondert Deshalb ist ein Artikel in indivishydualisierender Funktion notwendig

2 diskontinuativ - kontinuativ

Auch beim zweiten Begriffs- und Analysepaar ist von Bedeutung daszlig durch den daszlig-Satz ein Sachverhalt aus dem uumlbergeordneten Begriff ausgesondert wird Wenn nun bei einem Abstraktum wie Friede kein daszlig-Satz moumlglich ist so ist dieser Begriff anscheinend nicht von der Art daszlig ein Einzelsachverhalt abstrashyhierbar ist vgl den ungrammatischen Satz (5)

(5) Der Friede daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Grammatisch ist dagegen wiederum der schon oumlfters angefuumlhrte Satz (4 a)

(4 a) Das Gluumlck daszlig die Kurden an ihren alten Wohnsitzen bleiben koumlnnen wurde ihnen nicht zuteil

Woran liegt nun die unterschiedliche Grammatikalitaumlt der Saumltze (5) und (4 a) Um eine Antwort auf diese Frage zu finden ist auf die Bedeutungsstrukturen der Woumlrter Gluumlck und Friede einzugehen beides sind Abstrakta die Zustaumlnde bezeichnen also Sachverhalte die uumlber einen bestimmten Zeitraum hinweg in ihren relevanten Zuumlgen gleichbleiben Es ist jedoch zu pruumlfen ob es bei den Konkreta aumlhnliche Bedeutungsunterschiede wie bei diesen Abstrakta gibt namrshy

16 Vergleichbar ist die Artikelsetzung bei Abstrakta wenn ein notwendiger Relativsatz folgt (vgl Hartmann [Anm7] S 78 H PaulP WiehlS Grosse Mittelhochdeutsche Grammatik Tuumlbingen 231989 S 385) 17 Nach Behaghel [Anm 9] S 131

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Syntaletische Restriktionen bei Abstrakta

lieh abgesehen von dem grundlegenden syntaktischen Unterschied daszlig nur Abstrakta mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen Zu diesem Zweck soll auf die Bedeutungen der Konkreta Wald und Holz eingegangen werden waumlhshyrend das Kollektivum Wald eine theoretisch zaumlhlbare Mehrzahl von Individuen naumlmlich von Baumlumen bezeichnet ist es im Falle des Masseworts Holz eine nicht weiter zerlegbare Menge tS Wald ist nach dieser Unterscheidung ein Diskontishynuativum und Holz ein Kontinuativum Uumlbertraumlgt man diese semantische Unterscheidung auf die Abstrakta Gluumlck und Friede19

so scheint es bei diesen Abstrakta ebenso eine Differenzierung nach den Merkmalen diskontinuativ und kontinuativ zu geben dabei gilt Nur bei Diskontinuativa wie Gluumlck kann mit Hilfe des daszlig-Satzes eine bestimmte Sachverhaltsbeschreibung ausgesondert werden vgl etwa das folgende Beispiel

(11) Das Gluumlck daszlig Hans die Pruumlfung bestanden hat daszlig Hans keine Verletzungen davongetragen hat daszlig Hans im Lotto gewonnen hat

kann ich gar nicht fassen

Dagegen duumlrfte die Zustandsbezeichnung Friede ein Kontinuativum sein weil eben keine Sachverhalts beschreibung durch einen daszlig-Satz aussonderbar ist

Die zweite syntaktische Restriktion lautet demnach Bei einer Zustandsbezeichshynung verhindert das Bedeutungsmerkmal kontinuativ die Kombinierbarkeit

mit einem daszlig-Satz

3 nichtidentifizierend identifizierend

Was unter dem Gegensatz nichtidentifizierend identifizierend zu versteshyhen ist soll an dem schon angefuumlhrten Satz (6) und an einem weiteren ungramshymatischen Beispielsatz eroumlrtert werden Waumlhrend die Saumltze (6) und (12) ungramshymatisch sind ist Satz (13) akzeptabel

1amp W Abraham Terminologie zur neueren Linguistik Tuumlbingen 21988 S 361 19 Vgl H Kubczak Das Verhaumlltnis von Intension und Extension als sprachwissenschaftshyliches Problem (Forschungsberichte des Instituts fuumlr Deutsche Sprache 23) Tuumlbingen 1975 S 42 f Nach H Kubczaks Auffassung ist bei einer Zustandsbezeichnung ein Zustand also eine einelementige Klasse angebbar welche durch eine Intension naumlher bestimmt wird Treten nun Quantifizierungen wie in zwei Buumlcher und zwei Freiheiten auf so ergibt sich nach H Kubczak folgender Unterschied zwischen den Konkreta und den Abstrakta Mit zwei Buumlcher koumlnnen Elemente aus einer Klasse von gegenstaumlndlichen Eigenschaftstraumlgern angesprochen werden die als solche lediglich durch die intensionale Definition von Buch definiert sind Und obwohl sich jedes auszligersprachliche Buch von jedem anderen irgendwie unterscheiden mag bezieht man sich mit zwei Buumlcher nicht auf diese Unterschiede Mit zwei Freiheiten werden indessen gerade zwei Entitaumlten ausdruumlckshylich angesprochen auf deren Unterschiede es bei aller Gemeinsamkeit ankommt Die in dem Begriff zwei Freiheiten gegebenen unterschiedlichen Abhaumlngigkeitsverhaumlltnisse wuumlrshyden sich zu Freiheit wie Arten zu einer Gattung verhalten

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Rosemarie Luumlhr

(6) Der Unfall daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ereignet sich jeden Tagregt niemanden auf

(12) Die Verletzung daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat hatte schlimme Folgen

(13) Das Ungluumlck daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ereignet sich jeden Tagregt niemanden auf

Ein ehemals d h zu seiner Zeit sicher korrekter Satz mit dem Abstraktum Unfall + daszlig-Satz ist bei Goethe belegt

(14) Ich habe zwar den Unfall erlitten dasz alle meine Sachen gestrandet lo

Das Abstraktum Unfall hatte fruumlher anscheinend eine weitere Bedeutung und wurde im Sinne von Ungluumlck verwendet vgl die Umformung (14 a)

(14 a) Ich habe zwar das Ungluumlck erlitten daszlig alle meine Sachen gestrandet sind

Es fragt sich wiederum wieso die Saumltze mit den Abstrakta der Bedeutung Ungluumlck grammatisch die Saumltze mit Vorgangsbezeichnungen21 der Bedeutung Unfall oder Verletzung jedoch ungrammatisch sind Geht man zuerst auf die Bedeutung des Abstraktums Verletzung ein so kann man mit O Behaghel22 hier von einem relativen Begriff sprechen das ist ein ergaumlnzungsbeduumldtiger Begriff der nur vollzogen werden kann wenn gleichzeitig andere Vorstellunshygen ins Bewuszligtsein treten Ein Begriff wie Verletzung wird zum Beispiel durch den Ausdruck von Vorstellungen wie wer wurde wie und wann verletzt ergaumlnzt und damit gesaumlttigt Dadurch wird der Begriffstraumlger hier also der Sachverhalt auf den der Begriff Verletzung zutrifft identifizierr3 vgl

(12 a) Die Verletzung des Fingers die Hans sich beim Brotschneiden zugezogen hat war erheblich

Ist aber der mit einem Begriff gemeinte Sachverhalt identifiziert so ist eine Aussonderung oder Explikation eines Einzelsachverhalts in Form eines daszligshySatzes nicht mehr moumlglich Aumlhnlich verhaumllt es sich bei dem Abstraktum Unfall in seiner modernen Bedeutung Heute bezeichnet dieses Wort einen dem Versicheshy

20 J GrimmW Grimm Deutsches Woumlrterbuch Bd XlIII Leipzig 1936 Sp 526 21 Vorgangsbezeichnungen sind Bezeichnungen fuumlr innerhalb eines bestimmten Zeitabshyschnitts ablaufende Uumlbergaumlnge von einem Zustand in einen anderen Zustand J Pleines Handlung-Kausalitaumlt-Intension (Tuumlbinger Beitraumlge zur Linguistik 68) Tuumlbingen 1976 S 55 ff 22 Deutsche Syntax Eine geschichtliche Darstellung Bd I Die Wortklassen und WOrtshyformen A Nomen Pronomen Heidelberg 1923 S 23 2J Vgl S Loumlbners Intensionale Verben und Funktionalbegriffe (Ergebnisse und Methoshyden moderner Sprachwissenschaft 7) Tuumlbingen 1979 S 34 f Definition der Funktionalshybegriffe

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

rungsrecht zugehoumlrigen Begriff und ist eingeschraumlnkt auf ein Ereignis welches infolge einer ploumltzlichen vom Betroffenen nicht gewollten Einwirkung Koumlrpershyverletzung oder Toumltung eines Menschen herbeifuumlhrt Auch hier ist eine Identifishyzierung des gemeinten Sachverhalts gegeben weshalb in der Gegenwartssprache der Begriff Unfall nicht weiter durch einen daszlig-Satz expliziert werden kann Dagegen gehoumlrt der Begriff Ungluumlck in der Terminologie O Behaghels zu den absoluten Begriffen die wie er sagt fuumlr sich allein eine abgeschlossene Vorstellung verkoumlrpern 24 Eine Identifizierung eines bestimmten Sachverhalts liegt hier also nicht vor Handelt es sich aber bei einem absoluten Begriff um ein potentielles Diskontinuativum so kann in einem geeigneten Kontext ein Einzelsachverhalt also ein bestimmter Ungluumlcksfall in Form eines daszlig-Satzes

abstrahiert werden vgl (13)

Moumlglicherweise ist der zwischen Abstrakta wie Unfall und Verletzung einerseits und Ungluumlck andererseits bestehende Bedeutungsunterschied auch durch einen Test erfaszligbar Im Falle des Abstraktums Ungluumlck kann der daszlig-Satz die Stelle

des Subjekts einnehmen vgl

(13 a) Daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ist ein Ungluumlck

Dagegen sind derartige Subjektsaumltze bei den Abstrakta Unfall und Verletzung

kaum moumlglich

(6 a) Daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ist ein Unfall

(12 b) Daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat ist eine Verletzung25

Als dritte syntaktische Restriktion ergibt sich somit Wird bei einem abstrakten Begriff der gemeinte Sachverhalt durch gleichzeitig im Bewuszligtsein vorhandene Vorstellungen identifiziert ist eine Explizierung des Begriffs durch einen daszligshy

Satz nicht moumlglich

Es ist nun zu pruumlfen ob durch die Begriffs- und Analysepaare individualisieshyrend - generalisierend diskontinuativ kontinuativ und nichtidentifishy

24 [Anm 22] S 22 25 Vgl Loumlbner [Anm 23] S 40 Moumlglich ist jedoch Daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat ist eine schlimme Verletzungeine Verletzung die keine schlimme Folgen haben kann Der Begriff Verletzung ist hier durch einen Zusatz spezifiziert Demgegenuumlber gehen C Fabricius-Hansenl A von Stechow Explikative und implikative Nominalerweiterungen im Deutschen in Zeitschrift fuumlr Sprachwissenschaft 81989 S 175 ff nicht darauf ein daszlig etwa bei Moumlglichkeit einem Abstraktum vom Typ Ungluumlck in Verbindung mit einer explikativen S-Erweiterung das Abstraktum ohne Spezifikation stehen kann (Daszlig man sich geirrt haben kann ist eine Moumlglichkeit) waumlhrend dies bei Gedanke notwendig ist vgl Daszlig ich dich beleidigt habe ist ein Gedanke der mich beunruhigt mit Daszlig ich dich beleidigt habe ist ein Gedanke

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Rosemarie Luumlhr

zierend - identifizierend auch in den Vorstufen des Deutschen syntaktische Restriktionen bei Abstrakta erfaszligt werden koumlnnen Dabei soll auf moumlgliche lateinische Vorbilder geachtet werden

II Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta im fruumlheren Deutsch

Der Ruumlckblick in die Sprachgeschichte ergibt folgende Befunde Zunaumlchst einmal ist festzustellen daszlig die durch die Substantive Meinung Ansicht und Gluumlck verkoumlrperten drei Haupttypen von Abstrakta mit attributivem daszlig-Satz seit althochdeutscher Zeit vertreten sind und zwar nicht nur wenn ein lateinishysches Vorbild nachweisbar ist vgL

zu dem Typ Meinung dessen zugrundeliegendes Verb ebenfalls einen daz-Satz regiert

(15) Althochdeutsch

mit lateinischem Vorbild Tatian antwurti (Antwort) daz responsum ne (antwunen daz) bibot (Gebot) daz mandatum ut (vgL gibiotan daz)

ohne lateinisches Vorbild Otfrid gilouba Glaube (gilouben daz) giniti Rat (ratan daz) redina Uumlbershylegung (vgl redinon daz)

Notker beneimeda Verheiszligung (vgl mhd beneimen daz) orhta (jurhten daz) gedang Gedanke (denehen daz) gedingi Hoffnung (gedingen daz) geiiht Aussage (iehen daz) ilunga Streben (ilen daz) lob Lob (vgl mhd loben daz) reda Uumlberlegung (vgl redon daz) uuan Ansicht (uuanen daz) zala Aussage (zellen daz) zeichen Zeichen (vgL zeigon daz)

Mittelhochdeutsch Nibelungenlied bete Bitte (bitten daz) gedinge Hoffnung (gedingen daz) wan Glaube (wknen daz) vreude Freude (vreuwen daz) itewizen Vorwershyfen (itewizen daz) trost Trost (tramen daz) klage Klage (klagen daz) nit Rat (raten daz) urloup Erlaubnis (erlouben daz)

Und dem Typ Ansicht mit einer aus einer virtuellen Basis abgeleiteten Valenz sind zuzuordnen

Althochdeutsch ohne lateinisches Vorbild Otfrid wort Wort (vgl jehen daz)26

26 Nach der Definition daszlig Woumlrter die mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen auf jeden Fall Abstrakta sind stellt sich ahd wort zu den Abstrakta obwohl ein Wort eine physikalisch meszligbare Groumlszlige ist Auch G O Curme A Grammar of the German Language New York 21922 S 63 betrachtet Woumlrter wie Wort als Abstrakta (vgl sein Beispieljammern ist unnuumltz) Ein explizites Unterscheidungskriterium gibt er jedoch nicht an

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Notker wort unliument Verleumdung (vgl jehen daz) tagalti Freude (vgl sich rewen daz )27

Mittelhochdeutsch Nibelungenlied mtere Bericht (vgL jehen daz) eit Eid (vgl swern daz)

schult Schuld (vgl itewizen daz)

Erstaunlich groszlig ist im Althochdeutschen die Anzahl der Abstrakta der dritten Gruppe der Substantive also die wie Gluumlck weder auf eine tatsaumlchliche noch auf eine virtuelle Basis mit einem daszlig-Satz in der Funktion eines Objekts ruumlckfuumlhrshybar sind Es handelt sich zum einen um Bezeichnungen fuumlr Zustaumlnde und zum anderen um Bezeichnungen fuumlr Handlungen also fuumlr kausal verursachte Vorshy

gaumlnge vgl

(17) mit lateinischem Vorbild Tatian gilumphida Gelegenheit fuumlr lat apportunitas

ohne lateinisches Vorbild Otfrid dtit Begebenheit gizami herrliche Fuumlgung28 salida Seligkeit ruam Ehre missidat Missetat

Notker muoza Gelegenheit Moumlglichkeit sito Brauch taugeni Mysterium gnada Gnade beil heilhati Heil segen Segen Tibti () Ordnung era

guollichi Ruhm unera Schmach unreht Unrecht unebeni Ungeshyrechtigkeit seult Schuld leid Leid brutti Schrecken missetat Missetat29

27 Aus Abstrakta die eine bestimmte Disposition fuumlr Handlungen und Einstellungen bezeichnen wie Kraft Kuumlhnheit Dummheit kann eine konsekutive Relation erschlossen werden Derartige Abstrakta bleiben im folgenden auszliger Betracht Mit einem daz-Satz sind im Althochdeutschen Abstrakta des Typs Kraft verbunden im Falle von Otfrid maht Macht krart Kraft beldida Kuumlhnheit guati Vonrefflichkeit Notker chraft baldi Kuumlhnheit festi Festigkeit ernest Eifer lat patientia Geduld lat stulticia Dummshyheit brodi Schwachheit ubeli Schlechtigkeit argi Bosheit lat natura Eigenart und im Nibelungenlied degenheit Tapferkeit sterke Kraft Weitere derartige Abstrakta die im Althochdeutschen nicht mit einem daszlig-Satz auftreten aber im Neuhochdeutschen mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen sind etwa reinida hreinnissa reinnusseda Reinheit spaumlhida wizz sapientia unwizzi Unverstand wihida wihi heilagnessi

wirdi Wuumlrde beldi Kuumlhnheit eregrehti Barmherzigkeit armherzi Mitshygedulti Geduld otmuoti Demut mihilnessi Herrlichkeit Majestaumlt unsubarnessi

Unreinheit unruohha Gleichguumlltigkeit Sorglosigkeit tumbheit Dummheit tumpnissi Torheit untarworfanii Unterwuumlrfigkeit gotnissa Goumlttlichkeit hartnissa Hme kilihnissa Gleichheit Aumlhnlichkeit miltid Mitleid miltnissa Sanftmut (zu weiteren Abstrakta vgl A R Lingl Uumlber den Gebrauch der Abstrakta im Plural im Ahd und Mhd Phi Diss Muumlnchen 1934 S 8 H) 28 Im Falle von ahd gilumphida und gizami liegt zwar ein Verb gizeman bzw gilimpfan sich geziemen zugrunde doch fungiert der bei diesen Verben auftretende daszlig-Satz als Subjektsatz 29 Hinzu kommen noch Zeitbegriffe wie Tatian Otfrid Notker zit Zeit Otfrid frist Frist Tatian taga qage Otfrid altar Alter Nibelungenlied tac stunde wile zit ferner Tatian Notker namo Name und Otfrid thing Notker ding Ding

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Nibelungenlied geluumlcke Gluumlck heil Heil ungemach Ungluumlck era Ehre liep GefallenJO

Bemerkenswen ist daszlig die Bedeutungen der alt- und mittelhochdeutschen Abstrakta der dritten Gruppe genau bei den Abstrakta auftreten31

die im Neuhochdeutschen ebenfalls mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen 32

1 individualisierend - generalisierend

Wendet man sich nun den drei in Zusammenhang mit den Restriktionen bei Abstrakta aufgestellten Begriffs- und Analysepaaren im Alt- und Mittelhochshydeutschen zu so empfiehlt es sich wieder mit dem Gegensatzpaar individualishysierend - generalisierend zu beginnen wie bemerkt ist dieses an die Verwenshydung des Artikels geknuumlpft Zunaumlchst einmal ist zu bemerken daszlig im Althochshydeutschen Abstrakta noch artikellos vorkommen koumlnnen die im heutigen Deutsch mit einem Artikel verwendet werden muumlssen vgl

30 Abstrakta mit daszlig-Satz in Wolframs von Eschenbach Parzival sind art bete botschaft dinc ere gedanke gewalt gewin helfe klage kumber Ion mere not rat riwe selde schult sin site stat teidinc tac trost trure urbot volge vuore werc wUe wille witze wunder ZUuml zit zorn Auffallend ist sippe daz (H Baumltjer Die verwendung der konjunkshytion daz in Wolfram von Eschenbachs Parzival Phil Diss Marburg 1890 S 42 ff) Und bei Hartmann von Aue begegnen gedanc reht mere heil trost list rat gedinge wan gewalt wort pris zwivel guot torheit sage wille gehenge selde guumlete gemuumlete dinc gewinn tugende ere valsch schade (Hornig Formen und gebrauch des satzartikels oder der conjunction daz bei Hartmarm von Aue Eine grammatische studie Programm der Ritter-Akademie zu Brandenburg Brandenburg 1847 S 5 f 13 f 17) Auch bei Bertshyhold von Regensburg erscheint die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz Es finden sich Bezugswoumlrter wie zit tac dienest vgl auch Ausdrucksweisen wie 52918 der muoz die juncfrouwen haben diu da heizet gerehtikeit daz er ze rehte guumltet unde widergit II 20610 daz ist gar ein griulichiu suumlnde unde sie heizet unkiusche daz man und frouwen unkiusche sint mit einander (H Roetteken Der zusammengesetzte Satz bei Berthold von Regensshyburg Ein Beitrag zur mittelhochdeutschen Syntax Straszligburg 1884 66 f) In der mittelshyhochdeutschen Urkundensprache begegnen u a gewalt reht zit gehuumlgede beziugede warnung unschult mit daszlig-Satz (B KirschsteinlU Schulze Woumlrterbuch der mittelhochshydeutschen Urkundensprache auf der Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurshykunden bis zum Jahre 13004 Lfg brief-dingen Berlin 1989 S 360) 31 Innerhalb der dritten Gruppe fehlen im Althochdeutschen noch Bezeichnungen fuumlr Ereignisse wie Gluumlcksfall Vorfall Zufall Ruumlckschlag Abenteuer 32 In einem Fall verhaumllt es sich scheinbar anders Tatian 2205 noh thanne ni uuestun sie giscrib thaz inan gilanf fon tode zi arstantanne nondum enim sciebant scripturam quill oportet eum a mortuis resuTgere Luther Joh 209 Denn sie wusten die Schrifft noch nicht I das er von den Todten aufferstehen muste Mentel Joh 209 Wann er wesst dennoch nit die schrifft das im gezam zersteen von den dotten nhd Denn sie kannten die Aussage der Schrift noch nicht daszlig er von den Toten auferstehen wuumlrde Ahd giscrib friihnhd Schrifft fungiert hier jedoch nicht als Konkreshytum sondern als Abstraktum mit der Bedeutung Aussage der Schrift

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

(18) Otfrid I 1818 so duat uns ubarmuati So bestraft uns der UumlbermutJ)

Geht man nun zu der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz uumlber so fehlt der Artikel in der Tatianuumlbersetzung genau wie bei dem lateinischen Vorbild vgl

(19) Tatian 1542 inti fon thanan suohta gilumphida thaz her in salti uzzan menigi und von da an suchte er die Gelegenheit daszlig er ihn auszligerhalb der Menge ausliefern konnte fuumlr lat et exinde querebat oportunitatem ut eum

traderet sine tubis 34

Anders steht es wenn kein lateinisches Vorbild zugrunde liegt Der bestimmte Artikel oder ein anderes ihn vertretendes Artikelwort erscheint fast durchwegs35

vgl

(20) Otfrid III 1643 f Ziu ist thanne iu widarmuati thisu selba guati theih einan man allan in then dag deta heilan Warum ist euch dann eben diese gute Tat zuwider daszlig ich einen Menschen ganz und gar an dem Tag geheilt habe36

n Behaghel [Anm22] S 68 ff vgl auch Hartrnann [Anm 7] S 85 f zum Mittelshyhochdeutschen 4 Vg ferner Tatian 147 intiih gisah intigiuuiznessisageta thaz therist gotes sun fuumlr lat et ego vidi et testimonium perhibui quill hic est filius dei 215 giuuizscaj thaz fuumlr lat testimonium quod 2205 giscrib thaz fuumlr lat scriptura quill 88 antvvurte thaz fuumlr lat Tesponso ne (vg Tatian 74) 13534 bibot thaz fuumlr lat mandatum ut Die Verbindung Adjektiv und Artikel erscheint 1606 Niuui bibot thaz fuumlr lat Mandatum novum ut 35 Ausnahmen sind Notker I 816 15 f loh nu dunchet mir muoza zegesehenne daz ih lesendo geeiscota fone dem demonum guoti I 3327 f Fure triuuon dang engilto ih unsculde unde lukkes unliumendes taz Eh si reus maiestatis Pro premiis uerl uirtutis subimus poenas falsi sceleris Vgl aus dem Nibelungenlied 8781 ff Urloup sie gewunnen daz si fuumlr solden gan

Sie erhielten die Erlaubnis daszlig sie vortraten Im Mittelhochdeutschen fehlt der Artikel bei festen Redewendungen wie Nibelungenshylied mere sagen daz danc sagen daz gedingen haben daz muot haben daz middot Aventin freiheit geben haben erlangen daz gnad geben erwerben daz neutralitatem halten daz gluumlk geben (neben das gluumlk geben) daz usw G Kinateder Die syntaktischen Funktionen der Konjunktion daszlig bei Aventin Phi Diss Muumlnchen 1897 S 53 ff 36 Vgl Otfrid II 128 V 1149 f thaz gizami thaz III 2075f thill selbun dat middot thaz V 643 f thio langun missidati thaz III 2511 f thie fristi thaz middot CV 2586) V 1145 f thes beren thinges thaz 12345 in thiu thing thaz middot III 2094 f thaz altar thaz I 231 f zi theru stullu zi theru ziti thaz

7 ZfdPh (Band 112 Heft 1) 97

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Ganz vereinzelt findet sich auch schon der unbestimmte Artikel bei der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz im Alt- und Mittelhochdeutschen vgl

Otfrid III 1633 f lh deta ein werk maraz giwisso wizit ir thaz theih bi einan man gimeinta in sambazdag giheilta Ich tat ein groszliges Werk gewiszlig wiszligt ihr das daszlig ich [mich] in betreff eines Mannes entschied ihn am Sabbat geheilt habe37

(22) Nibelungenlied 11311 H Da sprach der kuumlnic Gunther ich swuor ir einen eit daz ich ir getdte nimmer mere leit und wil es [uumlrbaz huumleten (23) 13702 ff die heten einen muot daz si da niht ensparten deheiner stahte guot 38

Daszlig die Verbindung unbestimmter Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen auftritt ist erstaunlich denn auszligerhalb dieser Fuumlgung kommt der unbestimmte Artikel bei Abstrakta in dieser Sprachstufe nur gelegentlich

39vor

Notker 11 16514 H dia tougeni unserro herzon daz II 14723 f Dia gnada daz I 6916 ff dero uneron daz II 55917 f Soliches segenes daz 11 1946 f dem missetate daz II 7315 f des leides daz II 16012 ff des tinges daz II 6125 H an dinero heilhafti daz I 5813 H die uuana taz II 1921 f daz unreht daz II 4879 f die guollichi daz (II 4872 H) I 3572 H tia barun not taz (15737 L) II 53927 H fone deme leide daz II 7622 f fone dien sculden daz I 3611 H an demo dinge dJz (II 10713 H) I 20416 f iro rihti daz (konsekutiv) Auch bei den Eigenschaftsbezeichnungen deren daszlig-Satz eine konsekutive Faumlrbung hat findet sich der Artikel vgL Ottrid V 59 thia beldida thaz IV 3613 sino gUat~ thaz V 2530 f minera dumpheiti mines selbes ubili thaz Notker I 5568 H mit tem baldi daz I 45223 H dia uesti taz II 2244 f dia bruti daz 129813 f sin ernest daz II 31724 f iro brOdi daz 37 Nicht sicher ist der unbestimmte Artikel nachweisbar in Otfrid III 1517 Lertun sie nan einan ruam thaz er gidJti imo einan duam imo ein gizami thaz er zeru firu quami Sie belehrten ihn daszlig er sich einen Ruhm verschaffen muumlsse ein Ansehen eine wundershybare Tat daszlig er zu der Feier komme Anders sind wohl zu beurteilen Tatian 226 then scuof her namon thaz sie hiezzin Boanerges fuumlr lat quibus inposuit nomina Boanerges Notker I 30130 f pe diu habet si einen anderen namen daz si intellectus beizet vgL I 75217 f II 28514 f 38 Vgl auch Aventin ein zeit das Kinateder [Anm 34] S 53 39 Vgl Behaghel [Anm22] S47 (Otfrid einan ruam) Nach PaullWiehlGrosse [Anm 16] S385 wird im Mittelhochdeutschen der unbestimmte Artikel mit dem

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Die Ergebnisse der Untersuchung des Gegensatzpaars generalisierend - idenshytifizierend im aumllteren Deutsch sind Schon im Althochdeutschen erscheint vor der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz fast ausnahmslos der Artikel und zwar in der Mehrzahl der Faumllle der bestimmte Artikel gelegentlich aber auch der unbestimmte Artikel Daher besteht Grund zu der Annahme daszlig die Entwickshylung zur Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz in dieser Sprachstufe so ziemlich abgeschlossen ist Der generalisierenden Funktion des O-Artikels steht in der Verbindung mit Abstrakta + daszlig-Satz die individualisierende Funktion des bestimmten und unbestimmten Artikels gegenuumlber die die einen Einzelsachshyverhalt aussondernde Funktion dieses Nebensatzes unterstuumltzt Fuumlr die syntaktishyschen Restriktionen bei Abstrakta ergibt sich somit Wahrscheinlich schon zur Zeit Otfrids blockiert der O-Artikel die Verbindung eines Abstraktums mit

einem daszlig-Satz

2 diskontinuativ kontinuativ

Wie die Belege unter (17) zeigen konnten bereits im Althochdeutschen Abstrakta des Typs Gluumlck also solche Abstrakta die das Bedeutungsmerkmal diskontinuativ haben mit einem daszlig-Satz verbunden werden

Diesen stehen Zustandsbezeichnungen gegenuumlber die an keiner Belegstelle mit einem daszlig-Satz auftreten vgl etwa

(24)40 Ahd Nob suaznissi Liebe [ridu restt Friede ruowa stillimuoti Ruhe41 stilnissi Stille tougalnessi Verborgenheit unruowa giruornissi Unshy

ruhe

Mhd liebe vride ruowe

Es ist nicht zu uumlbersehen daszlig es sich hier gerade um solche Abstrakta handelt bei denen auch im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz vorkommt Das legt die Folgerung nahe daszlig diese Abstrakta wie das neuhochdeutsche Abstraktum Friede das Bedeutungsmerkmal kontinuativ haben Trifft dies zu so kann man sagen daszlig schon vom Althochdeutschen an das Bedeutungsmerkmal kontinuashytiv eine Restriktion fuumlr die Kombinierbarkeit mit einem daszlig-Satz darstellt

Abstraktum verbunden bull wenn eine Erscheinungsform des Begriffs bezeichnet werden soll (Nibelungenlied einen grozen nit) vgl auch F Zimmer Das artikellose Substantivum in den Predigten Bertholds von Regensburg in Beitraumlge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 26 1901 S 354 40 Hat ein Wort mehrere Bedeutungen erfolgt eine Angabe nur der Bedeutung(en) die fuumlr die jeweilige Einordnung einschlaumlgig ist (sind) 41 Im Neuhochdeutschen ist allerdines moumlelich Er hatte nicht die Ruhe daszligmiddot (vgL Anm27)

7 99

Rosemarie Luumlhr

3 nichtidentifizierend - identifizierend Das dritte Begriffs- und Analysepaar naumlmlich der Gegensatz nichtidentifizieshyrend identifizierend wurde anhand von nhd Ungluumlck einerseits und Unfall und Verletzung andererseits eroumlrtert Daszlig im Falle von Unfall und Verletzung im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz auftritt wurde damit begruumlndet daszlig bei diesen Vorgangsbezeichnungen gleichzeitig andere Vorstellungen mit dem Abstraktum verbunden sind die den gemeinten Sachverhalt identifizieren Aus dem mit dem Abstraktum bezeichneten Begriff ist somit kein Einzelsachverhalt ableitbar Geht man nun der Frage nach ob auch in den untersuchten alt- und mittelhochdeutschen Quellen das Merkmal identifizierend bei Abstrakta eine Restriktion fuumlr einen daszlig-Satz darstellt so empfiehlt es sich solche Abstrakta zu untersuchen die gegebenenfalls zusammen mit Synonymen mindestens zehnmal belegt sind Es wird die Beleglage von Abstrakta die Verfolgung Untergang und Auferstehung bedeuten betrachtet (25) Ahd aumlhtunga Verfolgung ferlornissa ferlornissida zegengeda Untershygang irstantnissi urstendi urstendida Auferstehung

Vgl etwa aus dem Mhd die semantischen Entsprechungen ahte ervolgunge jage Verfolgung niderganc zergancnisse Untergang uferstandunge Aufershystehung42

Im Neuhochdeutschen ist bei Abstrakta mit solchen Bedeutungen der bezeichshynete Sachverhalt identifiziert weshalb keine attributiven daszlig-Saumltze auftreten Fuumlr das aumlltere Deutsch ist dies in gleicher Weise zu erwarten In der Tat finden sich auch im Alt- und Mittelhochdeutschen nach Abstrakta der Bedeutung Verfolgung Untergang und Auferstehung keine daszlig-Saumltze Es erscheinen vielmehr Ausdrucksweisen wie die folgende (26) Notker 11 52315 f Du bist fundamentum du habest kestatet dina tccleshysiam unde dannan uueret si ane zegengeda Du bist das Fundament du hast deine Kirche errichtet und von da an waumlhrt sie ohne Untergang

Weil hier davon die Rede ist daszlig die Kirche nicht vom Untergang bedroht ist ist der Sachverhalt auf den der Begriff zegengeda zutrifft identifiziert Damit eruumlbrigt sich der Anschluszlig eines einen bestimmten Sachverhalt aussondernden daszlig-Satzes

Da also sowohl im Neuhochdeutschen wie im Alt- und Mittelhochdeutschen Vorgangsbezeichnungen durch die ein Sachverhalt identifiziert wird43 keinen

42 Die mittelhochdeutschen Belege sind unterschiedlichen Quellen entnommen 43 Auch bei bestimmten Zustandsbezeichnungen ist der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert weshalb kein daszlig-Satz auftreten kann vgl etwa ahd irwartnissa Vergaumlngshylichkeit armuati Armutfriuntscaf(t) huldl Freundschaft (in den Bedeutungen Huld Gunst Gnade waumlre bei huldl jedoch ein daszlig-Satz anschlieszligbar)ientscaft Feindschaft gesundeda heilida Gesundheit cuumlmida Krankheit ewarttuom Priestertum Priestershyamt alt Alter mhd vriuntschaft vientschaft

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

daszlig-Satz neben sich haben kann die Folgerung nur ~ein daszlig schon im aumllteren Deutsch das Merkmal identifizierend die Anschlieszligbarkeit eines daszlig-Satzes

bei Abstrakta verhindert

C Zusammenfassung und Ausblick

Die Untersuchung einiger syntaktischer Restriktionen bei Abstrakta des heutishygen und aumllteren Deutsch hat folgendes ergeben Wie im Neuhochdeutschen haben bereits im Alt- und Mittelhochdeutschen die semantischen Merkmale generalisierend kontinuativ und identifizierend den Anschluszlig eines daszligshySatzes bei einem Abstraktum blockiert Waumlhrend die Bedeutungsmerkmale kontinuativ und identifizierend einem Abstraktum inhaumlrieren - die neushyhochdeutschen Beispiele waren die Abstrakta Friede und Unfall (Verletzung)- kam das Bedeutungsmerkmal generalisierend in dem ungrammatischen Beishyspiel Gluumlck daszlig dadurch zustande daszlig ein Abstraktum ohne Artikel verwenshydet wurde Soweit aus den Belegen ableitbar ist sind bei den untersuchten Restriktionen kaum Sprachwandelphaumlnomene nachweisbar Dies gilt auch fuumlr das am Artikel festgemachte Begriffs- und Analysepaar individualisierend shygeneralisierend Denn obwohl im Althochdeutschen der Artikel bei Abstrakta noch nicht in der Weise ausgebildet war wie im Neuhochdeutschen ist die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen von woumlrtlichen Nachahmungen des Lateinischen abgesehen fast durchwegs vom Artikel begleitet und zwar sowohl vom bestimmten als auch vom unbestimmten Artikel Es fragt sich nun ob mit den am Neuhochdeutschen festgestellten und am alt- und mittelhochdeutschen Sprachmaterial bestaumltigten drei semantischen Merkmalen generalisierend kontinuativ und identifizierend generelle Merkmale fuumlr die Blockierung von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta gefunden worden sind Zur Beantwortung dieser Frage soll keine moderne europaumlische Sprache herangezogen werden44 sondern das Lateinische bis zum Mittellateinischen Denn erstens ist diese Form des Lateinischen wie das Alt- und Mittelhochdeutshysche eine Corpussprache zweitens besitzt das Lateinische wie zu sehen war auch die Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz und zwar mit den Konjunktioshynen quod quia und ut und drittens stehen das Lateinische und Deutsche genetisch in keinem zu engen Verwandtschaftsverhaumlltnis

44 Vgl etwa die stets mit dem Artikel oder einem anderen Artikelwort auftretenden Fuumlgungen frz lidee que lespoir que weitere Abstrakta in solchen Fuumlgungen sind annonce assurance avis bruit certitude chose conviction crainte croyance desir doute fait impression joie malheur nouvelle opinion ordre pensee peur preuve principe promesse regret sentiment serment signe tImoignage vom volonte (M Grevisse Le Bon Usage Grammaire fran~aise daujordhui Paris-Gembloux 111980 0deg 3423 2556 2593) und ne the fact that the opinion that usw

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Rosemarie Luumlhr

Die Ergebnisse der Untersuchung sind Zustandsbezeichnungen des Typs Friede45

also die Abstrakta mit dem Bedeutungsmerkmal kontinuativ treten im Lateinischen ebensowenig wie im Deutschen mit einem daszlig-Satz auf Gleishyches gilt fuumlr Vorgangsbezeichnungen des Typs Unfalto der gegenuumlber dem Typ Ungluumlck einen Sachverhalt identifiziert Dagegen koumlnnen im Lateinischen wie im Deutschen Abstrakta mit der Bedeutung

(27) Meinung (sententia opinio) Zeugnis (testimonium) Antwort (responshysum) Glaube ifides) Trost (consolatio) Gebot (mandatum) Angelegenshyheit (res) Gelegenheit (occasio opportunitas) Gut (bonumt7

mit einem daszlig-Satz verbunden werden Da von diesen Abstrakta die Woumlrter fuumlr Angelegenheit Gelegenheit und Gut dem deutschen Typ Gluumlck mit dem Bedeutungsmerkmal diskontinuativ zuzurechnen sind scheint dieses Bedeushytungsmerkmal auf jeden Fall eine Bedingung fuumlr die Kombinierbarkeit eines dem Typ Gluumlck angehoumlrigen Abstraktums mit einem daszlig-Satz darzustellen Obwohl das Lateinische nicht uumlber ein Artikelsystem wie das Deutsche vershyfuumlgt48 gibt es Hinweise darauf daszlig auch das Lateinische dazu neigt die spezifizierende Funktion des daszlig-Satzes durch ein individualisierendes Artikelshywort wie ille oder unus beim Abstraktum zu unterstuumltzen vgl Fuumlgungen wie illa sententia quod una consolatio quod Da dem so ist scheinen das Lateinische und das Deutsche unabhaumlngig voneinander hinsichtlich der Bedingungen sowohl fuumlr das Auftreten als auch fuumlr das Fehlen von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta die gleichen Eigenschaften zu besitzen

Diese Behauptung kann durch ein Faktum der aumluszligeren Sprachgeschichte des Deutschen gestuumltzt werden Notker von St Gallen lieszlig oftmals bei seinen Uumlbersetzungen lateinische Begriffe die seinen Schuumllern schon bekannt waren oder die als Fachausdruumlcke galten unuumlbersetzt wodurch eine althochdeutschshylateinische Mischprosa entstand Was nun die hier interessierende althochdeutshysche Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz angeht so hat Notker vollkomshymen korrekt in diese Fuumlgungen zuweilen solche lateinischen Abstrakta ein geshy

45 Vgl lat Wahrheit (veritas) Liebe (amor caritas pietas benevolentia induigentia usw) Friede (pax) Ruhe (requies tranquillitas otium) Stille (silentium) ferner Zustandsbezeichnungen bei denen der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert ist wie Vergaumlnglichkeit (brevitas fragiiitas) Armut (paupertas mopia egestas) Freundschaft (amicitia necessitudo) Feindschaft (inimicitia dissensio) vgl Anm 43 46 Vgl lateinische Verbalabstrakta wie perturbatio Verwirrung defensio Verteidigung unio Vereinigung 47 Mit lat benignitas quod (A Draeger Historische Syntax der lateinischen Sprache Bd H Leipzig 21878 S 220 f) vgl nhd die Kraft daszlig Derartige Belege finden sich im Altlatein (z B bei Plautus) dann aber vor allem im Mittel- und Spaumltlatein 48 Vgl J B HofmannlA Szantyr Lateinische Syntax und Stilistik (Handbuch der Altertumswissenschaft II 22) Muumlnchen 1965 S 191 H

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~f~j - rlt1IItt i$ 4il 4JIt k( 41

Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

setzt die von ihrer Bedeutung her mit einem daszlig-Satz verbunden werden

koumlnnen vgl

(28) Notker I 1025 ff Tarazuo triffet tisiu disputatio daz diuitif den man nemugen saligen getuon Dazu paszligt diese disputatio (Eroumlrterung) daszlig Reichtuumlmer den Menschen nicht selig machen koumlnnen

(29) I 2508 f dien fOlget note diu conclusio daz al daztir ist kuot ist daraus folgt notwendigerweise die conclusio (der Schluszlig) daszlig alles was ist

bull 49gut Ist

Wichtig ist daszlig fuumlr diese Stellen ein unmittelbares lateinisches Vorbild fehlt Notker der wie man annimmt die lateinische Sprache ebenso gediegen wie seine Muttersprache zu handhaben verstand konnte deswegen bewuszligt oder unbewuszligt ein lateinisches Abstraktum zwanglos in eine deutsche Fuumlgung einpasshysen weil die Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz nicht nur in beiden Sprachen vorhanden ist sondern auch die Restriktionen eingeschlossen in uumlbereinstimmender Weise funktionierte

Sind die vorgebrachten Uumlberlegungen richtig so ist diesmal mit der inneren Sprachgeschichte des Deutschen ganz anders verfahren worden als es sonst allgemein uumlblich ist Sonst wird die innere Sprachgeschichte meistens dazu benutzt auffallende synchron nicht weiter erklaumlrbare Erscheinungen der Gegenwartssprache genetisch herzuleiten was oftmals mit der Beschreibung von Sprachwandelphaumlnomenen verbunden ist In der vorliegenden Untersuchung wurden dagegen syntaktische Besonderheiten des Neuhochdeutschen zu erklaumlshyren versucht und dann auf entsprechende Regularitaumlten in den aumllteren Stufen des Deutschen verwiesen5o Die Sprachgeschichte diente somit als Stuumltze fuumlr die Auffassung daszlig mit den Restriktionen genereller wirkende Regeln gefunden worden sind Daszlig mit solchen Regeln zu rechnen ist machte auch der Vergleich mit dem Lateinischen wahrscheinlich wie gezeigt verfuumlgt diese Sprache uumlber die entsprechende Konstruktion und uumlber Restriktionen wie sie das Deutsche

aufweist

49 Auch die folgenden lateinischen Abstrakta erscheinen bei Notker in der Konstruktion Abstraktum + daz-Satz exultatio Freude ordo Ordnung consequentia () Folge contrarium Gegenteil scandalum Aumlrgernis natura Wesen 50 Vgl W Labovs Some principles of linguistic methodology in Language and Society 1 (1972) S 101 On the use of the present to explain the past in Proceedings of the Eleventh International Congress of Linguists Bologna-Florence Aug 28-Sept 2 1972 ed by L Heilmann Bologna S 849 uniformitarian principle bull The linguistic processhyses taking place around us are the same as those that have operated to produce the historical record ferner C Christy Uniformitarianism in Linguistics (Amsterdam Studies in the Theory and History of Linguistic Science 31) AmsterdamPhiladelphia 1983 S 51 80

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Rosemarie Luumlhr Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Hinzu kam der Gluumlcksfall daszlig Notkers deutsch-lateinische Sprachkompetenz die Auffassung stuumltzt daszlig die untersuchte Konstruktion mitsamt ihren Restrikshytionen in beiden Sprachen weitgehend identisch ist Dies gibt hinreichend Anlaszlig zu der an die kuumlnftige Forschung zu richtenden Forderung daszlig bei Untersushychungen von Phaumlnomenen der inneren Sprachgeschichte auch die aumluszligere Sprachgeschichte gebuumlhrend zu beruumlcksichtigen ist

t f

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Page 7: ZEITSCHRIFT FVR DEUTSCHE PHILOLOGIEdwee.eu/Rosemarie_Luehr/userfiles/downloads/Sonderdruck... · 2017. 12. 22. · Besm . und Hanmut Steinedte in Verbindung mit Christoph Conneau

Rosemarie Luumlhr

(6) Der Unfall daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ereignet sich jeden Tagregt niemanden auf

(12) Die Verletzung daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat hatte schlimme Folgen

(13) Das Ungluumlck daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ereignet sich jeden Tagregt niemanden auf

Ein ehemals d h zu seiner Zeit sicher korrekter Satz mit dem Abstraktum Unfall + daszlig-Satz ist bei Goethe belegt

(14) Ich habe zwar den Unfall erlitten dasz alle meine Sachen gestrandet lo

Das Abstraktum Unfall hatte fruumlher anscheinend eine weitere Bedeutung und wurde im Sinne von Ungluumlck verwendet vgl die Umformung (14 a)

(14 a) Ich habe zwar das Ungluumlck erlitten daszlig alle meine Sachen gestrandet sind

Es fragt sich wiederum wieso die Saumltze mit den Abstrakta der Bedeutung Ungluumlck grammatisch die Saumltze mit Vorgangsbezeichnungen21 der Bedeutung Unfall oder Verletzung jedoch ungrammatisch sind Geht man zuerst auf die Bedeutung des Abstraktums Verletzung ein so kann man mit O Behaghel22 hier von einem relativen Begriff sprechen das ist ein ergaumlnzungsbeduumldtiger Begriff der nur vollzogen werden kann wenn gleichzeitig andere Vorstellunshygen ins Bewuszligtsein treten Ein Begriff wie Verletzung wird zum Beispiel durch den Ausdruck von Vorstellungen wie wer wurde wie und wann verletzt ergaumlnzt und damit gesaumlttigt Dadurch wird der Begriffstraumlger hier also der Sachverhalt auf den der Begriff Verletzung zutrifft identifizierr3 vgl

(12 a) Die Verletzung des Fingers die Hans sich beim Brotschneiden zugezogen hat war erheblich

Ist aber der mit einem Begriff gemeinte Sachverhalt identifiziert so ist eine Aussonderung oder Explikation eines Einzelsachverhalts in Form eines daszligshySatzes nicht mehr moumlglich Aumlhnlich verhaumllt es sich bei dem Abstraktum Unfall in seiner modernen Bedeutung Heute bezeichnet dieses Wort einen dem Versicheshy

20 J GrimmW Grimm Deutsches Woumlrterbuch Bd XlIII Leipzig 1936 Sp 526 21 Vorgangsbezeichnungen sind Bezeichnungen fuumlr innerhalb eines bestimmten Zeitabshyschnitts ablaufende Uumlbergaumlnge von einem Zustand in einen anderen Zustand J Pleines Handlung-Kausalitaumlt-Intension (Tuumlbinger Beitraumlge zur Linguistik 68) Tuumlbingen 1976 S 55 ff 22 Deutsche Syntax Eine geschichtliche Darstellung Bd I Die Wortklassen und WOrtshyformen A Nomen Pronomen Heidelberg 1923 S 23 2J Vgl S Loumlbners Intensionale Verben und Funktionalbegriffe (Ergebnisse und Methoshyden moderner Sprachwissenschaft 7) Tuumlbingen 1979 S 34 f Definition der Funktionalshybegriffe

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

rungsrecht zugehoumlrigen Begriff und ist eingeschraumlnkt auf ein Ereignis welches infolge einer ploumltzlichen vom Betroffenen nicht gewollten Einwirkung Koumlrpershyverletzung oder Toumltung eines Menschen herbeifuumlhrt Auch hier ist eine Identifishyzierung des gemeinten Sachverhalts gegeben weshalb in der Gegenwartssprache der Begriff Unfall nicht weiter durch einen daszlig-Satz expliziert werden kann Dagegen gehoumlrt der Begriff Ungluumlck in der Terminologie O Behaghels zu den absoluten Begriffen die wie er sagt fuumlr sich allein eine abgeschlossene Vorstellung verkoumlrpern 24 Eine Identifizierung eines bestimmten Sachverhalts liegt hier also nicht vor Handelt es sich aber bei einem absoluten Begriff um ein potentielles Diskontinuativum so kann in einem geeigneten Kontext ein Einzelsachverhalt also ein bestimmter Ungluumlcksfall in Form eines daszlig-Satzes

abstrahiert werden vgl (13)

Moumlglicherweise ist der zwischen Abstrakta wie Unfall und Verletzung einerseits und Ungluumlck andererseits bestehende Bedeutungsunterschied auch durch einen Test erfaszligbar Im Falle des Abstraktums Ungluumlck kann der daszlig-Satz die Stelle

des Subjekts einnehmen vgl

(13 a) Daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ist ein Ungluumlck

Dagegen sind derartige Subjektsaumltze bei den Abstrakta Unfall und Verletzung

kaum moumlglich

(6 a) Daszlig zwei Autos zusammenstoszligen ist ein Unfall

(12 b) Daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat ist eine Verletzung25

Als dritte syntaktische Restriktion ergibt sich somit Wird bei einem abstrakten Begriff der gemeinte Sachverhalt durch gleichzeitig im Bewuszligtsein vorhandene Vorstellungen identifiziert ist eine Explizierung des Begriffs durch einen daszligshy

Satz nicht moumlglich

Es ist nun zu pruumlfen ob durch die Begriffs- und Analysepaare individualisieshyrend - generalisierend diskontinuativ kontinuativ und nichtidentifishy

24 [Anm 22] S 22 25 Vgl Loumlbner [Anm 23] S 40 Moumlglich ist jedoch Daszlig Hans sich in den Finger geschnitten hat ist eine schlimme Verletzungeine Verletzung die keine schlimme Folgen haben kann Der Begriff Verletzung ist hier durch einen Zusatz spezifiziert Demgegenuumlber gehen C Fabricius-Hansenl A von Stechow Explikative und implikative Nominalerweiterungen im Deutschen in Zeitschrift fuumlr Sprachwissenschaft 81989 S 175 ff nicht darauf ein daszlig etwa bei Moumlglichkeit einem Abstraktum vom Typ Ungluumlck in Verbindung mit einer explikativen S-Erweiterung das Abstraktum ohne Spezifikation stehen kann (Daszlig man sich geirrt haben kann ist eine Moumlglichkeit) waumlhrend dies bei Gedanke notwendig ist vgl Daszlig ich dich beleidigt habe ist ein Gedanke der mich beunruhigt mit Daszlig ich dich beleidigt habe ist ein Gedanke

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Rosemarie Luumlhr

zierend - identifizierend auch in den Vorstufen des Deutschen syntaktische Restriktionen bei Abstrakta erfaszligt werden koumlnnen Dabei soll auf moumlgliche lateinische Vorbilder geachtet werden

II Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta im fruumlheren Deutsch

Der Ruumlckblick in die Sprachgeschichte ergibt folgende Befunde Zunaumlchst einmal ist festzustellen daszlig die durch die Substantive Meinung Ansicht und Gluumlck verkoumlrperten drei Haupttypen von Abstrakta mit attributivem daszlig-Satz seit althochdeutscher Zeit vertreten sind und zwar nicht nur wenn ein lateinishysches Vorbild nachweisbar ist vgL

zu dem Typ Meinung dessen zugrundeliegendes Verb ebenfalls einen daz-Satz regiert

(15) Althochdeutsch

mit lateinischem Vorbild Tatian antwurti (Antwort) daz responsum ne (antwunen daz) bibot (Gebot) daz mandatum ut (vgL gibiotan daz)

ohne lateinisches Vorbild Otfrid gilouba Glaube (gilouben daz) giniti Rat (ratan daz) redina Uumlbershylegung (vgl redinon daz)

Notker beneimeda Verheiszligung (vgl mhd beneimen daz) orhta (jurhten daz) gedang Gedanke (denehen daz) gedingi Hoffnung (gedingen daz) geiiht Aussage (iehen daz) ilunga Streben (ilen daz) lob Lob (vgl mhd loben daz) reda Uumlberlegung (vgl redon daz) uuan Ansicht (uuanen daz) zala Aussage (zellen daz) zeichen Zeichen (vgL zeigon daz)

Mittelhochdeutsch Nibelungenlied bete Bitte (bitten daz) gedinge Hoffnung (gedingen daz) wan Glaube (wknen daz) vreude Freude (vreuwen daz) itewizen Vorwershyfen (itewizen daz) trost Trost (tramen daz) klage Klage (klagen daz) nit Rat (raten daz) urloup Erlaubnis (erlouben daz)

Und dem Typ Ansicht mit einer aus einer virtuellen Basis abgeleiteten Valenz sind zuzuordnen

Althochdeutsch ohne lateinisches Vorbild Otfrid wort Wort (vgl jehen daz)26

26 Nach der Definition daszlig Woumlrter die mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen auf jeden Fall Abstrakta sind stellt sich ahd wort zu den Abstrakta obwohl ein Wort eine physikalisch meszligbare Groumlszlige ist Auch G O Curme A Grammar of the German Language New York 21922 S 63 betrachtet Woumlrter wie Wort als Abstrakta (vgl sein Beispieljammern ist unnuumltz) Ein explizites Unterscheidungskriterium gibt er jedoch nicht an

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Notker wort unliument Verleumdung (vgl jehen daz) tagalti Freude (vgl sich rewen daz )27

Mittelhochdeutsch Nibelungenlied mtere Bericht (vgL jehen daz) eit Eid (vgl swern daz)

schult Schuld (vgl itewizen daz)

Erstaunlich groszlig ist im Althochdeutschen die Anzahl der Abstrakta der dritten Gruppe der Substantive also die wie Gluumlck weder auf eine tatsaumlchliche noch auf eine virtuelle Basis mit einem daszlig-Satz in der Funktion eines Objekts ruumlckfuumlhrshybar sind Es handelt sich zum einen um Bezeichnungen fuumlr Zustaumlnde und zum anderen um Bezeichnungen fuumlr Handlungen also fuumlr kausal verursachte Vorshy

gaumlnge vgl

(17) mit lateinischem Vorbild Tatian gilumphida Gelegenheit fuumlr lat apportunitas

ohne lateinisches Vorbild Otfrid dtit Begebenheit gizami herrliche Fuumlgung28 salida Seligkeit ruam Ehre missidat Missetat

Notker muoza Gelegenheit Moumlglichkeit sito Brauch taugeni Mysterium gnada Gnade beil heilhati Heil segen Segen Tibti () Ordnung era

guollichi Ruhm unera Schmach unreht Unrecht unebeni Ungeshyrechtigkeit seult Schuld leid Leid brutti Schrecken missetat Missetat29

27 Aus Abstrakta die eine bestimmte Disposition fuumlr Handlungen und Einstellungen bezeichnen wie Kraft Kuumlhnheit Dummheit kann eine konsekutive Relation erschlossen werden Derartige Abstrakta bleiben im folgenden auszliger Betracht Mit einem daz-Satz sind im Althochdeutschen Abstrakta des Typs Kraft verbunden im Falle von Otfrid maht Macht krart Kraft beldida Kuumlhnheit guati Vonrefflichkeit Notker chraft baldi Kuumlhnheit festi Festigkeit ernest Eifer lat patientia Geduld lat stulticia Dummshyheit brodi Schwachheit ubeli Schlechtigkeit argi Bosheit lat natura Eigenart und im Nibelungenlied degenheit Tapferkeit sterke Kraft Weitere derartige Abstrakta die im Althochdeutschen nicht mit einem daszlig-Satz auftreten aber im Neuhochdeutschen mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen sind etwa reinida hreinnissa reinnusseda Reinheit spaumlhida wizz sapientia unwizzi Unverstand wihida wihi heilagnessi

wirdi Wuumlrde beldi Kuumlhnheit eregrehti Barmherzigkeit armherzi Mitshygedulti Geduld otmuoti Demut mihilnessi Herrlichkeit Majestaumlt unsubarnessi

Unreinheit unruohha Gleichguumlltigkeit Sorglosigkeit tumbheit Dummheit tumpnissi Torheit untarworfanii Unterwuumlrfigkeit gotnissa Goumlttlichkeit hartnissa Hme kilihnissa Gleichheit Aumlhnlichkeit miltid Mitleid miltnissa Sanftmut (zu weiteren Abstrakta vgl A R Lingl Uumlber den Gebrauch der Abstrakta im Plural im Ahd und Mhd Phi Diss Muumlnchen 1934 S 8 H) 28 Im Falle von ahd gilumphida und gizami liegt zwar ein Verb gizeman bzw gilimpfan sich geziemen zugrunde doch fungiert der bei diesen Verben auftretende daszlig-Satz als Subjektsatz 29 Hinzu kommen noch Zeitbegriffe wie Tatian Otfrid Notker zit Zeit Otfrid frist Frist Tatian taga qage Otfrid altar Alter Nibelungenlied tac stunde wile zit ferner Tatian Notker namo Name und Otfrid thing Notker ding Ding

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Rosemarie Luumlhr

Nibelungenlied geluumlcke Gluumlck heil Heil ungemach Ungluumlck era Ehre liep GefallenJO

Bemerkenswen ist daszlig die Bedeutungen der alt- und mittelhochdeutschen Abstrakta der dritten Gruppe genau bei den Abstrakta auftreten31

die im Neuhochdeutschen ebenfalls mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen 32

1 individualisierend - generalisierend

Wendet man sich nun den drei in Zusammenhang mit den Restriktionen bei Abstrakta aufgestellten Begriffs- und Analysepaaren im Alt- und Mittelhochshydeutschen zu so empfiehlt es sich wieder mit dem Gegensatzpaar individualishysierend - generalisierend zu beginnen wie bemerkt ist dieses an die Verwenshydung des Artikels geknuumlpft Zunaumlchst einmal ist zu bemerken daszlig im Althochshydeutschen Abstrakta noch artikellos vorkommen koumlnnen die im heutigen Deutsch mit einem Artikel verwendet werden muumlssen vgl

30 Abstrakta mit daszlig-Satz in Wolframs von Eschenbach Parzival sind art bete botschaft dinc ere gedanke gewalt gewin helfe klage kumber Ion mere not rat riwe selde schult sin site stat teidinc tac trost trure urbot volge vuore werc wUe wille witze wunder ZUuml zit zorn Auffallend ist sippe daz (H Baumltjer Die verwendung der konjunkshytion daz in Wolfram von Eschenbachs Parzival Phil Diss Marburg 1890 S 42 ff) Und bei Hartmann von Aue begegnen gedanc reht mere heil trost list rat gedinge wan gewalt wort pris zwivel guot torheit sage wille gehenge selde guumlete gemuumlete dinc gewinn tugende ere valsch schade (Hornig Formen und gebrauch des satzartikels oder der conjunction daz bei Hartmarm von Aue Eine grammatische studie Programm der Ritter-Akademie zu Brandenburg Brandenburg 1847 S 5 f 13 f 17) Auch bei Bertshyhold von Regensburg erscheint die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz Es finden sich Bezugswoumlrter wie zit tac dienest vgl auch Ausdrucksweisen wie 52918 der muoz die juncfrouwen haben diu da heizet gerehtikeit daz er ze rehte guumltet unde widergit II 20610 daz ist gar ein griulichiu suumlnde unde sie heizet unkiusche daz man und frouwen unkiusche sint mit einander (H Roetteken Der zusammengesetzte Satz bei Berthold von Regensshyburg Ein Beitrag zur mittelhochdeutschen Syntax Straszligburg 1884 66 f) In der mittelshyhochdeutschen Urkundensprache begegnen u a gewalt reht zit gehuumlgede beziugede warnung unschult mit daszlig-Satz (B KirschsteinlU Schulze Woumlrterbuch der mittelhochshydeutschen Urkundensprache auf der Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurshykunden bis zum Jahre 13004 Lfg brief-dingen Berlin 1989 S 360) 31 Innerhalb der dritten Gruppe fehlen im Althochdeutschen noch Bezeichnungen fuumlr Ereignisse wie Gluumlcksfall Vorfall Zufall Ruumlckschlag Abenteuer 32 In einem Fall verhaumllt es sich scheinbar anders Tatian 2205 noh thanne ni uuestun sie giscrib thaz inan gilanf fon tode zi arstantanne nondum enim sciebant scripturam quill oportet eum a mortuis resuTgere Luther Joh 209 Denn sie wusten die Schrifft noch nicht I das er von den Todten aufferstehen muste Mentel Joh 209 Wann er wesst dennoch nit die schrifft das im gezam zersteen von den dotten nhd Denn sie kannten die Aussage der Schrift noch nicht daszlig er von den Toten auferstehen wuumlrde Ahd giscrib friihnhd Schrifft fungiert hier jedoch nicht als Konkreshytum sondern als Abstraktum mit der Bedeutung Aussage der Schrift

96

Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

(18) Otfrid I 1818 so duat uns ubarmuati So bestraft uns der UumlbermutJ)

Geht man nun zu der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz uumlber so fehlt der Artikel in der Tatianuumlbersetzung genau wie bei dem lateinischen Vorbild vgl

(19) Tatian 1542 inti fon thanan suohta gilumphida thaz her in salti uzzan menigi und von da an suchte er die Gelegenheit daszlig er ihn auszligerhalb der Menge ausliefern konnte fuumlr lat et exinde querebat oportunitatem ut eum

traderet sine tubis 34

Anders steht es wenn kein lateinisches Vorbild zugrunde liegt Der bestimmte Artikel oder ein anderes ihn vertretendes Artikelwort erscheint fast durchwegs35

vgl

(20) Otfrid III 1643 f Ziu ist thanne iu widarmuati thisu selba guati theih einan man allan in then dag deta heilan Warum ist euch dann eben diese gute Tat zuwider daszlig ich einen Menschen ganz und gar an dem Tag geheilt habe36

n Behaghel [Anm22] S 68 ff vgl auch Hartrnann [Anm 7] S 85 f zum Mittelshyhochdeutschen 4 Vg ferner Tatian 147 intiih gisah intigiuuiznessisageta thaz therist gotes sun fuumlr lat et ego vidi et testimonium perhibui quill hic est filius dei 215 giuuizscaj thaz fuumlr lat testimonium quod 2205 giscrib thaz fuumlr lat scriptura quill 88 antvvurte thaz fuumlr lat Tesponso ne (vg Tatian 74) 13534 bibot thaz fuumlr lat mandatum ut Die Verbindung Adjektiv und Artikel erscheint 1606 Niuui bibot thaz fuumlr lat Mandatum novum ut 35 Ausnahmen sind Notker I 816 15 f loh nu dunchet mir muoza zegesehenne daz ih lesendo geeiscota fone dem demonum guoti I 3327 f Fure triuuon dang engilto ih unsculde unde lukkes unliumendes taz Eh si reus maiestatis Pro premiis uerl uirtutis subimus poenas falsi sceleris Vgl aus dem Nibelungenlied 8781 ff Urloup sie gewunnen daz si fuumlr solden gan

Sie erhielten die Erlaubnis daszlig sie vortraten Im Mittelhochdeutschen fehlt der Artikel bei festen Redewendungen wie Nibelungenshylied mere sagen daz danc sagen daz gedingen haben daz muot haben daz middot Aventin freiheit geben haben erlangen daz gnad geben erwerben daz neutralitatem halten daz gluumlk geben (neben das gluumlk geben) daz usw G Kinateder Die syntaktischen Funktionen der Konjunktion daszlig bei Aventin Phi Diss Muumlnchen 1897 S 53 ff 36 Vgl Otfrid II 128 V 1149 f thaz gizami thaz III 2075f thill selbun dat middot thaz V 643 f thio langun missidati thaz III 2511 f thie fristi thaz middot CV 2586) V 1145 f thes beren thinges thaz 12345 in thiu thing thaz middot III 2094 f thaz altar thaz I 231 f zi theru stullu zi theru ziti thaz

7 ZfdPh (Band 112 Heft 1) 97

Rosemarie Luumlhr

Ganz vereinzelt findet sich auch schon der unbestimmte Artikel bei der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz im Alt- und Mittelhochdeutschen vgl

Otfrid III 1633 f lh deta ein werk maraz giwisso wizit ir thaz theih bi einan man gimeinta in sambazdag giheilta Ich tat ein groszliges Werk gewiszlig wiszligt ihr das daszlig ich [mich] in betreff eines Mannes entschied ihn am Sabbat geheilt habe37

(22) Nibelungenlied 11311 H Da sprach der kuumlnic Gunther ich swuor ir einen eit daz ich ir getdte nimmer mere leit und wil es [uumlrbaz huumleten (23) 13702 ff die heten einen muot daz si da niht ensparten deheiner stahte guot 38

Daszlig die Verbindung unbestimmter Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen auftritt ist erstaunlich denn auszligerhalb dieser Fuumlgung kommt der unbestimmte Artikel bei Abstrakta in dieser Sprachstufe nur gelegentlich

39vor

Notker 11 16514 H dia tougeni unserro herzon daz II 14723 f Dia gnada daz I 6916 ff dero uneron daz II 55917 f Soliches segenes daz 11 1946 f dem missetate daz II 7315 f des leides daz II 16012 ff des tinges daz II 6125 H an dinero heilhafti daz I 5813 H die uuana taz II 1921 f daz unreht daz II 4879 f die guollichi daz (II 4872 H) I 3572 H tia barun not taz (15737 L) II 53927 H fone deme leide daz II 7622 f fone dien sculden daz I 3611 H an demo dinge dJz (II 10713 H) I 20416 f iro rihti daz (konsekutiv) Auch bei den Eigenschaftsbezeichnungen deren daszlig-Satz eine konsekutive Faumlrbung hat findet sich der Artikel vgL Ottrid V 59 thia beldida thaz IV 3613 sino gUat~ thaz V 2530 f minera dumpheiti mines selbes ubili thaz Notker I 5568 H mit tem baldi daz I 45223 H dia uesti taz II 2244 f dia bruti daz 129813 f sin ernest daz II 31724 f iro brOdi daz 37 Nicht sicher ist der unbestimmte Artikel nachweisbar in Otfrid III 1517 Lertun sie nan einan ruam thaz er gidJti imo einan duam imo ein gizami thaz er zeru firu quami Sie belehrten ihn daszlig er sich einen Ruhm verschaffen muumlsse ein Ansehen eine wundershybare Tat daszlig er zu der Feier komme Anders sind wohl zu beurteilen Tatian 226 then scuof her namon thaz sie hiezzin Boanerges fuumlr lat quibus inposuit nomina Boanerges Notker I 30130 f pe diu habet si einen anderen namen daz si intellectus beizet vgL I 75217 f II 28514 f 38 Vgl auch Aventin ein zeit das Kinateder [Anm 34] S 53 39 Vgl Behaghel [Anm22] S47 (Otfrid einan ruam) Nach PaullWiehlGrosse [Anm 16] S385 wird im Mittelhochdeutschen der unbestimmte Artikel mit dem

98

Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Die Ergebnisse der Untersuchung des Gegensatzpaars generalisierend - idenshytifizierend im aumllteren Deutsch sind Schon im Althochdeutschen erscheint vor der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz fast ausnahmslos der Artikel und zwar in der Mehrzahl der Faumllle der bestimmte Artikel gelegentlich aber auch der unbestimmte Artikel Daher besteht Grund zu der Annahme daszlig die Entwickshylung zur Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz in dieser Sprachstufe so ziemlich abgeschlossen ist Der generalisierenden Funktion des O-Artikels steht in der Verbindung mit Abstrakta + daszlig-Satz die individualisierende Funktion des bestimmten und unbestimmten Artikels gegenuumlber die die einen Einzelsachshyverhalt aussondernde Funktion dieses Nebensatzes unterstuumltzt Fuumlr die syntaktishyschen Restriktionen bei Abstrakta ergibt sich somit Wahrscheinlich schon zur Zeit Otfrids blockiert der O-Artikel die Verbindung eines Abstraktums mit

einem daszlig-Satz

2 diskontinuativ kontinuativ

Wie die Belege unter (17) zeigen konnten bereits im Althochdeutschen Abstrakta des Typs Gluumlck also solche Abstrakta die das Bedeutungsmerkmal diskontinuativ haben mit einem daszlig-Satz verbunden werden

Diesen stehen Zustandsbezeichnungen gegenuumlber die an keiner Belegstelle mit einem daszlig-Satz auftreten vgl etwa

(24)40 Ahd Nob suaznissi Liebe [ridu restt Friede ruowa stillimuoti Ruhe41 stilnissi Stille tougalnessi Verborgenheit unruowa giruornissi Unshy

ruhe

Mhd liebe vride ruowe

Es ist nicht zu uumlbersehen daszlig es sich hier gerade um solche Abstrakta handelt bei denen auch im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz vorkommt Das legt die Folgerung nahe daszlig diese Abstrakta wie das neuhochdeutsche Abstraktum Friede das Bedeutungsmerkmal kontinuativ haben Trifft dies zu so kann man sagen daszlig schon vom Althochdeutschen an das Bedeutungsmerkmal kontinuashytiv eine Restriktion fuumlr die Kombinierbarkeit mit einem daszlig-Satz darstellt

Abstraktum verbunden bull wenn eine Erscheinungsform des Begriffs bezeichnet werden soll (Nibelungenlied einen grozen nit) vgl auch F Zimmer Das artikellose Substantivum in den Predigten Bertholds von Regensburg in Beitraumlge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 26 1901 S 354 40 Hat ein Wort mehrere Bedeutungen erfolgt eine Angabe nur der Bedeutung(en) die fuumlr die jeweilige Einordnung einschlaumlgig ist (sind) 41 Im Neuhochdeutschen ist allerdines moumlelich Er hatte nicht die Ruhe daszligmiddot (vgL Anm27)

7 99

Rosemarie Luumlhr

3 nichtidentifizierend - identifizierend Das dritte Begriffs- und Analysepaar naumlmlich der Gegensatz nichtidentifizieshyrend identifizierend wurde anhand von nhd Ungluumlck einerseits und Unfall und Verletzung andererseits eroumlrtert Daszlig im Falle von Unfall und Verletzung im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz auftritt wurde damit begruumlndet daszlig bei diesen Vorgangsbezeichnungen gleichzeitig andere Vorstellungen mit dem Abstraktum verbunden sind die den gemeinten Sachverhalt identifizieren Aus dem mit dem Abstraktum bezeichneten Begriff ist somit kein Einzelsachverhalt ableitbar Geht man nun der Frage nach ob auch in den untersuchten alt- und mittelhochdeutschen Quellen das Merkmal identifizierend bei Abstrakta eine Restriktion fuumlr einen daszlig-Satz darstellt so empfiehlt es sich solche Abstrakta zu untersuchen die gegebenenfalls zusammen mit Synonymen mindestens zehnmal belegt sind Es wird die Beleglage von Abstrakta die Verfolgung Untergang und Auferstehung bedeuten betrachtet (25) Ahd aumlhtunga Verfolgung ferlornissa ferlornissida zegengeda Untershygang irstantnissi urstendi urstendida Auferstehung

Vgl etwa aus dem Mhd die semantischen Entsprechungen ahte ervolgunge jage Verfolgung niderganc zergancnisse Untergang uferstandunge Aufershystehung42

Im Neuhochdeutschen ist bei Abstrakta mit solchen Bedeutungen der bezeichshynete Sachverhalt identifiziert weshalb keine attributiven daszlig-Saumltze auftreten Fuumlr das aumlltere Deutsch ist dies in gleicher Weise zu erwarten In der Tat finden sich auch im Alt- und Mittelhochdeutschen nach Abstrakta der Bedeutung Verfolgung Untergang und Auferstehung keine daszlig-Saumltze Es erscheinen vielmehr Ausdrucksweisen wie die folgende (26) Notker 11 52315 f Du bist fundamentum du habest kestatet dina tccleshysiam unde dannan uueret si ane zegengeda Du bist das Fundament du hast deine Kirche errichtet und von da an waumlhrt sie ohne Untergang

Weil hier davon die Rede ist daszlig die Kirche nicht vom Untergang bedroht ist ist der Sachverhalt auf den der Begriff zegengeda zutrifft identifiziert Damit eruumlbrigt sich der Anschluszlig eines einen bestimmten Sachverhalt aussondernden daszlig-Satzes

Da also sowohl im Neuhochdeutschen wie im Alt- und Mittelhochdeutschen Vorgangsbezeichnungen durch die ein Sachverhalt identifiziert wird43 keinen

42 Die mittelhochdeutschen Belege sind unterschiedlichen Quellen entnommen 43 Auch bei bestimmten Zustandsbezeichnungen ist der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert weshalb kein daszlig-Satz auftreten kann vgl etwa ahd irwartnissa Vergaumlngshylichkeit armuati Armutfriuntscaf(t) huldl Freundschaft (in den Bedeutungen Huld Gunst Gnade waumlre bei huldl jedoch ein daszlig-Satz anschlieszligbar)ientscaft Feindschaft gesundeda heilida Gesundheit cuumlmida Krankheit ewarttuom Priestertum Priestershyamt alt Alter mhd vriuntschaft vientschaft

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

daszlig-Satz neben sich haben kann die Folgerung nur ~ein daszlig schon im aumllteren Deutsch das Merkmal identifizierend die Anschlieszligbarkeit eines daszlig-Satzes

bei Abstrakta verhindert

C Zusammenfassung und Ausblick

Die Untersuchung einiger syntaktischer Restriktionen bei Abstrakta des heutishygen und aumllteren Deutsch hat folgendes ergeben Wie im Neuhochdeutschen haben bereits im Alt- und Mittelhochdeutschen die semantischen Merkmale generalisierend kontinuativ und identifizierend den Anschluszlig eines daszligshySatzes bei einem Abstraktum blockiert Waumlhrend die Bedeutungsmerkmale kontinuativ und identifizierend einem Abstraktum inhaumlrieren - die neushyhochdeutschen Beispiele waren die Abstrakta Friede und Unfall (Verletzung)- kam das Bedeutungsmerkmal generalisierend in dem ungrammatischen Beishyspiel Gluumlck daszlig dadurch zustande daszlig ein Abstraktum ohne Artikel verwenshydet wurde Soweit aus den Belegen ableitbar ist sind bei den untersuchten Restriktionen kaum Sprachwandelphaumlnomene nachweisbar Dies gilt auch fuumlr das am Artikel festgemachte Begriffs- und Analysepaar individualisierend shygeneralisierend Denn obwohl im Althochdeutschen der Artikel bei Abstrakta noch nicht in der Weise ausgebildet war wie im Neuhochdeutschen ist die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen von woumlrtlichen Nachahmungen des Lateinischen abgesehen fast durchwegs vom Artikel begleitet und zwar sowohl vom bestimmten als auch vom unbestimmten Artikel Es fragt sich nun ob mit den am Neuhochdeutschen festgestellten und am alt- und mittelhochdeutschen Sprachmaterial bestaumltigten drei semantischen Merkmalen generalisierend kontinuativ und identifizierend generelle Merkmale fuumlr die Blockierung von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta gefunden worden sind Zur Beantwortung dieser Frage soll keine moderne europaumlische Sprache herangezogen werden44 sondern das Lateinische bis zum Mittellateinischen Denn erstens ist diese Form des Lateinischen wie das Alt- und Mittelhochdeutshysche eine Corpussprache zweitens besitzt das Lateinische wie zu sehen war auch die Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz und zwar mit den Konjunktioshynen quod quia und ut und drittens stehen das Lateinische und Deutsche genetisch in keinem zu engen Verwandtschaftsverhaumlltnis

44 Vgl etwa die stets mit dem Artikel oder einem anderen Artikelwort auftretenden Fuumlgungen frz lidee que lespoir que weitere Abstrakta in solchen Fuumlgungen sind annonce assurance avis bruit certitude chose conviction crainte croyance desir doute fait impression joie malheur nouvelle opinion ordre pensee peur preuve principe promesse regret sentiment serment signe tImoignage vom volonte (M Grevisse Le Bon Usage Grammaire fran~aise daujordhui Paris-Gembloux 111980 0deg 3423 2556 2593) und ne the fact that the opinion that usw

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Rosemarie Luumlhr

Die Ergebnisse der Untersuchung sind Zustandsbezeichnungen des Typs Friede45

also die Abstrakta mit dem Bedeutungsmerkmal kontinuativ treten im Lateinischen ebensowenig wie im Deutschen mit einem daszlig-Satz auf Gleishyches gilt fuumlr Vorgangsbezeichnungen des Typs Unfalto der gegenuumlber dem Typ Ungluumlck einen Sachverhalt identifiziert Dagegen koumlnnen im Lateinischen wie im Deutschen Abstrakta mit der Bedeutung

(27) Meinung (sententia opinio) Zeugnis (testimonium) Antwort (responshysum) Glaube ifides) Trost (consolatio) Gebot (mandatum) Angelegenshyheit (res) Gelegenheit (occasio opportunitas) Gut (bonumt7

mit einem daszlig-Satz verbunden werden Da von diesen Abstrakta die Woumlrter fuumlr Angelegenheit Gelegenheit und Gut dem deutschen Typ Gluumlck mit dem Bedeutungsmerkmal diskontinuativ zuzurechnen sind scheint dieses Bedeushytungsmerkmal auf jeden Fall eine Bedingung fuumlr die Kombinierbarkeit eines dem Typ Gluumlck angehoumlrigen Abstraktums mit einem daszlig-Satz darzustellen Obwohl das Lateinische nicht uumlber ein Artikelsystem wie das Deutsche vershyfuumlgt48 gibt es Hinweise darauf daszlig auch das Lateinische dazu neigt die spezifizierende Funktion des daszlig-Satzes durch ein individualisierendes Artikelshywort wie ille oder unus beim Abstraktum zu unterstuumltzen vgl Fuumlgungen wie illa sententia quod una consolatio quod Da dem so ist scheinen das Lateinische und das Deutsche unabhaumlngig voneinander hinsichtlich der Bedingungen sowohl fuumlr das Auftreten als auch fuumlr das Fehlen von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta die gleichen Eigenschaften zu besitzen

Diese Behauptung kann durch ein Faktum der aumluszligeren Sprachgeschichte des Deutschen gestuumltzt werden Notker von St Gallen lieszlig oftmals bei seinen Uumlbersetzungen lateinische Begriffe die seinen Schuumllern schon bekannt waren oder die als Fachausdruumlcke galten unuumlbersetzt wodurch eine althochdeutschshylateinische Mischprosa entstand Was nun die hier interessierende althochdeutshysche Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz angeht so hat Notker vollkomshymen korrekt in diese Fuumlgungen zuweilen solche lateinischen Abstrakta ein geshy

45 Vgl lat Wahrheit (veritas) Liebe (amor caritas pietas benevolentia induigentia usw) Friede (pax) Ruhe (requies tranquillitas otium) Stille (silentium) ferner Zustandsbezeichnungen bei denen der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert ist wie Vergaumlnglichkeit (brevitas fragiiitas) Armut (paupertas mopia egestas) Freundschaft (amicitia necessitudo) Feindschaft (inimicitia dissensio) vgl Anm 43 46 Vgl lateinische Verbalabstrakta wie perturbatio Verwirrung defensio Verteidigung unio Vereinigung 47 Mit lat benignitas quod (A Draeger Historische Syntax der lateinischen Sprache Bd H Leipzig 21878 S 220 f) vgl nhd die Kraft daszlig Derartige Belege finden sich im Altlatein (z B bei Plautus) dann aber vor allem im Mittel- und Spaumltlatein 48 Vgl J B HofmannlA Szantyr Lateinische Syntax und Stilistik (Handbuch der Altertumswissenschaft II 22) Muumlnchen 1965 S 191 H

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~f~j - rlt1IItt i$ 4il 4JIt k( 41

Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

setzt die von ihrer Bedeutung her mit einem daszlig-Satz verbunden werden

koumlnnen vgl

(28) Notker I 1025 ff Tarazuo triffet tisiu disputatio daz diuitif den man nemugen saligen getuon Dazu paszligt diese disputatio (Eroumlrterung) daszlig Reichtuumlmer den Menschen nicht selig machen koumlnnen

(29) I 2508 f dien fOlget note diu conclusio daz al daztir ist kuot ist daraus folgt notwendigerweise die conclusio (der Schluszlig) daszlig alles was ist

bull 49gut Ist

Wichtig ist daszlig fuumlr diese Stellen ein unmittelbares lateinisches Vorbild fehlt Notker der wie man annimmt die lateinische Sprache ebenso gediegen wie seine Muttersprache zu handhaben verstand konnte deswegen bewuszligt oder unbewuszligt ein lateinisches Abstraktum zwanglos in eine deutsche Fuumlgung einpasshysen weil die Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz nicht nur in beiden Sprachen vorhanden ist sondern auch die Restriktionen eingeschlossen in uumlbereinstimmender Weise funktionierte

Sind die vorgebrachten Uumlberlegungen richtig so ist diesmal mit der inneren Sprachgeschichte des Deutschen ganz anders verfahren worden als es sonst allgemein uumlblich ist Sonst wird die innere Sprachgeschichte meistens dazu benutzt auffallende synchron nicht weiter erklaumlrbare Erscheinungen der Gegenwartssprache genetisch herzuleiten was oftmals mit der Beschreibung von Sprachwandelphaumlnomenen verbunden ist In der vorliegenden Untersuchung wurden dagegen syntaktische Besonderheiten des Neuhochdeutschen zu erklaumlshyren versucht und dann auf entsprechende Regularitaumlten in den aumllteren Stufen des Deutschen verwiesen5o Die Sprachgeschichte diente somit als Stuumltze fuumlr die Auffassung daszlig mit den Restriktionen genereller wirkende Regeln gefunden worden sind Daszlig mit solchen Regeln zu rechnen ist machte auch der Vergleich mit dem Lateinischen wahrscheinlich wie gezeigt verfuumlgt diese Sprache uumlber die entsprechende Konstruktion und uumlber Restriktionen wie sie das Deutsche

aufweist

49 Auch die folgenden lateinischen Abstrakta erscheinen bei Notker in der Konstruktion Abstraktum + daz-Satz exultatio Freude ordo Ordnung consequentia () Folge contrarium Gegenteil scandalum Aumlrgernis natura Wesen 50 Vgl W Labovs Some principles of linguistic methodology in Language and Society 1 (1972) S 101 On the use of the present to explain the past in Proceedings of the Eleventh International Congress of Linguists Bologna-Florence Aug 28-Sept 2 1972 ed by L Heilmann Bologna S 849 uniformitarian principle bull The linguistic processhyses taking place around us are the same as those that have operated to produce the historical record ferner C Christy Uniformitarianism in Linguistics (Amsterdam Studies in the Theory and History of Linguistic Science 31) AmsterdamPhiladelphia 1983 S 51 80

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Rosemarie Luumlhr Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Hinzu kam der Gluumlcksfall daszlig Notkers deutsch-lateinische Sprachkompetenz die Auffassung stuumltzt daszlig die untersuchte Konstruktion mitsamt ihren Restrikshytionen in beiden Sprachen weitgehend identisch ist Dies gibt hinreichend Anlaszlig zu der an die kuumlnftige Forschung zu richtenden Forderung daszlig bei Untersushychungen von Phaumlnomenen der inneren Sprachgeschichte auch die aumluszligere Sprachgeschichte gebuumlhrend zu beruumlcksichtigen ist

t f

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Page 8: ZEITSCHRIFT FVR DEUTSCHE PHILOLOGIEdwee.eu/Rosemarie_Luehr/userfiles/downloads/Sonderdruck... · 2017. 12. 22. · Besm . und Hanmut Steinedte in Verbindung mit Christoph Conneau

Rosemarie Luumlhr

zierend - identifizierend auch in den Vorstufen des Deutschen syntaktische Restriktionen bei Abstrakta erfaszligt werden koumlnnen Dabei soll auf moumlgliche lateinische Vorbilder geachtet werden

II Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta im fruumlheren Deutsch

Der Ruumlckblick in die Sprachgeschichte ergibt folgende Befunde Zunaumlchst einmal ist festzustellen daszlig die durch die Substantive Meinung Ansicht und Gluumlck verkoumlrperten drei Haupttypen von Abstrakta mit attributivem daszlig-Satz seit althochdeutscher Zeit vertreten sind und zwar nicht nur wenn ein lateinishysches Vorbild nachweisbar ist vgL

zu dem Typ Meinung dessen zugrundeliegendes Verb ebenfalls einen daz-Satz regiert

(15) Althochdeutsch

mit lateinischem Vorbild Tatian antwurti (Antwort) daz responsum ne (antwunen daz) bibot (Gebot) daz mandatum ut (vgL gibiotan daz)

ohne lateinisches Vorbild Otfrid gilouba Glaube (gilouben daz) giniti Rat (ratan daz) redina Uumlbershylegung (vgl redinon daz)

Notker beneimeda Verheiszligung (vgl mhd beneimen daz) orhta (jurhten daz) gedang Gedanke (denehen daz) gedingi Hoffnung (gedingen daz) geiiht Aussage (iehen daz) ilunga Streben (ilen daz) lob Lob (vgl mhd loben daz) reda Uumlberlegung (vgl redon daz) uuan Ansicht (uuanen daz) zala Aussage (zellen daz) zeichen Zeichen (vgL zeigon daz)

Mittelhochdeutsch Nibelungenlied bete Bitte (bitten daz) gedinge Hoffnung (gedingen daz) wan Glaube (wknen daz) vreude Freude (vreuwen daz) itewizen Vorwershyfen (itewizen daz) trost Trost (tramen daz) klage Klage (klagen daz) nit Rat (raten daz) urloup Erlaubnis (erlouben daz)

Und dem Typ Ansicht mit einer aus einer virtuellen Basis abgeleiteten Valenz sind zuzuordnen

Althochdeutsch ohne lateinisches Vorbild Otfrid wort Wort (vgl jehen daz)26

26 Nach der Definition daszlig Woumlrter die mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen auf jeden Fall Abstrakta sind stellt sich ahd wort zu den Abstrakta obwohl ein Wort eine physikalisch meszligbare Groumlszlige ist Auch G O Curme A Grammar of the German Language New York 21922 S 63 betrachtet Woumlrter wie Wort als Abstrakta (vgl sein Beispieljammern ist unnuumltz) Ein explizites Unterscheidungskriterium gibt er jedoch nicht an

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Notker wort unliument Verleumdung (vgl jehen daz) tagalti Freude (vgl sich rewen daz )27

Mittelhochdeutsch Nibelungenlied mtere Bericht (vgL jehen daz) eit Eid (vgl swern daz)

schult Schuld (vgl itewizen daz)

Erstaunlich groszlig ist im Althochdeutschen die Anzahl der Abstrakta der dritten Gruppe der Substantive also die wie Gluumlck weder auf eine tatsaumlchliche noch auf eine virtuelle Basis mit einem daszlig-Satz in der Funktion eines Objekts ruumlckfuumlhrshybar sind Es handelt sich zum einen um Bezeichnungen fuumlr Zustaumlnde und zum anderen um Bezeichnungen fuumlr Handlungen also fuumlr kausal verursachte Vorshy

gaumlnge vgl

(17) mit lateinischem Vorbild Tatian gilumphida Gelegenheit fuumlr lat apportunitas

ohne lateinisches Vorbild Otfrid dtit Begebenheit gizami herrliche Fuumlgung28 salida Seligkeit ruam Ehre missidat Missetat

Notker muoza Gelegenheit Moumlglichkeit sito Brauch taugeni Mysterium gnada Gnade beil heilhati Heil segen Segen Tibti () Ordnung era

guollichi Ruhm unera Schmach unreht Unrecht unebeni Ungeshyrechtigkeit seult Schuld leid Leid brutti Schrecken missetat Missetat29

27 Aus Abstrakta die eine bestimmte Disposition fuumlr Handlungen und Einstellungen bezeichnen wie Kraft Kuumlhnheit Dummheit kann eine konsekutive Relation erschlossen werden Derartige Abstrakta bleiben im folgenden auszliger Betracht Mit einem daz-Satz sind im Althochdeutschen Abstrakta des Typs Kraft verbunden im Falle von Otfrid maht Macht krart Kraft beldida Kuumlhnheit guati Vonrefflichkeit Notker chraft baldi Kuumlhnheit festi Festigkeit ernest Eifer lat patientia Geduld lat stulticia Dummshyheit brodi Schwachheit ubeli Schlechtigkeit argi Bosheit lat natura Eigenart und im Nibelungenlied degenheit Tapferkeit sterke Kraft Weitere derartige Abstrakta die im Althochdeutschen nicht mit einem daszlig-Satz auftreten aber im Neuhochdeutschen mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen sind etwa reinida hreinnissa reinnusseda Reinheit spaumlhida wizz sapientia unwizzi Unverstand wihida wihi heilagnessi

wirdi Wuumlrde beldi Kuumlhnheit eregrehti Barmherzigkeit armherzi Mitshygedulti Geduld otmuoti Demut mihilnessi Herrlichkeit Majestaumlt unsubarnessi

Unreinheit unruohha Gleichguumlltigkeit Sorglosigkeit tumbheit Dummheit tumpnissi Torheit untarworfanii Unterwuumlrfigkeit gotnissa Goumlttlichkeit hartnissa Hme kilihnissa Gleichheit Aumlhnlichkeit miltid Mitleid miltnissa Sanftmut (zu weiteren Abstrakta vgl A R Lingl Uumlber den Gebrauch der Abstrakta im Plural im Ahd und Mhd Phi Diss Muumlnchen 1934 S 8 H) 28 Im Falle von ahd gilumphida und gizami liegt zwar ein Verb gizeman bzw gilimpfan sich geziemen zugrunde doch fungiert der bei diesen Verben auftretende daszlig-Satz als Subjektsatz 29 Hinzu kommen noch Zeitbegriffe wie Tatian Otfrid Notker zit Zeit Otfrid frist Frist Tatian taga qage Otfrid altar Alter Nibelungenlied tac stunde wile zit ferner Tatian Notker namo Name und Otfrid thing Notker ding Ding

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Rosemarie Luumlhr

Nibelungenlied geluumlcke Gluumlck heil Heil ungemach Ungluumlck era Ehre liep GefallenJO

Bemerkenswen ist daszlig die Bedeutungen der alt- und mittelhochdeutschen Abstrakta der dritten Gruppe genau bei den Abstrakta auftreten31

die im Neuhochdeutschen ebenfalls mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen 32

1 individualisierend - generalisierend

Wendet man sich nun den drei in Zusammenhang mit den Restriktionen bei Abstrakta aufgestellten Begriffs- und Analysepaaren im Alt- und Mittelhochshydeutschen zu so empfiehlt es sich wieder mit dem Gegensatzpaar individualishysierend - generalisierend zu beginnen wie bemerkt ist dieses an die Verwenshydung des Artikels geknuumlpft Zunaumlchst einmal ist zu bemerken daszlig im Althochshydeutschen Abstrakta noch artikellos vorkommen koumlnnen die im heutigen Deutsch mit einem Artikel verwendet werden muumlssen vgl

30 Abstrakta mit daszlig-Satz in Wolframs von Eschenbach Parzival sind art bete botschaft dinc ere gedanke gewalt gewin helfe klage kumber Ion mere not rat riwe selde schult sin site stat teidinc tac trost trure urbot volge vuore werc wUe wille witze wunder ZUuml zit zorn Auffallend ist sippe daz (H Baumltjer Die verwendung der konjunkshytion daz in Wolfram von Eschenbachs Parzival Phil Diss Marburg 1890 S 42 ff) Und bei Hartmann von Aue begegnen gedanc reht mere heil trost list rat gedinge wan gewalt wort pris zwivel guot torheit sage wille gehenge selde guumlete gemuumlete dinc gewinn tugende ere valsch schade (Hornig Formen und gebrauch des satzartikels oder der conjunction daz bei Hartmarm von Aue Eine grammatische studie Programm der Ritter-Akademie zu Brandenburg Brandenburg 1847 S 5 f 13 f 17) Auch bei Bertshyhold von Regensburg erscheint die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz Es finden sich Bezugswoumlrter wie zit tac dienest vgl auch Ausdrucksweisen wie 52918 der muoz die juncfrouwen haben diu da heizet gerehtikeit daz er ze rehte guumltet unde widergit II 20610 daz ist gar ein griulichiu suumlnde unde sie heizet unkiusche daz man und frouwen unkiusche sint mit einander (H Roetteken Der zusammengesetzte Satz bei Berthold von Regensshyburg Ein Beitrag zur mittelhochdeutschen Syntax Straszligburg 1884 66 f) In der mittelshyhochdeutschen Urkundensprache begegnen u a gewalt reht zit gehuumlgede beziugede warnung unschult mit daszlig-Satz (B KirschsteinlU Schulze Woumlrterbuch der mittelhochshydeutschen Urkundensprache auf der Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurshykunden bis zum Jahre 13004 Lfg brief-dingen Berlin 1989 S 360) 31 Innerhalb der dritten Gruppe fehlen im Althochdeutschen noch Bezeichnungen fuumlr Ereignisse wie Gluumlcksfall Vorfall Zufall Ruumlckschlag Abenteuer 32 In einem Fall verhaumllt es sich scheinbar anders Tatian 2205 noh thanne ni uuestun sie giscrib thaz inan gilanf fon tode zi arstantanne nondum enim sciebant scripturam quill oportet eum a mortuis resuTgere Luther Joh 209 Denn sie wusten die Schrifft noch nicht I das er von den Todten aufferstehen muste Mentel Joh 209 Wann er wesst dennoch nit die schrifft das im gezam zersteen von den dotten nhd Denn sie kannten die Aussage der Schrift noch nicht daszlig er von den Toten auferstehen wuumlrde Ahd giscrib friihnhd Schrifft fungiert hier jedoch nicht als Konkreshytum sondern als Abstraktum mit der Bedeutung Aussage der Schrift

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

(18) Otfrid I 1818 so duat uns ubarmuati So bestraft uns der UumlbermutJ)

Geht man nun zu der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz uumlber so fehlt der Artikel in der Tatianuumlbersetzung genau wie bei dem lateinischen Vorbild vgl

(19) Tatian 1542 inti fon thanan suohta gilumphida thaz her in salti uzzan menigi und von da an suchte er die Gelegenheit daszlig er ihn auszligerhalb der Menge ausliefern konnte fuumlr lat et exinde querebat oportunitatem ut eum

traderet sine tubis 34

Anders steht es wenn kein lateinisches Vorbild zugrunde liegt Der bestimmte Artikel oder ein anderes ihn vertretendes Artikelwort erscheint fast durchwegs35

vgl

(20) Otfrid III 1643 f Ziu ist thanne iu widarmuati thisu selba guati theih einan man allan in then dag deta heilan Warum ist euch dann eben diese gute Tat zuwider daszlig ich einen Menschen ganz und gar an dem Tag geheilt habe36

n Behaghel [Anm22] S 68 ff vgl auch Hartrnann [Anm 7] S 85 f zum Mittelshyhochdeutschen 4 Vg ferner Tatian 147 intiih gisah intigiuuiznessisageta thaz therist gotes sun fuumlr lat et ego vidi et testimonium perhibui quill hic est filius dei 215 giuuizscaj thaz fuumlr lat testimonium quod 2205 giscrib thaz fuumlr lat scriptura quill 88 antvvurte thaz fuumlr lat Tesponso ne (vg Tatian 74) 13534 bibot thaz fuumlr lat mandatum ut Die Verbindung Adjektiv und Artikel erscheint 1606 Niuui bibot thaz fuumlr lat Mandatum novum ut 35 Ausnahmen sind Notker I 816 15 f loh nu dunchet mir muoza zegesehenne daz ih lesendo geeiscota fone dem demonum guoti I 3327 f Fure triuuon dang engilto ih unsculde unde lukkes unliumendes taz Eh si reus maiestatis Pro premiis uerl uirtutis subimus poenas falsi sceleris Vgl aus dem Nibelungenlied 8781 ff Urloup sie gewunnen daz si fuumlr solden gan

Sie erhielten die Erlaubnis daszlig sie vortraten Im Mittelhochdeutschen fehlt der Artikel bei festen Redewendungen wie Nibelungenshylied mere sagen daz danc sagen daz gedingen haben daz muot haben daz middot Aventin freiheit geben haben erlangen daz gnad geben erwerben daz neutralitatem halten daz gluumlk geben (neben das gluumlk geben) daz usw G Kinateder Die syntaktischen Funktionen der Konjunktion daszlig bei Aventin Phi Diss Muumlnchen 1897 S 53 ff 36 Vgl Otfrid II 128 V 1149 f thaz gizami thaz III 2075f thill selbun dat middot thaz V 643 f thio langun missidati thaz III 2511 f thie fristi thaz middot CV 2586) V 1145 f thes beren thinges thaz 12345 in thiu thing thaz middot III 2094 f thaz altar thaz I 231 f zi theru stullu zi theru ziti thaz

7 ZfdPh (Band 112 Heft 1) 97

Rosemarie Luumlhr

Ganz vereinzelt findet sich auch schon der unbestimmte Artikel bei der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz im Alt- und Mittelhochdeutschen vgl

Otfrid III 1633 f lh deta ein werk maraz giwisso wizit ir thaz theih bi einan man gimeinta in sambazdag giheilta Ich tat ein groszliges Werk gewiszlig wiszligt ihr das daszlig ich [mich] in betreff eines Mannes entschied ihn am Sabbat geheilt habe37

(22) Nibelungenlied 11311 H Da sprach der kuumlnic Gunther ich swuor ir einen eit daz ich ir getdte nimmer mere leit und wil es [uumlrbaz huumleten (23) 13702 ff die heten einen muot daz si da niht ensparten deheiner stahte guot 38

Daszlig die Verbindung unbestimmter Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen auftritt ist erstaunlich denn auszligerhalb dieser Fuumlgung kommt der unbestimmte Artikel bei Abstrakta in dieser Sprachstufe nur gelegentlich

39vor

Notker 11 16514 H dia tougeni unserro herzon daz II 14723 f Dia gnada daz I 6916 ff dero uneron daz II 55917 f Soliches segenes daz 11 1946 f dem missetate daz II 7315 f des leides daz II 16012 ff des tinges daz II 6125 H an dinero heilhafti daz I 5813 H die uuana taz II 1921 f daz unreht daz II 4879 f die guollichi daz (II 4872 H) I 3572 H tia barun not taz (15737 L) II 53927 H fone deme leide daz II 7622 f fone dien sculden daz I 3611 H an demo dinge dJz (II 10713 H) I 20416 f iro rihti daz (konsekutiv) Auch bei den Eigenschaftsbezeichnungen deren daszlig-Satz eine konsekutive Faumlrbung hat findet sich der Artikel vgL Ottrid V 59 thia beldida thaz IV 3613 sino gUat~ thaz V 2530 f minera dumpheiti mines selbes ubili thaz Notker I 5568 H mit tem baldi daz I 45223 H dia uesti taz II 2244 f dia bruti daz 129813 f sin ernest daz II 31724 f iro brOdi daz 37 Nicht sicher ist der unbestimmte Artikel nachweisbar in Otfrid III 1517 Lertun sie nan einan ruam thaz er gidJti imo einan duam imo ein gizami thaz er zeru firu quami Sie belehrten ihn daszlig er sich einen Ruhm verschaffen muumlsse ein Ansehen eine wundershybare Tat daszlig er zu der Feier komme Anders sind wohl zu beurteilen Tatian 226 then scuof her namon thaz sie hiezzin Boanerges fuumlr lat quibus inposuit nomina Boanerges Notker I 30130 f pe diu habet si einen anderen namen daz si intellectus beizet vgL I 75217 f II 28514 f 38 Vgl auch Aventin ein zeit das Kinateder [Anm 34] S 53 39 Vgl Behaghel [Anm22] S47 (Otfrid einan ruam) Nach PaullWiehlGrosse [Anm 16] S385 wird im Mittelhochdeutschen der unbestimmte Artikel mit dem

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Die Ergebnisse der Untersuchung des Gegensatzpaars generalisierend - idenshytifizierend im aumllteren Deutsch sind Schon im Althochdeutschen erscheint vor der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz fast ausnahmslos der Artikel und zwar in der Mehrzahl der Faumllle der bestimmte Artikel gelegentlich aber auch der unbestimmte Artikel Daher besteht Grund zu der Annahme daszlig die Entwickshylung zur Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz in dieser Sprachstufe so ziemlich abgeschlossen ist Der generalisierenden Funktion des O-Artikels steht in der Verbindung mit Abstrakta + daszlig-Satz die individualisierende Funktion des bestimmten und unbestimmten Artikels gegenuumlber die die einen Einzelsachshyverhalt aussondernde Funktion dieses Nebensatzes unterstuumltzt Fuumlr die syntaktishyschen Restriktionen bei Abstrakta ergibt sich somit Wahrscheinlich schon zur Zeit Otfrids blockiert der O-Artikel die Verbindung eines Abstraktums mit

einem daszlig-Satz

2 diskontinuativ kontinuativ

Wie die Belege unter (17) zeigen konnten bereits im Althochdeutschen Abstrakta des Typs Gluumlck also solche Abstrakta die das Bedeutungsmerkmal diskontinuativ haben mit einem daszlig-Satz verbunden werden

Diesen stehen Zustandsbezeichnungen gegenuumlber die an keiner Belegstelle mit einem daszlig-Satz auftreten vgl etwa

(24)40 Ahd Nob suaznissi Liebe [ridu restt Friede ruowa stillimuoti Ruhe41 stilnissi Stille tougalnessi Verborgenheit unruowa giruornissi Unshy

ruhe

Mhd liebe vride ruowe

Es ist nicht zu uumlbersehen daszlig es sich hier gerade um solche Abstrakta handelt bei denen auch im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz vorkommt Das legt die Folgerung nahe daszlig diese Abstrakta wie das neuhochdeutsche Abstraktum Friede das Bedeutungsmerkmal kontinuativ haben Trifft dies zu so kann man sagen daszlig schon vom Althochdeutschen an das Bedeutungsmerkmal kontinuashytiv eine Restriktion fuumlr die Kombinierbarkeit mit einem daszlig-Satz darstellt

Abstraktum verbunden bull wenn eine Erscheinungsform des Begriffs bezeichnet werden soll (Nibelungenlied einen grozen nit) vgl auch F Zimmer Das artikellose Substantivum in den Predigten Bertholds von Regensburg in Beitraumlge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 26 1901 S 354 40 Hat ein Wort mehrere Bedeutungen erfolgt eine Angabe nur der Bedeutung(en) die fuumlr die jeweilige Einordnung einschlaumlgig ist (sind) 41 Im Neuhochdeutschen ist allerdines moumlelich Er hatte nicht die Ruhe daszligmiddot (vgL Anm27)

7 99

Rosemarie Luumlhr

3 nichtidentifizierend - identifizierend Das dritte Begriffs- und Analysepaar naumlmlich der Gegensatz nichtidentifizieshyrend identifizierend wurde anhand von nhd Ungluumlck einerseits und Unfall und Verletzung andererseits eroumlrtert Daszlig im Falle von Unfall und Verletzung im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz auftritt wurde damit begruumlndet daszlig bei diesen Vorgangsbezeichnungen gleichzeitig andere Vorstellungen mit dem Abstraktum verbunden sind die den gemeinten Sachverhalt identifizieren Aus dem mit dem Abstraktum bezeichneten Begriff ist somit kein Einzelsachverhalt ableitbar Geht man nun der Frage nach ob auch in den untersuchten alt- und mittelhochdeutschen Quellen das Merkmal identifizierend bei Abstrakta eine Restriktion fuumlr einen daszlig-Satz darstellt so empfiehlt es sich solche Abstrakta zu untersuchen die gegebenenfalls zusammen mit Synonymen mindestens zehnmal belegt sind Es wird die Beleglage von Abstrakta die Verfolgung Untergang und Auferstehung bedeuten betrachtet (25) Ahd aumlhtunga Verfolgung ferlornissa ferlornissida zegengeda Untershygang irstantnissi urstendi urstendida Auferstehung

Vgl etwa aus dem Mhd die semantischen Entsprechungen ahte ervolgunge jage Verfolgung niderganc zergancnisse Untergang uferstandunge Aufershystehung42

Im Neuhochdeutschen ist bei Abstrakta mit solchen Bedeutungen der bezeichshynete Sachverhalt identifiziert weshalb keine attributiven daszlig-Saumltze auftreten Fuumlr das aumlltere Deutsch ist dies in gleicher Weise zu erwarten In der Tat finden sich auch im Alt- und Mittelhochdeutschen nach Abstrakta der Bedeutung Verfolgung Untergang und Auferstehung keine daszlig-Saumltze Es erscheinen vielmehr Ausdrucksweisen wie die folgende (26) Notker 11 52315 f Du bist fundamentum du habest kestatet dina tccleshysiam unde dannan uueret si ane zegengeda Du bist das Fundament du hast deine Kirche errichtet und von da an waumlhrt sie ohne Untergang

Weil hier davon die Rede ist daszlig die Kirche nicht vom Untergang bedroht ist ist der Sachverhalt auf den der Begriff zegengeda zutrifft identifiziert Damit eruumlbrigt sich der Anschluszlig eines einen bestimmten Sachverhalt aussondernden daszlig-Satzes

Da also sowohl im Neuhochdeutschen wie im Alt- und Mittelhochdeutschen Vorgangsbezeichnungen durch die ein Sachverhalt identifiziert wird43 keinen

42 Die mittelhochdeutschen Belege sind unterschiedlichen Quellen entnommen 43 Auch bei bestimmten Zustandsbezeichnungen ist der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert weshalb kein daszlig-Satz auftreten kann vgl etwa ahd irwartnissa Vergaumlngshylichkeit armuati Armutfriuntscaf(t) huldl Freundschaft (in den Bedeutungen Huld Gunst Gnade waumlre bei huldl jedoch ein daszlig-Satz anschlieszligbar)ientscaft Feindschaft gesundeda heilida Gesundheit cuumlmida Krankheit ewarttuom Priestertum Priestershyamt alt Alter mhd vriuntschaft vientschaft

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

daszlig-Satz neben sich haben kann die Folgerung nur ~ein daszlig schon im aumllteren Deutsch das Merkmal identifizierend die Anschlieszligbarkeit eines daszlig-Satzes

bei Abstrakta verhindert

C Zusammenfassung und Ausblick

Die Untersuchung einiger syntaktischer Restriktionen bei Abstrakta des heutishygen und aumllteren Deutsch hat folgendes ergeben Wie im Neuhochdeutschen haben bereits im Alt- und Mittelhochdeutschen die semantischen Merkmale generalisierend kontinuativ und identifizierend den Anschluszlig eines daszligshySatzes bei einem Abstraktum blockiert Waumlhrend die Bedeutungsmerkmale kontinuativ und identifizierend einem Abstraktum inhaumlrieren - die neushyhochdeutschen Beispiele waren die Abstrakta Friede und Unfall (Verletzung)- kam das Bedeutungsmerkmal generalisierend in dem ungrammatischen Beishyspiel Gluumlck daszlig dadurch zustande daszlig ein Abstraktum ohne Artikel verwenshydet wurde Soweit aus den Belegen ableitbar ist sind bei den untersuchten Restriktionen kaum Sprachwandelphaumlnomene nachweisbar Dies gilt auch fuumlr das am Artikel festgemachte Begriffs- und Analysepaar individualisierend shygeneralisierend Denn obwohl im Althochdeutschen der Artikel bei Abstrakta noch nicht in der Weise ausgebildet war wie im Neuhochdeutschen ist die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen von woumlrtlichen Nachahmungen des Lateinischen abgesehen fast durchwegs vom Artikel begleitet und zwar sowohl vom bestimmten als auch vom unbestimmten Artikel Es fragt sich nun ob mit den am Neuhochdeutschen festgestellten und am alt- und mittelhochdeutschen Sprachmaterial bestaumltigten drei semantischen Merkmalen generalisierend kontinuativ und identifizierend generelle Merkmale fuumlr die Blockierung von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta gefunden worden sind Zur Beantwortung dieser Frage soll keine moderne europaumlische Sprache herangezogen werden44 sondern das Lateinische bis zum Mittellateinischen Denn erstens ist diese Form des Lateinischen wie das Alt- und Mittelhochdeutshysche eine Corpussprache zweitens besitzt das Lateinische wie zu sehen war auch die Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz und zwar mit den Konjunktioshynen quod quia und ut und drittens stehen das Lateinische und Deutsche genetisch in keinem zu engen Verwandtschaftsverhaumlltnis

44 Vgl etwa die stets mit dem Artikel oder einem anderen Artikelwort auftretenden Fuumlgungen frz lidee que lespoir que weitere Abstrakta in solchen Fuumlgungen sind annonce assurance avis bruit certitude chose conviction crainte croyance desir doute fait impression joie malheur nouvelle opinion ordre pensee peur preuve principe promesse regret sentiment serment signe tImoignage vom volonte (M Grevisse Le Bon Usage Grammaire fran~aise daujordhui Paris-Gembloux 111980 0deg 3423 2556 2593) und ne the fact that the opinion that usw

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Rosemarie Luumlhr

Die Ergebnisse der Untersuchung sind Zustandsbezeichnungen des Typs Friede45

also die Abstrakta mit dem Bedeutungsmerkmal kontinuativ treten im Lateinischen ebensowenig wie im Deutschen mit einem daszlig-Satz auf Gleishyches gilt fuumlr Vorgangsbezeichnungen des Typs Unfalto der gegenuumlber dem Typ Ungluumlck einen Sachverhalt identifiziert Dagegen koumlnnen im Lateinischen wie im Deutschen Abstrakta mit der Bedeutung

(27) Meinung (sententia opinio) Zeugnis (testimonium) Antwort (responshysum) Glaube ifides) Trost (consolatio) Gebot (mandatum) Angelegenshyheit (res) Gelegenheit (occasio opportunitas) Gut (bonumt7

mit einem daszlig-Satz verbunden werden Da von diesen Abstrakta die Woumlrter fuumlr Angelegenheit Gelegenheit und Gut dem deutschen Typ Gluumlck mit dem Bedeutungsmerkmal diskontinuativ zuzurechnen sind scheint dieses Bedeushytungsmerkmal auf jeden Fall eine Bedingung fuumlr die Kombinierbarkeit eines dem Typ Gluumlck angehoumlrigen Abstraktums mit einem daszlig-Satz darzustellen Obwohl das Lateinische nicht uumlber ein Artikelsystem wie das Deutsche vershyfuumlgt48 gibt es Hinweise darauf daszlig auch das Lateinische dazu neigt die spezifizierende Funktion des daszlig-Satzes durch ein individualisierendes Artikelshywort wie ille oder unus beim Abstraktum zu unterstuumltzen vgl Fuumlgungen wie illa sententia quod una consolatio quod Da dem so ist scheinen das Lateinische und das Deutsche unabhaumlngig voneinander hinsichtlich der Bedingungen sowohl fuumlr das Auftreten als auch fuumlr das Fehlen von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta die gleichen Eigenschaften zu besitzen

Diese Behauptung kann durch ein Faktum der aumluszligeren Sprachgeschichte des Deutschen gestuumltzt werden Notker von St Gallen lieszlig oftmals bei seinen Uumlbersetzungen lateinische Begriffe die seinen Schuumllern schon bekannt waren oder die als Fachausdruumlcke galten unuumlbersetzt wodurch eine althochdeutschshylateinische Mischprosa entstand Was nun die hier interessierende althochdeutshysche Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz angeht so hat Notker vollkomshymen korrekt in diese Fuumlgungen zuweilen solche lateinischen Abstrakta ein geshy

45 Vgl lat Wahrheit (veritas) Liebe (amor caritas pietas benevolentia induigentia usw) Friede (pax) Ruhe (requies tranquillitas otium) Stille (silentium) ferner Zustandsbezeichnungen bei denen der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert ist wie Vergaumlnglichkeit (brevitas fragiiitas) Armut (paupertas mopia egestas) Freundschaft (amicitia necessitudo) Feindschaft (inimicitia dissensio) vgl Anm 43 46 Vgl lateinische Verbalabstrakta wie perturbatio Verwirrung defensio Verteidigung unio Vereinigung 47 Mit lat benignitas quod (A Draeger Historische Syntax der lateinischen Sprache Bd H Leipzig 21878 S 220 f) vgl nhd die Kraft daszlig Derartige Belege finden sich im Altlatein (z B bei Plautus) dann aber vor allem im Mittel- und Spaumltlatein 48 Vgl J B HofmannlA Szantyr Lateinische Syntax und Stilistik (Handbuch der Altertumswissenschaft II 22) Muumlnchen 1965 S 191 H

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~f~j - rlt1IItt i$ 4il 4JIt k( 41

Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

setzt die von ihrer Bedeutung her mit einem daszlig-Satz verbunden werden

koumlnnen vgl

(28) Notker I 1025 ff Tarazuo triffet tisiu disputatio daz diuitif den man nemugen saligen getuon Dazu paszligt diese disputatio (Eroumlrterung) daszlig Reichtuumlmer den Menschen nicht selig machen koumlnnen

(29) I 2508 f dien fOlget note diu conclusio daz al daztir ist kuot ist daraus folgt notwendigerweise die conclusio (der Schluszlig) daszlig alles was ist

bull 49gut Ist

Wichtig ist daszlig fuumlr diese Stellen ein unmittelbares lateinisches Vorbild fehlt Notker der wie man annimmt die lateinische Sprache ebenso gediegen wie seine Muttersprache zu handhaben verstand konnte deswegen bewuszligt oder unbewuszligt ein lateinisches Abstraktum zwanglos in eine deutsche Fuumlgung einpasshysen weil die Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz nicht nur in beiden Sprachen vorhanden ist sondern auch die Restriktionen eingeschlossen in uumlbereinstimmender Weise funktionierte

Sind die vorgebrachten Uumlberlegungen richtig so ist diesmal mit der inneren Sprachgeschichte des Deutschen ganz anders verfahren worden als es sonst allgemein uumlblich ist Sonst wird die innere Sprachgeschichte meistens dazu benutzt auffallende synchron nicht weiter erklaumlrbare Erscheinungen der Gegenwartssprache genetisch herzuleiten was oftmals mit der Beschreibung von Sprachwandelphaumlnomenen verbunden ist In der vorliegenden Untersuchung wurden dagegen syntaktische Besonderheiten des Neuhochdeutschen zu erklaumlshyren versucht und dann auf entsprechende Regularitaumlten in den aumllteren Stufen des Deutschen verwiesen5o Die Sprachgeschichte diente somit als Stuumltze fuumlr die Auffassung daszlig mit den Restriktionen genereller wirkende Regeln gefunden worden sind Daszlig mit solchen Regeln zu rechnen ist machte auch der Vergleich mit dem Lateinischen wahrscheinlich wie gezeigt verfuumlgt diese Sprache uumlber die entsprechende Konstruktion und uumlber Restriktionen wie sie das Deutsche

aufweist

49 Auch die folgenden lateinischen Abstrakta erscheinen bei Notker in der Konstruktion Abstraktum + daz-Satz exultatio Freude ordo Ordnung consequentia () Folge contrarium Gegenteil scandalum Aumlrgernis natura Wesen 50 Vgl W Labovs Some principles of linguistic methodology in Language and Society 1 (1972) S 101 On the use of the present to explain the past in Proceedings of the Eleventh International Congress of Linguists Bologna-Florence Aug 28-Sept 2 1972 ed by L Heilmann Bologna S 849 uniformitarian principle bull The linguistic processhyses taking place around us are the same as those that have operated to produce the historical record ferner C Christy Uniformitarianism in Linguistics (Amsterdam Studies in the Theory and History of Linguistic Science 31) AmsterdamPhiladelphia 1983 S 51 80

103

Rosemarie Luumlhr Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Hinzu kam der Gluumlcksfall daszlig Notkers deutsch-lateinische Sprachkompetenz die Auffassung stuumltzt daszlig die untersuchte Konstruktion mitsamt ihren Restrikshytionen in beiden Sprachen weitgehend identisch ist Dies gibt hinreichend Anlaszlig zu der an die kuumlnftige Forschung zu richtenden Forderung daszlig bei Untersushychungen von Phaumlnomenen der inneren Sprachgeschichte auch die aumluszligere Sprachgeschichte gebuumlhrend zu beruumlcksichtigen ist

t f

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Page 9: ZEITSCHRIFT FVR DEUTSCHE PHILOLOGIEdwee.eu/Rosemarie_Luehr/userfiles/downloads/Sonderdruck... · 2017. 12. 22. · Besm . und Hanmut Steinedte in Verbindung mit Christoph Conneau

Rosemarie Luumlhr

Nibelungenlied geluumlcke Gluumlck heil Heil ungemach Ungluumlck era Ehre liep GefallenJO

Bemerkenswen ist daszlig die Bedeutungen der alt- und mittelhochdeutschen Abstrakta der dritten Gruppe genau bei den Abstrakta auftreten31

die im Neuhochdeutschen ebenfalls mit einem daszlig-Satz verbunden werden koumlnnen 32

1 individualisierend - generalisierend

Wendet man sich nun den drei in Zusammenhang mit den Restriktionen bei Abstrakta aufgestellten Begriffs- und Analysepaaren im Alt- und Mittelhochshydeutschen zu so empfiehlt es sich wieder mit dem Gegensatzpaar individualishysierend - generalisierend zu beginnen wie bemerkt ist dieses an die Verwenshydung des Artikels geknuumlpft Zunaumlchst einmal ist zu bemerken daszlig im Althochshydeutschen Abstrakta noch artikellos vorkommen koumlnnen die im heutigen Deutsch mit einem Artikel verwendet werden muumlssen vgl

30 Abstrakta mit daszlig-Satz in Wolframs von Eschenbach Parzival sind art bete botschaft dinc ere gedanke gewalt gewin helfe klage kumber Ion mere not rat riwe selde schult sin site stat teidinc tac trost trure urbot volge vuore werc wUe wille witze wunder ZUuml zit zorn Auffallend ist sippe daz (H Baumltjer Die verwendung der konjunkshytion daz in Wolfram von Eschenbachs Parzival Phil Diss Marburg 1890 S 42 ff) Und bei Hartmann von Aue begegnen gedanc reht mere heil trost list rat gedinge wan gewalt wort pris zwivel guot torheit sage wille gehenge selde guumlete gemuumlete dinc gewinn tugende ere valsch schade (Hornig Formen und gebrauch des satzartikels oder der conjunction daz bei Hartmarm von Aue Eine grammatische studie Programm der Ritter-Akademie zu Brandenburg Brandenburg 1847 S 5 f 13 f 17) Auch bei Bertshyhold von Regensburg erscheint die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz Es finden sich Bezugswoumlrter wie zit tac dienest vgl auch Ausdrucksweisen wie 52918 der muoz die juncfrouwen haben diu da heizet gerehtikeit daz er ze rehte guumltet unde widergit II 20610 daz ist gar ein griulichiu suumlnde unde sie heizet unkiusche daz man und frouwen unkiusche sint mit einander (H Roetteken Der zusammengesetzte Satz bei Berthold von Regensshyburg Ein Beitrag zur mittelhochdeutschen Syntax Straszligburg 1884 66 f) In der mittelshyhochdeutschen Urkundensprache begegnen u a gewalt reht zit gehuumlgede beziugede warnung unschult mit daszlig-Satz (B KirschsteinlU Schulze Woumlrterbuch der mittelhochshydeutschen Urkundensprache auf der Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurshykunden bis zum Jahre 13004 Lfg brief-dingen Berlin 1989 S 360) 31 Innerhalb der dritten Gruppe fehlen im Althochdeutschen noch Bezeichnungen fuumlr Ereignisse wie Gluumlcksfall Vorfall Zufall Ruumlckschlag Abenteuer 32 In einem Fall verhaumllt es sich scheinbar anders Tatian 2205 noh thanne ni uuestun sie giscrib thaz inan gilanf fon tode zi arstantanne nondum enim sciebant scripturam quill oportet eum a mortuis resuTgere Luther Joh 209 Denn sie wusten die Schrifft noch nicht I das er von den Todten aufferstehen muste Mentel Joh 209 Wann er wesst dennoch nit die schrifft das im gezam zersteen von den dotten nhd Denn sie kannten die Aussage der Schrift noch nicht daszlig er von den Toten auferstehen wuumlrde Ahd giscrib friihnhd Schrifft fungiert hier jedoch nicht als Konkreshytum sondern als Abstraktum mit der Bedeutung Aussage der Schrift

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

(18) Otfrid I 1818 so duat uns ubarmuati So bestraft uns der UumlbermutJ)

Geht man nun zu der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz uumlber so fehlt der Artikel in der Tatianuumlbersetzung genau wie bei dem lateinischen Vorbild vgl

(19) Tatian 1542 inti fon thanan suohta gilumphida thaz her in salti uzzan menigi und von da an suchte er die Gelegenheit daszlig er ihn auszligerhalb der Menge ausliefern konnte fuumlr lat et exinde querebat oportunitatem ut eum

traderet sine tubis 34

Anders steht es wenn kein lateinisches Vorbild zugrunde liegt Der bestimmte Artikel oder ein anderes ihn vertretendes Artikelwort erscheint fast durchwegs35

vgl

(20) Otfrid III 1643 f Ziu ist thanne iu widarmuati thisu selba guati theih einan man allan in then dag deta heilan Warum ist euch dann eben diese gute Tat zuwider daszlig ich einen Menschen ganz und gar an dem Tag geheilt habe36

n Behaghel [Anm22] S 68 ff vgl auch Hartrnann [Anm 7] S 85 f zum Mittelshyhochdeutschen 4 Vg ferner Tatian 147 intiih gisah intigiuuiznessisageta thaz therist gotes sun fuumlr lat et ego vidi et testimonium perhibui quill hic est filius dei 215 giuuizscaj thaz fuumlr lat testimonium quod 2205 giscrib thaz fuumlr lat scriptura quill 88 antvvurte thaz fuumlr lat Tesponso ne (vg Tatian 74) 13534 bibot thaz fuumlr lat mandatum ut Die Verbindung Adjektiv und Artikel erscheint 1606 Niuui bibot thaz fuumlr lat Mandatum novum ut 35 Ausnahmen sind Notker I 816 15 f loh nu dunchet mir muoza zegesehenne daz ih lesendo geeiscota fone dem demonum guoti I 3327 f Fure triuuon dang engilto ih unsculde unde lukkes unliumendes taz Eh si reus maiestatis Pro premiis uerl uirtutis subimus poenas falsi sceleris Vgl aus dem Nibelungenlied 8781 ff Urloup sie gewunnen daz si fuumlr solden gan

Sie erhielten die Erlaubnis daszlig sie vortraten Im Mittelhochdeutschen fehlt der Artikel bei festen Redewendungen wie Nibelungenshylied mere sagen daz danc sagen daz gedingen haben daz muot haben daz middot Aventin freiheit geben haben erlangen daz gnad geben erwerben daz neutralitatem halten daz gluumlk geben (neben das gluumlk geben) daz usw G Kinateder Die syntaktischen Funktionen der Konjunktion daszlig bei Aventin Phi Diss Muumlnchen 1897 S 53 ff 36 Vgl Otfrid II 128 V 1149 f thaz gizami thaz III 2075f thill selbun dat middot thaz V 643 f thio langun missidati thaz III 2511 f thie fristi thaz middot CV 2586) V 1145 f thes beren thinges thaz 12345 in thiu thing thaz middot III 2094 f thaz altar thaz I 231 f zi theru stullu zi theru ziti thaz

7 ZfdPh (Band 112 Heft 1) 97

Rosemarie Luumlhr

Ganz vereinzelt findet sich auch schon der unbestimmte Artikel bei der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz im Alt- und Mittelhochdeutschen vgl

Otfrid III 1633 f lh deta ein werk maraz giwisso wizit ir thaz theih bi einan man gimeinta in sambazdag giheilta Ich tat ein groszliges Werk gewiszlig wiszligt ihr das daszlig ich [mich] in betreff eines Mannes entschied ihn am Sabbat geheilt habe37

(22) Nibelungenlied 11311 H Da sprach der kuumlnic Gunther ich swuor ir einen eit daz ich ir getdte nimmer mere leit und wil es [uumlrbaz huumleten (23) 13702 ff die heten einen muot daz si da niht ensparten deheiner stahte guot 38

Daszlig die Verbindung unbestimmter Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen auftritt ist erstaunlich denn auszligerhalb dieser Fuumlgung kommt der unbestimmte Artikel bei Abstrakta in dieser Sprachstufe nur gelegentlich

39vor

Notker 11 16514 H dia tougeni unserro herzon daz II 14723 f Dia gnada daz I 6916 ff dero uneron daz II 55917 f Soliches segenes daz 11 1946 f dem missetate daz II 7315 f des leides daz II 16012 ff des tinges daz II 6125 H an dinero heilhafti daz I 5813 H die uuana taz II 1921 f daz unreht daz II 4879 f die guollichi daz (II 4872 H) I 3572 H tia barun not taz (15737 L) II 53927 H fone deme leide daz II 7622 f fone dien sculden daz I 3611 H an demo dinge dJz (II 10713 H) I 20416 f iro rihti daz (konsekutiv) Auch bei den Eigenschaftsbezeichnungen deren daszlig-Satz eine konsekutive Faumlrbung hat findet sich der Artikel vgL Ottrid V 59 thia beldida thaz IV 3613 sino gUat~ thaz V 2530 f minera dumpheiti mines selbes ubili thaz Notker I 5568 H mit tem baldi daz I 45223 H dia uesti taz II 2244 f dia bruti daz 129813 f sin ernest daz II 31724 f iro brOdi daz 37 Nicht sicher ist der unbestimmte Artikel nachweisbar in Otfrid III 1517 Lertun sie nan einan ruam thaz er gidJti imo einan duam imo ein gizami thaz er zeru firu quami Sie belehrten ihn daszlig er sich einen Ruhm verschaffen muumlsse ein Ansehen eine wundershybare Tat daszlig er zu der Feier komme Anders sind wohl zu beurteilen Tatian 226 then scuof her namon thaz sie hiezzin Boanerges fuumlr lat quibus inposuit nomina Boanerges Notker I 30130 f pe diu habet si einen anderen namen daz si intellectus beizet vgL I 75217 f II 28514 f 38 Vgl auch Aventin ein zeit das Kinateder [Anm 34] S 53 39 Vgl Behaghel [Anm22] S47 (Otfrid einan ruam) Nach PaullWiehlGrosse [Anm 16] S385 wird im Mittelhochdeutschen der unbestimmte Artikel mit dem

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Die Ergebnisse der Untersuchung des Gegensatzpaars generalisierend - idenshytifizierend im aumllteren Deutsch sind Schon im Althochdeutschen erscheint vor der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz fast ausnahmslos der Artikel und zwar in der Mehrzahl der Faumllle der bestimmte Artikel gelegentlich aber auch der unbestimmte Artikel Daher besteht Grund zu der Annahme daszlig die Entwickshylung zur Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz in dieser Sprachstufe so ziemlich abgeschlossen ist Der generalisierenden Funktion des O-Artikels steht in der Verbindung mit Abstrakta + daszlig-Satz die individualisierende Funktion des bestimmten und unbestimmten Artikels gegenuumlber die die einen Einzelsachshyverhalt aussondernde Funktion dieses Nebensatzes unterstuumltzt Fuumlr die syntaktishyschen Restriktionen bei Abstrakta ergibt sich somit Wahrscheinlich schon zur Zeit Otfrids blockiert der O-Artikel die Verbindung eines Abstraktums mit

einem daszlig-Satz

2 diskontinuativ kontinuativ

Wie die Belege unter (17) zeigen konnten bereits im Althochdeutschen Abstrakta des Typs Gluumlck also solche Abstrakta die das Bedeutungsmerkmal diskontinuativ haben mit einem daszlig-Satz verbunden werden

Diesen stehen Zustandsbezeichnungen gegenuumlber die an keiner Belegstelle mit einem daszlig-Satz auftreten vgl etwa

(24)40 Ahd Nob suaznissi Liebe [ridu restt Friede ruowa stillimuoti Ruhe41 stilnissi Stille tougalnessi Verborgenheit unruowa giruornissi Unshy

ruhe

Mhd liebe vride ruowe

Es ist nicht zu uumlbersehen daszlig es sich hier gerade um solche Abstrakta handelt bei denen auch im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz vorkommt Das legt die Folgerung nahe daszlig diese Abstrakta wie das neuhochdeutsche Abstraktum Friede das Bedeutungsmerkmal kontinuativ haben Trifft dies zu so kann man sagen daszlig schon vom Althochdeutschen an das Bedeutungsmerkmal kontinuashytiv eine Restriktion fuumlr die Kombinierbarkeit mit einem daszlig-Satz darstellt

Abstraktum verbunden bull wenn eine Erscheinungsform des Begriffs bezeichnet werden soll (Nibelungenlied einen grozen nit) vgl auch F Zimmer Das artikellose Substantivum in den Predigten Bertholds von Regensburg in Beitraumlge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 26 1901 S 354 40 Hat ein Wort mehrere Bedeutungen erfolgt eine Angabe nur der Bedeutung(en) die fuumlr die jeweilige Einordnung einschlaumlgig ist (sind) 41 Im Neuhochdeutschen ist allerdines moumlelich Er hatte nicht die Ruhe daszligmiddot (vgL Anm27)

7 99

Rosemarie Luumlhr

3 nichtidentifizierend - identifizierend Das dritte Begriffs- und Analysepaar naumlmlich der Gegensatz nichtidentifizieshyrend identifizierend wurde anhand von nhd Ungluumlck einerseits und Unfall und Verletzung andererseits eroumlrtert Daszlig im Falle von Unfall und Verletzung im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz auftritt wurde damit begruumlndet daszlig bei diesen Vorgangsbezeichnungen gleichzeitig andere Vorstellungen mit dem Abstraktum verbunden sind die den gemeinten Sachverhalt identifizieren Aus dem mit dem Abstraktum bezeichneten Begriff ist somit kein Einzelsachverhalt ableitbar Geht man nun der Frage nach ob auch in den untersuchten alt- und mittelhochdeutschen Quellen das Merkmal identifizierend bei Abstrakta eine Restriktion fuumlr einen daszlig-Satz darstellt so empfiehlt es sich solche Abstrakta zu untersuchen die gegebenenfalls zusammen mit Synonymen mindestens zehnmal belegt sind Es wird die Beleglage von Abstrakta die Verfolgung Untergang und Auferstehung bedeuten betrachtet (25) Ahd aumlhtunga Verfolgung ferlornissa ferlornissida zegengeda Untershygang irstantnissi urstendi urstendida Auferstehung

Vgl etwa aus dem Mhd die semantischen Entsprechungen ahte ervolgunge jage Verfolgung niderganc zergancnisse Untergang uferstandunge Aufershystehung42

Im Neuhochdeutschen ist bei Abstrakta mit solchen Bedeutungen der bezeichshynete Sachverhalt identifiziert weshalb keine attributiven daszlig-Saumltze auftreten Fuumlr das aumlltere Deutsch ist dies in gleicher Weise zu erwarten In der Tat finden sich auch im Alt- und Mittelhochdeutschen nach Abstrakta der Bedeutung Verfolgung Untergang und Auferstehung keine daszlig-Saumltze Es erscheinen vielmehr Ausdrucksweisen wie die folgende (26) Notker 11 52315 f Du bist fundamentum du habest kestatet dina tccleshysiam unde dannan uueret si ane zegengeda Du bist das Fundament du hast deine Kirche errichtet und von da an waumlhrt sie ohne Untergang

Weil hier davon die Rede ist daszlig die Kirche nicht vom Untergang bedroht ist ist der Sachverhalt auf den der Begriff zegengeda zutrifft identifiziert Damit eruumlbrigt sich der Anschluszlig eines einen bestimmten Sachverhalt aussondernden daszlig-Satzes

Da also sowohl im Neuhochdeutschen wie im Alt- und Mittelhochdeutschen Vorgangsbezeichnungen durch die ein Sachverhalt identifiziert wird43 keinen

42 Die mittelhochdeutschen Belege sind unterschiedlichen Quellen entnommen 43 Auch bei bestimmten Zustandsbezeichnungen ist der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert weshalb kein daszlig-Satz auftreten kann vgl etwa ahd irwartnissa Vergaumlngshylichkeit armuati Armutfriuntscaf(t) huldl Freundschaft (in den Bedeutungen Huld Gunst Gnade waumlre bei huldl jedoch ein daszlig-Satz anschlieszligbar)ientscaft Feindschaft gesundeda heilida Gesundheit cuumlmida Krankheit ewarttuom Priestertum Priestershyamt alt Alter mhd vriuntschaft vientschaft

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

daszlig-Satz neben sich haben kann die Folgerung nur ~ein daszlig schon im aumllteren Deutsch das Merkmal identifizierend die Anschlieszligbarkeit eines daszlig-Satzes

bei Abstrakta verhindert

C Zusammenfassung und Ausblick

Die Untersuchung einiger syntaktischer Restriktionen bei Abstrakta des heutishygen und aumllteren Deutsch hat folgendes ergeben Wie im Neuhochdeutschen haben bereits im Alt- und Mittelhochdeutschen die semantischen Merkmale generalisierend kontinuativ und identifizierend den Anschluszlig eines daszligshySatzes bei einem Abstraktum blockiert Waumlhrend die Bedeutungsmerkmale kontinuativ und identifizierend einem Abstraktum inhaumlrieren - die neushyhochdeutschen Beispiele waren die Abstrakta Friede und Unfall (Verletzung)- kam das Bedeutungsmerkmal generalisierend in dem ungrammatischen Beishyspiel Gluumlck daszlig dadurch zustande daszlig ein Abstraktum ohne Artikel verwenshydet wurde Soweit aus den Belegen ableitbar ist sind bei den untersuchten Restriktionen kaum Sprachwandelphaumlnomene nachweisbar Dies gilt auch fuumlr das am Artikel festgemachte Begriffs- und Analysepaar individualisierend shygeneralisierend Denn obwohl im Althochdeutschen der Artikel bei Abstrakta noch nicht in der Weise ausgebildet war wie im Neuhochdeutschen ist die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen von woumlrtlichen Nachahmungen des Lateinischen abgesehen fast durchwegs vom Artikel begleitet und zwar sowohl vom bestimmten als auch vom unbestimmten Artikel Es fragt sich nun ob mit den am Neuhochdeutschen festgestellten und am alt- und mittelhochdeutschen Sprachmaterial bestaumltigten drei semantischen Merkmalen generalisierend kontinuativ und identifizierend generelle Merkmale fuumlr die Blockierung von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta gefunden worden sind Zur Beantwortung dieser Frage soll keine moderne europaumlische Sprache herangezogen werden44 sondern das Lateinische bis zum Mittellateinischen Denn erstens ist diese Form des Lateinischen wie das Alt- und Mittelhochdeutshysche eine Corpussprache zweitens besitzt das Lateinische wie zu sehen war auch die Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz und zwar mit den Konjunktioshynen quod quia und ut und drittens stehen das Lateinische und Deutsche genetisch in keinem zu engen Verwandtschaftsverhaumlltnis

44 Vgl etwa die stets mit dem Artikel oder einem anderen Artikelwort auftretenden Fuumlgungen frz lidee que lespoir que weitere Abstrakta in solchen Fuumlgungen sind annonce assurance avis bruit certitude chose conviction crainte croyance desir doute fait impression joie malheur nouvelle opinion ordre pensee peur preuve principe promesse regret sentiment serment signe tImoignage vom volonte (M Grevisse Le Bon Usage Grammaire fran~aise daujordhui Paris-Gembloux 111980 0deg 3423 2556 2593) und ne the fact that the opinion that usw

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Rosemarie Luumlhr

Die Ergebnisse der Untersuchung sind Zustandsbezeichnungen des Typs Friede45

also die Abstrakta mit dem Bedeutungsmerkmal kontinuativ treten im Lateinischen ebensowenig wie im Deutschen mit einem daszlig-Satz auf Gleishyches gilt fuumlr Vorgangsbezeichnungen des Typs Unfalto der gegenuumlber dem Typ Ungluumlck einen Sachverhalt identifiziert Dagegen koumlnnen im Lateinischen wie im Deutschen Abstrakta mit der Bedeutung

(27) Meinung (sententia opinio) Zeugnis (testimonium) Antwort (responshysum) Glaube ifides) Trost (consolatio) Gebot (mandatum) Angelegenshyheit (res) Gelegenheit (occasio opportunitas) Gut (bonumt7

mit einem daszlig-Satz verbunden werden Da von diesen Abstrakta die Woumlrter fuumlr Angelegenheit Gelegenheit und Gut dem deutschen Typ Gluumlck mit dem Bedeutungsmerkmal diskontinuativ zuzurechnen sind scheint dieses Bedeushytungsmerkmal auf jeden Fall eine Bedingung fuumlr die Kombinierbarkeit eines dem Typ Gluumlck angehoumlrigen Abstraktums mit einem daszlig-Satz darzustellen Obwohl das Lateinische nicht uumlber ein Artikelsystem wie das Deutsche vershyfuumlgt48 gibt es Hinweise darauf daszlig auch das Lateinische dazu neigt die spezifizierende Funktion des daszlig-Satzes durch ein individualisierendes Artikelshywort wie ille oder unus beim Abstraktum zu unterstuumltzen vgl Fuumlgungen wie illa sententia quod una consolatio quod Da dem so ist scheinen das Lateinische und das Deutsche unabhaumlngig voneinander hinsichtlich der Bedingungen sowohl fuumlr das Auftreten als auch fuumlr das Fehlen von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta die gleichen Eigenschaften zu besitzen

Diese Behauptung kann durch ein Faktum der aumluszligeren Sprachgeschichte des Deutschen gestuumltzt werden Notker von St Gallen lieszlig oftmals bei seinen Uumlbersetzungen lateinische Begriffe die seinen Schuumllern schon bekannt waren oder die als Fachausdruumlcke galten unuumlbersetzt wodurch eine althochdeutschshylateinische Mischprosa entstand Was nun die hier interessierende althochdeutshysche Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz angeht so hat Notker vollkomshymen korrekt in diese Fuumlgungen zuweilen solche lateinischen Abstrakta ein geshy

45 Vgl lat Wahrheit (veritas) Liebe (amor caritas pietas benevolentia induigentia usw) Friede (pax) Ruhe (requies tranquillitas otium) Stille (silentium) ferner Zustandsbezeichnungen bei denen der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert ist wie Vergaumlnglichkeit (brevitas fragiiitas) Armut (paupertas mopia egestas) Freundschaft (amicitia necessitudo) Feindschaft (inimicitia dissensio) vgl Anm 43 46 Vgl lateinische Verbalabstrakta wie perturbatio Verwirrung defensio Verteidigung unio Vereinigung 47 Mit lat benignitas quod (A Draeger Historische Syntax der lateinischen Sprache Bd H Leipzig 21878 S 220 f) vgl nhd die Kraft daszlig Derartige Belege finden sich im Altlatein (z B bei Plautus) dann aber vor allem im Mittel- und Spaumltlatein 48 Vgl J B HofmannlA Szantyr Lateinische Syntax und Stilistik (Handbuch der Altertumswissenschaft II 22) Muumlnchen 1965 S 191 H

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~f~j - rlt1IItt i$ 4il 4JIt k( 41

Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

setzt die von ihrer Bedeutung her mit einem daszlig-Satz verbunden werden

koumlnnen vgl

(28) Notker I 1025 ff Tarazuo triffet tisiu disputatio daz diuitif den man nemugen saligen getuon Dazu paszligt diese disputatio (Eroumlrterung) daszlig Reichtuumlmer den Menschen nicht selig machen koumlnnen

(29) I 2508 f dien fOlget note diu conclusio daz al daztir ist kuot ist daraus folgt notwendigerweise die conclusio (der Schluszlig) daszlig alles was ist

bull 49gut Ist

Wichtig ist daszlig fuumlr diese Stellen ein unmittelbares lateinisches Vorbild fehlt Notker der wie man annimmt die lateinische Sprache ebenso gediegen wie seine Muttersprache zu handhaben verstand konnte deswegen bewuszligt oder unbewuszligt ein lateinisches Abstraktum zwanglos in eine deutsche Fuumlgung einpasshysen weil die Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz nicht nur in beiden Sprachen vorhanden ist sondern auch die Restriktionen eingeschlossen in uumlbereinstimmender Weise funktionierte

Sind die vorgebrachten Uumlberlegungen richtig so ist diesmal mit der inneren Sprachgeschichte des Deutschen ganz anders verfahren worden als es sonst allgemein uumlblich ist Sonst wird die innere Sprachgeschichte meistens dazu benutzt auffallende synchron nicht weiter erklaumlrbare Erscheinungen der Gegenwartssprache genetisch herzuleiten was oftmals mit der Beschreibung von Sprachwandelphaumlnomenen verbunden ist In der vorliegenden Untersuchung wurden dagegen syntaktische Besonderheiten des Neuhochdeutschen zu erklaumlshyren versucht und dann auf entsprechende Regularitaumlten in den aumllteren Stufen des Deutschen verwiesen5o Die Sprachgeschichte diente somit als Stuumltze fuumlr die Auffassung daszlig mit den Restriktionen genereller wirkende Regeln gefunden worden sind Daszlig mit solchen Regeln zu rechnen ist machte auch der Vergleich mit dem Lateinischen wahrscheinlich wie gezeigt verfuumlgt diese Sprache uumlber die entsprechende Konstruktion und uumlber Restriktionen wie sie das Deutsche

aufweist

49 Auch die folgenden lateinischen Abstrakta erscheinen bei Notker in der Konstruktion Abstraktum + daz-Satz exultatio Freude ordo Ordnung consequentia () Folge contrarium Gegenteil scandalum Aumlrgernis natura Wesen 50 Vgl W Labovs Some principles of linguistic methodology in Language and Society 1 (1972) S 101 On the use of the present to explain the past in Proceedings of the Eleventh International Congress of Linguists Bologna-Florence Aug 28-Sept 2 1972 ed by L Heilmann Bologna S 849 uniformitarian principle bull The linguistic processhyses taking place around us are the same as those that have operated to produce the historical record ferner C Christy Uniformitarianism in Linguistics (Amsterdam Studies in the Theory and History of Linguistic Science 31) AmsterdamPhiladelphia 1983 S 51 80

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Rosemarie Luumlhr Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Hinzu kam der Gluumlcksfall daszlig Notkers deutsch-lateinische Sprachkompetenz die Auffassung stuumltzt daszlig die untersuchte Konstruktion mitsamt ihren Restrikshytionen in beiden Sprachen weitgehend identisch ist Dies gibt hinreichend Anlaszlig zu der an die kuumlnftige Forschung zu richtenden Forderung daszlig bei Untersushychungen von Phaumlnomenen der inneren Sprachgeschichte auch die aumluszligere Sprachgeschichte gebuumlhrend zu beruumlcksichtigen ist

t f

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Page 10: ZEITSCHRIFT FVR DEUTSCHE PHILOLOGIEdwee.eu/Rosemarie_Luehr/userfiles/downloads/Sonderdruck... · 2017. 12. 22. · Besm . und Hanmut Steinedte in Verbindung mit Christoph Conneau

Rosemarie Luumlhr

Ganz vereinzelt findet sich auch schon der unbestimmte Artikel bei der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz im Alt- und Mittelhochdeutschen vgl

Otfrid III 1633 f lh deta ein werk maraz giwisso wizit ir thaz theih bi einan man gimeinta in sambazdag giheilta Ich tat ein groszliges Werk gewiszlig wiszligt ihr das daszlig ich [mich] in betreff eines Mannes entschied ihn am Sabbat geheilt habe37

(22) Nibelungenlied 11311 H Da sprach der kuumlnic Gunther ich swuor ir einen eit daz ich ir getdte nimmer mere leit und wil es [uumlrbaz huumleten (23) 13702 ff die heten einen muot daz si da niht ensparten deheiner stahte guot 38

Daszlig die Verbindung unbestimmter Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen auftritt ist erstaunlich denn auszligerhalb dieser Fuumlgung kommt der unbestimmte Artikel bei Abstrakta in dieser Sprachstufe nur gelegentlich

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Notker 11 16514 H dia tougeni unserro herzon daz II 14723 f Dia gnada daz I 6916 ff dero uneron daz II 55917 f Soliches segenes daz 11 1946 f dem missetate daz II 7315 f des leides daz II 16012 ff des tinges daz II 6125 H an dinero heilhafti daz I 5813 H die uuana taz II 1921 f daz unreht daz II 4879 f die guollichi daz (II 4872 H) I 3572 H tia barun not taz (15737 L) II 53927 H fone deme leide daz II 7622 f fone dien sculden daz I 3611 H an demo dinge dJz (II 10713 H) I 20416 f iro rihti daz (konsekutiv) Auch bei den Eigenschaftsbezeichnungen deren daszlig-Satz eine konsekutive Faumlrbung hat findet sich der Artikel vgL Ottrid V 59 thia beldida thaz IV 3613 sino gUat~ thaz V 2530 f minera dumpheiti mines selbes ubili thaz Notker I 5568 H mit tem baldi daz I 45223 H dia uesti taz II 2244 f dia bruti daz 129813 f sin ernest daz II 31724 f iro brOdi daz 37 Nicht sicher ist der unbestimmte Artikel nachweisbar in Otfrid III 1517 Lertun sie nan einan ruam thaz er gidJti imo einan duam imo ein gizami thaz er zeru firu quami Sie belehrten ihn daszlig er sich einen Ruhm verschaffen muumlsse ein Ansehen eine wundershybare Tat daszlig er zu der Feier komme Anders sind wohl zu beurteilen Tatian 226 then scuof her namon thaz sie hiezzin Boanerges fuumlr lat quibus inposuit nomina Boanerges Notker I 30130 f pe diu habet si einen anderen namen daz si intellectus beizet vgL I 75217 f II 28514 f 38 Vgl auch Aventin ein zeit das Kinateder [Anm 34] S 53 39 Vgl Behaghel [Anm22] S47 (Otfrid einan ruam) Nach PaullWiehlGrosse [Anm 16] S385 wird im Mittelhochdeutschen der unbestimmte Artikel mit dem

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Die Ergebnisse der Untersuchung des Gegensatzpaars generalisierend - idenshytifizierend im aumllteren Deutsch sind Schon im Althochdeutschen erscheint vor der Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz fast ausnahmslos der Artikel und zwar in der Mehrzahl der Faumllle der bestimmte Artikel gelegentlich aber auch der unbestimmte Artikel Daher besteht Grund zu der Annahme daszlig die Entwickshylung zur Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz in dieser Sprachstufe so ziemlich abgeschlossen ist Der generalisierenden Funktion des O-Artikels steht in der Verbindung mit Abstrakta + daszlig-Satz die individualisierende Funktion des bestimmten und unbestimmten Artikels gegenuumlber die die einen Einzelsachshyverhalt aussondernde Funktion dieses Nebensatzes unterstuumltzt Fuumlr die syntaktishyschen Restriktionen bei Abstrakta ergibt sich somit Wahrscheinlich schon zur Zeit Otfrids blockiert der O-Artikel die Verbindung eines Abstraktums mit

einem daszlig-Satz

2 diskontinuativ kontinuativ

Wie die Belege unter (17) zeigen konnten bereits im Althochdeutschen Abstrakta des Typs Gluumlck also solche Abstrakta die das Bedeutungsmerkmal diskontinuativ haben mit einem daszlig-Satz verbunden werden

Diesen stehen Zustandsbezeichnungen gegenuumlber die an keiner Belegstelle mit einem daszlig-Satz auftreten vgl etwa

(24)40 Ahd Nob suaznissi Liebe [ridu restt Friede ruowa stillimuoti Ruhe41 stilnissi Stille tougalnessi Verborgenheit unruowa giruornissi Unshy

ruhe

Mhd liebe vride ruowe

Es ist nicht zu uumlbersehen daszlig es sich hier gerade um solche Abstrakta handelt bei denen auch im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz vorkommt Das legt die Folgerung nahe daszlig diese Abstrakta wie das neuhochdeutsche Abstraktum Friede das Bedeutungsmerkmal kontinuativ haben Trifft dies zu so kann man sagen daszlig schon vom Althochdeutschen an das Bedeutungsmerkmal kontinuashytiv eine Restriktion fuumlr die Kombinierbarkeit mit einem daszlig-Satz darstellt

Abstraktum verbunden bull wenn eine Erscheinungsform des Begriffs bezeichnet werden soll (Nibelungenlied einen grozen nit) vgl auch F Zimmer Das artikellose Substantivum in den Predigten Bertholds von Regensburg in Beitraumlge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 26 1901 S 354 40 Hat ein Wort mehrere Bedeutungen erfolgt eine Angabe nur der Bedeutung(en) die fuumlr die jeweilige Einordnung einschlaumlgig ist (sind) 41 Im Neuhochdeutschen ist allerdines moumlelich Er hatte nicht die Ruhe daszligmiddot (vgL Anm27)

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Rosemarie Luumlhr

3 nichtidentifizierend - identifizierend Das dritte Begriffs- und Analysepaar naumlmlich der Gegensatz nichtidentifizieshyrend identifizierend wurde anhand von nhd Ungluumlck einerseits und Unfall und Verletzung andererseits eroumlrtert Daszlig im Falle von Unfall und Verletzung im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz auftritt wurde damit begruumlndet daszlig bei diesen Vorgangsbezeichnungen gleichzeitig andere Vorstellungen mit dem Abstraktum verbunden sind die den gemeinten Sachverhalt identifizieren Aus dem mit dem Abstraktum bezeichneten Begriff ist somit kein Einzelsachverhalt ableitbar Geht man nun der Frage nach ob auch in den untersuchten alt- und mittelhochdeutschen Quellen das Merkmal identifizierend bei Abstrakta eine Restriktion fuumlr einen daszlig-Satz darstellt so empfiehlt es sich solche Abstrakta zu untersuchen die gegebenenfalls zusammen mit Synonymen mindestens zehnmal belegt sind Es wird die Beleglage von Abstrakta die Verfolgung Untergang und Auferstehung bedeuten betrachtet (25) Ahd aumlhtunga Verfolgung ferlornissa ferlornissida zegengeda Untershygang irstantnissi urstendi urstendida Auferstehung

Vgl etwa aus dem Mhd die semantischen Entsprechungen ahte ervolgunge jage Verfolgung niderganc zergancnisse Untergang uferstandunge Aufershystehung42

Im Neuhochdeutschen ist bei Abstrakta mit solchen Bedeutungen der bezeichshynete Sachverhalt identifiziert weshalb keine attributiven daszlig-Saumltze auftreten Fuumlr das aumlltere Deutsch ist dies in gleicher Weise zu erwarten In der Tat finden sich auch im Alt- und Mittelhochdeutschen nach Abstrakta der Bedeutung Verfolgung Untergang und Auferstehung keine daszlig-Saumltze Es erscheinen vielmehr Ausdrucksweisen wie die folgende (26) Notker 11 52315 f Du bist fundamentum du habest kestatet dina tccleshysiam unde dannan uueret si ane zegengeda Du bist das Fundament du hast deine Kirche errichtet und von da an waumlhrt sie ohne Untergang

Weil hier davon die Rede ist daszlig die Kirche nicht vom Untergang bedroht ist ist der Sachverhalt auf den der Begriff zegengeda zutrifft identifiziert Damit eruumlbrigt sich der Anschluszlig eines einen bestimmten Sachverhalt aussondernden daszlig-Satzes

Da also sowohl im Neuhochdeutschen wie im Alt- und Mittelhochdeutschen Vorgangsbezeichnungen durch die ein Sachverhalt identifiziert wird43 keinen

42 Die mittelhochdeutschen Belege sind unterschiedlichen Quellen entnommen 43 Auch bei bestimmten Zustandsbezeichnungen ist der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert weshalb kein daszlig-Satz auftreten kann vgl etwa ahd irwartnissa Vergaumlngshylichkeit armuati Armutfriuntscaf(t) huldl Freundschaft (in den Bedeutungen Huld Gunst Gnade waumlre bei huldl jedoch ein daszlig-Satz anschlieszligbar)ientscaft Feindschaft gesundeda heilida Gesundheit cuumlmida Krankheit ewarttuom Priestertum Priestershyamt alt Alter mhd vriuntschaft vientschaft

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

daszlig-Satz neben sich haben kann die Folgerung nur ~ein daszlig schon im aumllteren Deutsch das Merkmal identifizierend die Anschlieszligbarkeit eines daszlig-Satzes

bei Abstrakta verhindert

C Zusammenfassung und Ausblick

Die Untersuchung einiger syntaktischer Restriktionen bei Abstrakta des heutishygen und aumllteren Deutsch hat folgendes ergeben Wie im Neuhochdeutschen haben bereits im Alt- und Mittelhochdeutschen die semantischen Merkmale generalisierend kontinuativ und identifizierend den Anschluszlig eines daszligshySatzes bei einem Abstraktum blockiert Waumlhrend die Bedeutungsmerkmale kontinuativ und identifizierend einem Abstraktum inhaumlrieren - die neushyhochdeutschen Beispiele waren die Abstrakta Friede und Unfall (Verletzung)- kam das Bedeutungsmerkmal generalisierend in dem ungrammatischen Beishyspiel Gluumlck daszlig dadurch zustande daszlig ein Abstraktum ohne Artikel verwenshydet wurde Soweit aus den Belegen ableitbar ist sind bei den untersuchten Restriktionen kaum Sprachwandelphaumlnomene nachweisbar Dies gilt auch fuumlr das am Artikel festgemachte Begriffs- und Analysepaar individualisierend shygeneralisierend Denn obwohl im Althochdeutschen der Artikel bei Abstrakta noch nicht in der Weise ausgebildet war wie im Neuhochdeutschen ist die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen von woumlrtlichen Nachahmungen des Lateinischen abgesehen fast durchwegs vom Artikel begleitet und zwar sowohl vom bestimmten als auch vom unbestimmten Artikel Es fragt sich nun ob mit den am Neuhochdeutschen festgestellten und am alt- und mittelhochdeutschen Sprachmaterial bestaumltigten drei semantischen Merkmalen generalisierend kontinuativ und identifizierend generelle Merkmale fuumlr die Blockierung von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta gefunden worden sind Zur Beantwortung dieser Frage soll keine moderne europaumlische Sprache herangezogen werden44 sondern das Lateinische bis zum Mittellateinischen Denn erstens ist diese Form des Lateinischen wie das Alt- und Mittelhochdeutshysche eine Corpussprache zweitens besitzt das Lateinische wie zu sehen war auch die Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz und zwar mit den Konjunktioshynen quod quia und ut und drittens stehen das Lateinische und Deutsche genetisch in keinem zu engen Verwandtschaftsverhaumlltnis

44 Vgl etwa die stets mit dem Artikel oder einem anderen Artikelwort auftretenden Fuumlgungen frz lidee que lespoir que weitere Abstrakta in solchen Fuumlgungen sind annonce assurance avis bruit certitude chose conviction crainte croyance desir doute fait impression joie malheur nouvelle opinion ordre pensee peur preuve principe promesse regret sentiment serment signe tImoignage vom volonte (M Grevisse Le Bon Usage Grammaire fran~aise daujordhui Paris-Gembloux 111980 0deg 3423 2556 2593) und ne the fact that the opinion that usw

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Rosemarie Luumlhr

Die Ergebnisse der Untersuchung sind Zustandsbezeichnungen des Typs Friede45

also die Abstrakta mit dem Bedeutungsmerkmal kontinuativ treten im Lateinischen ebensowenig wie im Deutschen mit einem daszlig-Satz auf Gleishyches gilt fuumlr Vorgangsbezeichnungen des Typs Unfalto der gegenuumlber dem Typ Ungluumlck einen Sachverhalt identifiziert Dagegen koumlnnen im Lateinischen wie im Deutschen Abstrakta mit der Bedeutung

(27) Meinung (sententia opinio) Zeugnis (testimonium) Antwort (responshysum) Glaube ifides) Trost (consolatio) Gebot (mandatum) Angelegenshyheit (res) Gelegenheit (occasio opportunitas) Gut (bonumt7

mit einem daszlig-Satz verbunden werden Da von diesen Abstrakta die Woumlrter fuumlr Angelegenheit Gelegenheit und Gut dem deutschen Typ Gluumlck mit dem Bedeutungsmerkmal diskontinuativ zuzurechnen sind scheint dieses Bedeushytungsmerkmal auf jeden Fall eine Bedingung fuumlr die Kombinierbarkeit eines dem Typ Gluumlck angehoumlrigen Abstraktums mit einem daszlig-Satz darzustellen Obwohl das Lateinische nicht uumlber ein Artikelsystem wie das Deutsche vershyfuumlgt48 gibt es Hinweise darauf daszlig auch das Lateinische dazu neigt die spezifizierende Funktion des daszlig-Satzes durch ein individualisierendes Artikelshywort wie ille oder unus beim Abstraktum zu unterstuumltzen vgl Fuumlgungen wie illa sententia quod una consolatio quod Da dem so ist scheinen das Lateinische und das Deutsche unabhaumlngig voneinander hinsichtlich der Bedingungen sowohl fuumlr das Auftreten als auch fuumlr das Fehlen von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta die gleichen Eigenschaften zu besitzen

Diese Behauptung kann durch ein Faktum der aumluszligeren Sprachgeschichte des Deutschen gestuumltzt werden Notker von St Gallen lieszlig oftmals bei seinen Uumlbersetzungen lateinische Begriffe die seinen Schuumllern schon bekannt waren oder die als Fachausdruumlcke galten unuumlbersetzt wodurch eine althochdeutschshylateinische Mischprosa entstand Was nun die hier interessierende althochdeutshysche Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz angeht so hat Notker vollkomshymen korrekt in diese Fuumlgungen zuweilen solche lateinischen Abstrakta ein geshy

45 Vgl lat Wahrheit (veritas) Liebe (amor caritas pietas benevolentia induigentia usw) Friede (pax) Ruhe (requies tranquillitas otium) Stille (silentium) ferner Zustandsbezeichnungen bei denen der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert ist wie Vergaumlnglichkeit (brevitas fragiiitas) Armut (paupertas mopia egestas) Freundschaft (amicitia necessitudo) Feindschaft (inimicitia dissensio) vgl Anm 43 46 Vgl lateinische Verbalabstrakta wie perturbatio Verwirrung defensio Verteidigung unio Vereinigung 47 Mit lat benignitas quod (A Draeger Historische Syntax der lateinischen Sprache Bd H Leipzig 21878 S 220 f) vgl nhd die Kraft daszlig Derartige Belege finden sich im Altlatein (z B bei Plautus) dann aber vor allem im Mittel- und Spaumltlatein 48 Vgl J B HofmannlA Szantyr Lateinische Syntax und Stilistik (Handbuch der Altertumswissenschaft II 22) Muumlnchen 1965 S 191 H

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~f~j - rlt1IItt i$ 4il 4JIt k( 41

Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

setzt die von ihrer Bedeutung her mit einem daszlig-Satz verbunden werden

koumlnnen vgl

(28) Notker I 1025 ff Tarazuo triffet tisiu disputatio daz diuitif den man nemugen saligen getuon Dazu paszligt diese disputatio (Eroumlrterung) daszlig Reichtuumlmer den Menschen nicht selig machen koumlnnen

(29) I 2508 f dien fOlget note diu conclusio daz al daztir ist kuot ist daraus folgt notwendigerweise die conclusio (der Schluszlig) daszlig alles was ist

bull 49gut Ist

Wichtig ist daszlig fuumlr diese Stellen ein unmittelbares lateinisches Vorbild fehlt Notker der wie man annimmt die lateinische Sprache ebenso gediegen wie seine Muttersprache zu handhaben verstand konnte deswegen bewuszligt oder unbewuszligt ein lateinisches Abstraktum zwanglos in eine deutsche Fuumlgung einpasshysen weil die Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz nicht nur in beiden Sprachen vorhanden ist sondern auch die Restriktionen eingeschlossen in uumlbereinstimmender Weise funktionierte

Sind die vorgebrachten Uumlberlegungen richtig so ist diesmal mit der inneren Sprachgeschichte des Deutschen ganz anders verfahren worden als es sonst allgemein uumlblich ist Sonst wird die innere Sprachgeschichte meistens dazu benutzt auffallende synchron nicht weiter erklaumlrbare Erscheinungen der Gegenwartssprache genetisch herzuleiten was oftmals mit der Beschreibung von Sprachwandelphaumlnomenen verbunden ist In der vorliegenden Untersuchung wurden dagegen syntaktische Besonderheiten des Neuhochdeutschen zu erklaumlshyren versucht und dann auf entsprechende Regularitaumlten in den aumllteren Stufen des Deutschen verwiesen5o Die Sprachgeschichte diente somit als Stuumltze fuumlr die Auffassung daszlig mit den Restriktionen genereller wirkende Regeln gefunden worden sind Daszlig mit solchen Regeln zu rechnen ist machte auch der Vergleich mit dem Lateinischen wahrscheinlich wie gezeigt verfuumlgt diese Sprache uumlber die entsprechende Konstruktion und uumlber Restriktionen wie sie das Deutsche

aufweist

49 Auch die folgenden lateinischen Abstrakta erscheinen bei Notker in der Konstruktion Abstraktum + daz-Satz exultatio Freude ordo Ordnung consequentia () Folge contrarium Gegenteil scandalum Aumlrgernis natura Wesen 50 Vgl W Labovs Some principles of linguistic methodology in Language and Society 1 (1972) S 101 On the use of the present to explain the past in Proceedings of the Eleventh International Congress of Linguists Bologna-Florence Aug 28-Sept 2 1972 ed by L Heilmann Bologna S 849 uniformitarian principle bull The linguistic processhyses taking place around us are the same as those that have operated to produce the historical record ferner C Christy Uniformitarianism in Linguistics (Amsterdam Studies in the Theory and History of Linguistic Science 31) AmsterdamPhiladelphia 1983 S 51 80

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Rosemarie Luumlhr Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Hinzu kam der Gluumlcksfall daszlig Notkers deutsch-lateinische Sprachkompetenz die Auffassung stuumltzt daszlig die untersuchte Konstruktion mitsamt ihren Restrikshytionen in beiden Sprachen weitgehend identisch ist Dies gibt hinreichend Anlaszlig zu der an die kuumlnftige Forschung zu richtenden Forderung daszlig bei Untersushychungen von Phaumlnomenen der inneren Sprachgeschichte auch die aumluszligere Sprachgeschichte gebuumlhrend zu beruumlcksichtigen ist

t f

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Rosemarie Luumlhr

3 nichtidentifizierend - identifizierend Das dritte Begriffs- und Analysepaar naumlmlich der Gegensatz nichtidentifizieshyrend identifizierend wurde anhand von nhd Ungluumlck einerseits und Unfall und Verletzung andererseits eroumlrtert Daszlig im Falle von Unfall und Verletzung im Neuhochdeutschen kein daszlig-Satz auftritt wurde damit begruumlndet daszlig bei diesen Vorgangsbezeichnungen gleichzeitig andere Vorstellungen mit dem Abstraktum verbunden sind die den gemeinten Sachverhalt identifizieren Aus dem mit dem Abstraktum bezeichneten Begriff ist somit kein Einzelsachverhalt ableitbar Geht man nun der Frage nach ob auch in den untersuchten alt- und mittelhochdeutschen Quellen das Merkmal identifizierend bei Abstrakta eine Restriktion fuumlr einen daszlig-Satz darstellt so empfiehlt es sich solche Abstrakta zu untersuchen die gegebenenfalls zusammen mit Synonymen mindestens zehnmal belegt sind Es wird die Beleglage von Abstrakta die Verfolgung Untergang und Auferstehung bedeuten betrachtet (25) Ahd aumlhtunga Verfolgung ferlornissa ferlornissida zegengeda Untershygang irstantnissi urstendi urstendida Auferstehung

Vgl etwa aus dem Mhd die semantischen Entsprechungen ahte ervolgunge jage Verfolgung niderganc zergancnisse Untergang uferstandunge Aufershystehung42

Im Neuhochdeutschen ist bei Abstrakta mit solchen Bedeutungen der bezeichshynete Sachverhalt identifiziert weshalb keine attributiven daszlig-Saumltze auftreten Fuumlr das aumlltere Deutsch ist dies in gleicher Weise zu erwarten In der Tat finden sich auch im Alt- und Mittelhochdeutschen nach Abstrakta der Bedeutung Verfolgung Untergang und Auferstehung keine daszlig-Saumltze Es erscheinen vielmehr Ausdrucksweisen wie die folgende (26) Notker 11 52315 f Du bist fundamentum du habest kestatet dina tccleshysiam unde dannan uueret si ane zegengeda Du bist das Fundament du hast deine Kirche errichtet und von da an waumlhrt sie ohne Untergang

Weil hier davon die Rede ist daszlig die Kirche nicht vom Untergang bedroht ist ist der Sachverhalt auf den der Begriff zegengeda zutrifft identifiziert Damit eruumlbrigt sich der Anschluszlig eines einen bestimmten Sachverhalt aussondernden daszlig-Satzes

Da also sowohl im Neuhochdeutschen wie im Alt- und Mittelhochdeutschen Vorgangsbezeichnungen durch die ein Sachverhalt identifiziert wird43 keinen

42 Die mittelhochdeutschen Belege sind unterschiedlichen Quellen entnommen 43 Auch bei bestimmten Zustandsbezeichnungen ist der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert weshalb kein daszlig-Satz auftreten kann vgl etwa ahd irwartnissa Vergaumlngshylichkeit armuati Armutfriuntscaf(t) huldl Freundschaft (in den Bedeutungen Huld Gunst Gnade waumlre bei huldl jedoch ein daszlig-Satz anschlieszligbar)ientscaft Feindschaft gesundeda heilida Gesundheit cuumlmida Krankheit ewarttuom Priestertum Priestershyamt alt Alter mhd vriuntschaft vientschaft

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

daszlig-Satz neben sich haben kann die Folgerung nur ~ein daszlig schon im aumllteren Deutsch das Merkmal identifizierend die Anschlieszligbarkeit eines daszlig-Satzes

bei Abstrakta verhindert

C Zusammenfassung und Ausblick

Die Untersuchung einiger syntaktischer Restriktionen bei Abstrakta des heutishygen und aumllteren Deutsch hat folgendes ergeben Wie im Neuhochdeutschen haben bereits im Alt- und Mittelhochdeutschen die semantischen Merkmale generalisierend kontinuativ und identifizierend den Anschluszlig eines daszligshySatzes bei einem Abstraktum blockiert Waumlhrend die Bedeutungsmerkmale kontinuativ und identifizierend einem Abstraktum inhaumlrieren - die neushyhochdeutschen Beispiele waren die Abstrakta Friede und Unfall (Verletzung)- kam das Bedeutungsmerkmal generalisierend in dem ungrammatischen Beishyspiel Gluumlck daszlig dadurch zustande daszlig ein Abstraktum ohne Artikel verwenshydet wurde Soweit aus den Belegen ableitbar ist sind bei den untersuchten Restriktionen kaum Sprachwandelphaumlnomene nachweisbar Dies gilt auch fuumlr das am Artikel festgemachte Begriffs- und Analysepaar individualisierend shygeneralisierend Denn obwohl im Althochdeutschen der Artikel bei Abstrakta noch nicht in der Weise ausgebildet war wie im Neuhochdeutschen ist die Fuumlgung Abstraktum + daszlig-Satz schon im Althochdeutschen von woumlrtlichen Nachahmungen des Lateinischen abgesehen fast durchwegs vom Artikel begleitet und zwar sowohl vom bestimmten als auch vom unbestimmten Artikel Es fragt sich nun ob mit den am Neuhochdeutschen festgestellten und am alt- und mittelhochdeutschen Sprachmaterial bestaumltigten drei semantischen Merkmalen generalisierend kontinuativ und identifizierend generelle Merkmale fuumlr die Blockierung von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta gefunden worden sind Zur Beantwortung dieser Frage soll keine moderne europaumlische Sprache herangezogen werden44 sondern das Lateinische bis zum Mittellateinischen Denn erstens ist diese Form des Lateinischen wie das Alt- und Mittelhochdeutshysche eine Corpussprache zweitens besitzt das Lateinische wie zu sehen war auch die Konstruktion Abstraktum + daszlig-Satz und zwar mit den Konjunktioshynen quod quia und ut und drittens stehen das Lateinische und Deutsche genetisch in keinem zu engen Verwandtschaftsverhaumlltnis

44 Vgl etwa die stets mit dem Artikel oder einem anderen Artikelwort auftretenden Fuumlgungen frz lidee que lespoir que weitere Abstrakta in solchen Fuumlgungen sind annonce assurance avis bruit certitude chose conviction crainte croyance desir doute fait impression joie malheur nouvelle opinion ordre pensee peur preuve principe promesse regret sentiment serment signe tImoignage vom volonte (M Grevisse Le Bon Usage Grammaire fran~aise daujordhui Paris-Gembloux 111980 0deg 3423 2556 2593) und ne the fact that the opinion that usw

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Rosemarie Luumlhr

Die Ergebnisse der Untersuchung sind Zustandsbezeichnungen des Typs Friede45

also die Abstrakta mit dem Bedeutungsmerkmal kontinuativ treten im Lateinischen ebensowenig wie im Deutschen mit einem daszlig-Satz auf Gleishyches gilt fuumlr Vorgangsbezeichnungen des Typs Unfalto der gegenuumlber dem Typ Ungluumlck einen Sachverhalt identifiziert Dagegen koumlnnen im Lateinischen wie im Deutschen Abstrakta mit der Bedeutung

(27) Meinung (sententia opinio) Zeugnis (testimonium) Antwort (responshysum) Glaube ifides) Trost (consolatio) Gebot (mandatum) Angelegenshyheit (res) Gelegenheit (occasio opportunitas) Gut (bonumt7

mit einem daszlig-Satz verbunden werden Da von diesen Abstrakta die Woumlrter fuumlr Angelegenheit Gelegenheit und Gut dem deutschen Typ Gluumlck mit dem Bedeutungsmerkmal diskontinuativ zuzurechnen sind scheint dieses Bedeushytungsmerkmal auf jeden Fall eine Bedingung fuumlr die Kombinierbarkeit eines dem Typ Gluumlck angehoumlrigen Abstraktums mit einem daszlig-Satz darzustellen Obwohl das Lateinische nicht uumlber ein Artikelsystem wie das Deutsche vershyfuumlgt48 gibt es Hinweise darauf daszlig auch das Lateinische dazu neigt die spezifizierende Funktion des daszlig-Satzes durch ein individualisierendes Artikelshywort wie ille oder unus beim Abstraktum zu unterstuumltzen vgl Fuumlgungen wie illa sententia quod una consolatio quod Da dem so ist scheinen das Lateinische und das Deutsche unabhaumlngig voneinander hinsichtlich der Bedingungen sowohl fuumlr das Auftreten als auch fuumlr das Fehlen von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta die gleichen Eigenschaften zu besitzen

Diese Behauptung kann durch ein Faktum der aumluszligeren Sprachgeschichte des Deutschen gestuumltzt werden Notker von St Gallen lieszlig oftmals bei seinen Uumlbersetzungen lateinische Begriffe die seinen Schuumllern schon bekannt waren oder die als Fachausdruumlcke galten unuumlbersetzt wodurch eine althochdeutschshylateinische Mischprosa entstand Was nun die hier interessierende althochdeutshysche Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz angeht so hat Notker vollkomshymen korrekt in diese Fuumlgungen zuweilen solche lateinischen Abstrakta ein geshy

45 Vgl lat Wahrheit (veritas) Liebe (amor caritas pietas benevolentia induigentia usw) Friede (pax) Ruhe (requies tranquillitas otium) Stille (silentium) ferner Zustandsbezeichnungen bei denen der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert ist wie Vergaumlnglichkeit (brevitas fragiiitas) Armut (paupertas mopia egestas) Freundschaft (amicitia necessitudo) Feindschaft (inimicitia dissensio) vgl Anm 43 46 Vgl lateinische Verbalabstrakta wie perturbatio Verwirrung defensio Verteidigung unio Vereinigung 47 Mit lat benignitas quod (A Draeger Historische Syntax der lateinischen Sprache Bd H Leipzig 21878 S 220 f) vgl nhd die Kraft daszlig Derartige Belege finden sich im Altlatein (z B bei Plautus) dann aber vor allem im Mittel- und Spaumltlatein 48 Vgl J B HofmannlA Szantyr Lateinische Syntax und Stilistik (Handbuch der Altertumswissenschaft II 22) Muumlnchen 1965 S 191 H

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

setzt die von ihrer Bedeutung her mit einem daszlig-Satz verbunden werden

koumlnnen vgl

(28) Notker I 1025 ff Tarazuo triffet tisiu disputatio daz diuitif den man nemugen saligen getuon Dazu paszligt diese disputatio (Eroumlrterung) daszlig Reichtuumlmer den Menschen nicht selig machen koumlnnen

(29) I 2508 f dien fOlget note diu conclusio daz al daztir ist kuot ist daraus folgt notwendigerweise die conclusio (der Schluszlig) daszlig alles was ist

bull 49gut Ist

Wichtig ist daszlig fuumlr diese Stellen ein unmittelbares lateinisches Vorbild fehlt Notker der wie man annimmt die lateinische Sprache ebenso gediegen wie seine Muttersprache zu handhaben verstand konnte deswegen bewuszligt oder unbewuszligt ein lateinisches Abstraktum zwanglos in eine deutsche Fuumlgung einpasshysen weil die Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz nicht nur in beiden Sprachen vorhanden ist sondern auch die Restriktionen eingeschlossen in uumlbereinstimmender Weise funktionierte

Sind die vorgebrachten Uumlberlegungen richtig so ist diesmal mit der inneren Sprachgeschichte des Deutschen ganz anders verfahren worden als es sonst allgemein uumlblich ist Sonst wird die innere Sprachgeschichte meistens dazu benutzt auffallende synchron nicht weiter erklaumlrbare Erscheinungen der Gegenwartssprache genetisch herzuleiten was oftmals mit der Beschreibung von Sprachwandelphaumlnomenen verbunden ist In der vorliegenden Untersuchung wurden dagegen syntaktische Besonderheiten des Neuhochdeutschen zu erklaumlshyren versucht und dann auf entsprechende Regularitaumlten in den aumllteren Stufen des Deutschen verwiesen5o Die Sprachgeschichte diente somit als Stuumltze fuumlr die Auffassung daszlig mit den Restriktionen genereller wirkende Regeln gefunden worden sind Daszlig mit solchen Regeln zu rechnen ist machte auch der Vergleich mit dem Lateinischen wahrscheinlich wie gezeigt verfuumlgt diese Sprache uumlber die entsprechende Konstruktion und uumlber Restriktionen wie sie das Deutsche

aufweist

49 Auch die folgenden lateinischen Abstrakta erscheinen bei Notker in der Konstruktion Abstraktum + daz-Satz exultatio Freude ordo Ordnung consequentia () Folge contrarium Gegenteil scandalum Aumlrgernis natura Wesen 50 Vgl W Labovs Some principles of linguistic methodology in Language and Society 1 (1972) S 101 On the use of the present to explain the past in Proceedings of the Eleventh International Congress of Linguists Bologna-Florence Aug 28-Sept 2 1972 ed by L Heilmann Bologna S 849 uniformitarian principle bull The linguistic processhyses taking place around us are the same as those that have operated to produce the historical record ferner C Christy Uniformitarianism in Linguistics (Amsterdam Studies in the Theory and History of Linguistic Science 31) AmsterdamPhiladelphia 1983 S 51 80

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Rosemarie Luumlhr Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Hinzu kam der Gluumlcksfall daszlig Notkers deutsch-lateinische Sprachkompetenz die Auffassung stuumltzt daszlig die untersuchte Konstruktion mitsamt ihren Restrikshytionen in beiden Sprachen weitgehend identisch ist Dies gibt hinreichend Anlaszlig zu der an die kuumlnftige Forschung zu richtenden Forderung daszlig bei Untersushychungen von Phaumlnomenen der inneren Sprachgeschichte auch die aumluszligere Sprachgeschichte gebuumlhrend zu beruumlcksichtigen ist

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Rosemarie Luumlhr

Die Ergebnisse der Untersuchung sind Zustandsbezeichnungen des Typs Friede45

also die Abstrakta mit dem Bedeutungsmerkmal kontinuativ treten im Lateinischen ebensowenig wie im Deutschen mit einem daszlig-Satz auf Gleishyches gilt fuumlr Vorgangsbezeichnungen des Typs Unfalto der gegenuumlber dem Typ Ungluumlck einen Sachverhalt identifiziert Dagegen koumlnnen im Lateinischen wie im Deutschen Abstrakta mit der Bedeutung

(27) Meinung (sententia opinio) Zeugnis (testimonium) Antwort (responshysum) Glaube ifides) Trost (consolatio) Gebot (mandatum) Angelegenshyheit (res) Gelegenheit (occasio opportunitas) Gut (bonumt7

mit einem daszlig-Satz verbunden werden Da von diesen Abstrakta die Woumlrter fuumlr Angelegenheit Gelegenheit und Gut dem deutschen Typ Gluumlck mit dem Bedeutungsmerkmal diskontinuativ zuzurechnen sind scheint dieses Bedeushytungsmerkmal auf jeden Fall eine Bedingung fuumlr die Kombinierbarkeit eines dem Typ Gluumlck angehoumlrigen Abstraktums mit einem daszlig-Satz darzustellen Obwohl das Lateinische nicht uumlber ein Artikelsystem wie das Deutsche vershyfuumlgt48 gibt es Hinweise darauf daszlig auch das Lateinische dazu neigt die spezifizierende Funktion des daszlig-Satzes durch ein individualisierendes Artikelshywort wie ille oder unus beim Abstraktum zu unterstuumltzen vgl Fuumlgungen wie illa sententia quod una consolatio quod Da dem so ist scheinen das Lateinische und das Deutsche unabhaumlngig voneinander hinsichtlich der Bedingungen sowohl fuumlr das Auftreten als auch fuumlr das Fehlen von daszlig-Saumltzen bei Abstrakta die gleichen Eigenschaften zu besitzen

Diese Behauptung kann durch ein Faktum der aumluszligeren Sprachgeschichte des Deutschen gestuumltzt werden Notker von St Gallen lieszlig oftmals bei seinen Uumlbersetzungen lateinische Begriffe die seinen Schuumllern schon bekannt waren oder die als Fachausdruumlcke galten unuumlbersetzt wodurch eine althochdeutschshylateinische Mischprosa entstand Was nun die hier interessierende althochdeutshysche Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz angeht so hat Notker vollkomshymen korrekt in diese Fuumlgungen zuweilen solche lateinischen Abstrakta ein geshy

45 Vgl lat Wahrheit (veritas) Liebe (amor caritas pietas benevolentia induigentia usw) Friede (pax) Ruhe (requies tranquillitas otium) Stille (silentium) ferner Zustandsbezeichnungen bei denen der gemeinte Sachverhalt eindeutig identifiziert ist wie Vergaumlnglichkeit (brevitas fragiiitas) Armut (paupertas mopia egestas) Freundschaft (amicitia necessitudo) Feindschaft (inimicitia dissensio) vgl Anm 43 46 Vgl lateinische Verbalabstrakta wie perturbatio Verwirrung defensio Verteidigung unio Vereinigung 47 Mit lat benignitas quod (A Draeger Historische Syntax der lateinischen Sprache Bd H Leipzig 21878 S 220 f) vgl nhd die Kraft daszlig Derartige Belege finden sich im Altlatein (z B bei Plautus) dann aber vor allem im Mittel- und Spaumltlatein 48 Vgl J B HofmannlA Szantyr Lateinische Syntax und Stilistik (Handbuch der Altertumswissenschaft II 22) Muumlnchen 1965 S 191 H

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Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

setzt die von ihrer Bedeutung her mit einem daszlig-Satz verbunden werden

koumlnnen vgl

(28) Notker I 1025 ff Tarazuo triffet tisiu disputatio daz diuitif den man nemugen saligen getuon Dazu paszligt diese disputatio (Eroumlrterung) daszlig Reichtuumlmer den Menschen nicht selig machen koumlnnen

(29) I 2508 f dien fOlget note diu conclusio daz al daztir ist kuot ist daraus folgt notwendigerweise die conclusio (der Schluszlig) daszlig alles was ist

bull 49gut Ist

Wichtig ist daszlig fuumlr diese Stellen ein unmittelbares lateinisches Vorbild fehlt Notker der wie man annimmt die lateinische Sprache ebenso gediegen wie seine Muttersprache zu handhaben verstand konnte deswegen bewuszligt oder unbewuszligt ein lateinisches Abstraktum zwanglos in eine deutsche Fuumlgung einpasshysen weil die Fuumlgung Artikel + Abstraktum + daszlig-Satz nicht nur in beiden Sprachen vorhanden ist sondern auch die Restriktionen eingeschlossen in uumlbereinstimmender Weise funktionierte

Sind die vorgebrachten Uumlberlegungen richtig so ist diesmal mit der inneren Sprachgeschichte des Deutschen ganz anders verfahren worden als es sonst allgemein uumlblich ist Sonst wird die innere Sprachgeschichte meistens dazu benutzt auffallende synchron nicht weiter erklaumlrbare Erscheinungen der Gegenwartssprache genetisch herzuleiten was oftmals mit der Beschreibung von Sprachwandelphaumlnomenen verbunden ist In der vorliegenden Untersuchung wurden dagegen syntaktische Besonderheiten des Neuhochdeutschen zu erklaumlshyren versucht und dann auf entsprechende Regularitaumlten in den aumllteren Stufen des Deutschen verwiesen5o Die Sprachgeschichte diente somit als Stuumltze fuumlr die Auffassung daszlig mit den Restriktionen genereller wirkende Regeln gefunden worden sind Daszlig mit solchen Regeln zu rechnen ist machte auch der Vergleich mit dem Lateinischen wahrscheinlich wie gezeigt verfuumlgt diese Sprache uumlber die entsprechende Konstruktion und uumlber Restriktionen wie sie das Deutsche

aufweist

49 Auch die folgenden lateinischen Abstrakta erscheinen bei Notker in der Konstruktion Abstraktum + daz-Satz exultatio Freude ordo Ordnung consequentia () Folge contrarium Gegenteil scandalum Aumlrgernis natura Wesen 50 Vgl W Labovs Some principles of linguistic methodology in Language and Society 1 (1972) S 101 On the use of the present to explain the past in Proceedings of the Eleventh International Congress of Linguists Bologna-Florence Aug 28-Sept 2 1972 ed by L Heilmann Bologna S 849 uniformitarian principle bull The linguistic processhyses taking place around us are the same as those that have operated to produce the historical record ferner C Christy Uniformitarianism in Linguistics (Amsterdam Studies in the Theory and History of Linguistic Science 31) AmsterdamPhiladelphia 1983 S 51 80

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Rosemarie Luumlhr Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Hinzu kam der Gluumlcksfall daszlig Notkers deutsch-lateinische Sprachkompetenz die Auffassung stuumltzt daszlig die untersuchte Konstruktion mitsamt ihren Restrikshytionen in beiden Sprachen weitgehend identisch ist Dies gibt hinreichend Anlaszlig zu der an die kuumlnftige Forschung zu richtenden Forderung daszlig bei Untersushychungen von Phaumlnomenen der inneren Sprachgeschichte auch die aumluszligere Sprachgeschichte gebuumlhrend zu beruumlcksichtigen ist

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Rosemarie Luumlhr Syntaktische Restriktionen bei Abstrakta

Hinzu kam der Gluumlcksfall daszlig Notkers deutsch-lateinische Sprachkompetenz die Auffassung stuumltzt daszlig die untersuchte Konstruktion mitsamt ihren Restrikshytionen in beiden Sprachen weitgehend identisch ist Dies gibt hinreichend Anlaszlig zu der an die kuumlnftige Forschung zu richtenden Forderung daszlig bei Untersushychungen von Phaumlnomenen der inneren Sprachgeschichte auch die aumluszligere Sprachgeschichte gebuumlhrend zu beruumlcksichtigen ist

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