Zum Begriff “übermäßig teuerer” Gerichtsverfahren und der Umsetzung der Aarhus-Konvention

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[1.] Bekanntlich ist es nicht billig, im Vereinigten Königreich vor Ge- richt zu gehen. Insbesondere die Prozessvertretung kann erhebliche Kosten auslösen. Da in der Regel die unterliegende Partei die Kosten der obsiegenden Partei trägt, sind mit einem Prozess erhebliche Kos- tenrisiken verbunden. [2.] Dagegen verlangen das Übereinkommen von Aarhus 1 und für bestimmte Verfahren seine Umsetzung durch die Richtlinie 2003/35, 2 dass umweltrechtliche Gerichtsverfahren nicht übermäßig teuer sein dürfen. Die Bedeutung dieser Bestimmung hat der Ge- richtshof im Urteil Edwards 3 bereits abstrakt auf der Grundlage des englischen Rechts untersucht. Nunmehr ist konkret zu klären, ob das Vereinigte Königreich die entsprechenden Bestimmungen zu- treffend umgesetzt hat. [3.] Dabei geht es zunächst um das Ermessen der Gerichte, in bestimmten Fällen das Risiko des Klägers zu begrenzen, im Fall einer Niederlage für die Kosten des Beklagten einstehen zu müs- sen. Weiterhin ist zu klären, ob es mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn die Gerichte bei der Ausübung dieser Kompetenz zu- gleich das Risiko des Beklagten – in der Regel einer Behörde – be- grenzen, seinerseits die Kosten des Klägers übernehmen zu müssen. Und schließlich ist umstritten, ob in den betreffenden Verfahren einstweiliger Rechtsschutz davon abhängig gemacht werden darf, dass der Antragsteller sich verpflichtet, die durch den einstweili- gen Rechtsschutz verursachten Schäden zu ersetzen, wenn er in der Hauptsache unterliegt. Als Vorfrage ist darauf einzugehen, in- wieweit eine Richtlinie durch Rechtsprechung umgesetzt werden kann. II. Rechtlicher Rahmen A. Internationales Recht [4.] Die einschlägigen Regelungen zu den gerichtlichen Kosten von Umweltverfahren sind im Übereinkommen von Aarhus enthalten, das die damalige Europäische Ge- meinschaft am 25. 6. 1998 in Aarhus (Dänemark) unter- zeichnet hat. 4 [5.] Art. 6 des Übereinkommens sieht für die Geneh- migung bestimmter Aktivitäten eine Öffentlichkeitsbetei- ligung vor. [6.] Art. 9 des Übereinkommens regelt den Zugang zu Gerichten in Umweltsachen. Vorliegend geht es um Ver- fahren nach Abs. 2: „Jede Vertragspartei stellt im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffent- lichkeit, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht und/ oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unab- hängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell-rechtli- che und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die Art. 6 … die- ses Übereinkommens [gilt].“ [7.] Abs. 4 spricht u. a. die Kosten an: „(4) Zusätzlich und unbeschadet des Abs. 1 stellen die in den Abs. 1, 2 und 3 genannten Verfahren angemessenen und effektiven Rechts- schutz und, soweit angemessen, auch vorläufigen Rechtsschutz sicher; diese Verfahren sind fair, gerecht, zügig und nicht übermäßig teuer. …“ B. Unionsrecht [8.] In Umsetzung der Bestimmungen über den Zugang zu Gerichten in Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus führten Art. 3 Nr. 7 der Richtlinie 2003/35 einen Art. 10a in die UVP-Richtlinie 5 ein und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35 einen Art. 15a in die IVU-Richtlinie. 6 Abs. 5 beider Vorschriften enthält insoweit gleichlautende Bestimmungen zu den Kosten: „Die betreffenden Verfahren werden fair, gerecht, zügig und nicht übermäßig teuer durchgeführt.“ C. Das Recht des Vereinigten Königreichs [9.] Nach der Regel 44.3 Abs. 2 der Civil Procedure Rules für Eng- land und Wales werden die Kosten der obsiegenden Partei grundsätz- lich der unterliegenden Partei auferlegt. Allerdings kann das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Falls auch anders entschei- den. Insbesondere erlaubt Regel 44.3 Abs. 6, Beschlüsse zu treffen, die die Haftung für die Kosten einer anderen Partei auf einen be- stimmten Betrag begrenzen. In Schottland und Nordirland ist die Rechtslage ähnlich. [10.] Regel 25 der Civil Procedure Rules betrifft den einstweiligen Rechtsschutz. Zu dieser Bestimmung existieren sogenannte Practice Directions, die in Abschnitt 5.1 vorsehen, dass jede einstweilige An- ordnung eine Selbstverpflichtung des Antragstellers gegenüber dem Gericht enthalten muss, der Gegenpartei den Schadensersatz zu leis- ten, den das Gericht für erforderlich erachtet. Darüber hinaus soll das Gericht nach Abschnitt 5.1A prüfen, ob es eine solche Verpflich- DOI: 10.1007/s10357-013-2527-x Zum Begriff „übermäßig teuerer“ Gerichtsverfahren und der Umsetzung der Aarhus-Konvention Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott vom 12. 9. 2013 in der Rechtssache C-530/11 (Europäische Kommission ./. Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland) © Springer-Verlag 2013 123 710 NuR (2013) 35: 710–717 SCHLUSSANTRäGE 1) Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffent- lichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (ABl. 2005, L 124, S. 4). 2) Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 26. 5. 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Pro- gramme und zur änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten (ABl. L 156, S. 17). 3) EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-260/11, NuR 2013, 347 ff. 4) Angenommen mit Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. 2. 2005 (ABl. L 124, S. 1). 5) Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. 6. 1985 über die Um- weltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und pri- vaten Projekten (ABl. L 175, S. 40), kodifiziert durch die Richt- linie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. 12. 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei be- stimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012, L 26, S. 1). 6) Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. 9. 1996 über die inte- grierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmut- zung (ABl. L 257, S. 26), kodifiziert durch die Richtlinie 2008/1/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 1. 2008 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umwelt- verschmutzung (ABl. L 24, S. 8) und ersetzt durch die Richt- linie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 11. 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermei- dung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (ABl. L 334, S. 17).

Transcript of Zum Begriff “übermäßig teuerer” Gerichtsverfahren und der Umsetzung der Aarhus-Konvention

[1.] Bekanntlich ist es nicht billig, im Vereinigten Königreich vor Ge-richt zu gehen. Insbesondere die Prozessvertretung kann erhebliche Kosten auslösen. Da in der Regel die unterliegende Partei die Kosten der obsiegenden Partei trägt, sind mit einem Prozess erhebliche Kos-tenrisiken verbunden.

[2.] Dagegen verlangen das Übereinkommen von Aarhus 1 und für bestimmte Verfahren seine Umsetzung durch die Richtlinie 2003/35, 2 dass umweltrechtliche Gerichtsverfahren nicht übermäßig teuer sein dürfen. Die Bedeutung dieser Bestimmung hat der Ge-richtshof im Urteil Edwards 3 bereits abstrakt auf der Grundlage des englischen Rechts untersucht. Nunmehr ist konkret zu klären, ob das Vereinigte Königreich die entsprechenden Bestimmungen zu-treffend umgesetzt hat.

[3.] Dabei geht es zunächst um das Ermessen der Gerichte, in bestimmten Fällen das Risiko des Klägers zu begrenzen, im Fall einer Niederlage für die Kosten des Beklagten einstehen zu müs-sen. Weiterhin ist zu klären, ob es mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn die Gerichte bei der Ausübung dieser Kompetenz zu-gleich das Risiko des Beklagten – in der Regel einer Behörde – be-grenzen, seinerseits die Kosten des Klägers übernehmen zu müssen. Und schließlich ist umstritten, ob in den betreffenden Verfahren einstweiliger Rechtsschutz davon abhängig gemacht werden darf, dass der Antragsteller sich verpflichtet, die durch den einstweili-gen Rechtsschutz verursachten Schäden zu ersetzen, wenn er in der Hauptsache unterliegt. Als Vorfrage ist darauf einzugehen, in-wieweit eine Richtlinie durch Rechtsprechung umgesetzt werden kann.

II. Rechtlicher RahmenA. Internationales Recht

[4.] Die einschlägigen Regelungen zu den gerichtlichen Kosten von Umweltverfahren sind im Übereinkommen von Aarhus enthalten, das die damalige Europäische Ge-meinschaft am 25. 6. 1998 in Aarhus (Dänemark) unter-zeichnet hat. 4

[5.] Art.  6 des Übereinkommens sieht für die Geneh-migung bestimmter Aktivitäten eine Öffentlichkeitsbetei-ligung vor.

[6.] Art. 9 des Übereinkommens regelt den Zugang zu Gerichten in Umweltsachen. Vorliegend geht es um Ver-fahren nach Abs. 2:

„Jede Vertragspartei stellt im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffent-lichkeit,

…Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht und/

oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unab-hängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell-rechtli-che und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die Art. 6 … die-ses Übereinkommens [gilt].“

[7.] Abs. 4 spricht u. a. die Kosten an:

„(4) Zusätzlich und unbeschadet des Abs. 1 stellen die in den Abs. 1, 2 und 3 genannten Verfahren angemessenen und effektiven Rechts-schutz und, soweit angemessen, auch vorläufigen Rechtsschutz sicher; diese Verfahren sind fair, gerecht, zügig und nicht übermäßig teuer. …“

B. Unionsrecht

[8.] In Umsetzung der Bestimmungen über den Zugang zu Gerichten in Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus führten Art. 3 Nr. 7 der Richtlinie 2003/35 einen Art. 10a in die UVP-Richtlinie 5 ein und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35 einen Art. 15a in die IVU-Richtlinie. 6 Abs. 5 beider Vorschriften enthält insoweit gleichlautende Bestimmungen zu den Kosten:

„Die betreffenden Verfahren werden fair, gerecht, zügig und nicht übermäßig teuer durchgeführt.“

C. Das Recht des Vereinigten Königreichs

[9.] Nach der Regel 44.3 Abs. 2 der Civil Procedure Rules für Eng-land und Wales werden die Kosten der obsiegenden Partei grundsätz-lich der unterliegenden Partei auferlegt. Allerdings kann das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Falls auch anders entschei-den. Insbesondere erlaubt Regel 44.3 Abs. 6, Beschlüsse zu treffen, die die Haftung für die Kosten einer anderen Partei auf einen be-stimmten Betrag begrenzen. In Schottland und Nordirland ist die Rechtslage ähnlich.

[10.] Regel 25 der Civil Procedure Rules betrifft den einstweiligen Rechtsschutz. Zu dieser Bestimmung existieren sogenannte Practice Directions, die in Abschnitt 5.1 vorsehen, dass jede einstweilige An-ordnung eine Selbstverpflichtung des Antragstellers gegenüber dem Gericht enthalten muss, der Gegenpartei den Schadensersatz zu leis-ten, den das Gericht für erforderlich erachtet. Darüber hinaus soll das Gericht nach Abschnitt 5.1A prüfen, ob es eine solche Verpflich-

DOI: 10.1007/s10357-013-2527-x

Zum Begriff „übermäßig teuerer“ Gerichtsverfahren und der Umsetzung der Aarhus-KonventionSchlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott vom 12. 9. 2013 in der Rechtssache C-530/11 (Europäische Kommission ./. Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland)

© Springer-Verlag 2013

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710 NuR (2013) 35: 710–717

S C H l U S S A N t R äG E

1) Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffent-lichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (ABl. 2005, l 124, S. 4).

2) Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Ra-tes vom 26. 5. 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Pro-gramme und zur änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten (ABl. l 156, S. 17).

3) EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-260/11, NuR 2013, 347 ff.4) Angenommen mit Beschluss 2005/370/EG des Rates vom

17. 2. 2005 (ABl. l 124, S. 1).5) Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. 6. 1985 über die Um-

weltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und pri-vaten Projekten (ABl. l 175, S. 40), kodifiziert durch die Richt-linie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. 12. 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei be-stimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012, l 26, S. 1).

6) Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. 9. 1996 über die inte-grierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmut-zung (ABl. l 257, S. 26), kodifiziert durch die Richtlinie 2008/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 1. 2008 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umwelt-verschmutzung (ABl. l 24, S.  8) und ersetzt durch die Richt-linie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 11. 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermei-dung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (ABl. l 334, S. 17).

tung auch im Hinblick auf Schäden verlangt, die Dritten aufgrund der Anordnung entstehen. Allerdings kann das Gericht auf diese Ver-pflichtungen auch verzichten. Während die Regeln in Nordirland ähnlich sind, kennt Schottland keine derartige Verpflichtung zum Schadensersatz.

[11.] Im Anschluss an das Urteil Edwards 7 hat das Vereinigte Kö-nigreich diese Regelungen im Hinblick auf das Übereinkommen von Aarhus sowie Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35 ergänzt, doch diese änderungen sind aus zeitlichen Gründen nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

IV. Rechtliche Würdigung

[18.] Die Kommission stützt ihre Klage zwar auf Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35, doch sinnvoller scheint mir, in der Diskussion der Klagegründe die dadurch eingeführten Normen zu nennen, nämlich Art. 10a der UVP-Richtlinie und Art. 15a der IVU-Richtlinie. Nach dem gleichlautenden Abs. 5 beider Bestim-mungen dürfen die dort vorgesehenen Verfahren zur Überprüfung von Genehmigungen auf Grundlage der beiden Richtlinien nicht übermäßig teuer sein. Damit wird Art. 9 Abs. 4 des Übereinkom-mens von Aarhus im Hinblick auf die in Art. 9 Abs. 2 des Überein-kommens vorgesehenen Überprüfungsverfahren umgesetzt.

[19.] Die Kommission wendet sich mit ihrer Klage sowohl gegen die Umsetzung dieser Regelung in den drei Gerichtsbezirken des Vereinigten Königreichs, nämlich in England und Wales einschließ-lich Gibraltar, in Schottland sowie in Nordirland (dazu unter B), als auch gegen ihre Anwendung (dazu unter C). Zunächst möchte ich je-doch kurz die für den vorliegenden Fall zentralen Aussagen des zwi-schenzeitlich ergangenen Urteils Edwards 8 darstellen und in ihrem licht auf bestimmte von den Beteiligten vorgetragene Argumente eingehen, die zwar einen Bezug zum Problem der Verfahrenskosten haben, aber nicht zur Klärung der einzelnen Klagegründe beitragen (dazu unter A).

A. Vorbemerkung

[20.] Art. 10a Abs. 5 der UVP-Richtlinie und Art. 15a Abs. 5 der IVU-Richtlinie sowie Art. 9 Abs. 4 des Übereinkommens begrün-den eine Verpflichtung zum Kostenschutz. Sie wurde durch das Ur-teil Edwards konkretisiert.

[21.] Danach dürfen die in Art.  10a der UVP-Richtlinie und Art. 15a der IVU-Richtlinie genannten Personen nicht aufgrund der möglicherweise resultierenden finanziellen Belastung daran gehin-dert werden, einen gerichtlichen Rechtsbehelf, der in den Anwen-dungsbereich dieser Artikel fällt, einzulegen oder weiterzuverfolgen. Dabei ist sowohl das Interesse der Person, die ihre Rechte verteidigen möchte, zu berücksichtigen als auch das mit dem Umweltschutz ver-bundene Allgemeininteresse. 9

[22.] Darüber hinaus hat der Gerichtshof ausgeführt, dass das Erfor-dernis, wonach Verfahren nicht übermäßig teuer sein dürfen, alle fi-nanziellen Aufwendungen betrifft, die durch die Beteiligung an dem Gerichtsverfahren verursacht werden. Ob ein Verfahren übermäßig teuer ist, ist daher in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung aller für die betroffene Partei angefallenen Kosten zu beurteilen. 10 Diese umfassen prinzipiell auch die Kosten der Prozessvertretung. …

[25.] Vorliegend ist unstreitig, dass die anwaltliche Vertretung vor den Gerichten des Vereinigten Königreichs notwendig ist und erheb-liche Kosten verursachen kann. Der Mitgliedstaat erklärt diese mit den besonderen Bedingungen des kontradiktorischen Gerichtsver-fahrens im common law, das besonders hohe Anforderungen an den Prozessvertreter stelle.

[26.] Wie bei den Gerichten der Union werden die Kosten der Pro-zessvertretung im Vereinigten Königreich in der Regel der unterlie-genden Partei aufgegeben. Wenn sie nicht erfolgreich sind, müssen die in Art. 10a der UVP-Richtlinie und Art. 15a der IVU-Richtlinie genannten Kläger danach normalerweise die Kosten der Gegenpartei und ihre eigenen Kosten decken. Hat die Klage Erfolg, werden sie dagegen von der Gegenpartei kostenfrei gestellt.

[27.] Obwohl das Vereinigte Königreich die in diesem System ent-stehenden Kosten anscheinend als berechtigt ansieht, kann das Kos-tenrisiko davon abhalten, die in Art. 10a der UVP-Richtlinie und Art. 15a der IVU-Richtlinie vorgesehenen Klagen einzulegen oder weiterzuverfolgen. Diese Verfahren können daher im Sinne dieser Bestimmungen übermäßig oder prohibitiv teuer sein. Folglich muss für einen ausreichenden Kostenschutz gesorgt werden.

[28.] Das Vereinigte Königreich nennt verschiedene Mecha-nismen, die das Prozesskostenrisiko abdecken oder zumindest be-grenzen. Die Kommission beanstandet diese Mechanismen als sol-che nicht, hält sie aber zu Recht nicht für ausreichend, um Art. 10a der UVP-Richtlinie und Art. 15a der IVU-Richtlinie umzusetzen.

[29.] So besteht im Vereinigten Königreich die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe, doch dieser Mitgliedstaat bestreitet weder, dass Verbände sie nicht in Anspruch nehmen können, 11 noch, dass sie die Bedürftigkeit des Betroffenen voraussetzt. Da auch Verbände und leistungsfähige Kläger 12 vor prohibitiven Kosten geschützt werden müssen, genügt dieses Instrument nicht, um den Kostenschutz zu gewährleisten.

[30.] Weiterhin hebt das Vereinigte Königreich hervor, dass das Kostenrisiko der Einreichung einer verwaltungsrechtlichen Klage ( judicial review) sehr begrenzt ist. Diese werde nur zugelassen, wenn in einem summarischen Zulassungsverfahren festgestellt wird, dass sie schlüssig ist. Für die Beteiligung an diesem Verfahren würden nur relativ geringe Kosten anerkannt.

[31.] Dieses Zulassungsverfahren begrenzt zwar die Kostenrisiken von Klagen mit sehr geringen Erfolgsaussichten, da diese frühzeitig abgewiesen werden, bevor sie weitere Kosten verursachen. Doch das Übereinkommen von Aarhus und seine Umsetzung in der Union zielen nicht vorrangig auf Klagen mit besonders geringen Erfolgsaus-sichten ab. 13 Dem Allgemeininteresse am Umweltschutz ist erheblich mehr gedient, wenn Klagen erleichtert werden, die zwar auf einer vertretbaren Auffassung beruhen, deren Erfolg jedoch ungewiss ist. Solche Verfahren stützen sich regelmäßig auf ein berechtigtes Inte-resse am Schutz der Umwelt, doch wegen des unsicheren Ausgangs sind die Kostenrisiken besonders schwerwiegend.

[32.] Schließlich erwähnt das Vereinigte Königreich noch die Möglichkeit einer Versicherung für Prozesskostenrisiken, der so-genannten „After the Event Insurance“. Unstreitig ist jedoch, dass auch dieses Instrument nicht alle Fälle abdeckt. Offensichtlich müs-sen Versicherungsunternehmen gerade in Verfahren mit ungewissem Ausgang, d. h. mit hohem Risiko, Prämien verlangen, die ebenfalls prohibitiv sein können.

[33.] Die Kommission unterstreicht zwar die Notwendigkeit vor-hersehbarer Kosten, doch muss vorliegend nicht entschieden wer-den, in welchem Umfang Kosten tatsächlich zu einem frühen Zeit-punkt des Verfahrens feststehen müssen. Mit dem Instrument des Kostenschutzbeschlusses enthält das Recht des Vereinigten König-reichs nämlich ein Mittel, zu einem frühen Zeitpunkt das maximale Kostenrisiko zu bestimmen.

[34.] Die Kommission wendet sich zwar gegen bestimmte Ergeb-nisse und Kriterien der Anwendung dieses Instruments, hält es aber nicht als solches für unzureichend. Soweit sie die Ungewissheit der Kostenhöhe kritisiert, richten sich die Einwände dagegen, dass das Recht des Vereinigten Königreichs den Kostenschutz nicht hinrei-chend klar und eindeutig vorschreibt. Auf dieses Problem werde ich im Folgenden eingehen.

B. Zur Umsetzung

[35.] Die Kommission beanstandet das Fehlen einer ge-setzlichen Umsetzung des Kostenschutzes im Vereinigten Königreich. Sie beruft sich in diesem Zusammenhang auf ein Urteil zur Rechtslage in Irland. In diesem Mitglied-staat stand es im Ermessen der Gerichte, davon abzuse-hen, der unterliegenden Partei die Kosten aufzuerlegen,

NuR (2013) 35: 710–717 711Schlussanträge

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7) EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-260/11, NuR 2013, 347 ff.8) EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-260/11, NuR 2013, 347 ff.9) EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-260/11, NuR 2013, 347 ff.

Rdnr. 35.10) EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-260/11, NuR 2013, 347 ff.

Rdnr. 27 f.11) Zu möglicherweise weiter reichenden Ansprüchen nach

Art. 47 Abs. 3 der Charta der Grundrechte vgl. meine Schluss-anträge vom 18. 10. 2012, Edwards (C-260/11, Nr. 38), sowie EuGH, Urt. v. 22. 12. 2010 – C-279/09, Slg. 2010, I-13849, Rdnr. 60 f.

12) EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-260/11, NuR 2013, 347 ff., Rdnr. 40.

13) Vgl. EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-260/11, NuR 2013, 347 ff., Rdnr. 42 und meine Schlussanträge in dieser Sache (C-260/11, Nr. 47).

und deren Kosten zudem der anderen Partei aufzuerle-gen. Da es sich nur um eine bloße gerichtliche Praxis handelte, hat der Gerichtshof dies nicht als Umsetzung anerkannt. 14

[36.] Das Vereinigte Königreich hält diesem Vorbringen die innerstaatliche Rechtsprechung entgegen. Es stützt sich darauf, dass nach Art.  288 Abs.  3 AEUV die Richtlinie zwar für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hin-sichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, den in-nerstaatlichen Stellen jedoch die Wahl der Form und der Mittel überlässt. 15

[37.] Der Gerichtshof hat in der tat festgestellt, dass die Umsetzung von Unionsbestimmungen in innerstaatliches Recht nicht notwendigerweise eine förmliche und wört-liche Übernahme der Bestimmungen in eine ausdrückli-che, besondere Rechtsvorschrift erfordert. Ihr kann durch einen allgemeinen rechtlichen Kontext Genüge getan wer-den, wenn dieser tatsächlich die vollständige Anwendung der Unionsbestimmungen hinreichend klar und bestimmt gewährleistet. 16

[38.] Ob bindende Präjudizien, d. h. Gerichtsentschei-dungen, die für das im Vereinigten Königreich geltende common law kennzeichnend sind, danach eine Richtlinie ausreichend umsetzen können, ist zwar noch nicht ent-schieden. Doch hat der Gerichtshof bereits anerkannt, dass auch bei der Beurteilung einer Umsetzung die Bedeutung der nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften un-ter Berücksichtigung ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte zu beurteilen ist. 17

[39.] Allerdings kann es für die Umsetzung einer Richtlinie nicht ausreichen, dass die Gerichte über die Möglichkeit verfügen, ihr nachzukommen, und dies möglicherweise auch tun. Denn ein Ermessen, das richtli-nienkonform ausgeübt werden kann, reicht nach ständiger Rechtsprechung nicht aus, um Richtlinienbestimmungen umzusetzen, da eine solche Praxis jederzeit geändert wer-den kann. 18 Genau dies wurde in dem von der Kommis-sion angeführten Fall festgestellt: Die irischen Gerichte verfügten zwar über ein Ermessen, das es erlaubte, den Kostenschutz zu gewährleisten, doch waren sie dazu nicht verpflichtet. Auch fehlten Kriterien, wann Kostenschutz zu gewähren ist. Einschlägige Präjudizien, die eine sol-che Verpflichtung begründet hätten, wurden damals nicht vorgetragen.

[40.] Entscheidend ist daher, ob die einschlägigen inner-staatlichen Urteile tatsächlich die vollständige Anwendung des notwendigen Kostenschutzes hinreichend klar und be-stimmt sowie verbindlich gewährleisten. 19 Wenn diese Be-dingungen vorliegen, könnten Präjudizien die Umsetzung gewährleisten. 20

[41.] Die Beteiligten nennen im vorliegenden Verfah-ren verschiedene innerstaatliche Gerichtsentscheidun-gen. Die Kommission beanstandet diese zwar als unzu-reichende praktische Anwendung, doch sie sind nach den vorstehenden Überlegungen auch für die Umsetzung maßgeblich.

[42.] Insofern ist zunächst darauf einzugehen, dass der Erlass eines Kostenschutzbeschlusses im Ermessen der Ge-richte steht (dazu unter 1), anschließend auf die mögliche Begrenzung der Kosten, die der Kläger im Erfolgsfall gel-tend machen kann (dazu unter 2), und schließlich auf den einstweiligen Rechtsschutz (dazu unter 3).

1. Zum Ermessen beim Kostenschutzbeschluss

[43.] Das Institut des Kostenschutzbeschlusses wurde vom Court of Appeal für England und Wales im Urteil Cor-ner House 21 entwickelt. Die Gerichte in Schottland und in Nordirland haben es übernommen. Unter außergewöhn-lichen Umständen kann ein solcher Beschluss für die je-weilige Instanz eine Obergrenze der Kosten festlegen, die dem Kläger im Fall des Unterliegens auferlegt wer-den können. Diese Entscheidung kann in jedem Stadium

des Verfahrens getroffen werden, wenn das Gericht davon überzeugt ist,

– dass die aufgeworfenen Probleme von allgemeinem öffentli-chem Interesse sind,

– dass das öffentliche Interesse eine rechtliche lösung dieser Pro-bleme erfordert,

– dass der Kläger kein privates Interesse am Ergebnis des Verfah-rens hat,

– dass es im Hinblick auf die finanziellen Mittel des Klägers und der Gegenparteien sowie auf die zu erwartenden Kosten fair und gerecht ist, eine Kostenschutzentscheidung zu treffen, und

– dass der Kläger voraussichtlich das Verfahren nicht fortführen wird, wenn keine Kostenschutzentscheidung getroffen wird.

[44.] Eine Konsequenz dieser restriktiven Herangehens-weise ist, dass bereits die Entscheidung über den Kosten-schutz relativ hohen Aufwand und zusätzliche Kosten ver-ursacht, ohne die Klärung umweltrechtlicher Fragen zu fördern.

[45.] Dieses Instrument eröffnet für die zuständigen Ge-richte zunächst einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der verschiedenen Voraussetzungen des Kostenschutzbe-schlusses und, falls diese festgestellt werden, ein Ermessen hinsichtlich des konkret auszusprechenden Kostenschutzes. letzteres umfasst sowohl die Höhe des zugelassenen Kos-tenrisikos als auch die Frage, ob und gegebenenfalls in wel-chem Umfang zugleich auch das Kostenrisiko der Gegen-partei begrenzt wird.

[46.] Weder der Beurteilungsspielraum noch das Er-messen sind als solche zu beanstanden. Denn wegen der großen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bei den einschlägigen Regeln über den Zugang zu den Ge-richten besteht ein weiter Spielraum, den Kostenschutz zu verwirklichen. 22 Darüber hinaus erkennt der Gerichtshof selbst die Notwendigkeit von Beurteilungsspielräumen und Ermessen beim Kostenschutz an. 23 Allerdings müs-sen die innerstaatlichen Gerichte unzweideutig dazu ver-pflichtet werden, ihr Ermessen mit dem Ziel auszuüben, in den erfassten Verfahren einen ausreichenden Kostenschutz sicherzustellen. 24

[47.] Das Ermessen der Gerichte des Vereinigten König-reichs beim Kostenschutzbeschluss genügt diesen Anforde-rungen nicht. Es zielt nämlich darauf ab, festzustellen, ob

Schlussanträge

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712 NuR (2013) 35: 710–717

14) EuGH, Urt. v. 16. 7. 2009 – C-427/07, NuR 2009, Rdnr. 93 f.15) EuGH, Urt. 13. 12. 2007 – C-418/04, NuR 2008, 101, Rdnr. 157,

und vom 14. 10. 2010 – C-535/07, NuR 2010, 791, Rdnr. 60.16) EuGH, Urt. v. 27. 4. 1988 – 252/85, Slg. 1988, 2243, Rdnr. 5,

vom 12. 7. 2007 – C-507/04, NuR 2007, 537, Rdnr. 89, und vom 27. 10. 2011 – C-311/10, Rdnr. 40.

17) EuGH, Urt. v. 16. 12. 1992 – C-132/91, C-138/91 und C-139/91, Slg. 1992, I-6577, Rdnr.  39, vom 8. 6. 1994 – C-382/92, Slg. 1994, I-2435, Rdnr. 36, vom 9. 12. 2003 – C-129/00, Slg. 2003, I-14637, Rdnr.  30, und EuGH, Urt. 13. 12. 2007 – C-418/04, NuR 2008, 101, Rdnr. 166.

18) Meine Schlussanträge vom 15. 1. 2009, Kommission/Irland (C-427/ 07, Slg. 2009, I-6277, Nr.  99 und die dort angeführte Recht-sprechung).

19) Vgl. EuGH, Urt. v. 28. 1. 2010 – C-456/08, Slg. 2010, I-859, Rdnr. 65, und meine Schlussanträge in dieser Sache, Nrn. 60 ff.

20) Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi vom 18. 1. 2007, Kommission/Vereinigtes Königreich (C-127/05, Slg. 2007, I-4619, Nrn. 130 ff.).

21) Court of Appeal, Corner House Research (R on the applica-tion of ) v Secretary of State for trade & Industry [2005] 1 WlR 2600, Rdnr. 72 und 74.

22) EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-260/11, NuR 2013, 347 ff., Rdnr. 30 und 37 f., sowie meine Schlussanträge in dieser Sache, Nrn. 19 ff. und 45 ff.

23) Vgl. EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-260/11, NuR 2013, 347 ff., insb. Rdnr. 40, sowie meine Schlussanträge in dieser Sache, insb. Nr. 36.

24) Vgl. EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-260/11, NuR 2013, 347 ff., insb. Rdnr.  35 und 40, sowie meine Schlussanträge in dieser Sache, insb. Nr. 24.

es ausnahmsweise 25 im Einzelfall unbillig oder ungerecht wäre, dem allgemeinen Prinzip zu folgen, dass kein Kos-tenschutz besteht. Eine grundsätzliche Bindung an das Ziel des Kostenschutzes in den relevanten Verfahren ist dagegen nicht ersichtlich.

[48.] Die dem Urteil Corner House nachfolgenden an-geführten Entscheidungen ändern daran nichts. Vielmehr wird im Urteil Morgan aus dem Jahr 2009 ausgeführt, dass das bestehende Ermessen bei Kostenentscheidungen mög-licherweise mit dem Gebot des Kostenschutzes unverein-bar ist. 26

[49.] Auch die erst nach Ablauf der in der begründeten Stellungnahme gesetzten Frist ergangene Entscheidung im Fall Garner aus dem Jahr 2010 lässt nicht erkennen, dass zwischenzeitlich das Ermessen auf das Ziel des Kosten-schutzes ausgerichtet worden wäre. 27

[50.] Darüber hinaus sind die im Vereinigten Königreich angewandten Kriterien mit den Feststellungen des Ge-richtshofs im Urteil Edwards unvereinbar.

[51.] Das Vereinigte Königreich vertritt zwar die Auf-fassung, die Kriterien für den notwendigen Kostenschutz seien nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, doch überzeugt dies nicht. Vielmehr handelt es sich bei den Kri-terien des Kostenschutzes um den Kern des Vorwurfs der Kommission, die Verpflichtung zum Kostenschutz sei nicht ausreichend umgesetzt. Daher müssen sie vorliegend erör-tert werden.

[52.] Die Probleme der im Vereinigten Königreich an-gewandten Kriterien beginnen mit der Berücksichtigung des öffentlichen und privaten Interesses an der Durchfüh-rung des Verfahrens. Zwar fordert auch der Gerichtshof eine Berücksichtigung dieser Interessen. 28 Doch das Verei-nigte Königreich räumt ein, dass sie vor dem Urteil Garner nicht so berücksichtigt wurden, wie dies notwendig gewe-sen wäre. 29 Damit akzeptiert die Regierung, dass vor die-sem Urteil das öffentliche Interesse an der Durchsetzung des Umweltrechts in Verfahren gemäß Art. 10a der UVP-Richtlinie und Art. 15a der IVU-Richtlinie nicht hinrei-chend anerkannt und gewichtet wurde. Da das Urteil erst nach Ablauf der in der begründeten Stellungnahme gesetz-ten Frist erging, hat es diesen Verstoß nicht rechtzeitig aus-geräumt.

[53.] Unvereinbar mit dem Kostenschutz ist auch, dass bereits die Existenz eines privaten Interesses am Ausgang des Verfahrens einem Kostenschutzbeschluss entgegen-steht. Zwar verlangt auch der Gerichtshof die Berücksich-tigung eines solchen Interesses, doch soll es den Kosten-schutz nicht ausschließen. Vielmehr soll der Einzelne auch geschützt werden, wenn er eigene Rechte durchsetzt, die ihm aus dem Unionsrecht erwachsen. 30

[54.] Obwohl das Urteil im Fall Morgan – anscheinend in einem obiter dictum – darlegt, dass dieses Kriterium fle-xibel angewandt werden sollte, 31 wird doch deutlich, dass insofern zumindest eine erhebliche Unsicherheit besteht.

[55.] Den erforderlichen Kostenschutz verletzt es auch, die leistungsfähigkeit des Klägers, d. h. den fehlenden Nachweis seiner Bedürftigkeit, als Ausschlusskriterium zu berücksichtigen. Vielmehr dürfen die Kosten eines Ver-fahrens weder die persönlichen finanziellen Möglichkeiten des Betroffenen übersteigen noch objektiv – d. h. unabhän-gig von seiner leistungsfähigkeit – unangemessen sein. 32 Mit anderen Worten: Auch leistungsfähige Kläger dürfen nicht übermäßigen oder prohibitiven Kostenrisiken ausge-setzt werden und für Kläger mit begrenzten Mitteln müs-sen die objektiv angemessenen Kostenrisiken unter Um-ständen weiter reduziert werden.

[56.] Und schließlich hat der Gerichtshof es abgelehnt, den Kostenschutz auszuschließen, wenn der Betroffene sich voraussichtlich nicht durch das Kostenrisiko abschre-cken lässt. 33 Aber ein solches Abschreckungsrisiko ist nach dem Urteil Corner House eine weitere Voraussetzung eines Kostenschutzbeschlusses.

[57.] Folglich hat das Vereinigte Königreich dadurch ge-gen seine Verpflichtungen aus Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35 verstoßen, dass das Ermessen der Gerichte, Kostenschutz zu gewähren, nicht an das Ziel des Kostenschutzes gebunden ist und dass die dabei heranzuzie-henden Kriterien mit den genannten Bestimmungen un-vereinbar sind.

2. Zur gegenseitigen Kostenbegrenzung

[58.] Die Kommission wendet sich auch dagegen, dass Kos-tenschutzbeschlüsse häufig zugleich das Kostenrisiko der Gegenpartei begrenzen. Dieses Problem betrifft alle drei Gerichtsbezirke des Vereinigten Königreichs.

Zur Zulässigkeit

[59.] Das Vereinigte Königreich hält diese Rüge für unzulässig, da sie im vorgerichtlichen Verfahren nicht vorgebracht worden sei. tat-sächlich hat die Kommission die gegenseitige Kostenbegrenzung erstmals in der mit Gründen versehenen Stellungnahme ausdrück-lich beanstandet.

[60.] Der Einwand des Vereinigten Königreichs stützt sich da-rauf, dass das von der Kommission an den Mitgliedstaat gerichtete Mahnschreiben sowie ihre mit Gründen versehene Stellungnahme den Streitgegenstand abgrenzen, so dass dieser nicht mehr erweitert werden kann. Denn die Möglichkeit zur äußerung stellt für diesen Mitgliedstaat eine wesentliche Garantie dar, deren Beachtung ein substanzielles Formerfordernis für den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens auf Feststellung der Vertragsverletzung ist. Die mit Grün-den versehene Stellungnahme und die Klage der Kommission müssen daher auf dieselben Rügen gestützt werden wie das Mahnschreiben, mit dem das Vorverfahren eingeleitet wird. 34

[61.] Dieses Erfordernis kann jedoch nicht so weit gehen, dass in jedem Fall eine völlige Übereinstimmung zwischen den im Mahn-schreiben erhobenen Rügen, dem tenor der mit Gründen versehenen Stellungnahme und den Anträgen in der Klageschrift bestehen muss, sofern der Streitgegenstand nicht erweitert oder geändert worden ist. 35

[62.] Insbesondere können an die Genauigkeit des Mahnschrei-bens, das zwangsläufig nur in einer ersten knappen Zusammenfas-sung der Vorwürfe bestehen kann, keine so strengen Anforderungen gestellt werden wie an die mit Gründen versehene Stellungnahme. Nichts hindert daher die Kommission daran, in letzterer die Vor-würfe näher darzulegen, die sie im Mahnschreiben bereits in allge-meiner Form erhoben hat. 36

NuR (2013) 35: 710–717 713Schlussanträge

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25) Court of Appeal, Corner House Research (R on the applica-tion of ) v Secretary of State for trade & Industry [2005] 1 WlR 2600, Rdnr. 72.

26) Court of Appeal, Morgan & Baker v Hinton Organics (Wessex) ltd [2009] EWCA 107 Civil Division, Rdnr. 47, ii).

27) Court of Appeal, Garner, R (on the application of ) v Elmbridge Borough Council & Ors [2010] EWCA Civ 1006, Rdnr. 50 (Ur-teil vom 29. 7. 2010).

28) EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-260/11, NuR 2013, 347 ff., Rdnr. 35 und 39.

29) Klagebeantwortung, Rdnr. 70, unter Bezugnahme auf das Urteil Court of Appeal, Garner, R (on the application of ) v Elmbridge Borough Council & Ors [2010] EWCA Civ 1006.

30) EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-260/11, NuR 2013, 347 ff., Rdnr. 33.

31) Court of Appeal, Morgan & Baker v Hinton Organics (Wessex) ltd [2009] EWCA 107 Civil Division, Rdnr. 35 ff.

32) EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-260/11, NuR 2013, 347 ff., Rdnr. 40.

33) EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-260/11, NuR 2013, 347 ff., Rdnr. 43.

34) EuGH, Urt. v. 29. 9. 1998 – C-191/95, Slg. 1998, I-5449, Rdnr.  55, vom 6. 11. 2003 – C-358/01, Slg. 2003, I-13145, Rdnr. 27, und vom 18. 12. 2007 – C-186/06, Slg. 2007, I-12093, Rdnr. 15.

35) EuGH, Urt. v. 29. 9. 1998 – C-191/95, Slg. 1998, I-5449, Rdnr.  56, vom 6. 11. 2003 – C-358/01, Slg. 2003, I-13145, Rdnr.  28, und vom 7. 7. 2005 – C-147/03, Slg. 2005, I-5969, Rdnr. 24.

36) EuGH, Urt. v. 29. 9. 1998 – C-191/95, Slg. 1998, I-5449, Rdnr. 54, vom 6. 11. 2003 – C-358/01, Slg. 2003, I-13145, Rdnr. 29, und vom 7. 4. 2011 – C-20/09, Slg. 2011, I-2637, Rdnr. 20.

[63.] Dies ist im vorliegenden Fall geschehen. Die Kommission trägt zu Recht vor, dass die Kosten für die eigene Vertretung eben-falls teil der Verfahrenskosten sind, deren Höhe die Mitgliedstaaten begrenzen sollen. 37 Die Beanstandung, dass dieses Kostenrisiko nicht ausreichend begrenzt wird, war folglich in der Rüge enthalten, dass im Vereinigten Königreich das Kostenrisiko insgesamt nicht ausrei-chend begrenzt würde.

[64.] Diese Einschätzung wird durch die Antwort des Vereinigten Königreichs auf die Aufforderung zur Stellungnahme bestätigt, also durch das erste Schreiben dieses Mitgliedstaats im Vorverfahren. Dort werden nämlich bedingte Kostenvereinbarungen mit dem ei-genen Anwalt, die nur bei Erfolg der Klage ein Honorar vorsehen, als ein Mittel genannt, um die Kostenrisiken zu begrenzen. 38 Das Vorbringen der Kommission in der mit Gründen versehenen Stel-lungnahme, dass Kostenschutzbeschlüsse dieses Mittel untergraben, indem sie den Betrag der Kosten begrenzen, den der Kläger im Er-folgsfall fordern kann, ist also letztlich nur ein Gegenargument, um diese Position zu entkräften. Dadurch wurde dieser Punkt zugleich teil des Verfahrensgegenstands.

[65.] Daher ist dieses Vorbringen zulässig und bedarf der Erörte-rung.

Zur Begründetheit

[66.] Die Kommission kritisiert, dass Kostenschutzbe-schlüsse teilweise auch in dem Sinne wechselseitig ge-staltet werden, dass sie neben dem Risiko der klagenden Partei, im Fall des Unterliegens für die Kosten der Gegen-partei aufzukommen, auch das Risiko der Gegenpartei be-grenzen, beim Erfolg der Klage die Kosten der klagenden Partei tragen zu müssen.

[67.] Der einseitige Kostenschutzbeschluss, der allein zu-gunsten des Klägers das Haftungsrisiko für die Kosten der Gegenpartei begrenzt, kann in erheblichem Maß dazu bei-tragen, übermäßige bzw. prohibitive Kosten des Gerichts-verfahrens zu verhindern. Allerdings können bereits die Kosten der eigenen Vertretung die in Art. 10a der UVP-Richtlinie und Art.  15a der IVU-Richtlinie genannten Personen daran hindern, einen gerichtlichen Rechtsbehelf, der in den Anwendungsbereich dieser Artikel fällt, einzu-legen oder weiterzuverfolgen.

[68.] Im Hinblick auf die Kosten der eigenen Vertre-tung erwähnen sowohl das Vereinigte Königreich als auch Irland daher die Möglichkeit des Verzichts der Pro-zessvertreter auf ein Honorar. Ein solcher Verzicht kann allerdings nur in Ausnahmefällen das Kostenrisiko min-dern, da Prozessvertreter in der Regel Einnahmen er-wirtschaften müssen. In den Verfahren nach Art.  10a der UVP-Richtlinie und Art.  15a der IVU-Richtlinie generell eine kostenlose Vertretung des Klägers zu for-dern, würde die wirtschaftlichen Grundlagen der not-wendigen Spezialisierung von Anwälten auf diese Berei-che zerstören.

[69.] Eine Chance, bei finanziell schwachen Klägern, die keine Prozesskostenhilfe erhalten, die notwendigen Ein-nahmen zu erzielen, eröffnen Erfolgshonorare. In Eng-land und Wales sowie Schottland können diese in Form bedingter Honorarvereinbarungen dergestalt vereinbart werden, dass der Prozessvertreter des Klägers nur ein Ho-norar erhält, wenn die Klage erfolgreich ist. In beiden Systemen muss die unterliegende Gegenpartei normaler-weise die Kosten tragen, die ohne diese Vereinbarung an-gefallen wären. In England und Wales wird ihr darüber hinaus eine zusätzliche Erfolgsprämie für den Prozess-vertreter des Klägers auferlegt, während diese Prämie in Schottland vom Kläger zu tragen wäre. In Nordirland existiert das Institut des Erfolgshonorars nicht. Erfolgs-honorare sind zwar ebenfalls nicht unproblematisch, ins-besondere soweit sie mit einem Zuschlag gegenüber dem üblichen Honorar verbunden sind, 39 doch sind sie nach dem Vorbringen des Vereinigten Königreichs in vielen von Art. 10a der UVP-Richtlinie und Art. 15a der IVU-Richtlinie umfassten Fällen anscheinend notwendig, um in dieser Rechtsordnung den notwendigen Kostenschutz zu ermöglichen.

[70.] Ein wechselseitiger Kostenschutzbeschluss begrenzt jedoch die Kosten, die die Gegenpartei trägt, wenn die Klage erfolgreich ist. Im Fall einer solchen Begrenzung muss die klagende Partei höchstwahrscheinlich für einen teil der Kosten ihrer eigenen Vertretung einstehen. Bei bedingten Honorarvereinbarungen wird das Erfolgshono-rar, das die unterliegende Gegenpartei zu tragen hätte, in der Höhe beschränkt. Entweder die Prozessvertreter be-gnügen sich mit diesem eingeschränkten Honorar oder der Kläger muss es bei Erfolg seiner Klage auf eigene Kosten aufstocken. Auch solche zusätzlichen Kosten können eine prohibitive Wirkung entfalten. Folglich kann der wechsel-seitige Kostenschutzbeschluss das Ziel des Kostenschutzes gefährden.

[71.] Allerdings ist bei der Bewertung von wechselsei-tigen Kostenschutzbeschlüssen zwischen privaten und öf-fentlichen Parteien zu unterscheiden.

[72.] Bei privaten Parteien kann die wechselseitige Kos-tenbegrenzung unter Umständen durch die prozessuale Waffengleichheit gerechtfertigt werden, die teil des Grund-rechts auf ein faires Verfahren ist, 40 das in Art. 9 Abs. 4 des Übereinkommens ausdrücklich als Verfahrensmaxime ge-nannt wird. An dieser Waffengleichheit kann man zwei-feln, 41 wenn eine Partei weitgehend vom Risiko befreit ist, die Kosten der Gegenpartei zu tragen, während die andere Partei immer den größeren teil der eigenen Kosten und im Fall einer Niederlage die vollen Kosten des Verfahrens tragen muss. Es wäre sogar vorstellbar, dass eine solche un-gleiche Verteilung des Kostenrisikos die Entwicklung der Verfahrensstrategie beeinflussen kann. Denn eine weitge-hend vor Kostenrisiken geschützte Partei könnte versucht sein, den Streitstoff unnötig zu erweitern, um die Kosten der Gegenseite zu erhöhen und so ihre Vergleichsbereit-schaft zu steigern.

[73.] Die Kommission hebt jedoch zu Recht hervor, dass es vorliegend nur um Klagen nach Art.  10a der UVP-Richtlinie und Art. 15a der IVU-Richtlinie geht. Diese richten sich naturgemäß gegen die Entscheidun-gen der Verwaltung, nämlich die Genehmigung von Vor-haben nach einer Umweltverträglichkeitsprüfung oder die integrierte Genehmigung bestimmter industrieller Aktivitäten.

[74.] In einem Verfahren gegen staatliche Stellen besteht von Anfang an kein echtes Gleichgewicht, da diese in der Regel über sehr viel umfangreichere Ressourcen verfügen als die in Art. 10a der UVP-Richtlinie und Art. 15a der IVU-Richtlinie genannten Personen. Der einseitige Kos-tenschutzbeschluss ist insofern nur ein erster Schritt zur Herstellung der Waffengleichheit.

[75.] Darüber hinaus geht es in derartigen Verfahren letztlich um ein gemeinsames Interesse beider Seiten, näm-lich um die Wahrung des Rechts. Eine Verwaltung, die in einem gerichtlichen Verfahren unterliegt, weil ihre ange-griffene Entscheidung rechtswidrig ist, verdient hinsicht-lich der Verfahrenskosten keinen dem Kläger vergleich-baren Schutz. Sie hat nämlich das Verfahren durch die Verletzung des Rechts erst verursacht.

[76.] Und schließlich kommt dem öffentlichen Interesse an der Wahrung des Rechts nach dem Übereinkommen

Schlussanträge

123

714 NuR (2013) 35: 710–717

37) EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-260/11, NuR 2013, 347 ff., Rdnr. 27 f.

38) Stellungnahme vom 20. 12. 2007, Rdnr. 31.39) Vgl. im Hinblick auf die mögliche Beeinträchtigung der Presse-

freiheit durch überhöhte Erfolgshonorare das Urteil des EGMR vom 18. 1. 2011, MGN/Vereinigtes Königreich (Beschwerde Nr. 39401/04, §§ 192 ff.).

40) EuGH, Urt. v. 26. 6. 2007 – C-305/05, Slg. 2007, I-5305, Rdnr. 29 bis 31.

41) Vgl. EGMR, Urt. v. 6. 4. 2006, Stankiewicz/Polen (Beschwerde Nr. 46917/99, §§ 60 ff.), zur Befreiung der Staatsanwaltschaft von den Gerichtskosten.

von Aarhus besonderes Gewicht zu. 42 Dieses Interesse ver-bietet es zumindest in den Verfahren nach Art.  10a der UVP-Richtlinie und Art. 15a der IVU-Richtlinie, ein In-strument wie das Erfolgshonorar zu beeinträchtigen, das dazu beitragen kann, übermäßige Kosten für die eigene Vertretung zu vermeiden.

[77.] Diese Ausrichtung des Übereinkommens von Aar-hus entkräftet im Übrigen das Vorbringen des Vereinigten Königreichs zu den begrenzten Mitteln der zuständigen Behörden. Zwar trifft es zu, dass die Behörden die für ge-richtliche Verfahren eingesetzten Mittel nicht mehr ver-wenden können, um ihren Hauptaufgaben nachzukom-men. Doch dies nimmt das Übereinkommen in Kauf. Das ist auch sinnvoll, da die gerichtliche Durchsetzung des Umweltrechts bzw. das Risiko einer gerichtlichen Anfech-tung die Behörden dazu zwingt, bei der Anwendung dieses Rechts besondere Sorgfalt walten zu lassen.

[78.] Das schließt allerdings nicht jeden Kostenschutz für die Verwaltung aus. Es besteht kein Anlass, ihr ein Erfolgs-honorar des Vertreters der Gegenseite aufzubürden, das deutlich über den üblichen erfolgsunabhängigen Honora-ren liegt. Ein „asymmetrischer“ wechselseitiger Kosten-schutzbeschluss, der zwar das Kostenrisiko beider Parteien begrenzt, aber trotzdem Raum für ein angemessenes Er-folgshonorar lässt, kann daher auch bei Verfahren gegen die Verwaltung im Interesse der prozessualen Waffengleichheit nicht ohne Weiteres ausgeschlossen werden.

[79.] Er darf aber nicht dazu führen, dass die finanziell stärkere Verwaltung einen Anreiz erfährt, durch die un-nötige Erweiterung des Streitstoffs die eigenen Kosten des Klägers so weit zu steigern, dass sie die Grenzen der ersatz-fähigen Kosten deutlich überschreiten. 43 Welchen Umfang danach ein angemessenes Erfolgshonorar hat, kann nur im licht des jeweiligen Falles entschieden werden.

[80.] Daher hat das Vereinigte Königreich dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35 verstoßen, dass die Gerichte in Ver-fahren nach diesen Bestimmungen einen wechselseitigen Kostenschutz aussprechen können, der verhindert, dass bei Erfolg der Klage der Gegenpartei die Kosten eines ange-messenen Erfolgshonorars für die Vertretung der in diesen Bestimmungen genannten Personen und Verbände aufge-geben werden.

3. Zum einstweiligen Rechtsschutz

[81.] Schließlich beanstandet die Kommission, dass einstweiliger Rechtsschutz in England und Wales einschließlich Gibraltar sowie in Nordirland in der Regel nur gewährt wird, wenn sich der An-tragsteller verpflichtet, Schäden zu ersetzen, die aus der Maßnahme resultieren.

[82.] Aus der Akte ergibt sich nicht eindeutig, was diese Verpflich-tung zum Schadensersatz umfasst. Ich gehe davon aus, dass es sich nicht um Schäden handelt, die durch schuldhaftes rechtswidriges Verhalten verursacht wurden. Dafür bedürfte es keiner besonderen Schadensersatzpflicht, da bereits das allgemeine Deliktsrecht eingrei-fen würde.

[83.] Vielmehr nehme ich an, dass diese Verpflichtung eingreift, wenn sich der mit der einstweiligen Anordnung geschützte Anspruch im nachfolgenden Verfahren als unbegründet erweist. In diesem Fall soll der Antragsteller anscheinend die Schäden ersetzen, die durch einstweilige Anordnung verursacht wurden. 44 In hier gegenständ-lichen Verfahrensarten besteht somit das Risiko, für die Kosten der Verzögerung von Vorhaben aufkommen zu müssen.

[84.] Die Parteien streiten zunächst darüber, ob dieses Kostenrisiko überhaupt vom Kostenschutz nach Art. 10a Abs. 5 der UVP-Richt-linie und Art. 15a Abs. 5 der IVU-Richtlinie erfasst wird. Nach dem Wortlaut soll nämlich lediglich das Verfahren nicht übermäßig teuer sein. Eine Verpflichtung zum Ersatz von Verzögerungsschäden auf-grund von einstweiligem Rechtsschutz gehört bei enger Auslegung aber nicht mehr zu den Verfahrenskosten.

[85.] Der Gerichtshof hat allerdings bereits festgestellt, dass die Ga-rantie der Effektivität des Anspruchs auf Zugang zu einem Überprü-fungsverfahren gemäß Art. 10a der UVP-Richtlinie und Art. 15a der IVU-Richtlinie erfordert, dass die Mitglieder der betroffenen Öf-

fentlichkeit das Recht haben, den Erlass einstweiliger Anordnungen zu beantragen. 45 Dementsprechend rechnet auch das im Jahr 2000 von der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa veröffentlichte Dokument „Das Übereinkommen von Aarhus: Ein leitfaden zur Umsetzung“ den vorläufigen Rechtsschutz zu der ge-richtlichen Anordnung, 46 die in Art. 9 Abs. 4 des Übereinkommens als teil des Überprüfungsverfahrens genannt wird. 47

[86.] Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass das Erfordernis, wo-nach Verfahren nicht übermäßig teuer sein dürfen, alle finanziellen Aufwendungen betrifft, die durch die Beteiligung an dem Gerichts-verfahren verursacht werden. Ob ein Verfahren übermäßig teuer ist, ist daher in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung aller für die betroffene Partei angefallenen Kosten zu beurteilen. 48 Darüber hi-naus hat der Gerichtshof festgestellt, dass die in Art. 10a der UVP-Richtlinie und Art.  15a der IVU-Richtlinie genannten Personen nicht aufgrund der möglicherweise resultierenden finanziellen Be-lastung daran gehindert werden dürfen, einen gerichtlichen Rechts-behelf, der in den Anwendungsbereich dieser Artikel fällt, einzule-gen oder weiterzuverfolgen. 49

[87.] Da auch der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ein sol-cher Rechtsbehelf ist und da etwaige Schadensersatzansprüche die resultierenden finanziellen Aufwendungen steigern würden, müssen auch sie vom Kostenschutz umfasst sein. Andernfalls würde die Ein-legung dieses Rechtsbehelfs möglicherweise durch das Risiko ver-hindert, Schadensersatz leisten zu müssen.

[88.] Das Vereinigte Königreich hält der Kommission zwar entge-gen, dass von Art. 10a der UVP-Richtlinie und Art. 15a der IVU-Richtlinie betroffene Vorhaben während eines anhängigen Gerichts-verfahrens auch ohne einstweiligen Rechtsschutz meist nicht weiter vorangetrieben werden. Kostspielige Arbeiten würden oft nicht durchgeführt, wenn die Möglichkeit bestehe, dass die Genehmigung aufgehoben wird.

[89.] Dieses Argument relativiert die praktische Bedeutung der Be-anstandung der Kommission, entzieht ihr allerdings für die Fälle, in denen einstweiliger Rechtsschutz notwendig ist, nicht den Boden.

[90.] Weiterhin trägt das Vereinigte Königreich vor, in öffentlich-rechtlichen Verfahren übten die Gerichte ihr Ermessen regelmäßig dahin gehend aus, dass auf die Ver-pflichtung zum Schadensersatz verzichtet werde. Auch in-soweit gilt jedoch, dass die bloße Möglichkeit einer Ermes-sensausübung in Übereinstimmung mit der Verpflichtung zum Kostenschutz nicht ausreicht, um Art. 10a Abs. 5 der UVP-Richtlinie und Art. 15a Abs. 5 der IVU-Richtlinie umzusetzen.

[91.] Von größerem Gewicht ist das Argument des Verei-nigten Königreichs, die Schadensersatzpflicht sei mit dem Effektivitätsprinzip vereinbar, d. h., sie würde die Durch-setzung von Rechten, die aus dem Unionsrecht resultie-ren, weder übermäßig erschweren noch praktisch unmög-lich machen.

NuR (2013) 35: 710–717 715Schlussanträge

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42) Vgl. meine Schlussanträge Edwards (C-260/11, Nrn. 40 ff.).43) Die Darstellung des Verfahrens R (Birch) v Barnsley MBC in

Rdnr. 26 der Erwiderung der Kommission deutet auf eine solche Strategie hin.

44) Im deutschen Zivilprozessrecht begründet § 945 der Zivilpro-zessordnung einen derartigen Schadensersatzanspruch. Er ist al-lerdings nach BGH, Urt. v. 23. 9. 1980 – VI ZR 165/78, NJW 1981, 349 nicht auf Nachteile von Beigeladenen im Verwaltungs-prozess anwendbar.

45) EuGH, Urt. v. 15. 1. 2013 -C-416/10, Rdnr. 109.46) Die nach Art. 22 des Übereinkommens nicht authentische deut-

sche Fassung des Übereinkommens spricht insoweit irreführend von „vorläufigem Rechtsschutz“. Die authentischen Fassungen in englischer und französischer Sprache verwenden die Begriffe „injunctive relief “ bzw. „redressement par injonction“.

47) S. 133 der englischen Fassung und S. 170 der französischen Fas-sung (beide zugänglich unter http://www.unece.org/index.php?id=21437). Nach EuGH, Urt. v. 16. 2. 2012 – C-182/10, Rdnr. 27, kann man den leitfaden zwar berücksichtigen, doch er ist nicht verbindlich.

48) EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-260/11, NuR 2013, 347 ff., Rdnr. 27 f.

49) EuGH, Urt. v. 11. 4. 2013 – C-260/11, NuR 2013, 347 ff., Rdnr. 35.

[92.] Dieses Vorbringen beruht auf dem zutreffenden Ge-danken, dass die Mitgliedstaaten vorbehaltlich der Einhal-tung der Grundsätze der äquivalenz und der Effektivität bei der Durchführung von Art. 10a der UVP-Richtlinie und Art. 15a der IVU-Richtlinie über einen Gestaltungs-spielraum verfügen. 50 Auch der mit dem Effektivitätsprin-zip verwandte Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes nach Art.  47 Abs.  1 der Charta der Grundrechte 51 stellt diesen Spielraum nicht in Frage.

[93.] Daher ist nicht auszuschließen, dass die Mitglied-staaten prinzipiell eine Schadensersatzpflicht für Maßnah-men des einstweiligen Rechtsschutzes vorsehen können, die auch die Durchsetzung von Rechten betrifft, die auf dem Unionsrecht beruhen. Dies gilt besonders in Verfah-ren zwischen privaten Parteien, da eine solche Maßnahme zwangsläufig in die Rechte des Gegners eingreift.

[94.] Das Vereinigte Königreich führt insoweit zutreffend den Schutz des Eigentums des Empfängers der angefochte-nen Genehmigung an.

[95.] Zwar ist anzumerken, dass eine vor Gericht an-fechtbare Genehmigung noch keine Eigentumsrechte be-gründet. 52 Zuvor handelt es sich nämlich nur um die Aussicht, die Genehmigung ausnutzen zu dürfen. Bloße Aussichten genießen jedoch keinen eigentumsrechtlichen Schutz, 53 jedenfalls wenn ihre Verwirklichung umstritten ist. 54 Allerdings können die aus dem gerichtlichen Verfah-ren folgenden Belastungen die Ausübung bestimmter Ei-gentumsrechte beschränken, 55 indem z. B. eine bestimmte Nutzung von Grundeigentum für die Durchführung des Vorhabens verhindert wird.

[96.] Der Schutz der Umwelt kann jedoch eine Be-schränkung der Ausübung des Eigentumsrechts recht-fertigen. 56 Dies gilt auch für einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status quo während der gerichtlichen Überprüfung einer umweltrechtlichen Genehmigung. Die Beschränkung des Eigentums und anderer Freiheiten beruht nämlich vorrangig darauf, dass die angestrebten Vorhaben aus Gründen des Umweltschutzes einer Geneh-migung bedürfen. Wenn das Genehmigungserforder-nis aber gerechtfertigt ist, so erstreckt sich diese Recht-fertigung prinzipiell auch darauf, durch einstweiligen Rechtsschutz eine praktische Vorwegnahme der Haupt-sache während der gerichtlichen Überprüfung der Ge-nehmigung zu verhindern.

[97.] ähnliche Erwägungen dürften im Übrigen der vom Vereinigten Königreich angeführten gerichtlichen Praxis zugrunde liegen, in öffentlich-rechtlichen Verfahren meist auf die Schadensersatzverpflichtung zu verzichten.

[98.] Für die Verfahren nach Art. 10a der UVP-Richt-linie und Art. 15a der IVU-Richtlinie haben diese Über-legungen zusätzliches Gewicht, da das Allgemeininteresse an der Durchsetzung des Umweltrechts dort eine beson-dere Anerkennung erfährt. Die Kläger in diesen Verfah-ren verdienen daher einen Schutz vor übermäßigen oder prohibitiven Kosten, der über den Schutz des Effektivi-tätsprinzips und des Rechts auf effektiven Rechtsschutz hinausgeht. 57

[99.] Dieses Ergebnis wird auch nicht durch das vom Vereinigten Königreich angeführte Urteil Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest 58 in Frage ge-stellt. In diesem Urteil hat der Gerichtshof zwar eine Si-cherheit für den Fall gefordert, dass einstweiliger Rechts-schutz finanzielle Risiken für die Union verursacht. Diese Entscheidung ist jedoch nicht auf Verfahren nach Art. 10a der UVP-Richtlinie und Art.  15a der IVU-Richtlinie übertragbar.

[100.] Jene Klage zielte nämlich nicht auf die im All-gemeininteresse liegende Durchsetzung von Umweltrecht ab, sondern richtete sich ausschließlich im privaten Inte-resse des Klägers gegen eine Abgabe, die an die damalige Gemeinschaft zu entrichten war. Darüber hinaus sollte die besagte Sicherheitsleistung vorrangig den umstrittenen Ab-

gabenanspruch absichern und nicht etwaige Verzögerungs-schäden durch den einstweiligen Rechtsschutz ausgleichen. letztere dürften vielmehr durch die regelmäßig fälligen Verzugszinsen abgedeckt werden.

[101.] Gleichwohl ist es nicht ausgeschlossen, gegen die missbräuchliche Inanspruchnahme einstweiligen Rechts-schutzes vorzugehen. Die Verhinderung oder Sanktio-nierung von Missbrauch erfordert jedoch nicht, die Ge-währung des einstweiligen Rechtsschutzes von einer Verpflichtung zum Schadensersatz abhängig zu machen. Vielmehr würde es in derartigen Fällen ausreichen, einst-weiligen Rechtsschutz zu verweigern oder bei nachträg-licher Aufdeckung des Missbrauchs herkömmliche Scha-densersatzansprüche zu gewähren.

[102.] Folglich hat das Vereinigte Königreich dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35 verstoßen, dass die Gerichte in England und Wales, einschließlich Gibraltar, sowie in Nordirland notwendige Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes in Verfahren nach diesen Bestimmungen von einer Verpflichtung zum Schadensersatz abhängig ma-chen können.

C. Zur Anwendung

[103.] Neben der fehlenden Umsetzung von Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35 wendet sich die Kommission auch gegen die Anwendung dieser Bestim-mungen durch die Gerichte des Vereinigten Königreichs.

[104.] Dieser Klagegrund kann sich nicht darauf richten, dass die Kommission bestimmte einzelne Entscheidungen der Gerichte als Verletzung von Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35 beanstandet. Die Kommis-sion teilt nämlich nicht genug über die jeweiligen Fälle mit, um eine Prüfung zu erlauben, ob diese Bestimmungen tat-sächlich verletzt wurden.

[105.] Allerdings könnte man die Kommission dahin ge-hend verstehen, dass sie mit diesem Klagegrund eine in be-stimmtem Grad verfestigte und allgemeine Praxis 59 der Ge-richte im Vereinigten Königreich kritisiert. Dafür müsste sie genügend Anhaltspunkte beibringen, dass sich dort eine wiederholt angewandte, fortbestehende Praxis herausgebil-det hat. 60

[106.] Auf den ersten Blick scheinen die Feststellun-gen zur unzureichenden Umsetzung von Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35 durch die Rechtspre-chung ein Indiz dafür zu sein, dass die Gerichte im Verei-nigten Königreich in verfestigter Praxis die genannten Be-stimmungen verletzen.

Schlussanträge

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716 NuR (2013) 35: 710–717

50) EuGH, Urt. v. 15. 1. 2013 – C-416/10, Rdnr. 106.51) EuGH, Urt. v. 22. 12. 2010 – C-279/09, Slg. 2010, I-13849,

Rdnr. 28 f. und vom 27. 6. 2013 – C-93/12, Rdnr. 59 f.52) Siehe meine Schlussanträge vom 19. 4. 2012, Križan u. a. (C-416/

10, Nr. 181).53) Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 5. 1974 – 4/73, Slg. 1974, 491, Rdnr. 14,

und vom 5. 10. 1994 – C-280/93, Slg. 1994, I-4973, Rdnr. 79 f., sowie das Urteil des EGMR vom 29. 11. 1991, Pine Valley Deve-lopments ltd u. a./Irland (Beschwerde-Nr. 12742/87, § 51).

54) Urteil des EGMR vom 11. 1. 2007, Anheuser-Busch Inc./Portu-gal (Beschwerde-Nr. 73049/01, Recueil des arrêts et décisions 2007-I, §§ 64 f.).

55) EuGH, Urt. v. 15. 1. 2013 -C-416/10, Rdnr. 112.56) EuGH, Urt. v. 15. 1. 2013 -C-416/10, Rdnr. 114.57) Siehe meine Schlussanträge Edwards (C-260/11, Nrn. 39 ff.).58) EuGH, Urt. v. 21. 2. 1991 – C-143/88 und C-92/89, Slg. 1991,

I-415, Rdnr. 32.59) Vgl. EuGH, Urt. v. 29. 4. 2004 – C-387/99, Slg. 2004, I-3751,

Rdnr.  42, vom 26. 4. 2005 – C-494/01, Slg. 2005, I-3331, Rdnr.  28, und vom 5. 3. 2009 – C-88/07, Slg. 2009, I-1353, Rdnr. 54.

60) EuGH, Urt. v. vom 26. 4. 2005 – C-494/01, Slg. 2005, I-3331, Rdnr. 47.

EU-Kommentar

Jürgen Schwarze (Hrsg.), Ulrich Becker, Armin Hatje, Johann Schoo (Mithrsg.), 3. Aufl. 2012, 3019 Seiten, 225,00 Euro. Nomos Verlag, Baden-Baden, ISBN 978-3-8329-6329-3; Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel, ISBN 978-3-7190-3308-8; facultas.wuv Verlag, Wien, ISBN 978-3-7089-0913-4.

Die 3. Auflage des angesehenen Kommentars von Schwarze beruht auf einer grundlegenden Neubearbeitung auf der Basis des lissabon-ner Vertrags. Hauptaufgabe der Neuauflage war es, wie es im Vor-wort heißt, die Komplexität der Regelungen im Vertrag über die Eu-ropäische Union (EUV) und des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zu reduzieren und das Vertragswerk in verständlicher Form zu erklären, ohne seine einzelnen Aussagen da-bei zu verfälschen oder deren Kern nur unzureichend wiederzugeben.

Der Kommentar enthält zunächst eine allgemeine Einführung in den Vertrag von lissabon und in der Kommentierung der jeweili-

Ass. Jur. Jochen Schumacher, Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht, tübingen, Deutschland

gen Bestimmungen über die europäische Währungsunion auch eine Orientierungshilfe zu den Maßnahmen zur Herstellung einer Sta-bilitätsunion. Im Übrigen sind zur Erleichterung des Umgangs mit dem geltenden EU-Recht im Anhang wesentliche Protokolle zu den Verträgen und die einschlägigen Regeln über die Gerichtsorganisa-tion und die Verfahrensordnungen sowie die praktischen Hinweise für Prozessvertreter wiedergegeben.

Der Kommentar enthält neben der Kommentierung zum EUV und zum AEUV auch eine Erläuterung zu den Regelungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Die umweltrecht-lichen Regelungen der Art. 191 ff. AEUV enthalten eine umfangrei-che Kommentierung der Ziele, zu deren Verfolgung die Umweltpo-litik der Union beitragen soll.

Zusammenfassend ist zu bemerken, dass es Schwarze wieder ge-lungen ist, die für den praktischen Umgang mit dem EU-Recht maßgeblichen Informationen aus einem Guss und in einem Band zur Verfügung zu stellen. Insgesamt ist die Neuauflage des Kom-mentars für die Wissenschaft ebenso wie für die Praxis nachdrück-lich zu empfehlen. Wie bereits in den Vorauflagen ist das Werk durch eine hohe Präzision und Zuverlässigkeit der Ausführungen gekennzeichnet. Der Kommentar ist übersichtlich gestaltet und bietet einen leichten Zugang zu allen wesentlichen Fragen des eu-ropäischen Rechts, er enthält beste Erstinformationen und eine weiterführende Auseinandersetzung mit den einzelnen Rechts-problemen.

[107.] Diese Schlussfolgerung trägt jedoch nicht. Die ge-nannten Feststellungen beruhen darauf, dass die Rechtspre-chung den notwendigen Kostenschutz nicht hinreichend klar und bestimmt gewährleistet. Eine verfestigte Praxis würde dagegen voraussetzen, dass die Entscheidungen auch im Ergebnis das Gebot des Kostenschutzes verletzen.

[108.] Diesen Nachweis hat die Kommission nicht er-bracht. Zwar nennt sie eine Vielzahl einzelner Gerichtsent-scheidungen, doch zeigt dieses Vorbringen vor allem, dass diese Entscheidungen den Kostenschutz nach Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35 im Vereinigten Königreich noch nicht ausreichend umsetzen. Wie oben dargelegt, liegt das zentrale Problem dabei im Ermessen der Gerichte in den maßgeblichen Fragen und in der daraus folgenden Unsicherheit über das Kostenrisiko.

[109.] Dagegen versucht die Kommission nicht, mit den verschiedenen Entscheidungen bestimmte verfestigte Prak-tiken nachzuweisen, die mit bestimmten Erfordernissen des Kostenschutzes unvereinbar wären.

[110.] Dem Versuch eines solchen Nachweises am nächs-ten kommt die Kommission, wenn sie vier der angeführ-ten Urteile dahin gehend beanstandet, dass den Klägern von den Gerichten des Vereinigten Königreichs bestimmte Kosten auferlegt wurden.

[111.] Dieses Vorbringen ist jedoch unzureichend, um eine verfestigte Praxis der Gerichte im Vereinigten König-reich nachzuweisen, den in Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35 genannten Klägern übermäßige oder prohibitive Kosten aufzuerlegen.

[112.] Zum einen reichen vier Entscheidungen aus zwei Gerichtsbezirken des Vereinigten Königreichs nicht, um eine verfestigte Praxis zu belegen. Und zum anderen be-schreibt die Kommission auch diese Verfahren nicht genau genug, um feststellen zu können, ob die jeweils zugespro-chenen Kosten tatsächlich zu hoch sind.

[113.] Sollte sich die Kommission mit der Rüge der man-gelhaften Anwendung von Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35 gegen eine verfestigte und allge-meine Praxis der Gerichte im Vereinigten Königreich wen-den wollen, so wäre dieser Klagegrund zurückzuweisen.

[114.] Ich gehe allerdings davon aus, dass sich dieser Kla-gegrund nur gegen die unzureichende Umsetzung von Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35 durch gerichtliche Präjudizien richtet. 61 Daher ist eine gesonderte Zurückweisung nicht notwendig.

VI. Ergebnis

[116.] Ich schlage dem Gerichtshof vor, wie folgt zu ent-scheiden:

1) Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nord-irland hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35/EG über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung be-stimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten verstoßen,

– dass das Ermessen der Gerichte, Kostenschutz zu ge-währen, nicht an das Ziel des Kostenschutzes gebunden ist und dass die dabei heranzuziehenden Kriterien mit den genannten Bestimmungen unvereinbar sind,

– dass die Gerichte in Verfahren nach diesen Bestimmun-gen einen wechselseitigen Kostenschutz aussprechen kön-nen, der verhindert, dass bei Erfolg der Klage der Gegen-partei die Kosten eines angemessenen Erfolgshonorars für die Vertretung der in diesen Bestimmungen genannten Personen und Verbände aufgegeben werden, und

– dass die Gerichte in England und Wales, einschließ-lich Gibraltar, sowie in Nordirland notwendige Maß-nahmen des einstweiligen Rechtsschutzes in Verfahren nach diesen Bestimmungen von einer Verpflichtung zum Schadensersatz abhängig machen können.

2) Das Vereinigte Königreich trägt die Kosten der Euro-päischen Kommission. Das Königreich Dänemark und Ir-land tragen ihre jeweiligen Kosten selbst.

NuR (2013) 35: 717 717Buchbesprechungen

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B U C H B E S P R E C H U N G E N

61) Siehe Rdnr. 41.