Zentrum für Appenzellische Volksmusik Talerschwingen und ...

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Zentrum für Appenzellische Volksmusik Zusammenstellung 14.7.2011: Talerschwingen und Jodeln Zur Tradition der sennischen Kultur rund um den Säntis gehört seit dem 19. Jahrhundert, dass „Schölle gschötted weerid“; meist wird dazu ein Rugguusseli oder Zäuerli gesungen. Nicht immer sind aber gerade drei Schölle zur Hand. Als Ersatz dienen dann drei aufeinander abgestimmte Becken, in denen mit leichten Wiegebewegungen je ein Fünfliber – früher „Taler“ auf der Schmalkante zum Laufen gebracht wird. Darum nennt man solche „Instrumente“ Talerbecken (hergestellt aus gebranntem Ton, glasiert); der dabei entstehende Bordun ist auffällig leiser als der Klang der Schellen. Es existiert keine vorgegebene Stimmung, am beliebtesten ist aber jene mit Intervallen wie bei den Schellen (e g a) oder in Dreiklang-Terzen (z.B. a fis d). Die Schwierigkeit beim Talerschwingen ist meist der Einwurf der Münze; rollt sie einmal gleichmässig, kann die Aktivität fortgesetzt werden: jetzt kommt das Rugguusseli oder ein Zäuerli dazu. Die Reihenfolge beim Münzen-Einwurf ist vorgegeben: zuerst in das kleinste Becken (mit dem hohen Klang), dann in das mittlere, zuletzt in das grösste. Beim Talerschwingen wird heute immerhin noch der alte „silberne“ Fünfliber verwendet: er klingt eindeutig besser als der neue aus Nickel (Apppenzeller Echo 2011). Grampol-Schiibe Für das Talerschwingen verwendete Hans Kegel (und andere Ausserrhoder Musikanten) anstelle des „Fünfliber“ die „Grampol-Schiibe“. Damit sind die alten, grösseren Fünffrankenstücke mit gröberer Seitenkante – oder auch fremde schwere Münzen gemeint. Diese bewirkten einen viel stärker scherbelnden Klang als der Fünfliber. („Grampol“ aus frz. carambole; der Ausdruck war ursprünglich gebräuchlich im Basler-, Berner- und Zürcherdialekt und hatte die Bedeutung „Lärm, Rumpeln“, also wie Karambolage. Überdies ist „Carambole“ auch die Bezeichnung für ein Brettspiel mit Scheibenwurf.) Hans Kegels Fünflibersammlung Wenn die Talerbecken zur Hand genommen wurden und das Spiel hätte losgehen sollen, fehlte doch Kegel „dummerweise“ prompt der dafür benötigte Fünfliber. So ging die Frage nach dem Geldstück jeweils ans Publikum, und schnell waren 1 bis 3 Stück beisammen – und nach getaner Arbeit folgte Kegels kurze Bemerkung in halb-fragender Form: „I taare doch phaalte, oder?“ Und zusätzlich konnte Hans Kegel unverfroren mit dem leeren Talerbecken durchs Publikum gehen und spasseshalber um eine Spende betteln („Entwickligshilf – Entwickligshilf“). Da läpperte sich doch einiges zusammen – und selbstverständlich wurde auch alles versteuert.

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Zentrum für Appenzellische Volksmusik Zusammenstellung 14.7.2011: Talerschwingen und Jodeln Zur Tradition der sennischen Kultur rund um den Säntis gehört seit dem 19. Jahrhundert, dass „Schölle gschötted weerid“; meist wird dazu ein Rugguusseli oder Zäuerli gesungen. Nicht immer sind aber gerade drei Schölle zur Hand. Als Ersatz dienen dann drei aufeinander abgestimmte Becken, in denen mit leichten Wiegebewegungen je ein Fünfliber – früher „Taler“ auf der Schmalkante zum Laufen gebracht wird. Darum nennt man solche „Instrumente“ Talerbecken (hergestellt aus gebranntem Ton, glasiert); der dabei entstehende Bordun ist auffällig leiser als der Klang der Schellen. Es existiert keine vorgegebene Stimmung, am beliebtesten ist aber jene mit Intervallen wie bei den Schellen (e g a) oder in Dreiklang-Terzen (z.B. a fis d). Die Schwierigkeit beim Talerschwingen ist meist der Einwurf der Münze; rollt sie einmal gleichmässig, kann die Aktivität fortgesetzt werden: jetzt kommt das Rugguusseli oder ein Zäuerli dazu. Die Reihenfolge beim Münzen-Einwurf ist vorgegeben: zuerst in das kleinste Becken (mit dem hohen Klang), dann in das mittlere, zuletzt in das grösste.

Beim Talerschwingen wird heute immerhin noch der alte „silberne“ Fünfliber verwendet: er klingt eindeutig besser als der neue aus Nickel (Apppenzeller Echo 2011). Grampol-Schiibe Für das Talerschwingen verwendete Hans Kegel (und andere Ausserrhoder Musikanten) anstelle des „Fünfliber“ die „Grampol-Schiibe“. Damit sind die alten, grösseren Fünffrankenstücke mit gröberer Seitenkante – oder auch fremde schwere Münzen gemeint. Diese bewirkten einen viel stärker scherbelnden Klang als der Fünfliber. („Grampol“ aus frz. carambole; der Ausdruck war ursprünglich gebräuchlich im Basler-, Berner- und Zürcherdialekt und hatte die Bedeutung „Lärm, Rumpeln“, also wie Karambolage. Überdies ist „Carambole“ auch die Bezeichnung für ein Brettspiel mit Scheibenwurf.) Hans Kegels Fünflibersammlung Wenn die Talerbecken zur Hand genommen wurden und das Spiel hätte losgehen sollen, fehlte doch Kegel „dummerweise“ prompt der dafür benötigte Fünfliber. So ging die Frage nach dem Geldstück jeweils ans Publikum, und schnell waren 1 bis 3 Stück beisammen – und nach getaner Arbeit folgte Kegels kurze Bemerkung in halb-fragender Form: „I taare doch phaalte, oder?“ Und zusätzlich konnte Hans Kegel unverfroren mit dem leeren Talerbecken durchs Publikum gehen und spasseshalber um eine Spende betteln („Entwickligshilf – Entwickligshilf“). Da läpperte sich doch einiges zusammen – und selbstverständlich wurde auch alles versteuert.

„Instrumenten“-Kauf

(Foto: Femina) Kommentar (Zeitschrift Femina, Juli 1965): Franzsepp Inauen kauft sein Instrument im Haushaltungsgeschäft. Die drei Milchbecken (fünf, sieben und neun Liter oder sieben, neun und elf Liter fassend) müssen genau aufeinander abgestimmt sein. Der Besitzer des Haushaltungsgeschäftes [Emil Bischofberger zur „Konkordia“] hat ernsthafte Bedenken für die Zukunft des Talerschwingens: „Da die Hausfrauen diese Milchbecken nicht mehr kaufen, werden sie auch nicht mehr hergestellt. Die letzten kamen mit dem Vermerk, die Fabrik könne keine weiteren mehr liefern. Woher ich neue nehme, wenn mein kleiner Vorrat erschöpft ist, weiss ich wirklich nicht.“ Tatsache ist, dass man aktuell (2011) die Becken in mehreren Geschäften immer noch (oder wieder) erhält. Dafür bezahlt man aber einen stolzen Preis: 120.–/140.–/160.– Franken für ein Dreierset abgestimmter „Instrumente“, gesamthaft also ein recht teurer Bordun für 420 Franken (Appenzell: Drechslerei Keller, Hauptgasse 33; Streule Haushalt, Hauptgasse 35, Herisau: Wälte Alfred, Bahnhofstr. 10). Talerschwingen erlernen An diversen Anlässen werden im Appenzellerland Workshops angeboten, wo das Talerschwingen erlernt werden kann. So existiert im Angebot von Appenzellerland Tourismus AI bereits seit 2005 ein Schnupperkurs, der bei Einheimischen und Gästen sehr beliebt ist. Die Teilnehmenden werden dabei von Fachleuten in die Thematik eingeführt, können anschliessend während einer guten Stunde üben und erlernen dabei auch, dazu ein Rugguusseli zu singen. Beim Workshop, wo überdies auch Ratzliedli gesungen werden und das Graadhäbe erlernt wird, geht es eindeutig darum, die Freude an der musikalischen Betätigung zu fördern und die Teilnehmenden zum Singen zu motivieren. Seit 2011 wird gar ein eigentlicher Rugguusseli-Kurs angeboten. Das musikalische Angebot soll weitab von einem Marketing-Gäg sein, authentisch herüberkommen und nachhaltig wirken. Und das tut es auch: Oft wird anschliessend auf der Hauptgasse oder beim nachfolgenden Mittagsmahl schon wieder gesungen – einfach weils schön ist und man das eben Erlernte gerne weiter pflegen möchte. Weitere Organisationen haben unterdessen das erfolgreiche Konzept übernommen und bieten ähnliche Kurse an, weil auch sie deren Beliebtheit und Bedürfnis feststellen. So werden seit 2009 Jodel-Crashkurse in Zusammenhang mit dem Appenzeller Ländlerfest angeboten; am a-capella-Fest 2011 in Appenzell wurde ein Jodel-Workshop ins Programm aufgenommen; das Museum Urnäsch führte anlässlich des Striichmusigtages 2011 einen Kurs im Angebot. Was dabei während einer guten Stunde eingeführt wird, reicht den Kursteilnehmern oft nicht; sie möchten mehr erfahren und erlernen. Dazu bieten sich in der Region Kurse an, sei es im Roothuus Gonten oder organisiert von der KlangWelt Toggenburg. Hier führen Nadja Räss, Noldi Alder, Peter Roth und weitere Protagonisten seit Jahren Jodelkurse durch, oft während mehreren Tagen, gerne übers Wochenende. Der Andrang und die Wartelisten für diese Kurse sind gross, das Lob über Gelerntes und Gesungenes ebenso. Nadja Räss hat unterdessen ein spezielles Lehrmittel für diese Gesangstechnik verfasst und herausgegeben.