ZFA 12 2013 - Online ZFA · New Oral Anticoagulants (in Non-Valvular Atrial Fibrillation) – an...

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Z FA Zeitschrift für Allgemeinmedizin German Journal of Family Medicine Dezember 2013 – Seite 481-528 – 89. Jahrgang www.online-zfa.de 12 / 2013 Im Fokus EbM-Service S1-Handlungsempfehlungen der DEGAM Umgang mit Krankheitskonzepten Hausarztpraxis als „medical home“ Kernkompetenz Beziehungsgestaltung Organ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), der Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin (GHA), der Salzburger Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SAGAM), der Südtiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SüGAM) und der Tiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (TGAM) Official Journal of the German College of General Practitioners and Family Physicians, the Society of Professors of Family Medicine, the Salzburg Society of Family Medicine, the Southtyrolean College of General Practitioners and the Tyrolean College of General Practitioners This journal is regularly listed in EMBASE/Excerpta Medica, Scopus and CCMED/MEDPILOT DP AG Postvertriebsstück – Entgelt bezahlt – 4402 – Heft 12/2013 Deutscher Ärzte-Verlag GmbH – Postfach 40 02 65 – 50832 Köln

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Z FAZeitschrift für Allgemeinmedizin

German Journal of Family Medicine

Dezember 2013 – Seite 481-528 – 89. Jahrgang www.online-zfa.de

12 / 2013

Im Fokus

EbM-Service

S1-Handlungsempfehlungen der DEGAM

Umgang mit Krankheitskonzepten

Hausarztpraxis als „medical home“

Kernkompetenz Beziehungsgestaltung

Organ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM),der Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin (GHA), der Salzburger Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SAGAM), der Südtiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SüGAM) und der Tiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (TGAM)

Official Journal of the German College of General Practitioners and Family Physicians, the Society of Professors of Family Medicine, the Salzburg Society of Family Medicine, the Southtyrolean College of General Practitioners and the Tyrolean College of General Practitioners

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DP AG Postvertriebsstück – Entgelt bezahlt – 4402 – Heft 12/2013 Deutscher Ärzte-Verlag GmbH – Postfach 40 02 65 – 50832 Köln

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Die Wahrheit – nur eine Tochter der Zeit?

Die Sorge, kein guter Arzt zu sein, begleitet uns alle. Was ein guter Arzt ist, ist nicht besonders klar, was die Sor-ge zur berufslebenslangen Begleiterin macht. Die Su-che nach dem, was den gu-ten Arzt ausmacht, ist Ge-genstand ärztlicher Selbst-reflexion, auf individueller Ebene in der einen oder an-deren schlaflosen Nacht, und als Berufsgruppe in peer groups wie Qualitäts-zirkeln oder in publizisti-

scher und wissenschaftlicher Aktivität. Darüber hinaus hält das Bestreben, ärztliche Qualität festzumachen und verlässlich Wahres aus der Fülle von Daten und Meinungen herauszufil-tern, eine ganze Reihe weiterer Berufsgruppen in guter Beschäf-tigung.

Das Streben nach dem guten Arzt-Sein ist der Motor von DEGAM und ÖGAM, und Gegenstand der vorliegenden wie al-ler anderen Ausgaben der ZFA. Sie finden auch diesmal wieder unterschiedliche Zugänge: gesichertes und aufbereitetes Wis-sen in Form der EbM-Splitter, konkrete Fakten zur praktischen Anwendung (Fallbericht aus dem Listserver, Fortbildung Ana-phylaxie), Überlegungen zur Beziehungsgestaltung, den Ver-such, über die Erfassung patientenseitiger Krankheitskonzepte gemeinsam guter Behandlung näherzukommen, und Über-legungen zur Ausbildung guter Hausärzte.

Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit – Erkenntnisse än-dern sich rasch und oft gründlich –, aber auch eine der Blick-winkel und Interessenslagen. Das betrifft sowohl die Evidenz begründenden Studien als auch die Ableitung von Empfehlun-gen. Weil davon auch die Wahrheitsfindung in Form der Erstel-

lung von Leitlinien betroffen ist, wurden und werden hohe An-forderung an Datengewinnung und Erstellungsprozess ent-wickelt. Die Leitlinienerstellung nach S3-Kriterien ist ein unge-heuer komplexer, aufwendiger Prozess geworden, der sehr viel Geld und sehr viel Zeit verschlingt; ein träger Apparat, der lan-ge braucht, um auf Veränderungen zu reagieren – und die kom-plexe Wirklichkeit hausärztlicher Praxis nicht ausreichend gut erfassen kann. Ein relevanter Teil der praxisrelevanten Fra-gestellungen ist bekanntermaßen nicht mit belastbarer Evi-denz abgedeckt, oder sie entstehen aus einem individuellen Kontext, der die unmittelbare Übertragung harter Leitlinien-empfehlungen nicht sinnvoll erscheinen lässt. Antworten und Entscheidungshilfen benötigt der gute Hausarzt trotzdem.

In diesem Heft finden Sie drei Leitlinien der DEGAM, aber nicht solche, wie Sie sie gewöhnt sind. Die DEGAM hat sich entschlossen, sich der Erstellung von kurzen, in der Praxis schnell erfassbaren S1-Leitlinien, also Handlungsempfehlun-gen, zu widmen, die flexibler sind und den Erfordernissen der Praxis eher gerecht werden können.

Ein Kompendium, das evidenzbasierte Handlungsempfeh-lungen für alle gängigen Fragestellungen der hausärztlichen Praxis erfasst, wird seit Jahren in der deutschsprachigen Versi-on von der ÖGAM adaptiert und verantwortet: die EbM-Guide-lines. Es ist sowohl als Buch als auch online verfügbar, und es bietet zudem über eine Reihe von Kurzvideos, interaktive Pro-gramme und eine umfassende Bilddatei.

Seit kurzem erscheint es in einer mit allen mobilen Endge-räten kompatiblen Form, wie Smartphone oder Tablet. Das Kompendium ist derzeit über die ZFA-Homepage kostenfrei zu-gänglich.

Zu wünschen wäre, dass die Projekte der Schwestergesell-schaften sich zukünftig gegenseitig beeinflussen und ergänzen.

Susanne Rabady

481EDITORIAL / EDITORIAL

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EDITORIAL / EDITORIAL 481...........................................................

EBM-SERVICE / EBM SERVICESuchtpotenzial von CodeinAddictiveness of Codeine 483.....................................................................Sulfasalazin bei anhaltendem Durchfall nach sog. unspezifischen „infektiösen“ DurchfallSulfasalazine in Persistent Diarrhoea After Unspecific Dysentery 485...............

LEITLINIE / GUIDELINEBridging – gemeinsam geht es besser!Bridging – Together Everyone Achieves MoreArmin Mainz 487......................................................................................Die neue S1-Leitlinie ThrombozytenaggregationshemmerThe New S1-Guideline Antiplatelet TreatmentGünther Egidi 491......................................................................................Neue orale Antikoagulantien (bei nicht valvulärem Vorhofflimmern)New Oral Anticoagulants (in Non-Valvular Atrial Fibrillation) – an Innovation Without Risks?Hans-Otto Wagner, Alexander Liesenfeld 496.....................................................

DER BESONDERE ARTIKEL / SPECIAL ARTICLEKrankheitskonzepte im hausärztlichen GesprächDisease Concepts and the Doctor Patient InteractionJürgen Biesewig-Siebenmorgen, Ruben Bernau, Günther Egidi, Guido Schmiemann 500...

KONGRESSE / CONGRESS18. Nordischer Kongress für Allgemeinmedizin, Tampere, Finnland18th Nordic Congress of Family Medicine, Tampere, FinlandAniela Angelow, Wolfram J. Herrmann 504.......................................................

ORIGINALARBEIT / ORIGINAL PAPERSind deutsche Hausarztpraxen ein „Medical Home“ für chronisch kranke Patienten? – Die Perspektive von HausärztenDo Family Practices Function as Medical Homes for Chronically Ill Patients in Germany? – The Perspective of Family PractitionersCarolin Lilienkamp, Martin Beyer, Ferdinand M. Gerlach, Antje Erler 505...................

FALLBERICHT / CASE REPORT46-jährige Patientin mit Fieber und schmerzhaftem Hautausschlag – Mit Hilfe einer Mailingliste zur Diagnose46 Year Old Woman with Fever and Painful Exanthema – Diagnosis with the Help of a Mailing List Horst Prautzsch 512...................................................................................

DEGAM-NACHRICHTEN / DEGAM NEWS 515..................................

ÜBERSICHT / REVIEWDer allergische Notfall: Adrenalin das Mittel der Wahl bei der AnaphylaxieAllergic Emergencies: Epinephrine, the Drug of Choice in AnaphylaxisLukas Jörg, Urs Steiner, Michael Fricker, Arthur Helbling 516...................................

KOMMENTAR/MEINUNG / COMMENTARY/OPINIONDie Fähigkeit zur professionellen Beziehungsgestaltung ist eine Kernkompetenz allgemeinmedizinischer ExpertiseProfessional Skill to Establish a (Doctor-Patient) Relationship – a Core Competence of Primary Care ExpertiseIris Boehmer 522.......................................................................................

LESERBRIEFE / LETTERS TO THE EDITOR 526...............................

IMPRESSUM / IMPRINT 528...............................................................

Titelgrafik: © Dinyar Rabady

482 INHALTSVERZEICHNIS / TABLE OF CONTENTS

ZFAZeitschrift für Allgemeinmedizin

Organ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familien-medizin (DEGAM),

der Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin (GHA),

der Salzburger Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SAGAM),

der Südtiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SüGAM),

der Tiroler Gesellschaft für Allgemein-medizin (TGAM)

Official Journal of the German College of General Practitioners and Family Physicians,

the Society of Professors of Family Medicine,

the Salzburg Society of Family Medicine,

the Southtyrolean College of General Practitioners,

the Tyrolean College of General Practitioners

Herausgeber/Editors M. M. Kochen, Freiburg (federführend) H.-H. Abholz, Düsseldorf S. Rabady, Windigsteig W. Niebling, Freiburg im Breisgau A. Sönnichsen, Witten

Internationaler Beirat/International Advisory Board J. Beasley, Madison/Wisconsin, USA; F. Buntinx, Leuven/Belgien; G.-J. Dinant, Maastricht/NL; M. Egger, Bern/CH; E. Garrett, Columbia/Missouri, USA; P. Glasziou, Robina/Australien; T. Greenhalgh, London/UK; P. Hjort-dahl, Oslo/Norwegen; E. Kahana, Cleve-land/Ohio, USA; A. Knottnerus, Maas-tricht/NL; J. Lexchin, Toronto/Ontario, Kanada; C. del Mar, Robina/Australien; J. de Maeseneer, Gent/Belgien; P. van Royen, Antwerpen/ Belgien; F. Sullivan, Dundee/Schottland, UK; P. Tschudi, Basel/CH; C. van Weel, Nijmegen/NL; Y. Yaphe, Porto/Portugal

Koordination/Coordination J. Bluhme-Rasmussen

This journal is regularly listed in EMBASE/Excerpta Medica, Scopus and CCMED/MEDPILOT

Dieselstraße 2, 50859 KölnPostfach/P.O. Box 40 02 54,50832 KölnTelefon/Phone: (0 22 34) 70 11–0www.aerzteverlag.dewww.online-zfa.de

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Suchtpotenzial von CodeinAddictiveness of Codeine

FrageDie Kombination von Paracetamol und Codein gehört zum Stufenschema der Schmerztherapie der WHO. Wie häufig kommt es bei der Anwendung zu Abhängigkeiten?

AntwortCodein, in der Leber zu Morphin umgewandelt, führt bei Langzeitanwendung (länger als drei Wochen) wie jedes andere Opioid zur körperlichen Gewöhnung und kann zu einer Abhängigkeit führen. Das Risiko einer Abhängigkeit (eines schädlichen Suchtverhaltens) scheint mehrheitlich nur bei Personen zu bestehen, die bereits ein erhöhtes Abhängigkeitsrisiko oder eine Suchtproblematik in der Anamnese aufweisen. Kurzfristiger Einsatz von wenigen Tagen bis zu drei Wochen oder rezidivierender Gebrauch nur über wenige Tage (bis vier Tage; wie bei Migräne) scheinen unproblematisch zu sein. Beim längerfristigen Gebrauch sollten es nur Patienten bekommen, die keine „Drogen-Vorgeschichte“ haben.

Hintergrund

Codein, ein 3-Monomethylether des Morphins, kommt in geringen Mengen natürlich im Opium vor, wird aber in-dustriell synthetisch hergestellt und als hustenstillendes und schmerzlindern-des Medikament eingesetzt. In der Leber wird Codein unter Beteiligung des Cyto-chrom-P450-Enzyms CYP2D6 zu Mor-phin demethyliert, der eigentlichen Wirksubstanz. Aufgrund des geneti-schen CYP2D6-Polymorphismus sind etwa 10 % der weißen Bevölkerung Langsam-Metabolisierer mit schwa-chem Ansprechen auf Codein, 2–5 % der weißen Bevölkerung sind Schnell-Meta-bolisierer mit erhöhten Morphinkon-zentrationen im Plasma und dem Risiko morphinbedingter Nebenwirkungen bis hin zu Intoxikationen.

Codein zählt zusammen mit Trama-dol zu den „schwachen Opioiden“ (Schmerzmittel WHO-Klasse II) und wird in Europa als Schmerzmittel meist in Kombination mit Paracetamol, in ande-

ren Ländern (USA, Australien) auch in Kombination mit Ibuprofen vertrieben. In Deutschland ist Codein durch das Be-täubungsmittelgesetz als verschreibungs-fähiges Betäubungsmittel eingestuft, wo-bei niedrige Dosen bzw. Mengen (bis zu

2,5 % oder je abgeteilte Form bis zu 100 mg

Codein) von betäubungsmittelrecht-lichen Vorschriften ausgenommen sind, solange sie nicht an betäubungsmittel- oder alkoholabhängige Personen ver-schrieben werden. Auch in Österreich und Italien wird für diese Dosierungen kein Betäubungsmittelrezept benötigt, wohl aber ein ärztliches Rezept. In ande-ren Ländern (Schweiz, Frankreich, Aust-ralien) sind codeinhaltige Medikamente zum Teil rezeptfrei erhältlich.

Suchbegriffe / Suchfrage (PICO = Population, Interven-tion, Comparison, Outcome)

Codein, Codeine, Abhängigkeit, Sucht, dependence

Suchstrategie

Es wurden die internationalen Leitlini-endatenbanken sowie die Sekundärlite-ratur-Datenbanken The Cochrane Data-

base of Systematic Reviews, Clinical Evi-

dence, UpToDate und TRIP Database durchsucht.

In Medline wurde über PubMed mit den Begriffen („codeine“[MeSH Terms] OR „codeine“[All Fields]) AND („depen-dency (psychology)“[MeSH Terms] OR („dependency“[All Fields] AND „(psy-chology)“[All Fields]) OR „dependency (psychology)“[All Fields] OR „depen-dence“[All Fields]) nach Primärliteratur der letzten 5 Jahre gesucht (57 Treffer).

Ergebnisse

• Die schwachen Opioide (Codein und Tramadol) führen genau wie die star-ken Opioide bei einer regelmäßigen Langzeitanwendung (d.h. über drei Wochen) zu einer körperlichen Ge-

QuestionThe combination of paracetamol and codeine is part of the WHO-scheme for the treatment of pain. How often leads the application of this combination to drug depend-ency?

AnswerCodeine, metabolized in the liver to morphine, can – as any other opioid – result in drug dependency which seems to be a risk only or mainly in persons having a his-tory of some drug abuse. Short term use of a few days till 3 weeks or regular use for only 1 to 4 days (as in mi-graine) seem to be unproblematic. In long-term use pa-tients should not get it if a “drug-dependency” is present in their medical history.

483EBM-SERVICE / EBM SERVICE

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wöhnung mit der Notwendigkeit ei-nes kontrollierten Ausschleichens [1].

• Die Neuentstehung einer Abhängigkeits-

erkrankung im Sinn eines abweichen-den und schädlichen substanzbezoge-nen Verhaltens (Suchterkrankung) – bis vor kurzem nicht belegbar – konnte inzwischen ursächlich einer Langzeit-anwendung opioidhaltiger Analgeti-ka bei chronischen nicht tumorbe-dingten Schmerzen zugeschrieben werden [1, 2, 3]

• Patienten mit hohem Risiko zu Ab-hängigkeitserkrankungen oder mit Suchtproblemen in der Anamnese (Alkohol) können bei Langzeitanwen-dung opioidhaltiger Analgetika eine Abhängigkeit entwickeln [1, 2, 4].

• In einer kanadischen Untersuchung, bei der im Jahr 1999 über Zeitungs-inserate 339 Personen rekrutiert wur-den (700 hatten sich gemeldet), die regelmäßig codeinhaltige Medika-mente rezeptfrei aus der Apotheke be-zogen, wiesen 37 % Anzeichen einer Abhängigkeitserkrankung auf [5].

• In einer französischen Querschnitt-studie, bei der Patienten beim Kauf codeinhaltiger Medikamente mittels eines Fragebogens anonym befragt wurden, wiesen 6,8 % Anzeichen von Missbrauch und 17,8 % Anzeichen von Sucht auf [6].

• In einer australischen Untersuchung von 2011 wurden Personen, die regel-mäßig codeinhaltige Medikamente rezeptfrei in der Apotheke beziehen, über verschiedene Werbekanäle auf-gefordert, ein Formular im Internet auszufüllen. Von den 800 in die Aus-wertung eingeschlossenen Antworten zeigten 17 % nach einer validierten Skala die Kriterien einer Abhängigkeit auf [7].

• Die Leitliniengruppe Hessen riet 2008 in ihrer Leitlinie „Therapie von Schmerzen“ ausdrücklich von Kom-binationsanalgetika mit Codein oder Coffein ab [8], während die schotti-sche Leitlinie aus demselben Jahr für den mittelschweren Schmerz (Skala 3 bis 6 von 10 in der VAS oder NRS) ge-nau die Kombination von Codein mit einem nichtopioiden Analgetikum als erste Wahl empfahl [9].

Kommentar

Die Prozentsätze in den Studien für das „Abhängigkeitspotenzial“ oder die „Ab-hängigkeitserkrankung“ bei Langzeit-anwendung von Codein basieren auf Fragebögen, die nicht immer validiert waren, und dürften – wie oft bei solchen Bögen – in der Regel zu hohe Zahlen auf-weisen. Wichtiger aber ist Folgendes: Es wurden bei Apothekenbefragungen ent-weder nur chronische Nutzer befragt oder diese mussten – statistisch gesehen – überrepräsentiert gewesen sein, weil deren Chance in der Apotheke angetrof-fen zu werden, größer ist als bei einer Person, die nur selten in die Apotheke geht. Damit kann man also für eine durchschnittliche Gruppe von kurz- oder mittelfristigen Nutzern kaum etwas zur Ausgangsfrage sagen. Wir können wissenschaftlich nicht belegen, wie hoch das Risiko eines Patienten ist, der Codein plus Paracetamol z.B. bei Migrä-ne für einen Tag oder einige Tage ein-

nimmt. Weiterhin können wir nicht sa-gen, wie hoch das Risiko bei dem Patient ist, der wegen seines rezidivierenden Kreuzschmerzes diese Kombination – immer wieder einmal, aber nicht durch-gehend – für vier oder zwölf Wochen nutzt.

Daraus scheint nach unserer Sicht folgende Empfehlung richtig zu sein:• Bei akutem kurzfristigen Gebrauch ist

Paracetamol plus Codein sicher un-problematisch.

• Bei rezidivierendem Gebrauch, der immer nur Tage dauert, ist er sicher auch unproblematisch.

• Der Langzeitgebrauch, regelmäßig über mehr als drei bis vier Wochen, ist problematisch – insbesondere, wenn es Hinweise auf Suchtgefährdung beim Patienten gibt.

Oktober 2013Simon Kostner für das EBM-Team

Südtiroler Akademie für

Allgemeinmedizin SAkAM, Bozen

1. Deutsche Interdisziplinäre Vereini-gung für Schmerztherapie. S3-Leitlinie: Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen (LONTS). Stand: 01.06.2009. Online: http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/041–003l.pdf

(letzter Zugriff am 10.10.2013) 2. Chou R, Fanciullo GJ, Fine PG, et al.,

American Pain Society-American Aca-demy of Pain Medicine Opioids Guide-lines Panel. Clinical guidelines for the use of chronic opioid therapy in chro-nic noncancer pain. J Pain. 2009; 10: 113–30

3. Institute for Clinical Systems Improve-ment (ICSI). Assessment and manage-ment of chronic pain. Bloomington (MN): Institute for Clinical Systems Improvement (ICSI); 2011 Nov. On-line: www.icsi.org (letzter Zugriff am 10.10.2013)

4. Robinson GM, Robinson S, McCarthy P, Cameron C. Misuse of over-the-counter codeine-containing analge-sics: dependence and other adverse ef-fects. N Z Med J. 2010; 123: 59–64

5. Sproule BA, Busto UE, Somer G, Ro-mach MK, Sellers EM. Characteristics of dependent and nondependent regu-

lar users of codeine. J Clin Psychophar-macol, 1999; 19: 367–372

6. Roussin A, Bouyssi A, Pouché L, Pour-cel L, Lapeyre-Mestre M. Misuse and dependence on non-prescription co-deine analgesics or sedative H1 anti-histamines by adults: a cross-sectional investigation in France. 2013. PLoS ONE 8: e76499. doi:10.1371/journal. pone.0076499

(letzter Zugriff am 10.10.2013)7. Nielsen S, Cameron J, Pahoki S. Over

the counter codeine dependence. Final Report 2010. Victorian Department of Health. Online: http://atdc.org.au/

wp-content/uploads/2011/02/OTC_ CODEINE_REPORT.pdf (letzter Zugriff

am 10.10.2013)8. Leitliniengruppe Hessen. Hausärztli -

che Leitlinie „Therapie von Schmer-zen“. Version 3.03, 2008. http://www.pmvforschungsgruppe.de

(letzter Zugriff am 10.10.2013)9. Scottish Intercollegiate Guidelines Net -

work. Control of pain in adults with cancer. November 2008.

Online: http://www.sign.ac.uk/pdf/ SIGN106.pdf (letzter Zugriff am 10.10.2013)

Literatur

484 EBM-SERVICE / EBM SERVICE

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485EBM-SERVICE / EBM SERVICE

Hintergrund

Sulfasalazin (auch Salazosulfapyridin, Handelsname Salazopyrin®) und sein Abbauprodukt Mesalazin (5-Aminosali-cylsäure) sind entzündungshemmende Medikamente, die ursprünglich für die Behandlung der rheumatoiden Arthritis eingesetzt wurden. Erst später wurde entdeckt, dass Sulfasalazin/Mesalazin auch bei der Behandlung der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen Co-litis ulcerosa und Morbus Crohn wirk-sam sind.

Der genaue Wirkmechanismus des Medikamentes ist nicht bekannt, In-vi-tro-Untersuchungen weisen aber auf multifaktorielle Wirkungsmechanis-men hin, die vor allem topisch in der Darmschleimhaut stattfinden. Die Therapie anderer Darmerkrankungen

als die Colitis ulcerosa und der M. Crohn mit den Substanzen Sulfasalazin oder Mesalazin ist eine Off-label-Be-handlung.

Suchbegriffe / Suchfrage (PICO = Population, Interven-tion, Comparison, Outcome)

Diarrhö, diarrhea, Sulfasalazin (Sulpha-salazin), sulfasalazine (sulphalazine), Mesalazin, mesalamine

Suchstrategie

Es wurden die deutschen, italienischen, englischen, schottischen, US-amerika -nischen, kanadischen, australischen und neuseeländischen Leitliniendatenban-

ken durchsucht: Wir konnten aber keine Arbeiten zur Behandlung des unspezi-fischen Durchfalls mit Sulfasalazin oder Mesalazin finden.

Die Sekundärliteratur-Datenbanken The Cochrane Database of Systematic Re-

views, Clinical Evidence, UpToDate und TRIP Database ergaben auch keinerlei Hinweise.

Wir führten daher eine Primärlitera-tur-Suche über PubMed durch und fan-den lediglich 5 Artikel mit Aussagen ge-ringen Wertes: Mit der Suche („diar-rhoea“[All Fields] OR „diarrhea“[MeSH Terms] OR „diarrhea“[All Fields]) AND („sulphasalazine“[All Fields] OR „sulfa-salazine“[MeSH Terms] OR „sulfasalazi-ne“[All Fields]) AND („humans“[MeSH Terms] AND „adult“[MeSH Terms]) oh-ne Zeitbegrenzung landeten wir 136 Treffer, aber davon handelten die aller-

Sulfasalazin bei anhaltendem Durchfall nach sog. unspezifischen „infektiösen“ DurchfallSulfasalazine in Persistent Diarrhoea After Unspecific Dysentery

FrageWenn ein Patient einen akuten Durchfall hat, Loperamid ab dem vierten Tag nicht hilft, und kein Schleim oder Blut mehrmalig abgesetzt wird, kann man eine empirische Be-handlung mit Sulfasalazin für einige Zeit (2 Wochen) durchführen, bevor man tiefergreifende Untersuchungen einleitet?

AntwortDas Prodrug Sulfasalazin und seine Wirkkomponente Me-salazin – Wirkstoffe mit Zulassung gegen chronisch ent-zündliche Darmerkrankungen – zeigten in einigen weni-gen kleinen Studien Wirkung auch bei unspezifischen chronischen Darmerkrankungen (Off-label-Behandlung). Über die Wirkung bei akutem Durchfall gibt es keine Be-obachtungen.

QuestionIs it allowed to give Sulfasalazine or Mesalazine for about 2 weeks in case of a patient having a acute persistent diarrhea, resistant to Loperamide for 4 days, but showing no bloody or mucous stools?

AnswerThe pro-drug Sulfasalazine and its component Mesalazine are approved for the treatment of chronic inflammatory bowel diseases. But in a few, very small studies a positive effect has been shown also in unspecific chronic bowel diseases. Their role in acute diarrhea is not studied.

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486 EBM-SERVICE / EBM SERVICE

meisten Artikel von den chronisch ent-zündlichen Darmerkrankungen Colitis ulcerosa und Morbus Crohn, nur fünf Überschriften schienen zu unserer Fra-gestellung zu passen, und nur zwei Aus-sagen fanden wir erwähnenswert [1, 2].

Mit der Suche („diarrhoea“[All Fields] OR „diarrhea“[MeSH Terms] OR „diarrhea“[All Fields]) AND („mesala-mine“[MeSH Terms] OR „mesalami-ne“[All Fields] OR „mesalazine“[All Fields]) AND („humans“[MeSH Terms] AND „adult“[MeSH Terms]) landeten wir 120 Treffer, aber auch hier handel-ten die allermeisten Artikel von den chronisch entzündlichen Darmerkran-kungen Colitis ulcerosa und Morbus Crohn, nur fünf Überschriften passten irgendwie zu unserer Fragestellung und nur drei Aussagen fanden wir erwäh-nenswert [3, 4, 5].

Ergebnisse

• In den durchsuchten Leitliniendaten-banken und Sekundärdatenbanken fanden wir keinerlei Hinweise auf ei-ne Behandlung eines anhaltenden unspezifischen Durchfalls – mehr-heitlich ja infektiös – mit den Medika-menten Sulfasalazin oder Mesalazin.

• In einem kleinen Versuch (elf Patien-ten) wird berichtet, dass auch die Pou-chitis (Entzündung des Ileum-Anal-Anastomosen-Pouches) nach Kolo-proktektomie wegen Colitis ulcerosa ähnlich gut auf eine Behandlung mit Sulfasalazin anspricht wie die Colitis ulcerosa selber [1].

• Auch der Durchfall bei radiogener En-teritis aufgrund einer Strahlenthera-pie kann erfolgreich mit Sulfasalazin bekämpft werden [2].

• Mesalazin verbessert die Stuhlfre-quenz und Stuhlkonsistenz in glei-chem Maße beim postinfektiösen wie beim nicht-postinfektiösen Reiz-darmsyndrom, wenn es von Durchfall dominiert ist. Dies hat eine kleine bra-silianische Studie gezeigt (61 Patien-ten, Vorher-Nachher-Vergleich, nicht placebokontrolliert) [3].

• Ein kleiner placebokontrollierter Ver-such (13 Patienten) zeigt, dass Mesala-zin den chronischen Durchfall bei un-spezifischer Kolitis HIV-positiver Pa-tienten lindern kann [4].

• Eine Vergleichsstudie mit 170 Patien-ten zeigte, dass Mesalazin den Durch-fall und andere Beschwerden bei symp-tomatischer chronischer Divertikulitis besser mindert als Rifaximin [5].

Kommentar

Die Belege zur pharmakologischen Wirk-weise von Sulfasalazin und Mesalazin so-wie die spärlichen Hinweise, dass diese Medikamente auch bei unspezifischen Entzündungen des Darmes wie radio-gene Enteritis, chronische Divertikulitis und HIV-assoziierte unspezifische Kolitis wirksam sind, könnten nahelegen, dass sie generell auf Darmschleimhautent-zündungen hemmend wirken, also auch auf protrahierte Entzündungen nach akuten (viralen) Darminfekten.

Die Kenntnisse über die Langzeitsi-cherheit dieser Medikamente, die norma-lerweise wegen der chronisch entzündli-chen Darmerkrankungen über Jahre ein-genommen werden, sind recht gut, so-dass eine nur kurzfristige empirische Be-handlung von zwei Wochen als Off-la-bel-Therapie nach einem akuten Darm-infekt nicht als bedenklich erscheint.

1. Belluzzi A, Serrani M, Roda G, Bianchi ML, et al. Pilot study: the use of sulfasa-lazine for the treatment of acute pou-chitis. Aliment Pharmacol Ther. 2010; 31: 228–32

2. Kiliç D, Egehan I, Ozenirler S, Dursun A. Double-blinded, randomized, place-bo-controlled study to evaluate the ef-fectiveness of sulphasalazine in pre-venting acute gastrointestinal compli-cations due to radiotherapy. Radiother Oncol 2000; 57: 125–9

3. Bafutto M, Almeida JR, Leite NV, et al. Treatment of postinfectious irritable bowel syndrome and noninfective irri-

table bowel syndrome with mesalazi-ne. Arq Gastroenterol 2011; 48: 36–40

4. Rodríguez-Torres M, Rodríguez-Oren-go JF, Ríos-Bedoya CF, Fernández-Car-bia A, Salgado-Mercado R, Marxuach-Cuétara AM. Double-blind pilot study of mesalamine vs. placebo for treat-ment of chronic diarrhea and nonspe-cific colitis in immunocompetent HIV patients. Dig Dis Sci 2006; 51: 161–7

5. Di Mario F, Aragona G, Leandro G et al. Efficacy of mesalazine in the treatment of symptomatic diverticular disease. Dig Dis Sci 2005; 50: 581–6

Literatur

Ständig aktualisierte Veranstaltungstermine von den „Tagen der Allgemeinmedizin“ finden Sie unter

www.tag-der-allgemeinmedizin.de

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Bridging – gemeinsam geht es besser!Neue S1-Handlungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

Bridging – Together Everyone Achieves More

New Guidelines Published by the German College of General Practitioners and Family Physicians (DEGAM)

Armin Mainz

Was ist bekannt?

Spätestens seit der Veröffentlichung ei-ner zahnärztlichen Stellungnahme [1] und den Empfehlungen der Leitlini-engruppe Hessen [2] hat die Unterbre-chung einer oralen Antikoagulation und ggf. deren Überbrückung mit Heparin (Bridging) ihre theoretische Grundlage gefunden. Allerdings ist sie noch nicht als standardisiertes Vorgehen in der me-dizinischen Versorgung angekommen. Andererseits nimmt die Zahl der anti-koagulierten Patienten als auch die Zahl der operativen bzw. zahnärztlichen Ein-griffe stetig zu.

Für hausärztliche Qualitätszirkel zur Pharmakotherapie wurde in den vergan-genen Jahren die Datenlage zur Unter-brechung der Antikoagulation erneut aufbereitet [3]. Mit diesen Informatio-nen sollen die Teilnehmenden verstärkt zu einer systematischen Implementie-rung motiviert werden.

Was ist neu?

In die Handlungsempfehlung „Brid-ging“ ist eine Anleitung mit dem aktuell gültigen Management einer Unterbre-chung der Antikoagulation [4] inte-griert. In dieser Anleitung sind die Zu-

ständigkeiten für die einzelnen Verfah-rensabschnitte geregelt. Nachdem die Hausarztpraxis das individuelle Patien-tenrisiko ermittelt hat, werden von den verantwortlichen Operateuren/Zahn-ärzten eindeutige Angaben zum Brid-ging verlangt. Anschließend werden die Patienten konkret über das Vorgehen in-struiert. Die erforderlichen Maßnahmen können von Medizinischen Fachange-stellten nach einer Einweisung weit-gehend selbstständig umgesetzt werden. Die Dokumentation in der Praxis-EDV wird vereinfacht.

Was gibt es noch zu tun?

Noch nicht alle zahnärztlich bzw. opera-tiv tätigen Personen sind über die wis-senschaftlichen Erkenntnisse zur (Nicht-)Unterbrechung der Antikoagu-lation umfassend informiert. Diese Leit-linie kann bei der Verbreitung des Wis-sens unterstützend eingesetzt werden. Die patientenindividuelle Umsetzung der Antikoagulationsunterbrechung ist für das Praxisteam aufwendig; eine er-gänzende schriftliche Patientenanlei-tung könnte den Prozess vereinfachen.

Interessenkonflikte: keine angege-ben.

Facharzt für Innere Medizin, KorbachDOI 10.3238/zfa.2013.0487–0490

Dr. med. Armin Mainz

Gemeinschaftspraxis

Am Berndorfer Tor 5

34497 Korbach

[email protected]

www.praxis-korbach.de

Korrespondenzadresse

1. Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Zahn-ärztliche Chirurgie bei Patienten mit Antikoagulanzientherapie. Wissen-schaftliche Stellungnahme, Stand 7/01

2. Leitliniengruppe Hessen. Hausärzt-liche Leitlinie „Antikoagulation“, 8. Juli 2006

3. Kaufmann-Kolle P. Verordnungsspie-gel und Hintergrundinformationen „Antithrombotika“ (Hessen 7).

AQUA-Institut Göttingen, Novem-ber 2011

4. Baron TH, Kamath PS, McBane RD. Management of antithrombotic the-rapy in patients undergoing invasive procedures (mit supplementary ap-pendix). N Engl J Med 2013; 368: 2113–24

Literatur

… arbeitet in einer hausärztlichen Gemeinschaftspraxis in Kor-

bach/Nordhessen, die Praxis ist eine Lehrpraxis der Universität

Marburg. Als langjähriger Moderator für Qualitätszirkel und Vi-

sitor von EPA-Praxen ist er sehr vertraut mit den hausärztlichen

Arbeitsbedingungen.

Dr. med. Armin Mainz …

487LEITLINIE / GUIDELINE

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DEGAM S1-Handlungsempfehlung

BridgingDefinitionPatientinnen und Patienten, die Cumarinderivate zur Hemmung der Blutgerinnung einnehmen (Antikoagulation) und sich einer Operation oder einem invasiven diagnostischen Eingriff unterziehen, benötigen unter bestimmten Voraussetzungen eine Unterbrechung ihrer Blutgerinnungshemmung.Epidemiologie / VersorgungsproblemDie Zahl der antikoagulierten Patientinnen und Patienten nimmt zu. Gleichzeitig werden immer mehr diagnostische und therapeutische Eingriffe mit möglichen Blutungsrisiken durchgeführt. Hausärztinnen und Hausärzten obliegt die Planung und Steuerung eines optimalen Schutzes vor venösen oder arteriellen Thromboembolien einerseits undPlanung und Steuerung eines optimalen Schutzes vor venösen oder arteriellen Thromboembolien einerseits und schweren Blutungen andererseits.EinteilungFolgende Eingriffe mit einem niedrigen Blutungsrisiko (< 1,5 %) bedürfen keiner Unterbrechung der Blutgerinnungshemmung (ein INR-Wert um 2 ist ausreichend): • Zahnziehen (Ausnahme: Mehrere Zähne)• Magen- oder Darmspiegelungen (ohne Polypektomien)• Katarakt-Operationen• Haut-Operationen• BronchoskopienBronchoskopien• Beckenkammpunktionen• Leistenbruch-OperationenBei Eingriffen mit einem hohen Blutungsrisiko (> 1,5%) richtet sich das Vorgehen nach der Zugehörigkeit zu drei Risikogruppen mit einem niedrigen, mittleren oder hohen Risiko für eine Thromboembolie (siehe Seite 2).Für Herzschrittmacher-Implantationen und Arthroskopien existieren keine einheitlichen Risikozuordnungen; bei Ersterem soll jedoch grundsätzlich die Antkoagulation nicht unterbrochen werden.Prognose/VerlaufAufgrund der therapiebedingten instabilen Blutgerinnung birgt jegliche Änderung an einer laufenden Blutgerinnungshemmung das Risiko die ursprünglich zu vermeidenden Komplikationen hervorzurufenBlutgerinnungshemmung das Risiko, die ursprünglich zu vermeidenden Komplikationen hervorzurufen.Abwendbar gefährliche VerläufeEin systematisches und kooperatives, d. h. fachübergreifendes Vorgehen kann zur Vermeidung von Thromboembolien und gefährliche Blutungen beitragen.DiagnostikGemessen wird die Thromboplastinzeit. Um eine Vergleichbarkeit der Testergebnisse zu ermöglichen, soll statt der Angabe des „Quick“-Wertes der INR-Wert (International Normalized Ratio) verwendet werden.Mit dem CHADS2 –Score kann ein Schlaganfallrisiko bei Vorhofflimmern geschätzt werden. Jedes vorhandene Risiko bedeutet einen Punkt, bei einem bereits erlittenen Schlaganfall werden zwei Punkte vergeben.C = Herzinsuffizienz, H = Hypertonie, A = Alter > 75, D = Diabetes, S = Schlaganfall.TherapieIn Abstimmung mit den intervenierenden Fachgebieten sollten die Risikogruppe, die Obergrenze des INR-Wertes, ggf. die Heparin-Ersatztherapie (NMH) und die Änderung der Antikoagulation hausärztlicherseits festgelegt werden. Mit Hilfe des auf der Folgeseite abgebildeten patientenindividuellen Ablaufplanes unterstützen die Medizinischen Fachangestellten die Ärztin/den Arzt bei diesem Vorhaben. Der ausgefüllte Plan wird den Patientinnen und Patienten ausgehändigt und dient diesen ebenfalls zur Orientierung über die durchzuführenden Maßnahmen.Achtung:• Der Einsatz der NM Heparine erfolgt bei dieser Indikation off label“• Der Einsatz der NM-Heparine erfolgt bei dieser Indikation „off label“.• Bei mäßiger Niereninsuffizienz sollten und bei schwerer Niereninsuffizienz dürfen keine NM-Heparine gegeben

werden.

______________________________________________________________Stand 2013 © DEGAM www.degam-leitlinien.deDEGAM LeitlinienHilfen für eine gute Medizin

488 LEITLINIE / GUIDELINE

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______________________________________________________________Stand 2013 © DEGAM www.degam-leitlinien.deDEGAM LeitlinienHilfen für eine gute Medizin

Der folgende Algorithmus kann in das praxiseigene EDV-System übernommen und individuell ausgedruckt werden. Zum Ausfüllen von a), b) und c) wird er an die entsprechende Fachdisziplin weitergereicht. PatientIn: …………………………………………………………………………………………….. geb. : …………………………………………

Risikogruppe hoch (> 10 % Thrombembolien/Jahr)

• Venenthrombose oder Lungenembolie in den letzten 3 Monaten

• Vorhofflimmern und CHADS2 � 4 oder mit Insultereignis in den letzten 3 Monaten

• Mitralkunstklappen oder nicht-bikuspidale Aortenkunstklappen oder rheumatische Klappenerkrankungen

• Schwere Blutgerinnungs-störungen (z.B. homozygote Faktor-V-Leiden-Mutation)

Risikogruppe mittel (5–10 % Thrombembolien/Jahr)

• Venenthrombose oder Lungenembolie vor 3–12 Monaten oder wiederholte Thromboembolien

• Vorhofflimmern und CHADS2 = 3 oder 4

• Bikuspidale Aortenkunstklappe und CHADS2 > 0

• Tumorerkrankung unter Therapie (Zuordnung nicht einheitlich)

Risikogruppe niedrig (< 5 % Thrombembolien/Jahr)

• Venenthrombose oder Lungenembolie vor mehr als 12 Monaten

• Vorhofflimmern und CHADS2 � 2

• Bikuspidale Aortenkunstklappe und CHADS2 = 0

• Tumorerkrankung unter Therapie (Zuordnung nicht einheitlich)

Vor der geplanten Maßnahme eintragen lassen und wieder zur Hausarztpraxis zurückbringen: a) Eingriff: ………………………………………………………………………………….. b) am (Wochentag und Datum): ………………………………………………… c) INR soll sein < …………………………………….. (in der Regel < 1,5) …………………………………………………………… (Unterschrift)

Ab ………………………… , den ……………………….. mit der Einnahme der Blutgerinnungstabletten pausieren.

Ab dem ………………………. tägl. Heparinspritze(n) in therapeutischer Dosierung*

Ab dem ……………………….. tägl. Heparinspritze(n) in halbtherapeutischer Dosierung* Außer: Hohes individuelles Blutungsrisiko (positive Anamnese, NSAR, Patientenpräferenz) > dann weiter wie bei „Risikogruppe niedrig“

Unterbrechung ohne Bridging!

Evtl. 2 Tage (beim Hausbesuch 3 Tage) vor dem Eingriff Blutentnahme, INR-Wert bestimmen lassen und das Ergebnis am Vortag des Eingriffs abholen: …………………………………………..…

Letzte Heparinspritze in halbtherapeutischer Dosierung* am Morgen des Vortages. Keine Spritzen am Vorabend und am Tag des Eingriffs!

Nach dem Eingriff beim intervenierenden Arzt nachfragen und der Praxis mitteilen, ab welchem Tag nach dem Eingriff (ab dem 1. oder ab dem 2. Tag; bei Sphinkterotomien und Polypektomien i. d. Regel erst ab dem 3. Tag) die Heparinspritzen wieder gegeben werden sollen: …………………………………………………………………

Nach dem Eingriff beim intervenierenden Arzt nach-fragen und der Praxis mitteilen, ob bereits am Tag des Eingriffs oder erst am Tag danach die Blut-gerinnungstabletten wieder eingenommen werden sollen:

…………………………………………………….

Am Tag nach dem Eingriff in der Praxis zweimal anrufen:1.) Frühmorgens den erfolgreich durchgeführten Eingriff bekannt geben 2.) Mittags nachfragen

wie lange die Spritzen fortzusetzen sind

wie die Blutgerinnungstabletten einzunehmen sind

wann die nächste Blutkontrolle (INR) erfolgen soll

Am Tag nach dem Eingriff in der Praxis anrufen und nachfragen

wie die Blutgerinnungs- tabletten weiter einzu- nehmen sind

wann die nächste Blutkontrolle (INR) erfolgen soll

*Bitte hier die bevorzugte praxiseigene Medikation (NMH) eintragen.

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■ © Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2013; 89 (12)

LiteraturLiteratur1. Kaufmann-Kolle, P. Verordnungsspiegel und Hintergrundinformationen „Antithrombotische Mittel“

(Hessen 6). AQUA-Institut Göttingen, September 20082. Kaufmann-Kolle, P. Verordnungsspiegel und Hintergrundinformationen „Antithrombotika“ (Hessen 7).

AQUA-Institut Göttingen, November 20113. Leitliniengruppe Hessen. Hausärztliche Leitlinie „Antikoagulation“, 8. Juli 20064. Chassot P-G, Delabays A, Spahn DR. Perioperative antiplatelet therapy: the case for continuing therapy

in patients at risk of myocardial infarction. Br J Anaesth 2007; 99: 316�285. Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Zahnärztliche Chirurgie bei Patienten mit5. Deutsche Gesellschaft für Zahn , Mund und Kieferheilkunde. Zahnärztliche Chirurgie bei Patienten mit

Antikoagulanzientherapie. Wissenschaftliche Stellungnahme, Stand 7/01 6. Fialka F, Kramer F-J. Zahnärztliche Eingriffe bei oral antikoagulierten Patienten: Aktuelle Leitlinien und

deren klinische Relevanz für die Kooperation von Haus- und Zahnarzt. Z Allg Med 2006; 82: 562�5667. Anonymus. Perioperatives Management bei oraler Antikoagulation. arznei-telegramm 2004; 35: 94�968. Bauersachs RM, Schellong S, Haas S, Gogarten W, Riess H, Omran H. Überbrückung der oralen

Antikoagulation bei interventionellen Eingriffen. Dtsch Arztebl 2007; 104: A 1237�449. Hua TD, Vormfelde S, Abed MA, Schneider-Rudt H, Sobotta P, Chenot J-F. Orale Antikoagulation in der

Hausarztpraxis. Z Allg Med 2010; 86: 382�38910 A P i i M b i l A ik l i i l 2013 44 41 4410. Anonymus. Perioperatives Management bei oraler Antikoagulation. arznei-telegramm 2013; 44: 41�4411. Spyropoulos A C, Douketis J D. How I treat anticoagulated patients undergoing an elective procedure or

surgery. Blood 2012; 120: 2954�6212. Baron T H, Kamath P S, McBane R D. Management of antithrombotic therapy in patients undergoing

invasive procedures (mit supplementary appendix). N Engl J Med 2013; 368: 2113�24

______________________________________________________________Stand 2013 © DEGAM www.degam-leitlinien.deDEGAM LeitlinienHilfen für eine gute Medizin

Autoren: Armin MainzKonzeption und wissenschaftliche Redaktion: M. Scherer, C. Muche-Borowski, A. Wollny

490 LEITLINIE / GUIDELINE

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Die neue S1-Leitlinie ThrombozytenaggregationshemmerNeue S1-Handlungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

The New S1-Guideline Antiplatelet Treatment

New Guidelines Published by the German College of General Practitioners and Family Physicians (DEGAM)

Günther Egidi

Hintergrund

Angesichts einer zunehmenden Zahl auf den Markt gelangender neuer Thrombo-zytenaggregationshemmer besteht für Hausärztinnen und Hausärzte eine wachsende Unsicherheit, welche Emp-fehlungen nach Klinikentlassung umge-setzt werden sollten.

Methode

Es werden Schlüsselfragen zum Einsatz von Thrombozytenaggregationshem-mern gestellt und mit den wichtigsten Referenzen sowie unter Zitieren der ak-tuell ins Netz gestellten DEGAM-S1-Leit-linie zum Thema beantwortet. Zudem wird auf eine in Arbeit befindliche S2e-Leitlinie mit umfangreichem Evi-denzreport verwiesen.

Wie lange soll nach Stent-Im-plantation an den Koronararte-rien Clopidogrel zusätzlich zu ASS eingesetzt werden (PTCA ohne akutes koronares Syndrom)?• Die 4-wöchige Gabe nach unbe-

schichtetem Stent ist nicht kontro-vers. Sie wird in allen Leitlinien glei-chermaßen empfohlen. Datengrund-lage ist die CURE-Studie [1].

Deutlich kontrovers ist die Empfehlung, eine doppelte Plättchenhemmung (DAPT) nach beschichtetem Stent nur 6 Monate lang durchzuführen. Die ESC und mit ihr die meisten deutschen Klinik-Kar-diologen empfehlen Clopidogrel zusätz-

lich zu ASS für ein ganzes Jahr. Daten-grundlage für die DEGAM-Empfehlung sind die PRODIGY [2] – und die OPTIMI-ZE-Studie [2]. In PRODIGY war eine DAPT über 6 Monate einer 24-monati-gen Behandlung hinsichtlich ischä-mischer Ereignisse nicht unterlegen – bei deutlich erhöhter Blutungsrate bei der längeren Anwendungsdauer. In OP-TIMIZE war eine 3-monatige DAPT nach mit Zotarolimus beschichtetem Stent bei stabiler KHK (also bei fraglicher Indi-kation für den Stent) einer 12-monati-gen Behandlung nicht unterlegen.

Sind Thrombozyten-Tests sinn-voll, um ggfs. die Clopidogrel-Do-sis anzupassen? • Die drei Studien GRAVITAS [4], CUR-

RENT-OASIS [5] und ARCTIC [6] be-antworten diese Frage negativ – Thrombozyten-Funktionstests und ei-ne entsprechende Anpassung der Clo-pidogrel-Dosis können nicht empfoh-len werden.

Gibt es außerhalb akuter korona-rer Syndrome und/oder Stent-Im-plantation Indikationen, in denen Clopidogrel allein oder zusätzlich zu ASS empfohlen werden kann?• Wenn es unter ASS zu einem Schlag-

anfall gekommen ist, ist das keine In-dikation für Clopidogrel. In der größ-ten diesbezüglichen Studie CAPRIE [7] war Clopidogrel hinsichtlich Re-Insult nicht überlegen. Die Beschluss-lage des Gemeinsamen Bundesaus-schusses [8] beruht auf dieser Datenla-ge.

• Eine Ausnahme stellt die prädefinier-te Subgruppe der Patienten mit symp-tomatischer pAVK dar.

• Die kürzlich veröffentlichte CHANCE-Studie [9] zeigte zwar eine signifikante Senkung der Rate an Re-Insulten unter DAPT(8,2 vs. 11,7 %). Die Limitationen dieser Studie sprechen vorerst gegen ih-re Generalisierbarkeit − v.a. angesichts der großen Menge an Arbeiten [10−12], die ein Überwiegen von Blutungskom-plikationen vor der nicht signifikanten Senkung der Reinsult-Rate zeigen.

• Eine gastrointestinale Unverträglich-keit von ASS und Ulcera sollten zur Hinzufügung von H2-Blockern [13] bzw. Protonenpumpenhemmern [14] und nicht zum Wechsel auf Clopido-grel führen.

• Vorhofflimmern mit [15] oder ohne [16] Kontraindikationen gegen Warfa-rin ist keine Indikation für eine DAPT.

Welcher Thrombozytenaggregati-onshemmer soll nach akutem ko-ronarem Syndrom eingesetzt wer-den?• Ticagrelor über ein Jahr lang gegeben

senkt nach den Daten der PLATO-Stu-die [17] die Gesamt-Sterblichkeit sig-nifikant und relevant um 1,4%, ohne die Rate gravierender Blutungen zu er-höhen. Dies gilt für alle Formen des akuten koronaren Syndroms – ob oh-ne koronare Intervention, PTCA oder Bypass, ob STEMI oder NSTEMI. (Die verwirrende Beschlusslage des Ge-meinsamen Bundesausschusses zur Nutzenbewertung von Ticagrelor [18]

Hausarzt in Bremen, Sprecher Sektion Fortbildung der DEGAMDOI 10.3238/zfa.2013.0491–0495

491LEITLINIE / GUIDELINE

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■ © Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2013; 89 (12)

war dadurch entstanden, dass die Ver-gleichssubstanz Clopidogrel bei STE-MI nie untersucht worden war).

• Prasugrel sollte nicht verwendet wer-den. In der TRITON-TIMI-38-Studie [19] führte Prasugrel zwar zu einer sig-nifikanten Senkung des Sammelend-punktes. Eine Nachanalyse der Daten durch das IQWIG [20] zeigte einen al-lenfalls leichten Vorteil von Prasugrel hinsichtlich ischämischer Endpunkte bei signifikanter Zunahme von schweren Blutungen, also einen Net-to-Schaden.

• Wenn Ticagrelor nicht vertragen wird, sollte je nach Stent 4 Wochen bzw. 6 Monate lang mit Clopidogrel behandelt werden.

Wie stelle ich einen Patienten auf Clopidogrel um, der gerade mit Prasugrel aus der Klinik entlassen wurde? Und wie gehe ich vor, wenn Ticagrelor nicht vertragen wurde?

• Bei Umstellung von Prasugrel auf Clo-pidogrel ist keine Aufsättigung nötig.

• Bei Umstellung von Ticagrelor auf Clopidogrel am 1. Tag Aufsättigung mit 300 mg Clopidogrel oral.

• Bei Umstellung von Prasugrel bzw. Clopidogrel auf Ticagrelor erst 1–3 Ta-ge Pause, dann Ticagrelor.

Was mache ich, wenn ein wegen Thrombose, Vorhofflimmern oder einer Kunstklappe dauerhaft anti-koagulierter Patient einen In-farkt erleidet und einen Stent be-kommt?• Nach Möglichkeit soll dann ohnehin

kein beschichteter Stent verwendet werden. Das beeinflussen Hausärzte aber regelhaft nicht.

• Planbare Operationen sollen unter die-ser Konstellation verschoben werden.

• Zu Ticagrelor liegen keine Studien zur Komedikation mit Phenprocoumon vor. Daher sollte dann eher Clopido-grel verwendet werden.

• Eine Triple-Therapie sollte so kurz wie möglich durchgeführt werden (nach unbeschichtetem Stent 4 Wochen, nach beschichtetem 3 Monate lang).

• Eine kleine randomisierte Studie [21] und eine dänische Register-Studie [22] sprechen dafür, nach einer Triple-The-rapie nur die Kombination aus Clopi-dogrel und Phenprocoumon zu ver-wenden, bis 12 Monate nach Infarkt-ereignis oder Stentimplantation ver-gangen sind und danach nur noch zu antikoagulieren.

• Unter einer Triple-Therapie sollte der INR-Wert vorsichtshalber nur zwi-schen 2,0−2,5 liegen.

Eine S2e-Leitlinie mit umfangreichem Evidenzreport wird zu Beginn 2014 ver-öffentlicht werden.

Interessenkonflikte: keine angege-ben.

Dr. med. Günther Egidi

Arzt für Allgemeinmedizin

Huchtinger Heerstraße 41

28259 Bremen

[email protected]

Korrespondenzadresse

1. Yusuf F, Zhao F, Mehta SR, et al for the Clopidogrel in Unstable angina to pre-vent Recurrent Events (CURE) trial in-vestigators. Effects of clopidogrel in ad-dition to aspirin in patients with acute coronary syndromes without ST-seg-ment-elevation. N Engl J Med 2001; 345: 494−502

2. Valmigli M, Campo G, Monti M, et al. for the Prolonging Dual Antiplatelet Treatment After Grading Stent-Induced Intimal Hyperplasia Study (PRODIGY) Investigators. Short- versus long-term duration of dual-antiplatelet therapy after coronary stenting. A randomized multicenter trial. Circulation. 2012; 125: 2015−2026

3. Feres F, Costa RA, Abizaid A, et al. for the OPTIMIZE investigators. Three vs twelve months of dual antiplatelet the-rapy after zotarolimus-eluting stents: the OPTIMIZE randomized trial. JAMA. doi:10.1001/jama.2013.282183 Publis-hed online October 31, 2013

4. Price MJ, Berger PB, Teirstein PS, et al. for the GRAVITAS investigators. Stan-dard- vs high-dose clopidogrel based on platelet function testing after per-cutaneous coronary intervention: the GRAVITAS randomized trial. JAMA 2011; 305: 1097−1105

5. Mehta R, Bassand JP, Chrolavicius S, et al. for the CURRENT-OASIS-7 investiga-tors. Dose comparisons of clopidogrel and aspirin in acute coronary syndro-mes. N Engl J Med 2010;,363:,930−42

6. Collet JP, Cuisset T, Rangé G, et al for the ARTIC investigators. Bedside moni-toring to adjust antiplatelet therapy for coronary stenting. N Engl J Med 2012. DOI: 10.1056/NEJMoa1209979

7. Gent M, Beaumont D, Blanchard J, et al. for the CAPRIE steering committee. A randomised, blinded, trial of clopido-grel versus aspirin in patients at risk of ischaemic events (CAPRIE). Lancet 1996; 348: 1329–39

8. http://www.g-ba.de/institution/sys/ suche/ergebnis/?suche[suchbegriff]= clopidogrel&suche[offset]=0&suche [sortierung]=relevanz&suche [kategorie]=alle (letzter Zugriff am 25.11.2013) 9. Wong KS, Wang Y, Leng X, et al. Early

dual versus mono antiplatelet therapy for acute non-cardioembolic ischemic stroke or transient ischemic attack: an updated systematic review and meta-analysis. Circulation 2013; 128: 1656−1666

10. Geeganage CM, Diener HC, Algra A, et al. for the Acute Antiplatelet Stroke Trialists Collaboration. Dual or mono antiplatelet therapy for patients with acute ischemic stroke or transient ischemic attack: systematic review and meta-analysis of randomized control-led trials. Stroke 2012; 43: 1058−66

11. Zhou YH, Wei X, Lu J, et al. Effects of combined aspirin and clopidogrel the-rapy on cardiovascular outcomes: a sys-

Literatur

... Arzt für Allgemeinmedizin, seit 1999 in hausärztlicher

Gemeinschaftspraxis in Bremen niedergelassen. Vertreter

der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)

bei der Nationalen Versorgungsleitlinie Diabetes.

Dr. med. Günther Egidi …

492 LEITLINIE / GUIDELINE

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© Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2013; 89 (12) ■

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12. Palacio S, Hart RG, Pearce LA, et al. Ef-fect of addition of clopidogrel to aspi-rin on mortality: systematic review of randomized trials. Stroke 2012; 43: 2157−62

13. Wu CY, Chan FK, Wu MS, et al. His-tamine2-receptor antagonists are an al-ternative to proton pump inhibitor in patients receiving clopidogrel. Gastro-enterology 2010; 139: 1165−71

14. Chan FK, Ching JY, Hung LC, et al. Clo-pidogrel versus aspirin and esomepra-zole to prevent recurrent ulcer blee-ding. N Engl J Med 2005; 352: 238−44

15. Connolly SJ, Eikelboom JW, Ng J et al. for the ACTIVE Investigators. Net clini-cal benefit of adding clopidogrel to aspirin therapy in patients with atrial fibrillation for whom vitamin K anta-gonists are unsuitable. Ann Intern Med 2011; 155: 579−86

16. Connolly S, Pogue J, Hart R, et al. for the ACTIVE Writing Group. Clopidogrel plus aspirin versus oral anticoagulation for atrial fibrillation in the Atrial Fibril-lation Clopidogrel Trial with Irbesartan for Prevention of Vascular Events (ACTIVE W): a randomised controlled trial. Lancet 2006; 367: 1903−12

17. Wallentin L, Becker RC, Budaj A, et al for the PLATO investigators. Ticagrelor versus clopidogrel in patients with acu-te coronary syndromes. N Engl J Med 2009; 361: 1045−57

18. http://www.g-ba.de/institution/sys/ suche/ergebnis/?suche[suchbegriff]= ticagrelor&suche[offset]=0&suche [sortierung]=relevanz&suche [kategorie]=alle (letzter Zugriff am 25.11.2013) 19. Wiviott SD, Braunwald E, McCabe CH

et al. TRITON-TIMI 38 Investigators. Prasugrel versus clopidogrel in patients with acute coronary syndromes. N Engl J Med 2007; 357: 2001−15

20. Institut für Qualität und Wirtschaftlich-keit im Gesundheitswesen (IQWIG). Addendum zum Auftrag A09–02 (Prasu-grel bei akutem Koronarsyndrom)

(letzter Zugriff am 25.11.2013) https://www.iqwig.de/download/A11–

21_Addendum_zum_Auftrag_A09–02_ Prasugrel_bei_akutem_Koronarsyn drom.pdf

21. Dewilde D, Oirbans T, Verheugt F, et al. for the WOEST investigators. Use of clopidogrel with or without aspirin in patients taking oral anticoagulant the-rapy and undergoing percutaneous co-ronary intervention: an open-label, randomised, controlled trial. Lancet 2013; 381: 1107–15

22. Lamberts M, Gislason GH, Olesen JB, et al. Oral anticoagulation and antiplate-lets in atrial fibrillation patients after myocardial infarction and coronary in-tervention. J Am Coll Cardiol 2013; 62: 981–9

DEGAM-Leitlinien frei im Netz

Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

stehen frei im Internet zur Verfügung. Die wissenschaftlich fundierten und vor der Veröffent-

lichung in Praxen erprobten DEGAM-Leitlinien richten sich nicht nur an Hausärzte, sondern

auch an Patienten und Praxismitarbeiter. Neben der Langversion gibt es eine Kurzfassung als

laminierte, zweiseitige Tischkarte im A5-Format. Mehrere tausend Leitlinien-Sets werden in

Praxen und Universitäten in der täglichen Arbeit mit Patienten eingesetzt. Alle Module können

auf der DEGAM-Leitlinien-Homepage (http://leitlinien.degam.de) oder auf der Homepage

der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften,

http://leitlinien.net/) bei Bedarf heruntergeladen und ausgedruckt werden.

Kontakt:

Philipp Gehring

DEGAM-Bundesgeschäftsstelle

Johann Wolfgang Goethe-Universität

Theodor-Stern-Kai 7

60590 Frankfurt am Main

Telefon: 069 65007245

Fax: 069 68974602

E-Mail: [email protected]

Homepage: www.degam.de

Dr. phil. Anja Wollny

DEGAM-Geschäftsstelle „Leitlinien“

c/o Institut für Allgemeinmedizin

Universitätsmedizin Rostock

Doberaner Str. 142

18057 Rostock

Telefon: 0381 4942484

Fax: 0381 4942482

E-Mail: [email protected]

493LEITLINIE / GUIDELINE

Page 16: ZFA 12 2013 - Online ZFA · New Oral Anticoagulants (in Non-Valvular Atrial Fibrillation) – an Innovation Without Risks? Hans-Otto Wagner, Alexander Liesenfeld 496..... DER BESONDERE

■ © Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2013; 89 (12)

DEGAM S1-Handlungsempfehlung Duale Plättchenhemmung –Neue Thrombozytenaggregationshemmer

KHK ohne akutes koronares Syndrom

1.1

ASS 100 mg. Nur bei echter ASS-Kontraindikation¥ Clopidogrel 75 mg* ¥ ASS-Asthma -Allergie NICHT: Ulcus

1 2

mg ¥ ASS-Asthma, -Allergie, NICHT: Ulcus

1 3

UnbeschichteterStent (BMS)

Beschichteter Stent (DES)

1.2

4 Wochen lang Clopidogrel 75 mg

+ dauerhaft ASS 100 mg

sofern nicht kontraindiziert

6 Monate lang Clopidogrel 75 mg

+ dauerhaft ASS 100 mg

sofern nicht kontraindiziert

1.3

KEINE INDIKATION FÜR CLOPIDOGREL1. Als Monotherapie nach Schlaganfall unter ASS 2. Clopidogrel zusätzlich zu ASS kann nach TIA derzeit nicht empfohlen werden.

* KEINE LABORBESTIMMUNGEN hinsichtlich der Thrombozyten-Wirksamkeit von Clopidogrel

3. Magenbeschwerden/Ulcera unter ASS => besser PPI hinzufügen4. Vorhofflimmern (allein oder in Kombination mit ASS)

RESERVE-INDIKATION FÜR CLOPIDOGREL1. Symptomatische pAVK mit Gehstrecke < 200 Meter und/oder entsprechende

Gefäßintervention an den BeinarterienGefäßintervention an den Beinarterien2. Vorübergehend nach Stent an den das Gehirn versorgenden Arterien (+ ASS)

______________________________________________________________Stand 2013 © DEGAM www.degam-leitlinien.deDEGAM LeitlinienHilfen für eine gute Medizin

494 LEITLINIE / GUIDELINE

Page 17: ZFA 12 2013 - Online ZFA · New Oral Anticoagulants (in Non-Valvular Atrial Fibrillation) – an Innovation Without Risks? Hans-Otto Wagner, Alexander Liesenfeld 496..... DER BESONDERE

© Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2013; 89 (12) ■

Ti l

Akutes koronares Syndrom

1.4

Ticagrelor vertragen,Einnahmetreue gewährleistet

Ticagrelor nicht vertragen/Zweifel an Einnahmetreue

(2x tägl. Einnahme)

Bei jedem koronaren Syndrom, Akutes koronares PTCA it St tj y ,

mit koronarer Interventionoder ohne, mit PTCA oder Bypass

=> Ticagrelor (Brilique®*)2 x 90 mg/d für 1 Jahr

zusätzlich zu ASS 100 mg/d

Akutes koronaresSyndrom

ohne PTCA

PTCA mit Stent

ASS l

1.5

ASS plus

1.6

*Die Senkung der Gesamtsterblichkeit um 1 4% in 1 Jahr rechtfertigt die 6-fach höheren

Umstellung von…

plus 3 Monate Clopidogrel

plus (je nach Stent 4 Wo. bzw. 6 Mo.)

Clopidogrel

Prasugrel auf Clopidogrel

Ticagrelor auf Cl id l

Keine Aufsättigung nötig

1 Tag Aufsättigung 300 mg Clopi oral

1.7

1.8

1,4% in 1 Jahr rechtfertigt die 6-fach höherenTherapiekosten im Vergleich zu Clopidogrel

Prasugrel (Efient®) ist nicht indiziert Nutzen-Risiko (Blutungen)-Verhältnis ungünstig

Ticagrelor auf Clopidogrel

Prasugrel/Clopidogrelauf Ticagrelor

1. Tag Aufsättigung 300 mg Clopi oral

1�3 Tage Pause, dann erst Ticagrelor

1.9

Triple-Therapie (Phenprocoumon + ASS + Clopidrogel nach Stent oder ACS bei Indikation für Antikoagulation1. So kurz wie möglich2. Planbare Operationen verschieben3. Clopidrogel statt Ticagrelor (fehlende Erfahrungen mit Triple-Therapie unter Einschluss

Ticagrelor)4. Bei BMS 4 Wochen Triple-Therapie, dann Phenprocoumon + Clopidogrel bis Monat 125. Bei DES: Triple-Therapie für 3 Monate, dann Phenprocoumon + Clopidrogel bis Monat 126. Nach 12 Monaten Phenprocoumon allein

______________________________________________________________Stand 2013 © DEGAM www.degam-leitlinien.deDEGAM LeitlinienHilfen für eine gute Medizin

Autor: Günther Egidi. Eine ausführlich begründende S2e-Leitlinie ist in Vorbereitung Keine Interessenkonflikte. Gültigkeit bis 8/2015

Konzeption und wissenschaftliche Redaktion: M. Scherer, C. Muche-Borowski, A. Wollny

Weiterverbreitung unter Quellenangabe gestattet.

495LEITLINIE / GUIDELINE

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■ © Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2013; 89 (12)

Neue orale Antikoagulantien (bei nicht valvulärem Vorhofflimmern)Neue S1-Handlungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

New Oral Anticoagulants (in Non-Valvular Atrial Fibrillation) – an Innovation Without Risks?

New Guidelines Published by the German College of General Practitioners and Family Physicians (DEGAM)

Hans-Otto Wagner1, Alexander Liesenfeld2

Was ist bisher bekannt?

Die Prävalenz des Vorhofflimmerns, ei-ne der häufigsten kardialen Rhythmus-störungen, nimmt mit dem Alter zu und beträgt bei 80-Jährigen 5–15 %. Vorhof-flimmern birgt ein Risiko für verschiede-ne Komplikationen, so ist u.a. das Risiko für einen Schlaganfall bis zu fünffach er-höht. Das Schlaganfallrisiko kann mit-tels Risikoscore (CHADS2-Score3 oder CHA2DS2-VASc-Score4) bestimmt wer-den [1, 2].

Der CHA2DS2-VASc-Score differen-ziert im unteren Bereich des CHADS2-Scores besser und ist daher eher geeignet Niedrigrisikopatienten zu identifizieren (< 65 Jahre, keine struktu-relle Herzerkrankung) [3]. Nach Ab-schätzung des Blutungsrisikos und an-derer patientenindividueller Faktoren einerseits und dem Schlaganfallrisiko andererseits wird für viele Patienten mit Vorhofflimmern zur Senkung des Schlaganfallrisikos eine antithromboti-sche Therapie mit einem oralen Anti-koagulans (OAK) empfohlen. Allerdings kommt es bei der Anwendung des neuen CHA2DS2-VASc-Scores mit der empfoh-lenen Indikation zu einer deutlichen In-dikationsausweitung [4]. In allen Inter-ventionsstudien, die einen Vorteil der OAK belegen, auch bei den neuen oralen

Antikoagulantien (NOAK), wurde zur Risikostratifizierung allerdings der ältere CHADS2-Score zugrunde gelegt.

Die DEGAM-Leitlinie Nr. 8: „Schlag-anfall“ thematisiert ausführlich die Schlaganfallprävention bei Vorhofflim-mern [2]. Spezialistische Empfehlungen beziehen sich im Wesentlichen auf die Leitlinie der European Society of Cardio-logy (ESC) [1, 5] und auf einen Kom-mentar der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie [6].

Als Standard für eine effektive orale Antikoagulation und Senkung der Schlaganfallrate gilt die Behandlung mit einem Vitamin-K- Antagonisten (VKA) (Cumarine) wie Phenprocoumon (Mar-cumar®, Falithrom®, Generika) oder Warfarin (Coumadin®).

Was ist neu?

In den letzten Jahren sind neue Anti-koagulantien zur Prävention des Schlag-anfalls bei Vorhofflimmern zugelassen worden: Dabigatran (Pradaxa®), Rivaro-xaban (Xarelto®) und Apixaban (Eli-quis®). Diese neuen oralen Antikoagu-lantien werden damit beworben, dass sie so wirksam wie VKA seien, dabei aber si-cherer und einfacher in der Hand-habung (wie in einem Editorial des

Deutschen Ärzteblattes im August 2013 aufgeführt [7]).

Die neuen Antikoagulantien haben in randomisierten, kontrollierten Studi-en im Vergleich mit dem VKA Warfarin gezeigt, dass sie in der Reduktion des kardioembolischen Schlaganfalls nicht schlechter oder sogar besser wirksam sind. Schwere Blutungen traten ähnlich häufig auf oder geringfügig seltener, gas-trointestinale Blutungen waren gering-fügig häufiger. Intrakranielle und tödli-che Blutungen waren unter den neuen Antikoagulantien etwas seltener, die Ge-samtsterblichkeit unterschied sich nicht oder nur geringfügig signifikant gegen-über Warfarin [8–10]. Erwähnenswert ist, dass in allen drei Studien die Qualität der INR-Einstellung in den VKA-Ver-gleichsgruppen zwischen 55 und 68 % lag, also eher als schlecht zu bezeichnen ist.

Eine regelmäßige Kontrolle des anti-koagulatorischen Effekts ist bei den neu-en Antikoagulantien nicht notwendig, allerdings auch durch die in der Routine verfügbaren Tests nicht verlässlich mög-lich. So spiegelt beispielsweise der INR-Wert, also die Thromboplastinzeit, un-ter den NOAK nicht den Grad der Gerin-nungshemmung wieder. Darüberhinaus existiert kein Antidot für den Fall einer lebensbedrohlichen Blutung, während

1 Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf2 Arzt für Allgemeinmedizin, Amöneburg3 CHADS2 (Punkte): Chronische Herzinsuffizienz (1), Hypertonie (1), Alter 75 und älter (1), Diabetes mellitus (1), Schlaganfall oder TIA (2)4 CHA2DS2VASc (Punkte): Chronische Herzinsuffizienz (1), Hypertonie (1), Alter 75 und älter (2), Diabetes mellitus (1), Schlaganfall oder TIA (2), vaskuläre Vorerkran-kung (1), Alter 65–74 (1), weibliches Geschlecht (1)DOI 10.3238/zfa.2013.0496–0499

496 LEITLINIE / GUIDELINE

Page 19: ZFA 12 2013 - Online ZFA · New Oral Anticoagulants (in Non-Valvular Atrial Fibrillation) – an Innovation Without Risks? Hans-Otto Wagner, Alexander Liesenfeld 496..... DER BESONDERE

© Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2013; 89 (12) ■

die Antikoagulation unter VKA mit Pro-thrombinkomplex-Konzentrat sofort aufgehoben werden kann.

Vor und während der Anwendung der NOAK soll in jedem Fall die Nieren-funktion (Kreatinin-Clearance) über-prüft werden. Dabei sind Dosisanpas-sungen unerlässlich. Ebenso stellen hö-heres Alter, bestimmte Komedikamente (z.B. Antimykotika, Makrolidantibiotika oder Verapamil), niedriges Körper-gewicht, Magen-Darm-Anamnese und erhöhtes Blutungsrisiko ein streng zu beachtendes Risiko einer unerwünsch-ten Arzneimittelwirkung (UAW) dar, insbesondere einer Blutung. Viele in der Praxis vorkommende Komorbiditäten sind unter den NOAK nicht untersucht. Auch nicht Multimorbidität, Polymedi-kation und unsichere Therapietreue.

Ausblick

Insgesamt ergeben sich aus Sicht der DE-GAM für hausärztliche Patienten in Deutschland, die zur Prophylaxe kardio-embolischer Erkrankungen bei Vorhof-flimmern mit VKA gut zu behandeln sind, keine Vorteile aus einer Therapie mit NOAK, insbesondere bei Patienten, die gut eingestellt sind oder eine INR-Selbstkontrolle durchführen.

Es besteht die Gefahr, dass bei breiter Anwendung im unkontrollierten ambu-lanten Setting die Risiken unterschätzt werden und Blutungen zunehmen. Die „Aura“ einer „gefährlichen“ Medikation wird durch die fehlenden INR-Kontrol-len möglicherweise verloren gehen. Ei-ne Überprüfung der Therapietreue und des Therapieeffektes ist nicht möglich. Falls die Compliance sich in ähnlich niedrigen Bereichen bewegen sollte, wie bei der Blutdruck- oder Statin-Therapie (ca. um 50 %), besteht im Langzeitver-

lauf die Gefahr einer erhöhten Schlag-anfallrate im Vergleich zu den gut einge-stellten VKA-Patienten. Es gibt auch ers-te Hinweise auf vermehrte Blutungen [11] und ein potenziell riskantes Verord-nungsverhalten bei älteren, multimor-biden Patienten [12]. Wir benötigen des-halb dringend Untersuchungen über Nutzen und Schaden über die jetzt zu-nehmend breite ambulante Anwen-dung.

In der Praxis sehen sich Hausärzte konfrontiert mit ansteigenden Verord-nungen der NOAK durch die Spezialis-

ten, verdeckter Laienwerbung, Patien-tenwünschen und mit einem aggressi-ven Pharmamarketing bei gleichzeitig jedoch nicht vollständig aussagekräfti-ger Datenlage.

Mit der DEGAM-S1-Handlungs-empfehlung „Neue orale Anti-koagulantien“ wird der Versuch un-ternommen Hausärztinnen und Haus-ärzten in dieser schwierigen Lage Hilfe-stellung für die Beratungssituation zu geben.

Interessenkonflikte: keine angege-ben.

Dr. med. Hans-Otto Wagner

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Institut für Allgemeinmedizin

Martinistraße 52

20246 Hamburg

Tel.: 040 7410-52400

[email protected]

Korrespondenzadresse

1. Camm AJ, Kirchhof P, Lip GYH, et al. Guidelines for the management of atrial fibrillation. Eur Heart J 2010; 31: 2369–2429

2. Hensler S, Barzel A, Koneczny N. Leit-linie Nr. 8 Schlaganfall der DEGAM, Ausgabe 2012

3. Lip GY. Stroke in atrial fibrillation: epi-demiology and thromboprophylaxis. J Thromb Haemost 2011; 9 Suppl 1: 344–351

4. Van Staa TP, Setakis E, Di Tanna GL, La-ne DA, Lip GYA. Comparison of risk stratification schemes for stroke in 79,884 atrial fibrillation patients in ge-neral practice. J Thromb Haemost 2011; 9: 39–48

5. Camm AJ, Lip GY, De CR, et al. 2012 fo-cused update of the ESC guidelines for the management of atrial fibrillation: an update of the 2010 ESC guidelines for the management of atrial fibrillati-on. Developed with the special contri-bution of the European Heart Rhythm Association. Eur Heart J 2012; Epub ahead of print

6. Kirchhof P, Goette A, Gulba D, Hin-dricks G, Hohnloser SH. Kommentar zu den Leitlinien der ESC zum Vorhof-flimmern. Kardiologe 2012; 6: 12–27

7. Werdan K, Braun-Dullaeus R, Presek P. Anticoagulation in atrial fibrillation:

NOAK ìs the word. Dtsch Arztebl Int 2013; 110: 523–4

8. Patel MR, Mahaffey KW, Garg J, et al. ROCKET AF Investigators. Rivaroxa-ban vs. warfarin in nonvalvular atrial fibrillation. N Engl J Med 2011; 365: 883–891

9. Connolly SJ, Ezekowitz MD, Yusuf S, et al. RE-LY Steering Committee and In-vestigators. Dabigatran vs. warfarin in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 2009; 361: 1139–1151

10. Granger CB, Alexander JH, McMurray JJ, et al. ARISTOTLE Committees and Investigators. Apixaban vs. warfarin in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 2011; 365: 981–992

11. Holster IL, Valkhoff VE, Kuipers EJ, Tjwa ETTL. New oral anticoagulants increase risk for gastrointestinal blee-ding: a systematic review and meta-analysis. Gastroenterology 2013; 145: 105–112

12. Xu Y, Holbrook AM, Simpson CS, Dowlatshahi D, Johnson AP. Prescri-bing patterns of novel oral anticoagu-lants following regulatory approval for atrial fibrillation in Ontario, Canada: a population-based descriptive analysis. CMAJ Open 2013. DOI:10.9778/cma-jo.20130032

Literatur

... über 20 Jahre Landarzt (Siegerland/NRW), Lehrauftrag für

Pharmakologie und Mitglied der Arzneimittelkommission am

Klinikum Marburg-Gießen bis 2011. Mitglied der Ständigen

Leitlinienkommission der DEGAM. Dozent und Autor für das In-

stitut für hausärztliche Fortbildung des Hausärzteverbandes

(IhF). Seit 2011 Mitarbeiter am Institut für Allgemeinmedizin,

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Tätigkeit in der For-

schung, Lehre und der Krankenversorgung (Allgemeinmedizinischer Fachbereich

am Campus) und Moderator der Hausärztlichen Fortbildung Hamburg (HFH).

Dr. med. Hans-Otto Wagner ...

497LEITLINIE / GUIDELINE

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■ © Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2013; 89 (12)

DEGAM S1-HandlungsempfehlungNeue orale Antikoagulantien(bei nicht valvulärem Vorhofflimmern)

VersorgungsproblemAls Standard für die orale Antikoagulation gilt die Behandlung mit einem Vitamin-K- Antagonisten (VKA)1. Zusätzlich sind jetzt neuere Wirkstoffe, die sog. neuen oralen Antikoagulantien (NOAK) für die Indikation nicht-valvuläres Vorhofflimmern zugelassen2. Zum Gebrauch dieser NOAK gibt es unterschiedliche Empfehlung und Bewertungen.Diese Empfehlung und der folgende Algorithmus enthalten Ratschläge der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) zum Einsatz der NOAK und gelten ausschließlich für den ambulanten, hausärztlichen Versorgungsbereich. Die Hinweise sollen Hausärztinnen und Hausärzte bei notwendigen Entscheidungen in der täglichen Praxis unterstützen. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und gelten nur solange, bis neuere Empfehlungen sie ablösen.Bitte prüfen Sie Aktualisierungen immer auf der Internetseite der DEGAM http://www.degam.de.Diese Handlungsempfehlung bezieht sich ausschließlich auf Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern, bei denen eine Indikation zur längerfristigen Antikoagulation nach dem CHADS2- oder CHA2DS2VASc-Score besteht.Chancen und Risiken der NOAKDie NOAK stellen eine Option für diejenigen Patienten dar, für die VKA nicht infrage kommen (s. Folgeseite). Es ist keine regelmäßige Gerinnungskontrolle erforderlich (und nicht möglich).Vor und während der Anwendung der NOAK soll in jedem Fall die Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance nach Cockcroft-Goult, http://www.medcalc.com) überprüft werden. Dosisanpassungen sind je nach eingesetzter Substanz und Komorbitität erforderlich bei Niereninsuffizienz, höherem Alter, bestimmten Komedikamenten, niedrigem Körpergewicht,

h h l i ikMagen-Darm-Anamnese, hohem Blutungsrisiko.Indikation, Kontraindikationen, Dosierungsempfehlungen und Warnhinweise der Fachinformationen sind genau zu beachten.Jeder Patient mit NOAK soll einen Patientenausweis erhalten und über die Risiken der Therapie, die Notwendigkeit regelmäßiger ärztlicher Kontrollen sowie über das Problem eines fehlenden Antidots aufgeklärt werden.StatementInsgesamt ergeben sich aus Sicht der DEGAM für Patienten, die zur Prophylaxe kardioembolischer Erkrankungen bei Vorhofflimmern mit VKA gut zu behandeln sind, keine Vorteile aus einer Therapie mit NOAK.Es gibt eine ernstzunehmende Kritik an den drei Zulassungsstudien für NOAK, die allesamt Nicht-Unterlegenheitsstudien sind Es bleibt außerdem unklar welche Relevanz eine in den Studien nachweisbare marginale Risikoreduktion3 imsind. Es bleibt außerdem unklar, welche Relevanz eine in den Studien nachweisbare marginale Risikoreduktion3 im klinischen Alltag besitzt � insbesondere bei Patienten, die gut eingestellt sind oder eine INR-Selbstkontrolle durchführen.Bei höherem Alter, niedrigem Körpergewicht, Polymedikation, unsicherer Therapietreue, Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern (TAH) und/oder nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), Multimorbitität, Magen-und Blutungsanamnese sowie erhöhtem Blutungsrisiko bestehen unbekannte Risiken.Zu berücksichtigen ist, dass keine Langzeiterfahrungen in der breiten Anwendung existieren. Die NOAK benötigen eine erhöhte Aufmerksamkeit. Unerwünschte Ereignisse sollen bei der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft(AkdÄ), http://www.akdae.de gemeldet werden.Weitere InformationsquellenArzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ): Orale Antikoagulation bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern( ) g(Version 1.0; September 2012)Canadian Agency for Drugs and Technologies in Health: Antithrombotic agents for the prevention of stroke and systemic embolism in patients with atrial fibrillation, http://www.cadth.ca Ottawa: The Agency; 2013 (CADTH Therapeutic Review; vol.1, no. 1b)Scottish Intercollegiate Guidelines Network (SIGN): Antithrombotics: indications and management, http://www.sign.ac.uk Edinburgh: SIGN; 2012 (SIGN publication no. 129) [August 2012]

1 VKA/Cumarine: Phenprocoumon (Marcumar®, Falithrom®, Generika) oder Warfarin (Coumadin®)2 NOAK: Faktor Xa-Hemmstoff Rivaroxaban (Xarelto®) und Apixaban (Eliquis®) und der Thrombinhemmstoff Dabigatran (Pradaxa®)

______________________________________________________________Stand 2013 © DEGAM www.degam-leitlinien.deDEGAM LeitlinienHilfen für eine gute Medizin

NOAK: Faktor Xa Hemmstoff Rivaroxaban (Xarelto ) und Apixaban (Eliquis ) und der Thrombinhemmstoff Dabigatran (Pradaxa )3 Das Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IGWiG) hat in seiner Nutzenbewertung

gemäß § 35a SGB V vom 27.03.2013 für Patienten der VKA-Population in der ARISTOTLE-Studie mit Alter � 65 Jahren einHinweis für einen Zusatznutzen von Apixaban gegenüber Warfarin festgestellt

498 LEITLINIE / GUIDELINE

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© Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2013; 89 (12) ■

Orale Antikoagulation bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern(Bei gegebener Indikation nach CHADS2-/CHA2DS2VASc-Score und gemeinsamer Entscheidung mit dem Patienten)

Therapie mit OAK bereits begonnen(mit NOAK oder VKA )

mit

NOAKmit

VKAjaja

ja

Abklären:War eine Therapie mit VKA früher bereits schwierig oder könnte schwierig werden

und/oder ist die regelmäßige Kontrolle des INR-Wertes schwierig und/oder besteht für VKA einerhöhtes Risiko für Nahrungsmittel- oder Arzneimittel-Interaktionen? a

nein

i ja

NOAK können eine Option sein für Patienten,die mit VKA schlecht einzustellen sind

oder eine erhöhtes Risiko für Interaktionen haben.

Liegt diese Voraussetzung vor? a

ja

i

abklären abklären

Abklären:Wäre zum jetzigen Zeitpunkt

eine Umstellungvon NOAK auf VKA

möglicherweise problematischoder besteht ein

LiegenKontraindikationen

für NOAK vor?b

mechanische Herzklappeoder

duale TAHoderi

VKA indiziert

nein ja

janein

nein

Patientenwunschfür NOAK?c

oderschwere Lebererkrankung

oderschwere Niereninsuffizienz

CrCl < 30�15 ml/minb

NOAK erwägend

nein

ja

OAK: Orale Antikoagulantien; NOAK: Neue orale Antikoagulantien; VHF: Vorhofflimmern; VKA: Vitamin-K-Antagonisten;

CrCl: Kreatininclearance; TAH: Thrombozytenaggregationshemmung; NSAR: nicht-steroidale Antirheumatika;

INR I i l N li d R iINR: International Normalized Ratio

a keine Indikationen für NOAK: gute Einstellbarkeit mit VKA (INR stabil im therapeutischen Bereich), erhöhte Blutungsgefährdung/erhöhter HAS BLED-Score (http://www.medcalc.com) > 2 (cave: fehlendes Antidot), Blutung unter VKA bei INR im Zielbereichb weitere Kontraindikationen für NOAK: Schwangerschaft, Stillperiode, Kinder und Jugendliche, systemische Antimykotika, Makrolidantibiotika, HIV-Proteaseinhibitoren, Dialyse, Kreatininclearance (CrCl) < 30 ml/min bei Dabigatran, sonst < 15 ml/min, hohes Blutungsrisikoc Grundsätzlich sollte eine Umstellung von NOAK auf VKA gut überlegt und geplant werden. Prinzipiell besteht inGrundsätzlich sollte eine Umstellung von NOAK auf VKA gut überlegt und geplant werden. Prinzipiell besteht in Umstellungsphasen ein erhöhtes Risiko, sowohl für Blutungen wie auch für Thromboembolien. Von Dabigatran auf VKA wenn CrCl � 50 ml/min: VKA drei (zwei bei � 30 bis < 50 ml/min) Tage parallel. INR-Test frühestens zwei Tage nach Ende von NOAK. Von Rivaroxaban oder Apixaban auf VKA: VKA parallel bis INR � 2,0. INR-Test frühestens 24 Stunden nach Ende von NOAKd NOAK nur nach eingehender Prüfung (gemeinsame Endscheidungsfindung). Gegen NOAK sprechen: Alter > 80 Jahren, Körpergewicht < 60 kg, Niereninsuffizienz (Dosisreduktion oder Kontraindikation), Polymedikation, unsichere Therapietreue, TAH- und/oder NSAR-Einnahme, Multimorbitität, Magen- und Blutungsanamnese

______________________________________________________________Stand 2013 © DEGAM www.degam-leitlinien.deDEGAM LeitlinienHilfen für eine gute Medizin

Autoren: H.-O. Wagner und A. LiesenfeldKonzeption und wissenschaftliche Redaktion: M. Scherer, C. Muche-Borowski, A. Wollny

499LEITLINIE / GUIDELINE

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■ © Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2013; 89 (12)

Krankheitskonzepte im hausärztlichen GesprächEin Werkstattbericht

Disease Concepts and the Doctor Patient Interaction

Report of a Training Seminar

Jürgen Biesewig-Siebenmorgen1, Ruben Bernau2, Günther Egidi1, Guido Schmiemann3

1 Hausärztliche Gemeinschaftspraxis Bremen2 Facharzt für Allgemeinmedizin in Hambergen3 Abteilung Versorgungsforschung, Institut für Public Health und Pflegeforschung Universität BremenPeer reviewed article eingereicht: 23.06.2013, akzeptiert: 29.08.2013DOI 10.3238/zfa.2013.0500–0503

Zusammenfassung: Im Rahmen einer Seminarfortbil-dung der Akademie für hausärztliche Fortbildung Bremen setzten sich die teilnehmenden Ärzte mit der Bedeutung von Krankheitskonzepten zu häufigen Krankheitsbildern für ihren Arbeitsalltag auseinander. Sie stellten ihre eige-nen Konzepte den in Videointerviews erhobenen Konzep-ten von Patienten gegenüber. Auf dieser Grundlage er-folgte die Reflexion der Bedeutung für den Arzt-Patien-ten-Kontakt.

Schlüsselwörter: Krankheitskonzepte; Seminarfortbildung; Videoanalyse; Arzt-Patienten-Kontakt

Summary: Within a training seminar of the Bremen CME-Academy of Family practitioners disease concepts of participating physicians regarding common diseases were assessed. The concepts of doctors were compared with patients´ concepts obtained by videotaped interviews. Based on these concepts the influence of disease con-cepts on the doctor patient interaction was reflected.

Keywords: Disease Concepts; Training Seminar; Videotaped Interviews; Doctor Patient Interaction

Seit 2006 führt die Akademie für haus-ärztliche Fortbildung in Bremen ein jährliches Fortbildungswochenende in einem Tagungshaus außerhalb Bremens durch. Es nehmen jeweils ca. 15–20 überwiegend aus Bremen stammende Hausärzte teil. Neben der Vermittlung von Moderationskompetenzen für zu-künftige Qualitätszirkelmoderatoren stehen die Reflexion der hausärztlichen Arbeit im Spannungsfeld berufspoliti-scher und medizinischer Entwicklungen sowie hausärztliche Arbeitsweisen im Vordergrund. Im letzten Jahr war die Be-deutung der Krankheitskonzepte von Hausärzten und ihren Patienten am Bei-spiel der Diagnosen Bluthochdruck, Asthma bronchiale und Migräne Schwerpunktthema der Veranstaltung. Ziel dieses Artikels ist es, von einer be-sonderen Form der Fortbildung/Quali-

tätszirkelarbeit zu berichten und zur Nachahmung anzuregen.

Hausärztliche Krankheitskonzepte

In der Einleitung des kompetenzbasier-ten Curriculum Allgemeinmedizin der Deutschen Gesellschaft für Allgemein-medizin und Familienmedizin (DEGAM) wird in der Einführung der Anspruch for-muliert, dass „Allgemeinärzte Verständ-nis zeigen für die Krankheitskonzepte der Patienten, für deren Werte, Gefühle und Erwartungen und für die Auswirkungen des Krankseins auf das Leben der Patien-ten und deren Familien“ [1].

In einem Positionspapier der DE-GAM zur Betreuung von Menschen mit chronischen Erkrankungen heißt es:

„Menschen reagieren sehr unterschied-lich auf (chronische) Erkrankungen, sie haben vielfältige Einstellungen, Poten-ziale und Strategien zur Bewältigung der Krankheit. Der Hausarzt versucht, ein Verständnis für die subjektive Sicht des Patienten zu entwickeln; er reflektiert gemeinsam mit dem Patienten, wie des-sen Wertvorstellungen, emotionale und soziale Bedürfnisse, materielle Situation und medizinische Gesichtspunkte in Einklang gebracht werden können“ [2].

„Das Bemühen um ein optimales Management (Organisation) und die Entwicklung kommunikativer Fähigkei-ten müssen um eine Selbstreflexion er-gänzt werden, die auch die emotionalen Reaktionen des Hausarztes mit ein-bezieht“ [2].

Stefan Wilm und Kollegen beschrei-ben Krankheitskonzepte als „die Ge-

500 DER BESONDERE ARTIKEL / SPECIAL ARTICLE

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samtheit der Gedanken, Gefühle und handlungsbezogenen Momente eines Menschen in Bezug auf (seine) Krank-heit, etwa in den Bereichen Benennung der Krankheit, Ursache, Diagnostik, Therapie und Prognose. Sie müssen im-mer im biografischen und soziokultu-rellen Kontext der Person gesehen wer-den“ [3].

Im Vergleich zur Bedeutung des The-mas gibt es im deutschsprachigen Raum nur wenig Literatur zu den Krankheits-konzepten von Hausärzten [3–8].

Deren Berücksichtigung wird als für den Behandlungsverlauf bedeutsam ein-geschätzt. Wie sieht es aber mit der Um-setzung in der Praxis aus? Was ist mit unseren eigenen Krankheitskonzepten? Sie bestimmen als wesentliches Element die Kommunikation mit unseren Pa-tienten. Machen wir uns unsere eigenen Konzepte bewusst?

Aus diesen Überlegungen entstand die Idee, Krankheitskonzepte zum Ge-genstand einer Seminarfortbildung zu machen. Die Idee war, die eigenen haus-ärztlichen Krankheitskonzepte zu re-flektieren und diese exemplarischen Vorstellungen von Patienten gegenüber-zustellen. Der Austausch war als „Brains-torming“ und damit primär ergebnis-offen angelegt. Dies sollte dazu beitra-gen, die eigenen Vorstellungen erfahr-bar zu machen. Ziel war es, durch die Be-wusstmachung der Konzepte den Teil-nehmern eine Einbeziehung dieser be-deutsamen Fragestellung in das Arzt-Pa-tienten-Gespräch zu erleichtern.

Explizit handelt es sich bei dem hier vorgestellten Seminar nicht um ein For-schungsprojekt. Durchführung wie Aus-wertung erfolgten nicht mit dem Ziel ei-ner wissenschaftlichen Arbeit und be-rücksichtigten auch nicht die Anforde-rungen an eine solche.

Daher haben wir in unserer Fortbil-dung begriffliche Unschärfen in Kauf genommen, die sich auch in diesem Be-richt wiederfinden. Die Sammlung der abschließenden Gedanken der Teilneh-mer stellt eine Sammlung subjektiver Sichtweisen dar, entsprechend der Viel-falt der Teilnehmer.

Gestaltung der Videoarbeit

Als Vorbereitung führten drei Hausärzte in ihren Praxen Videointerviews mit Pa-tienten durch, die mindestens eine der

drei Diagnosen Hypertonie, Asthma oder Migräne hatten. Die Interviews er-folgten anhand vorbereiteter Fragenka-taloge (s. Textkasten 1). Dabei sollten die Ärzte nur als Fragengeber auftauchen und im Film möglichst nicht sichtbar sein.

Zum Einstieg des Seminars führten die Teilnehmer in Kleingruppen Part-nerinterviews auf Basis des gleichen Fra-genkataloges durch. In jeder Kleingrup-pe wurde dabei jeweils eine der aus-gewählten Erkrankungen thematisiert. Die schriftlichen Aufzeichnungen aus allen Partnerinterviews wurden zu-nächst in der Kleingruppe (anhand vor-bereiteter Fragen s. Textkasten 2) zusam-mengetragen und diskutiert. Im An-schluss erfolgte eine gemeinsam mode-rierte Präsentation zu allen Erkrankun-gen in der Gesamtgruppe.

Im zweiten Schritt erfolgte die Ana-lyse der Patientenvideos nach demsel-ben System. Zu jedem Krankheitsbild standen den Kleingruppen drei Videos von unterschiedlichen Ärzten und Pa-tienten zur Verfügung. Auch diese Er-gebnisse wurden in der Großgruppe zu-sammengetragen.

Abschließend erfolgte eine Refle -xion zu den Fragen: • „Was kann uns die Frage nach dem

Krankheitskonzept des Patienten bringen?“

• „Welche Umsetzungsideen haben wir?“

• „Wann baue ich die Frage nach dem Krankheitskonzept in den Patienten-kontakt ein?“

Umgang mit Krankheitskonzepten

Gemeinsam war der Eindruck, dass die Vorstellungen von teilnehmenden Ärz-ten und interviewten Patienten bei den bearbeiteten häufig auftretenden Krankheitsbildern nicht weit auseinan-derlagen. Die Patientenvorstellungen waren für uns durchgehend gut nach-vollziehbar und erschienen als gute Grundlage für einen gemeinsamen Umgang mit dem Krankheitsproblem der Patienten. Die Sammlung weiterer Gedanken, die in der Reflexions-Runde geäußert wurden, wird in Zitat-Form dargestellt.

Textkasten 1 Fragensammlung als Grundlage für die Patienten-Interviews, Beispiel Asthma

Textkasten 2 Fragen als Grundlage zur Auswertung (bei der Auswertung bitte induktiv vor-

gehen, die Fragen sollen nur ein beispielhaftes Gerüst darstellen)

• Bitte erzählen Sie, welche Vorstellung Sie haben, was „Asthma“ ist.• Welche Vorstellung haben Sie über die Ursachen von Asthma? Sehen Sie Ursachen in Ihrem

Leben?• Wie wichtig ist das „Problem Asthma“ in Ihrem Leben?• Was hat sich durch die Erkrankung in Ihrem Leben verändert? • Hat Ihre Krankheit Einfluss auf Ihre persönlichen Kontakte? Beeinflusst die Erkrankung,

wie andere Menschen Sie einschätzen?• Haben Sie durch das Asthma etwas gelernt, Dinge in Ihrem Leben positiv geändert?• Denken Sie, dass Sie etwas in Ihrem Leben ändern sollten?• Haben Sie den Eindruck, dass Sie „schuldig“ sind an Ihrer Erkrankung?• Wie gehen Sie mit der Behandlung um? Können Sie es akzeptieren zur Linderung der Be-

schwerden Medikamente einzunehmen? Schaffen Sie es, regelmäßig Ihre Medikation ein-zunehmen?

• Sind Sie durch Medikamentennebenwirkungen beeinträchtigt? Sind diese akzeptabel im Vergleich mit dem Gewinn, den Sie durch die Medikamente erfahren?

• Wodurch haben Sie sich über Asthma informiert? Sind diese Informationen ausreichend?• Fällt Ihnen noch etwas Bedeutsames ein, das sie mir mitteilen möchten?

Sicht der Patienten (Sicht der Ärzte analog)• Welches Bild der Erkrankung steht im Vordergrund?• Welche Ursachen werden gesehen?• Bedeutung des Problems im Leben?• Bedeutung für das soziale Leben?• Umgang mit der Erkrankung/ Behandlung?• Weiteres?

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Biesewig-Siebenmorgen et al.:Krankheitskonzepte im hausärztlichen GesprächDisease Concepts and the Doctor Patient Interaction

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Etelsener Gedanken zum Umgang mit Krankheitskonzepten (Aus-schnitt)

Allgemein• Es ist spannend und hilfreich im Pa-

tientenkontakt, Patienten nach ihrem Krankheitskonzept zu fragen.

• Wir haben in der Vergangenheit oft mehr Zeit in den Kontakt mit Patien-ten investiert und weniger Informa-tionen bekommen.

• Alle Menschen sind unterschiedlich, Krankheitsbilder sind eine individuel-le „Eigenschaft“, mit Konstanz über lange Zeit, oft durch frühe Erfahrun-gen geprägt, aber auch veränderlich durch prägende Erlebnisse.

Förderung des gegenseitigen Verstehens• Der Patient nimmt Empfehlungen des

Arztes eher an, wenn das Krankheits-konzept bekannt ist.

• Die Kommunikation läuft mit Kennt-nis der Krankheitsvorstellungen bes-ser. Die gegenseitigen Erwartungen lassen sich klären. Das „eigentliche Problem“ (Anliegen) wird klarer.

• Niemand ist eine Insel. In Familien bestehen u.U. unterschiedliche Krankheitssichten, die Konfliktpoten-zial beinhalten.

Krankheitsspezifisch• Die Sicht von Patienten und Ärzten zu

Konzepten der Erkrankungen Asth-ma, Migräne und Bluthochdruck lie-gen nicht weit auseinander. Die Sicht der Patienten ist für uns gut nachvoll-ziehbar.

• Bei den beobachteten Darstellungen zeigt sich, dass, obgleich das Krank-heitskonzept der Patienten weit von der pathophysiologischen Realität und auch vom ärztlichen Verständnis abweichen kann, die Behandlung trotzdem gut funktioniert.

Praktische Umsetzung/Konsequenzen• Frage: Muss ich mein Krankheitskon-

zept erläutern, um meine Behand-lungsziele unterzubringen?

• Die Frage nach Krankheitskonzepten hilft unter anderem bei folgenden Fra-gen: Wie kann ich Ängste auflösen? Gibt es Verständnisprobleme? Was ist (dem Patienten) wichtig? Welche Wis-sensaspekte sind wichtig?

• „Ich stülpe nicht mehr mein Konzept über“. Die Aufklärung wird individu-eller angepasst.

• Es ist ein „Offensein“, Hinhören, kei-ne künstliche Videosituation, eher ei-ne „Suche“ im Alltag.

• Wie kann ich mit dem Patienten ein Konzept entwickeln, das heilsamer ist als das bestehende?

Nachbetrachtung und Anregungen aus der Werkstatt

Das Experiment, das Thema Krank-heitskonzepte zu bearbeiten, eigene Konzepte exemplarisch zu drei Krank-heiten zu reflektieren und diese der Sicht der Patienten gegenüberzustellen, brachte allen Teilnehmern Gewinn. Es hat sich bewährt, die Fortbildung offen anzulegen ohne avisierte Zielvorstel-lungen, als Möglichkeit die eigenen Ge-danken zu entdecken und in der Grup-pe induktiv zu entwickeln. Dadurch konnten sich alle Teilnehmer unabhän-gig von ihren Vorkenntnissen bezüg-lich der Thematik und ihrer sozialen Einbindung in die Gruppe einbringen. Die Zufriedenheit der Teilnehmer war sehr hoch, was sich beispielsweise darin ausdrückte, dass der Zeitrahmen für die Gruppenarbeit deutlich ausgedehnt wurde. Es herrschte eine sehr intensive Arbeitsatmosphäre, in der alle ihre Ge-danken einbrachten. Inhaltlich konn-ten etliche Ähnlichkeiten zwischen

den Konzepten der Ärzte und denen der Patienten bei diesen häufigen Krank-heitsbildern entdeckt werden. Die Be-deutung der Frage nach den Konzepten von Krankheiten war für alle Teilneh-mer erfahrbar. Die Sammlung der un-sortiert dargestellten Gedanken wurde allen Teilnehmern zugänglich gemacht und stellt Material dar für die Reflexion der Alltagsarbeit.

Das selbst entwickelte Arbeitsmate-rial für die Beschäftigung mit den Krankheitskonzepten von Ärzten und Patienten muss weiterentwickelt wer-den. U.a. waren die verwendeten Fra-gebögen für die Patienteninterviews teilweise zu kompliziert formuliert („Bitte erzählen Sie, welche Vorstellung Sie haben, was Asthma ist.“, statt „Was glauben Sie: Was ist Asthma?“), es wur-de in den Interviews gegen die Regel verstoßen, nur eine Frage auf einmal zu stellen, und einige Fragen waren zu di-rektiv. Zudem ließen sich einige der Fra-gen für die Arztinterviews nicht gut nutzen. Es erscheint uns sinnvoll, den Fragebogen für die Ärzte anders zu for-mulieren. Es trat z.B. der Konflikt auf, ob wir als Ärzte unsere eigenen oder die von uns bei Patienten angenommenen Bilder darstellen sollen. Es ist auch zu überlegen, ob andere Techniken wie z.B. die Darstellung der eigenen Vor-stellungen in einem Bild genutzt wer-den, die uns einen unmittelbareren Zu-gang zu unseren Vorstellungen ermög-lichen.

Wir möchten dazu anregen, unseren Ansatz aufzugreifen. Der Ansatz kann in Qualitätszirkeln oder ähnlichen Settings mit der Möglichkeit einer offenen Ar-beitsatmosphäre das Suchen und Be-wusstmachen der eigenen Krankheits-konzepte ermöglichen und dazu beitra-gen, in der konkreten Arbeit unsere eige-nen Krankheitskonzepte als Ärzte und die Konzepte der Patienten gezielter miteinander abzugleichen.

Alle teilnehmenden Patienten ha-ben vor Durchführung des Interviews ihr schriftliches Einverständnis gege-ben. Die verwendete Vorlage kann bei Interesse von den Autoren angefordert werden.

Interessenkonflikte: Der Autor hat für seine Fortbildungstätigkeit Auf-wandsentschädigungen von der Aka-demie für hausärztliche Fortbildung Bre-men erhalten.

… Arzt für Innere Medizin, Hausärztliche Gemeinschaftspraxis

seit 7/1996, Lehrpraxis MHH, Mitarbeit Akademie für hausärzt-

liche Fortbildung Bremen, Hausärztliche Koordination der Ver-

bundweiterbildung Allgemeinmedizin Bremen

Jürgen Biesewig-Siebenmorgen …

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Biesewig-Siebenmorgen et al.:Krankheitskonzepte im hausärztlichen GesprächDisease Concepts and the Doctor Patient Interaction

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18. Nordischer Kongress für Allgemeinmedizin, Tampere, Finnland18th Nordic Congress of Family Medicine, Tampere, FinlandAniela Angelow1, Wolfram J. Herrmann2

Im finnischen Tampere fand vom 21. bis zum 24. August 2013 der Nordische Kongress für Allgemeinmedizin statt. Mit über 1000 Teilnehmern aus 20 Län-dern ist der zweijährig stattfindende Kongress eine Institution in der nordi-schen Allgemeinmedizin.

Das wissenschaftliche Programm war mit 55 Workshops und Symposien und 26 wissenschaftlichen Vortragsver-anstaltungen und Postersessions um-fangreich. Die allgemeinmedizinische Forschung in Deutschland war durch drei Beiträge vertreten; die Präsentatio-nen waren sehr gut besucht und führten zu interessanten Diskussionen [1–3].

Aufgrund des 30-jährigen Bestehens des Scandinavian Journals of Primary He-

alth Care wurde in der Eröffnungsver-anstaltung die Entwicklung der wissen-schaftlichen Allgemeinmedizin in Nordeuropa von den ersten Anfängen hin zu der schlagkräftigen Allgemein-medizin Nordeuropas heutzutage an-hand der Beiträge des Journals nachvoll-zogen [4]. Es kamen jedoch auch aktuel-le Probleme, beispielsweise in Finnland und Dänemark zur Sprache. So streiten sich in Dänemark die Hausärzte mit den für die Gesundheitsversorgung zustän-digen Regionen um die zukünftige ver-tragliche Ausgestaltung der hausärzt-lichen Versorgung in Dänemark. Sogar ein Systemausstieg vonseiten der Haus-ärzte war in Dänemark im Gespräch [5]. In Finnland herrscht weiter Hausärzte-mangel, während die finnischen Haus-ärzte mit der Regierung über zu geringe Einkommenssteigerungen und eine Er-höhung des Rentenalters diskutieren.

Zentrale Veranstaltungen des Kon-gresses waren die Keynote Lectures, die sehr unterschiedliche Aspekte der Ent-wicklung in der Allgemeinmedizin in ih-

ren Mittelpunkt stellten. Jan de Maese-neer (Belgien) stellte die Community-He-alth-Perspektive neben die Patientenzen-triertheit des hausärztlichen Handelns in den Fokus seines Vortrags. Eine wesentli-che Rolle kam dabei der Erhebung von Status und Bedürfnissen in der Gemein-de zu sowie, darauf basierend, dem Aus-bau von Netzwerken verschiedener Fach- und Berufsgruppen bis hin zur Verwirkli-chung städtebaulicher Maßnahmen. Kirsti Malterud (Norwegen) stellte an-hand ihrer qualitativen Forschung die Perspektiven vulnerabler Patientengrup-pen in der Allgemeinmedizin dar. Johan Eriksson (Finnland) berichtete aus dem Bereich der Epigenetik und stellte aktuel-le Ergebnisse und Hypothesen vor, wie Faktoren und Entwicklungsmuster wäh-rend der fetalen Entwicklung und frühen Kindheit mit bestimmten Krankheitsrisi-ken assoziiert sind. Diese Faktoren könn-ten dazu herangezogen werden, Risiken für chronische Erkrankungen über die klassischen Risikofaktoren hinaus zu er-klären. Kontrovers wurden Entwicklun-gen im Bereich E-Health (E-Mail-Konsul-tationen, automatisierter Rezeptversand per E-Mail und elektronisches Termin-management, Anwendung telemedizini-scher Geräte) diskutiert, die im Fokus von Iikka Kunnamos Vortrag (Finnland) stan-den. Die Workshops des Kongresses wa-ren überwiegend sehr interaktiv ange-legt, beispielsweise mit Simulationen von Arzt-Patienten-Gesprächen. Von jungen finnischen Hausärzten organi-siert, gab es einen Workshop für Ärzte in Weiterbildung und junge Hausärzte zur Zukunft der primärärztlichen Versor-gung hinsichtlich Rolle und Aufgaben von Hausärzten.

Insgesamt herrschte bei dem Kon-gress mit seinen vielen auch jungen Teil-

nehmern eine inspirierende und moti-vierende Atmosphäre, zu der nicht zu-letzt die interessanten Gespräche mit Hausärzten am Rande der Konferenz beitrugen.

Der nächste Nordic GP Kongress fin-det im Juni 2015 in Göteborg, Schwe-den, statt.

1 Institut für Community Medicine, Universitätsmedizin Greifswald2 Institut für Allgemeinmedizin, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg3 Die Abstracts sind online nicht verfügbar, jedoch auf Nachfrage bei der korrespondierenden Autorin erhältlich.DOI 10.3238/zfa.2013.0504

Aniela Angelow

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Abt. Allgemeinmedizin

Inst. für Community Medicine

Universitätsmedizin Greifswald

Ellernholzstraße 1–2, 17487 Greifswald

[email protected]

Korrespondenzadresse

1. Angelow A, Schmidt CO, Nauck M, Hoffmann W, Chenot J-F. Utility of using old cholesterol values for car-diovascular risk assessment in prima-ry prevention. Nordic GP 2013, Tam-pere (Vortrag3)

2. Chenot J-F, Pfingsten M, Lindena G, Marnitz U, Pfeiffer K, Kohlmann T, Schmidt CO. Effectiveness of risk – a tailored short intervention in prima-ry care to prevent chronification of low back pain. Nordic GP 2013, Tam-pere (Vortrag3)

3. Herrmann W, Haarmann A, Flick U, Herrmann M, Bærheim A. Diffe-rences in patients‘ language use des-cribing their medical problems – Pre-liminary results from a comparative qualitative study on patients‘ con-cepts about primary health care utili-zation. Nordic GP 2013, Tampere (Vortrag3)

4. Sigurdsson JA. Milestones in the de-velopment of Nordic general practi-ce. Scand J Prim Health Care. 2013; 31: 3–5

5. Nexøe J. Developing Danish general practice. Scand J Prim Health care. 2013; 31: 129–130

Literatur

504 KONGRESSE / CONGRESS

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Sind deutsche Hausarztpraxen ein „Medical Home“ für chronisch kranke Patienten?Die Perspektive von Hausärzten

Do Family Practices Function as Medical Homes for Chronically Ill Patients in Germany?

The Perspective of Family Practitioners

Carolin Lilienkamp, Martin Beyer, Ferdinand M. Gerlach, Antje Erler

Institut für Allgemeinmedizin, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am MainPeer reviewed article eingereicht: 21.10.2013, akzeptiert: 18.11.2013DOI 10.3238/zfa.2013.0505–0511

Hintergrund: Das in den USA entwickelte Patient-Cen-tered Medical Home (PCMH) wurde vom Sachverständi-genrat für die Begutachtung der Entwicklung im Gesund-heitswesen als ein potenzieller Beitrag zur Entwicklung ei-nes koordinierten und populationsbezogenen Versor-gungsmodells in Deutschland vorgestellt.Methoden: Im Rahmen einer internationalen Studie wurden zufällig ausgewählte Hausarztpraxen in Südhes-sen befragt. Mittels Fragebogen und vertiefender Telefon-interviews wurde evaluiert, inwieweit Elemente des PCMH in der Praxis umgesetzt werden und welche Faktoren die-se Umsetzung fördern bzw. behindern. Die Interviews mit Hausärzten wurden nach der Methode des „framework approach“ ausgewertet.Ergebnisse: 36 Hausärzte wurden per Fragebogen und 14 per Telefoninterview befragt. Als bereits umgesetzte Aspekte des PCMH wurden ein guter Zugang zu hausärzt-licher Behandlung, ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis zu einem persönlichen Hausarzt, ein guter In-formationsaustausch mit anderen Behandlern, regelmäßi-ge Fort- und Weiterbildung, die Nutzung von Leitlinien und eine gemeinsame Entscheidungsfindung mit Patien-ten genannt. Barrieren sind nach Meinung der Befragten Zeitdruck und Bürokratie in der Praxis, die unzureichende Vergütung von Leistungen sowie mangelnde IT-Vernet-zung und Datenschutzprobleme; fördernde Faktoren ein fundiertes Fachwissen, ärztliche Erfahrung, Netzwerkbil-dung und ein funktionierendes Team.Schlussfolgerungen: Aus Sicht der Hausärzte werden zentrale Elemente des PCMH-Konzepts bereits umgesetzt. Optimierungspotenzial und Unterstützungsbedarf beste-hen vor allem beim Thema IT, vergleichende Qualitäts-sicherung und der Finanzierung hausärztlicher Leistungen.

Schlüsselwörter: Hausärzte; Primärversorgung; neue Versorgungskonzepte; Patient-Centered Medical Home

Background: The patient-centered medical home (PCMH) developed in the U.S. has been described by the German Advisory Council on the assessment of developments in the healthcare system as potentially able to make a contribution towards the development of a coordinated and population-based healthcare model in Germany. Methods: Randomly selected family practices in south-ern Hesse were surveyed as part of an international study. By means of questionnaires and in-depth telephone inter-views, family practitioners were asked to what extent dif-ferent elements of PCMH had been implemented in their practices and what factors promoted or hindered the im-plementation. The interviews were analysed using the framework approach.Results: 36 family practices were surveyed by question-naire and 14 by telephone interview. Features of the PCMH that have already been implemented include easy access to primary health care, a trusting relationship be-tween the patient and a personal physician, effective communication between family practitioner and other health care providers, regular CME, use of guidelines, and shared decision making. Family practitioners regarded time pressure, bureaucracy in the practice, insufficient re-muneration, deficits in IT-networking, and data security problems as obstacles, while sound professional knowl-edge, medical experience, the creation of personal net-works, and a smoothly functioning team were considered supporting factors.Conclusions: Family practitioners believed that central elements of the PCMH concept already had been imple-mented in their practices. Room for improvement and the need for support were found in the areas of IT, com-parative quality assurance and remuneration.

Keywords: Family Physicians; Primary Care; Innovative Healthcare Concepts; Patient-Centered Medical Home

505ORIGINALARBEIT / ORIGINAL PAPER

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Hintergrund

Weltweit steigt die Lebenserwartung an [1]. Ab dem 80. Lebensjahr leidet jeder sechste Mann und jede vierte Frau unter fünf oder mehr Krankheiten (Multimor-bidität) [2]. Bis zum Jahr 2020 wird der Anteil von Patienten mit chronischen Erkrankungen 60 % betragen [2], was die Primärversorgung vor erhebliche He-rausforderungen stellt. In den USA sind daher verschiedene Rahmenkonzepte für eine strukturierte Versorgung chro-nisch Kranker entwickelt worden, deren bekannteste das Chronic Care Modell (CCM) [3] und das Patient-Centered Me-dical Home (PCMH) [4] sind.

Das PCMH beinhaltet einen erwei-terten Zugang und eine langfristige Bin-dung an einen persönlichen Hausarzt, der ein Praxisteam leitet, das die Versor-gung des Patienten koordiniert. Der Pa-tient, sein Umfeld sowie dessen kulturel-le und persönliche Wertvorstellungen werden bei der Behandlung berücksich-tigt. Zusätzlich besteht ein niedrig-schwelliger Zugang zur ärztlichen Ver-sorgung. Durch eine längerfristige Arzt-Patienten-Beziehung entwickelt sich der Hausarzt zu einer Vertrauensperson im Gesundheitswesen.

Qualität und Patientensicherheit sind zentrale Anliegen. Dazu ist ein Vergütungssystem notwendig, das die-se Angebote entsprechend honoriert [4]. US-amerikanische Studien konn-ten zeigen, dass die Versorgung in einem PCMH in einer verbesserten Behandlungsqualität, Zugänglichkeit und Patientenzufriedenheit sowie in einer geringeren Morbidität und Mor-talität resultiert [5]. Der Sachverständi-genrat für die Begutachtung der Ent-wicklung im Gesundheitswesen (SVR) stellte das PCMH im Jahr 2009 als ei-nen potenziellen Beitrag zur Entwick-lung eines koordinierten und populati-onsbezogenen Versorgungsmodells in Deutschland vor [6]. Auch die Zu-kunftspositionen der Deutschen Ge-sellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) haben eini-ge PCMH-Elemente aufgenommen, z.B. die Bildung eines Praxisteams, und es sollten stabile und förderliche Rah-menbedingungen angestrebt werden. Der Arzt koordiniert die Behandlung mit dem Ziel einer langfristigen und vertrauensvollen Arzt-Patienten-Bezie-hung, die besonders bei der Behand-

lung von chronisch kranken Patienten hilfreich ist. Die Allgemeinmedizin soll eine wohnortnahe, flächendeckende und niedrigschwellige Grundversor-gung anbieten, besonders auch für älte-re Patienten [7].

Während zur Implementierung von CCM-Elementen inzwischen einige Stu-dien aus Deutschland vorliegen [z.B. 8], ist die Datenlage zum PCMH-Konzept spärlich.

Die vorliegende Arbeit wurde im Rahmen einer international verglei-chenden Studie zum PCMH in fünf europäischen Ländern durchgeführt (Deutschland, Niederlande, Belgien, England, Dänemark) [9]. Sie untersucht in einem quantitativen und vertiefen-den qualitativen Forschungsansatz, welche Faktoren bei der Versorgung chronisch kranker Patienten aus Sicht deutscher Hausärzte besonders wichtig sind, inwieweit Elemente des PCMH in Hausarztpraxen umgesetzt werden, und welche Faktoren die Umsetzung von PCMH-Elementen fördern bzw. be-hindern.

Methode

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine prospektive Querschnitt-untersuchung mit einem quantitativen (schriftliche Befragung) und einem qua-litativen Untersuchungsteil (Telefon-interviews).

Erhebungsinstrumente

Die Entwicklung der Erhebungsinstru-mente erfolgte durch den niederlän-dischen Kooperationspartner für alle teilnehmenden Länder in englischer Sprache. Fragebögen und Interviewleit-faden wurden in die jeweilige Landes-sprache übersetzt, kulturell adaptiert, in einem Pretest mit drei Hausärzten er-probt und bezüglich Anwendbarkeit und Verständlichkeit angepasst.

Für die Fragebogenentwicklung wurden relevante Elemente eines PCMH mittels einer systematischen Literaturre-cherche identifiziert, von internationa-len Experten bewertet, ergänzt, gewich-tet und in einem mehrstufigen DELPHI-Verfahren konsentiert. Anhand der Er-gebnisse wurde je ein Fragebogen für Pa-tienten, Hausärzte sowie zur Praxisorga-nisation entwickelt. Der Entwicklungs-

prozess wurde bereits ausführlich be-schrieben [10].

Der Fragebogen für Hausärzte bein-haltete 32 Fragen zur Demografie und zu den sieben PCMH-Dimensionen, der Fragebogen zur Praxisorganisation ent-hielt 27 Items. Die Antwortkategorien waren dichotom (ja/nein) oder vierstu -fige Likertskalen (immer/häufig/selten/

nie; sehr wichtig/wichtig/weder-noch/nicht

wichtig; ausgezeichnet/gut/schlecht/sehr

schlecht) mit den zusätzlichen Antwort-möglichkeiten bin mir nicht sicher und trifft nicht zu.

Die englische Originalversion des Interviewleitfadens enthielt 30 Fragen; die deutsche Endversion mit Zusatzfra-gen zum Versorgungssystem 87 Fragen zu den Bereichen • Patientenorientierung,• Koordination, d.h. Organisation der

Behandlung bei komplexen Versor-gungsbedürfnissen,

• Koordination der Versorgung mittels IT-Funktionen,

• Qualität und Sicherheit,• Zugang zur Versorgung,• Kosten und Finanzierung hausärzt-

licher Versorgung.

Datenerhebung

Die schriftliche Befragung erfolgte zwischen dem 21.04.2009 und dem 22.06.2009. Die telefonischen Inter-views wurden zwischen dem 15.02.2010 und dem 09.03.2010 durch-geführt. Die Studie wurde von der Ethik-Kommission des Fachbereichs Medizin der Johann Wolfgang Goethe-Univer-sität genehmigt.

Für die Praxisrekrutierung wurde ei-ne nach strukturellen (Einzel- oder Ge-meinschaftspraxis) und regionalen (städtische [> 100.000 Einwohner] oder ländliche [< 100.000 Einwohner] Lage der Praxis) Kriterien geschichtete Zu-fallsstichprobe (n = 633) aus dem haus-ärztlichen Verzeichnis der Kassenärzt-lichen Vereinigung Hessen gezogen. Kinderärzte, Hausärzte außerhalb des Postleitzahlbereichs 6 (= Südhessen) so-wie lehr- und forschungserfahrene Hausärzte des Instituts für Allgemein-medizin (IfA) Frankfurt wurden aus-geschlossen [9]. Die Praxen wurden schriftlich zur Teilnahme eingeladen und interessierte Praxen zwecks Termin-absprache für eine Studieneinweisung des Praxisteams vor Ort telefonisch kon-

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Lilienkamp et al.:Sind deutsche Hausarztpraxen ein „Medical Home“ für chronisch kranke Patienten?Do Family Practices Function as Medical Homes for Chronically Ill Patients in Germany?

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taktiert. Hausarzt- und Praxisfragebogen wurden im Rahmen des Praxisbesuchs ausgefüllt.

Datenauswertung

Die Datenerfassung der Fragebögen erfolgte manuell im Institut für All-gemeinmedizin. Als Software für die Da-tenauswertung wurde das Programm SPSS (Version 18.0) verwendet. Katego-riale Variablen wurden deskriptiv als Häufigkeiten und Prozentwerte, kon-tinuierliche Variablen als Mittelwerte incl. Standardabweichung, Minimum und Maximum dargestellt. Für eine prägnantere Darstellung wurden die Antwortkategorien der vierstufigen Li-kertskalen in negative (selten/nie; weder-

noch/nicht wichtig; schlecht/sehr schlecht) und positive Ausprägungen (immer/häu-

fig; sehr wichtig/wichtig; ausgezeichnet/

gut) dichotomisiert. Die Telefoninterviews wurden

digital aufgezeichnet und wörtlich tran-skribiert. Die Auswertung erfolgte mit-tels des „framework approach“ [11]. Bei dieser Methode werden wörtliche Tran-skripte anhand eines vorher festgelegten theoretischen Modells relevanten Schlüsselthemen, Konzepten und Kate-gorien zugeordnet und ein Index zur Identifizierung von Hauptthemenberei-chen und Unterthemen festgelegt. Im Anschluss erfolgt die Erstellung einer Ta-belle (Matrix) zu jedem Hauptthema. Theoretische Grundlage und Hauptthe-men unserer Auswertung waren die sie-

ben Dimensionen des PCMH-Modells [4], Unterthemen die derzeitige Umset-zung von PCMH-Elementen in der Hausarztpraxis („current practice“), die „ideale“ Umsetzung („best practice“) so-wie Umsetzungsbarrieren und fördern-de Faktoren. Index und Matrix wurden von zwei Untersuchern (CL und AE) un-abhängig voneinander erstellt und an-schließend konsentiert.

Ergebnisse

Das Rekrutierungsziel von 36 Studien-praxen (fünf städtische und elf ländli-che Gemeinschaftspraxen, je zehn städ-tische und ländliche Einzelpraxen) wur-de erreicht. 14 der 36 Studienpraxen er-klärten sich zusätzlich zu einem Inter-view bereit.

Die Ergebnisse der schriftlichen Be-fragung können den Tabellen entnom-men werden. Tabelle 1 zeigt wichtige Merkmale der 36 Studienpraxen, Tabelle 2 die Bewertungen der Hausärzte für die Items des PCMH-Fragebogens.

Ergebnisse der Telefoninterviews

Patientenorientierung

Patientenorientierung bedeutete für die befragten Hausärzte vor allem die Ein-beziehung psychosozialer Faktoren und eine ganzheitliche Sicht des Patienten,

die durch die langjährige Beziehung ge-fördert wird.

„[…] genaue Kenntnisse der Anamnese

und auch soziales Umfeld […] finde ich als

Hausarzt sehr wichtig, weil viele Erkran-

kungen als Ursache eben diese Hintergründe

haben.“ (Praxis 9) Das eigene Wissen, Erfahrung und

eine strukturierte Behandlung chro-nisch Kranker wurden als fördernde Fak-toren; Bürokratie, mangelnde Honorie-rung, Budgetdruck und Zeitmangel als Barrieren für eine patientenorientierte Behandlung benannt.

Koordination

Eine gute Kommunikation zwischen al-len Behandlern und das Vorhandensein eines Koordinators wurden als beson-ders wichtig erachtet. Für die Nachver-folgung von Überweisungen gab es kein standardisiertes Vorgehen. Neben dem Rücklauf von Arztbriefen erfolgen ggf. telefonische Nachfragen oder Patienten bringen die Befunde mit. Arztbriefe von Fachspezialisten erhielten die Hausärzte in 60–95 % der Fälle.

Als Barrieren wurden lange Warte-zeiten auf Termine bei Fachspezialisten und fehlende Befunde, als fördernde Faktoren ein funktionierender Informa-tionsaustausch (häufig per Fax) ge-nannt, der vor allem durch persönliche Kontakte sichergestellt wird.

„[…] die gute Zusammenarbeit mit den

Kollegen, das ist oft auch so, dass das durch

den Qualitätszirkel gebahnt ist […] oder

Tabelle 1 Charakteristika

der Studienpraxen (N = 36)

Anteil SP

Anteil GP

Anzahl der Ärzte in der Praxis (VZÄ)

Anzahl der MFA (VZÄ)

Alter Hausärzte/-innen in Jahren

Anteil männlich

Jahre seit der Facharztprüfung

Arbeitszeit im direkten Patientenkontakt in Stunden

Patientenkonsultationen pro Woche

Dauer eines Routinetermins in Minuten

VZÄ = Vollzeitäquivalente, GP = Gemeinschaftspraxis (> 1 Hausarzt), SP = Stadtpraxis (> = 100.000 Einwohner); SD = Standardabweichung

% (n)

41,7 (15)

44,4 (16)

55,6 (20)

Mittelwert

1,5

2,8

50,6

14,4

69,5

329,0

12,8

SD

8,5

1,4

3,0

26,0

0,6

Spannweite

1,0–3,0

1,0–8,0

34,0–68,0

1,0–30,0

30,0–98,0

100,0–700,0

5,0–20,0

507

Lilienkamp et al.:Sind deutsche Hausarztpraxen ein „Medical Home“ für chronisch kranke Patienten?Do Family Practices Function as Medical Homes for Chronically Ill Patients in Germany?

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am

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din

atio

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t.-O

rien

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PCM

H-D

imen

sion Gekürzte Fragen

Betreuung d. Pat. seit mind. 3 Jahren?

Eingeschriebene Patienten?

Breites Spektrum an Leistungen?

Berücksichtigung psychosozialer Aspekte?

Partizipative Entscheidungs -findung?

Behandlung aller Probleme?

Wie oft Koordination der Behand-lung mit anderen Ärzten/innen?

Wie oft Zusammenarbeit mit Einrichtungen in der Gemeinde?

Teambeurteilung erfolgt?

Kollegialität im Team?

Kommunikation im Team?

Klare Aufgabenverteilung?

Aus- und Fortbildungen?

Zweitmeinungen für Patienten?

Anwendung von Leitlinien?

Überprüfung von Patienten -erwartung?

Schriftliche Patientenanweisung?

Interne Qualitätsprüfung?

Vorgehen bei Reklamationen?

Jährlicher Geschäftsbericht?

Informationen zur Versorgung außerhalb der Sprechzeiten?

Barrierefreie Praxis?

Hilfen bei Sprachbarrieren?

Praxisinternetseite?

Erreichbarkeit per E-Mail?

Separate Notfalltelefonnummer?

Nicht finanzierbare Behandlung?

Koordinationsvergütung Chroniker?

Adäquate Vergütung Praxisteam?

Behandlung ohne Zuzahlung?

Förderung Leitlinienanwendung?

Finanzielle Förderung elektroni-scher Patientenakten (EHR)?

Ja

% (n)

86 (31)

17 (6)

97 (35)

67 (24)

72 (26)

84 (30)

97 (35)

84 (30)

51 (18)

25 (9)

97 (35)

45 (16)

58 (21)

30 (11)

42 (15)

28 (10)

28 (10)

3 (1)

80 (29)

5 (2)

Immer/ häufig; ausge-zeichnet/gut; sehr wichtig/ wichtig

% (n)

100 (36)

97 (35)

92 (33)

92 (33)

92 (33)

95 (34)

90 (32)

39 (14)

53 (19)

11 (4)

Mindest. 1x/Wo

% (n)

72 (26)

1x/ Monat oder seltener

25 (9)

Nein

% (n)

61 (22)

14 (5)

25 (9)

5 (2)

3 (1)

11 (4)

39 (14)

69 (25)

3 (1)

47 (17)

39 (14)

67 (24)

55 (20)

69 (25)

62 (22)

80 (29)

17 (6)

90 (32)

95 (34)

Selten/nie; schlecht/ sehr schlecht; weder-noch/nicht wichtig

% (n)

3 (1)

8 (3)

5 (2)

5 (2)

58 (21)

47 (17)

67 (24)

Bin mir nicht sicher

% (n)

8 (3)

3 (1)

19 (7)

3 (1)

3 (1)

3 (1)

8 (3)

5 (2)

5 (2)

5 (2)

3 (1)

8 (3)

3 (1)

3 (1)

3 (1)

19 (7)

5 (2)

14 (5)

3 (1)

5 (2)

5 (2)

Trifft nicht zu/ keine Angabe

% (n)

14 (5)

14 (5)

3 (1)

5 (2)

5 (2)

3 (1)

3 (1)

5 (2)

3 (1)

3 (1)

3 (1)

5 (2)

3 (1)

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Info

rmat

ions

tech

nolo

gie

den regelmäßigen Kontakt mit Kollegen.“

(Praxis 15)

Team

Teammitglieder waren überwiegend me-dizinische Fachangestellte (MFA). Zum Informationsaustausch wurden Eintra-gungen in die Patientenakte, persönli-cher Austausch, interne E-Mails und Teambesprechungen genutzt.

Qualität und Sicherheit

Qualitätsmanagement erfolgte im Rah-men von Teamsitzungen und mittels Pa-tienten- und Mitarbeiterbefragungen. Eine systematische Qualitätsmessung oder Zertifizierung der Praxen war sel-ten. Leitlinien lagen meist als Papierver-sion vor und wurden individuell ange-passt. Zur gemeinsamen Entscheidungs-findung mit Patienten erklärten die Hausärzte Behandlungen und boten Al-ternativen an. Die Möglichkeiten für Pa-tienten, sich im Internet zu informieren, wurden zum Teil kritisch gesehen.

„[…] Schwierig finde ich auch die Pa-

tienten, wenn die im Internet schon geblät-

tert haben […] und wollen das ausprobie-

ren.“ (Praxis 31)Schriftliche Anweisungen und In-

formationen zum Selbstmanagement wurden selten verwendet.

„[…] Nutzen wir eigentlich nicht. […]

Das kann mal, wenn es gut gemacht ist, von

der Pharmaindustrie genommen werden,

wobei wir das selber immer nochmal auf-

arbeiten.“ (Praxis 1). Eine systematische Identifizierung

und Betreuung bestimmter Patienten-gruppen (z.B. mittels Patientenregister) erfolgte nur im Rahmen von Disease-Management-Programmen (DMP). Li-mitierende Faktoren waren personelle und zeitliche Faktoren.

Als Barrieren für eine qualitativ hochwertige Versorgung wurden Zeit-druck und schlechtes Fehlermanage-ment genannt, als fördernde Faktoren ein strukturiertes Qualitätsmanage-ment, ein gutes Team und eine suffizien-te Kommunikation.

Zugang („access“)

Das Angebot der Praxen umfasste erwei-terte Öffnungszeiten, eine Telefonansa-ge außerhalb der Sprechstunde und eine separate Notfalltelefonnummer, jedoch hatte keiner der befragten Hausärzte ei-ne separate Telefonsprechstunde.

„Wenn die [Patienten] anrufen, dann

wird die Nummer notiert. […] Ich rufe dann

zwischen Patienten oder nach der Sprech-

stunde zurück.“ (Praxis 13).Die finanzielle Zugänglichkeit zu

hausärztlicher Versorgung wurde ins-gesamt als gut eingeschätzt.

„Wo der sein Chipkärtchen eingelesen

hat und seine 10 Euro bezahlt hat, […] in

dem Moment hat er ja alle Möglichkeiten

des medizinischen Systems in Deutschland

[…] offen.“ (Praxis 10)

Kosten und Finanzierung

Mit der Vergütung ihrer Leistungen wa-ren die meisten Ärzte eher unzufrieden. Als Barrieren für eine angemessene Ver-gütung wurden die politischen, recht-lichen und finanziellen Rahmenbedin-gungen angesehen, fördernd wirkt sich eine hohe Patientenzahl aus.

„[…] die Honorierung […] ist einfach

für die angebotene Qualität und Leistung

schlecht. Die Masse macht es dann, dass die

Praxis doch überleben kann.“ (Praxis 13)

Nutzung von IT

Einerseits wünschten sich die Befragten eine bessere digitale Vernetzung und elektronische Kommunikation.

„[…] so eine Art elektronische Patien-

tenakte mit einem zentralen Server auf den

die einzelnen Fachgruppen, Krankenhäuser

oder [so] zugreifen könnten und könnten die

letzten Untersuchungsergebnisse oder Do-

kumentationsbefunde einsehen […]“ (Pra-xis 13)

Andererseits standen sie dem digita-len Informationsaustausch skeptisch ge-genüber. Als Barrieren für eine digitale Vernetzung wurden nicht funktionie-render Software, der anfängliche Zeit- und Kostenaufwand und die Anforde-rungen des Datenschutzes genannt, des-sen Einhaltung in der Verantwortung des einzelnen Arztes liegt.

Tabelle 2 Ergebnisse des Hausarzt- und Praxisfragebogens

Elektronische Patientenakten?

Praxis-Internetanschluss?

Praxis-E-Mail?

Elektronische Apothekenrezepte?

Nutzung EHR mit anderen Ärzten?

EHR-Zugriff außerhalb der Praxis?

Zugriff Pat. auf eigene Akte?

Management für das Vorgehen bei- herausgehenden Daten?- eintreffenden Daten?- Nachverfolgung Befunde?

Leichter Leitlinienzugriff?

Zugang zu medizinischer Literatur?

Recall-System für Patienten?

80 (29)

72 (26)

67 (24)

22 (8)

36 (13)

42 (15)90 (32)

62 (22)

86 (31)

59 (21)

47 (17)

17 (6)

28 (10)

33 (12)

100 (36)

75 (27)

64 (23)

100 (36)

47 (17)5 (2)

30 (11)

11 (4)

36 (13)

53 (19)

3 (1)

8 (8)5 (2)

8 (3)

3 (1)

5 (2)

3 (1)

3 (1)

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„Das ist etwas, dem ich sehr zurückhal-

tend gegenüberstehe, aus Gründen des Da-

tenschutzes. […]“ (Praxis 5)Barrieren für den E-Mail-Kontakt

mit Patienten waren Unklarheiten bei der konkreten Handhabung im Praxis-alltag.

„[…] Man muss die ja lesen, und […]

mehr als einmal am Tag wird man diese

E-Mails nicht lesen können […]“ (Praxis 1)

Diskussion

Nach Meinung der befragten Hausärzte sind zentrale und bereits umgesetzte As-pekte des PCMH ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis zu einem per-sönlichen Hausarzt, ein auf persönli-chen Kontakten basierender guter Infor-mationsaustausch mit anderen Behand-lern (und Hausärzten als Koordinato-ren), regelmäßige Fort- und Weiterbil-dung, die Nutzung von Leitlinien und eine gemeinsame Entscheidungsfin-dung mit Patienten. Durch erweiterte Öffnungszeiten und geringe finanzielle Barrieren für Patienten bestehe ein guter Zugang zu ärztlicher Behandlung. Als Barrieren für die Implementierung des PCMH-Modells wurden Zeitdruck und Bürokratie in der Praxis, die unzurei-chende Honorierung von Leistungen, mangelnde IT-Vernetzung und Daten-schutzprobleme, als fördernde Faktoren ein fundiertes Fachwissen, ärztliche Er-fahrung, Netzwerkbildung und ein funktionierendes Team genannt.

Ergebnisse aus Deutschland [12, 13] bestätigen, dass ein niedrigschwelliger, von der finanziellen Situation weit-gehend unabhängiger Zugang zu haus-ärztlicher Versorgung für alle Bevölke-rungsgruppen besteht. Über 90 % der Bevölkerung und 96 % der chronisch Kranken haben einen persönlichen Hausarzt [14].

Unsere Studie zeigt, dass Hausärzte in Eigeninitiative persönliche Kontakte mit anderen Behandlern knüpfen, um eine gute Koordination und Kooperati-on der Versorgung zu gewährleisten. Im Vergleich zu anderen europäischen Län-dern erscheinen Kommunikationswege in Deutschland wenig institutionalisiert und dadurch nicht ohne weiteres „ge-bahnt“ [15]. Hilfreich wären z.B. stan-dardisierte Verfahren zur Information des Hausarztes vor Entlassung von pfle-gebedürftigen Patienten. Trotz gesetzli-

cher Vorgaben zum Entlassungs- bzw. Überleitungsmanagement [16] gibt es offensichtlich bei der Umsetzung in die (hausärztliche) Praxis noch Probleme.

Potenzial für eine Förderung der Ko-operation sahen die befragten Ärzte in einer IT-Vernetzung; andererseits be-standen erhebliche Bedenken bezüglich der Verantwortung für Patientendaten, Zeit- und Kostenaufwand sowie man-gelnden IT-Kenntnissen. Eine aktuelle Studie zeigt, dass 99 % der befragten Pra-xen ein Praxissoftwaresystem haben, was 93 % allerdings nur für die Abrech-nung und Verordnung von Medikamen-ten nutzen [17]. Finanzielle Anreize für eine erweiterte IT-Nutzung, eine rechtli-che Entlastung beim Datenschutz (z.B. Nachweis sämtlicher möglicher Sicher-heitsmaßnahmen, wie funktionierende/aktuelle Firewall etc.) und Unterstüt-zung durch einen professionellen IT-Support könnten möglicherweise Bar-rieren abbauen.

Ein wichtiges Thema in unserer Stu-die war die nach Meinung der Ärzte un-zureichende Honorierung hausärzt-licher Leistungen, die auch durch eigene Initiative und Mehrarbeit nicht zu ver-ändern sei. Eine mögliche Verbesserung der hausärztlichen Honorierung bieten seit dem 31.12.2010 die Hausarztverträ-ge (HzV), z.B. in der in Baden-Württem-berg umgesetzten Form [18]. Die starke Resonanz ist ein Signal für dringlichen Veränderungsbedarf im derzeitigen Ab-rechnungssystem. Deutsche Hausärzte/innen haben eine hohe Anzahl von Pa-tientenkontakten [19] und die stärkste Arbeitsbelastung im internationalen Vergleich [20], was die Hausärzte in un-serer Studie damit begründeten, dass aus finanziellen Gründen eine große Anzahl von Patienten pro Quartal behandelt werden müsse. Eine entlastende Delega-tion von Aufgaben innerhalb eines mul-tiprofessionellen Praxisteams oder alter-native Kommunikationswege mit Pa-tienten (z.B. Telefonsprechstunde) wer-

den im derzeitigen Vergütungssystem nicht finanziell gefördert und daher auch nicht umgesetzt, wie sowohl unse-re Untersuchung als auch andere Studi-en zeigen. [z.B. 15].

Im Bereich Qualität und Sicherheit setzen die befragten Hausärzte/innen viele PCMH-Elemente bereits um, aller-dings häufig, ohne diese im Sinne einer ständigen Verbesserung systematisch zu evaluieren. Ein Vergleich mit anderen Ärzten im Sinne eines Benchmarkings war vielen Befragten wichtig. Wie im Be-reich der Pharmakotherapie könnten beispielsweise Qualitätszirkel hierfür noch systematischer genutzt werden.

Limitationen der Studie

Die Zahl der in unserer Studie befragten Hausärzte war relativ klein und die Zu-fallsauswahl auf eine Region in Hessen begrenzt, daher ist ein Selektionsbias wahrscheinlich. Da unsere Stichprobe be-züglich Alter und Geschlecht eine ähn-liche Verteilung aufweist wie in Deutsch-land [21], und eine vergleichbare Größe in internationalen Studien als ausrei-chend angesehen wurde, um Effekte nachzuweisen [22], gehen wir davon aus, dass die Ergebnisse dadurch nicht sinnge-mäß verfälscht wurden. Zur Validierung wäre jedoch eine Untersuchung mit einer größeren Stichprobe, z.B. in Form einer bundesweiten Befragung, wünschens-wert. Die Kombination von qualitativen und quantitativen Methoden erlaubte ei-ne umfassende Untersuchung des The-mas mit tieferen Einblicken in die prakti-sche Umsetzung von PCMH-Elementen als eine reine schriftliche Befragung.

Die Fragebogenitems wurden im Vorfeld auf Inhalts- und Konstruktvali-dität, jedoch nicht formal testtheore-tisch auf Validität und Reliabilität ge-prüft (z.B. mittels Faktorenanalyse), und bei einzelnen Fragen fielen Inkonsisten-zen in den Antworten auf. Beispielswei-

… studierte Humanmedizin an der Johann Wolfgang Goethe-

Universität in Frankfurt am Main. Seit dem 01.01.2013 ist sie als

Assistenzärztin im Klinikum Bielefeld Mitte beschäftigt. Sie ist

Doktorandin am Institut für Allgemeinmedizin in Frankfurt am

Main und beschäftigt sich dort mit dem Thema Versorgungs-

forschung aus hausärztlicher Sicht.

Carolin Lilienkamp …

510

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se wurde die Frage „Können Patienten Sie oder Ihre Praxis per E-Mail kontaktie-ren?“, die in Hausarzt- und Praxisfra-gebogen vorkam, unterschiedlich häu-fig mit „Ja“ beantwortet. Für weitere Stu-dien sollten problematische Items über-arbeitet und formal validiert werden.

Schlussfolgerung

Wichtige Elemente des PCMH-Konzepts werden in deutschen Hausarztpraxen

bereits umgesetzt. Optimierungspoten-zial und Unterstützungsbedarf bestehen vor allem beim Thema IT, vergleichende Qualitätssicherung und der Finanzie-rung hausärztlicher Leistungen.

Interessenkonflikte: FMG ist Vorsit-zender des Sachverständigenrats für die Begutachtung der Entwicklung im Ge-sundheitswesen; FMG, MB und AE sind Mitautoren des zitierten Sondergutach-tens 2009.

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Literatur

Carolin Lilienkamp

Institut für Allgemeinmedizin

Johann Wolfgang Goethe-Universität

Theodor-Stern-Kai 7

60590 Frankfurt am Main

[email protected]

Korrespondenzadresse

511

Lilienkamp et al.:Sind deutsche Hausarztpraxen ein „Medical Home“ für chronisch kranke Patienten?Do Family Practices Function as Medical Homes for Chronically Ill Patients in Germany?

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46-jährige Patientin mit Fieber und schmerzhaftem HautausschlagMit Hilfe einer Mailingliste zur Diagnose

46 Year Old Woman with Fever and Painful Exanthema

Diagnosis with the Help of a Mailing List

Horst Prautzsch

Facharzt für Allgemeinmedizin in Zwiefalten und Trochtelfingen, Akademische Lehrpraxis der Universität TübingenPeer reviewed article eingereicht: 05.07.2013, akzeptiert: 16.09.2013DOI 10.3238/zfa.2013.0512–0514

Fallbeschreibung: Ein Hausarzt wird bei einer 46-jäh-rigen Patientin mit einem seltenen, ihm unbekannten Syndrom konfrontiert. Er kommt mit Hilfe der Mailingliste „Listserver Allgemeinmedizin“ innerhalb von 24 Stunden auf die richtige Diagnose und kann die Patientin rasch er-folgreich behandeln. Dieser Ablauf zeigt das Potenzial, durch Teilnahme am Listserver Allgemeinmedizin die Qualität der Versorgung (z.B. von Patienten mit seltenen Erkrankungen) durch deutschsprachige Hausärzte zu ver-bessern. Möglicherweise könnte die Einrichtung eines moderierten Internetforums die Effektivität dieser neuen Art der gegenseitigen kollegialen Unterstützung noch steigern.

Schlüsselwörter: Allgemeinmedizin; Mailingliste; Fallbericht; Sweet-Syndrom; kollegiale Hilfe

Case report: A family practitioner is confronted with a 46 years old female patient who has a rare syndrome, which is unknown to him. With the help of the mailing list “Listserver Allgemeinmedizin“ he is able to identify the disease within 24 hours and to cure the patient rapidly. This course of action shows the potential for im-proving the practice of German speaking family practi-tioners (for example in the management of rare diseases) by participating in the Listserver Allgemeinmedizin. To in-stall a moderated internet forum may improve the effec-tiveness of this new type of collegial support.

Keywords: Primary Care; Mailing List; Case Report; Sweet’s Syndrome; Collegial Support

Hintergrund

Das Sweetsyndrom wurde erstmals 1964 von Robert D. Sweet beschrieben [2, 5], seither wurden mehrere hundert Fallberichte veröffentlicht. Aus der Mailingliste „Listserver Allgemeinme-dizin“ mit rund 600 Hausärzten [1] kam nach der Beschreibung der Symptome nur von einem Arzt eine Rückmeldung über einen eigenen Fall. Der vorliegen-de Bericht schildert exemplarisch die Möglichkeit, auch bei einer seltenen Er-krankung, die dem behandelnden Arzt zunächst nicht bekannt ist, innerhalb kurzer Zeit die richtige Diagnose zu stellen.

Fallbericht

Eine 46 Jahre alte Krankenschwester, die in einer großen Klinik arbeitet, be-kommt vier Tage vor der Konsultation ihres Hausarztes Glieder- und Gelenk-schmerzen. Sie fühlt sich schwer krank und hat seit dem Abend des ersten Tages Fieber bis 39°C. Keine Erkältungssymp-tome, Stuhlgang und Wasserlassen sind unauffällig. Die Patientin hatte im 31. Lebensjahr Windpocken; ansonsten kei-ne nennenswerten Begleit- oder Vor-erkrankungen

Gleichzeitig mit den geschilderten Beschwerden zeigen sich bei der Frau zu-nehmend druckschmerzhafte (nicht ju-

ckende) Makulopapeln und Vesikopa-peln (s. Abb. 1). Die Läsionen finden sich vorwiegend an beiden Händen, ei-nige wenige auch in beiden Ellenbeu-gen; ein etwas größerer Cluster befindet sich über dem linken Schulterblatt, zwei einzelne Effloreszenzen im Dekolleté-Bereich; das restliche Integument inklu-sive Gesicht und Füße ist unauffällig. Laut Auskunft der Patientin verdreifacht sich die Zahl der Effloreszenzen in den nächsten fünf Tagen. Laborwerte am Tag der 1. Konsultation:• CRP 29 mg/l (< 5)• Blutsenkung 52 mm/h• Leukozyten 9000 106/l (< 10000), da-

von 77,6 % neutrophile (bis 70)

512 FALLBERICHT / CASE REPORT

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• Serumelektrophorese Alpha 1 und 2 deutlich vermehrt.

• Sonstiges ausführliches Labor incl. Le-ber, alkalische Phosphatase und Krea-tinin sind unauffällig.

Differenzialdiagnosen

Eine Reihe von Erkrankungen können gleich bzw. sehr ähnlich aussehende Makulopapeln bzw. Vesikopapeln ver-ursachen, z.B. Allergien, Virusinfektio-nen (z.B. Hand-Fuß-Mund-Erkrankung, Varizellen), Prurigo oder das dyshidrosi-forme Ekzem.

Bei der vorläufigen Arbeitsdiagnose „Infektassoziiertes Exanthem“ emp-fiehlt der Hausarzt bis zum Vorliegen der Laborergebnisse eine symptomatische Behandlung mit Paracetamol oder Ibu-

profen. Die Patientin erteilt ihm die Er-laubnis, den ungewöhnlichen Fall ano-nym ca. 600 Kollegen im Listserver All-gemeinmedizin [1] vorstellen zu dürfen.

Innerhalb weniger Stunden erhält der Arzt einige Rückmeldungen, darun-ter auch die eines Kollegen, der einen

Fall von Sweet-Syndrom wiedererkennt (Textkasten 1).

Diese Diagnose wird der Patientin schon am Folgetag der ersten Konsultati-on fernmündlich mitgeteilt und zu einem Behandlungsversuch mit täglich 20 mg Prednisolon per os geraten. Aus Angst vor Nebenwirkungen lehnt die Frau diesen Vorschlag zunächst ab. Sie fühle sich auch schon etwas besser. Nach einer ausführli-chen Konsultation am Folgetag erklärt sich die Patientin auf Anraten des Arztes aber doch bereit, in der Apotheke das Re-zept über Prednisolon „für den Notfall am Wochenende“ einzulösen.

Bei dieser Konsultation war das rech-te Sprunggelenk ohne Rötung leicht aber deutlich angeschwollen und schmerzte auch mehr als die übrigen Gelenke. Auch das andere Sprunggelenk, beide Knie- und die Hüftgelenke schmerzten in den

Folgetagen zunehmend, sodass die Frau am Wochenende – kurz bevor sie gehun-fähig wurde – von sich aus 40 mg Predni-solon p.o. einnahm. Nach drei Tagen Prednisolon 40 mg/die stellt sich die Pa-tientin erneut in der Sprechstunde vor (Abb. 2). Sie berichtet dabei, dass sie ein

bis zwei Stunden nach der ersten Predni-soloneinnahme weitgehend schmerzfrei gewesen sei, auch das Exanthem habe sich gebessert.

Prognose

Das Sweet-Syndrom hat eine gute Prog-nose: I.d.R. ist nach spätestens 6 Monaten mit einer restitutio ad integrum zu rech-nen. Gelegentlich findet sich eine Asso-ziation mit anderen Erkrankungen z.B. ei-ner akuten myeloischen Leukämie [2–5].

Therapie

Wegen der Möglichkeit des Wiederauf-tretens beim Unterschreiten einer be-stimmten Prednisolondosis wird mit der Patientin folgende weitere Therapie ver-einbart (Angaben in mg): 30; 30; 20; 20; 17,5/die, dann alle zwei Tage 2,5 mg we-niger.

Als 10 mg Prednisolon p.o./die er-reicht waren, kam es zu einem leichten Rezidiv auch des Exanthems, das nach Erhöhung auf 12,5 mg/die prompt wie-der sistierte.

Um auch die Möglichkeit eines an-deren therapeutischen Vorgehens zu verdeutlichen, wird in Textkasten 2 ein weiterer Fall beschrieben, der im List -server Allgemeinmedizin geschildert wurde.

Abbildung 1 Initiales Bild, 4 Tage nach Beginn der Erkrankung, nicht

bildlich dokumentiert, zeigten sich ca. 5 Tage später ca. dreimal so

viele Effloreszenzen.

Abbildung 2 Drei Tage nach Beginn der oralen Prednisolontherapie

40mg/die

Textkasten 1 Symptome Sweet-Syndrom

Typisch für das Sweet-Syndrom ist das mittlere Alter der Patienten, die Polyarthralgien, das schmerzhafte Exanthem, Fieber und die pathognomonische Neutrophilie im Diffe-renzialblutbild.

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Prautzsch:46-jährige Patientin mit Fieber und schmerzhaftem Hautausschlag46 Year Old Woman with Fever and Painful Exanthema

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Einladung zum Listserver Allgemeinmedizin

Der Listserver Allgemeinmedizin wurde von Prof. Norbert Donner-Banzhoff in-stalliert und wird derzeit von Dominik Ahlquist betreut. Es kann jeder teilneh-men, der sich kostenlos über die DE-GAM-Homepage anmeldet [1]. Auch ei-ne direkte Anmeldung ist möglich [6]. Der Listserver Allgemeinmedizin steht trotz der Gründung durch die Fachge-sellschaft nicht unter der Verantwort-lichkeit der DEGAM. Wenn man z.B. drei Wochen im Urlaub war, kann es sein, dass das Postfach der eingehenden

E-Mails durch sehr viele Listenbeiträge recht unübersichtlich wird. In den meis-ten E-Mail-Programmen kann man aber recht einfach ein eigenes Postfach anle-gen, in dem automatisch alle eingehen-den E-Mails des Listservers Allgemein-medizin landen. Sie sind im Betreff durch „[ALLGMED-L]“ eindeutig ge-kennzeichnet und stören dann im Post-fach für eingehende Mails nicht mehr.

In ihrer Fähigkeit, Informationen zu archivieren, wiederauffindbar zu ma-chen und in ihrer Benutzerfreundlich-keit werden solche Mailinglisten nach Ansicht des Autors durch moderierte In-ternetforen noch übertroffen.

Schlussfolgerung

Die Teilnahme am Listserver Allgemein-medizin hat das Potenzial, die Qualität der Versorgung (z.B. von Patienten mit seltenen Erkrankungen) durch deutsch-sprachige Hausärzte zu verbessern. Der Autor hofft, dass die Effektivität und die Benutzerfreundlichkeit dieses Kom-munikationsmittels durch die Einrich-tung eines moderierten DEGAM-Inter-net-Forums gesteigert werden kann.

Danksagung: Der Autor dankt dem Kollegen André Jablonski für den ent-scheidenden Hinweis auf die richtige Di-agnose und seine konzise Fallbeschrei-bung (Textkasten 2). Dank gebührt auch den anderen fleißigen Teilnehmern des Listservers Allgemeinmedizin, die sich Zeit für ihre ratsuchenden Kollegen neh-men und ihr teilweise herausragendes „Know-how“ unentgeltlich zur Ver-fügung stellen.

Interessenkonflikte: keine angege-ben.

Textkasten 2 Alternativer Fall eines Sweet-Syndroms (geschildert im Listserver Allgemeinmedizin)

Dr. med. Horst Prautzsch

Marktstr. 17, 72818 Trochtelfingen

Beda-Sommerberger-Str. 7

88529 Zwiefalten

[email protected]

Korrespondenzadresse

1. http://www.degam.de/index.php?id=1154 (letzter Zugriff am 8.8.2013)

2. http://de.wikipedia.org/wiki/Sweet-Syndrom (letzter Zugriff am 8.8.2013)

3. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1963326/ (letzter Zugriff am 8.8.2013)

4. Ernst S, Kohler HP, Nohl F. Schmer-zende Haut und Fieber. Schweiz Med Forum 2005; 5: 270–272

5. Sweet RD. An acute febrile neutro-philic dermatosis. Br J Dermatol 1964; 76: 349–356

6. http://www.listserv.dfn.de/ (letzter Zugriff am 8.8.2013)

Literatur

Männlicher Patient, Mitte dreißig Jahre alt, der bei abklingendem Atemwegsinfekt und schon gebessertem Allgemeinzustand einen teils bläschenförmigen Hautausschlag ent-wickelte, der vom Hausarzt an einem Freitag zunächst nicht eingeordnet werden konnte. Blutabnahme mit stark erhöhter CRP (ca. 100 bei Normalwert < 5) und Neutrophilie, Varizellenserologie mit Bild einer „Seronarbe“. Der hinzugezogene Hautarzt rezeptierte eine Cortisonmischsalbe. Aufgrund des hohen CRP riet der Hausarzt dem Patienten am Abend, am folgenden Wochenende die infektiologische Ambulanz der Universitätsklinik aufzusuchen. Von dort wurde er an die Dermatologie weitergeleitet, welche die Diagno-se Sweet-Syndrom stellte und eine ambulante Therapie einleitete: Prednisolon 60 mg/die für lediglich sechs Tage plus Cefaclor (wegen angeblicher Tonsillitis, obwohl klinisch inklusive ISAAK-Score bei initial leichtem Husten,abwesender Lymphknotenschwellung und fehlenden Belägen die Wahrscheinlichkeit für eine Streptokokkentonsillitis gering war)Klinisch dann rasche Besserung und Rückbildung der Symptome. Nach Absetzen der Prednisolon-Therapie kam es nicht zum Wiederauftreten des Syndroms.

... ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Fachkunde Rettungs-

wesen, Lehrbeauftragter der Universität Tübingen.

Er ist seit 1993 in eigener Praxis auf der schwäbischen Alb

niedergelassen (www.prautzsch.net). Mit zwei angestellten

Ärzten betreibt er dort eine akademische Lehrpraxis der Univer-

sität Tübingen für Allgemeinmedizin mit einer Zweigpraxis.

Er ist Mitglied der ständigen Leitlinienkommission der DEGAM.

Dr. med. Horst Prautzsch ...

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Prautzsch:46-jährige Patientin mit Fieber und schmerzhaftem Hautausschlag46 Year Old Woman with Fever and Painful Exanthema

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DEGAM-Nachwuchsakademie: Noch bis zum 15. Januar für dritten Jahrgang bewerben

„Allgemeinmedizin begeistert!“ – mit diesem neuen Slogan wirbt die DEGAM für den dritten Jahrgang ihrer Nach-wuchsakademie. Studierende vom 5. bis 8. Semester können sich für das im Juni 2014 im Rahmen eines Klausurwochen-endes beginnende Programm bewerben. Die Bewerbungsfrist endet am 15. Januar, im Anschluss werden Vertreter der Sektion Studium und Hochschule unter Leitung der Sektionssprecherin Prof. Dr. Antje Bergmann (Dresden) ins-gesamt 12 bis 15 Teilnehmer unter den Bewerbern auswählen.

Die DEGAM-Nachwuchsakademie hat sich zu einer Erfolgsgeschichte ent-wickelt. Die ersten beiden Jahrgänge en-gagieren sich an den Universitäten be-reits für eine Verbesserung des Images der Allgemeinmedizin, auf dem DE-GAM-Jahreskongress präsentierten bei-de Jahrgänge jeweils ein Poster. Mit dem nun startenden, dritten Jahrgang wird die Nachwuchsakademie komplettiert, da dann wie geplant erstmals drei Jahr-gänge parallel laufen. Auch die neuen Teilnehmer profitieren natürlich von Klausurwochenenden, der Teilnahme

an der Summerschool und auf Wunsch auch einem persönlichen Mentoring durch einen erfahrenen Allgemeinmedi-ziner. Unterstützt wird die NWA, die von der DEGAM getragen wird, durch den Deutschen Hausärzteverband, die Ge-sellschaft der Hochschullehrer für All-gemeinmedizin (GHA) sowie die Tech-niker Krankenkasse.

Weitere Informationen zur DEGAM-Nachwuchsakademie sowie die Unterla-gen zur Bewerbung finden sich unter http://www.degam.de/index.php?id=nachwuchsakademie.

Noch aktuell?

Kürzlich schrieb ein DEGAM-Mitglied folgende E-Mail: „Trotz meiner Mit-gliedschaft erhalte ich – wohl aufgrund eines Wechsels der Anschrift – keine Zeitschrift für Allgemeinmedizin mehr.“ Solche und ähnliche Nachrichten erhält die DEGAM-Bundesgeschäftsstelle gele-gentlich. Selbstverständlich werden die-se Angelegenheiten umgehend erledigt. Allerdings sollte jedem Mitglied bewusst sein, dass Änderungen von Daten, wie z.B. der Adresse, der Bankverbindung oder des Namens, die Geschäftsstelle

nicht „automatisch“ erfährt, sondern nur, wenn Sie als Mitglied uns dies mit-teilen. Auch wenn Sie wegen Umzugs ei-nen Nachsendeantrag gestellt haben, so gilt dieser nicht automatisch für Abon-nements. Hierfür gibt es bei der Post se-parate Nachsendeanträge, die ausgefüllt werden müssen.

Außerdem möchten wir gerne mög-lichst alle Mitglieder auch per E-Mail er-reichen, v.a. damit sie die besonders le-senswerten Benefits von Professor Mi-chael M. Kochen regelmäßig erhalten.

Deshalb folgende Bitte: Teilen Sie uns – sofern noch nicht erfolgt – Ihre aktuelle E-Mail-Adresse mit. Diese wird selbstver-ständlich absolut vertraulich und nur zu Zwecken der Fachgesellschaft verwendet.

Frohe Weihnachten und die besten Wünsche für das neue Jahr

Weihnachten steht vor der Tür. Das be-deutet gleichzeitig, dass ein weiteres, für die DEGAM erfolgreiches Jahr 2013 zu Ende geht. Besonders ist dieses Jahr vor allem deshalb, weil die DEGAM erstmals die Marke von 5.000 Mitgliedern er-reicht hat und mit einem großen Kon-gress mit fast 700 Teilnehmern ebenfalls eine neue Rekordmarke erzielte – ein

klares Signal und eine Stärkung der wis-senschaftlichen Allgemeinmedizin. Die DEGAM möchte sich bei allen Mitglie-dern für Ihr Engagement herzlich be-danken. Zugleich steht uns allen ein spannendes Jahr 2014 bevor: Wird es ein PJ-Quartal Allgemeinmedizin geben? Wie viele neue Mitglieder können wir in unseren Reihen begrüßen? Und auch

der DEGAM-Kongress in Hamburg zum Thema „Allgemeinmedizin – speziali-siert auf den ganzen Menschen“ weckt bereits die Vorfreude.

In diesem Sinne wünscht das gesam-te DEGAM-Präsidium sowie das Team der Bundesgeschäftsstelle Ihnen frohe Weihnachten und ein erfolgreiches und schönes Jahr 2014!

515DEGAM-NACHRICHTEN / DEGAM NEWS

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Der allergische Notfall: Adrenalin das Mittel der Wahl bei der AnaphylaxieAllergic Emergencies: Epinephrine, the Drug of Choice in AnaphylaxisLukas Jörg1, Urs Steiner2, Michael Fricker1,3, Arthur Helbling1,4

1 Allergologisch-Immunologische Poliklinik, Universitätsklinik für Rheumatologie, Klinische Immunologie und Allergologie, Inselspital Bern2 Medizinische Klinik Tiefenau/Ziegler, Spital Netz Bern AG3 Praktizierender Internist, Mörigen/BE4 Allergiestation Zieglerspital, Spital Netz Bern AGPeer reviewed article eingereicht: 19.08.2013, akzeptiert: 05.11.2013DOI 10.3238/zfa.2013.0516–0521

Zusammenfassung: Allergische Notfallsituationen tre-ten zwar nicht alltäglich auf, aber sie sind wie der Reakti-onsablauf unvorhersehbar und bedürfen einer raschen Therapie. Als Anaphylaxie wird eine lebensbedrohliche Allgemeinreaktion bezeichnet, die sich meist innerhalb von wenigen Minuten nach einem bekannten oder po-tenziellen Antigenkontakt manifestiert. Während eine al-leinige, kutane Symptomatik nicht zur Diagnose Anaphy-laxie genügt, können ein akuter Bronchospasmus oder ein Blutdruckabfall in seltenen Fällen einziges Symptom sein. Fast immer sind zwei oder mehrere Organsysteme betroffen und meist ist die Haut und/oder Schleimhaut involviert. Adrenalin ist das wichtigste und wirksamste Medikament in der Behandlung einer Anaphylaxie. Da es keine absolute Kontraindikation gibt, soll Adrenalin be-reits bei ersten Anzeichen einer Anaphylaxie intramusku-lär verabreicht werden. Indes besteht eine Kluft zwischen den internationalen Therapie-Leitlinien und ärztlichen Ge-pflogenheiten in der Behandlung akut allergischer, spe-ziell anaphylaktischer Reaktionen. Dies beruht nicht zu-letzt darauf, dass die Definition der Anaphylaxie, der schweren Form der Allergie, nicht klar und einheitlich ist. Nach einer allergischen Systemreaktion sollten alle Patien-ten unabhängig vom Schweregrad und des auslösenden Agens mit Notfallmedikamenten ausgerüstet und instru-iert sowie einer allergologischen Evaluation zugeführt werden.

Schlüsselwörter: Allergie; Anaphylaxie; Notfalltherapie; Adrenalin; allergologische Abklärung

Summary: Although allergic emergencies do not occur every day, they are as unpredictable as the course of the reaction, and require rapid treatment. Anaphylaxis is a life-threatening general reaction that usually manifests within a few minutes after a known or potential antigen contact. While sole cutaneous symptoms are not suffi-cient to diagnose anaphylaxis, an episode of acute bron-chospasm or hypotension in rare cases may be the only symptom. Almost always two or more organ systems are affected and usually the skin and/or mucous membranes are involved. Epinephrine (adrenaline) is the most import-ant and effective drug in the treatment of anaphylaxis. Since there is no absolute contraindication, epinephrine should be administered intramuscularly at the first signs of anaphylaxis. However, there is a gap between the in-ternational treatment guidelines and the daily practice in the treatment of acute allergic, particularly anaphylactic, reactions. This is due not least to the fact that anaphyla-xis, the most severe form of allergy, is not sufficiently clear or uniformly defined. After a systemic allergic reac-tion, all patients should be equipped with emergency medications, appropriately instructed obtain a complete allergy work-up.

Keywords: Allergy; Anaphylaxis; Emergency Therapy; Epinephrine; Allergological Work-Up

516 ÜBERSICHT / REVIEW

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Die Prävalenz der Allergien hat in den letzten Jahrzehnten global zugenom-men. Obschon keine genauen Daten existieren, geht man davon aus, dass auch Anaphylaxien, die schwerste Form einer allergischen Reaktion, vermehrt auftreten mit einer Lebenszeithäufigkeit zwischen 0,05 %–2 % und einer Mortali-tätsrate von 0,33 bis 0,64 pro Million Einwohner pro Jahr [1, 2]. Das Alter ist ein unabhängiger Risikofaktor für das Auftreten von schweren allergischen Re-aktionen. Hauptursache für Anaphyla-xien bei Erwachsenen sind Insektensti-che (Hymenopteren) und Medikamen-te, bei Kindern – speziell im Kleinkindal-ter – sind es Nahrungsmittel [3, 4].

Problematik der allergischen Notfallbehandlung

Die Behandlung des allergischen Not-falls, insbesondere der Anaphylaxie, wurde in den letzten Jahren immer wie-der thematisiert, wenngleich keine neu-en Substanzklassen zur Verfügung ste-hen. Basierend auf Studiendaten aus ver-schiedenen Zentren und Ländern wurde realisiert, dass bei anaphylaktischen Re-aktionen die leitliniengerechte Therapie oft nicht umgesetzt wird [5–7]. Dies mag teilweise damit erklärt werden, dass die Erstversorger einer allergischen Reakti-on (z.B. Hausärzte, Notfallärzte, Inter-nisten, Anästhesisten) und die Beurteiler nach einem Ereignis (Allergologen, al-lergologisch tätige Ärzte) voneinander unabhängige medizinische Fachdiszipli-nen repräsentieren [8]. Zwar wird die Anaphylaxie grundsätzlich als poten-ziell lebensbedrohlich angesehen, aber die Ausprägung der Symptome beim akuten Notfall kann von Fall zu Fall vari-ieren. Zweifelsohne spielt die individu-elle Erfahrung und Kenntnis allergischer Abläufe beim jeweiligen Therapieent-scheid eine entscheidende Rolle.

Uneinheitliche Definition der Anaphylaxie

Nichtsdestotrotz besteht eine Divergenz zwischen den Therapieempfehlungen und den Alltagsgegebenheiten in der Be-handlung allergischer, speziell anaphy-laktischer Reaktionen. Dies beruht nicht zuletzt auch darauf, dass die Definition der Anaphylaxie nicht so klar und ein-

heitlich ist, was auch den Vergleich von Arbeiten über Anaphylaxien erschwert [8]. Faktisch wird die Diagnose einer Anaphylaxie, der schwersten allergi-schen Reaktionsform, klinisch und nicht „pathomechanisch“ gestellt. Da-her mag die Umschreibung einer schwe-ren lebensbedrohlichen systemischen Hypersensitivitätsreaktion durchaus korrekt sein [9], ebenso wie die neuen Definitionskriterien gemäß der World Allergy Organization, welche drei Krite-rien für die Diagnose umfasst [10]. Aber alle belletristischen Ausführungen helfen nicht, wenn es gilt, rasch eine Therapie zu beginnen. Überdies ist bei retrospek-tiven Therapieanalysen anaphylakti-scher Ereignisse zu berücksichtigen, dass sich bis zur ärztlichen Erstversorgung aus verschiedenen Gründen eine zeitli-che Verzögerung der Behandlung erge-ben kann, sodass sich eine bedrohliche Situation bereits wieder stabilisiert ha-ben kann [11]. Daher werden die Thera-pieleitlinien auch nicht konsequent be-folgt, sondern entsprechend dem aktu-ellen medizinischen Zustand adaptiv ge-handhabt. Dies erklärt auch, weshalb ein Patient, der nach einem Bienenstich zwar bewusstlos war, 30 Minuten später „nur“ ein Antihistaminikum oral erhal-ten hat [6, 11].

Adrenalin das wichtigste Medikament bei der Anaphylaxie

Adrenalin wird in allen fachspezifischen, aktuellen Leitlinien als first-line-Medika-ment bei der Behandlung der Anaphyla-xie aufgeführt [7, 8, 10, 12] (Tab. 1). Wenngleich Antihistaminika und Gluko-kortikoide häufiger und regelmäßiger in allergischen Notfallsituationen einge-setzt werden als Adrenalin [5, 6, 11], wirkt Adrenalin i.m. verabreicht viel ra-scher und effektiver als die beiden ande-ren Medikamente [7, 10, 12]. Es existie-ren weder für Antihistaminika noch für Glukokortikoide kontrollierte Studien, welche deren Wirksamkeit bei Anaphyla-xie bestätigen würden [10, 13, 14]. Glu-kokortikoide haben – selbst intravenös verabreicht – keinen unmittelbar lebens-rettenden Effekt und entfalten frühes-tens nach einer Stunde einen Effekt [13]. Bei alleiniger Urtikaria oder leichter Ge-sichtsschwellung können Antihistamini-ka durchaus hilfreiche Medikamente sein, die oral eingenommen aber frühes-tens nach 30 Minuten eine Wirkung zei-gen. Antihistaminika sind zur Behand-lung eines akuten Bronchospasmus oder bei Mitbeteiligung des Kreislaufsystems nicht wirksam.

Tabelle 1 Notfalltherapie bei Anaphylaxie [7]

Medikamentös

Adrenalin 0,3–0,5 mg i.m.- Kinder: 0,01 mg/kg KG- Repetitionen nach 3–5 min

Adrenalin verdünnt am Perfusor 2–10 μg/min i.v. möglichst unter EKG-Monitoring

Venöser Zugang- Volumengabe (z.B. NaCl 0,9 %,

Elektrolytlösung, kolloidale Lösung)- Kinder: 20 ml/kg (so schnell wie

möglich)

Antihistaminika i.v. (langsam)- H1-Rezeptorenblocker:

z.B. Clemastin 2 mg- Kinder: 0,025–0,05 mg/kg KG- H2-Rezeptorenblocker:

z.B. Ranitidin 150 mg (fakultativ, nur in Kombination mit H1-Blocker)

Glukokortikoide i.v.- Methylprednisolon z.B. 125 mg - Kinder: 2 mg/kg KG

Evtl. inhalatives kurzwirksames Beta-2-Mimetikum- Salbutamol Dosieraerosol: 6–12 Hübe

Weitere Maßnahmen

Schocklagerung und Sichern der Atemwege Sauerstoffzufuhr via Inhalationsmasken/BrillenFalls nötig Reanimation, Defibrillation

Kontrolle der Vitalparameter (Blutdruck, Puls, Atmung, Peak-Flow Messung, Pulsoxymetrie)

Hospitalisation bis zum eindeutigen Rückgang der Symptome (4 bis 24 Stunden Überwachung)

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Jörg et al.:Der allergische Notfall: Adrenalin das Mittel der Wahl bei der AnaphylaxieAllergic Emergencies: Epinephrine, the Drug of Choice in Anaphylaxis

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■ © Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2013; 89 (12)

Es gibt keine absolute Kontraindika-tion, Adrenalin bei klinischem Verdacht einer Anaphylaxie einzusetzen, dies un-geachtet der Initialsymptome [7, 10]. Vor allem wenn sich ein Blutdruckabfall nach einem für den Patienten bekann-ten Allergenkontakt einstellt (z.B. nach Injektion einer allergenspezifischen Im-muntherapie), gilt es, Adrenalin unver-züglich einzusetzen und nicht erst den Verlauf abzuwarten.

Anwendung von Adrenalin beim allergischen Notfall

Adrenalin soll bei einem akut allergi-schen Notfall stets intramuskulär inji-ziert werden [7, 8, 10, 12]. Mögliche An-zeichen und Symptome sind in Tabelle 2 aufgeführt. Die Absorption der subkuta-nen Applikation hingegen ist ungenü-gend, was stets zu Diskussionen vor al-lem bei übergewichtigen Personen ge-führt hat. Einige Untersuchungen ha-ben nämlich gezeigt, dass die Nadellän-ge der gängigen Adrenalin-Autoinjekto-ren meist unter 1,5 cm ist (Epipen, Jext, Fastjekt) und oft nicht genügt, um in die Muskulatur im Oberschenkel zu gelan-gen [7, 15]. Die mittlere Dauer bis zum Erreichen des Adrenalin-Peaks nach Subkutangabe bei gesunden Probanden beträgt rund 34 Minuten und dauert so-mit über viermal länger als nach einer i.m.-Gabe [16]. Die heute international empfohlene Applikationsstelle für Adre-nalin i.m. ist der anterolaterale, mittlere Bereich des Oberschenkels. Die Dosis beim Erwachsenen soll wenigstens

0,3–0,5 mg betragen (Faustregel 0,1 mg pro 10 kg Körpergewicht) (Tab. 1) [7, 8, 10, 12]. Falls nach 3–5 Minuten kein Therapieeffekt erkennbar ist, soll die Adrenalingabe in gleicher Dosis repe-tiert werden. Die Angst vieler Ärzte, dass Adrenalin gefährliche kardiovaskuläre Effekte auslösen kann, ist dann begrün-det, wenn Adrenalin unverdünnt intra-venös verabreicht wird [7, 8, 10, 12]. Für diese Therapieroute ist Adrenalin we-nigstens im Verhältnis 1:9 mit NaCl 0,9 % (besser 1:100 [1mg Adrenalin in 99 ml NaCl 0,9 % = 10 μg/ml]) zu ver-dünnen (0,01 mg/ml) und langsam – möglichst unter EKG-Monitoring – zu injizieren.

Adrenalin-Nebenwirkungen

Frösteln, Zittern, Blässe, Herzklopfen, Angst- und Schwindelgefühl wie auch Kopfschmerzen können sich kurze Zeit nach der Adrenalingabe manifestieren, sind meist milde und kurz dauernd [10, 15]. Über schwerere oder auch fatale Ne-benwirkungen nach einer Therapie mit Adrenalin ist vereinzelt, meist nach i.v. oder Bolus-Gaben oder nach Dosie-rungsfehlern, berichtet worden [7, 8, 10, 15]. Akzidentelle Adrenalininjektionen in die Finger treten meist bei der Ver-wendung von Autoinjektoren auf. Sie können sich sowohl bei der Selbstapp-likation durch den Patienten ereignen wie auch im „Notfallstress“ beim Sanitä-ter oder Notarzt [15, 17]. Auch wenn die meisten akzidentellen Injektionen glimpflich und spontan nach rund zwei

Stunden abklingen, sind die Folgen ei-ner digitalen Ischämie zu verhindern. Die Behandlung kann eine lokale Infil-tration um die Stichstelle des Adrenalins mit dem nicht-selektiven α1- und α2-Re-zeptorenblocker Phentolamin erforder-lich machen (5–10 mg in 10 ml Koch-salzlösung verdünnt) [17].

Adrenalin zur Inhalation

Seit bald zwei Jahren sind aufgrund der FCKW-Verbotsverordnung keine inha-lierbaren Adrenalinpräparate verfügbar. Obschon von vielen Ärzten im Notfall geschätzt, war der Einsatz dieser Aeroso-le nicht unproblematisch. Eine Gewiss-heit, ob und wie viel Adrenalin in den Organismus gelangt, bestand nicht. Ba-sierend auf Untersuchungen musste ein Erwachsener wenigstens 20 Hübe kor-rekt inhalieren (0,22 mg Adrenalin/Hub), damit eine genügend hohe Se-rumkonzentration erreicht wurde [7, 12]. Bei schweren allergischen Reaktio-nen mit akutem Bronchospasmus oder Stridor wird in einigen Notfallzentren pures Adrenalin 1:1000 bis zu 5 Ampul-len mittels eines Inhaliergeräts verwen-det [7, 12, 18]. Bei asthmatischen Be-schwerden oder akuten Bronchospas-men ohne kardiovaskuläre oder Schleimhautmitbeteiligung kann ein Beta-2-Mimetikum vernebelt oder via Vorschaltkammer (Spacer) verabreicht werden. Wichtig ist, dass die Dosis genü-gend hoch gewählt und bis zum kli-nischen Ansprechen repetiert wird.

Therapie der zweiten Linie

Bei jedem Patienten mit einer allergi-schen Reaktion sind die Vitalparameter zu prüfen. Bei Zeichen einer akuten zir-kulatorischen Insuffizienz oder Schock gilt es die entsprechenden Grundmaß-nahmen mit Lagerung und Sauerstoffga-be zu befolgen [7, 10, 12]. Prinzipiell – Ausnahme bei massiver Dyspnoe – sol-len die Patienten in eine liegende Positi-on mit Hochlagerung der unteren Extre-mitäten gebracht werden. Da bei der Anaphylaxie oft große Flüssigkeitsvolu-men das zentrale Gefäßkompartiment verlassen, ist nach Gabe von Adrenalin, möglichst rasch ein venöser Zugang zu legen, damit Volumen substituiert wer-den kann (z.B. 50–100 ml/10 kg in den

Tabelle 2 Allergische Reaktion: klinische Symptome und Häufigkeit [7, 10, 14]

Kutane Zeichen 85–90 %

Pruritus (palmoplantar, behaarte Körperstellen, generalisiert)

Flush, Exantheme, Urtikaria, Angioödeme

Atemwege 60–70 %

Akuter Niesreiz, Rhinorrhoe

behinderte Nasenatmung, Hustenanfall, Stridor, Larynxödem, Giemen

Kurzatmigkeit, thorakales Engegefühl, Bronchospasmus, Zyanose Atemstillstand

Magen- Darmtrakt 30–40 %

Akute Nausea, Dysphagie, Kolik, Erbrechen, Durchfall

Kreislauf -system 10–30 %

Schwindel, Schwäche, Kraftlosigkeit, Blutdruckabfall, Rhythmus -störung, Palpitationen, Bewusstlosig-keit, mit/ohne Urin-/ Stuhl -inkontinenz

Herzstillstand

Andere

Uterine Spasmen, Zwischen- oder vorzeitige Blutungen

Verwirrtheit

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Jörg et al.:Der allergische Notfall: Adrenalin das Mittel der Wahl bei der AnaphylaxieAllergic Emergencies: Epinephrine, the Drug of Choice in Anaphylaxis

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ersten 5–10 Minuten) [10]. Der Flüssig-keitsverlust ins Gewebe kann innerhalb von 10 Minuten bis zu 35 % betragen [19]. Es spielt keine Rolle, ob Kolloide oder Elektrolytlösungen verwendet wer-den.

Danach kann ein Antihistaminikum intravenös verabreicht werden. Antihis-taminika sollen langsam und nicht als Bolus injiziert werden, da sonst ein Blut-druckabfall induziert werden kann. Bei diesem Phänomen handelt es sich nicht um einen allergischen, sondern um ei-nen pharmakologischen Effekt [7]. Glu-kokortikoide haben keinen Einfluss auf die allergische Sofortreaktion, hingegen üben sie einen Effekt auf die Spätreakti-on nach Mastzellaktivierung aus [13]. In Kombination mit Bronchodilatatoren sind die Glukokortikoide sehr nützlich in der Behandlung von Bronchospas-men oder Asthma. In der Akuttherapie genügt eine Dosis von 1–2 mg pro kg Körpergewicht.

H2-Rezeptorenblocker (z.B. Raniti-din) sollen nur in Kombination mit ei-nem Antihistaminikum (H1-Rezepto-renblocker) verabreicht werden. Es ist

nicht auszuschließen, dass durch die al-leinige Gabe von H2-Rezeptorenblocker Bradykardien oder Dyspnoe auftreten können [12].

Maßnahme nach der Akuttherapie

Je nach Schweregrad der Reaktion (Tab. 3) und je nach Erfolg der Therapie ist der Patient nach der Erstbehandlung zu hospitalisieren. Dabei sind chronische Erkrankungen wie COPD, schweres Asthma oder Herzkreislaufkrankheiten, Alter wie auch ein Alleinstehen mit zu berücksichtigen. Biphasische oder pro-trahierte Verläufe nach schweren allergi-schen Reaktionen werden bei Erwachse-nen hin und wieder beobachtet, können aber auch bei Kindern registriert werden [7, 10, 12]. Wahrscheinlich sind diese Verläufe eher Folge einer ungenügenden Primärbehandlung, denn Ausdruck der Progredienz der allergischen Reaktion. Bei Patienten unter einer Betablocker-therapie ist – bedingt durch die Beta-rezeptorenblockade mit ungenügendem

Ansprechen auf Adrenalin – mit einem protrahierten Verlauf und langsamer Er-holung zu rechnen. Auch wenn nicht je-der Patient 24 Stunden lang überwacht werden muss, sollte mindestens sicher-gestellt werden, dass die Symptomatolo-gie eindeutig regredient ist.

Prävention durch Selbstbehandlung mit Adrenalin-Autoinjektoren

Weil die Initialsymptome einer anaphy-laktischen Reaktion meist unvermittelt auftreten, gilt es diese zu erkennen (Tab. 2). Da der Ablauf unvorhersehbar mit Entwicklung der Symptome innerhalb von Minuten ist und fatal enden kann, muss rasch und gezielt interveniert wer-den. Danach sollten alle Patienten, die ein Ereignis einer allergischen All-gemeinreaktion erlitten haben, unab-hängig vom Schweregrad• mit Notfallmedikamenten, inklusive

eines Adrenalin-Autoinjektors, aus-gerüstet,

Tabelle 3 Einteilung allergischer

Reaktionen: Ring & Meâmer (A)

und H. L. Mueller (modifiziert)

(B). Die Einteilungen basieren auf

dem jeweils schwersten Symptom.

A – Ring & Meßmer

Grad

I

II

III

IV

B – H. L. Mueller (modifiziert)

Grad

I

II

III

IV

Haut

Juckreiz Urtikaria Hautrötung

Juckreiz Urtikaria Hautrötung

Juckreiz Urtikaria Hautrötung

Juckreiz Urtikaria Hautrötung

Symptome

Generalisierte Urtikaria, Juckreiz, Malaise, Angst

Jede des Vorgrades plus 2 oder mehrere der Folgenden: Angioödeme (Fernödem als Einzelsymptom = Grad II), Druckgefühl in der Brust, Nausea, Erbrechen, Bauchkolik, Diarrhoe, Schwindelgefühl

Jede der Vorgrade plus 2 oder mehrere der Folgenden: Dyspnoe, Pfeifende Atmung (wheezing), Stridor (jede Form der Atemnot = Grad III); Dysphagie, Dysarthrie, Heiserkeit; Schwächegefühl, Verwirrtheit, Todesangst

Jede der Vorgrade plus 2 oder mehrere der Folgenden: Blutdruckabfall (allgemeiner Kraftverlust, massiver Schwindelanfall), Kollaps, Bewusstseinsverlust, Urin-/Stuhlinkontinenz, Zyanose.

Gastrointestinaltrakt

Nausea

Erbrechen Stuhlinkontinenz

Erbrechen Stuhlinkontinenz

Atemwege

Dyspnoe

Bronchospasmus Zyanose

Atemstillstand

Herz-Kreislauf

Tachykardie Hypotension (syst. BD-Abfall > 20 mmHg)

Schock

Herzkreislaufstillstand

519

Jörg et al.:Der allergische Notfall: Adrenalin das Mittel der Wahl bei der AnaphylaxieAllergic Emergencies: Epinephrine, the Drug of Choice in Anaphylaxis

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• in deren Handhabung unterrichtet und geschult,

• nach einer Anaphylaxie einer allergo-logischen Evaluation unterzogen wer-den.

Neben einem Adrenalin-Autoinjektor setzt sich das Notfallset aus einem An-tihistaminikum (z.B. 2 Tabletten Ceti-rizin oder Levocetirizin) kombiniert mit einem Glukokortikoid (z.B. 2 Tab-letten Prednison 50 mg) zusammen. Bei Kleinkindern können Antihistami-nika in Tropfen (z.B. Cetirizin 0,25 mg/kg KG) oder als Sirup kombiniert mit wasserlöslichen Glukokortikoid-Tab-letten (z.B. Betamethason 0,25/kg) ver-ordnet werden [7, 10, 12]. Wichtig ist, dass der Patient über die Anwendung der Notfallmedikamente informiert wird und dass bei Abgabe oder Rezep-tur eines Adrenalin-Autoinjektors der Patient, Eltern, Lehrer oder Betreuer in-struiert werden [7, 10, 12, 15].

Allergologische Abklärung

Die allermeisten anaphylaktischen Ereig-nisse können auf eine Ursache zurückge-führt werden [3, 6, 7, 10, 11]. Dies impli-ziert, dass durch Meiden der Ursache we-nigstens ein Teil von erneuten Zwischen-fällen verhindert werden könnte. Diverse Untersuchungen haben nämlich gezeigt, dass das Rückfallrisiko nach schweren al-lergischen Ereignissen nicht zu vernach-lässigen ist und bis zu 40 % betragen kann. Vor allem bei Patienten mit einer Insektengiftallergie ist das Rückfallrisiko oft hoch [6, 11]. Daher soll jeder Patient – auch wenn eine allergische Allgemeinre-aktion nur vermutet wird – einer detail-lierten allergologischen Beurteilung zu-geführt werden. Durch Identifikation der Ursache kann der Betroffene über not-wendige Verhaltensmaßnahmen instru-iert werden (z.B. bei Medikamentenaller-gie Kenntnis von Alternativmedikamen-ten, Kreuzreaktionen von Nahrungsmit-

teln). Anderseits kann bei einer Hyme-nopterengiftallergie mittels spezifischer Immuntherapie mit dem relevanten In-sektengift ein guter und wirksamer Schutz vor weiteren allergischen Reaktio-nen aufgebaut werden [20]. Ferner kann dem Patienten ein Notfallausweis mit den notwendigen Kurzinformationen abgegeben werden (z.B. tolerierte Aus-weichmedikamente, spezifische Nah-rungsmittel). Der optimale Zeitpunkt für eine allergologische Abklärung nach ei-ner Anaphylaxie ist nicht klar definiert. Nach Insektenstichen wird eine Abklä-rung im Allgemeinen frühestens nach drei Wochen [20] und bei Medikamen-tenallergien – wenn möglich – innerhalb von 3 Monaten nach stattgehabter Reak-tion empfohlen [21].

Interessenkonflikte: keine angege-ben.

Prof. Dr. med. Arthur Helbling

Leitender Arzt der Allergologisch-

Immunologischen Poliklinik

Universitätsklinik für Rheumatologie,

Klinische Immunologie und Allergologie

Leiter der Allergiestation Zieglerspital

Klinik für Innere Medizin

Spital Netz Bern

[email protected]

Korrespondenzadresse

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14. Sheikh A, ten Broek V, Brown SG, Si-mons FE. H1-antihistamines for the treatment of anaphylaxis. Cochrane Da-tabase Syst Rev. Allergy 2007; 62: 830–7

Literatur

… ist Facharzt für Innere Medizin und Oberarzt an der Allergo-

logisch-Immunologischen Poliklinik des Universitätsspitals

Bern. Neben der Behandlung von Anaphylaxien hat er beson-

deres Interesse an der Abklärung und Behandlung von chro-

nischen Urtikariaformen und Medikamentenallergien.

Lukas Jörg …

520

Jörg et al.:Der allergische Notfall: Adrenalin das Mittel der Wahl bei der AnaphylaxieAllergic Emergencies: Epinephrine, the Drug of Choice in Anaphylaxis

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17. Bircher AJ, Eigenmann Ph, Helbling A. Allergologie und Immunologie: Adre-nalin-Autoinjektoren „To sting or how to sting – that’s the question”. Schlag-lichter. Schweiz Med Forum 2009; 9: 925–6

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19. Fisher MM. Clinical observations on the pathophysiology and treatment of anaphylactic cardiovascular collapse. Anaest Intensive Care 1986, 14: 17–21

20. Helbling A, Müller UR. Update zur In-sektengiftallergie mit besonderen As-

pekten in der Diagnostik und Therapie. Review Article. Allergo J 2013; 22: 265–73

21. Brockow K, Romano A, Blanca M, Ring J, Pichler W, Demoly P. General consi-derations for skin test procedures in the diagnosis of drug hypersensitivity. Allergy 2002: 57: 45–51

FROHE WEIHNACHTEN.

Deutscher Ärzte-Verlag GmbH | Postfach 40 02 65 | 50832 Köln

Wir wünschen Ihnen besinnliche Feiertage und freuen uns darauf, Sie im Jahr 2014 mit neuen Ideen zu überraschen.

Ihr Deutscher Ärzte-Verlag

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Die Fähigkeit zur professionellen Beziehungsgestaltung ist eine Kernkompetenz allgemeinmedizinischer ExpertiseKommentar zur Diskussion um die Novellierung der Weiterbildungsordnung Allgemeinmedizin

Professional Skill to Establish a (Doctor-Patient) Relationship – a Core Competence of Primary Care Expertise

Commentary to Discuss the Amendment of Vocational Training

Iris Boehmer

Fachärztin für Allgemeinmedizin – Hausärztliches Zentrum Kamps BerlinPeer reviewed article eingereicht: 01.08.2013, akzeptiert: 05.11.2013DOI 10.3238/zfa.2013.0522–0525

Zusammenfassung: Der folgende Text fasst einen Vor-trag zusammen, den die Autorin im Rahmen der Psycho-somatik AG auf dem Kongress (2012) der Deutschen Ge-sellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) in Rostock gehalten hat. Er beleuchtet die Fra-ge, welche Kompetenzen zur professionellen Beziehungs-gestaltung in der Weiterbildung zum Facharzt für All-gemeinmedizin vermittelt werden sollten – vor dem Hin-tergrund eigener Erfahrungen im Studium und in der Weiterbildung. Er soll Anregung geben für die Novellie-rung der Weiterbildungsordnung Allgemeinmedizin.

Schlüsselwörter: Beziehungsorientierung; Kompetenzbasiertes Curriculum Allgemeinmedizin; Weiterbildungsordnung zum Facharzt für Allgemeinmedizin; CanMEDS 2005

Summary: The following article is a summary of a pres-entation by the author at the psychosomatic working group at the congress in Rostock (2012) of the German College of General Practitioners and Family Physicians (DEGAM). It deals with the question how to enhance pro-fessional skills to establish a professional doctor-patient relationship. The text discusses the competences that should be taught in vocational training for family practi-tioners taking into account the author´s experiences dur-ing medical school and in vocational training.

Keywords: Physicians Competency Framework; CanMEDS-Family Medicine; Specialist Training in Family Practice: Statement of Aims

Ziel

„Die Arbeitsgrundlagen der Allgemeinme-

dizin sind eine auf Dauer angelegte Arzt-

Patient-Beziehung und die erlebte Anamne-

se, die auf einer breiten Zuständigkeit und

Kontinuität in der Versorgung beruhen.“ [1] Die Fachdefinition der DEGAM be-

nennt die grundlegende Bedeutung der Arzt-Patient-Beziehung für die All-gemeinarztpraxis. Über welche Kom-

petenzen sollten angehende Allgemein-ärztinnen und -ärzte verfügen, damit sie das therapeutische Potenzial dieser Be-ziehungen nutzen können? In diesem Kommentar sollen Anregungen für die Novellierung der Weiterbildungsord-nung Allgemeinmedizin gegeben wer-den, welche beziehungsmedizinischen Kompetenzen in der Weiterbildung pa-rallel zum medizinischen Fachwissen vermittelt werden sollten.

Stand und Defizite der Weiterbildung Allgemeinmedizin

Der Schwerpunkt des Medizinstudiums und der allgemeinärztlichen Weiterbil-dung liegt in Deutschland nach wie vor auf der Vermittlung medizinischen Fachwissens. Im Studium werden zu-nehmend Kurse zur Kommunikations-fähigkeit angeboten. Es fehlen aber An-

522 KOMMENTAR/MEINUNG / COMMENTARY/OPINION

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gebote, die emotionale und soziale Kompetenz sowie die Fähigkeit zur pro-fessionellen Beziehungsgestaltung zu schulen. Veit et al. beschreiben die Kon-sequenz, dass im traditionellen Medi-zinstudium emotionale Kompetenz eher behindert und von einer distanzier-ten Haltung dem Patienten gegenüber verdrängt wird [2].

Während in der Ausbildung die ge-nannten Mängel zu beklagen sind, ist die verpflichtende Einführung der 80 Stunden psychosomatischer Grundver-sorgung in die Weiterbildung ein wichti-ger Schritt in Richtung Vermittlung von Kompetenzen zur Kommunikations-fähigkeit. Sie kommt aber zumindest nach meiner eigenen Beobachtung im kollegialen Umfeld nach einer langjäh-rigen, auf medizinische Fakten orien-tierten, die Persönlichkeit prägenden Weiterbildung zu spät und reicht nicht aus, um eine grundsätzliche Haltungs-änderung bei Ärztinnen und Ärzten zu bewirken. Zudem sind Beziehungsfähig-keit, emotionale Kompetenz und Refle-xion des interpersonellen Prozesses häu-fig kein praktischer Bestandteil der Kur-se. Am ehesten ist ein solcher Prozess der Reflexion der Beziehungsgestaltung und der Emotionen in der Weiterbildung derzeit im Rahmen der Balint-Gruppen-Arbeit möglich. Voraussetzung hierfür ist, dass diese weiterbildungsbegleitend und nicht als einmalige Blockveranstal-tung durchgeführt wird.

Trotz etlicher Bemühungen an den Universitäten, die Studierenden im Um-gang mit Patienten zu schulen, gilt in Deutschland an den meisten Kliniken sowie im ambulanten Bereich weiterhin die 1957 von Balint kritisierte Devise: „... dass der Praktiker mit der Zeit aufgrund

seiner Erfahrungen und seines gesunden

Menschenverstandes, die Kunst der richti-

gen Dosierung seiner selbst als Medizin

schon beherrschen lernen werde.“ [3]

Beispiele für die Notwendigkeit der Fähigkeit zur professionellen Beziehungsgestaltung in der Allgemeinarztpraxis

Dass die oben beschriebene Ausbildung nicht ausreicht, wurde bereits 1991 im Toronto consensus statement benannt: Pa-tienten beklagen bei Ärzten meist kein Defizit medizinischen Fachwissens, son-dern Kommunikationsprobleme. Die meisten Vorwürfe wegen Behandlungs-

fehlern wurden auf Kommunikations-störungen und nicht auf mangelndes Fachwissen zurückgeführt. Wesentliche ärztliche Kompetenzen seien deshalb die Fähigkeit zu Kommunikation und Aufbau und Erhalt tragfähiger Arzt-Pa-tient-Beziehungen, die gemeinsam das health outcome beeinflussen.[4]

Auch aktuelle Leitlinien betonen die Notwendigkeit beziehungsmedizinischer Kompetenzen: So gilt die Erarbeitung von individuellen Therapiezielen, rea-listischen Bewältigungsstrategien und die Begleitung von deren Umsetzung im Alltag z.B. in der aktuellen nationalen Versorgungsleitlinie zur Therapiepla-nung bei Typ-2-Diabetes [5], als notwen-dig, um Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen angemessen zu unterstützen. Damit dies gelingt, sind Kenntnisse und Fähigkeiten zur Bezie-hungsgestaltung wichtige Vorausset-zungen. Noch deutlicher wird die Be-deutung dieser Fähigkeiten in der haus-ärztlichen Tätigkeit bei der Behandlung der etwa 20 % Patientinnen und Patien-ten mit nicht-spezifischen, somatofor-men und funktionellen Funktionsstö-rungen, wie sie die diesbezügliche S3-Leitlinie beschreibt. Hier wird be-nannt, dass manchmal die einzig not-wendige Therapie in einer guten, kon-tinuierlichen, lang andauernden Be-handler-Patient-Beziehung liegt [6].

Eine besondere Herausforderung er-gibt sich durch solche Arzt-Patient-Be-ziehungen, die in der Hausarztpraxis ein ganzes Berufsleben währen können. Sie sind nicht selten von vielfältigen Überschneidungen im persönlichen, fa-miliären und beruflichen Umfeld des Arztes und des Patienten geprägt. Auf diese Komplexität müssen Allgemein-ärztinnen und -ärzte professionell vor-bereitet werden. Sie benötigen Fähigkei-ten und darüber hinaus einen vertrau-ensvollen kollegialen Rahmen, um die-se Beziehungen zu reflektieren. Sie sind notwendig, um eine professionelle Hal-tung wahren und die dafür nötige inne-re Distanz aufbringen zu können. So können Hausärztinnen und -ärzte da-ran arbeiten, sich und ihre Patientin-nen und Patienten vor der Fortsetzung dysfunktionaler Beziehungsmuster in-nerhalb der Arzt-Patient-Beziehung zu schützen. Es können Beziehungsabbrü-che vermieden und die Möglichkeit heilsamer Beziehungserfahrungen er-öffnet werden.

Vorschläge zu den Weiter- bildungsinhalten aus Sicht einer beziehungsorientierten Allgemeinmedizin

Zur Etablierung einer angemessenen Repräsentation der Allgemeinmedizin an den Universitäten und im Studium sowie der Zugänglichkeit und Qualität von allgemeinmedizinischer Forschung und Wissen und damit zur diesbezügli-chen Qualität der Weiterbildung trägt die DEGAM wesentlich bei. Dabei wer-den aus meiner Sicht, beziehungsmedi-zinische Kompetenzen noch nicht aus-reichend gewürdigt, obwohl sie in den Zukunftspositionen der DEGAM be-nannt sind [7]. Hierfür benötigen All-gemeinärztinnen und -ärzte keine psy-chotherapeutische Ausbildung im Sin-ne der Richtlinien-Psychotherapie, son-dern fachspezifisch angepasste Kennt-nisse und Fertigkeiten. Während der ge-samten Weiterbildung sollten meiner Meinung nach ein Prozess der Selbst-reflexion und der Reflexion der Arzt-Patient-Beziehung stattfinden. Dazu können unterschiedliche Verfahren wie Supervision, Rollenspiele, Fall-besprechungen oder Balint-Gruppen auch mit Selbsterfahrungsanteilen ge-eignet sein. Dies ist notwendig zur Wahrnehmung eigener Anteile an der Gestaltung der Arzt-Patient-Beziehung und zur Bewältigung des nicht selten überfordernden emotionalen Erlebens. Die Wahrnehmung von Emotionen und Beziehungsmustern kann auch im hausärztlichen Rahmen therapeutisch hilfreich genutzt werden. Kommunika-tionstraining und Grundlagenkennt-nisse in psychotherapeutischen Tech-niken unterschiedlicher Schulen sind als Fertigkeiten zum lösungsorientier-ten Umgang mit den erkannten Schwierigkeiten wichtig. Die Weiterbil-dung sollte zu erheblichen Teilen von Allgemeinärztinnen und -ärzten durch-geführt werden, die über Erfahrung und Wissen sowohl in den medizi-nischen als auch in den beziehungsspe-zifischen Aspekten der hausärztlichen Praxis verfügen. Ziel sollte ein langfris-tiger Prozess sein, der eine allgemein-medizinische Haltung etabliert, die so-wohl den beziehungsmedizinischen als auch den medizinisch-naturwissen-schaftlichen Anforderungen des Faches gerecht wird.

523

Boehmer:Die Fähigkeit zur professionellen Beziehungsgestaltung ist eine Kernkompetenz allgemeinmedizinischer ExpertiseProfessional Skill to Establish a (Doctor-Patient) Relationship – a Core Competence of Primary Care Expertise

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■ © Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2013; 89 (12)

Konzepte und Anregungen zur Novellierung der Weiter-bildungsordnung zum Fach-arzt für Allgemeinmedizin

Im Rahmen der aktuellen Diskussion um die Novellierung der Weiterbil-dungsordnung Allgemeinmedizin wird auch das Kompetenzbasierte Curriculum

Allgemeinmedizin entwickelt. Seine Er-stellung wird koordiniert vom Kom-petenzzentrum Allgemeinmedizin Ba-den-Württemberg auch unter der Mitar-beit von Mitgliedern der DEGAM und der Jungen Allgemeinmedizin Deutsch-lands (JADE) [8].

Ich selbst habe mich im Herbst 2011 im Rahmen der Paneltestphase daran beteiligt.

Ziel des Kompetenzbasierten Curricu-

lums Allgemeinmedizin ist es, die Kom-petenzen zu beschreiben, die Allgemein-ärztinnen und -ärzte bis zur Facharzt-prüfung erlangen sollten. Die aktuell im Praxistest befindliche Version des Curri-culums ist in zwei Hauptteilen auf-gebaut. Der erste, umfangreichere Teil „Medizinische Expertise“, zählt die in der Allgemeinmedizin häufig auftreten-den Beratungsanlässe und Erkrankun-gen auf. Im zweiten Teil „Kompetenzen nach den CanMEDS-Rollen“ werden sechs Kompetenzbereiche beschrieben, die Allgemeinärztinnen und -ärzte erler-nen und beherrschen sollten (Abb.1).

Das kanadische CanMEDS 2005 –

Physicians competency framework (Can-

MEDS), auf das sich das Curriculum be-zieht, wurde in Kanada ab Anfang der 1990er-Jahre als Lernzielkatalog für alle Fachärztinnen und -ärzte entwickelt

und versteht sich als Initiative zur Ver-besserung der Patientenversorgung [9].

Es stellt eine geeignete Diskussions-grundlage dar, um für die Weiterbil-dungsordnung in Deutschland zu re-flektieren, welche Kompetenzen Ärztin-nen und Ärzte bis zur Facharztprüfung erworben haben sollten. Das Kompetenz-

basierte Curriculum Allgemeinmedizin leistet mit ihrer Einführung in die Dis-kussion einen wesentlichen Beitrag zu deren Weiterentwicklung.

Zwei Gedanken erscheinen aller-dings wesentlich, die bei der Novellie-rung der Weiterbildungsordnung All-gemeinmedizin noch berücksichtigt werden sollten. Erstens ist in den Can

MEDS die Rolle des Medical Expert zen-tral: „As medical Experts, physicians inte-

grate all of the CanMEDS Roles, applying

medical knowledge, clinical skills, procedu-

ral skills and professional attitudes, in their

provision of patient-centered care” (Abb. 2). Das Verständnis des medizinischen Experten nach den CanMEDS ist das ei-ner Zusammenführung der beschriebe-nen Rollen mit ihren spezifischen Fähig-keiten. Die medizinische Expertise stellt neben den weiteren Kompetenzen ei-nen Teil dieser Kernkompetenzen dar.

Im Kompetenzbasierten Curriculum

Allgemeinmedizin fällt diese integrieren-de Rolle des Medizinischen Experten noch weg. An zentraler Stelle des Curri-culums steht stattdessen die Medizi-

nische Expertise ergänzt um die sie umge-

benden soft skills der anderen Kom-petenzen seines zweiten Teils (Abb. 1). Diese Anpassung des Curriculums wur-de aktuell aufgrund der auf dem DEGAM Kongress 2010 gewünschten kulturellen Adaption an die tatsächlich in Deutsch-land bestehenden Verhältnisse durchge-führt. Die medizinische Expertise in die-ser naturwissenschaftlichen Definition wird als Zentrum der Allgemeinmedizin den beschriebenen Anforderungen an Allgemeinärztinnen und -ärzten nicht gerecht. Das Konzept des Medical Expert symbolisiert die Komplexität und Not-wendigkeit einer integrierten Schulung der vielfältigen Kompetenzen von All-gemeinärztinnen und -ärzten während der gesamten Weiterbildung.

Weiterhin gehen die CanMEDS ihrer Zielsetzung gemäß nicht auf die sich aus der allgemeinmedizinspezifischen Be-deutung der Arzt-Patient-Beziehung er-gebenden Kompetenzen von Allgemein-ärztinnen und -ärzten ein. Ich halte spe-zifisch auf die Allgemeinmedizin aus-gearbeitete Curricula für hilfreich und anregend für die Diskussion, welche be-ziehungsmedizinischen Inhalte bei der Novellierung der Weiterbildungsord-nung berücksichtigt werden sollten. Ge-eignet sind hierfür die vom College of Fa-

miliy Physicians of Canada in Anlehnung an die allgemeinen CanMEDS entwickel-ten CanMEDS-family medicine [10] ein-schließlich der Four principles of familiy

medicine [11] und das dänischen Specia-

Abbildung 1 Titelbild Kompetenzbasiertes

Curriculum Allgemeinmedizin

Abbildung 2

Logo des CanMeds

2005 – Physicians

competency frame-

work (© 2009 The

Royal College of

Physicians and

Surgeons of Canada.

http://rcpsc.medical.

org/canmeds.

Reproduced with

permission)

524

Boehmer:Die Fähigkeit zur professionellen Beziehungsgestaltung ist eine Kernkompetenz allgemeinmedizinischer ExpertiseProfessional Skill to Establish a (Doctor-Patient) Relationship – a Core Competence of Primary Care Expertise

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list training in general practice: statement

of aims [12].In den vier Grundsätzen der All-

gemeinmedizin (four principles of familiy

medicine) wird die Arzt-Patient-Bezie-hung als der Kern der Arbeit des All-gemeinarztes dargestellt [11]. In den CanMEDS-family medicine [10] werden professionelle Beziehungsfähigkeit, Selbstreflexion und klinisches Wissen als zentrale Bestandteile allgemeinmedi-zinischer Expertise benannt. Im däni-schen Specialist training in general practi-

ce: statement of aims wird der Aspekt der Selbstreflexion besonders fokussiert [12]. Es werden die Anteile, die Ärztin-nen und Ärzte in die Arzt-Patient-Bezie-hung einbringen und die Rahmenbe-dingungen, die ihre Motivation und In-teressenkonflikte beeinflussen, reflek-tiert. Es wird ein Bogen von der Selbst-reflexion von Ärztinnen und Ärzten

über die Interaktion in der Arzt-Patient-Beziehung zu einem vor diesem indivi-duellen Hintergrund der Menschen ein-gebetteten medizinischem Fachwissen geschlagen. „The difficult consultation

thus lies in the space between the physician

and the patient – and is not a characteristic

of the patient.“ [12]

Bewertung und Zusammenfassung

Die medizinische Expertise, verstanden als naturwissenschaftlich und im Zen-trum der allgemeinmedizinischen Wei-terbildung positioniert, wird den kom-plexen Anforderungen zeitgemäßer All-gemeinmedizin nicht allein gerecht. Wir benötigen eine Weiterbildung, die integriert, praxis- und fallorientiert die vielfältigen Kompetenzen von All-

gemeinärztinnen und -ärzten vermit-telt. Die Entscheidung gegen die Auf-nahme der beziehungsmedizinischen Kompetenzen in den Kreis der zentralen Kernkompetenzen von Allgemeinärz-tinnen und -ärzten würde trotz enga-giert durchgeführter Weiterbildung ein Defizit entstehen lassen, das erheblich zu berechtigter Unzufriedenheit bei Ärz-tinnen und Ärzten sowie Patientinnen und Patienten beiträgt. Als wesentliche Kernkompetenz ist deshalb die Schu-lung der Fähigkeit zur professionellen Beziehungsgestaltung in die Weiterbil-dung aufzunehmen, um den Anforde-rungen an die Bedeutung der Arzt-Pa-tient-Beziehung für die Allgemeinarzt-praxis gerecht zu werden.

Interessenkonflikte: Die Autorin hat in der Panelphase am Kompetenzbasier-ten Curriculum Allgemeinmedizin mit-gearbeitet.

Iris Boehmer

FÄ für Allgemeinmedizin

Hausärztliches Zentrum Kamps Berlin

Möllendorffstraße 45

10367 Berlin

Korrespondenzadresse

1. Deutsche Gesellschaft für Allgemein-medizin und Familienmedizin

(DEGAM). Fachdefinition 2002. http:// www.degam.de/index.php?id=303 (letzter Zugriff am 08.08.2013)

2. Veit I, Huenges B, Köster U, Pieper M, Rusche H. Wie kann der adäquate ärzt-liche Umgang mit Emotionen im Medi-zinstudium vermittelt werden? Ein Er-fahrungsbericht aus dem Strang „Ärzt-liche Interaktion“ im Modellstudien-gang Medizin der Ruhr-Universität Bo-chum. GMS Z Med Ausbild 2009; 26: Doc30

3. Balint M. Der Arzt, sein Patient und die Krankheit. Stuttgart: Klett-Cotta, 1957

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Langfassung http://www.awmf.org/ uploads/tx_szleitlinien/051–001l_S3_

Nicht-spezifische_funktionelle_ somatoforme_Koerperbeschwerden_

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(letzter Zugriff am 08.08.2013)

Literatur

… ist seit Juni 2013 Fachärztin für Allgemeinmedizin und ange-

stellt in einer Hausarztpraxis in Berlin. Während ihrer Weiterbil-

dung arbeitete sie vier Jahre in der psychosomatischen Rehabi-

litation und absolvierte eine Psychotherapie-Ausbildung. Sie ist

Mitglied der AG Psychosomatik der DEGAM und der AG Wei-

terbildung der JADE.

Iris Boehmer …

525

Boehmer:Die Fähigkeit zur professionellen Beziehungsgestaltung ist eine Kernkompetenz allgemeinmedizinischer ExpertiseProfessional Skill to Establish a (Doctor-Patient) Relationship – a Core Competence of Primary Care Expertise

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■ © Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2013; 89 (12)

Sönnichsen AC. Hausärztliche Vorgehensweise bei erhöhten Leberwerten. Z Allg Med 2013: 89: 405–6

Leserbrief von Stephan Heberger

Sehr geehrter Herr Prof. Sönnichsen, vielen Dank für den detaillierten Kom-mentar.

Sie stellen drei Punkte infrage:1. die Notwendigkeit bei meinem Pa-

tienten die erhöhte GPT (ALT) über-haupt weiter abzuklären,

2. die Relevanz der Diagnose Hämochro-matose („Glückstreffer“),

3. ob das Thema im Rahmen einer Wei-terbildung für angehende Kollegin-nen und Kollegen richtig abgebildet wurde.

Hierzu möchte ich gerne Folgendes dar-legen:

Zu 1: Die Abklärung erstmals leicht erhöhter Leberwerte bei ansonsten ge-sunden Individuen (Normalbevölke-rung) wird nicht empfohlen. Dies hat verschiedene Gründe. Die Prävalenz liegt je nach Bevölkerungsgruppe bei bis zu 10 %. Außerdem konnte in Studien ge-zeigt werden, dass sich im Primärarztset-ting die Werte in 30 %–38 % der Fälle bei Kontrolle wieder normalisieren (im Mit-tel nach 17,5 Tagen). Aber in diese Kate-gorie fällt unser oberbayrischer Förster eben nicht. Hier waren die Werte auch nach einem Jahr unverändert erhöht. Nehmen wir an, im Mittel normalisieren sich 33 % aller Leberwerte spontan, be-deutet dies, es persistieren 67 %. Je nach Risikoprofil wurde für diese Restgruppe Alkohol bei etwa 10 %, eine chronische Hepatitis C bei bis zu 19 % und eine chro-nische Hepatitis B bei etwa 1 % als Ursa-che gefunden. Schließen wir Alkohol und Viren aufgrund des Risikoprofils hier aus, bleiben von der Anfangsgruppe et-was weniger als 40 % übrig. Diese verblei-benden Patienten (wie unser bayerischer

Förster) haben bereits ein 2,5-faches Risi-ko für eine relevante Erkrankung als Ur-sache der persistierenden Leberwerterhö-hung. Und das sogar jenseits von Alko-hol und Viren. In dieser Restgruppe (non alcoholic, non viral) liegt die Hauptursa-che für die persistierenden erhöhten Le-berwerte bei der NAFLD (Non alcoholic fatty liver disease; je nach Region 24 % bis 90 %). Diese wurde sonografisch aus-geschlossen. Nehmen wir für die NAFLD einen Mittelwert von 50 % an, dann steigt das relative Risiko für unseren Pa-tienten auf den Faktor 5 an. Alleine die Tatsache der Persistenz der Werte, der normale Ultraschall und die Anamnese (Risikoprofil!) erhöhen das relative Risi-ko, bei Abklärung eine wirklich relevante Erkrankung zu finden, fast um den Fak-tor 5. Das relative Risiko sagt natürlich nichts über das absolute „tatsächliche” Risiko aus und über die Wahrscheinlich-keit, letztlich auch eine Ursache finden zu können. Bedeutend ist aber, dass bei einer Leberschädigung (Hepatitis, Alko-hol, Eisenüberladung etc.) jede weitere Noxe (z.B. Medikamente) das Risiko für die Entstehung einer Fibrose und damit Zirrhose bis hin zum HCC erhöht. Dies ist bei einer lebenslang notwendigen Therapie der MS relevant. Umgekehrt schränkt eine potenzielle Lebererkran-kung die Therapieoptionen für die MS deutlich ein. Aus diesem Grund plädiere ich in diesem Fall mit Überzeugung für eine Abklärung.

Zu 2: Das Screening der Normalbe-völkerung auf Hämochromatose wird ebenfalls nicht empfohlen. Der Grund liegt in der niedrigen Penetranz der Er-krankung. Es erkranken – vereinfacht gesagt – zu wenige Menschen, die ho-mozygote Träger der Mutation sind. An-ders liegt der Fall aber bei Patienten, die bereits Lebererkrankungen vorweisen

(potenziell unser Oberförster). Hier steigt der Anteil der homozygoten Mu-tationsträger bereits auf das zehnfache der Normalbevölkerung. „Glücktreffer“ sehen glaube ich anders aus.

Nebenbei bemerkt konnte keine sig-nifikant erhöhte Prävalenz der Hämo-chromatose bei Patienten mit Diabetes, Arthropathien, Müdigkeit oder Herz-schwäche nachgewiesen werden. Wie es aber bei Patienten aussieht, die an Dia-betes, Herzinsuffizienz, Libidoverlust, Arthrose und Müdigkeit gleichzeitig lei-den (unsere Wartezimmer sind voll da-von!) wissen wir natürlich nicht. Viel-leicht sollten wir es aber wissen.

Zu 3: Für diejenigen, die nicht wis-sen, wie man persistierende Leberwerte abklärt (ich selbst wusste es ebenfalls nicht, Shame on me!), ist die Frage, ob überhaupt abgeklärt werden soll, rheto-risch. Sie werden sich a priori mangels Wissen dagegen entscheiden müssen. Keine gute Grundlage für hausärztliches Handeln, wie mir scheint.

Die relevanten Ursachen einer per-sistierenden leichten Leberwerterhö-hung zu kennen, betrachte ich deshalb als nutzbringend. Den Umgang mit der Hereditären Hämochromatose aus Sicht der Praxis und der aktuellen Literatur zu beschreiben und in diesem Rahmen die Funktion des Proteins Hepcidin zu er-läutern, erscheint mir für uns Hausärzte durchaus von Relevanz, auch und gera-de in der Weiterbildung.

Dennoch respektiere und unterstüt-ze ich Ihren warnenden Appell.

Leserbrief von Dr. Ludwig Hennersperger

Dieser Beitrag von Prof Sönnichsen reizt schon sehr zum Widerspruch.

Er schreibt: „Es gibt keine Studienevi-

denz, dass ein Screening auf erhöhte Trans-

aminasen oder die Abklärung einer auf an-

dere Weise zufällig entdeckten Transamina-

senerhöhung mit einem Vorteil für den Pa-

tienten einhergehen.“

Wohl gibt es aber eine individuelle Evidenz: Wenn ich beispielsweise eine Hepatitis C aufdecke und diesen Patien-ten therapiere, dann ergibt sich hier für den Betroffenen ein eminenter Vorteil. Immerhin kann ich ihn vor Leberzirrho-se, Leberzellkarzinom oder Transplanta-

tion bewahren. Liegt etwa ein Genotyp 3 vor, dann liegt die Heilungsrate inzwi-schen bei fast 100%.

Ähnlich verhält es sich bei den vom Kollegen Heberger dargestellten Diffe-renzialdiagnosen Autoimmunhepatitis, Hereditäre Hämochromatose, einhei-mische Sprue, Alphal-Antitrypsinman-gel. Gerade diese Erkrankungen zeichnen

Stephan Heberger

Bgm. Panzer Straße 24, 83629 Weyarn

Tel.: 08020 227

[email protected]

Korrespondenzadresse

526 LESERBRIEFE / LETTERS TO THE EDITOR

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© Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2013; 89 (12) ■

sich dadurch aus, dass sie anfangs extrem symptomarm verlaufen und sich oft nur durch eine diskrete Erhöhung der Trans-aminasen repräsentieren. Wenn Zusatz-symptome dazukommen, wie etwa Le-berzirrhose oder rheumatoide Arthritis bei Hämochromatose, Osteoporose bei Sprue, oder COPD beim Alpha1-Anti-trypsinmangel, ist es eigentlich zu spät und man hat wertvolle Zeit verloren.

Die akademische Ermutigung von Prof. Sönnichsen zu diagnostischem Ni-hilismus angesichts diskret erhöhter Le-berwerte wirkt im Hinblick auf die Erfol-ge gerade bei der Behandlung der Hepa-

titis C antiquiert und auch zynisch, wenn man sich vor Augen hält, wie viel Leid man Betroffenen mit einer frühen Diagnosestellung und Therapieeinlei-tung ersparen kann.

Zur hereditären Hämochromatose schreibt Prof Sönnichsen: „Eine kon-

sequente Diagnostik durch Screening würde

also bei 70–90 % der Betroffenen zu einer

unnötigen, lebenslangen Aderlasstherapie

führen, die neben der „Dauerbelästigung“

möglicherweise auch mit gesundheitlichen

Nachteilen verbunden sein kann.“

Es gibt hier sehr genaue Leitlinien zu einem differenzierten Vorgehen, das sich

zum einen nach der Eisenüberladung der Leber zum anderen nach den Ferritinwer-ten richtet. Keine Aderlasstherapie ist ei-ne lebenslange Dauerbelästigung. Zu er-fahren, worin die gesundheitlichen Nachteile der Aderlasstherapie bestehen, wäre sehr interessant!

Dr. med. Ludwig Hennersperger

Facharzt fiir Allgemeinmedizin

Naturheilverfahren

Im Moos 26, 84323 Massing

Tel.: 08724 1000, [email protected]

Korrespondenzadresse

Antwort von Prof. Dr. Andreas C. Sönnichsen

Beide Kollegen haben mit Ihrer Kritik an meinem Kommentar vollkommen recht, wenn es sich um einen Patienten han-delt, der entweder symptomatisch ist oder sonstige (anamnestische) konkrete Hinweise auf das Vorliegen einer Leberer-krankung (oder einer sonstigen Manifes-tation der Hämochromatose) bietet.

In dem von S. Heberger geschilderten Fall wurde aber die erhöhte GPT als Zu-fallsbefund entdeckt – und völlig zu Recht zunächst nicht weiter beachtet. Die Emp-fehlungen bezüglich eines Screenings auf erhöhte Leberenzyme und deren weitere Abklärung sind hier eindeutig: Beides wird nicht empfohlen. In Hebergers Fall wurde ja die Abklärung dann eben auch erst nach einem deutlichen Anstieg der GPT infolge der Interferontherapie einge-leitet. Dann aber kann man eben nicht mehr von einem Screening und einem asymptomatischen Patienten sprechen, und meine Kritik richtete sich weniger ge-gen die Abklärung selbst als dagegen, dass die Vorgehensweise als Standard bei asymptomatischen Patienten dargestellt wird, wie aus dem einleitenden Satz der Diskussion von Herrn Heberger zu ent-nehmen. Genau an dieser Stelle kommt nämlich die von Herrn Hennersperger ge-nannte „individuelle Evidenz“ ins Spiel. Hier befinden wir uns aber weit ab vom Terrain evidenzbasierter Leitlinien, und eine Verallgemeinerung des Falls im Sinne einer Fortbildung zur Abklärung erhöhter Leberwerte – also eine der Intentionen des Beitrags – lässt sich kaum mehr ableiten. Meine Kritik sollte also keineswegs zum „zynisch anmutenden diagnostischen Ni-hilismus“ ermutigen und auch nicht ge-

nerell infrage stellen, dass diese Zusam-menhänge für Hausärzte relevant sind, sondern reflektiert hinterfragen, wann ein Screening und eine weitere Abklärung er-höhter Leberwerte aus hausärztlicher Sicht indiziert sind, und ob der gegebene Fall geeignet ist, ein verallgemeinerbares Vorgehen zu demonstrieren.

Wie Herr Hennersperger vollkom-men zu Recht bemerkt, gibt es sehr ge-naue Leitlinien zu einem differenzier-ten Vorgehen in der Abklärung und Be-handlung der hereditären Hämochro-matose. Und genau diese Leitlinien ra-ten erstens von einem generellen Scree-ning asymptomatischer Personen ab und halten zweitens fest, dass es kaum longitudinale Daten geschweige denn randomisiert kontrollierte Studien gibt, die den Vorteil der Aderlasstherapie be-legen. Tatsächlich wird zwar sowohl in der Practice Guideline der American Asso-

ciation for the Study of Liver Diseases als auch in der europäischen Leitlinie die prophylaktische Aderlassbehandlung empfohlen, aber es wird klargestellt, dass es sich um eine Expertenmeinung ohne begründende Studienevidenz handelt, und dass hierdurch möglicher-weise viele Patienten unnötig behan-delt werden. Zudem wird deutlich ge-macht, dass es keinen evidenzbasierten Konsensus gibt, wann genau mit der Aderlassbehandlung begonnen werden soll. Zumindest wäre also in diesem Fall zu fordern, dass ein Patient, dessen ma-nifeste Multiple Sklerose gegenüber dem 10-%-Risiko einer späteren Kom-plikation einer Hämochromatose deut-lich im Vordergrund steht, über den quasi-experimentellen Charakter des Beginns und der wohl lebenslangen Aderlasstherapie aufgeklärt wird. Na-

türlich kann bei der Entscheidungsfin-dung auch Berücksichtigung finden, dass aufgrund der Multiplen Sklerose weitere potenziell hepatotoxische Me-dikamente eingesetzt werden sollen.

Dass die Aderlassbehandlung nicht zur Gesundung beiträgt, sondern eher das Gegenteil bewirkt, wurde im 19. Jahrhun-dert erkannt, wenn auch nicht durch ran-domisiert kontrollierte Studien belegt. Ebenso gibt es keine randomisiert kontrol-lierten Studien, die den Effekt dieser The-rapie bei der hereditären Hämochromato-se im Hinblick auf patientenrelevante Endpunkte untersucht haben, weder für die Therapie symptomatischer Patienten noch für die prophylaktische Behandlung asymptomatischer Personen. Ob sich die regelmäßige Entfernung großer Blutvolu-mina inklusive Immunglobuline, Plasma-eiweiße, Komplementfaktoren etc. bei ei-nem Patienten mit Multipler Sklerose ge-sundheitlich nachteilig auswirkt, ist gänz-lich unbekannt. Es erscheint pathophy-siologisch plausibel, dass der Patient von der Behandlung profitiert, doch leider gibt es ungezählte Beispiele in der Medizin für letztendlich negative Auswirkungen sol-cher plausiblen Konzepte.

Zum Schluss noch ein Satz zum He-patitis-C-Screening: Die US Preventive

Services Task Force hat im Juni 2013 ihre bisherige Empfehlung gegen ein gene-relles Screening aufgehoben und emp-fiehlt nun ein Screening sowohl für Per-sonen mit erhöhtem Expositionsrisiko als auch für alle Personen, die zwischen 1945 und 1965 geboren sind, weil sie möglicherweise Bluttransfusionen vor Einführung der Transfusionstestung ausgesetzt waren. Auch diese Empfeh-lung wird jedoch nicht an das Vorliegen erhöhter Leberenzymwerte geknüpft.

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Organschaft / AffiliationDeutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM; www.degam.de),DEGAM-Bundesgeschäftsstelle Goethe-Universität, Theodor-Stern-Kai 7, Haus 15, 4. OG, 60590 Frankfurt; Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin (GHA; www.gha-info.de); Salzburger Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SAGAM; www.oegam.at/c1/page.asp?id=35);Südtiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SüGAM; www.suegam.it); Tiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (TGAM; www.tgam.at)Official Journal of the German College of General Practitioners and Family Physicians, the Society of Professors of Family Medicine, the Salzburg Society of Family Medicine, the South-tyrolean College of General Practitioners and the Tyrolean College of General Practitioners

Herausgeber / EditorsProf. Dr. med. Heinz-Harald Abholz Facharzt für Allgemeinmedizin Abt. Allgemeinmedizin (Emeritus) Heinrich-Heine-UniversitätMoorenstraße 5 40225 Düsseldorf E-Mail: [email protected] http://www.uniklinik-duesseldorf.de/ allgemeinmedizin

Prof. Dr. med. Michael M. Kochen, MPH, FRCGP Facharzt für Allgemeinmedizin Abt. Allgemeinmedizin (Emeritus)Georg-August-Universität GöttingenLudwigstraße 37 79104 Freiburg E-Mail: [email protected] http://www.allgemeinmedizin. med.uni-goettingen.de

Prof. Dr. med. Wilhelm Niebling Facharzt für Allgemeinmedizin Lehrbereich Allgemeinmedizin Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Schwarzwaldstraße 6979822 Titisee-Neustadt E-Mail: [email protected] http://www.ukl.uni-freiburg.de/med/lehre/lehrbereich/niebling.htm

Dr. med. Susanne Rabady Ärztin für AllgemeinmedizinParacelsus Medizinische Privatuniversität Landstraße 2A-3841 Windigsteig E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. med. Andreas SönnichsenFacharzt für Allgemeinmedizin Institut für Allgemeinmedizin und FamilienmedizinUniversität Witten/HerdeckeAlfred-Herrhausen-Straße 5058448 WittenE-Mail: [email protected]://www.uni-wh.de/gesundheit/lehrstuhl-institut-allgemeinmedizin-familienmedizin/

Internationaler Beirat / International Advisory BoardJ. Beasley, Madison/Wisconsin, USA; F. Buntinx, Leuven/Belgien; G.-J. Dinant, Maastricht/NLM. Egger, Bern/CH ; E. Garrett, Columbia/ Missouri, USA; P. Glasziou, Robina/AustralienT. Greenhalgh, London/UK; P. Hjortdahl, Oslo/Norwegen; E. Kahana, Cleveland/Ohio, USAA. Knottnerus, Maastricht/NL; J. Lexchin, Toronto/Ontario, Kanada; C. del Mar, Robina/Australien; J. de Maeseneer, Gent/BelgienP. van Royen, Antwerpen/Belgien; F. Sullivan, Dundee/Schottland, UK; P. Tschudi, Basel/CHC. van Weel, Nijmegen/NL; Y. Yaphe, Porto/ Portugal

Verlag / PublisherDeutscher Ärzte-Verlag GmbHDieselstr. 2, 50859 KölnPostfach 40 02 65, 50832 KölnTel.: +49 2234 7011–0, www.aerzteverlag.dewww.online-zfa.de

Geschäftsführung / Management of the CompanyNorbert A. Froitzheim, Jürgen Führer, Jürgen Lotter

Leiter Geschäftsbereich / Leader Operational Division: Rüdiger Sprunkel

Leiterin Produktbereich / Leader Product Division: Katrin Groos

Koordination / CoordinationJürgen Bluhme-RasmussenTel.: +49 2234 7011–512Fax: +49 2234 7011–6512E-Mail: [email protected]

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Leiter Kunden Center / Leader Customer Service: Michael Heinrich, Tel. +49 2234 7011–233 E-Mail: [email protected]

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Verkaufsgebiete Nord/OstGötz KneiselerUhlandstraße 161, 10719 BerlinTelefon: +49 30 88682873Telefax: +49 30 88682874Mobil: +49 172 3103383E-Mail: [email protected]

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Herstellung / Production DepartmentDeutscher Ärzte-Verlag GmbH, Köln, Vitus Graf, Tel.: +49 2234 7011–270, E-Mail: [email protected], Alexander Krauth, Tel.: +49 2234 7011–278, E-Mail: [email protected]

Layout / LayoutSybille Rommerskirchen

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Zurzeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 5, gültig ab 1. 1. 2013

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89. Jahrgang

ISSN 1433-6251

Urheber- und Verlagsrecht / Copyright and Right of PublicationDie Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen ein -zelnen Beiträge und Abbildungen sind urheber-rechtlich geschützt. Mit Annahme des Manu-skriptes gehen das Recht der Veröffentlichung sowie die Rechte zur Übersetzung, zur Vergabe von Nachdruckrechten, zur elektronischen Spei-cherung in Datenbanken, zur Herstellung von Sonderdrucken, Fotokopien und Mikrokopien an den Verlag über. Jede Verwertung außerhalb der durch das Urheberrechtsgesetz festgelegten Gren-zen ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

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Z FAZeitschrift für Allgemeinmedizin

German Journal of Family Medicine

Dezember 2013 – Seite 481–528 – 89. Jahrgang www.online-zfa.de

528 IMPRESSUM / IMPRINT

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