ZG 20160127 130 RMP 017 - alemannia-judaica.de 401... · und Pop“ lautet die...

1
Sturm mit Äxten und Pistolen NAZI-TERROR 1938 erlischt jüdisches Leben in Hamm / Das Schicksal der Familie Heß HAMM. Sie waren eine einfa- che Familie in Hamm: Frieda Heß und ihre drei Töchter Lina (*1906), Melanie (*1909) und Alma (*1910). Eine alleinerzie- hende Mutter, die nach ihrer Scheidung 1916 in der Neugasse einen kleinen Lebensmittel- und Kurzwarenladen betrieb. Doch Frieda Heß und ihre Töchter wa- ren die letzten jüdischen Bewoh- ner des Dorfs – und mit dem Jahr 1933 endete ihr bisher friedliches Leben. Zunächst rief man ihnen nur Schimpfwörter nach oder for- derte sie höhnisch auf: „Geht doch nach Palästina.“ Dabei wa- ren sie keine orthodoxen Ju- den, aber sie achteten die jüdi- schen Feiertage, und Frieda führte einen koscheren Haus- halt. „Wir aßen niemals Schwei- nefleisch oder Schinken und Schmalz gab es auch nicht in unserem Haus“, erinnert sich Al- ma. An Pessah wurden das Haus auf Hochglanz gebracht, die Bett- und Tischwäsche ge- stärkt, die Böden gebohnert und neue Vorhänge genäht. Sonn- tags sowie am Sabbat blieb das Geschäft geschlossen. Die Fami- lie besuchte die Synagoge in Eich, entweder zu Fuß oder mit dem Zug, sowie Verwandte. Die drei Schwestern gingen zur Schule und hatten viele Freun- dinnen in Hamm. Sie waren so- gar Mitglied einer evangelischen Jugendgruppe und Alma beglei- tete eine Freundin bei ihrer Kon- firmationsfeier. Im Haus überfallen Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 änder- te sich die bisher freundliche Haltung der Bürger des Ortes gegenüber der Familie. Zwar wurde erst noch im Laden von Frieda Heß eingekauft – doch nach und nach blieben Kunden aus und ehemalige Freunde wendeten sich ab. Melanie Heß musste ihren Sekretärinnen-Beruf aufge- ben und als Haushälterin bei jüdischen Familien in Worms und Frankfurt arbei- ten. 1938 heiratete sie Sig- mund Arthur Kaiser und emigrierte im August zuerst alleine in die USA – eigent- lich wollte sie ihre Familie nachholen. Doch am Abend des 10. November 1938 schlugen die Nationalsozia- listen in Hamm zu. Als Fa- milie Heß gerade mit Schwiegersohn Arthur Kai- ser zu Tisch saß, stürmten mit Äxten und Pistolen be- waffnete Männer in das Haus. Mit den Worten „die fressen auch noch“, wies der Rädelsführer aus Eich seinen Mann aus Hamm an, Posten zu beziehen und mit der Waffe in der Hand die Überfallenen am Verlassen der Küche zu hindern. In der Zwischenzeit demolierte er zusammen mit weiteren Helfern aus Eich die Einrichtungsgegenstände im gesamten Haus und im La- den. Alma erinnert sich in einem späteren Interview: „Alle gin- gen sie dann von einem zum anderen Zimmer und zer- trümmerten alle Möbelstücke und alles, was in ihren Weg kam, sowie Fenster und Tü- ren. Dann schnitten sie die Federbetten auf und streuten dieselben über den Flur, nah- men die Kleider aus dem Klei- derschrank und beschütteten dieselben mit dem Wintervorrat von Marmelade und eingemach- tem Obst, anschließend zerstör- ten sie alles in unserem Geschäft mit derselben Methode.“ Da- nach vergriffen sich die Männer an den Frauen. Arthur Kaiser wurde mit einem abgebroche- nen Tischbein so fest auf den Rü- cken geschlagen, dass er ärzt- lich versorgt werden musste. Inzwischen hatte sich draußen eine Menschen- menge angesammelt, aus der heraus Personen versuch- ten, in das Ladengeschäft einzudringen, um zu plün- dern. Daraufhin wurde auf Anordnung des Bürgermeis- ters die Feuerwehr als Nachtwache aufgestellt – es sollte nur zerstört werden, nicht geplündert. Nach dem Krieg wollte der Bür- germeister von etwaigen Zerstörungen nichts gese- hen oder nur vom Hören- sagen gewusst haben. Trotz der bewaffneten Posten vor dem Haus konnte Arthur Kaiser mit Almas Hilfe fliehen. Die drei Frauen blieben alleine im zer- störten Haus zurück. „Wir fühl- ten uns nicht mehr sicher und hatten Angst um unser Leben“. Bald hatten sie nichts mehr zu essen. Da sie auch nichts mehr einkaufen konnten, waren Frie- da und ihre Töchter auf mitleidi- ge Menschen angewiesen, die sie heimlich mit Lebensmitteln versorgten. Die Verzweiflung muss unermesslich gewesen sein, dass Alma zu ihrer Mutter sagte: „Lass uns ins Wasser (Rhein) gehen.“ Doch die hielt sie davon ab: „Das kannst du deinen Schwestern nicht antun.“ Die Frauen beschlossen, Hamm zu verlassen. Das Haus wurde „verkauft“ und am 28. Novem- ber 1938, dem Tag der amtlichen Abmeldung, erlosch das jüdi- sche Leben in der Altrheinge- meinde für immer. Arthur Kaiser wurde in Frankfurt aufgegriffen und verhaftet. Nach seiner Frei- lassung emigrierte er nach Vene- zuela. Seine Frau Melanie, die sich ja bereits in den USA be- fand, folgte ihm zuerst nach Südamerika. Im August 1940 konnte das Paar in die USA ein- reisen und sich in San Francis- co, wo Arthurs Schwester lebte, niederlassen. Später führten Ar- thur und Melanie ein Lebens- mittelgeschäft. Ihre Enkelin Lisa Yvonne (geboren 1967) lebt heute mit ihrer Familie im Bun- desstaat Washington, USA. Deportiert und ermordet Frieda und ihre Töchter Lina und Alma kamen zuerst bei Frie- das Schwester Karoline in Darmstadt unter. Von dort flüch- tete Alma am 29. November 1938 mit dem Zug über Holland nach England. Ein Rabbiner sorgte dafür, dass sie in einem Heim unterkam, bis sie eine Arbeitsstelle fand. Zuletzt war sie als Haushaltshilfe in Bir- mingham tätig. Schließlich er- hielt sie eine Bürgschaft für die USA, die ihr Melanie und Ar- thur besorgen konnten. Am 26. Juni 1946 kam Alma Heß in Amerika an, wo sie zu ihrer Schwester nach San Francisco reiste. Hier lernte sie ihren Mann Max Hanauer kennen, der aus Karlstadt stammte. Die beiden hatten keine Kinder. Alma verstarb am 25. Mai 2001 in San Fran- cisco. Ihre Mutter Frieda und ihre Schwester Lina waren in Darmstadt geblieben. Sie wur- den am 27. September 1942 nach Theresienstadt depor- tiert. Am 16. Mai 1944 wurde Lina nach Auschwitz gebracht und dort ermordet. Frieda starb nur wenige Wochen spä- ter am 9. Juni 1944 in There- sienstadt. Die Großnichten und –neffen leben heute in New York, Chicago, Philadel- phia, Los Angeles und San Fran- cisco – teilweise kannten sie Al- ma und Melanie noch persön- lich. Die Enkeltochter von Mela- nie Heß, Lisa Kaiser Hanses, hatte in den 1980er Jahren mit einer Freundin zusammen Hamm besucht. Auch deren Tochter interessiert sich für die Geschichte ihrer Vorfahren. Von Wolfgang Bürkle, Gabriele Hannah und Hans-Dieter Graf Dieses Foto erhielt Hans-Dieter Graf nach seinem Vortrag in Hamm. Es soll Alma Heß im Jahr 1925 im Kreise weiterer Kinder zeigen – aller- dings konnte sie bislang auch von Personen, die sie persönlich kannten, nicht eindeutig identifiziert werden. Repro: Hans-Dieter Graf INITIATIVE . Gabriele Hannah und Hans- Dieter Graf hielten auf Initiati- ve des evangelischen Pfar- rers von Hamm, Thomas Höp- pner-Kopf, einen Vortrag über die Familie Heß, bei dem auch Ortsbürgermeister Helmut Sei- bel anwesend war. Es wurde vereinbart, das Thema weiter zu verfolgen, und zu überlegen, in welcher Form man der letz- ten jüdischen Familie in Hamm gedenken könnte. . Hannah und Graf arbeiten zudem derzeit an einem bio- grafischen Handbuch über Juden vom Althrein und deren Nachfahren. Melanie Kaiser, die Tochter von Frieda Heß, flüchtete in die USA. Repro: Lisa Hanses, digitalmagus - Fotolia Arthur Kaiser emigrierte nach seiner Freilassung zunächst nach Venezuela. Repro: Lisa Hanses Frieda Heß betrieb einen Le- bensmittel- und Kurzwarenla- den. Repro: Lisa Hanses

Transcript of ZG 20160127 130 RMP 017 - alemannia-judaica.de 401... · und Pop“ lautet die...

Page 1: ZG 20160127 130 RMP 017 - alemannia-judaica.de 401... · und Pop“ lautet die Über-schrift,„aberwirhabenkeine Genregrenzen“, versichert Frank, „so lange alles live ge-spieltwird,kannallesgespielt

RHEINHESSENRHEINHESSENMittwoch, 27. Januar 2016 | Rhein Main Presse

17Gespielt wird

nur liveROCK-N-POP-YOUNGSTERS Wettbewerbfür Nachwuchsbands beginnt am 12. Februar

RHEINHESSEN. Die BegriffeRheinhessen und Jubiläumscheinen dieses Jahr siamesi-sche Zwillinge zu sein. Alsoruft auch der WettbewerbRock-N-Pop-Youngsters ein,zugegeben kleines, Jubelfestaus: Zum 15. Mal wird vonFebruar bis April die besteNachwuchsband zwischen Al-zey, Worms, Bad Kreuznach,Bacharach und Mainz ge-sucht. Die Regel: Alle Musikersind unter 27 Jahre alt, spielenausschließlich live und zumindestens 50 Prozent eigeneSongs.

Publikum eingebunden

In der Vorrunde, die in Bin-gen, Oppenheim, Saulheimund Worms ausgetragen wird,haben immer vier Bands je-weils 30 Minuten Zeit, einevor allem aus Musikern be-setzte Fachjury sowie dasebenfalls stimmberechtigtePublikum zu überzeugen. Sie-ger und Zweitplatzierte be-streiten die beiden Halbfinalsin Nieder-Om und Mainz, eheEnde April das große Finalesteigt. Dann wird klar sein,wer die Nachfolge der – nichtim Wettbewerb aktiven – Ti-telträger „Rogue Result“ an-tritt.„Unser Motto lautet aller-

dings: Zum Gewinnen mussman nicht der Sieger sein“, er-klärt Werner Frank vomKreisjugendamt Mainz-Bin-gen. Schon das Konzert selbstvor, in der Vorrunde, im

Schnitt 150 bis 250 Besuchernist ein Erlebnis. Vielen jungenBands ist es nicht allzu häufigvergönnt, auf „richtigen“ Büh-nen mit professionellerSound- und Lichtanlage zuspielen. Und der Wettbewerbist eine Plattform, um Kontak-te zu knüpfen und sich in denFokus zu spielen. „Die Erin-nerung an die Auftritte kannden Bands keiner mehr neh-men“, betont Frank.In der ersten Runde, die so

genannten „Local Heroes“-Konzerte, versuchen die Or-ganisatoren das Programmmöglichst mit ortsnah ansässi-gen und auch stilistisch eini-germaßen zueinander passen-den Bands zu besetzen. „Rockund Pop“ lautet die Über-schrift, „aber wir haben keineGenregrenzen“, versichertFrank, „so lange alles live ge-spielt wird, kann alles gespieltwerden – auch Rap und Volks-

musik.“ Doch ein einzelnerRapper, der vorgefertigte Sam-ples mitbringt, erfüllt ebennicht den Anspruch, dass alleszu 100 Prozent handgemachtist. „Von der Vergleichbarkeither wäre das gegenüber denMusikern, die vom ersten biszum letzten Takt schwitzen,nicht fair“, sagt der Wettbe-werbsorganisator.Wer beim Youngsters-Wett-

bewerb startet, kann durch-aus groß raus kommen.Zwei Bands, aus denen dieFormation „Auletta“ hervor-gegangen ist, waren bei-spielsweise in frühen Jahrendabei.

Auftritt bei Festival

Die Mainzer Indie-Rockervertraten das Land Rhein-land-Pfalz 2010 bei StefanRaabs „Bundesvision SongContest“, wenn auch mitPlatz 14 nur mäßig erfolg-reich.Wer in diesem Jahr gewinnt,

hat gleich eine Reihe reizvol-ler Auftritte sicher: beimMainzer Band-Festival„Grill‘em all“, dem „RockfieldOpen Air“ in der Reduit undbeim „Rock im Zelt“. Eine Fi-nal-Band, die stilistisch zumProgramm passt, wird zudemauf das Neuborn Open AirFestival eingeladen und darfsich dort mit Größen wie„Arch Enemy“, „AgnosticFront“ oder Udo Dirkschnei-der die Bühne teilen.

Preisgeld von 1500 Euro

Zudem werden 1500 EuroPreisgeld auf die Finalteilneh-mer verteilt, es gibt Gutschei-ne und weitere interessantePreise. Apropos, der Besuchder Vorrunden-Konzerte istkostenlos, die Halbfinalskann man für drei Euro besu-chen, beim Final-Eintritt vonsechs Euro ist eine CD mitMusikstücken der beteiligtenBands enthalten.Das waren bislang übrigens

341 unterschiedliche, elf kom-plette Neulinge kommen die-ses Jahr hinzu. Die Besuchersind zudem als Fotografen ge-fragt, denn die besten Kon-zert-Schnappschüsse landenauf der Homepage des Wett-bewerbs.

Von Torben Schröder

Sturm mit Äxten und PistolenNAZI-TERROR 1938 erlischt jüdisches Leben in Hamm / Das Schicksal der Familie Heß

HAMM. Sie waren eine einfa-che Familie in Hamm: FriedaHeß und ihre drei Töchter Lina(*1906), Melanie (*1909) undAlma (*1910). Eine alleinerzie-hende Mutter, die nach ihrerScheidung 1916 in der Neugasseeinen kleinen Lebensmittel- undKurzwarenladen betrieb. DochFrieda Heß und ihre Töchter wa-ren die letzten jüdischen Bewoh-ner des Dorfs – und mit demJahr 1933 endete ihr bisherfriedliches Leben.Zunächst rief man ihnen nur

Schimpfwörter nach oder for-derte sie höhnisch auf: „Gehtdoch nach Palästina.“ Dabei wa-ren sie keine orthodoxen Ju-

den, aber sie achteten die jüdi-schen Feiertage, und Friedaführte einen koscheren Haus-halt. „Wir aßen niemals Schwei-nefleisch oder Schinken undSchmalz gab es auch nicht inunseremHaus“, erinnert sich Al-ma. An Pessah wurden dasHaus auf Hochglanz gebracht,die Bett- und Tischwäsche ge-stärkt, die Böden gebohnert und

neue Vorhänge genäht. Sonn-tags sowie am Sabbat blieb dasGeschäft geschlossen. Die Fami-lie besuchte die Synagoge inEich, entweder zu Fuß oder mitdem Zug, sowie Verwandte. Diedrei Schwestern gingen zurSchule und hatten viele Freun-dinnen in Hamm. Sie waren so-gar Mitglied einer evangelischenJugendgruppe und Alma beglei-tete eine Freundin bei ihrer Kon-firmationsfeier.

Im Haus überfallen

Mit der Machtergreifung derNationalsozialisten 1933 änder-te sich die bisher freundlicheHaltung der Bürger des Ortesgegenüber der Familie. Zwar

wurde erst noch im Ladenvon Frieda Heß eingekauft –doch nach und nach bliebenKunden aus und ehemaligeFreunde wendeten sich ab.Melanie Heß musste ihrenSekretärinnen-Beruf aufge-ben und als Haushälterin beijüdischen Familien inWorms und Frankfurt arbei-ten. 1938 heiratete sie Sig-mund Arthur Kaiser undemigrierte im August zuerstalleine in die USA – eigent-lich wollte sie ihre Familienachholen. Doch amAbenddes 10. November 1938schlugen die Nationalsozia-listen in Hamm zu. Als Fa-milie Heß gerade mitSchwiegersohn Arthur Kai-ser zu Tisch saß, stürmtenmit Äxten und Pistolen be-waffnete Männer in das

Haus. Mit den Worten „diefressen auch noch“, wies derRädelsführer aus Eich seinenMann aus Hamm an, Postenzu beziehen und mit der Waffein der Hand die Überfallenenam Verlassen der Küche zuhindern. In der Zwischenzeitdemolierte er zusammen mitweiteren Helfern aus Eich dieEinrichtungsgegenstände imgesamten Haus und im La-den.Alma erinnert sich in einem

späteren Interview: „Alle gin-gen sie dann von einem zumanderen Zimmer und zer-trümmerten alle Möbelstückeund alles, was in ihren Wegkam, sowie Fenster und Tü-ren. Dann schnitten sie dieFederbetten auf und streutendieselben über den Flur, nah-men die Kleider aus dem Klei-derschrank und beschüttetendieselben mit dem Wintervorratvon Marmelade und eingemach-tem Obst, anschließend zerstör-ten sie alles in unseremGeschäftmit derselben Methode.“ Da-nach vergriffen sich die Männeran den Frauen. Arthur Kaiserwurde mit einem abgebroche-nen Tischbein so fest auf den Rü-

cken geschlagen, dass er ärzt-lich versorgt werden musste.Inzwischen hatte sich

draußen eine Menschen-menge angesammelt, aus derheraus Personen versuch-ten, in das Ladengeschäfteinzudringen, um zu plün-dern. Daraufhin wurde aufAnordnung des Bürgermeis-ters die Feuerwehr alsNachtwache aufgestellt – essollte nur zerstört werden,nicht geplündert. Nachdem Krieg wollte der Bür-germeister von etwaigenZerstörungen nichts gese-hen oder nur vom Hören-sagen gewusst haben.Trotz der bewaffneten

Posten vor dem Hauskonnte Arthur Kaiser mitAlmas Hilfe fliehen. Die dreiFrauen blieben alleine im zer-störten Haus zurück. „Wir fühl-ten uns nicht mehr sicher undhatten Angst um unser Leben“.Bald hatten sie nichts mehr zuessen. Da sie auch nichts mehreinkaufen konnten, waren Frie-da und ihre Töchter auf mitleidi-ge Menschen angewiesen, diesie heimlich mit Lebensmittelnversorgten. Die Verzweiflungmuss unermesslich gewesensein, dass Alma zu ihrer Muttersagte: „Lass uns ins Wasser(Rhein) gehen.“ Doch die hieltsie davon ab: „Das kannst dudeinen Schwestern nicht antun.“Die Frauen beschlossen, Hammzu verlassen. Das Haus wurde„verkauft“ und am 28. Novem-ber 1938, dem Tag der amtlichenAbmeldung, erlosch das jüdi-

sche Leben in der Altrheinge-meinde für immer. Arthur Kaiserwurde in Frankfurt aufgegriffenund verhaftet. Nach seiner Frei-lassung emigrierte er nach Vene-zuela. Seine Frau Melanie, diesich ja bereits in den USA be-fand, folgte ihm zuerst nachSüdamerika. Im August 1940konnte das Paar in die USA ein-reisen und sich in San Francis-

co, wo Arthurs Schwester lebte,niederlassen. Später führten Ar-thur und Melanie ein Lebens-mittelgeschäft. Ihre Enkelin LisaYvonne (geboren 1967) lebtheute mit ihrer Familie im Bun-desstaat Washington, USA.

Deportiert und ermordet

Frieda und ihre Töchter Linaund Alma kamen zuerst bei Frie-das Schwester Karoline inDarmstadt unter. Von dort flüch-tete Alma am 29. November1938 mit dem Zug über Hollandnach England. Ein Rabbinersorgte dafür, dass sie in einemHeim unterkam, bis sie eineArbeitsstelle fand. Zuletzt warsie als Haushaltshilfe in Bir-mingham tätig. Schließlich er-hielt sie eine Bürgschaft für die

USA, die ihrMelanie und Ar-thur besorgen konnten. Am26. Juni 1946 kam Alma Heßin Amerika an, wo sie zuihrer Schwester nach SanFrancisco reiste. Hier lerntesie ihrenMannMax Hanauerkennen, der aus Karlstadtstammte. Die beiden hattenkeine Kinder. Alma verstarbam 25. Mai 2001 in San Fran-cisco. Ihre Mutter Frieda undihre Schwester Lina waren inDarmstadt geblieben. Sie wur-den am 27. September 1942nach Theresienstadt depor-tiert. Am 16. Mai 1944 wurdeLina nach Auschwitz gebrachtund dort ermordet. Friedastarb nur wenige Wochen spä-ter am 9. Juni 1944 in There-sienstadt. Die Großnichtenund –neffen leben heute inNew York, Chicago, Philadel-

phia, Los Angeles und San Fran-cisco – teilweise kannten sie Al-ma und Melanie noch persön-lich. Die Enkeltochter vonMela-nie Heß, Lisa Kaiser Hanses,hatte in den 1980er Jahren miteiner Freundin zusammenHamm besucht. Auch derenTochter interessiert sich für dieGeschichte ihrer Vorfahren.

VonWolfgang Bürkle, GabrieleHannah und Hans-Dieter Graf

Dieses Foto erhielt Hans-Dieter Graf nach seinem Vortrag in Hamm. Es soll Alma Heß im Jahr 1925 im Kreise weiterer Kinder zeigen – aller-dings konnte sie bislang auch von Personen, die sie persönlich kannten, nicht eindeutig identifiziert werden. Repro: Hans-Dieter Graf

INITIATIVE

. Gabriele Hannah und Hans-Dieter Graf hielten auf Initiati-ve des evangelischen Pfar-rers von Hamm, Thomas Höp-pner-Kopf, einen Vortrag überdie Familie Heß, bei dem auchOrtsbürgermeister Helmut Sei-bel anwesend war. Es wurdevereinbart, das Thema weiterzu verfolgen, und zu überlegen,in welcher Form man der letz-ten jüdischen Familie in Hammgedenken könnte.

. Hannah und Graf arbeitenzudem derzeit an einem bio-grafischen Handbuch überJuden vom Althrein und derenNachfahren.

Melanie Kaiser, die Tochter vonFrieda Heß, flüchtete in die USA.Repro: Lisa Hanses, digitalmagus - Fotolia

Arthur Kaiser emigrierte nachseiner Freilassung zunächst nachVenezuela. Repro: Lisa Hanses

Frieda Heß betrieb einen Le-

bensmittel- und Kurzwarenla-

den. Repro: Lisa Hanses

IHK: Betriebespitze beiAusbildung

RHEINHESSEN (red). Rhein-hessens IHK-Ausbildungsunter-nehmen sind spitze: Mit einemZuwachs von 3,6 Prozent beiden neu abgeschlossenen Ausbil-dungsverträgen lagen die Betrie-be der Region in der Bilanz 2015deutlich über dem rheinland-pfälzischen Landesdurchschnitt,der gegenüber dem Vorjahres-ergebnis um 3,4 Prozent abfiel.Der Hauptgeschäftsführer derIndustrie- und Handelskammerfür Rheinhessen, Günter Jertz,freut sich über die ungebrocheneAusbildungsbereitschaft derUnternehmen: „Die Betriebewappnen sich gegen die wach-senden Auswirkungen des de-mografischen Wandels und desveränderten Berufsplanungsver-haltens vieler Jugendlicher. Diesteigende Beteiligung an Messenund Projekten zur Berufsorien-tierung unterstreicht das ver-stärkte Engagement der BetriebeimAusbildungsmarketing in Zei-ten, in denen es aus geburten-schwachen Jahrgängen wenigerLehrstellenbewerber gibt undsich immer mehr Schulabgängerfür ein Studium entscheiden.“

Rekorde bei Messen

So hatten laut Jertz alle 2015von der IHK veranstalteten Be-rufsinformationsmessen BIM inMainz, Bingen und Worms Aus-stellerekorde verzeichnet. Er-folgreich liefen auch branchen-bezogene Aktionstage wie der„Tag der Logistik“ und die publi-kumsstarke Premiere des „Tagsder Technik“. Immer stärkernachgefragt werden die Einsätzedes Berufsinfobusses der Me-dienpartnerschaft „Ausbildungbringt’s“, bei denen sich Firmenin den Schulen als attraktiveAusbildungsbetriebe präsentie-ren können. Geeignete Lehrstel-lenbewerber fanden die Betriebeauch durch das Ende des Jahres2014 von der Industrie undHandelskammer initiierte Pro-jekt „durchstarten-rheinhes-sen.de“.

RHEINHESSEN (red). In denArtikel über das fast vergesseneRheinhessen-Wappen (Sams-tagsausgabe) hat sich leider einemissverständliche Formulie-rung eingeschlichen. Dort heißtes: „... zumal Mainz in seinemStatus als Provinz bei seiner fei-erlichen Übergabe an das Groß-herzogtum Hessen im Jahre1816 noch kein eigenes Wap-pen besessen habe.“ Mainz hat-te zu diesem Zeitpunkt jedochschon sein eigenes Stadtwap-pen (das Mainzer Rad). Ge-meint war dasMainzer Umland.

KORREKT

TERMINE

. Eröffnet wird die Konzertrei-he am Freitag, 12. Februar, imJugendhaus Bingen mit BunkyJam (Rock/Pop), Chris Rock(Pop-Rock/Singer-Songwriter),Lilli Rubin (Rock/Pop) und Shel-ley ate the Cake (Rock), außerKonkurrenz spielen Enamic(Modern Rock).

. Am Freitag, 19. Februar,spielen im Kulturkeller Oppen-heim die Bands Curse of Life(Modern Metal), Facing Mad-ness (Rock), Stemolation(Acoustic Rock) und Stonefall(Nu Metal/Alternative) sowieaußer Konkurrenz Heading forthe Sun (Alternative Rock) auf.

. Am Freitag, 26. Februar,treten im Bürgerhaus SaulheimBroken Ro (Alternative Rock),The Cold Room (Dark Metal),Clouds & Oceans (MelodicHardcore), Monosphere (Melo-dic Hardcore) und außer Kon-kurrenz Jedeye (Hard Rock) an.

. Am Samstag, 5. März, be-werben sich im Haus der Ju-gend Worms Andy’s Sister(Pop/Punk), Infected World(Metalcore), Still not Planned(Crossover) sowie The Unspo-ken (Acoustic Rock) um dieHalbfinalteilnahme, außer Kon-kurrenz laufen Almost Tomor-row (Metal).

. Die Halbfinals finden amFreitag, 8. April, in der Nieder-Olmer Festhalle sowie amSamstag, 16. April, im Hausder Jugend Mainz statt. Gast-Band ist erst Another Timelapse(Alternative Metal, Sieger2014), dann Light to the Blind(Metalcore, zweimalige Fina-list). Das Finale steigt, angerei-chert durch die 2015er SiegerRogue Result (Stoner/Grunge),Ende April, der Termin wirdnoch bekannt gegeben.

. Einlass ist immer um 19Uhr, bis maximal 20 Uhr wer-den die Stimmkarten ausgege-ben. Während der Auszählungspielen die Bands außer Kon-kurrenz.

Musik inder Kirche

RHEINHESSEN (ple). DieJahrhundertwende ist Themaeines Konzerts, das am Sams-tag, 30. Januar, ab 19 Uhr inder evangelischen Kirche inDittelsheim stattfindet.Als musikalischen Beitrag

zum Rheinhessenjahr erin-nern Petra Fluhr (Oboe), Stel-la Syskora (Violine) undChristian Schmitt (Orgel,Cembalo und Klavier) an den1910 verstorbenen Osthofe-ner Komponisten WendelinWeißheimer und an den imersten Weltkrieg gefallenenWormser Komponisten RudiStefan.Gespielt werden Weiß-

heimers Bearbeitungen Bach-scher Präludien für Violineund Klavier. Karten gibt es für15 Euro auf Vorbestellung perE-Mail an [email protected].

RHEINHESSEN2016

hadima
Schreibmaschinentext
AZ Mainz vom 27.1.2016