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1. Abt. Zeitschr. f. Psychologie. Bd. 61. lieft 1. . Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane begründet von Herm. Ebbinghaus und Arthur König herausgegeben von F. Schumann und J. Rich. Ewald. 1. Abteilung. Zeitschrift für Psychologie. In Gemeinschaft mit S. Exner, J. v. Kries, Th. Lipps, A. Meinong, G.E.Müller, A.v.Strümpell, C. Stumpf, A. Tschermak, Th. Ziehen herausgegeben von F. Schumann. .-?.. .. ,_, \ b• \ "er . - -.1?:,,, \ 1Y de ' Leipzig, 1912. Verlag von Johann Ambrosius Barth. Dörrienstraße 16. Jährlich erscheinen 3-4 Bände, jeder zu 6 Heften. Preis des Bandes 15 Mark. Durch alle Buchhandlungen sowie direkt von der Verlagsbuchhandlung zu beziehen. (Ausgegeben im April 1912.)

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1. Abt. Zeitschr. f. Psychologie. Bd. 61. lieft 1.

.

Zeitschriftfür

Psychologie und Physiologie der Sinnesorganebegründet von

Herm. Ebbinghaus und Arthur Königherausgegeben von

F. Schumann und J. Rich. Ewald.

1. Abteilung.

Zeitschrift für Psychologie.In Gemeinschaft mit

S. Exner, J. v. Kries, Th. Lipps, A. Meinong,G.E.Müller, A.v.Strümpell, C. Stumpf, A. Tschermak,

Th. Ziehen

herausgegeben von

F. Schumann.

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Leipzig, 1912.Verlag von Johann Ambrosius Barth.

Dörrienstraße 16.

Jährlich erscheinen 3-4 Bände, jeder zu 6 Heften. Preis des Bandes 15 Mark.Durch alle Buchhandlungen sowie direkt von der Verlagsbuchhandlung zu beziehen.

(Ausgegeben im April 1912.)

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(Aus dem psychologischen Institute der Akademie zu Frankfurt a. M.)

Experimentelle Studien über das Sehen vonBewegung.

Von

MAX WERTHEIMER.

Inhaltsverzeichnis.Seite

Einleitung 162§ 1. Die drei Hauptstadien (Simultan-, Sukzessivruhe, opt. Bewegung) 165

Fragestellung 166Exkurs 167

§ 2. Experiment im Vergleich von wirklicher Bewegung und Suk-zessivexpositionen 168

Schieberanordnung 168:§ 3. Allgemeines über die Hauptversuche 175§ 4. Zur Frage der Augenbewegung 181§ 5. Anführung zweier Thesen 185§ 6. Ist Identität konstitutiv ? . 186§ 7. Duale Teilbewegung 190

Einstellung . . 194Dauerbeobachtung 196

.§ 8. innenbewegung 197§ 9. Singularbewegung 199§ 10. Singularbewegung eines dritten Objekts 201

Nebenwirkung auf benachbarte Sukzessivexposition 202§ 11. Aufmerksamkeitsstellungen 204

12. Notiz über die Gegebenheit von a und b 212-§ 13. Fortgang. Verlagerung 215§ 14. Fortfall des einen Objekts 216,§ 15. Einschaltung 220§ 16. Reine Bewegungserscheinung 221§ 17. Analogien beim Sehen wirklicher Bewegung 227

Aneinandergereihte Sukzessivexpositionen 229Negatives Nachbild 232

§ 18. Zusammenfassung 23319. Zur Diskussion MARBE-LINKE 236Zeitschrift für Psychologie 61. 11

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162 Max Wertheimer.

§ 20. Anwendung der Ergebnisse auf vorliegende Theorien . 239bezüglich der Aufmerksamkeit 243

§ 21. Skizzierung einer physiologischen Hypothese 246Rückblick 252

Anhang.§ 22. Raum-Orientierungslage 253Figuren 262

Man sieht eine Bewegung: ein Gegenstand bewegte sich voneiner Lage in eine andere. Man beschreibt den physikalischenSachverhalt : bis zum Zeitpunkt z, hat sich der Gegenstand inder Lage /1 (am Orte oi) befunden ; vom Zeitpunkt z„ an in derLage in (am Orte on); in der Zwischenzeit, zwischen z, und z„,hat sich der Gegenstand sukzessiv, zeit- und rau'nkontinuier-lich, in den Zwischenlagen zwischen 11 und 1„ befunden und istdurch sie nach /„ gelangt.

Man sieht diese Bewegung; nicht etwa: man sieht blofs, dafsder Gegenstand nun anderswo als früher sei und weifs so, dafser sich bewegt habe (ähnlich beim langsamen Uhrzeiger ; dafs ersich in Bewegung befinde); 1 sondern : man sah die Bewegung.Was ist da psychisch gegeben ?

Es liegt nahe, in einfacher Analogie zum physikalischenSachverhalt zu sagen : das Sehen von Bewegung bestehe darin>dafs auch das Seh-Ding, das psychisch visuelle Objekt, von derSeh-Lage 4 durch die räumlichen Zwischenlagen im Kontinuumnach 1„ hingelangt sei; darin, dafs ' solche Folge von Zwischen-lagen psychisch gegeben sei, sei das Sehen der Bewegung ge-geben.

War dieses Sehen von Bewegung als „Täuschung" erlangt,d. h. physikalisch etwa wirklich blofs eine ruhende Lage undnachher, in deutlichem Abstand von der ersten eine andereruhende Lage gegeben, so wäre auf Grund der beiden Empfin-dungen ruhender Objekte, im Anschlufs an sie, irgendwie subjek-tive Ergänzung eingetreten: das Durchgehen, das Eingenommen-haben der Zwischenlagen sei irgendwie subjektiv ergänzt.

In der folgenden Untersuchung wird von Bewegungsein-

1 Die prinzipielle Konstatierung des direkten Bewegungseindruckes imHinweise auf periphere Wahrnehmung, quantitive Verhältnisse usw. voll-zog S. EXNER (Über das Sehen von Bewegungen. Wiener Sitz.-Ber. 72, Abt,3. 1875).

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drücken gehandelt, die sich bei Darbietung zweier solcher suk-zessiver Lagen, auch bei beträchtlichem räumlichen Abstand derbeiden voneinander, erzielen lassen.

Dafs durch sukzessive Darbietung ruhender Einzellagen intauglichen Expositionsverhältnissen „Bewegungstäuschungen" ent-stehen, ist bekannt; so erzielt der Kinem at ogra ph Be-wegung 1 (ähnlich wie das ältere Str ob oskop ," bei dem sichdie Verhältnisse durch die Rotation der Objektstreifen kompli-zieren) ; EXNER 2 hatte Bewegung u. a. bei sukzessivem Auf-leuchten zweier Funken erzielt ; MARBE 3 bei Experimenten mitruhigen, sukzessiv aufleuchtenden Lämpchen ; SCHUMANN 4 hatbei tachistoskopischer, , sukzessiver Darbietung einer vertikalenund nachher einer horizontalen Linie einen Herumruck , eineDrehung konstatiert.

Über weitere, andersartige Bewegungstäuschungen liegt einegrofse Anzahl verstreuter Arbeiten vor. 5 Über Bedingungen desSehens von Bewegung sind elementare quantitative Untersuchungenangestellt worden. 6

Theoretischer Ansichten über das Bewegungssehen liegt eineAnzahl vor; im besonderen eine ausgedehnte Diskussion derFrage, ob Bewegungssehen sich „aus einer Art Vereinigung derRaum- und Zeitanschauung ohne Rest ableiten und deduzieren

Ich verweise auf die zahlreiche Literatur bezüglich der „strobosko-pischen Täuschung"; sie ist grofsenteils zusammengestellt z. B. in EBBING-HAUS, Psychologie III. Aufl. S. 531 f. usw., in Einzelarbeiten z. B. FISCHER,Philos. Studien Bd. III, u. a. ; LINKE, Psychol. Studien, Bd. III. — Vgl. MARBE,Theorie der kinematogr. Projektionen. Leipzig 1910.

2 EXNER, Über das Sehen von Bewegungen. Wiener Sitz.-Ber. 72, Abt. 3.1875.

MARBE, a. a. 0. S. 61 f., S. 66.4 SCHUMANN im II. Kongrefs für exp. Psychologie. Bericht, Leipzig 1907,

S. 218.5 Literatur z. B. in EBBINGHAUS, Psychologie III. Aufl. S. 534, HELMHOLTZ-

KRIES Handb. der physiol. Optik, S. 226 f.; u. a. Vgl. neuerdings die zu-sammenfassende Darstellung: H. HANSELMANN , Über optische Bewegungs-wahrnehmung, Zürich, Diss. 1911.

6 AUBERT , Die Bewegungsempfindung, Pflügers Archiv 39, 40.Weiteres sub Anm. 5.

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lasse",1 oder eine „unmittelbare und eigenartige sinnliche An-schauung" 1 sei, auf einer besonderen Art von Empfindung 2.

oder auf einem höheren psychischen Vorgang beruhe 3; indemman versuchte, das Sehen von Bewegung theoretisch zu analy-sieren, wobei die Aufgabe der Erklärung von Bewegungs-täuschungen naturgemäfs eine Rolle spielt.4 Überblickt man dieaufgestellten Theorien, so ist zu nennen : aufser der Empfindungs-theorie 2 die Nachbildtheorie 5, die das Wesentliche des Be-wegungssehens von Verhältnissen des An- und Abklingens derErregung in benachbarten Netzhautstellen aus zu fassen sucht;die Augenbewegungstheorie,6 die für das Zustandekommen von Be-wegungseindrücken auf die Rolle von Augenbewegungs-Empfin-dungen rekurriert die Veränderungsempfindungstheorie', die denEindruck von Bewegung aus einem Elementareren, einer spezi-fischen Empfindung für Veränderung von Sinneseindrücken ab-leitet die Verschmelzungstheorie 8, nach der hier eine Art apper-zeptiver Verschmelzung vorliege schliefslich die Gestalt- resp.Komplexqualitätstheorie.9 So wurden einerseits prinzipiell peri-phere Verhältnisse zur Erklärung herangezogen, andererseits jen-seits der Peripherie liegende höhere Prozesse. Dafs man bei Er-klärung bestimmter Bewegungseindrücke zentrale Vorgänge zu-

1 S. EBBINGHAUS , Grundzüge der Psychologie. Leipzig 1902. 5. 466f.— Vgl. DÜRR in der Neuauflage der EBBINGHAusschen Psychologie (III. Aufl.)S. 531f.

2 EXNER, Entwurf zu einer physiologischen Erklärung der psychischenErscheinungen, Leipzig-Wien. — STERN, Psychologie der Veränderungsauf-fassung, Breslau 1906. — CORNELIUS, Psychologie, S. 132.

S. unten Anm. 8, 9.4 Vgl. die zahlreichen Arbeiten von S. EXNER; MACH, Analyse der

Empfindungen, Leipzig; HAMAN, Die psychologischen Grundlagen des Be-wegungsbegriffes, Zeitschr. f. Psychol. 45, S. 231 u. 341, usw. — Vgl. Anm. 5voriger Seite.

5 Vgl. MARBE, Zeitschr. f Psychol. 46, S. 345, 291; 47, S. 321, u. a.6 Vgl. WuNDT, Physiol. Psychologie II, 5. 577.7 Vgl. STERN, a. a. 0. sub Anm. 2; vgl. S. EXNER, Zentralbi. f. Physiol. 24,

5. 1169.8 Vgl. WUNDT a. a. 0. II, 578f., 580f. — LINKE, a. a. 0. 5. 544 u. a.9 EHRENFELS, Über Gestaltqualitäten, Vierteljahrsschr. f. wiss. Philosophie 15,

S. 263f. CORNELIUS, über Verschmelzung und Analyse, daselbst 17, S. 45 f. ;sodann, wie ich nach Abschlufs der Arbeit fand, WITASEK, Psychologie derRaumwahrnehmung des Auges, Heidelberg 1910, in besonderer Vorstel-1 ungs-Produktionstheorie.

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grundelegen müsse, hat EXNER 1 ausgeführt, ferner MARBE 2 ;

LINKE 3 ; SCHUMANN 4 hat die Auffassung vertreten, dafs manes hier mit einem zentral erzeugten Bewufstseinsinhalt zu tunhabe, mag man ihn mit EXNER als Bewegungsempfindung odermit EHRENFELS als Gestaltqualität bezeichnen.

§ 1. Man zeichne auf den Objektstreifen eines Stroboskopszwei Objekte einfacher Art. Z. B. eine 3 cm lange Horizon-tale am Anfang des Streifens, eine zweite in der Mitte desStreifens etwa 2 cm tiefer. Bei relativ sehr langsamer Rota-tion des Stroboskops erscheint zuerst die eine Horizontale,dann die andere ; die beiden treten klar sukzessiv und dualiterauf. Bei sehr schneller Rotation sieht man sie simultanübereinander; sie sind gleichzeitig, zusammen da. Bei einermittleren Geschwindigkeit sieht man bestimmte Bewegung : einStrich bewegt sich klar und deutlich von einer oberen Lage ineine untere und zurück.

Oder : man bringe am Anfange des Objektstreifens eine schrägeLinie an //, in der Mitte wieder eine Horizontale —. Im extremenSukzessivstadium erscheint zuerst die Schräge dann die Horizon-tale. Im extremen Simultanstadium sind sie zusammen gegeben,man sieht einen Winkel / . Im Bewegungsstadium, zwischen denbeiden Extremstadien, dreht sich eine Linie aus der Schräglage(um ihren Endpunkt als Scheitel) in Horizontallage und um-gekehrt. Und analog bei anderen Objekten, Formen und Lagen.

Man kann dabei tauglich durch ein Diaphragma sehen, dasso gestellt ist, dafs gleichzeitig immer nur ein Schlitz des Strobo-skops sichtbar ist.

Von der Frage des Sehens des Vorüberziehens der Objekteist hier leicht abzusehen ; es handelt sich hier um die Frage dergesehenen Auf- und Abbewegung, Drehung oder Ruhe in bezugauf die Richtung, die durch die gegenseitige Lage der beiden.Objekte gegeben ist ; bei dem Stroboskop kommen hier kompli-zierende Umstände hinzu; die drei „ausgezeichneten Stadien" —das der Sukzession, der optimalen Bewegung, das der Simultaneität— liefsen sich ebenso bei anderen Versuchsanordnungen beobachten,

1 EXNER, a. a. 0. sub Anm. 2 voriger Seite.2 MARBE, Philos. Stud. 14, 1898, S. 400. Vgl. hier S. 246.3 Vgl. hier S. 238 f.4 SCIIUMANN, a. a. 0.

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bei denen keinerlei Vorüberziehen der Objekte vorhanden ist ; so in.den Hauptversuchen : bei tachistoskopischer Exposition zweier suk-zessiver ruhender Reize mittels des ScHumANNschen Tachistoskops(s. S. 175f.) [ferner bei Projektion unter Verwendung eines Brenn-punkttachistokops bei den S.168 f. geschilderten Schieberversuchenmit und ohne Projektion usw. (s. S. 180)].

Dieser sinnlich klar und deutlich gegebene Eindruck der Be-wegung eines Identischen ist psychologisch rätselhaft. Was istpsychisch gegeben, wenn man hier Bewegung sieht?

Ist es möglich, durch vorschreitende experimentelle Frage-stellungen vorwärts zu kommen in der Erforschung des Problems :was da psychisch vorhanden sei; was diese Eindrücke konstituiere?

Die Beobachtungen am Stroboskop legten mir als ersteexperimentell-technische Frage nahe : Wie entsteht das optimaleBewegungsstadium ? (wie entwickelt es sich aus dem simultanen,aus dem sukzessiven ? Wie zerfällt es in diese ? Was ist aufdem Wege zwischen diesen drei Stadien gegeben? Gibt es viel-leicht qualitativ besondere, spezifisch charakterisierte Zwischen-stadieneindrücke, — durch die auf die qualitative Entwicklungund die psychologische Eigenart des optimalen Bewegungsein-druckes Licht fiele ?)

Ferner: was geht im „Bewegungsfelde" vor? 1 Ist es mög-lich festzustellen, was da in dem Raum zwischen der ersten undder zweiten Lage (im Winkelexperiment z. B. im Winkelraumezwischen den beiden Schenkellagen) „gegeben" sei ?

Dabei : sind periphere Verhältnisse oder Augenbewegungenetwa konstitutiv fundierend?

Sind Verhältnisse der Aufmerksamkeit, des Erfassens kon-stitutiv von Wichtigkeit? Kommt verschiedenen Aufmerksam-keitsstellungen 2 eine Rolle zu? Welche ?

Welches sind die Erscheinungsweisen und Wirkungen desVorgangs ? usf.

Unter dem Gesichtspunkt solcher Fragestellungen war Heran-

Auf diese Frage weist schon die Angabe SCHUMANNS a. a. 0. S. 218.Vgl. über die Rolle des verschiedenen Verhaltens der Aufmerksam-

keit SCHUMANN, Beiträge zur Analyse der Gesichtswahrnehmungen, Heft 1;V. ASTER Zeitschr. f. Psychol. 43, S. 161; KARPINSKA Zeitschr. f. Psychol. 57,S. 1; JAENSCH Erg.-Bd. IV. Zeitschr. f. Psychol.; u. a.

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ziehung spezieller Variationen in den Versuchsbedingungen ge-geben:

1. Beobachtungen im Übergange von einem der drei Haupt-stadien zu einem anderen, unter Variation der Zwischenzeit tzwischen den Expositionen der beiden Objekte ; Variation derExpositionszeiten.

2. Taugliche Variation in der Anordnung der beiden Objekte,der Lage, gegenseitigen Entfernung (Abstand), der Gestalt,Farbe usw. und Verwendung von in bestimmter Weise ver-schiedenen Objekten.

3. Variationen bezüglich des subjektiven Verhaltens ; der Fixa-tion, der Aufmerksamkeitsstellung, der Einstellung.

4. Einführung dritter und weiterer Objekte in das Expositions-feld, wobei komplizierende Faktoren durch taugliche Gegen-experimente auszuschliefsen waren.

5. Untersuchung von Nachwirkungen.

Hier haben wir es mit dem Zustandekommen des Eindrucks der Be-wegung eines Objekts bei Darbietung zweier sukzessiver ruhender Reize zutun ; der spezifische Bewegungseindruck ist nicht nur hier psychologischrätselhaft, sondern auch beim Sehen wirklicher Bewegung. Wäre es nunnicht, will man seinem Wesen näherkommen, ein verkehrtes Unternehmen,von „Scheinbewegung" auszugehen ?

Man sagt: ich weifs, wie es aussieht, wenn ein Ding sich bewegt ;und werde nun getäuscht darüber ; was ja nur dadurch geschehen kann,dafs ich eben nur glaube, Bewegung zu sehen resp. das Fehlende — dasDurchgehen durch die Zwischenlagen — aus bekannter Erfahrung subjek-tiv ergänze?! Es wird auf Grund und im Sinn früherer direkter Erfah-rungen wahrgenommener wirklicher Bewegung subjektiv ergänzt: dieScheinbewegung ist etwas schlechthin Sekundäres, Komplizierteres ; mankann nur umgekehrt vom Studium der Wahrnehmung wirklicher Bewegungzum Begreifen des Entstehens der Scheinbewegung gelangen.

Wenn das nun auch sicher so wäre, dafs das Wesen der Scheinbewe-gung nur eben im subjektiven Ergänzen der Z wischenlagen von direkten Er-fahrungen her bestehe so wäre es doch schon an sich wichtig, die Er-scheinungsweise und die Gesetzmäfsigkeiten dieser so eindringlichen „Täu-schungen" zu studieren. Aber wie? Wenn es sich herausstellen sollte,dafs von hier aus experimentelle Ergebnisse vorwärts brächten bezüg-lich des Verständnisses des Bewegungssehens überhaupt Dafs unter diesentechnisch einfachsten Verhältnissen konstitutive Elemente experimentellherausgelöst werden könnten, vielleicht d a s konstitutive Element, dasdem wirklichen, eindringlich gegebenen Sehen von Bewegung zugrundeliegt?

[Dabei mufs das Wort „Täuschung" in einem Sinn gleich hier abge-

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wiesen werden; um Täuschung über den wirklichen physikalischen Sach-verhalt darf es sich hier zunächst nicht handeln ; die Untersuchung mufsdas psychisch Gegebene zu beschreiben und zu erforschen suchen.]

— Wie sich das auch verhalten mag — wirkliche Entscheidung kann,erst der Fortgang bringen — : ich handle im folgenden von Bewegungs-eindrücken, die sich bei Sukzessivexposition zweier ruhender Lagen, beiräumlichem Abstand der Lagen voneinander, ergeben.

Es soll darangegangen werden, unter diesen einfachen und exakt vari-ablen Bedingungen die Erscheinungen und ihre Konstituenten zu studierenund experimentell Bausteine zu theoretischen Entscheidungen zu gewinnen ;in dem Sinne, dafs das Experiment auf vorschreitende spezielle Fragen,die selbst sich am Beobachtungsmaterial ergeben, eindeutige Antwort gebenmöchte ; wenn möglich : das Konstitutive des Eindrucks ah sich experi-mentell herauszulösen.

§ 2. Vor dem Bericht über die Hauptversuche sei in diesemParagraphen noch eine Frage vorangestellt :

Ist durch Darbietung zweier sukzessiv auftretender, durcheinen Abstand räumlich getrennter Lagen der psychische Ein-druck der Bewegung in völlig optimalem Sinn zu erzielen mög-lich ? d. h. ganz im Sinn gesehener Bewegung eines Objekts,das sich von einer Anfangslage in eine andere wirklich bewege '?

In der unten beschriebenen Versuchsanordnung werden wech-selnd , sukzessiv, zwei ruhende Reize bestimmten Abstands inbestimmter Zwischenzeit einerseits, entsprechende wirkliche Be-wegung andererseits dargeboten. In einer Versuchsvariation wirk-liche Bewegung und Sukzessivdarbietung zweier ruhender Lagengleichzeitig, d. i. neben, untereinander statt nacheinander. DieBeobachter, die nicht wufsten, welche von den gegebenen Ex-positionen Expositionen wirklicher Bewegung sein würden, welcheaber blofs Exposition zweier sukzessiver Reize, sollten angeben,was sie sehen ; wo Bewegung gegeben ist ; wo wirkliche Be-wegung vorliegt.

Das Experiment ist übrigens mit Hilfe des Schiebers (z. B.S. 263 Nr. IV) jederzeit auch ohne besondere Hilfsmittel in ein-facher Weise anstellbar.

Ich verwendete hier zunächst einen der bekannten Holz-schieberahmen, die bei Projektionsapparaten dazu dienen, zweiDiapositive aufzunehmen; will man nach Exposition des Diapositivszum zweiten übergehen, so braucht man blofs den Diapositiv-rahmen im Gestell weiterzuschieben. (Es mufs das ein Schiebersein, der glatt läuft, d. h. nicht nebenbei selbstätiges Herausheben

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der Diapositive bewirkt.) Statt eines Diapositivs war in deneinen Rahmen des Schiebers eine Blechscheibe gestellt, in derenMitte ein obiongum (vertikal ca. 3-4 cm, horizontal ca. 7 mm)ausgeschnitten war. An dem äufseren , festen Gestell war einStück Pappe befestigt, das den Rahmen bedeckte und in das zweirecht dünne, etwas kürzere Vertikalschlitze in bestimmtem Ab-stande voneinander (1, 1,5, 2 cm) geschnitten waren; so zwar, dafswenn der Schieberahmen ganz eingeschoben war, das oblongumnur Licht durchliefs für den einen der beiden Schlitze; nur fürden anderen, wenn der Rahmen im Gestell um ein bestimmtesStück (hier im Abstand der Schlitze etwa) herausgeschoben war[s. Schieber-Figur I, S. 262]. An der Stelle der seitlichen Schiene,bis zu welcher der Schieberahmen zu dem Zwecke herausgeschobenwerden mufs, hält man am einfachsten einen Finger fest undhat so die beiden Expositionslagen mechanisch fixiert : die einedurch das Gestell selbst (die Stelle, bis zu der der Rahmen über-haupt beim Einschieben geschoben werden kann), die anderedurch den festhaltenden Finger (der sich natürlich ohneweitersdurch mechanische Widerstände ersetzen läfst).

Den so gearteten Schieberahmen kann man nun in denStrahlengang eines Projektionsapparates stellen.

Die Schlitze müssen schmal sein; dann erreicht man baldbei stofsweisem Bewegen des Schiebers zwischen den beidenfixierten Stellungen, dafs zureichend Momentanerhellung desSchlitzbildes stattfindet, ohne dafs irgend am Bilde gesehen werdenkann, von welcher Seite der Schlitz aufgedeckt wurde, resp. ohnedafs die Richtung der Schiebebewegung erraten werden könnte.[Dafs die Richtung der Aufdeckung nicht konstitutiv wirkt, liefssich übrigens einfach erweisen (s. S. 170)].

Man findet bald bei stofsweisem, rhythmischem Hin- und Herbewegen des Schiebers eine günstige Zeit (t, die Zeit der Auf-

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einanderfolge der beiden Expositionen und a, i9, die Haltepausen= den Expositionszeiten), bei der der Beobachter, bei dauernderoder bei einmaliger Beobachtung, nicht zwei ruhende Projektions-bilder sieht, sondern einen Strich, der sich von der einen Stel-lung in die andere beweg t. (Der manuelle Betrieb genügt beieiniger Übung des Experimentators für dieses Experiment voll-kommen; über die Bestimmung und die Gröfse der Zeiten vgl.§ 3, S. 181).

Man kann in ähnlicher Weise einen wirklich bewegten Schlitz

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projizieren ; am einfachsten wieder so, das man in den zweitenTeil-Rahmen des Schiebers entsprechend der vorhin am festenGestell angebrachten Pappscheibe mit zwei Schlitzen eine solcheScheibe mit einem Schlitz stellt. Man bewegt nun den Schieber(vor dem diesmal keine fixe Scheibe angebracht ist) in ähnlicherArt wie oben von einer fixierten Lage zur anderen und damitden Expositionsschlitz selbst ; wodurch das Schlitzbild im Pro-jektionsfelde in wirklicher Bewegung gegeben ist.

Zur Ermöglichung eines Vergleichs bei simultanem Gegeben-sein beider Arten von Exposition (wirklicher Bewegung und suk-zessiver Reize) diente folgende Anordnung der Expositions- undStrichschlitze : die unbewegliche Pappscheibe, die am äufseren Ge-stell befestigt ist, enthält z. B. in ihrer unteren Hälfte die beidenVertikalschlitze (der Sukzessivexposition), in ihrer oberen Hälfteeinen gröfseren Ausschnitt ; die bewegliche Scheibe (im Schieber)oben einen Strichschlitz, unten das Expositionsoblongum (sieheSchieber Nr. II S. 262) ; so dafs oben ein Strich in wirklicherBewegung exponiert wird, unten sukzessiv die beiden Striche.Analog bei Nebeneinanderstellung usw. (s. Schieber Nr. IV S. 263).

— Man hätte meinen können, dafs das richtungsweise Aufhellender einzelnen Schlitzbilder, das ja hier in der Richtung der ge-sehenen Bewegung erfolgt, zur Erzeugung des Bewegungseindruckeskonstitutiv mitwirke : der erste Strich verschwindet beim Schiebenz. B. von links nach rechts, der zweite wird von links nachrechts aufgehellt, die gesehene Bewegung hat dieselbe Richtung.Nun war — etwa bei Verdeckung des einen Strichs — bei Hin-und Herbewegung des Schiebers am Projektionsbilde nicht zuerraten, von wo die Aufdeckung stattfand, die Erhellung erfolgtesubjektiv momentan. Aber das Bedenken entschied sich prin-zipieller durch eine technische Änderung : man kann die Auf-deckung resp. Schliefsung der Schlitze in entgegengesetzterRichtung erfolgen lassen als die Sukzession der Expositionengeht; auch dann ergibt sich optimale Bewegung; trotzdem dieRichtung des Verschwindens resp. des Erhellens der gesehenenBewegung entgegengesetzt ist. Statt eines Expositionsoblongumsdienten nun zwei; deren Abstand etwas (und zwar um die Gröfseder Schiebeweite) gröfser war als der Abstand der beiden Strich-schlitze voneinander; standen die Strichschlitze in der fixenScheibe (bei 1 mm Breite, 3 cm Länge) z. B. in einem Abstandevon 1 cm voneinander, so waren die entsprechenden, etwas breiteren

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 171

Expositionsoblonga im Schieber in einem Abstande von z. B. 2 cmvoneinander angebracht (s. Fig. III S. 262). [Durch Vergröfserungdieses Abstandes der Expositionsoblonga resp. der Breite der Ex-posionsoblonga ist übrigens hier die Zwischenzeit t zwischen denbeiden Expositionen auch unabhängig von der Geschwindigkeitdes Schiebers variierbar (vgl. Schieber Nr. V S. 263, bei dein.nebeneinander zwei Sukzessivexpositionen verschiedener Zwischen-zeit fungieren).]

Ist der Schieber ganz eingeschoben, so ist in der AnordnungFig. I, S. 262 der linke Schlitz exponiert, der rechte nicht. Istder Schieber mit den Expositionsoblongis um ein Stück nach linksgeschoben (um die Differenz der Abstände), so ist der rechteStrich exponiert, der linke nicht usf. Der linke ist hierbei vonrechts nach links verdunkelt worden, der rechte von rechts nachlinks aufgehellt worden, die Sukzession und die gesehene Be-wegung geht aber von links nach rechts. Es ergab sich optimaleBewegung eines Striches (oft "energischer" „stärker" als bei gleich-gerichteter Aufhellung und Verdeckung).

Schieber Nr. IV, S. 263 vereinigt nebeneinander in gleich-zeitiger Exposition rechts oben im Expositionsfelde wirkliche Be-wegung, links oben, rechts unten Sukzessivreize in gleichgerich-teter, links unten in umgekehrter Aufdeckungsrichtung.

— Auch ohne Verwendung eines Projektionsapparates kannman die Schieberbeobachtungen anstellen; mit dem geschildertenHolzschieberahmen oder einer ähnlichen Schiebervorrichtung (esist technisch vorteilhaft mit kleiner Entfernung zwischen derfixen und der beweglichen Scheibe zu arbeiten; man erreichtso die günstigen Abmessungen 0,5 mm Schlitzbreite, 3 min Ab-stand der Schlitze voneinander am Schieber) oder am ein-fachsten mit dem handlichen Schieber Fig. Nr. VII, S. 263. Manstellt am besten den Schieber im Dunkel so vor sich hin, dafsman die beiden Expositionsschlitze, hinter denen die beweglichegleichdunkle Scheibe ist, nicht sieht. Dahinter, z. B. 50 cm ent-fernt wird eine z. B. weifse Fläche aufgestellt, die von einer seit-lich dazwischen stehenden, nach vorn abgeblendeten Lampe be-leuchtet wird oder, transparent, von hinten Beleuchtung empfängt.Oder der Schieber wird in eine Türe zwischen einem hellen undeinem dunkeln Zimmer gestellt oder am Fenster zum hellenHimmel zugerichtet usw. In je einer der fixierten Stellungen

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172 Max Wertheimer.

des Schiebers ist nun ein Schlitz hell. Der Schieber kann hinterein Diaphragma gestellt werden, das dem Beobachter die Aufsen-bewegungen verdeckt. (Will man sich die Erscheinungen inallereinfachster Weise vorführen, so genügt es den Schieber inder Form Nr. VII einfach gegen den hellen Himmel oder einenLampenschirm zu halten und den beweglichen Teil rhythmischzwischen den fixierten Stellungen hin und her zu stofsen.)

Ich habe hier diese Schieberanordnungen gewählt, da siedas Experiment in einfacher Weise ermöglichen und die Tat-sachen deutlich demonstrieren. [An die manuelle Übung desExperimentators (richtiges Schieben) stellen sie einige Anforde-rungen; für weiteres Experimentieren und für die Möglichkeitexakter Zeiteinstellungen sind sie mit rein mechanischem Betriebzu versehen, was auf verschiedene Art leicht möglich ist.]

Man sucht zuerst eine taugliche rhythmische Geschwindigkeitauf, die sich als Optimum zwischen „unvollkommenen" Ein-drücken bei zu langsamer oder zu schneller Schiebebewegung baldfinden läfst, und läfst dann, im Rhythmus bleibend, die Vp. be-obachten ; resp. während des Auf suchens wird von einem Ge-hilfen der Zutritt der Strahlen zu dem, dem Beobachter sicht-baren Felde verdeckt.

Das Experiment kann auch so gemacht werden, dafs nureinmalige Sukzession stattfindet ; doch ist hierbei Treffen tauglicherExpositionszeiten jedes der Schlitze und der Zwischenzeit zwischen.den Expositionen schwieriger ; aufserdein erfordert die Beobach-tung da Konzentration der Aufmerksamkeit für den Augenblickder Exposition und Übung in tachistoskopisehen Beobachtungen;denn es zeigt sich bald, dafs es selbst bei längerer, sorgfältiger,immer wiederholter Beobachtung eine recht schwierige Aufgabeist, die Eindrücke, die von wirklicher Schlitzbewegung einerseits,von Sukzessionsexposition andererseits herrühren, als verschiedeneunterscheiden zu wollen. Bequemer auch aus inneren Gründen(s. § 7, S. 196) wird es so gemacht, dafs der Beobachter das Dar-gebotene in aller Ruhe beschauen kann : in dauernder Wechsel-exposition, die Hin- und Herbewegung der Streifen zeigt.

Über Abhängigkeiten der gesehenen Bewegung, ihres Zu-standekommens usw. von verschiedenen Faktoren vgl. bezüglichder Zwischenzeit § 3, S. 178f., bezüglich subjektiver FaktorenS 195 und § 11, bezüglich der Verhältnisse bei dauernder Wechsel-

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 173

exposition § 7, S. 196; auch der Abstand der Striche voneinander(vgl. § 3, S. 177 u. a.), die gewählte Helligkeit, die Länge der Ruhe-zeiten resp. der Schlitzexposition (z. B. sehr kurze Schlitzexposi-tionen bei extremer Helligkeit scheinen ungünstig), Verhältnisseder Akkommodation (in ungünstigen Verhältnissen kann einenicht völlig adäquate Akkommodation begünstigend wirken),auch die Gestaltanordnung (vgl. S. 211) können u. U. in Betrachtkommen. Hier, wo es sich überall um prinzipielle, qualitativeErforschung handelt, kam es darauf an, die zur Entscheidungtauglichen Verhältnisse zu treffen, siehe für das vorliegendeExperiment die Gröfsenverhältnisse und die Zeiten S. 181, welchedie in Frage stehenden Probleme entscheiden konnten.

Bei den hier besprochenen „Vexierexperimenten" ist es rat-sam darauf zu achten, dafs Versuchsfehler vermieden werden,weil ja bei der hier vorliegenden Fragestellung das Wissen umdie Anordnung stören kann; ebenso sind möglichst optimaleVerhältnisse der Exposition herzustellen, da, bei der Seltsam-keit mancher speziellen Arten der Phänomene (s. § 7, 9, 16)aus irgend einer qualitativen Verschiedenheit der Tatbestanderschlossen werden kann, bei sehr geübten Beobachtern auch dieEinstellung auf die Frage der Sichtbarkeit eines Objekts im Be-wegungsfelde , was sich als etwas ganz anderes herausstellt(s. § 16) als der Eindruck der hier gesehenen Bewegung selbst,statt auf die Frage der gesehenen Bewegung, u. U. schliefslicheKonstatierung des Unterschieds herbeiführen kann.

Trotz dieser mannigfachen Faktoren erwiesen sich die ge-wählten Versuchsverhältnisse als die tauglichen; erwies sich dasExperiment als grob genug, um bei den Vpn. — es wurde auchUngeübten, auch ohne Projektion vielfach vorgeführt — dasbündige Resultat zu liefern.

Das Resultat war :In den meisten Fällen waren die wirkliche und die „Schein"-

bewegung überhaupt nicht zu unterscheiden; auch nicht für Be-obachter, , die durch die vielfachen tachistoskopischen Experi-mente in schärfster Beobachtung des Gegebenen bei momentanerExposition Monate hindurch geübt waren. In einigen Fällenwurde (nach vielfacher Exposition einer solchen Tafel, nachlanger Beobachtung der Bewegung) schliefslich richtig erkannt,dabei aber nicht etwa das eine als Bewegung, das andere als

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Nichtbewegung bezeichnet, sondern ein qualitativer Unterschiedder gesehenen Bewegungen konstatiert : es war ein anderer Be-wegungseindruck (§ 7) da, oder es wurde ein Unterschied bezüg-lich der Sichtbarkeit des Objekts (s. § 16) konstatiert ; sehr oftkam es zu Aussagen wie „die eine Bewegung unterschied sichdadurch von der anderen, dafs sie so stark, energisch war, es wardie beste Bewegung von allen" und das betraf gerade nicht dieExposition wirklicher Bewegung, sondern die zweier ruhenderReize.

(Wie stark die „Täuschung" ist, ergab sich dabei gelegentlichauch an anderem. Die Lichtstrahlen, die bei der Projektion,wenn man im Dunkeln operiert, vom Projektionsobjektiv zumProjektionsfelde gehen, machen klar vollkommene Hin- und Her-bewegungen wie die Objdkte ; ebenso der kreisförmige Lichtschein,der auf der Objektivlinse bei Expositionen der Schlitze sichtbarist : man mufste sich mehrfach durch ganz langsames Bewegendes Schiebers (so, dafs zuerst der eine Schlitz Licht durchliefs, dannkein Licht durchkam, dann der andere) anschaulich demon-strieren, dafs nicht wirkliche, objektive Bewegung gegeben ward)

Bei allen diesen Anordnungen kann in verschiedener Weisebeobachtet werden. Der Beobachter kann der „Bewegung" mitdem Auge zu folgen suchen oder der Blick kann an bestimmterStelle fixiert sein ; man kann bei Dauerexposition im Hin undHer die Beobachtungsart während der Expositionen wechseln;in allen Fällen wurde gut optimaler Bewegungseindruck erzielt(vgl. § 4).

Analog zeigten sich andersgeartete Bewegungseindrücke, diebei anderer Objektanordnung resultieren : bei Anordnung derSchlitze in Schräglage zueinander (s. Fig. VI, VII S. 263) Winkel-drehungen, Kurvendrehungen (s. Fig. VIII, XI) usw.

— Bezüglich der Schnelligkeit der gesehenen Bewegung seibemerkt : die objektiv vorliegenden Geschwindigkeiten in der Suk-zession der Lagen sind nicht so aufserordentlich schnelle, als manbei den Zeitgröfsen der Sukzession (s. § 3, S. 181) z. B. t= 50 0"

im ersten Augenblick vermuten könnte ; analoge Geschwindig-keiten sind allenthalben beim Sehen wirklicher Bewegungen imLeben gegeben, sie entsprechen denen des rascheren Ganges,nicht Laufens, eines Menschen oder eines im Schritt gehendenPferdes usw. Überdies aber zeigte sich (s. § 7), dafs unter Umständen

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 175

auch viel langsamere Bewegung („kolossal langsame, aber opti-male") erzielt werden kann (vgl. S. 195). 1

§ 3. Ich hatte zunächst vielfache Beobachtungen des Über-gangs zwischen den drei Hauptstadien an einem einfachen.Stroboskop betrieben; bei abnehmenden , zunehmenden Ge-schwindigkeiten und im Herausgreifen besonderer Geschwindig-keiten , mit Variationen : Einführung eines Diaphragmas; Fixa-tion des Blickes, Einstellung der Aufmerksamkeit auf spezielleOrte; bei verschiedenen einfachen Objekten, mit tauglichenVariationen derselben, Anbringen bestimmter dritter Objekte,Verwendung bestimmter Verschiedenheit der Objekte in Form,Farbe, Gröfse, Lage. Diese Beobachtungen führten zu - speziellenResultaten, die sich bei Beobachtungen des H. Dr. W. KöHLER

bestätigten.H. Prof. SCHUMANN hatte die Freundlichkeit, mir zu Unter-

suchungen unter technisch genaueren und exakt mefsbaren Be-dingungen sein bekanntes Tachistoskop mit einer besonderenEinrichtung, die er zum Zweck des Studiums der Wirkungenvon zwei sukzessiven Expositionen getroffen hatte 2, zur Verfügungzu stellen. Die hier vorliegenden Untersuchungen sind im Herbstund Winter 1910 im psychologischen Institute zu Frankfurt a. M.angestellt. Das Folgende ist in erster Linie ein Bericht über diebei den tachistoskopischen Hauptversuchen am ScHumAl.,7NschenTachistoskop erzielten Ergebnisse, die sich dann im wesentlichenauch an anderen Versuchsanordnungen (s. S. 180) beobachtenliefsen.

Die ScHuNANNsche Einrichtung, die auch Herausgreifen einereinmaligen Sukzessivexposition unter exakt mefsbaren Bedingungenermöglicht, besteht in folgendem : knapp hinter der Scheibe desTachistoskoprades, hinter dem Objektiv des Fernrohres, durchdas gesehen wird, ist ein Prisma aufgestellt, das die untere Hälftedes Objektivs deckt, so dafs in die obere Hälfte des Objektivsdie Strahlen gerader Richtung, in die untere Strahlen von der

1 Die scheinbare Schnelligkeit einer derart „vorgetäuschten"Bewegung ist übrigens wohl zu scheiden von der physikalisch-objektiven.Die Faktoren der scheinbaren Schnelligkeit (wie auch der scheinbarenGrüfse und der scheinbaren Entfernung), die hier eine Rolle spielen, sindein besonderes Problem für sich.

2 Vgl. den Hinweis, II. Kongr. zit. 1., S. 218.

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176 Max Wertheimer.

Seite her einfallen ; ein Expositionsschlitz am Rade läfst dieobere Hälfte frei, ein zweiter die untere ; sind die Enfernungenzwischen Objektiv und Prisma gering, so wird bei jeder derbeiden Expositionen die ganze Kreisfläche des jeweiligen Ex-positionsfeldes gesehen. Rotiert das Tachistoskoprad, so erfolgtzuerst die Exposition des einen, dann des anderen Expositions-feldes.

Es erwies sich als ratsam, mit schwarzen Expositionsfeidern,auf denen weifse resp. farbige Objekte (Streifen usw.) angebrachtwaren, zu operieren, um dein Wechsel in der Helligkeit desGesichtsfeldes und dem ev. Mitwirken der Gesichtsfeldumrandungentgegenzuwirken.

Die Länge der Expositionszeiten a, 13 liefs sich durch die Schlitz-länge einerseits, durch die Umdrehungszeit des Rades andererseitsvariieren ; die Länge der Zwischenzeit zwischen den beiden Suk-zessivexpositionen analog durch die Umdrehungszeit und durchdie Entfernung der beiden Expositionsschlitze ; im wesentlichenoperierte ich mit einer Länge der Expositionsschlitze zwischen60 bis 12" des Radumfangs, bei der die Entfernung der beidenvoneinander 3, 6, 12, 16° betrug. Im Verlaufe der Untersuchungergab sich auch näheres Aneinanderrücken, ja Überdecken derSchlitze (s. § 15, 2).

Bei tachistoskopischen Versuchen ist es allgemein rätlich,grofse Geschwindigkeiten der Raddrehung und relativ langeSchlitze zu verwenden, um ein momentanes Auftreten und Ver-schwinden der Exposition zu erzielen ; hier noch aus einemanderen Grunde : langsames Vorüberziehen der Schlitzränder er-zielt besondere, andersartige Scheinbewegungen.

Als reguläre Versuchspersonen stellten sich freundlichst diebeiden Herrn Assistenten des Instituts, Dr. WOLFG. KÖHLER undDr. KOFFKA , nachher auch Frau Dr. KLEIN-KOFFKA zur Ver-fügung.

Vielfach stellte ich dann Experimente, besonders Schieber-versuche unter für die Beobachtung bequemen Umständen auchmit anderen Versuchspersonen an, auch mit in psychologischenBeobachtungen völlig Ungeübten.

Die wesentlichen Versuche waren alle in unwissentlichemVerfahren angestellt ; Ergebnisse der Versuche kamen immer

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 177

erst nachdem die Vp. selbst spontan Ergebnisse geliefert hattezu ihrer Kenntnis.

Eine Häufung von Versuchspersonen erwies sich als nichtnötig, da sich die charakteristischen Erscheinungen überall ein-deutig, spontan und zwangmäfsig ergaben.

Herrn Prof. SCHUMANN, dem ich schon vor Jahren Einfüh-rung und Schulung in tachistoskopischen Experimenten verdanke,habe ich für die liebenswürdige Freistellung der Hilfsmittel desFrankfurter Instituts und sein freundliches Interesse meinenbesten Dank zu sagen; meinen Vpn. für ihre rege Teilnahmeund unermüdliche Ausdauer bestens zu danken.

1-: **

Der objektive Abstand der Expositionsfelder vom Prismabetrug ca. 80 cm ; die beiden Expositionsfelder waren schwarzoder dunkel, jedes seitlich von einer Lampe beleuchtet; die Ob-jekte , wie Streifen usw. s. S. 264 z. B. von 1 X 6 cm, gröfseroder kleiner, in weifser oder anderer Farbe, waren an denExpositionsfeldern angebracht und ihre Lage bei objektiverSimultanexposition (gleichzeitige gemeinsame Schlitzöffnung) ein-gestellt ; durch die Stellung der beiden Lampen wurde gleicheHelligkeit hergestellt. Helligkeit, Form, Gröfse, Abstand der Ob-jekte voneinander (gegenseitige Lage) usw. sind von einigerRelevanz 1 ; so zeigte sich bei kleineren Abständen der Bereich_der Zwischenzeiten t, innerhalb welches der Optimaleindruck er-schien, nach unten und oben wesentlich ausgedehnter als beigröfseren Abständen ; man mufs, wenn man bei solchen z. B.vorn optimalen Bewegungsstadium ausgehend das Extremstadiumruhiger Simultaneität (durch Verkürzung der t) resp. ruhigerSukzession (durch t-Verlängerung) erreichen will, zu wesentlichgröfseren Verkürzungen resp. Verlängerungen von t greifen alsbei gröfserem Abstande. Entsprechend zeigte sich bei dem hierzueingerichteten Schieber Nr. V S. 263 bei derselben Geschwindig-keit, gleichem t, bei den Objekten gröfseren Abstands, z. B. beimHöhersteigen von optimalen Verhältnissen, schon ein anderesStadium, während bei den Objekten kleineren Abstandes nochdas optimale vorhanden war usw. Auch noch in anderem Sinne‚zeigt sich der Einflufs des Abstands : der geringere von zwei vor-

' Vgl. hierzu MARBE a. a. 0. S. 65, LINKE a. a. 0. S. 494; vgl. hier S. 219..Zeitschrift für Psychologie 61. 12

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178 Max 14Terth,eimer.

halade-nen Abständen von einer Linie aus begünstigt im allge-meinen (s. S. 219) den Bewegungseindruck.

Ich verwendete Abstände von 1, 3, 5 und mehr cm zwischenParallel- und Schrägobjekten, vgl. S. 199.

Unter den gegebenen Umständen führten die Expositionen inder Regel zu optimalen Bewegungseindrücken bei einer Gröfseder Zwischenzeit t (zwischen den beiden Expositionen) von ca. 60 6,-ruhige Simultaneität erschien bei t = ca. 30 u; ruhige Sukzessionin der Gegend von t = 200 u.

Ich führe zur Illustration der zeitlichen Werte einige Tabellenan, wie sie sich bei den drei Hauptbeobachtern, bei ungefährgleicher Übung im Tachistoskopieren und bei eindeutig bestimmterInstruktion — wir werden sehen, dafs anderenfalls verschiedenenFaktoren ein gewisser Einflufs zukommt s. § 9, 11 — ergaben ;bei einigen Versuchen, besonders anfangs, spielten individuelle.Verschiedenheiten s. S. 196 eine Rolle ; im allgemeinen hatten sichbei allen tachistoskopischen Versuchen analoge Zeitwerte ergeben.

Wir werden in § 9 ff. sehen, dafs qualitativ zwischen dendrei Hauptstadien spezielle Phänomene resultierten ; in den folgen-den Tabellen ordnen sich diese zeitlich ein.

[Die Berechnung der Zeitwerte geschieht folgendermafsen z. B.die Schlitzlänge der Exposition a =b betrage 7 Grad des Rad-umfangs ; die Länge des Zwischenraumes zwischen den Expositions-schlitzen 16 Grad ; die Gesamtlänge (Zeit der Gesamtexposition),

360= 30 Grad. Als Teilwerte der Ganzumdrehuno. - ergeben sich

x51,4, 22,5, 12. Ergibt die Messung der Zeitlänge von 20 Um-drehungen im speziellen Fall z. B. 20,4 sec., so entfällt auf dieZeitlänge einer Umdrehung 1020 u, die Gesamtexpositionszeit (g) 85 a,die Expositionszeit je eines Reizes a -= ß 20 u, die Zwischenzeitzwischen den Expositionen von a und b, t = 45 ad

I. Beispiel. Objekte : zwei weifse Streifen auf schwarzemGrunde, von 1,5 mal 8,7 cm ; schräg gegeneinander geneigt imWinkel von 450, im Scheitel sich berührend s. Fig. S. 264 ; derhorizontale Streifen (a) auf dem Expositionsfeld A, der schräge,b, auf dem Expositionsfelde B. Optimales Bewegungstadium er-gab Drehung eines Streifens von der Horizontallage in die Schräg-lage.

Einzelexpositionen von a b in Pausen von ca. 2 Minuten (vgl.§ 7). Einheitliche Beobachtungsumstände : Fixation und Auf-

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 179

merksamkeitspostierung (s. § 11) am gemeinsamen Scheitelpunkt;durch vorlaufende Vorexpositionen von a allein (s. S. 205) fest-gelegt.

Die Umdrehungszeit stufenweise verändert und in den2-Minuten-Pausen gemessen.

Tabelle I.

Vp. I. Ruhige Simultaneität

Duale Ganzbew. § 6

Identität, Drehung, optimal

col. langs, Bew. id. § 7, 5.195

Ruhige Sukzession

Vp. II Ruhige Simultaneität

Identität, Drehung, optimal

Vp. III Ruhig simultan

teilsim. S. 194 unt.

Teilbew. § 7

Duale Ganzdrehung § 6

Ident. Drehung, optimal

11

32 5 5 42

53 7 7 67

59 7 7 73

116 14 14 144

178 22 22 222

36 5 a 46

74 9 9 92

31 8 8 47

40 10 10 60

50 13 13 75

58 15 15 87

62 16 16 93

64 16 16 97

II. Beispiel. Analog I, mit längeren und verschiedenen a,ein kleiner, identischer Kreis auf beiden Feldern im Scheitel.

(Siehe Tabelle II auf S. 180)

Man sieht hier die Stadien in erster Linie von t abhängig(die Werte von t für die optimale Drehung ergeben 59, 45; 74,54, 70; 62, 49, 50 6).1 Die Expositionszeiten a, /3 konnten unterdiesen Bedingungen in hohem Mafse variiert werden, ohnedafs die Bewegungseindrücke hierdurch wesentlich beeinträchtigtwurden. [Von Belang ist, dafs sich gewisse Bewegungserschei-nungen (s. § 7) auch bei zeitlichem Übereinandergreifen derbeiden Expositionen ergaben (s. § 15).]

Alle im folgenden dargestellten Experimente [mit Ausnahme

1 Sie gelten für die hier verwandten Versuchsumstände, vgl. S. 17312*

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180 Max Wertheimer.

von z. B. § 7, S. 195 u. ähnl.] beziehen sich auf g maximal' gleich0,1 sek = 100 a a t) bis g minimal = 40 a (Simultan-stadium) und sind den hier gegebenen Zeitwerten analog.

Tabelle II.

Vp. I Identität, Drehung optimal

Vp. II Ruhig simultan

Ident. Drehung

langsamere Drehung

col. langs. Drehung

Simultaneität § 8

Ident. Drehung

97 fl lan gsamer

Ruhige Sukzession

Vp. III Ruhige Simultaneität

Teilbew. § 7

Ident. Drehung

Teilbew. § 7

Ruhig simultan

Ident. Drehung

33 33 111

17 8 58

28 14 96

31 16 108

67 33 231

6 8 59

9 13 94

11 17 118

19 28 200

15 15 62

20 20 8522 22 93

57 57 20017 9 58

25 12 87

28 14 95

45

33

54

61

131

45

70

90

153

32

45

49

105

32

50

53

Neben den Hauptversuchen am Tachis to skop operierteich mit einer Reihe anderer Versuchsanordnungen ; mit den in§ 2 geschilderten Schie b er v ersuchen , in ihren verschiedenenVariationen vgl. S. 262 f., mit und ohne Projektion ; mit einer An-ordnungnach Art eines Brennpunkttachistoskops; mit einemzu Demonstrationszwecken bequemen S eh atten v ersuch 2; für

1 Es kam technisch darauf an (s. § 4) unter solchen Bedingungen zuoperieren, dafs die Expositionsgesamtzeit bei den wesentlichen Versuchen1000 nicht überschreite; dafs andererseits die Reize gute Wahrnehmung er-gaben; schliefslich aus äufseren Gründen: dafs die Umdrehungsgeschwindig-keit des Tachistoskoprades nicht so schnell würde, dafs das Herausgreifender einmaligen Exposition der beiden Sukzessivreize unsicher oder unmög-lich würde; was alles durch die obigen Bedingungen ermöglicht war.

2 Der Schattenversuch in primitivster Form, nicht völlig exakt wegeneines Helligkeitswechsels, wird derart angestellt, dafs von zwei elektrischenLampen aus von eine m (oder zwei) stehenden 8täb e 11 zwei Schatten

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 181

Serienexpositionen aufser mit einem gewöhnlichen Strobo-sk op und symmetrischer Schlitzanordnung am ScHumANNschenTachistoskop mit einer Kombination von Tachistoskopmit rotierender Kymographentroimmel (s. S. 229) oderSpeichenkreisel s. S. 231 oder der bekannten Spirale s. S. 232 ,schliefslich einem Kin emato gr aphen, für haploskopischeZwecke mit einer Dopp elr öhr en an o r dnun g am Tachisto-skop (s. § 15) und einer für Demonstrationszwecke bequemenSpiegelanordnung usw. vgl. S. 221.

Auch bei den Schieberexperimenten waren die Zeiten, selbstbei dem vorläufigen manuellen Betrieb, annähernd mefsbar ; einleichter Kymographenschreiber, an dem beweglichen Teile desSchiebers S. 263 befestigt, zeichnete parallel mit einem JAQUET-

sehen Zeitschreiber auf einer rotierenden Kymographentrommeldie Bewegungen des Schiebers. In der entstehenden Kurve ent-sprachen die schrägen Teile den Bewegungszeiten und zeigten dieDauer von t plus den, bei engen Schlitzen sehr kleinen Zeitteilen,innerhalb deren während des Anfangs der Schieberbewegung anoch sichtbar blieb, während ihres Endes b schon sichtbar wurde.Bei dem Vexierversuch § 2, Fig. IV ergab sich so (optimal): a = L3----- + 0,3 Sek., die Bewegungszeit = 0,07, t also etwas kleiner,bei der Objektschlitzbreite von je 0,5 mm und dem Abstandeder Schlitze voneinander .--- 3 mm t approximativ etwas über 50 a.

§ 4. Man könnte vermuten, dafs hier überall Augenbewe-gungen vor sich gingen und die Erscheinungen fundierten.

Dem Auge werden nacheinander zwei Objekte verschiedenen.Ortes geboten; das Auge sucht sie, das Auffällige, das zu Be-obachtende , im Zentrum deutlichsten Sehens zu erfassen; sofände ein Hinübergehen des Auges aus der Fixationsstellung aufdas erste zu der auf das zweite Objekt statt ; und man könntevermuten, dafs diese Augenbewegung für das Zustandekommen

in einem Abstande voneinander geworfen werden (von vorn auf eine weifseWand, oder auf der rückwärtigen Seite einer Milchglasplatte oder einesgespannten Papiers) und nun rhythmisch abwechselnd die eine und dieandere Lampe durch einen Wechselkontakt erleuchtet und verdunkelt wird;man sieht im Optimalstadium Hin- und Herwandern eines Schattens ; ver-schiedene Anordnung der Schattenlagen und -stärken ergibt mannigfacheVariationsmöglichkeit; auch einmalige Sukzession von a b ist erzielbar.

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182 Max Wertheimer.

der geschilderten Bewegungseindrücke notwendig und konsti-tutiv sei.

Findet nun tatsächlich diese Augenbewegung statt?

1. Die tachistoskopischen Expositionen waren so eingerichtet,dafs die Gesamtexpositionszeit (= Expositionszeit a des erstenObjekts + der Zwischenzeit t + der Expositionszeit ,3 des zweiten.Objekts) in der Regel kürzer als eine Zehntelsekunde war, maxi-mal diese erreichte. Bei solcher Zeitlänge scheinen Augenbewe-gungsreaktionen ausgeschlossen : solche kämen nach den vor-liegenden Untersuchungen über die Minimalzeiten von Augen-bewegungsreaktionen erst bei ca. 130 a in Betracht.1 Die be-treffenden Konstatierungen beziehen sich nicht direkt auf solcheBewegungsexperimente ; eingehende Untersuchungen bezüglichder Verhältnisse beim Sehen solcher Bewegungen stehen nochaus (vgl. übrigens den Befund von DODGE a. a. 0. S. 341,demzufolge sich beim Sehen von Pendelbewegungen als Reaktions-zeit für die Augenbewegungen Mindestwerte von 130 u ergaben).

2. Gibt man die Aufgabe, einen Fixationspunkt festzuhalten(wobei bei den tachistoskopisch en Versuchen die Augenstellungin vorhergehenden Vorexpositionen blofs eines Objekts in be-stimmter Stellung fixiert wurde), so scheint es zunächst manchmal,als ob der Fixationspunkt durch die folgende Sukzessivexpositionbeider Objekte verschoben würde : man hatte anfangs den ge-wünschten Punkt fest fixiert, etwa bei Sukzessivexposition vonSchenkellagen das obere Ende des Vertikalschenkels ; nach derGesamtexposition, nach der Drehung des Schenkels war man mitder Fixation anderswo, „die Fixation war hinübergerissen worden",es war schliefslich ein Ort der Horizontalen fixiert oder ein Ortnahe über ihr.

Es zeigte sich aber bald ; der Fixationspunkt kann ruhig fest-gehalten werden (es wird dauernd ein bestimmter Ort fixiert) 2,

es resultierten, ebenso wie ohne die Aufgabe der festen Fixation,die optischen Bewegungseindrücke.

Vgl. ERDMANN-DODGE , Psychologische Untersuchungen über dasLesen, Halle, 1898. S. 116 ff. — DODGE , Eine exp. Studie der visuellenFixation, Zeitschr. f. Psychol. 52 I, S. 335 u. a. 1909.

2 Minimale Schwankungen („Fixationsfeld") würden keinen genügendenBoden zur Erklärung geben.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 183

Objekte, Formen, Abstände resp. Winkelgröfsen wurdenauch bei diesen Versuchen in verschiedener Weise variiert, es wurdenverschiedene Orte für die Fixation gewählt und bei den tachisto-skopischen Versuchen durch -Vorexpositionen eines Objekts ge-festigt : ein Punkt beiden Objekten gemeinsam (bei den Schenkel-anordnungen der Scheitel), ein Punkt eines der beiden Objekteoder ein Ort aufserhalb der beiden : im Bewegungsfelde oderaufserhalb desselben, seitwärts von den Objekten, über, unterihnen.

In einfacher Weise klar ist das Verhalten bei Serienexposition,in Schieber- resp. Schieberprojektionsversuchen; man hat irgend-einen bestimmten Ort des Projektionsfeldes ruhig in Fixation,über ihn hinweg, seitwärts von ihm usw. spielt sich die geseheneBewegung ab.

3. Dasselbe ergab Prüfung mittels eines Nachbil d.e s.Vor der Beobachtung wurde durch Fixieren einer stark

leuchtenden Glühfadenfigur einer Lampe oder durch Fixiereneines kleinen leuchtenden Kreuzes in verdunkeltem Zimmer einstarkes Nachbild erzeugt. Der Beobachter fixierte nun, das Nach-bild im Auge, einen bestimmten Ort im Expositionsfelde, wodurchauf diesem Orte das Nachbild erschien. Auch hier wurde mit ver-schiedenen Objekten und verschiedenen Fixationsorten operiert.(Bei z. B., wo das Quadrat im Scheitel in beiden

Expositionen (identisch) gegeben war, wurdedas Kreuz des Nachbildes auf dieses Quadrat

LIIa=b b sition war das Quadrat (resp. dieses mit dein

Vertikal- oder Horizontalstreifen) mehrmals exponiert.)Das Resultat war das gleiche ; das Nachbild blieb ruhig an

seinem Orte ; die optischen Bewegungseindrücke waren dieselben.Das analoge wie hier bei Darbietungen im Stadium optimaler

Bewegung ergab sich auch bei anders qualifizierten Eindrücken(§§ 7, 11, 15) und anderen Anordnungen.

4. Der visuelle Eindruck eines kurze Zeit exponierten Objektsdauert über die Expositionszeit hinaus.' Im allgemeinen dauerte beiden vorliegenden Sukzessivexpositionen der erste Eindruck nichtüber das Erscheinen des zweiten hinaus an (vgl. hierzu § 15);

Vgl. SCHUMANN, I. Kongrefs f. exp. Psychol. Leipzig, 1904. S. 35.

r projiziert und erschien la . In Vorexpo-

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in einzelnen Fällen war aber nach der Gesamtexposition, nachder gesehenen Bewegung das Nachbild des ersten Reizes nochvorhanden ; oder kurz nach der Bewegung, zugleich mit dem deszweiten aufgetreten. Hier, wo die Bewegung gesehen war, istes nun wichtig, in welcher Lage dann das Nachbild des erstenReizes erschien? Es behielt seine richtige resp. erschien in der-selben Lage wie zuerst. So z. B. bei Exposition zweier Streifenin rechtem Winkel, a die Vertikale, b die Horizontale : „Drehungeines Streifens aus vertikaler in horizontale Lage, optimal, gleichdarauf ein blasseres Nachbild des ganzen ruhenden Winkels anselber Stelle". Oder in anderem Stadieneindruck vgl. § 9 derschräge Streifen a „hatte sich zum Horizontalen zu bewegt, un-mittelbar nachher lag auch der schräge Streifen wieder darüber,an seinem Orte, blasser als vorher, aber deutlich".

5. Eine Prüfung bezüglich der Frage der Augenbewegungenergab schliefslich noch die Verwendung gleichzeitig mehre-r e r Sukzessivexpositionen.

a, und a, der ersten Exposition angehörig, bi unda'

b, der zweiten ; die Exposition ergab zwei ent-

gegengesetzte gleichzeitige Bewegungen (analog bei Ver-

schiedenartigkeit der Formen und Variation der Lagen). Esliefsen sich ferner zwei entgegengesetzte gleichzeitigeBewegungen im selben Bewegungsfelde erzielen s. Fig. XXIIIS. 265 bei tachistoskopischer, einmaliger (oder mehrmaliger) Ex-position, analog vgl. Schieber N. XIV, S. 263; und es zeigte sichbald : man kann mehrere, drei, vier, verschieden derichtete,disparate Bewegungseindrücke zu gleicher Zeit erzielen und eineGrenze scheint nur durch die Enge des Bewufstseins resp. des Auf-merksamkeitsbereiches gegeben; so ergaben sich (z. B. Fig. XXIS. 265) drei, ja vier deutliche Bewegungen zugleich; und ähnlichbei anderen Versuchen in verschiedenen Variationen. [Nicht etwanur bei Einübung an den betreffenden Objekten, sondern auch beierstmaliger Exposition, in völlig unwissentlichem Verfahren ; wennauch zu mehrfacher disparater, klarer Bewegung in so kurzerGesamtexpositionszeit vorgängige Übung im Sinn der Weitungdes Erfassensbereiches bei manchen Vp. erforderlich ist, die abernicht bei denselben Anordnungen vorgenommen wurde. So er-gab auch bei allen Vpn. erstmalige überraschende Verwendung

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 185

dreier wirklicher, komplizierter Objekte (Exposition z. B. eineskleinen Käfigs, einer Pflanze und eines Traubenstücks zusammenin verschiedenen Sukzessivlagen) sofort die drei gleichzeitigenBewegungen in klarer Weise.]

Wollte man diese Bewegungseindrücke durch Augenbewegungerklären, so müfste man hier mehrere, disparate, ja entgegen-gesetzte Augenbewegungen annehmen.

(Auch bei Annahme blofser sog. „Augenbewegungsinner-vationen", oder „Augenbewegungserinnerungen" wäre man hierin die Notwendigkeit versetzt, mehrere, ja kontradiktorische alsgleichzeitig wirksam anzunehmen).

Und schliefslich sei an kinematographische Bilder und andas Sehen wirklicher Bewegungen erinnert : wie komplizierte und.auch gleichzeitig in verschiedener Weise vor sich gehende Be-wegungen man sehen kann und was für Zumutungen sich dafür die Augenbewegungen resp. „Innervationen" ergeben würden.

Die Tatsache, dafs die Bewegungserscheinung zwischen denbeiden Reizen bei ruhig fixierendem Auge vorhanden ist, schliefst,bei dem gegebenen räumlichen Abstande der beiden Objekte,auch die konstitutive Fundierung dieser Bewegungserscheinung indein Abstandsfelde durch blofse Vorgänge des Ab- und An-klingens der Erregung in den beiden gereizten Netzhautstellenselbst, aus. (Solche Vorgänge des An- und Abklingens könnenin Betracht kommen bei benachbarter Lage der beiden Netz-hautstellen, wenn sich nämlich die aufeinanderfolgenden Phasen-bilder überdecken 1 ; hier wird die Erscheinung im Abstandsfeldezwischen den beiden Objektlagen gesehen.)

§ 5. Der Sachverhalt ist :Gegeben sind sukzessiv zwei Objekte als Reize 2 ; diese werden

empfunden ; zuerst wird a gesehen, zuletzt b 3 ; zwischen ihnen

1 Vgl. hierzu MARBE, Theorie der kinematographischen Projektionen,Leipzig 1910, S. 64.

2 Bei den tachistoskopischen Versuchen war wesentliche Veränderung be-züglich der Helligkeit des Gesichtsfeldes resp. der Begrenzung des Gesichts-feldes durch Schwärze der Expositionsfelder vermieden bei den Schieber-und Schieberprojektionsbeobachtungen blieb das Gesichtsfeld, von den beiden.„Reizen" abgesehen, dauernd gleich so kann von zwei Einzelreizen ge-sprochen werden.

3 Vgl. jedoch § 12.

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war die „Bewegung von a nach b gesehen" ; ohne dafs die ent-sprechende Bewegung resp. die raum-zeit-kontinuierlichen Zwischen-lagen zwischen a und b wirklich als Reize exponiert gewesenwären.

Der psychische Sachverhalt sei — ohne irgendeine Preklizmit a q b bezeichnet (vgl. jedoch § 12); cp bezeichnet, was aufserden Wahrnehmungen von a und b da ist, was zwischen a und b,in den Zwischenraum zwischen a und b vor sich geht ; was zua und b hinzukommt.

Im Sinne der 5. 162 angeführten Betrachtungen wären zweiThesen gegeben; und wie immer man das Sehen von Bewegungenauffafste , im Sinn aller vorliegenden Theorien (vgl. § 20), istmindestens eine der beiden sachlich erfordert, wenn auch inentsprechend verschiedener Fassung und Richtung.

i. fp ist etwas, a und b einheitlich betreffendes, sich aufihnen aufbauendes, sie beide fassendes und verbindendes.

II. Der phänomenale Inhalt von p ist durch subjektive Er-gänzung (oder auf Grund subjektiver Ergänzung) der objektivnicht vorhandenen raum-, zeitkontinuierlichen Zwischenlagen ge-geben.

Man müfste demnach sagen : (p ist eine Angelegenheit, dieschlechthin a un d b, und zwar ein h eit ii c h betrifft, einheitlichverbindet; und a und b müssen als notwendige, als dieirgend fundierenden, tragenden Inhalte für (f) gedacht werdenendlich : (f) entsteht, indem zwischen den Lagen a und b dieZwischenlagen subjektiv ergänzt werden.

Die Beobachtung der Erscheinungen wies aber in andereRichtung. Der Fortgang ergab immer klarer, dafs hier ein ein-dringlich gegebenes Spezifisches vorliegen müsse ; und führteschrittweise zu Versuchen, an der als notwendig erscheinendenabsoluten Verkettung a p b zu rütteln.

§ 6. Der optimale Bewegungseindruck zeigte ein Identischessich Bewegendes ; ein Objekt, das sich bewegt, dreht ; bei Dauer-beobachtung in Serienexposition (a babab.. .) : ein Objekt,das sich hin und her bewegt, sich hinüber und herüber dreht.

[Selbst bei einiger Verschiedenheit von a und b kommt eszu solcher Identität; es tritt dann „Veränderung" hinzu : in opti-

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malern Bewegungstadium verändert sich da das eine, sich be-wegende Objekt. Zum Beispiel: als a ein längerer Streifen links,als b ein kürzerer rechts gegeben ; es wird ein Strich gesehen, dersich von links nach rechts bewegt und sich verkürzt (dabei ergab

sich öfters geradezu eine spezifische Bewegungskurve ).

Oder bei Verwendung verschieden gefärbter Objekte z. B. einroter Streifen der sich abwärts bewegte und als blauer anlangte ;bei Serienexposition ein Streifen, der sich hin und her bewegteund seine Farbe dabei im Wechsel änderte. — In gewissem Sinnegehören auch hierher Experimente mit Kurvenanordnungen(tachistoskopisch analog den Schiebern Nr. VIII, IX, X, S. 263) beidenen ein Strich erschien, der sich hinüber bewegt und sich insich biegt.]

Nebenbei : Dieser klar und zwingend im Erlebnis gegebeneEindruck eines Identischen 2 ist - ohne jedes Präjudiz — zuunterscheiden von einer Vermutung oder Überzeugung, es mitnur einem Dinge zu tun zu haben, die ev. neben dem Erlebnisvorhanden sein kann. Der Eindruck ist ein anderer als : ich sehe a,ich sehe b, ich behaupte (mit Sicherheit), es sei (imgrunde) dasselbeDing gewesen. Ähnlich wie die gesehene Bewegung etwas phä-nomenales ist, etwas absolut anderes, als ein „jetzt da" „jetztdort" mit der Überzeugung, dafs es hinübergegangen sein müsse,so ist auch der Eindruck der Identität von a und b bei optimalerBewegung deutlich etwas anderes, als ein „da, dort ein gleiches,das dasselbe sein mufs". Solche Fälle gibt es; der scharfen Be-obachtung sind solche Fälle auch unter ungünstigen Umständenbald klar charakterisiert : die Frage der Identität ist da demwirklich Erlebten gleichgültig; dem Gesehenen widerspricht esnicht, das Entgegengesetzte bei Überzeugung durch Gründe etwaanzunehmen und zu erleben; die Antwort, die eventuelle Statui-rung, es sei in b das Identische gegeben, fliefst nicht direkt ausdem Erlebnis. Das kann der Beobachter wohl unterscheiden ;auch unter Umständen, die der Identitätsannahme sehr günstigsind, z. B. einem, wie man weifs, realiter nur singulär vorhandenenGegenstande ; aber im Gegenteil: bei den regulären Versuchen

' Dieses unter Umständen mit besonderem Tiefeneffekt; vgl. auchS. 262, Anm. 1.

Vgl. hierzu LINKE a. a. 0. S. 476f.

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188 Max Wertheinzer.

wursten die Beobachter überall, als es sich um Sukzessiv-expositionen zweier verschiedener Objekte handle und dazu :dem Beobachter wurden die Sukzessivexpositionen in ver-schiedensten, längeren und kürzeren Zwischenzeiten (t) gegeben(s. § 7, 9), verschiedene duale Eindrücke traten auf (s. § 7 f.),nur in gewissem Bereiche der t, mit relativ eng umrissener,Grenzen, trat — und dies ganz klar und zwingend — der Ein-druck des Identischen auf. Zwingend : in solchem Falle unmög-lich zu ändern, um-zu-vermuten. Selbst dann, wenn a und b inFarbe oder Form deutlich verschieden war — was ja demUrteil (nicht-identisch) zuhilfe käme wobei dann im optimalen_Bewegungseindruck nur das Datum der V eränder un g hinzu-kam. —

Das waren zwei Momente des Eindrucks : Bewegung undIdentität (a identisch mit b). Gehören diese beiden Momentekonstitutiv zusammen ? Sind sie notwendig verknüpft ?

Theoretisch könnte man erwarten, dars das Identischerscheinennotwendige Vorbedingung für den Eindruck der Bewegung seioder auch umgekehrt, dars das Moment der Bewegung not-wendig den Eindruck der Identität mit sich bringe.

Es ergibt sich die experimentelle Frage : ist es möglich, diesezwei Momente zu trennen? Ist, wo hier Bewegung gesehen wird,notwendig überall auch das Moment der Identität (a =-- b) ge-geben? Treten die beiden Momente notwendig zusammen auf,verschwinden sie, konstitutiv zusammengehörig, überall zusammen,beim Übergange etwa vom optimalen Bewegungstadium zumStadium der simultanen Ruhe ?

Operiert man an der Grenze des Bereichs der optimalen t, in-dem man diese, z. B. etwas verkürzt, so ergeben sich bald Eindrücke,bei denen die Bewegung wohl klar da ist, nicht aberdie Identität von a und b. Man sieht die Bewegung, abera und b sind zwei Dinge. Verändert man t in kleinen Stufenvom optimalen t aus, so ergibt sich — die Beobachtung schärftsich bald im Erfassen der charakteristischen Eindrücke zwischen

1 Dafs das Identischerscheinen für die Erklärung stroboskopischerErscheinungen wesentlich sei wurde von LINKE behauptet und von MARBEbestritten (Vgl. 11. Kongr. f. exp. Psych. a. a. 0. S. 216, 218, s. auch hierS. 238).

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 189

den Hauptstadien —, dafs der Eindruck der Identität z uerstverschwindet 1, der Bewegungseindruck aber zunächst nochbleibt. Analog tritt beim umgekehrten Vorgehen vom Simultan-stadium in der Richtung zum optimalen Bewegung zuerst auf,Bewegung in Identität von a und b erst späte r. An der Grenzeder Identitätszone selbst scheint sie oft „irgendwie vorhanden,unsicher oder noch mit einem Reste von Zweiheit". Ebenso er-gaben sich beim Operiezen mit einzelnen herausgegriffenensolchen t (in einmaliger Exposition von a b, wie auch in Dauer-beobachtung bei mehrfacher Exposition) mannigfach Fälle, woIdentität von a b keineswegs da war, wohl aber Bewegung.

Das zeigte sich so bei verschiedenartigen Objektanord-nungen; analog bei Verwendung von zwei verschieden gefärbtenoder geformten Objekten, bei denen sich diese Erscheinung klarunterschied von dem Eindruck des Optimalstadiums, bei demsich „ein Identisches verändert" : hier wurde dann Bewegunggesehen, aber a und b waren zwei, auch qualitativ ungleicheObjekte.

Im Grenzstadium der Identität selbst spielt die Aufmerksam-keitsstellung eine Rolle, vgl. S. 207, 211.

Aber noch weit krasser speziell determinierte Fälle vonklarer Dualität des a und b bei deutlich vorhandenen Bewegungenwerden sich zeigen.

Anmerkung. Zu dein oben von dem Identitätseindruck Ge-sagten sei noch Folgendes bemerkt. Abgesehen von den speziellenErfahrungen könnte es nahe liegen, sich den Vorgang etwa inder Weise zu denken, dafs irgendwie die „Identitätsvermutung"auftritt und diese erst die „Annahme" der Bewegung hervorbringt :ich sehe z. B. einen weifsen Strich von bestimmter Gröfse undForm, allein im Gesichtsfeld; dann wieder einen solchen in etwasanderer Lage, wieder allein : der Schlufs liegt sehr nahe, es seiderselbe gewesen in zwei verschiedenen Lagen und folglich : erhabe sich von der ersten Lage in die zweite bewegt. Ähnlicheskönnte schliefslich auch der Fall sein bei einiger Verschieden-heit der zwei Sehobjekte in Form, Farbe, Gröfse ; es käme nurdazu, dafs es sich inzwischen auch noch gewandelt haben inüfste.

Solche Fälle sind denkbar; in denen nichts als dies vor-

Vgl. § 7 ; beschränkend S. 194, Anm. 1; S. 214.

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handen ist : a und b gesehen wurden, und man infolge solcherVermutungen" eventuell auch fälschlich annehmen könnte, die

Bewegung gesehen zu haben. Gegen solche Zurechtlegung derPhänomene sind aber hier — auch abgesehen vom klaren Zeugnisdes Erlebnisses selbst — die schon erwähnten diametralen Gegen-instanzen vorhanden, man wufste ja, dafs 2 Reize da waren und sahsie in verschiedenen Erscheinungsweisen (s. § 7); in optimalen Ex-positionsv_erhältnissen trat aber Bewegui4g in Identität zwingend auf;auch längere Betrachtung zeigte sich trotz Wissens günstig für denEindruck (vgl. S. 196) ; — bei all diesen speziellen Beobachtungenwar die Aufmerksamkeit so konzentriert auf das wirklichGesehen e, abseits von dergleichen Vermutungen oder Schlüssen,dafs bei keinem der vielfach wiederholten und modifizierten Ex-perimente der Fall eintrat, dafs Identitätseindruck ent-

stand und zugleich eine Unsicherheit, ein Zweifelda war, ob man Bewegung gesehen habe; auch bei nicht-optimalen Eindrücken nie der Eindruck eintrat, die Objekte seienzwar identisch, ob aber Bewegung gesehen worden sei, sei zweifel-haft oder sie sei sicher nicht gesehen worden ; während sehr oftdas Entgegengesetzte der Fall war : Bewegung wurde gesehen,aber Identität war zweifelhaft oder von einem Identitätseindrucka = b war sicher nichts v o rh an de n. Und : die Fälle Be-wegung mit, Bewegung ohne Identität von a und b traten nichtetwa gesetzlos auf, so dafs etwa einmal eben beide „Täuschungen"eingetreten wären, einmal nur die eine (merkwürdigerweise hiernur die der Bewegung allein), sondern Be w e gung ohneIdentität von a = b zeigte zunächst sich als einSt adieneindr uck , der sich bei etwas kleinerem t als demoptimalen einstellte (etc. s. § 11).

§ 7. Gibt es qualitativ besonders geartete Eindrücke zwischendenen der gesehenen optimalen Bewegung von a nach b und denbeiden der Simultaneität und der Sukzession?

Speziell: was ist bei Übergängen, bei Zeitverhältnissen diezwischen diesen drei ausgezeichneten Stadien liegen, gegeben?

Würde man sich die Antwort blofs konstruieren wollen, soschiene es auch nach den vorliegenden Theorien sicher, dafshier, im Gebiete zwischen den Hauptstadien überall nur etwaVerschlechterung oder Grenzunklarheit der Eindrücke eintretenmöchte ; es würde unsicherer, undeutlicher, uazwingender, , ob

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 191

man es mit Bewegung oder mit Ruhelage der Striche zu tunhabe, bis schliefslich beim Übergehen zum Optimalstadium klareBewegung einträte resp. die Extrem stadien sichere, klare, Ruhe-lage zweier simultaner oder sukzessiver Objekte brächten.

Genauere Beobachtungen der Entwicklung im Übergange vomoptimalen Stadium zu dem der Simultaneität resp. Sukzessionund umgekehrt ; Beobachtungen von ab in einzelner Sukzessiv-exposition in Zwischenzeiten t, die zwischen dein t des Optimal-stadium einerseits, eines der Extremstadien andererseits liegen ;Beobachtungen bei stufenweise fortschreitender Verkleinerung resp.Vergröfserung des t usw. ergaben Eindrücke qualitativ spezi-fischer Art ; als hier wesentlichstes : die Erscheinung der T ei 1-b e wegun g.

Bei allen Beobachtern, auch Ungeübten, denen mehrfachExperimente dieser Art vorgeführt wurden, haben sich die im.folgenden besprochenen spezifischen Erscheinungen spontan ge-zeigt; bei manchen war anfangs das Urteil „schlechtere Bewe-gung", „nicht so schöne Bewegung", „schwer zu beschreiben,nicht so gute Bewegung als vorhin" usw. vorwiegend. Hierliegt wohl auch der Grund, weshalb trotz der mannigfachen inder Literatur vorliegenden stroboskopischen Untersuchungen undtrotz vereinzelter Befunde 1 diese Phänomene nicht die ihnen zu-kommende Beachtung gefunden haben : alles Interesse ist anfangsden in ihrer Art ausgezeichneten drei Hauptstadienphänomenen zugerichtet; Zwischenphänomene werden als „schlechtere" Erschei-nungsweisen aufgefafst, und auch das Seltsame und zunächstschwer zu Beschreibende dieser Zwischenphänomene wirkt indieser Richtung. Aber auch bei den Beobachtern, bei denennicht gleich beim ersten Ma- le sich spezifischeres ergab, führte dieBeobachtung zunächst bald zu Angaben wie „es ist keine sokontinuierliche 2 Bewegung, mehr ruckweise", „es ist eine be-stimmte Art von Bewegung da, mit einem Ruck", „die Bewegunghat eine Art Zweitakt", „es ist keine einheitliche Bewegung" usf.und das Gesehene wurde nun bald in spezielleren Bezügen ein-gehend beschrieben und brachte klare, bestimmte Angaben derArt, wie sie sich bei anderen Vpn. sofort beim ersten Sehen er-geben hatten.

Vgl. FISCHER, Phil. Studien 3, S. 132.

Vgl. LINKE, Psych. Studien 3, S. 522.

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192 Max Wertheimer.

(schematischDie typische Form dualer Teilbewegung zeigte sieh

folgendermafsen : Z. B. im Winkelexperiment (a dieVertikale, b die horizontale Linie) hat sich im Optimal-stadium die Vertikale in die Horizontallage gedreht;bei einem kürzeren t (zwischen dem des Optimal-stadiums und dem des Simultanstadiums) zeigte sichduale Teilbewegung: zwei Linien, die jede für sicheine (kleinere, Teil-)Bewegung vollführen ; man siehteine Linie (a) , mit einer Drehung aus Vertikallageetwas nach rechts z. B. um ca. 30" — und eine andere,die eine Bewegung aus etwa 300 in die Horizontallagezeigt.

Oder die Parallelenanordnung (Fig. XV S. 264) [z. B. a dieobere, b die untere horizontale Linie], die im Optitnalstadium Bewegung einer Linie von der oberen in die untere• Lage zeigte, ergab : jede der zwei Linien macht eine

1 Bewegung für sich : die obere bewegt sich klar ein1 Stück abwärts, die untere ein Stück aus etwas über

der Endlage in diese.Es ist überflüssig, dies hier bezüglich der vielen verschie-

denen benutzten Objektanordnungen noch weiter auszuführen;die entsprechenden dualen Teilbewegungen zeigten überall zweiObjekte, jedes für sich deutlich mit Bewegung, a ein Stück derRichtung nach b hin, b ein Stück der Richtung von a her ; dieRichtung der Teilbewegungen ist durch die Sukzession a b ein-deutig bestimmt.

Hier zeigte sich cp zweiheitlich ; jedes der beiden, a und b,für sich betreffend.

Es ergaben sich verschiedene Grüfsen der Teilbewegungen ;von solchen, die beinahe die Hälften des Abstandsfeldes erfülltenbis zu kleinen, z. B:

1

Wurde t in kleinen Stufen vom optimalen zum Simultan-stadium verkürzt [resp. vom simultanen zum optimalen hinvergröfsert], so zeigte sich oft Teilbewegung kleineren und

1 Anders der Verlauf S. 194, 196, 214.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 193

kleineren [resp. gröfseren und gröfseren] Betrags; war Bewegungvon a zuerst bis nahe zur Mitte des Abstandes a b da, Bewegungbez. b von etwas jenseits der Mitte in seine Endlage, so nahmbei stufenweiser Verkleinerung des t zum Simultanstadium hinder Bewegungsraum der einzelnen Teilbewegungen z. B. etwaein Viertel des Abstands ein, dann noch weniger; die Be-wegungen bei a und b wurden kleiner und kleiner, bis blofsmehr ein „Ruck", ein „Ansatz von a zu einer Bewegung" resp.ein „Ankommen" bezüglich des b vorhanden war, woran sichdann erst die Simultaneität in völliger Ruhelage der beiden Ob-jekte schlofs. Analog beim Vergröfsern der t vom simultanenzum optimalen hin: oft wurden die Teilbewegungen erst gröfserund gröfser, bis zur Erreichung einheitlicher Ganzbewegung.

Analog bei anderen Objektanordnungen.

Duale Teilbewegung zeigte sich auch schön in Fällen mitVerschiedenheit der Färbung oder der Gestalt der Objekte.Z. B. in der Parallelenanordnung Fig. S. 264 a oben, ein roterhorizontaler Streifen von z. B. 6 cm ; b, 4 cm tiefer, ein blaueroder grüner ; der rote Streifen zeigte eine Abwärts-bewegung, ein Stück hinunter von der Anfangslage,.der blaue ein Stück in seine Endlage ; analog beientgegengesetzter Sukzession (bei Exposition b a) derblaue eine Aufwärtsbewegung von z. B. ca. 1 cm,der rote aus einer Gegend von 1 cm unter seinerEndlage in die Endlage. Ebenso bei anderen An-ordnungen ; im Winkelexperiment (z. B. Vertikale arot, Horizontale b blau) Drehung des roten um ca.30 0 von der Vertikallage in den Winkelraum, Drehung.des blauen von ca. 30 0 in die Horizontallage usw.

So auch bei Verschiedenheit der Gestalt z. B., die lange Gerade zeigte Aufwärtsbewegung um ein

Stück, die beiden Quadrate machten für sich eineAufwärtsbewegung in ihre Endlage ; analog wo Farbe und Formverschieden war, usw.

Duale Teilbewegung resultierte in solcher Weise auch inFällen, wo z. B. bei Verschiedenheit der Farbe ein gröfsererräumlicher Abstand der Objekte voneinander gegeben war,

Zeitschrift für Psychologie 61. 13

t 0 b

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194 Max Wertheinter.

als dafs ein optimaler Ganzbewegungseindruck erzielt werdenkonnte. — 1

Auch beim Operieren mit Dauerbeobachtung, beim Über-gange zwischen den Hauptstadien oder bei Serienexposition ababab in herausgegriffenen mittleren t-Verhältnissen hatte sich(vgl. unten die komplizierenden Umstände) die Erscheinung derdualen Teilbewegung ergeben : es wurden zwei Linien gesehen,die dauernd jede für sich kleinere Bewegungen ausführten z. B.bei der Parallelenanordnung zwei parallele Linien, die sich, jedefür sich, auf und ab bewegten. Bei spezieller Anordnung z. B.(ein stumpfer Winkel auf dem einen, ein längerer spitzer auf demanderen Expositionsfeld, die Scheitel oben, übereinander) wurdedie Erscheinung beschrieben als „zwei, die sich auf und nieder-bewegen, als ob sie Männekens machten". — Der Verlauf vonSimultaneität zu Optimalbewegung in Verlängerung der t cha-rakterisierte sich öfters 2 in folgender Weise : „zwei, zugleich,ruhig dann bewegen sich beide immer mehr; sie fassen sich-- und nun ist nur eines da, das sich den ganzen Weg hin undher bewegt."

Dein Faktor der Einstellung kommt, hauptsächlich imZwischenbereiche zwischen den drei Hauptstadien eine gewisse,in manchem Bezug auch quantitativ mefsbare Rolle zu unterEinstellung sei hier in rein technischem Sinne bedingende Wir-kung vorhergehender et-Eindrücke auf nachfolgende verstanden.

War z. B. mehreremal hintereinander (in Pausen zwischenden einzelnen a b-Expositionen von 1 Sek. bis 1 Min. und mehr)bei bestimmten Sukzessivobjekten Bewegung im Optimalstadium

1 Ich erwähne noch ein subjektiv zeitliches Moment : Teilbewegungen(les a und b erscheinen meist als nahezu sukzessiv (zuerst hat a seine Be-wegung gemacht, dann 5), manchmal als nahezu simultan, teilsimultan er-folgend. — Ein zeitliches Moment liefs sich auch im Gebiet der Simul-taneität beobachten; das Auftreten von a und 5 im Gebiete der Simul-taneität mufs nicht immer ein völlig simultanes sein; a 5 sind zwar auchzugleich da, a aber schon etwas früher, 5 etwas später noch. War die Auf-merksamkeit auf diese zeitlichen Momente gerichtet, so konnte das (ineinigen Fällen) dahin wirken, dafs, wenn z. B. bei Teilsimultaneität einmalder Eindruck auftrat, dafs a früher verschwand, dies zu schnellerem Ent-stehen der Bewegungserscheinung, ev. zu Ganzbewegung ohne Übergangüber Teilbewegungen, führte. Vgl. aber § 15, 2.

2 Andererseits vgl. S. 214.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 195

da, so zeigte sich, dafs eine folgende Exposition bei einem etwaskürzeren t, die ohne vorhergehende optimale Expositionen etwanur Teilbewegung erzielt hätte, für Ganzbewegung b eg ü n -s tigt war.

Es ist daher, wie zu erwarten ist, auch nicht völlig gleich-gültig, ob man bei Stadienübergangsbeobachtungen vom Simultan-stadium abwärts in Vergröiserung des t vorschreitet oder ent-gegengesetzt vom optimalen Stadium aufwärts 1 , in letzteremFall erscheint in der Regel der Bereich der optimalen t resp. derGanzbewegung in der Richtung der t-Variation etwas ausgedehnter.Analog beim Abwärtsgehen vom Optimalstadium zum Sukzessiv-stadium im Gegensatze zum Vorgehen von letzterem zum Opti-malen hin. Beim Ausgehen vom Optimalstadium aus ist derBereich des Bewegungseindrucks in Richtung der t-Variation oftbeiderseits weiter; besonders bei stärkerer Einstellung und beiVorschreiten in sehr kleinen Stufenveränderungen des t erweitertsich der Umfang des Optimalbereichs erheblich : man mufs (im.Verhältnis auch zu Expositionen ohne solche einstellende Be-(hngungen) zu sehr erheblichen Verkürzungen resp. Verlänge-rungen des t greifen, um die Endstadien reiner Simultaneitätresp. Sukzession zu erreichen; während beim Ausgehen von denExtremstadien aus der Bereich des optimalen Stadiums vielenger umgrenzt erscheint.

In der Gegend unterhalb des Optimalstadiums tritt bei Ver-längerung der t zum Sukzessivstadium hin die Erscheinunglangsamer, lässiger Bewegung auf: bei t-Zeiten, die beimAufwärtsgehen von Sukzessivstadium aus noch ruhige Sukzessionoder Teilbewegung ergeben, bleibt beim Abwärtsgehen vom Op-timalstadium aus in kleinen Stufenveränderungen des t bis weitherab oft optimal identische, verlangsamte Bewegung „eminentdeutliche, kolossal langsame", „lässige", "träge" Bewegung (vgl.Tab. S. 179).

Eine ähnliche Einstellungswirkung wie hier bezüglich derZeiten zeigt sich bezüglich der Gröfse des räumlichen Abstandsder Objekte voneinander. So zeigte sich im Experimente § 14,S. 219, Fig. XXV S. 265, dafs, während gesetzmäfsig der kleinereAbstand für das Entstehen des Bewegungseindruckes der günstigere

' Vgl. WUNDT, Physiol. Psychol., V. Aufl., Bd. II, S. 582. 1902.13'

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196 Max Wertheimer.

ist 1, durch bestimmte Einstellungswirkung Bewegung entgegen-gesetzt im gröfseren Abstande erzielt wird.

So wirkt schliefslich auch allgemeine Einstellung, dasöftere Sehen der Bewegungseindrücke, dahin, dafs es nachherbei gröfserem Abstande resp. Winkelmafs zu Bewegungssehenkommt, als ohne Vorbereitung; so erwies es sich als zweckmäfsig,bei den Versuchen mit Vp. II mit kleineren Abständen zu be-ginnen ; bevor zu Winkelanordnungen von 900 übergegangenwurde, mit kleineren Winkelgröfsen zu operieren, analog zunächstmit kleineren Abständen bei der Parallelenanordnung usw. Ein-stellung und Übung zeigten sich so von Einflufs. [Wie bei denZeiten hatte sich auch bezüglich der Abstände anfangs einigeindividuelle Verschiedenheit der Vpn. gezeigt, bei Vp. II hattesich optimale Bewegung im ersten Anfang der Versuche nichtimmer, öfter bei kleinerem Abstande und in einem enger um-grenzten Bezirk der t-Zeiten ergeben ; bei den übrigen Beobach-tern war ein solches Beginnen der Versuche mit solchen kleinererAbstände nicht erforderlich.]

Entsprechend den Befunden bezüglich der Einstellung wirktDauerbeobachtung. Beobachtet man nicht in Einzel-expositionen der a b mit gröfseren Pausen, sondern dauernd beiVeränderung von t in kleinen Stufen, so ist der Bereich desOptimalstadiums bei Ausgehen von diesem etwas gröfser ; usf.Dauerbeobachtung bei bleibendem t in der Nähe des Bewegung-stadiums begünstigt in der Regel das Bewegungsehen, die Be-wegung wird besser, eindringlicher, klarer, der Bewegungseindruckintensiver, auch kann so durch Dauerbeobachtung aus einem anfäng-lichen Teilbewegungseindruck ein optimaler Eindruck werden usw.;Dauerbeobachtung im Zwischenbereiche, ganz in der Nähe desSimultan- resp. Sukzessivstadiums kann auf Simultan- resp.Sukzessiv-ruhigwerden wirken 2; bei Übergangsexperimenten inDauerbeobachtung resultiert entsprechend öfters kein, oder keinstabiles Teilbewegungsstadium. Dabei kommen andere kompli-zierende Faktoren in Betracht : es kann bei Dauerbeobachtung ein

1 Vgl. z. B. FISCHER, a. a. 0. S. 147, 149. — LINKE a. a. 0. S. 494.2 Davon zu unterscheiden ist natürlich der Fall, dafs z. B. bei Schieber-

experimenten durch sehr schnell aufeinanderfolgende Expositionen dieUnterbrechungen der einzelnen Reize zu kurz werden und dadurch Bleibenund Simultanruhe erzeugt wird.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 197

Umklappen bezüglich der Aufmerksamkeits- resp. Erfassenslage(vgl. die Sonderwirkungen S. 207, 211) eintreten.

Es ist demnach, da bei Dauerbeobachtung besondere Wir-kungen in Betracht kommen, erforderlich, die Experimentemindestens auch in einmaliger Exposition von a b statt inDauerbeobachtung bei Serienexpositionen 1 zu machen. Die hierbeschriebenen Ergebnisse sind in erster Linie in solchen Einzel-expositionen, mit gröfseren Zwischenpausen zwischen einzelnenExperimenten (2, 3 Minuten und mehr) und unter Berücksichtigungund Variation der Aufeinanderfolge gewonnen. —

Andererseits ist Dauerbeobachtung bei Serienexposition a bab ab . . . bei bleibendem t, in nicht labilen Stadien, wo dieseSonderwirkungen nicht so sehr in Frage kommen, für dieDemonstration und zu bequemer Beobachtung sehr günstig —man kann in solchen Fällen die Hin- und Herbewegung in allerRuhe betrachten.

§ 8. Im Gebiete ganz nahe unter dein Extremstadium derruhenden Simultaneität zeigten sich häufig noch besondere Er-scheinungen, die nicht mehr einen Vorgang innerhalb des Ab-standsfeldes (zwischen a und b) betreffen, sondern blofs die Ob-jekte an sich : „Stampfen", „Innenbewegung", Flackern, Hellig-keitsvorgänge innerhalb der Objekte.

Die beiden Objekte 2 selbst waren bei den Bewegungs-erscheinungen in der Regel (bei genügender Expositionszeit a, ß)in sich selbst ruhig, als in sich simultane Ganze deutlich da-gewesen. Hier nun zeigte sieh im Gegensatze dazu ein Flackern,ein Helligkeitsvorgang, Helligkeitswechsel innerhalb der Objekte ;sei es, dafs ein Streifen (einer oder beide) nicht mehr als in sichsimultanes Ganzes gesehen wurde, sondern z. B. das obere Endeetwas früher und damit ein Helligkeitshinübergang nach unten ;oder die Mitte des Streifens früher als die Enden ; sei es innerhalbder stehenden Kontur, sei es im Aufbau der Gestalt des Streifens

1 Reiner noch als die Serienexposition im Sinne der Folge atbtatb...mit symmetrischer Anordnung der Schlitze am Tachistoskop ist die mehr-fache Exposition von atb Tatb, bei der 7 1, die Zeit zwischen b und arelativ grofs ist, so dafs nur wiederholtes a b erscheint, nicht auch b a da-zwischen ebenso Bewegungswirkungen erzeugt. Doch zeigen sich auch hierschon Einstellungswirkungen. — Vgl. § 14.

Im Optimalstadium der eine Streifen; in 7- ab (vgl. S. 213) der Streifen.

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selbst ; gelegentlich wirkte ähnliches als nicht näher zu definierendesFlackern, in dem Streifen, gelegentlich als Inn enb e w egun gbestimmter Richtung (z. B. bei der Vertikalen der Winkelanord-nung als Vertikalinnenbewegung oder Entstehung ,j,), in Serien-expositionen als „Schlagen" „Stofsen" der Linie, das sich beilängerer Dauerbeobachtung zu einem intensiven Hinauf-herunter-stampfen, einem sukzessiven Hin- und her-stofsen „Stampfenverstärkte. (Analog bezüglich der Horizontalen --->,

Hierfür können zum Teil die bekannten Erscheinungen beitachistoskopischen sehr kurzzeitigen Erkennungsversuchen1Betracht kommen : die partielle Unklarheit, sukzessives Hervor-treten bestimmter Teile, das „Explodieren" 2 von einer bestimmtenStelle aus bei Verwendung eines auslöschenden Reizes 2; all-gemein noch die Erscheinungen bei allgemeinen Postexpositions-experimenten3, bei denen Flächen verschiedener Helligkeit resp.Farbe in kurzen Zwischenzeiten am selben Ort 4 exponiert wurden(wie hier das Weifs, resp. die Farbe des Objekts auf das Schwarzdes Grundes folgt und von ihm wieder abgelöst wird). Damitwäre es auch vereinbar, dafs häufig bei noch weiterer Verkürzungder Zeiten (a, 13, t) bei Erreichung des in sich v öllig ruhigenSimultaneitätsstadiums nichts mehr von diesen Erscheinungenvorhanden war, die Objekte bei den sehr kurzen a (.1 in siehruhig, in geringerer Helligkeit, erschienen.

Die betreffenden Experimente von DoDGE haben das Studiumder Postexpositionserscheinungen in unserem Sinn erst begonnen ;sonderlich wird hier die Frage wichtig sein, wieso es gerade zuder oder jener gesehenen Form der mangelhaften Flächen-gestaltung resp. zu der oder jener Art des Verschwindens undAuftretens kommt, im Hinblick auf die Frage der Aufmerksam-keitsverteilung oder -postierung (vgl. § 11), die auch hier vonqualitativem Einflusse zu sein scheint.

Was uns aber an den Erscheinungen der „Innenbewegung"

Vgl. die diesbez. Literatur (S. SCHUMANNS Sammelreferat, Kongrefs f.exp. Psych. I, 34, II, 153 f.).

2 Daselbst, II, S. 164.3 DODGE, a. a. 0. S. 335f.; in gewissem Sinne auch bei sukzessiver

Helligkeits- und Farbenmischung, obwohl diese auf die hier behandeltenFormtatsachen abgesehen vom „Flimmern" nicht eingehen.

4 Vgl. auch STIGLER , Über den chromophotischen Kontrast, PflügersArchiv, 1910.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 199

hier zunächst interessiert, ist, dafs sie nicht blofs oder nichtdirekt als eine raumzeitlich verlaufende Helligkeitsverteilung oderals ein sukzessives Deutlichwerden oder Auftreten von Objekt-teilen imponieren, sondern als Innen bew egung, als Hinauf-hinunterstofsen usw. Und in dieser Hinsicht zeigten sie Ähnlich-keit mit Experimenten, bei denen zwei Objekte ohne Zwischenraumnebeneinander oder sich teilweis deckend (s. Fig. XVI b c d S. 264),Bewegung in der Sukzessionsrichtung gaben ; oder (z. B. Fig. XVI e,S. 264) Bewegung mit „Wachsen", „sich Ausdehnen" des Ob-jekts.

§ 9. In dem Bereiche zwischen den Hauptstadien zeigte siehnoch eine Erscheinung spezieller Art ; es gelang im Fortgange,dahin wirkende Faktoren experimentell herauszulösen ; aber schonihre Qualität selbst führt theoretisch weiter.

Aus These I (S. 186) würde zu folgern sein, dafs rp eine An-gelegenheit ist, die, a und b (in einem höheren) zusammenfassend,phänomenal a und b betreffen mufs.

rp kann eine Angelegenheit sein, die nur bezüglich eines derbeiden Objekte, a oder b, da ist das andere bleibt, völlig unbe-rührt ruhig; erscheint als, von rp unberührt ., einfach wahr-genommen.

Z. B. in der Winkelanordnung : a, die Vertikallinie, erscheint,bleibt völlig ruhig, b zeigt, für sich, eine Bewegung ; drehtsich z. B. aus der Gegend von 45 0 aus in die Horizontallageoder (vgl. § 16) von etwa 45 ° aus erscheint Bewegung in dieHorizontallage des b. Es zeigt sich da eine Bewegungserscheinung,die phänomenal nicht von a ausgeht, a nicht erfafst, a und dieGegend von a nicht betrifft.

In mannigfacher Variation bezüglich des Bereiches der Be-wegung; es tritt Bewegung auf von der Gegend ganz nahe bei a,oder aus ca. 45 °, 300, 15 in die Endlage, bis zum Extrem : b

hat "eine minimale Bewegung", „zeigt im Hinlegen einen kleinenRuck", „schnappt von oben her in seine Lage ein". Während avöllig unberührt, ruhig da war.

Nicht nur b kann solche Singularbe wegung zeigen ; eskommen auch entgegengesetzte Fälle vor : in denen bezüglich aeine Bewegung sich zeigte — wieder in Verschiedenheit des Be-reiches der Bewegung bis zum Extrem : a zeigt einen Anfangs-

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ruck, einen Ansatz, eine Tendenz zu einer Bewegung; — b istvöllig ruhig gegeben.

All dies analog bei Umkehrung der Expositionsfolge (b a); beider Anordnung von ab in Parallellage ; bei Objektanordnungenverschiedener Art. — Die Bewegungsrichtung ist auch hier immerdurch die Sukzession ab eindeutig bestimmt.

Diese beiden Erscheinungen — Singularbewegung von a,resp. von b — liefsen sich in besonderen Versuchen (s. § 11) inspezieller Weise erzielen.

Solche Bewegungserscheinungen, die nur eines der beidenObjekte betreffen, ohne eine phänomenale Verknüpfung mit demanderen, zeigten sich besonders auch, analog wie oben (S. 193)duale Teilbewegungen, bei Verwendung zweier verschieden ge-färbter oder verschieden geformter Okjekte wiederum auch inFällen, in denen, bei gröfserem räumlichen Abstande der beidenObjekte voneinander, völlig optimale Bewegung nicht entstand.

Ähnlich wie duale Teilbewegung an duale Ganzbewegunggrenzt, wenn der Betrag der Teilbewegungen grofs wird und siesich berühren, grenzt auch Singularbewegung an eine Art dualerGanzbewegung, bei der sieh „ein Strich von der Anfangslagehinüberbewegt, dreht, am Ende lag ein anderer ruhig da",eventuell: „lag der andere da bevor der erste ihn erreichte."Und umgekehrt: „ganz nah vom ersten ruhig bleibenden bewegtsich der andere durch das Feld in seine Endlage" (vgl. § 11,S. 209, wo mit verschiedenen Färbungen operiert wurde).

Die Form, in welcher sich Singularbewegung auch beiDauerbeobachtung von Serienexpositionen am Tachistoskop(atbtatbta) zeigte, war z. B. bei Anordnung zweier parallelerhorizontaler Streifen in einem Abstande übereinander : „der oberetanzt, geht immer ein Stück hinauf und hinunter, der andere,untere, ist ruhig" oder umgekehrt, der untere „tanzte" ; imGegensatz zu dualer Teilbewegung: „beide tanzen". Bei solcherArt von Singularbewegung war diese an das eine Objekt ge-bunden in anderen Fällen zeigte sich z. B. die Singularbewegungdes relativen a: der obere Streifen zeigt kleine Bewegung nachabwärts, der untere nach aufwärts usf.

Es zeigten sich auch (besonders bei verkürzter Expositions-zeit) Singularbewegungen, bei denen das andere, an seinem

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 201

Orte ruhige Objekt in bestimmter Weise angebbare Innenvor-gänge , Innenbewegung (s. § 8) aufwies ; im Winkelexperiment:a z. B. zeigte Bewegung, Drehung in die Gegend von 30 °, b (dieHorizontale) Innenbewegung von rechts nach links zu, oder um-gekehrt; oder Entstehung von der Mitte aus zu den Enden zu.Hierdurch bestätigt sich nebenbei indirekt, was die obigen Er-scheinungen in aller Bestimmtheit direkt zeigten : dafs nämlichbei Singularbewegung nicht etwa blofs ein Nichtwissen darübervorliegt, ob das andere Objekt sich bewegt habe resp. wie esdagewesen sei.

§ 10. Bewegungserscheinungen bezüglich eines Objekts ohnephänomenal gegebenen Bewegungszusaminenhang mit dem zu-gehörigen a- (resp. b-)Objekte ergaben sich auch bei Einführungeines dritten Objektes (c) in eines der beiden Expositionsfelder,am besten in das zweite. Die Einfügung eines dritten Objektes ge-schieht hier zweckmäfsig nach Herstellung des für a b gewünschtenStadiums mit Exposition von a b, zunächst ohne c; eventuelleWirkungen der Überraschung, der Aufmerksamkeitsabsorption(vgl. S. 215) sind bei dem unwissentlichen Verfahren durch Gegen-experimente (s. S. 204) zu kontrollieren ; zu variieren ist die Zeit-folge, die Stellung der Fixation, der Aufmerksamkeit (vgl. § 11)und die hierbei ev. verwendete Vorexposition des einen oder desanderen Expositionsfeldes.

Man kann e so wählen, dafs einfach die Wirkungen zweiergleichzeitiger Sukzessivexpositionen (a : b, a : c) gegeben sind (vgl.hierzu S. 225); indem man z. B. zwei Linien b und c rechts undlinks von einer mittleren Linie a anordnet usf. Derartige Ver-suche, verschiedener Anordnung, zeigten aufser Erscheinungen,wie sie in § 7, § 9, § 13 besprochen werden, die den Ergeb-nissen bei zwei Sukzessivobjekten entsprechenden Erscheinungen.

Man kann als c ein kleineres, andersartiges (anders gefärbtes,geformtes) Objekt verwenden und es an irgendeiner Stelle desExpositionsfeldes postieren : z. B. in das Feld der Bewegung a b(das Abstandsfeld) oder an dessen Peripherie oder seitwärts vomBewegungsfeld oder ganz aufserhalb desselben, vor a, hinter b(s. Fig. XVIII, XIX, S. 265).

Unter Umständen (besonders bei Fixation des Blicks undder Aufmerksamkeit auf solches c) ergab sich Ruhe von c, währenddie Bewegung a b ungestört vor sich ging; oft aber resultierte bei

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Ungestörtheit der Bewegung von ab eine kleine (Teil-)Bewegungvon c, als eine Angelegenheit, die phänomenal nicht a c, sondernnur c für sich allein betraf; c ist phänomenal nicht mit a ver-knüpft : es ist die Bewegung, ev. die optimalidentische Bewegunga b da (diese beiden eng verknüpft), aufserdem, nebenbei, einekleine Bewegung von c.

Bei solchen Experimenten ergaben sich gelegentlich Singular-bewegungen von c, die auf eine dynamische Wirkung von (p aus,statt von a aus deuten könnten : c zeigte nicht Bewegung in derRichtung, die sich aus a c ergibt, sondern z. B. einen kleinenHinaus-Ruck, Hinweg-Ruck aus dem Bewegungsfelde von a 1).

Diese Beobachtungen führten zu der Frage : lassen sich viel-leicht bestimmte Wirkungen eines (p-Vorganges auf eine benach-barte Sukzessivexposition erzielen ? Zwei Parallelstreifen in Ab-stand voneinander, z. B. a der obere, b der untere, wurden in einemStadium zwischen dem optimalen Bewegungsstadium und demSimultanstadium, in „schlechter Bewegung" resp. „dualer Bewe-gung" gegeben ; sodann auf jedes der beiden Exposition sfelderje ein Schenkel (c, cl) einer zu a b geöffneten Winkelanordnungeingefügt (siehe Fig. XXIV S. 265), c, d; so dafs auf dem erstenExpositionsfelde a und c, auf dein zweiten b und el erschienen ;c d, für Bewegung durch den kleineren Abstand der Sukzessiv-objekte resp. die Winkellage (vgl. S. 211) begünstigt, waren unterden Expositionsverhältnissen, die für a b schlechte Bewegung gaben,zu optimalem Bewegungseindruck tauglich. In einer Reihe vonExperimenten war die Aufmerksamkeit, sowohl bei der a b Expo-sition, als auch bei der a c-b c/-Exposition auf die Mitte des Feldeszwischen a b (den beiden parallelen Streifen) gerichtet.

Zeigte a b bei der Allein-Exposition der parallelen Streifenschlechte Bewegung (unvollkommene, duale usw.), so trat bei derExposition acbd in der Regel sofort gute, optimalidentische Be-wegung von a b ein. Dazu kam es auch in einigen Fällen, beidenen bei der Alleinexposition a b fast keine oder keine Bewegungzeigte.

Anmerkung. Es wurde so gewissermafsen ein „totes" in ein „lebendesIntervall" verwandelt. Nenne ich hier, in analogischer Verwendung einesWortes neuerer Musikpsychologie a 9- b ein lebendes Intervall, a b ohne(resp. ohne optimales) 9- ein totes, so besagt das Experiment: durch dasDanebengegebensein des lebenden Intervalls c d kann hier das tote a b (dasin einem t gegeben war, das von selbst noch nicht zu dessen 9-Erzielung

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 203

tauglich war) zu einem „lebenden Intervall" werden resp. ein unvollkommenesin ein vollkommenes verwandelt werden. Man könnte, ohne bei der Ver-s chiedenheit der Gegebenheit irgend präjudizieren zu wollen, etwa anfolgenden musikalischen Fall denken : c (74 ), e('1,), d ( 1 12); f ('14), a (i14), ggibt zweimal ein Motiv ; innerhalb der Motive sind die Intervalle als„lebende" gegeben (das Motiv besteht aus der einheitlichen Bewegung desHinauf des Terzschritts mit dem Hinab der Sekunde); das Intervall caber, des Schlufstons des ersten Motivs und des Anfangstons des wieder-holten Motivs, ist beim unbefangenen Anhören der Melodie nicht ebensophänomenal als Hinübergehen, als lebendiges Intervall, lebendiger Terz-schritt gegeben.

Im Falle einer Begleitung gerade von d f durch f a im Bafs wird dleicht als lebender Intervallschritt imponieren, ja ev. mehr als es bei c eoder f a in den Motiven der Fall war. Und allgemeiner : „tote" Intervallekönnen unter Umständen durch benachbarte lebende Intervalle zu lebendenwerden (auch dann, wenn nicht mit solcher direkter Heraushebung operiertwird wie im obigen Beispiel (Basspausen) und wo nicht die Auffassung desTerzschritts des Simultansextklangs naheliegt).

Diese Andeutungen sollten nur die Ausdrücke „lebendes, totes Inter-vall" und die Umwandlung des einen in das andere in einem analogischenFalle illustrieren; die Erforschung des psychologischen Wesens von Inter-vall schritten, des lebenden Intervallvorgangs , seiner Entstehung undseiner Gesetzmäfsigkeiten ist eine Aufgabe für sich.

Zusammenfassung von a mit c, b mit d (Einheit von a c zuerstb d dann) könnte für die Begünstigung des Bewegungseindruckesin Anspruch genommen werden trotz eines räumlichen Zwischen-raums zwischen a und c, b und d oder trotz desselben Effektsbei Verwendung z. B. zweier Kreise als a und b, Linien als e und d.In manchen Fällen entspräche dem auch die Beobachtung. Inanderen Fällen dagegen war wenigstens phänomenal (unddarum handelt es sich notwendig zuerst) keinerlei Zusammen-fassung vorhanden; ja öfters trat die, ab begünstigende, Wirkungein, obwohl die Vp. über c d selbst nicht im Klaren war (s. § 14):c d nur dunkel oder gar nicht erfafst hatte, im Bewufstsein blofswar : „es war noch irgend etwas da" oder „es ging noch irgendetwas vor sich, was, ist nicht näher zu sagen."

Man könnte ferner vermuten, dafs die Wirkung des c d-Vorgangsauf a überhaupt blofs auf ein Minus der Aufmerksamkeit fürab zurückgehe : die Aufmerksamkeit werde durch das Auchdaseinvon c d, resp. des c d -Vorgangs, teilweise absorbiert und dadurchdas Eintreten von cp für a b erleichtert. Hiergegen spricht aber,dafs es im Gebiete der cp-Phaenomene durchaus nicht so einfachliegt, dafs ein Minus von Aufmerksamkeit etwa schlechthin die

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204 Max Wertheimer.

Bewegungserscheinung begünstige (vgl. § 11). Aufserdem zeigtendirekte Gegenversuche, hei denen die Aufmerksamkeit ebensound mehr (von Nebenobjekten aufser a b) absorbiert wurde, durch-aus nicht eine solche Begünstigung für den a b-Vorgang. (c d inStellungen, die kein c q d ergeben z. B. weiteren Winkelraums ;oder analoger Parallelstellung in Schräge zu a b; oder Anbringungvon mehr als vier Objekten ; oder Verwendung von c d (resp.weiterer e (I) f) anderer Stellung z. B. im analogen Abstand vona b, aber ihm mit dem Scheitel zugekehrt). Es war dann im All-gemeinen a b wohl weniger klar da, nicht aber nun in bessererBewegung als bei der Alleinexposition des a b.

§ 11. Man kann die Aufgabe stellen, bei den Expositionen.einen bestimmten Punkt zu fixieren; man kann ferner die Auf-gabe stellen, die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Ort desExpositionsfeldes zu konzentrieren 1 (das Zentrum der Aufmerk-samkeit auf einen bestimmten Ort richten, auf die Erscheinungenan diesem speziellen Orte von vornherein besonders achten).

Das kann so geschehen, dafs Fixation und Zentrum der Auf-merksamkeit auf einen und denselben Ort gerichtet wird, oder,bei einiger Übung, auch so, dafs der Blick an einem, das Zentrumder Aufmerksamkeit an einem anderen Orte fixiert wird. ImWinkelexperiment wird im ersteren Falle z. B. die Fixation aufden Ort des Scheitels eingestellt und zugleich die Aufmerksam-keit für Erscheinungen im Bereich dieses Ortes dahin konzentriert;im zweiten Falle z. B. zwar der Scheitel fixiert, die Aufmerksam-keit dabei aber anderswohin, z. B. weiter rechts in den Winkel-raum oder auf den Ort des oberen Endes der schrägen Liniegerichtet. Die Instruktion kann die Aufgabe anfangs verdeut-lichen: „fixieren Sie den Scheitel, aber achten Sie besonders dar-auf, was an dein Orte (einige Zentimeter darüber, am Orte) desoberen Endes der schrägen Linie da ist, geschieht, vor sich geht,so dafs Sie darüber genau berichten können." Später : „konzen-trieren Sie Ihre Aufmerksamkeit dauernd fest an dieser Stelle"(vgl. S. 244).

Vgl. S. 166 Anm. 2.2 Blickfixation erfordert i. A. schon selbst eine Beaufsichtigung durch

die willkürliche Aufmerksamkeit, doch war es auch hier gut möglich, aufser-dem die Aufmerksamkeit auf eine andere Stelle des Gesichtsfeldes — jaauf periphere Orte — zu konzentrieren.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 205

Dabei war das gesamte in Betracht kommende Feld nicht sogrofs, dafs die übrigen relevanten Orte etwa, ganz aufmerksamkeits-peripher, nicht mehr deutlich im Bewufstsein gewesen wären(vgl. S. 207, Punkt 2).

Bei den tachistoskopischen Versuchen wurde zuerst ein-, zwei-,dreimal das eine der beiden Objekte (das eine der beiden Exposi-tionsfelder) allein exponiert, bis die Vp. den Fixationspunkt resp.den Ort der Aufmerksamkeit an dein bestimmten Orte des Ex-positionsfeldes festgelegt hatte ; diese Vorexpositionen erfolgtenin Zwischenzeiten je einer Raddrehung des Tachistoskoprades(genau : 360 ° des Radumfanges weniger den Graden des Bereichsder Expositionen s. S. 178), also in der Regel in Zwischenzeiten vonetwa einer Sekunde oder etwas länger. Die Vp. zeigte an, wennes ihr gelungen war, die Fixation und Aufmerksamkeitskonzen-tration auf die bestimmten Orte festzulegen, worauf dann sofortnach der letzten Vorexposition das Kommando „jetzt" die nacheiner Raddrehung folgende Gesamtexposition ankündete.

Aufserd ein wurde bei Dauerbeobachtung von Serienexposi-tionen (atbTatbTa) während der Beobachtung Stellung derFixation resp. Richtung der Aufmerksamkeit variiert.

Zu diesen Versuchen ist einige Übung erforderlich; es wurdemit Leichterem begonnen, und schrittweise zu schwereren Aufgabenübergegangen ; die Postierungen waren nach einiger vorgängigerÜbung bald gut zu erzielen; zunächst Postierungen der Aufmerk-samkeit auf Orte, die durch Objektteile, resp. Merkzeichen besondersausgezeichnet waren, dann auch ohne spezielle Hilfen, auf einebestimmte Gegend des Expositionsfeldes. Im ersteren Falle wurdehier z. B. zunächst ein, beiden Objekten gemeinsamer Ort (Scheitel)oder auch ein drittes Objekt c verwendet, das selbst keine Be-wegung erlitt (s. §. 10); bei einiger Übung, die zuerst an Serien-expositionen vorgenommen wurde, zeigte es sich dann auch gutmöglich, ohne solche Hilfen die Aufmerksamkeit auf bestimmteStellen des Expositionsfelds festzulegen; als Zwischenaufgabe konntehier noch mit nicht absolut homogenem Hintergrund vorgegangenwerden, wodurch örtliche Einstellung erleichtert ward.

Die Experimente erfolgten zumeist so, dafs in bestimmterVersuchsanordnung (bestimmter Objektanordnung und bestimmtenExpositionsverhältnissen) zuerst bei diffuser Aufmerksamkeit resp.ohne Aufgabe einer Postierung der Aufmerksamkeit ein Stadien.-einclruck gegeben wurde (z. B. ein Stadieneindruck nahe über

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206 Max Wertheimer.

dem optimalen, also duale, „schlechtere", Ganzbewegung odergröfsere Teilbewegung), dann mit Aufgaben bezüglich örtlicherRichtung des subjektiven Verhaltens vorgegangen wurde.

Ebenso in Umkehr und in Nachprüfung bei Veränderungder Aufmerksamkeitsstellung während Dauerbeobachtung mehr-fach nacheinander folgender Expositionen usw.

Solche Postierungen der Aufmerksamkeit und Fixation zeigtenhinsichtlich der entstehenden Bewegungseindrücke in gewissemBereiche Wirkungen.

Vorzüglich im Zwischengebiete zwischen den drei Haupt-stadien. Bei richtig optimaler Bewegung, bei nicht allzuweiteinAbstand der Objekte voneinander, zeigte es sich i. A. nichtmöglich, durch irgendwelche örtliche Stellungen der Aufmerksam-keit den optimalen Be wegungs eindruck wesentlich zu tangieren,zu verschlechtern, zu ändern, zu vernichten. (Nahezu wie im.extremen Stadium die Eindrücke ruhiger Simultaneität resp. Suk-zession.) Im Bereiche zwischen dein Stadium völlig optimalerBewegung und dem der völligen Simultaneität (andererseits deinder völlig ruhigen Sukzession) spielte die Stellung der Aufmerk-samkeit eine wesentliche Rolle : gewisse Stellungen der Aufmerk-samkeit können qualitativ bestimmend, den Bewegungseindruckbegünstigend, gewisse entgegengesetzt verschlechternd, ja ver-nichtend wirken.

Man könnte zunächst vermuten : der Bewegungseindruck, alsTäuschung aufgefafst, wird durch solche Stellungen der Auf-merksamkeit, die auf den kritischesten Ort der Täuschung selbstgerichtet, die scharfe Beobachtung des Gegebenen an diesem Orteam meisten begünstigen,- schlechthin benachteiligt werden müssen.

Dem ist nicht so. Es zeigte sich — bei verschiedenstem Vor-gehen, bei verschiedenen Objektanordnungen —, dafs Stellungder Aufmerksamkeit im Abstandsraum (im Zwischen-raum zwischen den Objekten, im Winkelexperiment z. B. in Mittedes Winkelraumes), am zentralen Orte der „Täuschung" also, denBewegungseindruck nicht verschlechterte 1, ja sogar begünstigte.So zwar, dafs z. B. bei Darbietungen in einem Stadium über demoptimalen, wo sich ohne Aufgabe oder bei diffuser Aufmerksam-keit oder spezieller anderer Aufgabe (s. S. 207) ein Bewegungs-

Vgl. S. 211.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 207

eindruck schlechterer Art, z. B. duale Teilbewegung ergab,Stellung der Aufmerksamkeit in den Abstandsraum zwischendie Objekte sehr oft sofort ausgezeichnete optimal-identischeBewegung ergab oder ähnlich aus kleinen Teilbewegungen Ganz-bewegung entstand usw. Dabei blieb die Aufmerksamkeit währendder Gesamtexposition auf diesen Ort konzentriert.'

Stellungen der Aufmerksamkeit auf den Ort des Ende s, denEndteil von a resp. b (im Winkelexperiment; auf ein freiesSchenkelende) zeigten :

1. Sie wirkten benachteiligend, verschlechternd für den zu-standekommenden Bewegungseindruck nicht etwa in dem Sinne,dafs ein unklareres, unsichereres Erlebnis vorlag; sondern : warbei diffuser Aufmerksamkeit oder bei Beobachtung ohne bestimmteAufgabe der Aufmerksamkeitsstellung oder auch bei Stellung derAufmerksamkeit im Abstandsraum ein bestimmter Bewegungs-eindruck vorhanden, so ergab Stellung der Aufmerksamkeitauf das eine Objektende in der Regel einen vom optimalenentfernteren Stadieneindruck : die Bewegung war "schlechter",dualer resp. statt Ganzbewegung nun Teilbewegung da, unterUmständen entstand Ruhe.

2. In einer ganzen Reihe von Fällen zeigte sich aber, dafsTeilbe -wegung eines der beiden Objekte erschien (Singular-bewegung), das andere ruhig, unberührt, blieb — und zwar nichtetwa, dafs nun das weniger beachtete Objekt seine Teilbewegungvollführte, das in konzentrierte Aufmerksamkeit gestellte dagegennun ruhig blieb, sondern vorzugsweise erschien z. B. bei Stellungder Aufmerksamkeit auf das Ende von a Teilbewegung von a;a vollführte eine Bewegung, b blieb deutlich, ruhig (ev. in „Innen-bewegung").

3. Stellung der Aufmerksamkeit in das Bewegungsfeld, inden Abstandsraum, bewirkte in solchen Fällen i. a. dann wiedersofort gute Bewegung; erzielte den gleichen oder einen besserenBewegungsein druck, wie die Beobachtung ohne besondere Stellungder Aufmerksamkeit; beim Winkelexperiment leistete dies ebensowie die Stellung in den Winkelraum die Stellung der Aufmerk-samkeit auf den Scheitel.

4. Ähnliches ergab sich in einigen Fällen, in denen nicht

'Vgl. S. 241.

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208 Max Wertheimer.

mit einer Aufgabe der Aufmerksamkeitsstellung, sondern mitObjektveränderung (in unwissentlich ein Verfahren) vorgegangenwar z. B. Fig. XVII b S. 265 (ein neues, drittes Objekt am Endeder Schrägen b angebracht) brachte den Effekt : "die Horizontaleruhig, die Schräge („kolossal lang !" oder „mit einem neuen Stück")hat sich in ihre Lage ein Stück aufwärts gedreht" oder beieiner Anordnung zweier Streifen in rechtem Winkel (mit demErgebnis identischer Ganzbewegung), ergab, als der Vertikal-streifen in unwissentlichem Verfahren durch eine Quadratreihe(mit Lücken) ersetzt wurde : die vertikale Reihe ! machte einekleine Drehung (Singularbewegung).

5. Stellung der Aufmerksamkeit am Orte der Mitte einesder Schenkel bei den Winkelanordnungen zeigte sich günstigerfür den Bewegungseindruck als die Stellung auf das äufsereEnde änderte z. B. Stellung in Mitte des Schenkels noch nichtsam Bewegungseindruck, so wirkte Stellung ans Ende schon ver-schlechternd und umgekehrt wurde ein Bewegungseindruck, wieer bei Stellung ans Ende resultierte, durch Stellung in die Mitteetwas verbessert. Allgemein schien die Aufmerksamkeitsstellung,je näher sie dein Scheitel zu postiert war resp. je näher sie deinanderen Objekte war, desto günstigere Beeinflussung bezüglichdes Bewegungseindruckes zu ergeben.

6. Solche Postierungen der Aufmerksamkeit auf das Endedes einen Schenkels zeigten auch gelegentlich Verschlechterungendes Bewegungsvorgangs im Sinne einer Verflachung der Be-wegungskurve. Unter Bewegungs(rand)kurve ist hier nicht etwaGestaltung einer subjektiv ergänzten Grenzlinie zu verstehen,sondern die Art der Begrenztheit des aktuellen Bewegungsfeldes :statt der bezüglich ihres Randverlaufes als konvex begrenztebeschreibbaren Drehung erschien eine flachere, mehr geradlinige,

ja konkave. Gelegentlich auch dieses wieder

bei Experimenten, bei denen nicht mit Aufgabe einer A ufmerk-samkeitsstellung, sondern mit Objektveränderung in unwissent-lichem Verfahren vorgegangen wurde, z. B. erschien bei Ersatzdes Vertikalstreifens im Winkelexperimente durch die Quadrat-reihe die Bewegung nun flacher oder konkav.

[Eine andere Kurvenerscheinung noch ergab sich hei dem

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 209

Ersatz des Horizontalstreifens durch eine Quadratreihe (s. Fig. XVIIS. 264): a der Vertikalstreifen und b die horizontale aus vierQuadraten bestehende Quadratreihe hatten gute Volldrehung um90 ° ergeben ; nun wurde die Aufmerksamkeit auf die Vertikale(oberes Drittel) gestellt, und es hatte sich Drehung, aber bis zum

dritten Horizontalquadrat nur gezeigt , die sich bei

nunmehriger Stufenverkürzung von t in immer enger begrenzteBewegung wandelte, Bewegung, die nur zum zweiten, schliefslichzum ersten Quadrat führte.]

7. Es war § 7 erwähnt, wie sich das Phänomen der Teil-bewegung bei Verwendung zweier verschiedener Färbungen derObjekte zeigte ; auch zu Singularbewegungen (§ 9) war es ge-kommen. Analog wie bei den anderen Versuchsanordnungenwurde auch hier mit Aufmerksamkeitsstellungen vorgegangen.

Als a wurde z. B. ein roter horizontaler Streifen (z. B.1,5 mal 7 cm) exponiert, als b ein ebensolcher blauer oder grüneroder weifser Streifen, z. B. 5 cm tiefer liegend, in einem Stadium,das einen Eindruck nahe über dem optimalen darstellte (s. oben§§ 6, 7). Ebenso bei Winkelanordnungen und Schrägstellungender beiden Streifen. Die Aufmerksamkeit wurde nun auf einender beiden Streifen konzentriert, mit Hilfe von Vorexpositionendes einen Streifens allein oder ohne solche Hilfe oder bei Dauer-beobachtung von Serienexpositionen während der Beobachtung.Im allgemeinen so, dafs Fixationspunkt und Ort der Aufmerk-samkeit zusammenfiel, aber auch mit differenter Postierung derbeiden (dieses am leichtesten wieder bei Winkelanordnung undFixation des Scheitels, Richtung der Aufmerksamkeit aber aufeinen der beiden Striche).

Es zeigte sich in der Regel, dafs nun derjenige Streifen,auf dessen Ort die Aufmerksamkeit gerichtet war, eine Bewegungvollführte, der andere von der Bewegung unberührt, ruhig war :z. B. die Aufmerksamkeit war im obigen Experimente auf denunteren, blauen Streifen gestellt worden : „der rote lag ruhig da,von einer Lage etwas unter ihm bewegte sich der blaue klarund deutlich in seine Lage hinunter". Ebenso umgekehrt beiStellung der Aufmerksamkeit auf den roten Streifen: „d er r ote

Zeitschrift für Psychologie 61. 14

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210 Max Wertheimer.

bewegte sich ein Stück abwärts, der blaue trat unten ruhig inseiner Lage auf".

Wieder konnte hier (vgl. § 9) ein verschiedenes Ausmafs derBewegung erscheinen : hatte zunächst (ohne Aufgabe) ein höheresStadium resultiert (z. B. eine kleinere duale Bewegung), so kames hier gelegentlich zu Singularbewegung des betreffendenStreifens in kleinerem Ausmafse ähnlich bei Verkürzung derZwischenzeit t bei bleibender Stellung der Aufmerksamkeit. Warein dem optimalen ganz nahes Stadium gegeben, so kam es ev.zu entsprechender Singularbewegung nahezu über das ganzeFeld, nahe, ja bis zum anderen, ruhig daliegenden Objekte :z. B. „der rote bewegte sich von seiner Anfangslage bis knappzum blauen, der ruhig dalag" und umgekehrt : „der rote bliebruhig, von knapp unter ihm bewegte sich der blaue in seineEndlage hinunter".

Analoges ergab sich bei anderen Anordnungen und auchbei Verwendung verschieden geformter Objekte (z. B. einesKurvenstückes als a, zweier Quadrate als b).

So konnte erzielt werden, dafs in gesetzmäfsiger Weise daseine oder das andere zweier verschieden gefärbter Objekte alsTräger einer Bewegung erschien.

Bei all solchen Experimenten ist natürlich auf die gewähltenExpositionsverhältnisse, resp. auf die Normaleindrücke, in Ver-gleich zu welchen man Wirkungen der Aufmerksamkeitsstellungenprüft, wohl zu achten operiert man z. B. mit wirklich optimalenExpositionsverhältnissen, so braucht es zu keinerlei Wirkung zukommen ebenso wenn starke Einstellung in bestimmtemSinn vorhanden ist (s. S. 194 u. a.) es ist daher auf die Auf-einanderfolge der Experimente wegen der qualitativ bestimmendenNachwirkungen (vgl. 8. 218) wohl Bedacht zu nehmen. Überdies istnaturgemäfs die Konzentration der Aufmerksamkeit nicht immergleich intensiv. Wegen der Einstellungswirkungen und dereventuellen Inkonstanz der Aufmerksamkeit bei längerer Beob-achtung ist- erforderlich, alle Probleme in erster Linie bei ein -maliger Exposition zu prüfen, bei guter Übung der Vpn.in Versuchen einer örtlichen Konzentrierung der Aufmerksamkeit.Schliefslich ist zu beachten, dafs Aufmerksamkeitskonzentrationauf einen bestimmten Ort oder Bereich etwas anderes ist alsz. B. Herausfassen, subjektives Hervorheben der Abstands figu r

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 211

oder der Objekt k ontur ; die Einstellung auf das Konturerfassen,-herausheben scheint bei schlechthin optimaler Bewegung bezüg-lich der Abstandsraumfigur (z. B. das innere Dreieck der Schräg-winkelanordnung, die Winkelflächengestalt oder das innere Oblon-gum der Parallelenanordnung) oder der Scheitelrandkonturen

(z. B. das Kreuz im Scheitel, der äufsere rechte Winkel

im Scheitel) oft schlechthin unmöglich; abgesehen davon scheintder Konturenfaktor (das Herausfassen der obigen Figuren resp.der Konturen eines Objekts) gegen den Bewegungseindruck zuwirken, im Sinne der Vernichtung, ev. der Verschlechterung desBewegungseindrucks, im Sinne der Erzeugung eines vom opti-malen entfernteren Stadieneindrucks resp. der Ruhe. In ähnlichemSinne wirkt auch Herausfassen eines Scheitelabstands (bei Winkel-anordnung ohne Scheitelvereinigung), d. h. Erfassenwollen und Her-vortretenlassen des Abstands zwischen den Scheitelenden zweierLinien ; damit hängt wohl auch zusammen, dafs allgemein Dar-bietung von zwei im Scheitel vereinigten Schenkellinien günstigerscheint als Darbietung bei fehlendem Scheitel resp. fehlenderScheitelgegend der Schenkel.

Die Begünstigung für Entstehung des Bewegungseindruckesdurch die Stellung der Aufmerksamkeit in den Abstandsraum,den Winkelraum, zeigte sich schliefslich auch anders noch beiExperimenten, in denen zwei Möglichkeiten der Entstehung vonBewegungseindrücken gegeben waren ; so z. B. bei der AnordnungFig. XXV S. 265, der kürzeren vertikalen a-Linie auf der Mitteder längeren horizontalen b-Linie : Stellung der Aufmerksamkeitim Winkelraum links ergab Bevorzugung der Linksdrehung,rechts Rechtsdrehung, d. h. Drehung vorzüglich in jenem Winkel-raume, in dem die Aufmerksamkeit postiert war, sei es, dafs nurdie eine Bewegung vorhanden war, sei es, dafs sie ungleichstärker vorhanden war (vgl. §§ 14, 16). So auch noch bei einigerSchrägstellung von a. Und ähnlich bei anderen Anordnungen.

* **Bezüglich zweier Möglichkeiten sei erwähnt : wollte man die

begünstigende Wirkung der Stellung der Aufmerksamkeit in den14*

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212 Max 'Wertheimer.

Winkelraum dadurch erklären, dafs die beiden Objekte in diesemFalleaufmerksamkeitsperipherer wären,indemmanvoraus-setzen würde, dafs den Bewegungstäuschungen Entferntheit desAufmerksamkeitszentrums von den Objekten schlechthin günstigsei, so ist zu bedenken, dafs die Ergebnisse der Aufmerksamkeits-stellung auf eins der Objekte dem strikt widersprechen — beidiesen wäre dann Singularbewegung des aufmerksamkeitsperi-pheren Objekts zu erwarten —; ferner, dafs die Stellung derAufmerksamkeit im Abstandsraum für den Bewegungseindrucksich günstiger erwies als etwa ganz periphere Stellung der Auf-merksamkeit, seitlich, über, unter den Objekten ; schliefslich, dafsStellung im Winkelraum näher zwischen a und b, näher zumScheitel, günstiger schien als ferner. Wollte man zweitens mit einerBegünstigung dadurch rechnen, dafs die Bewegungserscheinungleichter eintritt, wenn ein Aufmerksamkeitshinübergang d e r -selben Richtung erleichtert sei, so wäre neben anderemzu bemerken, dafs ein beobachtbarer Hinübergang der Auf-merksamkeit, in dem hier gebrauchten Sinn der örtlichen Kon-zentration nicht notwendig stattfand, sondern die Aufmerksamkeitan der betreffenden Stelle, auf die sie postiert war, ruhig kon-zentriert zu bleiben schien (vgl. 5. 244):

Es scheint vielmehr, dafs die Ergebnisse zu dem Allgemeinenführten: Das Auf tr e t en von T ist i. A. dort, wo ein Plus vonAufmerksamkeit gestellt ist, begünstigt.

§ 12. Ich sagte in § 5: „Zuerst wird a gesehen, zuletzt b,dazwischen war die Bewegung von a nach b gesehen." Das ent-sprach in einfacher Weise der Formulierung S. 169: die Wahr-nehmungen a und b sind da, dazwischen hinzutretend (p. Istdas immer so oder gibt es vielleicht Fälle, in denen der T-Cha-rakter des Hinübergehens, des Sichbewegens auch eine der beiden„fundierenden" Gegebenheiten (völlig) erfafst? Wie das Hin-übergehen, das Sichbewegen etwas anderes ist (vgl. § 16) alsdas Sich-nacheinander - in- aufeinanderfolgenden-Lagen-befinden,so ist auch der Fall: „a ist da an seinem Anfangsorte undbewegt sich dann" etwas anderes als „a ist selbst gar nicht alsAnfangs 1 age1 dagewesen", nicht als in einer Lage b e ir in d -li ches Objekt wahrgenommen worden, sondern gleich schon als

' im prägnant psychologischen Sinn.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 213

von Bewegung ergriffenes; nicht „in seiner Lage seiendes",sondern „die Bewegung beginnendes" a war nicht als in einer.,Lage" wahrgenommen, sondern als bewegtes. Die Konstatierungdieses Gegensatzes des Sehens eines Bewegten zur Wahrnehmungeines Objekts „in einer Lage" ist keine Übertreibung subtilerDifferenzierung, sondern diese zwei Dinge sind im Erlebnis grobzweierlei; theoretisch relevant, indem im ersteren Falle das eine„fundierende" Element nicht mehr wie in normaler Weise alsein „in bestimmter Lage befindliches" Objekt wahrgenommenist, sondern schon im Charakter des Gehenden, sich Bewegenden :es ist nicht a q b dagewesen, sondern a schon vom (p erfafst,«fp b. Und analog a

Solche Eindrücke ergaben sich mehrfach ; zu ihrem Zustande-kommen schien ein Verkürzen der Expositionszeit des einenReizes gegenüber der des anderen günstig.

Es gibt auch Fälle — und hier zeigt sieh jene Unterscheidungin einfachster Art — bei denen der T-Charakter beide Objekteergreift (Tab).

Operiert man mit Dauerbeobachtung in Serienexposition«babab . 1, wo die Bewegung von a nach b und von b nach azurück usf., im Hin und Her, stattfindet, so zeigte sich bei nichtallzulangen Expositionszeiten a, 73: es ist nicht mehr wechselndeinmal die a-Lage, einmal die b-Lage da und dazwischen dieHin- und Rückbewegung (oder Drehung), sondern das Objektbewegt sich hin und her, ohne dafs es in Anfangs- resp. Endlage,den äufsersten Lagen, mehr „befindlich" wäre als innerhalb derBewegung selbst, man kann nicht sagen „ich habe es in der, injener Lage sich befinden gesehen" ; es ist in den extremen Ortennicht weniger als „bewegtes" dagewesen als in den mittleren.Dieses Erlebnis unterscheidet sich von dem der Wahrnehmungeines Objekts als in einer Lage befindlich ; es wird nicht ct, bund Bewegung gesehen, sondern schlechterdings nur Bewegtes.

— Umgekehrt ergibt sich manchmal als Stadienphänomenbeim Übergange vom optimalen Bewegungseindruck zum Simultan-oder Sukzessivruhestadium hin, dafs „die Lagen sich betonen" :

Es ist bei solchen Serienexpositionen, wo nicht eine Reihe a b Ex-positionen in kleineren oder gröfseren Pausen, sondern atbtatbta .. . expo-

niert werden, natürlich auf symmetrische Anordnung der Tachistoskop-schlitze zu achten.

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214 Max Wertheimer.

war im optimalen überall gleichmäfsiges Hin und Her gesehen,so tritt nun beim Verkürzen resp. Verlängern der t Betonung derLagen auf: die Anfangs- und Endlage tritt als solche, oft plötz-lich, hervor, es ist nun ein Bewegen von einer L age aus in eineandere und daranschliefsend bald ein höherer Stadieneindruck,duale Bewegung, Teilbewegung, Ruhe. Auch dieses Betonen'der Lagen (vgl. §§ 7, 11 S. 211) zeigt sich als ein dem Bewegungs-eindruck entgegenwirkender Faktor ; tritt es z. B. bei einer Ex-position auf, die in ihren Zeitverhältnissen zuerst Ganzbewegungoder Teilbewegung ergab, so kann es nun zu kleinerer Teil-bewegung oder Ruhe kommen.

Dieser Unterschied des „Sich-befindens" resp. der „betonten.Lage" und der Bewegung berührt auch die spezifische Er-scheinungsweise des „Einschnappens" resp. des „Anfangs- undEndrucks" : „mit einem Ruck beginnt von a aus die Bewegung,mit einem Ruck endet sie in der Endlage", „der allerersteAnfangsteil der Bewegung und der letzte sind ein stärkeresabruptes, energisches Losgehen von der Lage a und Ein-schnappen in die Endlage."

So hatten sich — im Extrem — zwei Formen gezeigt : a bmit dem cp-Vorgange dazwischen (vgl. auch § 16) und hier (p,,5so verschmolzen, dafs a und b nicht mehr als aus dem Ganzenabzusondernde, sich irgendwie aus dem Vorgang heraushebendeData gegeben waren.

Nicht direkt zu Lagenerscheinungen , wenn auch zu ähn-lichem führten manchmal die Beobachtungen an Teilbewegungen.Teilbewegungen bestimmteren Bereichs unterschieden sich von

solchen, die ins Unbestimmte gehen ; z. B. im Winkel-experiment: die Vertikale a drehte sich aus ihrer Lagein die Lage a, (eigentlich in die Gegend al), die Horizon-

'. tale aus der Lage b, in die Horizontallage ; im Gegensatze, zu den Fällen, wo Drehung von der Vertikallage aus ge-

wissermafsen ins Unbestimmte gegeben ist (vgl. § 16) undebenso Drehung aus dem Mittelraum zur Horizontallage.

' Gilt das hier von einer subjektiv bedingten Betonung der Lagen, sogilt das auch analog bei äufseren Versuchsbedingungen, die eine besondersplötzliche Betonung der Lagen bewirken, so scheinen z. B. sehr intensive,blitzartige Reize u. U. in analoger Weise ungünstig.

a'

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 215

§ 13. Es ist bekannt, dafs bei tachistoskopischen Experi-menten' gelegentlich nicht alles, was exponiert ist, gesehen wird :exponierte Objekte oder Teile von ihnen sind für die Beobach-tung nicht dagewesen ; diese Tatsache ist in der Literatur zurPsychologie des Lesens verzeichnet und diskutiert worden undwurde auch mit Erfolg in Gradstufen differenziert. 2 Ich rekur-riere auf solche Fälle, die auch bei den hier behandeltenSukzessivexpositionen vorkamen, und zwar hauptsächlich aufjene der extremen Form : für die Beobachtung war z. B. daseine der beiden Objekte in keinem Sinn vorhanden und der Be-obachter überzeugt, dafs diesmal (wie es öfters wirklich geschah),nur ein Objekt exponiert war.

Solche Vorkommnisse wurden im Bereiche der qualitativenProbleme wichtig ; es kam allgemein in Betracht :

1.Es wurde überhaupt nichts von den Objekten wahrgenommen;vgl. § 16 S. 226.

2. Eines der zwei Objekte wurde nicht wahrgenommen ; vgl.§ 14.

3. Teile, Stücke von Objekten wurden überhaupt nicht oderspäter wahrgenommen ; diese letzteren Fälle berühren sich mitden Tatsachen des § 8 in dem Sinne, dafs z. B. von der Verti-kalen im Winkelexperiment einmal der obere Teil früher dawar als der untere, ein anderesmal nur dies obere Stück ge-sehen war.

Hier sei noch eine Erscheinung erwähnt, die in gewisserAnalogie zu einzelnen Befunden bei tachistoskopischen Er-kennungsversuchen (vgl. A. J. SCHULTZ : Untersuchungen über dieWirkung gleicher Reize auf die Auffassung bei momentanerExposition, Zeitschr. f. Psychol. I, 52, S. 245), relativ selten,bei Vp. I und mir gelegentlich auftrat und zwarvorzugsweise bei Dauerbeobachtungen ganz nahe beimSimultanstadium : dieVerlagerung. Es war z. B. Fig. XVIa(900) in sehr kurzer Expositionszeit, Simultanstadiuna, inDauerbeobachtung gegeben, plötzlich einmal wurdeder Teil der Vertikalen a, der an die Horizontale

grenzt, nicht gesehen oder die Vertikale ganz, aber

Vgl. SCHUMANN, II. Kongr. f. exp. Psych., S. 167. Leipzig, 1907.2 Daselbst.

nur

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'216 Max Wertheimer.

höher, in einem Abstande von der Horizontalen; odereinmal die Vertikale nicht am Ende der Horizontalen,sondern seitlich über einem anderen Punkte der

Horizontalen gesehen ; analog einmal plötz-

lich als ; oder auch als , und

als (einmal in „gescherter" Lage) gesehen ;

0000 0 00000

SO auch bei Bewegungseindrücken: die objektiv Vertikale warnicht vorhanden, statt dessen Drehung aus einer etwas schrägenAnfangslage. (Die letztere Erscheinung berührt sich wieder mitErscheinungen der Singularbewegung S. 214.)

Diese seltenen, doch klar konstatierten Vorkommnisse sindein Problem für sich 1; sie scheinen mit zentralen Bedingungender Auffassung zusammenzuhängen; sie sollen gelegentlich folgen-der Raumauffassungsuntersuchungen speziell behandelt werden(vgl. S. 262 unten).

§ 14. Im Sinne der S. 186 angeführten These I wäre zu sagen :(I) baut sich auf a und b, den sachlich primären, den (p-Eindruckfundierenden Gegebenheiten auf. Wie immer diese beiden ge-geben seien : gesondert oder im ganzen cupb verschmolzen —müssen die Eindrücke a und b, die Wahrnehmungen der zweiObjekte, wirklich vorhanden sein, wenn der Bewegungseindruckresultieren soll?

1. Ich beziehe mich auf die Fälle des § 13, 2; die Winkel-anordnung z. B. a vertikal b horizontal war in zeitlichen Ver-

Wie ich nach Fertigstellung dieser Arbeit erfahre, wurde von psy-chiatrischer Seite bezüglich gewisser pathologischer Fälle die These einerkortikal bedingten Metamorphopsie aufgestellt (Pörrzr.).

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 217

hältnissen optimaler (oder dualer) Ganzbewegung gegeben; nunergab sich, dafs die Vp. eines der beiden Objekte überhaupt nichtsah. Im extremsten Sinne; die Vp. hatte in solchen Fällen keineAhnung, dafs eine Vertikale wirklich exponiert worden war; eswar ja öfters im Verlaufe der Experimente auch mit zwischen-geschobenen Einzelexpositionen nur eines Objekts operiert worden(zu verschiedenen Zwecken : um Vexierexpositionen zu habenund im Dienst spezieller Aufgaben vgl. § 11) und so hatte dieVp. mehrfach auch in diesen Fällen der Meinung Ausdruck ge-geben: diesmal ist nur eines exponiert worden; das andere, nichtgesehene Objekt, sei in Wirklichkeit diesmal nicht exponiertworden es sei inzwischen — wie das öfters wirklich geschehenwar — weggenommen worden.

Und das andere, gesehene Objekt? Aus der These — fun-diert sich auf den wahrgenommenen a und b mülste folgen:es kann nun hier nicht zu einem cp-Eindrucke kommen; dasandere Objekt wird ruhig wahrgenommen.

Es ergaben sich im Verlaufe der Experimente mehrfachsolche Fälle, in denen das eine der beiden exponierten Objekteschlechthin nicht gesehen wurde, auch nicht vorstellungsmäfsigda war, und die Vp. urteilte, es sei nur eines exponiert; be-züglich des anderen, wahrgenommenen, war cp, eine Bewegungsinnlich klar da, von seiner Lage aus (a) oder zu seiner Endlagehin (b). Z. B. a die Vertikale, b die Horizontale (im Bewegungs-stadium), a psychisch nicht da b vollführt eine Teilbewegung,z. B. bezüglich des b ist eine cp-Drehung von der Gegend von45 0 zur Horizontallage vorhanden; so gröfseren oder kleinerenUmfangs, bis zu: b zeigte eine kleine Bewegung (vgl. S. 193).

[Einigemal stellte sich ein solches Resultat auch bei un-wissentlicher einseitiger Verkürzung der Expositionszeit einesObjekts, auch bei einseitiger Herabsetzung der Helligkeit deseinen Expositionsfelds ein.]

Wesentlich ist: bei Zustandekommen dieses (Teil-)cp war dasandere Objekt nicht gesehen, für die Beobachtung nicht gegeben,auch nicht als Vorstellung; tp war nicht von der Lage des nichtgesehenen a ausgegangen, sondern erst z. B. von der Gegendvon 45 0 oder noch weiter (analog bezüglich b) .

Nun war etwa ein solcher Fall beim Winkelexperiment Fig. XVIa(90 0) eingetreten, der Beobachter sagte „es war eine kleine aberklare Bewegung zu der vertikalstehenden Linie da, von rechts,

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218 Max Wertheimer.

Drehung um zirka 400, es war nichts anderes da, die Horizontale?müssen Sie weggenommen haben" ; nun veränderte ich sofort,ohne Wissen der Vp. die Anordnung, nahm w irklich dieHorizontale fort, so dafs nurmehr die Vertikale da war, bei derExposition zeigte sich nocheinmal dasselbe Resultat : nur dieVertikale da, mit Bewegung.

Durch Einstellungswirkungen liefsen sich nun in gesetz-mäfsiger Weise solche (13,-Phänomene erzielen, bei denen auchobjektiv nur ein Objekt gegeben war. Z. B. die Winkel-anordnung, a die Vertikale, b die Horizontale wurde in gutemBewegungsstadium mehrmals hintereinander in kurzen Pausenvon 1 bis 5 Sek. gegeben ; ohne Wissen der Vp. wurde nun ineiner der Pausen die Vertikale weggenommen (oder das Expositions-feld A verdeckt) ; es ergab sich in den weiteren zwei oder dreiExperimenten nun Vorhandensein nur eines Objekts, kleinereBewegung, Drehung in die Horizontale, bei der ersten solchenExposition etwa von der Gegend von 450, bei der zweitenkleineren Umfangs, bis erst die dritte oder die vierte Expositionvöllige Ruhe brachte.

Auch diese Erscheinung kann wohl keine blofse Urteils-täuschung darstellen (vgl. § 20), sie zeigte sich bei unwissentlicheinwie bei wissentlichem Verfahren, zwangsmäfsig und klar be-obachtbar.

Diese eindeutige, gesetzmäfsige Einstellungswirkung, quanti-tativ mefsbar, ergab sich bei Experimenten verschiedener Varia-tion : war a b in einem Bewegungsstadium mehrmals in kurzenPausen hintereinander gegeben und wurde nun (in unwissent-lichem oder in wissentlichem Verfahren) a oder b allein expo-niert, so resultierte nun bezüglich des einen Okjekts eine Be-wegungserscheinung und zwar kleineren Umfanges, die beifolgenden Alleinexpositionen sukzessiv kleiner wurde bis erst beider dritten, vierten, manchmal erst bei der fünften Expositionvöllige Ruhe erschien.

Einstellungswirkung für T-Phänomene in einem bestimmtenFelde zeigte sich auch in einfacher Weise in folgenden Experi-menten: ich gab eine horizontale längere Linie als das eine Ob-jekt, eine auf ihrer Mitte stehende Linie als das andere, z. B.

; stand die mittlere Linie schräg nach rechts geneigt

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 219

— etwa 20 0 bis 80° — so erfolgte unter den gegebenen Ex-positionsverhältnissen (t = ca. 70 a) unter normalen Umständen,d. h. bei Exposition ohne vorhergehende einstellende Expositionen

Drehung nach rechts, also im Sinne des kleineren

Winkelabstands ; war die Linie schräg nach links geneigt — in

etwa 100° bis 170° — entsprechend Drehung links. [Be-

züglich des Entstehens von 2 s. § 16.]

Wurden nun nacheinander Expositionen gegeben, derart dafssukzessive a zuerst schräg nach rechts in z. B. 30° dann 40°, 50°usf. exponiert war, so konnte weit über 90° hinausgegangenwerden ohne dafs ein Umschlagen der Richtung erfolgte d. h.

z. B. die Stellung in 120° erzeugte noch Drehung nach

rechts, über die längere Strecke, den gröfseren Winkelabstand . hin.

Ist man so auf eine bestimmte Richtung resp. Drehung aufeiner Seite eingestellt, so strengt man sieh oft vergeblich an,selbst bei sehr ungünstiger Lage die Drehung nach dieser Seitehin loszuwerden, es hilft nichts, oft erst bei äufserst ungünstigerLage in z. B. 160 ° ! schlägt die Erscheinung um. Die Stärke dieserEinstellungswirkung zeigte sich etwas individuell verschieden undvon der Zahl der einstellenden Versuche abhängig ; sie erwiessich als gesetzmäfsig und in einfacher Weise mefsbar : ich brachtea drehbar an und experimentierte schrittweite im Vorgehen vonlinks nach rechts und von rechts nach links ; das Umschlagenfand in mehreren Versuchsreihen bei Vp. I bei ca. 160 ° statt, beiVp. II bei ca. 130 °, doch konnten auch stärkere Einstellungswir-kungen (bis 175° !) erzielt werden.

Mit anderen Worten : mehrfach dagewesenes cp in einem be-stimmten Bewegungsfelde prädisponiert i. A. zu Entstehung voncp bei Sukzessivexpositionen in diesem Felde, so dafs selbst unterungünstigen Umständen ein p gegeben ist, das ohne vorhergehendeEinstellung nicht zustande kommen würde.

Aufser den Bewegungen des einen nun allein exponierten Ob-jekts S. 218 kämen noch gelegentliche Erscheinungen in Be-tracht, wo ohne vorhergehende Einstellung z. B. nichts vonObjekten überhaupt wahrgenommen wurde, und dem Beobachter

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220 Max Wertheimer.

sich ergab : "nichts war da als eine starke Drehung (richtigerRichtung gezeigt); w a s da war, weifs ich nicht, von Objektenhabe ich nichts gesehen" (s. auch S. 226).1

§ 15. Gegenüber gewissen theoretischen Möglichkeiten istes von Belang, dafs sich ergab :

1. Auch bei lang er Expositionszeit a, ß — z. B. von 2 Sek. —können bei Einstellung s. S. 195 resp. bei günstigen Aufmerksam-keitsbedingungen (s. § 11) Bewegungseindrücke eintreten.

2. Auch bei Formung der Expositionsschlitze am Tachistoskopder Art Fig. XXVI 2, 3 und sogar 4, S. 265, bei denen also einzeitliches Übereinandergreifen der beiden Expositionen stattfindet,resp. auch ab zeitlich gemeinsam exponiert wurden, traten klareBewegungseindrücke, im Sinne des § 7, auf.

3. Die Bewegungserscheinungen, auch optimale Ganzbe-wegungen, zeigten sich bei Dauerbeobachtung öfters auch, wennam Schieber die beiden fixen Schlitzstriche selbst sichtbar waren 2

(die dem Beobachter zugewandte fixe Scheibe des Schiebers alsonicht so im Dunkeln war, dafs ohne Exposition die beidenSchlitzstriche nicht gesehen werden konnten) : von dem einenzum anderen bewegte sich der helle Strich.

Analog bei Expositionen (s. Schieber Nr. XII), wo a auchzugleich mit b, in anderer Farbe, gegeben war an Stelle des asah man den Strich, bald rot, bald blau, zwischen der Lage aund b bewegte sich der rote hinüber und herüber. (Und ähnlich— komplexer — bei beiderseits gleichzeitiger verschiedener Fär-bung.)

4. In anderer Richtung prinzipiell bedeutsam ist, dafs dieBewegungserscheinungen auch zustande kommen, wenn dem einenAuge das eine, dein anderen Auge das andere Objekt gegebenwurde 3 (auch bei gemeinsamem Fixationspunkt).

1 Ähnliches ergab sich bei Experimenten einer besonderen Anordnung,bei denen ohne vorhergehende Einstellung nur ein Objekt (b) verwendetwurde, statt des anderen eine untermerkliche Veränderung (an äufserenOrten) des anderen Gesichtsfeldes ; ähnliches bei Versuchen mit Herab-setzung zweier Reize zur Untermerklichkeit ; beide Versuchsarten greifen aufweitere, komplizierende Probleme über und sollen erst im Zusammenhangmit diesen ihre eingehende Behandlung und experimentellen Ausbau finden.

2 Diese blieben ruhig. Ähnlich ein ganzer ornamentierter Grund.Diese Tatsache der haploskopischen Bewegungserscheinung hat schon

ein Experiment EXNERS (Binokularstroboskop, Biol. Zentrolbl. 8) konstatiert.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 221

Es bestätigte sich dies hier in verschiedenen Anordnungen :1. bei Betrachtung der tachistoskopischen Expositionen durch

zwei Röhren, die so angebracht waren, dafs dem einen Auge nurdie eine Exposition gegeben wurde, dein anderen die andere.

2. Bei Stellung eines Schirmes zwischen die Schieberschlitze,so dafs dem linken Auge nur der linke, dein rechten der rechtesichtbar war.

3. In einer weniger exakten aber sehr einfachen Weise kannman sich diese Tatsache jederzeit vor Augen führen : lehnt manden Kopf z. B. gegen einen stehenden Buchdeckel, so dafs dieGesichtsfelder der beiden Augen getrennt werden, legt nun rechtsund links etwa ein Stäbchen in nicht ganz symmetrischen Lagenund fixiert binokular einen gemeinsamen Punkt, so ergibt sichbei rhythmisch abwechselnden Verdecken je eines Auges sehrbald die Bewegung des Stäbchens. (Da beim Sehen naherkörperlicher Gegenstände die Gesichtsfelder beider Augen schonerheblich verschieden sind, so kann man ebenso durch alter-nierende monokulare Betrachtung Bewegung, Wackeln usw.bei allerlei Gegenständen erzielen. Dasselbe kann man mit zweiFingern so anstellen, dafs die Doppelbilder Bewegung zeigen. 1)Bequemer noch ist es, wenn man eine Stellung vor einem Spiegeleinnimmt, die Verschiedenheit der Gesichtsfelder bringt. Schliefs-lich zeigt sich die Erscheinung bei einer einfachen Spiegel-haploskopvorrichtung : man stellt zwei Spiegel, im Winkel gegen-einander, die Scheitellinie der Spiegel beim Nasenrand, so auf,dafs das eine Auge nur in den einen, das andere nur in denanderen sieht; gegenüber den Spiegeln stehen Schirme, auf denenman nun je ein Objekt anbringt, usf.

§ 16. Was ist psychisch im Bewegungsfelde gegeben? DieS. 186 angeführte These sagte : die Zwischenlagen des Objektswerden subjektiv ergänzt. (Man könnte auch den apriorischenSatz heranziehen, Bewegung sei nicht denkbar, ohne dafs sichein Gegenstand, Objekt, Sehding bewegt.)

Gäbe es nur völlig optimale Bewegung in dem Sinne, daisein Objekt sich klar und deutlich von der Anfangslage durchdas Feld in die Endlage bewegt resp. dreht, so wäre diese Be-hauptung ohne weiteres durchführbar.

1 Siehe EBBINGHAUS, Gr. d. Psych., S. 469, u. a.

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222 Max Wertheimer.

Aber es zeigte sich, dafs das Wesentliche des Hinübergehensresp. des Drehens nichts mit subjektiven Zwischenlagen zu tunhat: Es gibt Fälle, wo T, die Hinüberbewegung, die Drehung,klar und deutlich gegeben ist, ohne dafs im Bewegungsfelde derStrich irgendwie vorhanden war; die Anfangs- und die End-lage war da 1, zwischen ihnen die Bewegung, aber im Bewegungs-felde nicht optische Ergänzung, Sehen oder Vorstellen derZwischenlagen des Striches. Bei allen Beobachtern ergab sichdieses spontan; in Versuchsanordnung S. 224 (unten) konntedieses „reine" T ohne Ergänzung von Zwischenlagen in einfacherWeise demonstriert werden.

Bei Eindrücken einheitlicher Ganzbewegung zeigte sich beischarfer Beobachtung des im Bewegungsfelde Gegebenen vielfachfolgendes : waren z. B. im Winkel- oder im Parallelenexperimenta und b weifse Streifen, das Feld schwarz, und war einheitlicheBewegung von a nach b da, so war diese da, trotzdem klarer-weise im Bewegungsfelde der Streifen im Durchgang von Zwischen-lagen in keinem Sinn dagewesen war, auch nicht die Farbe desStreifens aufser in den Lagen a b selbst und etwa an den Ränderndes Bewegungsfelds.

Z. B. (Winkelanordnung, a horizontal, b vertikal, rote Streifenauf schwarzem Grunde): „sehr deutliche, einheitliche Drehung,sinnlich klar zu beschreiben, sichtbar dreht sich der horizontaleStreifen ein Stück hinauf, der Vertikale ein Stück in seine End-lage, aber das Ganze ist in Einem, nicht zerstückelte Bewegung,sondern Ganzdrehung klar von a nach b gesehen, von der Mitteist bezüglich des sonstigen Optischen zu sagen : da war nichtsvon Streifen, nichts von rot." Und ähnlich ; z. B. (weifse Streifen)„merkwürdig ist, dafs ich da nicht irgendwo den weifsen Balken.während der Bewegung sehe ; doch, den letzten Teil der Be-wegung, ca. 15 Grad, das heifst, wenn der weifse schon da ist,macht er noch einen Schlufsteil der Bewegung, aber vorher ist ernicht da, es ist nie so, dafs ich hier den weifsen Balken etwain der Gegend von 450 irgend sehe". Oder ferner : (a vertikal)„eine Art klarer eindringlich gegebener Bewegung ist da, Drehungum die 90 ", nicht möglich etwa als Sukzession zu denken; nicht

' Vgl. SCHUMANN a. a. 0. S. 218 „. . . das Bild des vertikalen Balkensbehält seine vertikale Lage bei und trotzdem ist der Eindruck der Drehungda . . ."

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 223

die weifse Vertikale bewegt sich, aber es ist irgend ein Vorgang,ein Hinüber, da ; den Horizontalen sieht man „sich hinlegen",frühere Lagen des Streifens resp. von weifs etwa z. B. in derGegend von 45 ° sind sicher nicht irgend dagewesen, nichts vonsolchem ; aber obzwar nichts weifses sich dreht, nicht das Objektsich dreht, ist doch klar die Bewegung gegeben und gesondertnoch das letzte Ende der Bewegung im „Hinlegen" der Horizon-talen". Und, überall spontan, in vielen Fällen: „der Streifen aund b gesehen, dazwischen klar Bewegung zwischen a und b,nichts von Zwischenlagen, der Streifen (seine Farbe resp. dasObjekt) ist nicht durch das Feld gegangen, der Grund warblitzblank ruhig da — aber die Bewegung geht hinüber". Dasschliefslich auch in Fällen, bei denen a und b, die zwei Streifenvöllig ruhig da waren — zwischen ihnen nichts anderes als Be-wegung. (Besonders leicht ergaben sich alle solche Fälle, beigröfserem Abstande zwischen a und b, bei denen die Beobachtungeinheitliche klar gegebene Bewegung durch das Feld zeigte, vomoptischen der a b im Bewegungsfelde nichts vorhanden war.)

Diese Fälle zeigten sich so, dafs auch nicht etwa derGedanke vorhanden war : ein Objekt habe sich hinüberbewegt ;was von Objekten vorhanden war, war in den zwei Lagen ge-geben ; nicht eines oder eines von ihnen oder ein ähnliches be-traf die Bewegung; sondern zwischen ihnen war Bewegung ge-geben ; nicht eine Objektbewegung. Auch nicht : das Objekt be-wegt sich hinüber, ich sehe es nur nicht. Sondern es wareinfach Bewegung da ; nicht auf ein Objekt bezüglich.

Was ist das, was da psychisch gegeben war? In diesemFelde, wo nichts von den sonstigen optischen Qualitäten zu sehenwar (aufser dein blanken Grunde)? Keine Vorstellung des hin-übergehenden Streifens an den Stellen ergänzt war, und nichtgedacht wurde, dafs der Streifen da hinüberginge ?

Die Aufmerksamkeit wurde dorthin konzentriert; der Ein-druck war ebenso da, ja stärker (vgl. § 11); nichts von sonstigemOptischen, in keinem Sinne etwas vom Durchgehen des Streifensdurch Zwischenlagen, dabei aber : „die starke, einheitliche Be-wegung hier in diesem Felde ; eine spezifische , eindringliche„Hinüberbewegung" resp. „Drehung".

Ich gab die Winkelanordnung in 900 in optimal-identischerDrehung; und fügte einen gleichfarbigen kürzeren Streifen c, derden Scheitel nicht erreichte, Fig. XX a S. 265, auf dem Expositions-

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224 Max Wertheimer.

leide B ein, in der Gegend von 45 °, an eine Stelle also, wo deretwa in den Zwischenstadien zu ergänzende Streifen hinübergehenmüfste ; waren z. B. a b weifse Streifen von 1/, oder 1 cm mal 6oder 8 cm, so c ebenso breit nur kürzer, 1, 2 cm usw. (gewissermafsenein Stück der Form einer Mittellage); die Aufmerksamkeit wurdeauf c, resp. auf sein inneres Ende, resp. in den Abstand zwischenc und dem Scheitel postiert. Die Bewegung a b, Ganzdrehungum 90 °, blieb optimal (vgl. §§ 10, 11); wird da der weifseStrich c irgendwie ergänzt? Scheint c einen Augenblick durchdas Vorübergehen eines ergänzten bewegten Streifens etwa irgend-wie verlängert resp. huscht irgend ein Schimmer an der Stellezwischen c und dem Scheitel vorüber? Es ergab sich in viel-facher Beobachtung immer wieder dieses Charakteristische : klare,zwingende Bewegung um 900 war da, das spezifische „Hinüber"ist klar zu beobachten ; an der Stelle zwischen c und dem Scheitelhuscht nichts Weifses vorüber, der Grund an der Stelle bleibtruhig schwarz, es war auch keinen Augenblick dort irgendwas er-gänzt; aber das „Hinüber" ist an der Stelle da ; nicht als Hinüberdes Streifens; blofs ein „Hinüber", eine „Drehung".

Dasselbe Experiment stellte ich auch mit dem Schieber an(vgl. Schieber Nr. XIII u. a.); Analoges ergab sich auch bei derAnordnung, wo bei den tachistoskopischen Versuchen c identischauf beiden Expositionsfeldern des Tachistoskops angebracht war;dasselbe beim Schieber Nr. XIV, bei dem c dauernd hell bleibt.

Aber noch einfacher liefs sich das demonstrieren; man stelltin der oben (§ 2) geschilderten Weise den Schieber (z. B. Nr. I)mit zwei Objektschlitzen vor sich und stellt nun zwischen diebeiden Schlitze ein Objekt, z. B. ein sichtbares Stäbchen oderähnliches, und fixiert dieses; oder analog im grofsen : die Schieber-striche wurden in nicht ganz verdunkeltem Zimmer in optimalerBewegung auf eine weifse Wand projiziert, zwischen den beidenProjektionsbildern (deren Abstand voneinander z. B. 60 cm oder30 cm betrug) stand ein hellbrauner Holzträger ca. 10 cm breit. Einige-mal drückten sich Vpn. zuerst so aus : „ich seh e doch die Be-wegung hinüber! Auch da, wo der Träger steht — aber derbraune Träger ist ganz ruhig, klar da : es geht kein Streifendrüber weg, es sieht zuerst so aus, als ob ich sähe, die Bewegungginge durch ein Tunnel? 1" 1 Dann aber : „der exakte Tatbestand

1 Eine „Tunnelbeobachtung" verzeichnet gelegentlich v. KRIES bei Ge-legenheit von ghost-Experimenten (Z. f. Es. 29, S. 81). — Vgl. LINKE, II. Kongr.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 225

ist so : das Hinüber, die eindringliche Bewegung von a nach bist klar und deutlich, kräftig da und völlig kontinuierlich, dabeigeht dort nichts von weifsem hinüber und es geht nicht derStreifen hinüber."

Und ebenso : „auch links und rechts vom Träger bleibt derGrund völlig klar, es wischt nichts drüber weg", „weifs sehe ich.blofs im Streifen der Anfangsstellung und im Streifen der End-lage des Hin und Her, dazwischen ist nur dieses merkwürdigeHinüber gegeben in dem Raum zwischen a und b ." „Aber esist gar kein Hinüber des Streifens da! Nur das Hinüber, einestarke Bewegung selbst — — !"

In dieser Abgelöstheit des Phänomens von den visuellen Ob-jekten a und b ergaben sich nun auch Fälle, wo von einem a zweireine w-Bewegungen, Drehungen auftraten, so zwar, dafs es dabeiin keinem Sinne schien, als ob sich das a nach zwei Seiten hinspalte. Bei der Anordnung Fig. XXV [die kürzere Vertikale (a)in Mitte der längeren Horizontalen (b)] trat oft, sofern nicht eineRichtung begünstigt war (s. S. 219), klar links u n d rechts dasPhänomen der Drehung zugleich auf (Drehung um 900 nachrechts und nach links), durchaus nicht so, als ob die Vertikalesich drehe oder gar zwei Linien nach entgegengesetzten Seiten,sondern es wurde die vertikale und die horizontale Linie gesehenund die beiden T-Drehungen ; ev. so, dafs den allerletzten Teilder Drehungen die Horizontale mitmachte ; aber auch bei klarerRuhe der Linien, nur zwischen ihnen das rp-Phänomen. Gelegent-lich verschieden stark, so, wenn rechts begünstigt war (s. S. 211):„zwei Drehungen, rechts eine starke, zugleich links eine etwasschwächere, weniger eindringliche" ; und nicht nur bei Anordnungim rechten Winkel, sondern ebenso bei Schräglage der a-Linie usw.(rechts z. B. Bewegung im Winkelfeld von 1350, links in demvon 450).

Dieses T-Phänomen, das „Hinüber" resp. die „Drehung" warbei tachistoskopischen Versuchen, besonders bei Neuheit der An-

8. 217 : „Die Beobachter glaubten nun" (bei stroboskopischer Raddrehung)„es werde das Rad während seiner Drehung durch einen Schirm oderSchatten plötzlich verdeckt und gleich darauf wieder freigegeben. DieDrehbewegung wurde aber nicht erschlossen, sondern, das ist das Wichtigste,unmittelbar gesehen." — Vgl. auch WITNDT, Physiol. Psych. II, S. 582 u.

Zeitschrift für Psychologie 61. 15

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226 Max Wertheinier.

ordnung resp. Umkehrung von a b in b a, etliche Male so starkda, dafs der Beobachter nichts über die Objekte selbst angebenkonnte (Fall des § 13, 1): „was für Objekte da waren, ist nicht zusagen; ich habe eine starke Bewegung (richtige Richtung gezeigt),gesehen, von Objekten weifs ich nichts, weifs nichts von Objektengesehen zu haben." Ähnlich (Fall § 13, 2) bei der AnordnungFig. XX b, wo, in unwissentlichein Verfahren, als b ein rechterWinkel, als a ein Streifen in der Lage von 45 ° des b-Winkelsexponiert wurde : „eine Bewegung war da, am Schlufs stand einrechter Winkel, es war eine drehende Bewegung um den Scheitelnach unten zur Horizontalen dagewesen im unteren Teile desrechten Winkels; was sich gedreht hat, weifs ich nicht, die Hori-zontale ist — wie die Vertikale — ruhig gelegen und es warnicht so, als ob sich die Horizontale in ihre Lage gedreht hätte."

[Auch Experimente periphere Bewegungen betreffend könntenhierher gehören ; vgl. ferner S. 220 Anm. 1.]

Bei den obigen Experimenten hat man es nicht nur miteinem theoretischen Beweismittel zu tun, dafs nämlich (f) auchohne jedwede Ergänzung von Zwischenlagen des Objekts gegebenist, und das Charakteristische des cp-Vorgangs durch das Nicht-vorhandensein einer Ergänzung der Zwischenlagen überhauptnicht tangiert erscheint; sondern mit einem Demonstrations-experiment in prägnantein Sinn, in welchem der reine T-Vorgangerscheint.

Es ist da aufser der Farbe des Grundes nichts von dengewöhnlichen optischen Qualitäten im Bewegungsfelde gegeben;nichts im Vorgange von Farbe, von Kontur ist da; es hat sichin dem üblichen optischen Sinne nichts geändert an der Flächedes Zwischenfeldes, dem Grund. Der Beobachter sagt hier, nichtder Strich bewegt sich hinüber; glaubt auch nicht, er bewegesich hinüber, a nach b, oder er scheine sich hinüberzubewegen ;sondern „ich sehe a, ich sehe b, ich sehe zwischen den beidenBewegung, ich sehe das Hinüber, die Drehung — nicht desStriches oder der Striche, die sind an ihren Orten a und b —,ein starkes oder ein schwaches „Hinüber" selbst." „Ich sehe Be-wegung , so (gezeigt); nicht ein Hinüber von etwas." Und diesbei vollster Aufmerksamkeitskonzentration auf das Feld undkritischester Betrachtung; je stärker, je zentraler die Aufmerksam-keit im Felde konzentriert ist, desto besser.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 227

Man sollte meinen : nun, wo sicher nichts von Ergänzungerschien ; nichts von gedachter Bewegung (dafs ein Objekt sichhinüberbewege) ; nichts von Zwischenlagen des Objekts ; dafsnun die „Täuschung" der Bewegung verschwände. Aber imGegenteil, zwingend und charakteristisch in ihrer spezifischenEigenart ist die Bewegung da ; klar und deutlich gegeben undimmer wieder beobachtbar.

Diese Bewegungsphänomene sind in schwächerer oder stärkererIntensität gegeben [im Extrem bei zwei gleichzeitigen Erscheinungen,z. B. bei Fig. XXV S. 265 bei Einstellungswirkung auch für denrechten, gröfseren Winkel : rechts ein kolossal starkes, linksein schwaches T-Phänomen zugleich].

Und sie haben ihre charakteristische Art und Weise je nachden Um ständen des Experiments als „rapides" Hinüber, als„lässige" , „langsame Drehung", als „ruhige Drehung" oder„Drehung mit ruckhaftem Anfangs- und Endteil" usw.

Sie zeigen weiters spezifische Bewegungskurven (s. S. 187,208) und sind in bestimmter räumlicher Lokalisiertheit 1 gegeben.

Es sind psychische Phänomene 2, die in solcher Weise wiegegebene sinnliche Form-, Farbeninhalte gegenständlich gerichtetsind, objektivisch, nicht subjektivisch erscheinen ; im Gegensatzezu anderen psychischen Gegebenheiten sind sie nicht statischer,sondern dynamischer Natur ; in dem spezifisch charakterisierten„Hinüber" usw. haben sie ihr psychologisches Fleisch und Blut,nicht zusammensetzbar aus dem der üblichen optischen Inhalte.

§ 17. Kommt man von solchen Experimenten wieder zumSehen wirklicher, lebendig geschauter Bewegung, so sieht man,

1 Bei den behandelten Experimenten: in einem räumlichen Bezirkeder Feldeben e. Um zu sehen, ob auch unter komplizierteren Umständenein v‘-Phänomen in bestimmter Ebene vor sich geht, projizierte ich z. B. zweiSchieberschlitze, je einen auf eine andere, räumlich verschieden entfernte

'Wand (Vogelperspektive der Anordnung 11/2 m Entfernung) ;

-73

der Beobachter stand seitlich, es ergab sich das klare Bewegungs-

phänomen :

2 Das Wort psychische Phänomene steht hier in dem einfachen Sinndes spezifischen, beobachtbar Gegebenen.

15*

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228 Max Wertheinzer.

dafs die Dinge, zu denen die scheinbar so lebensfernen experi-mentellen Vorkehrungen geführt haben, durchaus nicht so lebens-fremde, sonderbare und exzeptionelle sind ; sondern allenthalbenerkennt man sie wieder beim Schauen von Bewegungen ; dasAuge ist geschärft dafür, die charakteristischen fp-Phänomene beiBewegungen zu sehen, neben, ja im Gegensatze zur Wahrnehmungvon Lagen und Folgen von Lagen. Auch bei wirklicher Be-wegung ist sehr oft nicht das raum-zeit-kontinuierliche dervisuellen Zwischenlagen, sondern ein reines fp-Phänomen gegeben:man sieht z. B. wie Arbeiter beim Bau sich Ziegel zuwerfen,sieht (indem man etwa einen bestimmten Punkt fixiert) die cha-rakteristische Bewegung des Armes vor dem Hintergrunde einerweifsen Mauer, sieht immer wieder die Hinaufbewegung voneiner bestimmten Lage des Armes beim Fassen des Ziegels zurEndlage oben ; man sieht die beiden Endlagen, sieht die Be-wegung, — dabei nichts von den raum-zeit-kontinuierlichenLagen zwischen Anfangs- und Endlage, aufser vielleicht im aller-ersten Ruck der Bewegung und im allerletzten, — und dabeidoch die ganze eindringliche Bewegung. Auch hier wieder lägees zunächst nahe, an Täuschung zu denken ; hat man aber solcheBeobachtungen oft angestellt und den Blick für Wahrnehmungin kleinen Zeiträumen, wie in den obigen Experimenten, geschult,so wird es klar, dafs hier kein Schlufs, keine Urteilstäuschung,sondern ein lebendiges Sehen von Bewegung gegeben ist. Oderähnlich beim Schatten eines schreitenden Menschen auf demAsphalt, oder beim Sehen eines taktierenden Metronoms gewisser

mSchnelligkeit usf. Man kann ähnliches in eine einfachen Ex-periment beobachten : auf einem Blatt Papier, auf das Buchstaben(einer oder mehrere) gedruckt sind, wird ein (vertikal liegender)Bleistift 1 horizontal von einer Stelle links nach einer rechts be-wegt; über einen mittleren Buchstaben hinweg z. B. 10 cm (inbequemer Sehweite) weit; einmal, mehrmals ; oder hin und her ;man fixiert den Buchstaben in der Mitte. Wird der Bleistiftrasch hinüber (oder hinüber und herüber) bewegt, so sieht mannichts von Zwischenlagen ; über dem fixierten Buchstaben wirder nicht gesehen, er geht als solcher nicht über ihn weg, auchsonst, zwischen Anfangs- und Endlage, ist der Bleistift und seineFarbe nicht dagewesen, d. h. nicht im geringsten gesehen worden :

1 Exakter: ein sehr dünner Gegenstand.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 229

trotzdem ist nicht blofs die Sukzession der gesehenen Anfangs-und der gesehenen Endlage da, sondern die Bewegung. Dasphysikalische „sich an dem Orte befinden" (etwa über demfixierten Buchstaben) war hier nicht gesehen ; nimmt man (auchbei derselben Geschwindigkeit etwa) einen kle in en A b st an dvon Anfangs- und Endlage, so tritt die völlig optimale Bewegung(§ 2) auf, man sieht den Bleistift, seine Farbe, hin und hergehendurch das Bewegungsfeld ; bleibt man bei gröfserem Abstandund bewegt den Bleistift langsamer hinüber, so sieht man ev.,wie er kontinuierlich hindurchgegangen ist (da ist der Fall kon-tinuierlicher Durchgangsbewegung gegeben S. 231); bei langsamerBewegung tritt aber oft das Charakteristische ein : war es so,dafs man ihn wirklich in allen Lagen im kontinuierlichen Nach-einander gesehen zu haben glaubt, dann ist der charakteristischeEindruck der B e w e gung selbst oft weg — das Paradoxe trittein, dafs, sofern das Raumzeitfolgende der Zwischenlagen psychisch.wirklich da ist, die Bewegung selbst sehr oft nur als blofs Er-schlossenes, als blofses Wissen hinzutritt und die genaue Selbst-beobachtung zeigt: ich habe das Einnehmen von Lagen gesehen,da, da, da, und ohne Unterbrechung, aber das Spezifische wirk-lich gesehener Bewegung ist nicht vorhanden.

2. (Aneinandergereihte Sukzessivexpositionen.)Dauernd kontinuierlich aneinandergereihte Sukzessivexposi-

tionen ergaben sich z. B. in folgender Anordnung :An dem Tachistoskoprade [nun ohne die Prismeneinrichtung

S. 175] war ein einfacher Schlitz oder mehrere symmetrischliegende Schlitze angebracht ; im Expositionsfelde war eineZIMMERMANNSChe Kymographentrommel aufgestellt, auf der eineAnzahl zur Drehungsachse paralleler Linien gezeichnet waren.'Tachistoskoprad und Kymographentrommel rotierten ; das Tachi-stoskoprad in einer Schnelligkeit, die bei einmaliger Expositionvöllige Ruhe der sichtbaren Parallellinien ergab. Je nach dem.Phasenverhältnis der beiden Rotationen (der Folge der Exposi-tionen also einerseits, der Rotationsgeschwindigkeit des Kymo-graphen andererseits) war nun bei Dauerbeobachtung in optimalenVerhältnissen dreierlei zu erzielen : 1. Sehen kontinuierlicher Be-

' Analog bei nur einer Linie auf der sichtbaren Seite der Trommel.

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230 Max Wertheimer.

wegung der Parallellinien im Sinn der wirklich en Be-w egung der Kymographentrommel; 2. Stehen, dauerndesRuhigbleiben der Linien im Gesichtsfelde resp. ein Zustand vonLabilität s. u. ; 3. Sehen kontinuierlicher entgegengesetztgerichteter Bewegung.

Folgen die Expositionen in der Weise, dafs bei erster Ex-position z. B. die Lagen a b c cl exponiert sind, bei zweiter Ex-

., position die Lagen a, b, c, d„ also die Kymo- graphenlinien inzwischen um 1/4 des Abstands

d' der Linien voneinander hinaufgerückt sind, so

wird Bewegung im Sinne der wirk-b

lichen Bewegung der Kymographenlinien ge- sehen; sind die Linien in der Zeit zwischen.

e den Expositionen um drei -V iertel des Ab- er

stands hinaufgerückt, so wird entgegen-gesetzt gerichtete Bewegung gesehen; dem Gesetze des

kleineren Abstands gemäfs gibt a b, Bewegung :

(es wird abwärts gehende Bewegung gesehen); sind die Kymo-graphenlinien in der Zeit zwischen den Expositionen um das

Ganze des Linienabstandes hinaufgerückt, so wird Ruhe der Linien gesehen (b, ist an die Stelle von a getreten usf.), oder es tritt (infolge

einer nicht völligen Genauigkeit der Rotations-verhältnisse) kleine Bewegung aufwärts oder abwärts auf (jenachdem b, etwas über oder unter die Lage von a gelangt ist) ; wenn die Linien in der Zwischenzeit um die

Hälf t e des Abstands hinaufgerückt sind, kann bei einer kleinen Ungenauigkeit der Rota-

tionsverhältnisse der entstehende Abstand ent-scheiden; abgesehen hiervon sind beide Bewegungsrichtungenobjektiv gleicherweise begünstigt und es entscheiden Ver-hältnisse der Einstellung (§ 14) und der Aufmerk sam-k eitsstellung (§ 11): es kann zu Hinauf- oder zu Herab-bewegung kommen resp. die eine in die andere umkippen.'

Dabei zeigt sich oft bei längerer Betrachtung ein seltsamer Zustandvon Labilität, ein Schwanken, Unsicherheit, in einigen Bezügen äh n-li c h den S. 254 besprochenen Erscheinungen.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 231

Bei all diesen Experimenten waren Sukzessivexpositionenverschiedener Lagen aneinandergereiht; die Dauerbeobachtungzeigte unter den betreffenden Versuchsumständen (d. h. z. B. beieinem Phasenverhältnis der beiden Rotationen, das Vorrückenum 1/4 oder 3/4 des Abstands der Sukzessivobjekte ergibt)dauernde einheitliche Bewegung einer Richtung: dasFeld ist dauernd erfüllt von sich aneinanderschliefsenden gleich-gerichteten fp-Phänomenen , die völlig einheitlich ineinander-fliefsen : es ist im Felde kontinuierliches „Sinken", „Steigen",„Drehung" usw. gegeben.

Hierbei waren im optimalen Eindruck die Einzellagen imSinne des § 12, S. 213 nicht mehr als solche imponierend: es wardauernde einheitliche Bewegung da, ohne dafs bestimmte „L a g e n"als solche besonders hervortraten ; vgl. hierzu unten § 21, S. 250 :hier erscheint ein Übergang zu dem Sehen langsamer, ruhigkontinuierlicher wirklicher Bewegung gegeben. —

Analoges ergab sich bei Verwendung einer Speichen-Kreisel-scheibe anstelle der Kymographentrommel. Bei blofs tachisto-skopischer Sukzessivexposition zweier sich kreuzender Linien.entschied zunächst der kleinere Abstand : bei einmaliger Suk-zessivexposition wurde Bewegung über den kleineren Winkelraumgesehen, bei Serienexposition ein Hin und Her daselbst. Stehendie Linien normal aufeinander, so sind die Abstände objektivgleichermafsen begünstigt und es zeigte sich Einstellung undAufmerksamkeitsstellung (z. B. in den Winkel oben oder denseitwärt s) entscheidend dafür, ob Drehung nach rechts oderlinks gesehen wurde. Wurde nun in obiger Anordnung miteinem Speichenkreisel operiert, der zwei oder mehrere Speichenenthielt, so ergaben sich die analogen Befunde wie bei den.Kymographenlinien ; bei einem Phasenverhältnis der beiden Ro-tationen also, das z. B. Vorrücken des Kreisels um eine Gradzahlbetrug, die drei Vierteln des Winkels zwischen je zwei Speichenentsprach, kontinuierliche Drehbewegung in der, der wirklichenentgegengesetzten Richtung. 1

' Bei einfacher scharfer Beobachtung (wirklicher Bewegung) rotieren-der Speichenräder kann man bei tauglicher Geschwindigkeit und verschie-dener Aufmerksamkeitsstellung öfters T-Phänomene entgegengesetzterRichtung bemerken ; z. B. rechts wohl die Bewegung der wirklichen Rich-

tung, dabei links ein scheinbares Rückschlagen der entgegen-

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232 Max Wertheimer.

Statt des Speichenkreisels wurde auch die bekannte Spiralen-scheibe verwendet. Die (langsam) rotierende Spirale gibt deneindringlichen Eindruck des dauernden „Sichausdehnens" vonder Mitte aus resp. des „Schrumpfens" zur Mitte zu das erklärtsich in einfacher Weise durch die behandelten Gesetze des Zu-standekommens der (p-Phänomene: für Entstehung von p i n

Richtung der Spirallinie selbst(resp. in Kreisrichtung) ist wenig oderkein Anlafs gegeben, wohl aber fürEntstehung von (p- Phänomenen vonOrten der Linie zu radial nächstliegen-den Orten' und es kommt gesetzmäfsigzu radialen, zentripetal (oder zentrifugal)gerichteten, sich aneinanderschliefsen-den T-Phänomenen: zum „Ausdehnen",resp. „Sichzusaminenziehen". [Schema-tisch: Gab die rotierende Spirale zuerst

die Stellung der ausgezogenen Linie obiger Zeichnung, so ist sienach einer Drehung von z. B. 900 in die Stellung gelangt, diedurch die punktierte Linie angezeigt werden sollte. (Versehent-lich ist die punktierte Linie der Zeichnung eine andersartigeSpirale !)

3. (Nachbild).Bei den erwähnten Dauerbeobachtungen ist das Feld dauernd.

erfüllt von der einheitlichen Erscheinung der sich aneinander-schliefsenden gleichgerichteten T-Phänomene (auch bei relativgrofsem Abstande der sukzessiv exponierten Lagen voneinander).

Sieht man so eine Zeitlang dauernde (p-Bewegung einerRichtung und sieht dann auf günstige ruhige Objekte resp. einruhiges Feld, so tritt entgegengesetzte Bewegung spontan aufhier zeigt sich die theoretisch wichtige Tatsache, dafs die w-Phä-nomene, bei genügender Dauer und Gleichgerichtetheit — analog

gesetzten Richtung. Ein wesentlicher Faktor für das bekannte, rätselhafte„Radspeichenphänomen" (ein rotierendes Rad scheint plötzlich in um-gekehrter Richtung zu rotieren — im Tageslichte —) scheint darin in ein-facher Weise gegeben ; wird ein Speichenrad in verschiedener Schnelligkeitrotiert, so kommt es zunächst zu einem (hier nicht näher zu besprechenden)Hervortreten bestimmter Ruhestellungen, z. B. im Kreuz und z. B. bei etwasanderer Geschwindigkeit zu rückläufiger 7-Bewegung.

Vgl. neuerdings PL. STUMPF, Über die Abhängigkeit der vis. Bewe-gungsempf. Z. f. Ps. 59, S. 324.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 233

den bekannten Nachbildern beim Sehen wirklicher Bewegung —ein negatives Nachbild ergeben.

Schon EXNER 1 hat negative Nachbilder bei „Scheinbewegung"erzielt; analoges ergab sich hier (auch wo die zuerst gesehene Be-wegung entgegengesetzt der wirklichen Bewegung war, S. 230), inungleich stärkerer Weise aber (ganz analog wie bei den Nachbildern„wirklicher" Bewegung) bei dem Spiraleversuch (S. 232), zuletztbei kin e m of ogr aphischer Darbietung der rotierenden Spirale.

Dauernd im selben Felde aneinandergeschlossene gleich-gerichtete T-Phänomene geben ein intensives negatives Nachbild(Bewegung entgegengesetzter Richtung).

§ 18. Überschauen wir die Verhältnisse im ganzen, so er-gibt sich :

1. Bei tauglicher Sukzessivexposition zweier in einem Abstandvoneinander stehender ruhender Reize wurde Bewegung gesehene,die nicht durch Augenbewegung oder Verhältnisse des An- undAbklingens der Erregungen in den zwei gereizten Netzhautstellenselbst fundiert sein kann.

Bei fixem Auge wurden zwei durch einen Abstand ge-trennte Netzhautstellen sukzessiv gereizt ; unter den gegebe-nen Bedingungen 3 wurden die beiden Reizobjekte bei einemzeitlichen Intervall ihrer Sukzession von ca. 30usimultan ruhend gesehen ; bei einem Intervall von ca.200 6 sukzessiv ruhend ; bei einem Intervall von ca. 60 6war in der Regel Bewegung von der einen zur anderen.Lage gegeben. Das Zustandekommen dieses Effekts er-scheint aufser von den zeitlichen Verhältnissen in ersterLinie abhängig noch von der Gröfse des Abstandes derzwei Objekte, indem sich z. B. bei kleinerem Abstande einausgedehntere Bereich derjenigen Zeit-Intervallgröfsen ergab,die optimale Bewegung erzielten. Dauer beobachtung undEinstellung sind von spezifischem gesetzmäfsigem Einflufs.

2. Der Eindruck der Bewegung ist nicht konstitutiv not-wendig mit dem der Identität von a und b verbunden; imStadienverlaufe vom Simultanen abwärts trat in der Regel zu-

1 Zeitschr. f. Psychol. 21, S. 388. 1899. S. EXNER : „Nachbild einer vor-getauschten Bewegung".

2 Vgl. PLEIKART STUMPF, a. a. 0. S. 321, Gesetz I.3 Vgl. S. 179.

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234 Max 'Wertheimer.

erst Bewegung auf, dann Identität ; vom Optimalen aufwärtsverschwand in der Regel zuerst die Identität a .----- b, bevor nochRuhe erreicht war.

3. Zwischen dem Effekt der Glanzbewegung (von Lage anach Lage b) und den Extremstadien (z. B. ruhiger Simultaneität)zeigten sich duale Teilbewegungen, d. i. Bewegungen der beidenObjekte, jedes für sich.

Zwischen dem Effekt identischer Ganzbewegung undden ruhenden Extremstadien gibt es qualitativ beson-ders charakterisierte Eindrücke : die Identität derbeiden Reizobjekte war nur im optimalen Bewegungsstadiumvorhanden ; darüber (z. B. im Verfahren der Verkürzungdes zeitlichen Intervalls) traten Erscheinungen von Bewegungohne Identität der Objekte ein und das spezifischePhänomen der Teilbewegung, zwei, kleinere, Bewegungenbezüglich der beiden Objekte für sich; solche dualen Teil-bewegungen waren gröfseren oder kleineren Umfangs : beimHöhersteigen in Verkürzung der zeitlichen Intervalle zumStadium der Simultanruhe zu fand Verkleinerung derbeiden Bewegungsbereiche statt. Nahe unter dein Simultan-stadium trat oft noch eine Erscheinung — nicht mehr Vor-gänge im Abstandsfelde betreffend — auf, die Innenbewe-gung (Bewegungserscheinungen innerhalb der Objekte) ; ineinigen Fällen Verlagerung.

4. Es ergaben sich Bewegungseindrücke, bei denen das eineder beiden Objekte unberührt ruhig bleibt, das andere eine(Teil-) Bewegung zeigt (S ingularbewegun g).

5. Der Aufmerksamkeitsstellung und der Ein-stellung kommen gesetzmäfsige Wirkungen auf das Zustande-kommen und die Art der Effekte zu.

Bei den Beobachtungen zeigten sich spezielle Faktorenvon Einflufs ; Dauer, Einstellung und Postierung der Auf-merksamkeit zeigten spezielle Wirksamkeiten ; so zeigte sichz. B. Stellung der Aufmerksamkeit in das Abstandsfeld be-günstigend für den Afwegungseindruck. Experimentell er-zeugte Einstellung zeigte quantitativ mefsbaren Einflufs aufOrt und Art der Bewegung.

6. Es ergaben sich Bewegungseindrücke, bei denen eines derbeiden Objekte psychisch nicht wahrgenommen oder auch ob-jektiv als Reiz nicht mehr vorhanden war (u. zw. Teilbewegung).

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 235

7. Der Bewegungseindruck ist materialiter nicht in subjek-tiver Ergänzung von Zwischenlagen des Objekts konstituiert; in.bestimmten Experimenten war, obwohl im Abstandsfelde schlecht-hin nichts von den Objekten resp. der optischen Qualität derObjekte irgend gesehen oder gedacht wurde, der Bewegungsein-druck über das Feld hin selbst, zwingend gegeben, (auch beireiner Dualität und Ruhe der beiden Objekte): das T-Phänomenin Abgelöstheit von den Erscheinungen der beiden Reizobjekte.

[8. Ein, im Optimalstadium, in den Bewegungsraum zweiersolcher Objekte gestelltes drittes kleineres Objekt zeigte unterbestimmten Umständen Ruhe bei Ungestörtheit der Bewegungbezüglich der beiden Objekte, unter andere kleine Singular-bewegung. Zwei nebeneinander postierte Sukzessivexpositionenzeigten bestimmten Einflufs aufeinander.

9. Unter den gegebenen Umständen konnte die Dauer derExposition der einzelnen Reize selbst recht erheblich variiertwerden; die Frage, ob ein zeitliches Intervall zwischen dem Endeder ersten Reizung und dem Beginne der zweiten für das Ent-stehen von Bewegungseindrücken unbedingt vonnöten sei, ent-schied sich dahin, dafs auch bei einem teilweisen zeitlichenÜbereinandergreifen der Reizzeiten Bewegungseindrücke (Teil-bewegungen) eintreten können (wenn auch schwerer); ebenso beiandersartiger Reizung der einen der beiden Reizstellen währendder Reizung der anderen. In speziellen Experimenten bestätigtesich, dafs auch bei Darbietung des einen der beiden Reize f ü rdas eine Auge, des anderen für das andere die Be-wegungseindrücke resultieren.

10. Die bei Sukzessivreizung resultierende optimale Bewe-gung zeigte sich in bezug auf die Bewegung als gleichwertig;dein Sehen der Bewegung bei Exposition eines entsprechend wirk.-lich bewegten Objekts, ebensostark, unter Umständen eindring-licher gegeben als diese.

11. In verschiedenen Versuchsanordnungen zeigte sich derÜbergang zum Eindruck kontinuierlich dauernderBewegung, bei Aneinanderreihung von Sukzessivexpositionenruhender Lagen, die in räumlichen Abständen voneinander ex-poniert waren; und es bestätigte sich in spez. Versuchen ana-log zu den Nachbilderscheinungen bei länger gesehener wirklicherBewegung: die bei solchen Sukzessivexpositionen resultierendeBewegungserscheinung hat ein negatives Nachbil d.]

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236 Max Wertheimer.

§ 19. Die letzte ausgedehnte Diskussion über die Fragendes stroboskopischen Bewegungsehens , MARBE 1, DÜRR 2 contraLINKE, WUNDT ; LINKE 3, WIRTH 4 contra MARBE, Zeigt charakte-ristisch, bis zu welchen extremen Gegensätzen in konstitutiven.Fragen des Bewegungsehens es in letzter Zeit vielfach ge-kommen ist.

Der spezifische, eindringliche Charakter von Bewegung, wieer im lebendigen Sehen gegeben ist, kann nicht durch Rekursauf die Art blofser Wahrnehmung kontinuierlicher Lagen undnicht durch Rekurs auf einen, wenn auch unmittelbaren, Ein-druck der Identität des Objekts, der Identität des als räumlichunterschieden Wahrgenommenen, in seinem Wesentlichen gefafstwerden. Der lebendige Eindruck des Hinauf, Hinunter, des Drehens(oder gar der Eindruck einer charakteristischen organischen Be-wegung) kommt in seinem Wesentlichen, in sich Spezifischen danicht ganz zu seinem Rechte.

Die bezüglichen Auffassungen stützen sich in erster Linieauf die Befunde bei stroboskopischen Experimenten (ferner aufdie Tatsache des unbemerkten Phasenausfalles bei wirklicherBewegung5) , bei diesen Tatsachen ist der Sachverhalt komplex :es kommt eine Reihe von Reizen in Betracht 6; es kommen Wir-kungen des Ab- und Anklingens der Erregung in derselbenund benachbarten Netzhautstellen in Frage. Zwar liegt eine grofseReihe von Beobachtungen am Stroboskop vor; aber bei derKomplexheit der- Faktoren ergibt sich in der Diskussion aufserder Komplikation vieler Probleme mehrfach striktes Gegeneinanderbezüglich der konstitutiven Fragen des Bewegungsehens.

Im Verlaufe dieser Diskussion haben LINKE 7 einerseits, DÜRR 8

andererseits Klärung durch Konstatierung verschiedener Problem-gebiete und Verschiedenheit der Fragestellungen gegeben, wasaber die Gegensätzlichkeit der Thesen nicht aus der Welt schaffte.

1 II. Kongr. f. exp. Psychol. S. 214f.; Zeitschr. f. .Psychol. 46, S. 345;47, S. 291.

2 Zeitsch,r. f. Psychol. 47, S. 297.3 II. Kongr. f. exp. Psychol. S. 214 f. ; Psychol. Studien 3, S. 393; Zeitschr.

f. Psychol. 47, S. 203.4 Zeitschr. f. Psychol. 46, S. 429.5 DÜRR, Phil. Studien 15. — MARBE, Zeitsch,r. f. Psychol. 46, S. 345f.6 Dies betont MARBE.7 Psychol. Studien 3, S. 393.8 Zeitschr. f. Psychol. 47, S. 297f.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 237

Durch die hier vorliegende Untersuchung erscheint eineReihe bisher komplizierender Faktoren ausgeschieden. Betrachtetman von den Ergebnissen der Untersuchung aus die Diskussion,so ist wohl klar : MARBE 1 handelt von Wirksamkeiten des TALBOT-

sehen Gesetzes und der Tatsache des unbemerkten Phasen-ausf alles 2 resp. von dein Sehen des bewegten Objekts 3 ; LINKE

handelt 4 von Identitätstäuschungen; die Frage des Bewegungs-eindrucks selbst, die Frage, was zu Sukzessiverscheinungen alsBewegung hinzukommt, kommt nach MARBE durch den un-bemerkten Phasenausfall , nach LINKE 5 durch den Eindruckder Identität in die Theorie.

MARBE rekurrierte 6 auf die Tatsache des unbemerkten Phasen.-ausfalles 7 und sagte s : Weil die aufmerksame Beobachtung ge-nügt, um das kinetoskopische Phänomen aufzuheben, so mufs esder Mangel der Aufmerksamkeit sein, der seinerseits die Er-scheinung hervorbringt. 9

Nun zeigten die Aufmerksamkeitsexperimente § 11, dafs Kon-zentrierung der Aufmerksamkeit in das Abstandsfeld der beidenObjekte die Bewegungserscheinung nicht aufhob, sondern imGegenteil begünstigt e. Und dasselbe gilt für die Experimente§ 16 : der Bewegungseindruck wurde dadurch nicht aufgehoben,sondern eher begünstigt, wenn die konzentrierte Aufmerksamkeitdorthin eingestellt wurde, wo klarerweise keine Phasen(Zwischenlagen) gegeben sind. Die Erklärung dieses Bewegungs-eindrucks durch Mangel der Aufmerksamkeit wäre also nichtmöglich. Aber man sieht : MARBE ist richtig dahin zu verstehen,dafs es ihm auf das Sehen des bewegten Objekts im Be-wegungsfelde ankommt; die etwaige Täuschung darüber kanndurch Konzentration der Aufmerksamkeit in das Täuschungsfeldu. U. in der Tat aufgehoben werden; in den Experimenten

' Vgl. z. B. die Formulierung MARBE, Zeitschr. f. .Psychol. 46, S. 347.2 Vgl. DÜRR, Philos. Studien 15, S. 501 ff.3 MARBE, Philos. Studien 14, S. 399, 400.4 LINKE, Psychol. Studien 3, S. 545; vgl. hier folg. Seite.5 Daselbst, S. 545 : LINKE definiert sie als Identitätstäuschungen.6 Neben den beim Stroboskop usw. tatsächlich erfolgenden verschieden-

artigen Reizungen derselben Netzhautstelle (vgl. MARBES allgemeine Fassungdes TALBorschen Gesetzes).

7 Dagegen LINKE a. a. 0. S. 479 ff.8 Philos. Studien 14, S. 399 f.9 Dagegen LINKE, Psychol. Studien 3, S. 474; Zeitschr. f. Psychol. 47, S. 204.

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238 Max Wert heinier.

§ 16 zeigte sich auch, dafs das Sehen des Objekts nicht daist; wohl aber die Bewegung, das T-Phänomen.

LINKE war von ganz anderen Gesichtspunkten an dasProblem herangegangen; in Mehrerem war er in seiner Be-handlung der Einzelprobleme zu Anschauungen gekommen, diesich auch hier ergaben 1 ; er geht aber geradezu — und prinzipiellentscheidend — von der These aus, dafs der Identitätseindrucka --.--- b primär, konstitutiv notwendig für den Bewegungseindrucksei. („Es bedarf der Tatsache der Identifikation . . . zu ihr tretendie Assoziationen nur sekundär hinzu" 2 usf.) Erst durch dievorhandene Identifikation entsteht der Bewegungseindruck , sieist die „Grundbedingung" 3 und „wie wir wissen, setzt Bewegungstets Identifikation voraus" 4 ; zu ihr als primärem tritt Asso-ziation resp. Assimilation 5 im Sinne WUNDTS 6 und für das letztereführt LINKE die extreme „Variabilität der Erscheinung" 7 ins Feld.

Die, für LINKE prinzipielle, These von der Identität 8 warmöglich; stellt sich aber (s. oben § 6, 7) heraus, dafs Bewegungs-eindrücke bei reiner Dualität der beiden Objekte da sind, dafs derIdentitätseindruck bei Stadienveränderung, früher verschwindetals der Bewegungseindruck 9, dafs es eine Reihe spezifischer Be-wegungserscheinungen gibt, s. a. § 16, wo von Identität derbeiden Objekte nichts vorhanden ist, wohl aber Bewegung, soist es wohl nicht möglich, den Identitätseindruck in jener abso-luten Weise als das prinzipiell Fundierende des Bewegungs-eindruckes, als primäre conclitio sine qua non, aufzufassen.

Bezüglich des zweiten Faktors, der nach LINKE als sekundärerzu dem der Identität hinzutritt, bringt LINKE die Tatsacheextremer Variabilität der Erscheinung als Argument : dafs näm-

' Vgl. LINKE, a. a. 0., z. B. S. 476; 481, 542; 481; USW.

2 a. a. 0. S. 529 u. a. 3 a. a. 0. S. 530.4 a. a. 0. S. 494. 5 a. a. 0. S. 523.6 WIJNDT, Phys. Psych., V. A., Bd. III, S. 528 ff.7 LINKE, a. a. 0. S. 535.8 Vgl. Dünn in EBBINGHAUS, Grundzüge der Psychologie. 3. Aufl. S. 531.9 Wenn LINKE selbst a. a. 0. S. 584 sagt: „In allen Fällen erschien

und schwand mit der Identifikation zugleich auch der Bewegungseindruck",so erklärt sich das wohl derart: operiert man in Dauerbeobachtung undzwar nicht in spezieller Auswahl der t und Berücksichtigung der anderenFaktoren (vgl. hier S. 196, § 11), so kann es beim Stroboskop leicht dazukommen, das man (wegen der Einstellungswirkung usw.) keine Zwischen-stadieneindrücke sieht.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 239

lich 1 bei denselben objektiven Verhältnissen ungesetzmäfsig ver-schiedene Eindrücke, verschiedene Bewegungen resultieren.2 Hierhandelt es sich nun nicht um die Frage, ob Assimilation im SinneWuNDTs vorliegt (vgl. hierzu u. S. 242), die LINKE als sekundären,zum Identitätseindruck hinzutretenden Faktor statuiert (dafsfrühere Erfahrung Verhältnisse des stroboskopischen Sehens be-einflussen kann, ist sicher richtig) — hier handelt es sich um dieirreguläre Variabilität : in der hier vorliegenden Untersuchung(s. §§ 7, 11) zeigte sich aber, dafs eben nicht, „trotz gleicherobjektiver Faktoren", schlechthin irregulär diese und jene Ein-drücke resultieren, sondern die Art der Eindrücke erwies sichvon bestimmten, komplizierenden Faktoren abhängig (Dauer-beobachtung , und subjektiv : Einstellung, Aufmerksamkeitsstel-lung usw.). LINKE operierte hierbei vielfach mit Objektanord-nungen , die technisch zwei verschiedenartige Eindrücke mög-lich machen, vergleiche aber hierzu die einfache Gesetzmäfsig-keit S. 2113.

[LINKE selbst hat schon bezüglich beider seiner Faktoren,der „Identität" und der „Assoziation" Schwierigkeiten bezüglichdes zweiten greift er zu der Formulierung, dafs es „nicht Ein-wirkungen bestimmter früherer Erfahrungen sind" (S. 537), dennes finden sich Bewegungserscheinungen, „für die sich in dersonstigen Erfahrung keine Analogien auffinden lassen" (S. 531),ja „empirisch ganz unmögliche, in der Erfahrung niemals ver-wirklichte Bewegung" (S. 537) und zieht sich auf den allgemeinenSatz zurück, dafs „Identität des räumlich Unterschiedenen nichtvorstellbar sei ohne den Gedanken an Bewegung oder an dasBestehen von Zwischenphasen" (S. 545). [Wird dieses Identitäts-bewufstsein „vollends nicht erschlossen, . . . so ist diese Ver-knüpfung am festesten und wirkungsvollsten" (S. 533).] Und bezüg-lich des ersten Faktors, der Identität, vergleiche (S. 522) seine Formu-lierung der „relativen Kontinuität" und die von LINKE S. 531, 535erwähnten Spuren einer dualen Bewegung.]

§ 20. Betrachtet man verschiedene Theorien (vgl. S. 164)von den Ergebnissen dieser Untersuchung aus, so ergibt sich :

I. Die Nachbild- resp. Nachbildstreifentheorie,die aus der Tatsache des Abklingens der Erregung in den ge-

1 a. a. 0. S. 524. 2 a. a. 0. S. 495, 524 ff.a. a. 0. S. 524, 526.

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240 Max Wertheimer.

reizten Netzhautstellen Bewegungserscheinungen ableitet, kannhier, wo es sich nicht um sukzessive Reizung mehrerer benach-barter Stellen handelt, konstitutiv nicht in Betracht kommen: hierhandelt es sich um Eindrücke, die bei b etr ächtlich em Ab-stan d e von zwei gereizten Stellen, bei fixem Auge (§ 4) ent-stehen, und im wesentlichen um das Phänomen im Abstands-felde selbst, zwischen den gereizten Stellen. (Ein Neben-einander von abklingenden Phasen' benachbarter Netzhautstellenist nicht vorhanden.)

II. Bezüglich der konstitutiven Fundierung durch A ugen-b e w e gun g en sei 2 auf § 4 verwiesen ; auch wenn man blofsauf „Innervationen" u. dgl. rekurrieren wollte, wäre die sonderbareKonsequenz § 4, S. 185 zu bedenken.

III. Gegenüber der Frage, ob man es hier mit Urteils-täuschungen zu tun habe, seien im wesentlichen folgendePunkte herausgehoben. Um eine Täuschung über physikalischReales darf es sich hier nicht handeln, sondern notwendig umdie Frage einer Täuschung über psychisch Gegebenes ; nicht ge-meint ist : ich täusche mich über physikalisch Vorhandenes,sondern : ich täusche mich im Beurteilen des Gesehenen ; etwa :wirklich gesehen worden sei immer nur das ruhige a und b, dafsman meinte, auch Bewegung gesehen zu haben, sei die Täuschung.Nun wäre schon ad hominem zu bemerken, dafs der vermutbareHauptgrund einer solchen Täuschung fehle : es gibt ja Bewegungs-erscheinungen (s. §§ 6, 7, 16) ohne die scheinbare Identität.

Aber ferner: Die deutlichen, detaillierten, eindringlich ge-gebenen Erscheinungen der gesehenen Bewegung zwischen a und b,wie sie die Selbstbeobachtungszeugnisse ergaben; immer wieder,trotzdem der Beobachter w eif s, dafs es sich um 2 ruhende Reizein Abstand und Sukzession handelt; Urteilstäuschungen solltenbei wiederholter, sorgfältiger Beobachtung, bei Dauer-beobachtung, bei Aufmerksamkeitskonzentration aufdas Gegebene, bei scharf er Übung in Beobachtung tachi-

1 Sofern solche z. B. beim Stroboskop in Betracht kommen (vgl. § 8),ist es nötig, dem zur erschöpfenden Beschreibung der Sachlage Rechnungzu tragen, wobei die MARBEsche Theorie der Elementarreize zweckmäfsigeVerwendung finden kann.

2 Abgesehen davon, dafs eine Reihe anderer Bewegungstäuschungengegen die Augenbewegungsfundierung sprechen, vgl. z. B. den PLATEAU-

DvoRAKschen Versuch mit mehreren Spiralen.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 241

stoskopischer Erscheinungen, bei gründlicher Er f a h rung (manhatte ja die verschiedenen Phänomene, auch ruhige Sukzessionusw. in verschiedensten Variationen kennen gelernt) — Urteils-täuschungen sollten sich bei all dem schwächen, sollten schwin-den; das ist aber nicht der Fall ; im Gegenteil (s. §§ 2, 7, 11).

Aufser diesem Allgemeinen aber noch in Speziellem : beiAufmerksamkeitskonzentration auf den kritischsten Ort derTäuschung (den Ort, wo das reinste „Täuschungsprodukt" sichabspielen soll, Stellung der Aufmerksamkeit in das Abstandsfeld,in den Winkelraum), wurde die Täuschung nicht vermindert,sondern eher verbessert, verstärkt. Bei scharfer Aufmerksam-keitsstellung auf eines der beiden Objekte bei einmaliger Ex-position blieb nicht etwa nun dieses von der Täuschung eherfrei, sondern es erfolgte u. U. eher gerade dessen Teilbewegung.

Und das reine T-Experiment (§ 16): wo nun wirklich klarist, dafs von einer Zwischenlage, einer Farbe, einem Gegenstandin Bewegung in dem Abstandsfelde nichts zu sehen ist, manauch gar nicht denkt, dafs der Gegenstand sich bewege — nunmüfste doch endlich die Täuschung schwinden?! s. § 16. Undmerkwürdig ist hier auch das 2T-Phänomen (§ 16, S. 225), wozwei Bewegungen, z. B. im Winkelraum rechts Drehung nachrechts, links Drehung nach links gesehen wurden, die Linie aaber sich nicht im geringsten etwa spaltete oder sich nach einerder beiden (oder beiden?!) Richtungen zu bewegen schien.

Aber ferner: es wäre natürlich auch die Reihenfolge qualitativverschiedener Erscheinungen aus der Theorie zu erklären: wiez. B. bei Veränderung der t nach Ganzbewegung über dieZwischenstadienerscheinungen der Weg zu Simultaneität ging usw.

mIn jede ein z ein en Falle wäre eventuell ja — da bei Kon-struktion einer Urteilstäuschung frei postuliert werden kann —eine spezielle, plausible Erklärungsweise schliefsliehdenkbar ; aber in der Zuordnung zu den Veränderungender t? Man müfste — z. B. um das Phänomen der Teilbewegungoder Singularbewegung zu erklären 1 — zu recht ausgiebigen.Konstruktionen greifen; aber wie dann beim stufenweise kon-tinuierlichen Übergang von optimaler Bewegung über die Er-scheinungen zum Extremstadium der Simultaneitätsruhe ?

' Zu recht komplizierten Gründen müfste auch bezüglich der speziellen,,Bewegungskurven" (s. S. 187, 208) gegriffen werden.

Zeitschrift für Psychologie 61. 16

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242 Max 'Wertheinier.

Und schliefslich bliebe noch das gesetzmäfsige negativeNachbild der aneinandergereihten (f-Phänomene —.

IV. Bezüglich der Auffassung dieser Bewegungserscheinungenals einer Verschmelzung der Reizinhalte ergibt sich :

1. a und b verschmelzen nicht notwendig zu einemIdentische n, es gibt Erscheinungen, bei denen Bewegungwohl vorhanden ist, nicht aber Identität der beiden Inhalte(siehe die duale Ganzbewegung §§ 6, 7 und die Teilbe-wegung).

2. cp ist nicht notwendig ein beide Inhalte a und b er-fassendes, sondern betrifft beim Phänomen der Teilbewegungjedes der beiden für sich, ohne dafs die beiden in irgend-einem Sinn verschmolzen wären. Vgl. auch Teilbewegungenbei Verschiedenfarbigkeit resp. verschiedener Gestalt derbeiden Inhalte ohne Veränderungseindruck, z. B. oben be-wegt sich ein rotes, unten ein blaues, s. § 7.

3. Bei Singularbewegung betrifft T blofs das eine Ob-jekt für sich, das andere bleibt ganz unberührt, s. § 9.

4. In den Fällen § 14 fehlt das Reizmaterial zur Verschmel-zung; in den Fällen § 16 sind beide Objekte von derT-Erscheinung unberührt, zweiheitlich, ruhig.

5. Würde man schliefslich notgedrungen zur Annahme be-stimmter eigenartiger, relativ selbständiger, fürsich reproduzierbarer Verschmelzungspro duktegreifen — die übrigens auch in sonderbarer Weise stückweiseauftreten könnten (s. Teilbewegung) —, so ist, abgesehenvon rein genetischer Theorie, alles Spezifische der V e r -s chm elzung für die Erscheinung selbst annulliert: manhätte es dann mit spezifischen Phänomenen zu tun, vondenen wohl genetische Entstehung in früherer Zeit durchVerschmelzung behauptet wird, die selbst aber, wie siehier auftreten, durchaus nicht Verschmelzung von Reizendarstellen.

V. Bezüglich der Auffassung dieser Erscheinungen im Sinnder üblichsten Definitionen einer Gestaltqualität resp.Komplexqualität (ferner Relationen usw.) gilt manchesAnaloge; sie erfordern die Tatsachen der S. 186 angeführtenThese I: 1. cp müfste a und b phänomenal einheitlich betreffen, um-fassen ; dagegen zeigte sich § 7 T als Teilbewegung, als eineAngelegenheit, die phänomenal jede der beiden „fundierenden,

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 243

Gegebenheiten" rein für sich betrifft. 2. q müfste a und b be-treffen; dagegen s. die Singularbewegung § 9. 3. a und b müfstenvorhanden sein, d. h. die fundierenden Inhalte „m in d e st en sz w e i" — müfsten irgendwie im Erlebnis enthalten sein; dagegens. § 14. 4. analog IV, 5 müfste aus Gründen des § 16 undfrüherer Paragraphen die Theorie bl of s frühere genetische Ent-stehung, Repro duktion für sich — und die sonderbare Z er -s tück elung (bei kleineren Teilbewegungen und Singular-bewegungen) behaupten.

Abgesehen von all diesem wäre es Aufgabe der Theorie,auch die sonstigen gesetzmäfsigen Erscheinungen, die sich er-gaben, aus sieh zu erklären, z. B. die duale Teilbewegung a 1 sZ wisc h en stadium auf dem Wege zwischen Ganzbewegung undSimultanstadium usf.

VI. Gründet p in einem Vorgang (Hinübergang, Bewegung)der Aufmerksamkeit? Zuerst biete sich a der Aufmerksamkeit,dann b; der Blickpunkt der Aufmerksamkeit, der zuerst a erfafst,werde von a weggerissen, zu b hinübergezogen. Man könntemeinen : dieser Hinübergang der Aufmerksamkeit sei die Er-scheinung der Bewegung.

Unter Aufmerksamkeit kann verschiedenes verstanden wer-den; versteht man unter Aufmerksamkeit in spezi-eller W eise j enes experimentell (§ 11) verwandte Datum,nach dein der Beobachter sich in solcher Weise aufeinen bestimmten Ort konzentriert, dafs er die Er-scheinungen und Vorgänge an diesem Orte am schärfsten be-achtet und diese nun besonders klar und deutlich, im „Zentrumdes Bewufstseins", erscheinen, so ergibt sich, abgesehen davon,dafs dem Beobachter auch in dem reinen T-Experiment (§ 16)der T-Vorgang unterschieden erscheint von der wohlbekannten,geübten Erscheinung eines blofsen Hinübergangs des Zentrumsder Aufmerksamkeit von einem Orte auf einen anderen, folgendes:

1. Ähnlich wie im § 4 mit der Fixation des Auges verhieltes sich hier. Die Frage ist : gelingt es, die Aufmerksarnkeits-stellung (s. § 11) während der Versuche streng festzuhalten ? Wenn,was ist dann der Effekt? Die experimentelle Prüfung stellte andie Schulung der Beobachter gröfsere Anforderungen ; bei Übungin Aufgaben der Aufmerksamkeitseinstellungen kam es aber balddahin, dars die Vp. mit Sicherheit Angaben dahin machen

16*

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244 Max Wertheimer.

konnte, ob ihre Aufmerksamkeitsstellung eine Änderung erlittenhatte oder nicht. Anfangs — wie bei der Fixationsprüfung —war nach gesehener Bewegung öfters der Ort der konzentriertenAufmerksamkeit anderswo als zu Anfang des Versuchs, dieAufmerksamkeit war „h inübergerisse n" worden und manwar zuletzt bei b oder jenseits von b. Bald aber ergab sich : dieAufmerksamkeitsstellung kann an einem Orte ruhig fest-bleiben (wieder wurde mit den verschiedenen Stellungen § 11operiert), die Bewegungserscheinungen spielten sich ebenso ab(über den Ort hin, von ihm aus, auf ihn zu, peripher von ihm usw.),in den § 11 konformen Erscheinungen.'

2. Ferner wären die Konsequenzen bezüglich der, S. 207, an-geführten Gesetzmäfsigkeiten zu bedenken; wollte man rein vonHinübergängen des Auf merksamkeitszentrums ausgehen, somüfsten die verschiedenen Postierungen (z. B. Postierung auf boder peripher usw.) zu anderen Erscheinungen führen, als siedie Experimente des § 11 ergaben.

3. Schliefslich müfste man, um den phänomenalen Er-scheinungen der (p-Phänomene gerecht zu werden, bezüglich derphänomenalen Hinübergänge der Aufmerksamkeit sehr weit-gehende vielfache und sonderliche Leistungen zuschreiben, wennz. B. s. § 4 S. 184 gleichzeitig im selben Bewegungsfelde zweientgegengesetzte Bewegungen erzielt wurden (ohne dafsfigurale Vereinheitlichung Aa:bB phänomenal irgend da war)oder wenn (vgl. S. 262, Anm. 1) ähnlich mehrere entgegen-gesetzte Bewegungen erschienen oder schliefslich bei Erzielungdreier, vierer disparater Bewegungen, unvereinheitlicht, imselben Felde. Man müfste hier mit mehreren isolierten gleichzeitigenAufmerksamkeitshinübergängen rechnen.

Man sieht bald, dafs die T-Phänomene selbst mit „Klarheitund Deutlichkeit" an bestimmtem Orte nichts direkt zu tunhaben; sie selbst können weniger und mehr klar und deutlichsein, sich an peripheren oder mehr zentralen Orten der Aufmerk-

' Es lag auch nahe, mit hinzugefügten Erkennungsversuchen zub a

operieren ; so ergab z. B. Momentexposition von x7,NA nicht etwa

Neigung zur Lesung „Max", sondern Xam ; u. ä,hnl.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 245

samkeit abspielen. Aufmerksamkeitshinübergang indem hier verwendeten Sinn erscheint geradezu als einP 1 u s, das aufser der gesehenen Bewegung noch vorhanden seinkann, zwar unter einfachen Verhältnissen sich auch einstellt,konstitutiv aber nicht erforderlich ist.

[Wird „Aufmerksamkeit" nicht in dem oben definiertenSinn verstanden, sondern in anderer Weise: ir gende in z e n-tr aler Faktor, der dem Zustandekommen der (p-Phä-nomene zugrundeliege und der dergestalt wirkte, dafs erin seinen Leistungen dem sub 2 und 3 Angeführten entspräche, soverweise ich auf 5.246: zentrale Vorgänge' selbst müssensicher wohl zugrunde gelegt werden. 2]

— Wollte man von Aufmerksamkeit im üblichen Sinn, in derBeziehung zu Klarheit und Deutlichkeit, absehen und glauben,aus rein logischen Gründen einen „Vorgang" als einen „V o r-gang von etwa s" denken zu müssen, so ist dagegen zu sagen:dafs das im psychologischen Befunde nicht begründet ist; undwarum sollte es nicht rein dynamische Phänomene geben? Esist kein innerer Grund dafür vorhanden, psychologisch „dyna-misches" a priori auf „statisches" zurückführen zu müssen.

[Anmerkung. Analoges, wie hier sub 1 und 3 wäre bezüglichder Auffassung zu sagen, dafs die (p-Vorgänge in einem „sukzes-siven Erfassen der Orte zwischen a und b" begründet seien.Auch hier ist 3 entscheidend: welche Fähigkeiten müfsten da,vom Erfassen verlangt werden, wo mehrere Bewegungen zu-gleich gesehen werden! Auch diese Forderung erscheint als einPlus (das bei diesen Experimenten auch nicht mehr geleistetwird), wenn man bedenkt, das die in Betracht kommender)(Lagen-)Orte zwischen den mehreren verschiedenen a- und b-Ob-jekten hätten sukzessiv erfallst werden müssen. Ein phäno-menales Hinüber (eventuell ein Darüberhin, Hindurch durch denAbstand ab) ist wohl da; jede weitere Forderung aber stellt einPlus dar, das zu übergrofsen Ansprüchen an die psychischeLeistungsfähigkeit führt. Siehe schliefslich noch das sub 3 er-

1 EXNER, Arch. f. Physiol. 11, S. 589 usw. 1875. S. S. 221 hierselbst.2 Bezüglich eines Rekurses auf konstitutive Wirksamkeiten vom „zen-

tralen Nachbild" aus, sei hier auf § 15 S. 220 verwiesen, auf die Bewegungs-eindrücke bei Dauer des Reizes a über das Erscheinen von b hinaus unddas Experiment, bei dem a auch während der Dauer von b in anderer Farbegegeben ist.

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246 Max Wertheimer.

wähnte Experiment zweier gleichzeitiger entgegengesetzter Be-wegungen im selben Felde und das sub 1 Anm. 1 erwähnte, beidem „sukzessives Erfassen" in der Richtung nach links zur Nahe-legung von „Max" führen sollte.]

§ 21. Bei den vorliegenden Experimenten handelt es sichim wesentlichen darum, dafs sukzessiv zwei, voneinander durcheinen Abstand getrennte Netzhautstellen gereizt wurden; Augen-bewegungen und Verhältnisse des An- und Abklingens der Er-regung in den betreffenden gereizten Netzhautstellen selbstkönnen (s. §§ 4, 16) nicht als das konstitutiv Fundierende ange-sehen werden.

Dafs zur Fundierung zentrale Faktoren herangezogen werdenmüssen, hat schon EXNER 1875 ausgeführt 1 im Anschlufs an dieErgebnisse seines „Doppelstroboskops" u. a.; aus anderen Ge-sichtspunkten MARBE 2 auf Grund des DüR,Rschen Experimentsüber Phasenausfälle 3; WUNDT 4 ; dann LINKE im Anschlufs andie, S. 238 behandelten Erscheinungen; SCHUMANN auf Grund der„Bewegung ohne Ortsveränderung der Reizobjekte".5

Das Experiment S. 221, bei dem die Bewegungserscheinungen.bei haploskopischer Betrachtung am Tachistoskop in Ana-logie zum ExNERschen Experimente, ohne Blickbewegung resul-tierten, zeigt in klarer Weise, dafs es nicht genügen kann, reinperiphere Vorgänge betreffs des Einauges heranzuziehen : esmufs auf Vorgänge, die „hinter der Netzhaut liegen", rekurriertwerden. 6 7

1 EXNER, Exper. Untersuchungen der einfachsten psychischen Prozesse,Arch. f. Physiol. 11, S. 589. 1875: „Diese Bewegungsempfindung kommtentweder immer oder wenigstens in gewissen Fällen in jener, beidenAugen gemeinsamen Zone zustande" usw.

2 Vgl. Phil. Stud. Bd. 14, 1898, S. 400: „der wichtigste Teil dieser Vor-gänge, die stroboskopischen Bewegungserscheinungen, beruhen aufserclemauf der Tatsache, dafs wir infolge rein zentraler ,Verhältnisse den Ausfallvon Bewegungsphasen nicht bemerken."

3 DORR, Phil. Stud. Bd. 15.4 WUNDT, Phys. Psychol. II5.5 SCHUMANN, II. Kongr. 5. 218.6 In anderer Weise deuten auch die 6-4esetzmäfsigkeiten § 11 und § 14

betreffs der bestimmenden Wirkungen der Aufmerksamkeit und der Ein-stellung auf zentrale Fundierung.

7 N. B. Ich erwähne, dafs neuerdings ein pathologischer Fall (ein

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 247

Eine physiologische Theorie hat im Zusammenhange mitder experimentellen Forschung m. E. zweierlei Funktion : einer-seits soll sie die verschiedenen Einzelergebnisse und Gesetzmäfsig-keiten in einheitlicher Weise zusammenfassen und deduzierbarmachen ; andererseits, und dies scheint das Wesentliche, durchdiese einheitliche Zusammenfassung dein weiteren Vorwärts-kommen der Forschung dienen: indem sie zu konkretenexperimentellen Fragestellungen führt, die zunächstder Prüfung der Theorie selbst, im Grunde aber zu weiterem.Eindringen in die Gesetzmäfsigkeiten der Erscheinungen taug-lich sind.

In diesem Sinne mag ein Schema physiologischer Fundierunghier anhangsweise kurz skizziert werden, das sich mir zur zu-sammenfassenden Ableitung der Ergebnisse und im Dienstspezieller Fragestellung im Verlaufe der Untersuchung ergabund das sich bei der Weiterarbeit bisher heuristisch bewährte.Wenn diese Hypothese auf schwierige und noch unbekannte Ge-biete übergreift, so scheint das hier die Sachlage zu erfordern ;es scheint nötig und erlaubt, indem die Hypothese selbst zukonkreten Aufgaben experimenteller Entscheidung führt. Ichbeschränke mich auf Skizzierung der wesentlichen Hauptzüge ;ein näheres Eingehen soll erst im Zusammenhange mit experi-menteller Behandlung andrer, hier eingreifender Gebiete erfolgen.— Es handelt sich um bestimmte, zentrale Vorgänge, physiologische' ,Querfunktionen" besonderer Art, die als das physiologischeKorrelat der T-Phänomene dienen.

Fall von Affektion beider Okzipitallappen) für zentrale Fundierung des Be-wegungssehens zu sprechen scheint : In der Wien. klin. Wochenschr. 24,S. 518, Nr. 14, 1911, berichtet Dr. PÖTZL von der betreffenden Patientin:„läfst man eine starke Lichtquelle in langsamer oder schnellerer Bewegungauf sie wirken, so scheint sie die Bewegung des 0 bj ek ts nicht z uapperzipieren, sie bezeichnet das, was sie sieht, als mehrereLichter .. ." [Ich habe mich im Mai 1911 daraufhin an den Verf. Dr. P.gewendet und hatte Gelegenheit, die Patientin sowohl mit verschiedentlicherwirklicher Bewegung als auch mit Schieberexperimenten im Laufe desSommers 1911 wiederholt zu prüfen; die Stringenz leidet etwas durch dieherabgesetzte Intelligenz der Vp.; doch ergab sich der Mangel des B e -w e gungssehens trotz Erkennung der Farbe usw. immer wieder, währenddie Vp., wenn akustische Eindrücke halfen (Rascheln usw.) von„hin- und herflattern" sprach. Dabei wurde die Farbe des objektiv Vorbei-bewegten erkannt.]

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248 Max Wertheimer.

Es mufs nach neueren hirnphysiologischen Forschungen alswahrscheinlich angenommen werden, dafs mit einer Erregung einerzentralen Stelle a eine physiologische Wirkung in gewissem Umkreisum dieselbe gesetzt ist. Werden zwei Stellen, a und b, in Er-regung versetzt, so ergäbe sich beiderseits solche Umkreiswirkung,der Umkreis ist für Erregungsvorgänge prädisponiert.

Wird die Stelle a gereizt, in bestimmt kurzer Zeit nachherdie nahe 1 Stelle b, so träte eine Art physiologischen Kurz-schlusses von a nach b ein : in dem Abstand zwischen beidenStellen finde ein spezifisches Hinüber von Erregung statt ; istder Grad der Umkreiswirkung von a z. B. an dein Höhepunktseiner zeitlichen Verlaufskurve angelangt und bietet sich nunUmkreiswirkung von b, so flute Erregung hinüber, ein physio-logisch spezifischer Vorgang, dessen Richtung dadurch gegebenist, dafs a und die Umkreiswirkung um a zuerst da ist.

Je näher1 die beiden Stellen a b einander sind, desto gün-stiger sind die Bedingungen für ein Entstehen des (p-Vorgangs(vgl. zum Gesetze des kleineren Abstands die verschiedenen Tat-sachen § 14, § 17).

Ist t, die Zwischenzeit zwischen dem Eintritt der Erregungin die beiden sukzessiv gereizten Stellen a und b, zu gr ofs, soist die Umkreiswirkung um a schon erloschen, wenn die von beintritt (Stadium der Sukzessio n) ; ist die Zwischenzeit kürzer,so, dafs die Umkreiswirkung von a da ist ev. am Höhepunktihrer Verlaufskurve sich befindet, wenn die von b eintritt, so er-gibt sich das Hinüber von Erregung; ist t sehr kurz, so tretendie Umkreiswirkungen von a und b zu gleichzeitig auf (resp. hatdie um a im kritischen Momente noch nicht ihre genügendeHöhe erreicht), um den gerichteten Kurzschlufs zu ermög-lichen (Stadium der Simultanruh e). Vgl. noch S. 252.

Wie immer man zentrale Fundierung der Aufmerksamkeitdenken mochte, immer ist zu formulieren : einer Stelle, and e r das Aufmerksamkeitsfundierende (sei es nun : erhöhte Er-

1 Es ist hier gleichgültig, ob dieses „näher" einfach geometrisch ge-dacht werden könnte (etwa im Sinn der Theorien der „Projektion derRetina") oder blofs Funktionsverbindung in Frage käme: auch wenn mankeinerlei Bild der Retina zugibt, müssen die, benachbarten Stellen derRetina entsprechenden zentralen Einfallsstellen in besonderer, besondersstarker, besonders „naher" Funktionsverbindung miteinander stehend, ge-dacht werden.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 249

regbarkeit, oder höhere Leitbarkeit oder höherer Erregungszustandusw.) vorhanden ist, kommt eine erh öhte Disposition fürErr egun gen zu. Dem entsprächen nun in einfacher Konse-quenz die Ergebnisse des § 11: Aufmerksamkeitsstellung im Ab-standsraum (zwischen a und b) begünstigte das Phänomen;Stellung an den Ort eines der beiden Objekte eventuell die (Teil)-Bewegung daselbst usf. [Andererseits ist das subjektive Hervor-tretenlassen einer Figurenkontur S. 211 ein anderer, in andererWeise wirksamer Faktor; es handelt sich dabei nicht um all-gemeine Erhöhung der dispositionellen Verhältnisse, sondern umVerstärkung bestimmter Verhältnisse, vgl. hierzu S. 252.]

Die Umkreiswirkungen sind naturgemäfs in der Nähe dererregten Stellen am stärksten ; sind nicht optimale Verhältnissegegeben, z. B. ein t zwischen dein des Optimal- und dem desSimultanstadiums, so wirkt das Phänomen am stärksten an denRändern bei den beiden Objekten, ist in der Mitte eventuellunterschwellig (duale Teilbewegung) ; aufserdem käme für völlig opti-male Bewegung (und Teilbewegung im Sinn der Bewegung desObjekts) qualitative Influenz von a respektive b her in Betracht;es braucht aber Influenz nicht notwendig stattzufinden : dem.reinen T-Phänomen § 16 entspräche ein Hinübergang von Er-regung ohne qualitative Influenz von a und b her. (In demExperiment S. 209 handelt es sich wohl um ein „Siegen" nach Artdes binokularen Wettstreits.)

Bezüglich der spezielleren Erscheinungen § 15 ist zu sagen :es handelt sich bei diesen immer um ein späteres Auftreten derExposition von b oder ein früheres Verschwinden von a ; beiWiederholung der Reizung, bei dispositionellen Faktoren kannauch bei längerer Expositionszeit, auch bei zeitlichem Übergreifendie Umkreiswirkung (Teilbewegung) wirksam werden. Dafs beiandersartiger Reizung von a während des Daseins von b der Effekteintreten kann, läfst sich ebenfalls mit der vorstehenden An-schauung vereinigen.

Dem Charakter dieses physiologischen Vorgangs entsprächenferner die Ergebnisse § 10 : die u. U. erfolgenden Wirkungeneines T-Vorgangs auf ein Objekt im Bewegungsfelde und aufeine benachbarte Sukzessivreizung.

Dafs mehrfache an sich noch zu schwache Einwirkungenin ihrer Summierung sich verstärken und ebenso, dafs mehrfachwiederholtes aktuelles Vorhandensein des bestimmten physio-

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250 Max Wertheimer.

logischen Vorgangs das Eintreten desselben begünstigen, ist zuerwarten. (Vgl. die Wirkungen der Einstellung § 7, § 14.)

Und andererseits : ist dauernd ein starkes Hinüber bestimmterRichtung vorhanden, so ist zu erwarten, dafs es nachher, wennder Reiz zum Hinüber aussetzt, zum Zurückfluten, zum Aus-gleiche in entgegengesetzter Richtung kommt : es ergäbe sich dasnegative Nachbild (§ 17).

Bei aneinandergereihten Sukzessivexpositionen (vgl. S. 231)schliefsen sich unter optimalen Verhältnissen die entstehenden(p-Vorgänge kontinuierlich aneinander und ergeben einen e i n -h eitlich kontinuierlichen Gesamtvorgang; der „Lagen-charakter" vgl. § 12 schwindet; hier scheint die Brücke zumSehen dauernder wirklicher Bewegung gegeben: eine fort-schreitende Verkleinerung der „Abstände" führt direkt zu denphysikalischen Verhältnissen der wirklichen Bewegung; bei ihrkäme so aufser de in Reizempfang selbst (und den durchihn direkt bedingten Vorgängen) der einheitlich hinüber-gehende (p-Vorgang in Betracht. Dafs bei wirklicher Be-wegung ein weit gröfserer Bereich der optimalen.Zeiten (damit Schnelligkeiten der Bewegung) gegeben ist, er-.klärte sich in einfacher Weise dadurch, dafs, je kleiner der „Ab-stand" wird, desto gröfserer Bereich der optimalen t- Zeiten sichergab; ist der Abstand klein oder wird mit kontinguierlichenReizfolgen operiert (und ist bei aneinandergereihten Expositionennicht durch zu grofse Dauer etc. der a, ß . . . Zeiten der Ruhe-Lagencharakter der exponierten Lagen selbst begünstigt 1), somufs man zu ganz exzessiven Verlangsamungen oderBeschleunigungen der Aufeinanderfolge (Vergröfserungen,Verkleinerungen der t) greifen, um von optimaler Bewegung auseines der Extremstadien, sukzessive oder simultane Ruhelage, zuerreichen.

1 Von hier aus ergibt sich auch für die Prinzipien des Kinernato-graphen eine Beziehung : Vermehrung „der Phasenbilder" ist für den B e -w egungs eindruck nicht schlechthin ein günstiges Moment ; einerseitswirkt es nur dann günstig, wenn die Expositionszeiten der Einzelphasenkurz genug sind, um nicht „Lagen"eindrücke selbst zu begünstigen ;andererseits aber ist es zur Eindringlichkeit der Bewegung selbst nichtvonnöten (vgl. § 16) ; die günstige Wirkung mag in erster Linie in demUmstand liegen, dafs kleinere Abstände verwendet werden, die grofsenSpielraum verschiedener Schnelligkeiten geben.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 251

Exkurs.Das Prinzipielle, das in der entworfenen Annahme liegt : dafs hirn-

physiologisch aufser den Erregungen von einzelnen Stellen [und abgesehenvon „leitungsassoziativen" Faktoren] spezifische „Querfunktionen" in Be-tracht kommen sollen, Vorgänge, die sich, spezifisch zentral, zwischen er-regten Stellen abspielen resp. sich auf der Grundlage der Einze l-erregungen in charakteristischer Art aufbauen, legt einen Aus-blick anderer Richtung noch nahe.

Es liegt hier die Vermutung zugrunde, dafs nicht die Erregungs-vorgänge in den erregten Zellen selbst (peripherwärts oder durch„Assoziationsleitung" empfangen) o der die Summe dieser Einzel-erregungen das einzig wesentliche sind: sondern dafs eine wichtige undfür manche, psychologisch herauszufassen de, Faktoren direkt wesentlicheRolle charakteristischen Quer- und Gesamtv orgängen zukomme,die, aus der Erregung der Einzelstellen (ev. als Einfallstellen,als spezifisches Ganzes (gröfseren Bereichs) resultieren.

Hier würde eine solche Wirkung relativ einfacher Art wahrscheinlich :eine Querfunktion zwischen erregten Stellen (ein zentraler Vorgang zwischen.zwei zeitlich determinierten Erregungen), eine Art physiologischen Kurz-schlusses, dem psychisch phänomenal das -Phänomen entspräche. Manches,das sich bei den Experimenten ergab, deutet nun aber noch auf anderes hin.

Es war S. 165 gesagt, dafs bei Verkürzung der t- Zwischenzeiten dasSimultanstadium erreicht wird; hierbei nun erscheinen die beiden Objektein der Regel in besonderer Weise als duo in uno, als zwingende Ge-samtge s talt : nicht zwei Linien von einem Punkt ausgehend sind da,sondern ein Winkel; nicht oben eine Horizontale, unten eine, sondern dieGestalt usf. Und einige andere Ergebnisse I deuten noch auf ein Be-sonderes bezüglich zwingender 2 Gestalteindrücke.

' Anordnung von Sukzessivobjekten im Sinne des Nahelegens einfacherGestaltauffassung ist in gewissen Grenzen nicht ohne Einflufs auf die Artdes Zustandekommens von Bewegungserscheinungen; der Einflufs des Ge-staltfaktors, sowie verschiedener anderer Faktoren, ist in bestimmter Weisequantitativer Messung zugänglich. — In anderer Weise war schon einmal.,S. 211, ein Entgegen wirken des Gestaltfaktors gegen das Zustande-kommen von 7 -Phänomenen erwähnt. — Schliefslich sei noch eine z. T.hierhergehörige, komplexe Tatsache verzeichnet: hat man im Stroboskopauf den Streifen zwei oder mehrere Objekte angebracht und beobachtet nunbei Veränderung der Geschwindigkeit die sich ergebenden Gestalten, so istmerkwürdig, dafs nicht etwa durchgehend die verschiedenen geometri-schen Möglichkeiten sich sukzessiv entwickeln, sondern vorzüglich einfacheKonfigurationen, die oft ziemlich abrupt, plötzlich ineinander übergehen.Bei komplizierteren Objektzeichnungen am Stroboskopstreifen gehört einigeexperimentelle Erfahrung dazu, die Art (oder die Arten) der vorwiegendenGesamtgestalt vorherzusagen. Dabei scheint es, dafs, sofern mehrere Artenim Stadienverlaufe vorkommen, diese nicht in geometrischer Annäherungineinander übergehen, sondern zuerst die eine herrscht, dann plötzlich die

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252 Max Wertheimer.

Es wäre denkbar, hierin nun eine einfache Konsequenz des S. 248 Ge-sagten zu sehen: bei einer günstigen zeitlichen Aufeinanderfolge des Ein-tritts der beiden Umkreis wirkungen von a und b, ergäbe sich der Hinüber-gang einer Erregung; ist t aber sehr kurz, so träten die Umkreiswirkungenzu gleichzeitig auf, um den gerichteten Kurzschlufs zu ermöglichen:wohl aber wäre hiermit zunächst für bestimmte Wirkungen eine Artphysiologischen Verbundenseins und wohl ein einheitlicher, aus denphysiologischen Einzelerregungen als Ganz es 3 resultierender Gesamt-prozefs gegeben : eine Simultan- 99-Funktion.4

* **

Hier nochmal ein kurzer Rückblick :In § 16 stand das Wort „Phänomene" im Sinne des psychisch

spezifischen, beobachtbar Gegebenen (dem nun hier § 21 einezentrale Zuordnung zuschrieb). Die Beobachtung ohne Postu-lierung ergab inhaltliche Bestimmtheit charakteristisch dynamischerNatur im Gegensatz zu „statischen Inhalten" der sonstigen op-

andere (oft ohne geometrischen Übergang) gegeben ist („siegt" ähnlich wiebei dem Siegen einer Figur in haploskopischen Experimenten). — Diese er-wähnten, noch komplexen Erscheinungen stellen bestimmte Aufgaben einereingehenderen experimentellen Untersuchung bez. des „Gestaltfaktors".

2 Es wird öfters einseitig die „Beliebigkeit" bezüglich des Ge-staltsehens hervorgehoben ; es gibt schlechthin zwingende Gestalt-anregungen; es gibt Objekte, die zwei oder mehrere Auffassungen ermög-lichen ; die experimentelle Forschung wird auch die Bedingungenzwingender Gestalteindrücke zu untersuchen haben. [Beispiele kom-plexer Art hiezu: Man wird die gefundene Figur im Vexierbild nicht los.Simultane Gestaltsanregung in „unvollständigen Zeichnungen", „Skizzen" ;usw.] Z. B. sukzessiv- und auch simultan wirkende Einstellung. (Übrigensist selbst bei sehr beliebigen Auffassungen von vieldeutigen Mustern nichteinfach beliebiges Wollen in Frage, sondern wohl greifbare psychische Ver-haltungsweisen.)

3 Käme es so auf einen physiologischen Ges amtprozefs an, dessencharakteristische Art als Ganzes für weitere Wirksamkeitenentscheidend wäre, nicht aber die Summe der betr. Einzelerregungen,— eine Möglichkeit, die bestimmte experimentell zu behandelnde Fragenstellt —, so ergäben sich vielfache Konsequenzen ; z. B. bei Reproduk-tion, beim Wiedererkennen usw. wäre ein Zustandekommen derdagewesenen physiologischen Gesamtform des einheitlichenProzesses wesentlich, nicht Reproduktion bestimmter Einzelerregungen.

4 Obige Bemerkungen bezüglich eines Simultan-99 wollen blofs einHinweis auf eine sich ergebende Möglichkeit sein ; im Sinn einer Anregungzu bestimmten Aufgaben der experimentellen Forschung : den B e -dingungen und Wirksamkeiten des Gestaltfaktors in experi-menteller Forschung näherzukommen.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 253

tischen Gegebenheiten, Bestimmtheit nach Raum und Richtung,eine Art Intensität, Eindringlichkeit, gegenständliche Gerichtet-heit (als nicht „subjektivisches"). Bei dein Zustandekommen sind,in gewissen Bereichen verschiedene subjektive Faktoren gesetz-mäfsigerweise von bestimmter Relevanz.

Zeigten sich so spezifische optische T-Phänomene, so sei er-wähnt, dafs es in manchem Bezuge analoge Problerngebieteauch auf anderen Sinnesgebieten gibt. So zeigt — z. B. — beiprinzipieller Verschiedenheit im akustischen Bereiche die schoneinmal erwähnte Erscheinung des „lebenden Intervallschritts", 1

die „Tonbewegung" als charakteristisches, gerichtetes Erlebnis,nicht statischer Art, einiges Verwandte. —

A nhan g. § 22. Wir befinden uns normaliter in einerbestimmten Raumorientierungslage; der Sehraum ist[in bezug auf die Vertikalrichtung, die Horizontalstreckung, dasNiveau (s. u.)] in bestimmter Weise orientiert, und bleibt es im.allgemeinen, trotzdem Bewegungen der Sehobjekte, Augenbe-wegungen, Bewegungen des Kopfes, des Körpers stattfinden: dieSehobjekte werden i. a. trotzdem innerhalb ruhig bleibenderRaumorientiertheitslage erlebt.

Die Experimente § 17 führten im Verfolg zu Tangierungendieses Zustands ruhig bleibender Raumlage, auf rein opti-schem Wege, und es stellte sich ein wesentlicher Faktor fürden Zustand des „sich in fester Raumorientiertheitslage Befindens"heraus : der Faktor der psychischen Verankerung; bestimmteMomente leisten eine Verankerung und Einstellung auf eine be-stimmte Raumorientiertheitslage , durch stärkere Veränderungen.dieser Momente, oder durch längeres Fehlen solcher Verankerungs-momente kann der Zustand des Verankertseins gelöst werden.

Die Tatsache der Verankerung ist biologisch wichtig; esgehören, wenn man in einer bestimmten Raumorientiertheitslageeingestellt ist, relativ starke „Reize" dazu sie, zu lösen, dieRaumlage labil zu machen, zwangsweise anders zuorientieren oder in Bewegung geraten zu lassen.

Dafs durch Tangierungen des Labyrinths solche Wirkungenerzielt werden können, ist bekannt; bei den hier folgenden Tat.

e ( 1116) h ( 112); e (VN) h ( 112); e( 1 116) h ( 112) e (112).

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254 Max Wertheimer.

sachen handelt es sich um Tangierungen auf rein optischemWege. 1

I. Bei den Experimenten S. 230 f., bei dauernd aneinander-gereihten Sukzessivexpositionen, ergab sich dauernd kontinuier-liches „Sinken" (oder „Steigen", „Drehen" usw.) im Felde.

Projiziert man ein starkes Bewegung.snachbild solcher Be-wegung auf eine Fläche, so kann zweierlei eintreten : es sindVerankerungsmomente peripher da, z. B. der Rahmen der Tafel,auf deren Fläche das Nachbild projiziert wird oder noch besserGegenstände, ein Stuhl darunter usw. und man sieht an demOrte der Tafel das „Steigen" innerhalb sonst ruhig blei-benden Objektfeldes, ruhig bleibender Raumlage; oderes f ehlen solche Verankerungsmomente (oder das Nachbild istüber das ganze Sehfeld hin vorhanden) und es ist ein „S teige n"schlechthin gegeben, nun nicht innerhalb ruhig bleibendenRahmens, sondern den Sehraum selbst erfassend. Ähnlich beieiner Bewegung dauernd von rechts nach links usw. : sind dauerndgenügende Verankerungsmomente vorhanden, so sieht man, inruhig bleibender Raumorientiertheit, z. B. in der — an sichruhig feststehenden — Tafel die Feldbewegung , fehlen genügendeVerankerungsmomente, so ist schlechthin „Bewegung nach links"da : ganz analog zu den bekannten Erscheinungen im Dreh-zylinder u. ähnl., bei denen „nun dreht sich der ganze Raumum mich" resultiert u. ähnl.

Gewöhnlich ist das so, dafs zuerst noch die Bewegung inner-halb ruhender Raumlage da ist dann wird diese „1 ab i 1", „un-sicher" — dabei tritt öfters ein „Sich nicht sicher fühlen in bezugauf die Raumlage" mit der bekannten „P einlichk ei t" auf —,und die Raumlage selbst gerät in Bewegung.

[Vgl. bezüglich der zwei Formen : „es ist Drehen um michda" und andererseits „ich gedreht in .. ." die Anmerkung S. 255;auch das ist nicht beliebig, sondern, abgesehen von Fixation undAufmerksamkeitsverhalten, von 'Verankerungsfragen abhängig.]

Es kann bei diesen Experimenten so vorgegangen werden,dafs nichts tangiert wird aufser rein Optischem; Körper, Kopf,Auge bleibt dauernd ruhig, es wird ruhig ein Punkt fixiert : amschlagendsten bei dem bekannten Spiraleversuch 2 (s. S. 232).

Bei Prüfung mit ruhender Fixation und unveränderter Kopflage.Welcher Nystagmus sollte bei dem Spiraleversuch mitspielen ?

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 255

Projiziert man das starke Nachbild z. B. auf die Mitte einergrofsen Wandtafel, indem man einen Punkt derselben — z. B.einen von mehreren auf der Tafel gezeichneten Buchstaben— fixiert, so kann es leicht zu dem paradoxen Eindruck kommen,dafs einerseits (z. B.) das starke „Sich-ausdehnen" von der Mitteaus (radiär nach allen Seiten) da ist, andererseits die Tafel aber,deren Rahmen peripher im Gesichtsfelde ist (besser noch auchein Stuhl, ein Türpfosten daneben), „doch völlig ruhig bleibt"(„die Tafel dehnt sich nicht aus"); es ist die Bewegung innerhalbruhigbleibendem Felde da spielt aber Verankerung' keine Rolle— sei es dadurch, dafs keine Verankerung leistende Objekte dasind, sei es, dafs sie zu sehr aufmerksamkeitsperipher sind —,so ist kein Ausdehnen in ruhigem Rahmen, sondern einAusdehnen schlechthin da, ein dauerndes Auseinanderziehen vonder Mitte aus im Sehfelde (das immerhin bei dauernd sicht-baren Buchstaben ein kompliziertes Erlebnis bildet)]

Anmerkung. Hierbei sei ein Prinzipielles erwähnt; vonder tatsächlichen psychischen Erfahrung aus erscheint d i eübliche dogmatische These, dafs „Bewegung"psychisch etwas schlechthin Relatives sei, falsch.Meint man, es sei „nur eine relative Ortsänderung"gegeben und das Gesehene eben nur gleicherweise deutbarals z. B. Bewegung des Eisenbahnzugs oder der Gegen-stände draufsen (entgegengesetzter Richtung) und ähnlichin anderen Fällen — (diese These hat ja sogar zur An-nahme der Fundierung gewisser sichtbarer Bewegungen als„relativ zum Rande des Gesichtsfelds" geführt),'— so stehen dem die Tatsachen geradezu entgegen. Meintman, die These sei schlüssig, weil ja wirklich einmal daseine, einmal das andere — bei demselben physikalischenTatbestande — erscheine, so steht dem entgegen, dafses in Wirklichkeit gar nicht so schlechthinbeliebig ist, „den Sachverhalt in einer und der anderenWeise aufzufassen" eine Reihe von Faktoren spielt da eineRolle : kommt die eigene Körperlage in Betracht [es istz. B. in einfacher Weise möglich, nach Art der S. 221 ge-schilderten haploskopischen Spiegelversuche auch bei ruhigerKopflage scheinbares Hin- und Herbewegen des Bildes des

1 Vgl. HAMANN, Zeitschr. f. _Psychol. 45, S. 236.

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256 Max Wertheimer.

eigenen Kopfes im Spiegelbild zu erzeugen], so Faktorenderselben; aber auch in rein optischen Fällen, abgesehenvom Fixationsorte, noch das Verhalten der Auf-merksamkeit, und hauptsächlich kommt es darauf an,woran Verankerung stattfindet — und diese ist nichtdurch blofse Gedanken ganz beliebig und momentan wechsel-bar, hängt nicht einfach vom Belieben ab. Es ist ent-scheidend, dafs es, auch bei bestem Willen nicht immermöglich ist, etwa beliebigerweise sofort aus einer„Betrachtungsart" in die andere überzugehen;entgegengesetzt, man ist in der einen eingestellt und kannnicht beliebig nun die andere haben ; bis etwa die Lage— ziemlich gegen den Willen — umkippt und nun dieandere Erscheinungsweise, wieder zwingend, da ist. Soim Erle bni s. Allgemein : Kommt ix und y in Betracht,bezüglich deren eine physikalisch relative Ortsveränderungvor sich geht, so ist die gesehene Bewegung nichtsweniger als relativ in dein Sinne der Physik:welch letzterer die Tatsache a ruhig, b bewegtgleichbedeutend ist mit a bewegt, b ruhig. — ImGrunde entscheidet schon die Erscheinungsweise deroben besprochenen T-Phänomene gegen solche These.

II. Das oben erwähnte „Sich labil fühlen", in Labilität ge-raten bezüglich der „Raumlage", das Unsicherwerden, „man istnicht, wie sonst immer, in einem fest verankerten Raum" zeigtesich ähnlich bei Versuchen bei Konzentrierung auf ruhig Sicht-bares, bei denen einfach längere Zeit hindurch kein e Ver-ankerungsmomente gegeben waren ; es kommt dabei - -

ähnlich wie in den sub III unten besprochenen Versuchen —zu Veränderungen, zum „Schwanken" des Gesehenen, ja zuScheinbewegungen manchmal bedeutenden Betrags. In ganzstarkem Mafse — gespenstische aber klare Bewegungen ganz un-geheuerlichen Betrags (sog. autokinetische Bewegungen) zeigensich bei Experimenten der bekannten Art der dauernden Fixationeines kleinen leuchtenden Punktes im Dunkelzimmer, der nacheiniger Zeit ruhiger Betrachtung anfängt sehr beträchtliche Be-wegungen 1 zu vollführen (seitlich oder grofse partielle Kreis-

' die nach neueren Untersuchungen nicht auf F ixati ons-sc hwankungen u. ä. zurückgeführt werden können.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 257

drehungen usw.). Auch bei diesen autokinetischen Bewegungenklagten die Vpn. spontan über die „Labilität" der Raumlage.

Aber auch gelegentlich anderer Versuche zeigte sich : tretenbei verschiedentlichen psychologischen Raumexperimenten Ver-ankerungsmomente dauernd zurück, so ergibt sich leicht Labilität,Schwanken und Veränderung der Raumlage ; d i e in eisten vor-liegenden psychologischen Raumexperimente gebenwohl deshalb eindeutige Resultate bezüglich derRaumlage, weil sie im Zustande der Einstellung, Ver-ankerung in der normalen Raumorientierungslageangestellt werden : *ird diese Einstellung beseitigt, so zeigte sich(auch bei Horopterexperimenten u. ähnl.) öfters das räumlicheSchwanken und die Unsicherheit.

Im Extrem ist solches ja von den Versuchen der Ein-stellung der Vertikalen usw. im Dunkelzimmer (bei dauerndemAusschlufs von Verankerungsmomenten) bekannt (vgl. unten). Auchbei den AuBERTschen Versuchen, die in elementarer Weise dieBewegungswahrnehmung untersuchen sollten, hatte sich das sonder-bare Resultat gezeigt, (Tals im Dunkelzimmer bei 50 Proz. „Fehler"resultierten, d. h. von „Bewegung" gesprochen wurde, wo objektivRuhe vorlag und umgekehrt.

Hier zeigt sieh nun, dafs die AuBERTschen Bewegungs-versuche nicht elementarer Natur waren : bei ihnen sind zweieinander kreuzende Faktoren im Spiel, einzelne Bewegungswahr-nehmungen einerseits, Tangierungen , Vorgänge bezüglich der„Raumlage" andererseits, die in seinen Resultaten zusammen-fli efsen

III. Ich erinnere an die bekannten Experimente bez. de):„scheinbaren Vertikale" ; bei schräger Kopflage 1 wird die schein-bare Vertikale krafs schräg eingestellt; wieder ist hierbei oftjener Zustand der „L abilitä t" vorhanden, manchmal geradezuein sichtbares Schwanken, Sichdrehen der (objektiv ruhen-den) Linie. Bei den betreffenden Experimenten ist der Laby-rinthfaktor tangiert; dieselben Resultate liefsen sich aber nunauf rein optischem Wege, durch „Einstellung", erzielen.

Ich stellte einen Spiegel schräg so auf, dafs der Beobachter,

Z. B. NAGEL, Zeitschr. f. Psychol. 16, S. 173.2 NAGEL a. a. 0.

-Zeitschrift für Psychologie 61. 17

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258 Max Wertheimer.

in den Spiegel sehend, das Zimmer mit recht vielen „Veranke-rungs-"Gegenständen (Tür, Schrank, Stuhl, Apparate, Fenster)im Winkel von ca. 450 geneigt sah. Zuerst ist da ein deutlichschräges Bild vorhanden, das recht seltsam wirkt, sonderlich,wenn der Beobachter im Spiegelzimmer sieht, wie ein Menschin diesem schräg stehenden Zimmer umhergeht, hantiert, sichsetzt, und etwa im Türrahmen ein breites Objekt langsam fallen.gelassen wird — eine breite Pappröhre, die vom oberen Tür-rahmen, parallel bleibend, in der Tür zur Erde fällt. Zunächsterscheint dieses Fallen als sehr seltsames schräges Fallen, inwunderlichem Widerspruch zur gewohnten Richtung der Verti-kale. Aber schon nach einigen Minuten, während deren der-Beobachter dauernd in den Spiegel sah und der Mensch imSpiegelzimmer herumging und hantierte, war starke Abänderungeingetreten : wurde nun das Papprohr in der Türe wieder fallengelassen, so sah der Beobachter es nicht mehr schräg, son-dern richtig vertikal fallen; die Raumorientierungslage.hatte sich schon geändert : das schräge Zimmer war nichtmehr schräg, sondern normal da 1 und die durch Verankerungs-momente („Vertikale" und „Horizontale" des Schrankes, derTüre usw.) determinierten ausgezeichneten Lagen waren schond i e Vertikale, d i e Horizontale der Raumlage für den Beobachter-geworden.

Dieses selbe — schon im Erlebnis klar — nun in exakt fest-stellbarer, objektiverer Form : der Beobachter hat im ersten An-fang des Versuches an einem Schnurapparat die „scheinbareVertikale" einzustellen und ebenso nach dem längeren Hinein-sehen in den Spiegel.

Der Beobachter sitzt vor einer breiten Röhre (die.Spiegelrahmen und periphere Gegenstände abdeckt) und,sieht in fixierter Kopflage in den Spiegel; in dem Spiegel-zimmer ist ein bestimmter Punkt als Fixationspunkt aus-gezeichnet; es wird die Anordnung so getroffen, dafs dieser.Fixationspunkt optisch zugleich der ausgezeichnete Mittel-punkt einer Schnurlinie ist, die, über einer schwarzen.Fläche, von einem Gehilfen von rückwärts aus in verschie-dene Neigungen gebracht werden kann; in exakter Weise;

1 Analoge Brillenexperimente usw. sind bekannt.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 259

z. B. so, dafs bei momentanem Wegziehen des Spiegelsblofs die Schnur auf schwarzem Felde sichtbar ist.

Der Beobachter stellte zunächst innerhalb des Schrägzimmers(oder in obiger Anordnung nach einiger Exposition des Spiegel-zimmers) die Vertikale objektiv richtig ein; nicht die „Vertikale"des Schrägzimmers , sondern die normale. Nach einiger Zeit,während der Beobachter das Schrägzimmer sah, in welchemeine Reihe (schräger) Verankerungsmomente in oben geschil-derter Weise sichtbar waren, ein Mensch herumging usw., wurdeder Versuch wiederholt, der Beobachter hatte wieder die „Ver-tikale" einzustellen — und nun zeigte sich Analoges wie beiden erwähnten Experimenten mit veränderter Kopflage, hier beiruhiger unveränderter Kopflage und Fixation : Labilität, Schrä g-einstellung (die Vertikale des Schräg zimmers wurde, mehrminder vollkommen eingestellt) und jenes Schwanken: beiobjektiver Ruhelage der Einstellungsschnur erschien diese mehr-fach leicht schwankend, ja, sich drehend — erschien z. B.zuerst in einer Lage „vertikal" und „d rehte si eh nun inseltsamer Weise aus dieser Lage bis scheinbar um 30°oben nach rechts geneigt" usw.

Diese Vertikaleinstellung wurde in obiger Anordnungnicht mehr bei Sichtbarkeit des Schrägzimmers gemacht —analog dem NAGELschen Experimente —: es war nichts imGesichtsfelde als die einzustellende Linie in schwarzemFelde, in deren Mitte der Fixationspunkt war: die ein-stellende Nachwirkung des Schrägzimmers ergab aber diecharakteristischen Resultate.

* **

Exkurs.Ich sagte : man ist in einer bestimmten Auffassungs-

lage eingestellt und es braucht i. a. starke „Reize", umden Zustand der „ Verankerung in bestimmter Lage" zulösen, und die „Lösung" bringt oft jene „Labilität", jenenZustand des Schwankens, verwandt mit den Vorboten desSeh-Schwindels. Das ist nun nicht blofs bezüglich derRaumorientierungslage so. Es gibt ein Eingestelltsein aufnormale Tiefen auffassung: 1 eine plötzliche, sehr starke

' Man ist in ähnlicher Weise eingestellt auf eine bestimmte Entfer-nung, bestimmte scheinbare Gröfse usw.

17*

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260 Max Wertheimen

Veränderung, die nach dauernder Einstellung auf normaleTiefen Anregung, Zwang zu abnorm grofser Veränderungder Tiefenerfassung bringt, erzeugt bei manchen Menschenähnliche momentane Labilität und sogar Schwindel. — Inanderer Weise deuten aber noch diese Tatsachen auf All-gemeineres : 1 Man ist auf eine bestimmte Niveaulage ein-gestellt : eine Veränderung, ein Vorgang kann als blofserVorgang innerhalb bleibenden Niveaus wirken oder anderer-seits als Niveauveränderung. 2 [Es sei auf in gewisser WeiseAnaloges hingewiesen : in der Musik scheint solches einesehr prinzipielle Rolle zu spielen zwar, es gibt geradezuKompositionen, die durch Unstabilität, durch die Unmög-lichkeit , sich in einer Lage zu „verankern", durch fort-währende Änderung der Grundlage, Schwanken von einemzum anderem geben — und vielen Menschen ganz pein-liche Gefühle der Labilität in recht unerfreulicher Inten-sität verursachen aber allgemeiner : das sich Abspielen einerTonbewegungsgestalt in bestimmter „Niveaulage", das Gebenvon bestimmten Verankerungsmomenten für die Auffassungvon Tonschritten als innerhalb eines bleibenden Niveausvor sich gehend u. ä. gehört zu den wichtigsten Mitteln derMusik; eine ganze Reihe von technischen Mitteln derKompositionslehre stellt einfach Momente, tauglich, einesolche „Verankerung" zu bewirken und andererseits gebendie Gesetze der Modulation Mittel zur Bewirkung ruhigerund klarer Veränderung des Niveaus [vielleicht ist es diemodernste Errungenschaft der Musik, ein ruhiges Fest- undKlarbleiben der Niveaulage trotz der Verwendung frem-d e r Töne und Harmonien erreichen zu können : die Strengedes „tonischen Charakters" läfst auch sehr fremde Harmo-nien als innerhalb des klar gegebenen tonischen Charakters

Auch der „absolute Eindruck" des „Riesen grof s e n", des „Winzigen" ;des „kolossal Schwere n", des „Federleichten" weist in seinem Zustande-kommen auf ähnliche Zusammenhänge der Einstellung.

2 Nicht blofs im Optischen. In gewisser Weise analog z. B. bei Ex-perimenten mit Niveauveränderungen in einer bekannten Melodie. Eskommt geradezu öfters — ähnlich bei Optischem — zum Nichtbemerkeneiner Niveau-Veränderung , da die Vorgänge innerhalb des allgemeinenNiveaus alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 261

erscheinen (so in einigen extremen Fällen bei REGER) 1. —Das eindeutige Geben von Verankerungsmomenten spieltauch bei Werken der bildenden Kunst eine wesentlicheRolle : es ist der Faktor des klaren und zwingenden Gebenseiner bestimmten Auffassungslage und Gestaltenzentrierung;und es ergeben sich in solcher Hinsicht bei verschiedenenWerken spezielle Differenzen (selbst schon in der Wirkungs-weise gewisser Ornamente.)

In all diesen Bezügen gibt es — abgesehen von starken,zwangsmäfsigen Wirkungen — beträchtliche individuelleDifferenzen: es gibt Menschen, die Anregungen im Nahe-legen einer bestimmten Auffassungslage recht stumpf gegen-überstehen, oder die, in einer solchen „festgehakt", nurschwer zu einer anderen gebracht werden können (ja Fehl-auffassungen oder Blindheit neuen Anregungen der Artgegenüber zeigen); andererseits im Extrem Menschen, diein diesem Betracht sehr leicht bestimmbar, ja labil gegenjede neue sind.]

Ich resümiere bezüglich der „Raumorientierungslage" : Man.ist in einer bestimmten solchen „Lage" eingestellt ; diese Ein-stellung kann gelöst werden; Einstellung auf andere Lagen kannzwangsweise erzielt werden. Bei der „Lösung", resp. bei E r -schw erung einer dauernden Verankerung kann es zu Labilität,im Extrem zu Erscheinungen rein optischen Seh- Schwindelskommen. Zur „Lösung" sind relativ starke „R ei z e" er-forderlich : solche sind z. B. längeres Wirken von Bewegungsvor-gängen ohne Vorhandensein genügender Verankerungsmomenteoder Einstellung durch Verankerungsmomente, die in Richtungeiner neuen Orientierungslage wirken oder plötzliche enorme und.eindringliche Veränderung in diesem Sinne oder schliefslich Be-obachtung von Sehdingen bei längerem Mangeln genügenderVerankerungsmomente überhaupt.

Diese Tatsachen bedeuten für die Raumforschung besondere,experimentell zu behandelnde Aufgaben. Sie deuten daraufhin,dafs für das Vorhandensein einer bestimmten Raum-orientierungslage und für das Erfassen einzelner Seh-

Vgl. ERNST GROEG, Die Kunst MAX REGERS, Soc. Monatshefte 1910, I.S. 47f.

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262 Max Eiertheilner.

dingel in bestimmter Lage zentrale Faktoren op-tischen Bereichs von wesentlichem Belange sind. 2

Typen von Schieberanordnungen.

(Das obere Oblongum stellt die fixierte, das untere die beweglicheScheibe dar.)

Fig. I. Fig. II.

I I

Fig. III.

Lin

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In gewissem spezielleren, hier noch nicht näher zu erörternden Be-zuge hierzu stehen wohl die S. 216 erwähnten Erscheinungen der "Ver-lagerung"; ferner z. B. die Erscheinung bei Fig. X S. 263, bei der oftDrehung um einen am Orte bleibenden Punkt gesehen wurde (während diezwei in Betracht kommenden Punkte in Wirklichkeit einen Abstand von-einander haben); ferner, dafs u. U. kleine Lagenunterschiede von 2 Objektennicht erfafst wurden, während im Bewegungsstadium sich sofort Bewegungergab; und schliefslich sei eine starke Erscheinung erwähnt, die hier eben-falls in Betracht kommen könnte: ordnet man parallele Schieberschlitzemehrfach paarweise untereinander an, so zwar, dafs z. B. die geradzahligender untereinander stehenden Schlitze gleichzeitig erleuchtet sind, währenddie ungeradzahligen verdeckt sind:

a b so ergibt sich oft sehr krafs verschiedene scheinbare Bewegungs-b a weite der Paare, z. B. die erste, dritte, fünfte Reihe ergibt zu-a b sammen einen viel kleineren Bewegungsexkurs als die zweite

11 b a mit der Dritten; diese Erscheinung läfst sich durch Verdecken vona b Paaren variieren.

2 Es ist wohl allgemein zu sagen : Erregungsvorgänge, auch etwa ein-zelner Zellen, sind nicht isolierte Vorgänge innerhalb einessonst toten Gebietes; sie werden von einem lebendigen Gesamt-zustande empfangen (und wirken auf ihn zurück), dessen charak-teristische Eigenart für das Resultierende in wesentlichenBezügen entscheidend ist. — Allgemeineren Vorgängen bezüglichdes charakteristischen Gesamtüberganges selbst, käme phänomenale Be-deutung zu: die „Labilität", im Extrem : der „Seh-Schwindel". — Der für dieArt der Erfassung einzelner Sehdinge resultierende Faktor ist durch Ein-stellungs- und Verankerungsexperimente prüfbar.

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Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 263

Fig. IV. Fig. VI.Fig. V.

II 3

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Fig. VII. Fig. VIII b.Fig. VIII a.

Fig. XI.Fig. IX. Fig. X.

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Fig. XII. Fig. XIII a.

1 1 1II

11Fig. XIII b.

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Fig. XIV.

1"11 , 1

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Fig. XVI b. Fig. XVI c. Fig. XVI d.

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Fig. X.VII a.

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3 EMD

264

Max Wertheimer.

Es erübrigt sich, weitere aus den obigen Anordnungen einfach ableit-bare Anordnungen hier aufzuführen.

Beispiele der Anordnungen der Objekte auf den Ex-positionsfeldern des Tachistoskops.

Fig. XV.

Parallelanordnung. der Abstand".

Variationen : 1. der Sukzession: a b oder b a 11\,2. des Abstands,3. der Gesamtlage (die beiden Parallelen als horizontale,

vertikale, schräge),4. seitliche Verschiebung der einen gegen die andere,5. Variationen der Gröfse, Form, Farbe, Helligkeit der

Objekte.Fig. XVI a.

Winkel anordnung.

Variationen : 1. der Sukzession ab \,; ba\2. des Winkel abstands (spitzer, rehter, , stumpfer Winkel-

abstand),3. der Gesamtlage (z. B. Pendelstellung, Schrägstellung, ver-

schiedene Quadrantenstellung usw.)4. seitliche Verschiebung5. Variationen der Gröfse, Form, Farbe, Helligkeit

der Objekte,6. der Scheitelverhältnisse:

a) a b treffen sich im Scheitel,b) die Scheitelteile fehlen,c) anstelle des Scheitels ist ein kleiner Kreis angebracht

(auf einem oder beiden Expositionsfeldern).

Die Streifen sind durch Quadratreihen (oder Kreisreihen) ersetzt ;diese sind unter vollen Streifen so angebracht, dafs beliebig statt einesoder beider Vollstreifen (durch Wegnehmen des Streifens) die betr. Quad-ratreihe an derselben Stelle exponiert werden kann.

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Fig. XVII b. Fig. XIX a. Fig. XIX b.

a

/ ..,_.-------<31

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Fig. XX a. Fig. XX b.

0

Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. 265

Fig. XVIII.

An einem Orte des Gesichtsfeldes (innerhalb des Bewegungs-feldes oder aufserhalb) ist' ein drittes Objekt c an einem derbeiden Expositionsfelder (oder an beiden identisch) angebracht.Verschiedene Varianten § 10.

Fig. XXI.

ö und ähnliche gleichzeitige Sukzessivexpositionen.

Fig. XXII.

ac, bd sind je auf demselben Expositionsfeldeangebracht.

Fig. XXIV. Fig. XXV.a, die kürzere Linie ist um o drehbarangebracht und wird in verschiedenenWinkelstellungen zu b b exponiert. Ähn-lich bei Verlängerung von a (Kreuzungzweier Streifen), bei anderen Lagerungen

von b b usw. Fig. XXVI.

2 3

r I=F3 1213

(Eingegangen am 29. Januar 1912)