Zur Aetiologie des Fiebers unter der Geburt

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Zur Aetiologie des Fiebers unter tier Geburt. Von Dr. Hermann MfilI~r, ehemaligem Assistenten dar Kgl. Entbindungsanstalt zu Bamberg. Franz yon Winckel hat im Jahre 1862 dutch die Ver- 5ffentlichung seiner Temperaturstudien bei der Geburt und im Wochenbett 1) zuerst auf jene eig~nthiimlichen fieberhaften Geburts- ftille aufmerksam gemacht, welche dadurch besonders auffallen~ dass das Fieber wtihrend der Geburt entsteht und mit Beendigung derselben wieder verschwindet. Eine in~ectiSse Natur dieses Fiebers schien ausgeschlossen, eben weil es die Eigenschaft hatter sich nicht in alas Wochenbett fortzusetzen; es war deshalb anzunehmen~ class die Ursache dieser eigenartigen TemperaturerhShung in der durch die Geburt bedingten ]Vluskelthtitigkeit zu suchen sei. Diese Annahme stiitzte sich auf die physiologische Thatsache und die ttigliche Erfahrung~ dass ver- mehrte Muskelarbeit eine ErhShung der KSrpertemperatur bedinge; sie wurde belegt durch die Beobachtung~ dass diese fieberhaften Temperaturen gerade unter solchen Verht~ltnissen auftreten~ welche infolge vermehrter Widerstt~nde im knSchernen oder fieischigen Theil des Geburtscanals, bezw. raumbeengenden Verhaltens des Kindes eine vermehrte Geburtsarbeit erheischen~ oder wo krampf- hafte effectlose Muskelspannungen (Krampfwehen) bestehen, durch welche nach B~clard mehr Wtirme frei wird, als wenn zugleich tiussere mechanische Arbeit verrichtet wird. Seitdem hat man allgemein der Muskelthiitigkeit die wesent- lichste Bedeutung bei der Entstehung des Geburtsfiebers bei- l) Monatsschr. f. Geburtsk. u. Frauenkrankheiten. Bd. XX.

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Zur Aetiologie des Fiebers unter tier Geburt.

Von

Dr. Hermann MfilI~r, ehemaligem Assistenten dar Kgl. Entbindungsanstalt zu Bamberg.

Franz yon Wincke l hat im Jahre 1862 dutch die Ver- 5ffentlichung seiner Temperaturstudien bei der Geburt und im Wochenbett 1) zuerst auf jene eig~nthiimlichen fieberhaften Geburts- ftille aufmerksam gemacht, welche dadurch besonders auffallen~ dass das Fieber wtihrend der Geburt entsteht und mit Beendigung derselben wieder verschwindet.

Eine in~ectiSse Natur dieses Fiebers schien ausgeschlossen, eben weil es die Eigenschaft hatter sich nicht in alas Wochenbett fortzusetzen; es war deshalb anzunehmen~ class die Ursache dieser eigenartigen TemperaturerhShung in der durch die Geburt bedingten ]Vluskelthtitigkeit zu suchen sei. Diese Annahme stiitzte sich auf die physiologische Thatsache und die ttigliche Erfahrung~ dass ver- mehrte Muskelarbeit eine ErhShung der KSrpertemperatur bedinge; sie wurde belegt durch die Beobachtung~ dass diese fieberhaften Temperaturen gerade unter solchen Verht~ltnissen auftreten~ welche infolge vermehrter Widerstt~nde im knSchernen oder fieischigen Theil des Geburtscanals, bezw. raumbeengenden Verhaltens des Kindes eine vermehrte Geburtsarbeit erheischen~ oder wo krampf- hafte effectlose Muskelspannungen (Krampfwehen) bestehen, durch welche nach B~clard mehr Wtirme frei wird, als wenn zugleich tiussere mechanische Arbeit verrichtet wird.

Seitdem hat man allgemein der Muskelthiitigkeit die wesent- lichste Bedeutung bei der Entstehung des Geburtsfiebers bei-

l) Monatsschr. f. Geburtsk. u. Frauenkrankheiten. Bd. XX.

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gemessen, und noch G15cknerl) , tier vor 10 Jahren umfassen- dere Temperaturuntersuchungen bei Geb/irenden verhffentlichte, steht vollkommen auf diesem Standpunkt.

Eine zweite Anschatmng, welche urspriinglieh nur fiir jenr Falle yon Geburtsfieber zulassig schien, welehe sich ins Wochen- bett hinein fortse~zen, hatte inzwischen mehr und mehr an Boden gewonnen: die der bakteriellen Entstehung. Mehr und mehr wur- den F/tlle yon Geburtsfieber beobaehtet, deren Entstehung durch vermehrte Musltelarbeit nicht begriindet weiden konnte und die trotzdem die Eigenschaft zeigten, im Beginn des Wochenbettes zu verschwinden. So stehen heutzutage schon einzelne Autoren auf dem Standpunkt, alas als Regal zu erkliiren, was friiher als Aus- nahme gait und umgekehrt; und Ahl fe ld spricht in seinen ,Bei- tr/igen zum Resorptionsfieber in tier Geburt und im Woehenbett" 2) bereits yon der ,Mhglichkeit", dass die Temperatur bei einer Ge- bitrenden, rein durch iibermiissige )Iuskelth~ttigkeit veranlasst, bis- weilen einen hhheren Grad erreichen khnne.

Wenn nun andererseits auch die Vertreter der functionellen, i. e. durch die l~fuskelarbeit bedingten Temperatursteigerung, der Mhglichkeit und d e m Vorkommen eines bakteriellen Fiebers, welches mit der Geburt entsteht und fttltt, ein weiteres Feld ein- ger~tumt haben, so stehen beide Anschauungen doch noch immer gleichwerthig und ohne Begrenzung ihrer Gebiete gegenfiber und iiben je nach der Auffassung des einen oder anderen Geburts- helfers einen wesentiichen Einfluss auf die Beurtheilung einer Ge- burt und die therapeutischen Maassnahmen aus. Eine kritisehe Gegeniiberstellung derselben diirfte daher ebensowohl zeitgemiiss, als bei der Wichtigkeit des Gegenstandes nach yon Winekel fiebern 1 .~ pCt. aller Kreisseaden yon allgemeinerem Inter- esse sein.

Die Ansicht der functionellen Entstehung des Geburtsfiebers basirt auf dem bekannten Gesetze yon H e l m h o l t z , nach welchem der thi~tige Musket der quergestreifte wie der glatte eine seiner Arbeit proportionale W~rmemenge entwickelt. Einen An-

1) G15ckner~ Temperaturuntersuchungen bei Geb~renden. Zeitschr. f. Geb. u. Gyn. Bd. XXI.

2) Zeitschr. f. Geb, u. Gyn. Bd. XXVII. S. 493.

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haltspunkt fSr das Quantum der entwickelten W/~rme geben uns D a v y , welcher den th/~tigen Muskel urn 0~7o C,~ w/Crmer fand als den ruhenden, und Becquere l , welcher im eontrahirten Menschen. muskel eine Zunahme : tier Muskelw/~rme um 1 o C . beobaehtete. Diese Messungen beziehen sich auf den isolirten Muskel; die hier- bei benutzten thermo:elektrischer/Apparate wurden direct am ~uskel angebracht. : In gleicher Weise, wie auf dem Experimentirtisehe des Phy- siologen erw/~rmt sich offenbar der Muskel aueh innerhalb :des KSrpers. v. Z iemssen h a t an dem auf elektrischem Wege ~ 'Land o is an dem wiltkiirlich zur Contraction gebrachten me:nsch- lichen Muske~ die. W/~rmebildung dutch die ttau t hindurch wahr- :nehmen kSnnen . . . .

: Der Muskel ist ein Theil ~ des Gesammtorganismus und wird, wenn er sich erwarmt, auch auf,die K5rpertempera:tur enen Ein- f luss ausiiben. Durch die Circulation des Blute, s~ w e l c h e s den th/~tigen Muskel reichlicher durehstrSmt 7 als den ruhenden~ g]eicht sich die Temperaturdifferenz Zwischen dem gerade th~tigen Muskel und dem iibrigen KSrper schnell aus~ der Muskel wird abgekiihlt~ tier Gesammtorganismus w/~rmer als zuv0r. Je grSsser nun die erw/~rmte Muskelmasse ist, welche alas Blut zu durehstrSmen hat, nm so grSsser ~drd. die W~irmemenge seir~, welche das Blur auf- nimmt, um so w~rmer wird tier KSrper. Ebenso wird das Blur und damit der KSrper um so ws je langer das Blut durch erw/trmtes Muskelgebiet fliesst~ i. e. je l~nger die Muskelcontraction dauert.

Der KSrper giebt nun das Ws welches ihm durch die Th/~tigkeit des Muskels zugefiihrt wurde, ziemlich .schnell wieder ab nnd hat besondere Vorrichtungen, um dies bei grSsserer W~rme. zufuhr sehneller zu bewirken: Die Blutgef~isse der Haut fiillen sich stark an~ dadurch kommt das Blut in grSsserer Menge u n d grSsserer Oberils an die kiihlere Haut und giebt durch Leitung nnd Strahlung Warme ab; es bricht Schweiss aus, durch dessen u wird die Haut abgekiihlt; die Athemziige werden fre, quenter, dadurch wird in der Zeiteinheit mehr erw/irmte Exspira- ~tionsluft ausgestossen,: die Herzaction beschleunigt und das Blur h~ufiger an den ktihleren KSrperstelIen voriihergetrieben . . . . . .

Daraus geht hervor~ dass die HShe der KSrpertemperatur bei ~uskelth~tigkeit nicht allein abh~ngig ist yon der Arbeit des Muskels, sondern auch yon der~ Function der W~rmeregulatoren,

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ganz abgesehen yon noch anderen, hier nicht zu erw~ihnenden Um- stitnden. Im Allgemeinen ist nun der KSrper im Stande~ die fiber- schfissige Wiirme schnell genug abzugeben, so dass auch bei st~r- kerer Muskelarbeit ,die Temperatursteigerung gegen die Mehr- production der Wi~rme gering ausf~llt"l), nur die lange Zeit un- unterbrochene anges~rengte Arbeit grosser Muske]massen vermag die Temperatur betri~chtlich zu erhStien.

Da also unter gewShnlichen Verh~ltnissen~ die iiberschfissige Wiirme fortwithrend und in reiehliehem Maasse abgegeben wird, so ist es selhstverst~indlieh, dass das Ansteigen der Temperatur nnr so lange stattfinden kann, als die Muskelarbeit dauert. Sobald diese aufhSrt, f~llt die Tempera~ur ab und zwar beginnt der Ab- fall im Zeitraum yon Minuten.

Ein weiteres physiologisches Gesetz besag~, dass die Puls- frequenz und die Zahl der Athemzfige proportional ist der durch die Muskelth~tigkeit beding~en W~irmezunahme: Bei den fieber- haften Zust~nden des KSrpers, welche durch Infection oder In- toxication entstehen, ist yon einer gesetzmgssigen Proportionalit~it keine Rede. Gerade die Beobachtung der Wochenbettserkran- kungen hat uns ja gezeigt, dass der Puls 12 Stunden und l~nger der TemperaturerhShung ~orauseilen kann. Durcll dieses Ver- halten des Pulses werden wit auf das bevorstehende Fieber auf- merksam und kSnnen nicht selten durch rechtzeitige zweckdien- liche Behandlung den hnstieg der Temperatur fiberhaupt verhin- dern, so dass es nut zu einer ]~rhebung der Pulscurve gekommen ist. Andererseits bleibt in prognostisch sehr gfinstigen F~illen - - der Puls ganz auffallend hinter der Temperamr zuriick.

Am Auffallendsten verhitlt sieh bei nicht functionellem Fieber die Athemfrequenz. Zwar steigt dieselbe, namentlich bei hSheren Tempera~uren, auch zumeist an, aber ihre HShe steht, verglichen mit der Athemfrequenz bei Muskelth~ttigkeit, in gar keinem Ver- h~ltniss zur Temperatur.

Wenn wir nunmehr die Analogien n~her ins Auge fassen, welche die Verfeehter der functionellen Temperatursteigerung her- beiziehen, so wird und zweifellos mit Recht auf die That- saehe hingewiesen, dass bei grSsseren kSrperlichen Anstrengungen, als Marschen, Bergbesteigungen etc., ganz auffallend hohe KSrper-

1) Bernstein, Lehrb. d. Physiologie. 1894. S. 307. 2) Landois. Lehrb. d. Physiologio. S. 413 u. 414.

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temperaturen beobachtet wurden. G 1 5 c k n e r 1) z. B. giebt an, (lass bei Sehnelll~ufern TemperaturerhShungen auf 40 o C. ermittelt wurden.

Ebenso ist es aber a/ueh bekannt, dass man gerade nach an- strengenden Bergteuren, Welche zu betr~chtlicher ErhShung der KSrpertemperatur fiihrten, kurze Zeit naeh Beginn der Ruhe zu frSsteln beginnt, dass also die subjeetiven und objeetiven Zeichen einer starken Hautabkfihlung sich bemerkbar maehen, besonders wenn die dureh die Muskelarbeit verbrauehten Spannkr•fte des KSrpers, die sieh wiihrend der Ruhe in W~rme umsetzen kSnnten, nicht schneil wieder dutch die Aufnahme yon Nahrung ersetzt werden. Diese starke K~ltereaction der Haut ist zweifellos ein Zeichen der Verminderung der KSrpertemperamr fiberhaup~; und dass dieselbe in der That naeh der Ruhe nicht mehr ansteig b son- dern ziemlich schnell wieder absinkt, lehren uns die Untersuchun- gen Mosso's2) , w.elehe derselbe an Studenten und Soldaten an- stellte.

Da die Erhebung einer Gegead fiber die Meeresflfiehe keinen nachweisbaren Einfluss auf die KSrpertemperamr ausiibtS), so be- nfitze ieh unbedenklich die Tabelle Mosso ' s fiber das Verhalten der Temperatur bei seinen Studenten. Diese Messungen wurden angestellt unter mSglichster Vermeidung der bei Temperamrmes- sungen leicht sich einschleiehenden Fehlerquellen; die Temperamr wurde im After gemessen.

,L 407 61o 749 849 900

lOOO

111o 14o

T e m p e r a i u r .

Abgang yon Sassi ........... - - inkunft auf d. Superga .. 38,8[38,5 39,5 Nach der l~uhe . . . . . . . . . . . 37,4] 37,2 37,5 Abgang yon d. Superga , -- --

Ankunft in Sassi . . . . . . . . 37,5137,6 38,3 Nach d. Superga zurfick-

gekehrt ..................... 38,0 L37,8 38,8 Nach der Ruhe .............. 36,9136,9 37,7 Nach Turin zuriickgekehrt 36,9137,3 37.1

Lufttemperamr 20--22o C.

Respiration.[

29 38 34 22 22 26

20 26 19 20 20 24 18 19 20

Puls.

i

135 99 100 95 79 75

109 102 110 86 88 90 88 78 75

1) S. 393. 2) Angelo Mosso, Der Mensch aui den Hochalpen. Leipzig 1889.

S. 180. 3) Lando i s , Lehrbuch. S. 406.

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Aus dieser Tabelle ersehen wir, dass die Temperatur, gleich. wie Puls- und Athemfrequenz bei je4er Messung, deren erste nach ca. 11/2., deren zweite nach ca. l stiindlicher Ruhe erfotg~e, bedeu- tend herabgesunken war; bei dem Studenten Ventrini fiel die Tem- peratur in ca. 11/2 Stunden vo~ 39,5 auf 37,5 0 C. Dec Abtall der Temperatur muss demnach sehr schnell nach Aufhhi, en der Muskelarbeit beg[nnen, wie dies bei dem Corporal Jachini 1) dutch schnet]er auf eimaader folgende Messungen thats/tchtich bewiesen ist: Bei diesem war die Temperatur yon 37,4 nach Ablauf einer Viertelstunde wieder zur Norm, wetche bei ihm 36,5 betrug, zu- riickgekehrt.

Ist es also aus der tgglichen Erfahrung bekannt und dutch wissenschaftliche Untersuchungen erwiesen, dass durch anstren- gende Muskelth~tigkeit erhebliche Temperaturerh6hungen des ganzen Khrpers entstehen khnnen, so steht zugleich fest, dass diese mit dem Au.fhhren derselben schne]l wieder abzufallen pflegen. Puls und Athemfrequenz steigen und fallen mit der Temperatur.

Inwieweit ist nun die Geburtsthg, tigkeit des Uterus mit der Muskelarbeit bei k5rperliehen Anstrengungen zu vergleichen?

Als Muskel unterliegt der Uterus den glei~hen physiologischen Gesetzen, wie die Skelettmuseulatur, zeigt indessen als glatter Muskel doch einige Verschiedenheit. Der quergestreifte Muskel contrahirt sieh sehr sehnell und gelangt kurz naeh dem Beginn der Contraction auf den Hhhepunkt seiner Kraftleistung. Der glatte Muskel contrahirt sieh sehr langsam und braueht [/ingere Zeit his zur Entfaltung der st~rksten Kraftwirkung. Wenn wir demnach den quergestreiften und den glatten Muskel beziigtich ihrer Arbeit in der Zeiteinheit vergleichen, so steht der glatte hinter dem quer- gestreiften zweifellos zurfick. Dauert die Wehe z. B eine MinUte, so hat der Uterus w//hrend dieSer Zeit ~ieht d iejenige Arbeit ge- leistet, wie ein quergestreifter Muskel yon gleieher Masse, d a er wegen der langsamen Contraction und Erschlaffung nicht so lange auf der Hhhe seiner Kraft steht, wie dieser. Der Geburtshetfer pflegt aber die Th~tigkeit und Kraftwirkung des Uterus haupt- sgchlieh nach der Dauer der Wehen zu beurtheilen. Es ist~ des- halb nicht unwichtig, an diesen Untersehied zu erinnern.

Des Weiteren ist der U~erus bei regelm~ssiger Wehenth/itigkeit nicht fortw//hrend in ACtion, wie die Skelettmuskulatur bei einei"

1) S. t82.

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•ergbesteigung. Er macht, nachdem die Wehe vorfiber is t , eine Pause, in welcher er vollkommen erschlafft, ausruht und auch weniger W~rme producirt. Der Organismws hat inzwischen Zeit, sieh der durch die Wehe bedingten TemperaturerhShung zu er- wehren.

Die Arbeit, welehe die Gebiirmutter wii, hrend der Vqehe leistet, wurde durch P o l a i l l o n auf durchschnittIieh 8,8 kg berechnet; die ErhShung der KSrperwKrme, welche hierdurch bedingt wird, betr~g~ nach v. Wincke l 0,0125--0,025 o C., ist also ~iusserst gering. Da nun anderersei~s die Kreissenden, namentlich bei Beginn sti~rkerer Wehen, sehr viel blossliegen, stShnen, kiihlende Getr~nke zu sich nehmen, so sind die Bedingungen zur Wiederabgabe der durch die Wehe zugefiihrten Wiirme ausserordentlich giinstige, viel gi~nstiger, als bei dam wohlbekleideten Bergsteiger. Die Wiirme= s~auung, die jedenfalls bei alien kSrperlichen Anstrengungen einen sehr grossen Einfiuss auf die HShe tier KSrpertemperatur ausiibt (vergl. besonders den SchnelllKufer G15ckner 's) , ist hier g~tnzlich ausgeschlossen.

Sehliesslich ist aueh die Muskelmasse, welche bei der Geburt und einer Bergbesteigung in Action tritt, in Vergleich zu ziehen. Das Gewicht des Uterus sm Ende dot Schwangerschaft bel~uft sich nach Krause auf 700 g, dasjenige des Triceps surae auf 828 g. Es steht also das Ge~vieht des Uterus und demselben wohl ent- spreehend aueh eine Muskelmasse allein schon hinter derjenigen der oberfiKehlichen Wadenmuskulatur zuriick. Gegeniiber den zahl- reiehen m~iehtigen Muskelgruppen vollends, die bei einer Bergbe- steigung fortw/~hrend in Th~tigkeit sind, repr~tsentirt der Uterus eine sehr geringe Muskelmasse, und die Anzahl der W~rmeein- heiten, die er dem KSrper zufiihrt, ist natfirlich eine vie1 kleinere.

Aus diesen Griinden, der Kleinheit der Muskelmasse, der in tier Zeiteinheit geringeren Kraftwirkung des Uterus, der h~iufigen vollkommenen Unterbrechung der Muskelaction und der 6n~er der Geburt vorhandenen, fiir die Wiirmeabgabe giinstigen UmsUinde ist eine betriichtliche Zunahme der KSrper~emperatur auch dutch die vermehrte Geburtsarbeit des Uterus nicht anzunehmen. Den hSchsten Temperaturanstieg soll~e man noch erwarten zu der Zeit, wo die Wehen am h~iufigsten und kritftigs~en sind, und wo die Bauchpresse die Geburtsarbeit mit iibernimmt, also in der An- treibungsperiode, besonders am Ende derselben. Zwar leiste~ der Uterus nach G15ckner ' s Ansicht nicht mehr soviel Arbeit als in

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Mfitlor, Zur Aetiologie :dos Fiebers unter der GeburL: 325

der ErSffnungsperiode, aber~man Sollte meinen, dass, selbst wenn G lSckne r Recht h~tte, die Mi~arbeitl fast der gesarnrnten Skelett- rnuskulatur, welche, beim Mitpressen in Th/itigkeit tritt, dan Ausfalt fast der Uterusarbeit nieht nut decken, sondern sogar bei Weitem fibertretten miisste. Und in der That sehen wit gerade am Ende der Austreibungsperiode am h/~ufigsten jene Zeichen, welche auf das Bestreben des KSrpers hindeuten, e ine st/trkere W~rrnean' sammlung zu reguliren: die Kreissenden liegen da mit lebhafter Respiration, stark gerStheter, warmer Haut und in der Regel bricht aueh Sehweiss aus. Die KSrpertemperatur selbst abet ist zu dieser Zeit nicht am hSchsten. Zwar land v. Wincke l die W/~rmepro- duetion in der II. Geburtsperiode um 01071 o C. hSher als in d e r I . , indessen:f~;llt nach den iibereinstimrnenden, nach ihm an l einem grSsseren Material vorgenornrnenen Messungen Grube r ' s , M a s s : m a n n ' s und G15ckner!s das Maximum der Te~nperatursteigerung zumeist (74,6 pCt.) in das Ertde der ErSffnungs- bezw, den Anfang der Austreibungsperide.

"G15ckner begriindet diese Tha~sache damit, class der Uterus bei seiner Contraction i n der ErSffnungsperiode eine st/~rkere Spannung erleide und in Folge dessen eine dem geringen Arbeits- effect entsprechend vermehrte W//rmemenge erzeugt. Nach dieser Begriindung miisste aber mit dem Fortsehreiten der ErSffnungs-: periode die Warmebildung des Uterus abnehmen, denn die Spannung des Uterus bei der Contraction ist am grSssten irn Beginn: der- selben, we der Muttermund noeh gesehlossen ist, Je grSsser nun der Muttermund wird, urn so mehr dringt die Fruchtblase in den- selben ein, und ein um So grSssei~er " Theil des Eies verl~sst w//hrend der Wehe die G-eb/irrnutterhShle, Mit dem Fortsehreiten der Er- 5ffnungsperiode wird demnach der Arbeitseffeet grSsser, die Spannung geringer, und die Temperatur sollte zunehmen? '

Ausserdem ist der Sehluss GlSekner ' s , dass die relative Vermehrung der garnmenge in der I. Periode, welche v. Wineke~ feststellte, fiir die grSssere Geburtsarbeit in derselben sioreche, un- zul/~ssig, da nach den Untersuehungen v. Voit 's die Harnstoff- ausscheidung in keiner Beziehung zur Mnskelarbeit steht.

Hierzu kornmt nun, dass die Wehen in der II. Geburtsperiode: n aeh St/~rke, Dauer und tt/tufigkeit diejenigen in der I. Periode iibertreffen und gegen das Ende der Austreibungsperiode noeh zu- nehmen, hierzu kornmt ferner, dass auch die Bauchpresse rnehr und mehr in Th//tigkeit tritt his zu dem Moment, we der Kopf

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326 Mfill or, Zur Aotiologie des Fiebers unter dot .Geburt.

durchschneidet, hierzu kommt schliessiiah, dass die psychisehe Er- regung, welcher auch ein Antheit an der Vermehrung der KSrper- w~rme zugeschrieben wird, gegen das ]~nde der II. Periode bcim Ein- und Durehschneiden des Kopfes zumeist am grSssten ist.

Wenn nun gleichwohl die Temperatur in der Regel gegen das Ende der II. Geburtsperiode, start anzusteigen abfiillt, so ist diese Temperaturabnahme jedenfalts eher auf Rechnung der zunehmenden EntblSssung und ErsehSpfung zu se~zen, als auf das Verhalten der Muskelthi~tigkeit. Auch hier tritt es also deutlich zu Tage, wie gering gerade bei Kreissenden tier Einfluss der Muskelth/itigkeit auf die messb~re ErhShung der KSrpertemperatur zu bewerthen ist.

~ i r finden demnach bei Gebiirenden dasselbe eigenthiimlidle Verhalten der KSrpertemperatur, welches A. Mosso bei seinen Bergsteigern festst'elltei dass n/imlich dieselbe in keinem Verh/i|tniss zu der geleisteten Muskelarbeit stehe. Mosso sag~ selbst: ,Die W~irme, welche die Transformation der Energie w~hrend einer Bergbesteigung begleitet, ist weder der Dauer noch der Intensit/tt der yon den Muskeln geleisteten meehanisehen Arbeit proportional." Desgleichen stellte U. Mosso ~) lest, dass die Temperatur zu An- fang eines Marsches steig~ und sich spiiter al[m~lig vermindert. aueh wenn die zu verrichtende mechanische Arbeit die gleiche bleibt. Man kann also aus der KSrperw/irme nieht in der prompten Weise auf die Arbeitsleistung des Muskels schliessen, wie der Physiologe aus der Erwiirmtmg des isolirten Muskels es vermag.

Im Folgenden untersuChen wir den Einfiuss der Krampfwehen auf die ErhShung der KSrpertempera~ur.

v. He lmho l t z zeigte, dass der ausgeschnittene, 2--3 Minuten tetanisirte Froschmuskel eine Erhfihung der Temperatur von 0,14 bis 0,18 ~ C. erkennen tasse. Nach B6clard und He idenha in en~wickelt der bless in Spannung versetzte Muskel mehr Warme, als wenn er zugleieh ~.ussere mechanisehe Arbeit verrichtet. Man musste demnach bei solchem Verhalten des Muskels demselben einen noch grSsseren Einfluss auf die ErhShung der KSrperwitrme zuspreehen, als wenn derselbe einen Arbeitseffect erzielt, und zwar war man zu dieser Annahme um so mehr berechtigt, als gerade diejenige Krankheit, welche mit den gewaltigsten tonischen Muskel-

1) Viroh. Arch. Bd. 106. 1886.

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kr/impfen verlt~uft, der Tetanus auch die hSchsten beob- achteton Temperaturen /mfzuweisen hat.

Indessen habe ich einen Fail yon letal verlaufendem Tetanus gesehen, welcher mit ~hrettharter Spannung der gesammten Brust-, Baueh- und Riickenmuskulatur, sowie derjenigen des Halses und beider Oberarme zur Beobachtung kam, bei welehem abet !trotz dieses gewaltigen ~otanisehen Zustandes so grosset YIuskelmassen die KSrper~emperatur ers~ am dritten Beobaehtungstage 38 o C. erreichte. Es besteht auch sons~ die Erfahrung, dass die Tem- peratur im Beginne der Krankheit trotz ausgepr/igter Muskel- ymp~ome meists normal oder nur m~issig erhSht ist. 1) Es ist deshalb sehr die Frage, ob die TemperaturerhShung bei Tetanus in direcrem Zusammenhang mit den l~Iuskelkr/tmpfen steht, oder ob nicht vielmehr das Tetanusfieber ein Ausdruck der fort- sehreitenden Intoxication ist, die in gleieher Weise mit Zunahme der Temperarur eine zunehmende Spannung der Muskeln bedingt, sodass Muskelkr/tmpfe und Fieber yon einer dritten gemeinsamen Ursaehe abh/tngen. Dass hier haupts/ichlieh ehemische Processe i,m Spiele sind, seheint besonders aus der eigenth~imlichen termi- nalen Hyperpyrese hervorzugehen, welehe, wie attch S t r i impe l l meint2), nieht yon der (lurch die Muskelkr/i.mpfe vermeh.rten W/trmeproduetion im KSrper abh~ngen kSnne, da die KSrper- ~emperarur vorher oft trotz der st/trksten tetafiischen Anf~lle fast garnieht erhSht sei. Wie dem nun aueh sein mag, wir erkennen hieraus, dass selbsf beim Te~nus, wetcher als Pro~otyp der dutch Musketkr/tmpfe bedingten ErhShung der KSrperw/trme gilt, der Einfluss der Muskelth/ttigkeit auf das Fieber ein hSchst zweife]- hafter ist. Bei einer weiteren Form yon Kr~mpfen, der Epilepsie. ist nach Str i impel l die Temperatur normal oder nur um wenige Zehntel eines Grades erhSht. 8) Bei Eklampsie hingegen sehen wir zwar, dass die Temperatur mit der Anzahl der Anf/ille zuzunehmen pflegt, aber hier lieg~ nach allgemeiner Auffassung eine Intoxication vor, und wir finden auch ~n den Ft~llen eine Temperatursteigerung, ~wo die Kranken vollst/tndig comatSs und ohne alle Anf/~lle da- liegen". 4)

l) Strfimpell, Lehrb. lII. Bd. X. Anti. S. 560. 2) S. 561. 3) S. 522. 4) Winter, Fieber in der Geburt. Zeitschr. f. Geb. u. Gyn. Bd. XXIII:

S. 182.

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328 Miiller, Zur Aetiologie des Fiebers under der Geburt.

Wenn wir nun sehen, wie der gewaltige Krampf der gesammten Skelettmuskulatur bei dem oft hiinenhaf~'gebauten Epileptiker in der Regel iiberhaup~ keine oder nur eine TemperaturerhShung um einige Zehntel eines Grades hervorzurufen pflegt, wenn wir ferner sehen, wie bei Tetanus die ~agelange brettharte Spannung mi~ehtiger Muskelmassen oft nieht einmal eine Temperatur erzeugt, die wir als fieberhaft bezeichnen (38 ~ C.), welchen Einfiuss sollen wir da dem stundenlangen Krampf einiger winziger Muskelbiindei auf eine Temperatur yon 39 41~ C. beimessen kSnnen, wie man sie bei der Striktur des Muttermundes h~ufig beobachtet? Und das under Verh/iltnissen, wo in Folge yon EntblSssung, Nahrungsabstinenz: ErschSpfung~ Blutverlusten, die Bedingungen zum Ausgleich der KSrperw/irme welt giinstiger sind, Ms bei einem Epileptiker oder Tetanuskranken!

W/~hrend wit also bei den naehweisbaren, gewaltigen Kr/impfer~ der Tetaniker und Epileptiker eine entsprechende Temperamr- erh5hung h/~ufig vermissen, ist umgekehrt bei Krampfwehen trotz der betr/~ehtliChen Temperatursteigerung die Spannung der Uterus- musculatur h~ufig iiberhaupt nicht objectiv festzustellen, so dass wir nieht einmal Wehenschw/iche und Krampfwehen zu un~er- scheiden verm5gen. Gerade wegen dieses Mangels wurde ja in der TemperaturerhShung ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen Krampfwehen und Wehenschw/~che begriisst!

Ohwohl es nun dutch eine fast vierzigjiihrige klinische Beob- achtung erwiesen ist, dass bei Krampfwehen, deren Vorhandensein durch andere zweifellose Symptome festgestellt war, in der Regel eine ErhShung der KSrpertemperatur auftritt, so kann ieh mich doch der allgemeinen Auffassung night anschliessen, welche die- selbe mit der abnormen Muskelth/~tigkeit in urs/tchliche Beziehung bring~ Vielmehr seheint sie mir yon anderen Umst~nden abh~ngig zu sein, welche al|erdings als Folgezust~tnde der Krampfwehen aufzutreten pflegen.

Es ist deshalb meine Ueberzeugung, dass bei enormer wie abnormer Geburtsths des Uterus die Temperatursteigerung sich nut in Zehnteln eines Grades, nieht Graden, bewegt; nur bei langdauernder anstrengender Anwendung der Bauchpresse mag die Tem peratur gelegentlieh einmal 380 C. iibersteigen.

Welche Eigensehaffen muss man nun von einem Fieber ver- langen, welches der Th/itigkeit der Muskeln seinen Ursprung ver- dankt?

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Miiller~ Zur Aetiologie des Fiebers unter tier Geburt. 3991

1. Die Temperatur steigt nur so lange~ als vermehrta Muskal- arbeit besteht, und beginnt nach AufhSren derselben schnell im Zeitraum von Minuten, nicht Stundan oder Tagen abzu- fallen.

Ein functioneIles Fieber ist deshalb ausgeschlossen, wenn a) w~hrand der Geburt die Wehenth/~tigkait eine zunehmende

Steigerung der Temperatur nicht begriindet; wenn also Wahen- schwache basteht, oder wenn nach starker Wehenth/~tigkeit die- selbe zeitweilig nachl/~sst und die Temperatur gleichm/~ssig weiter steigt. Ueberhaupt ist jedes sub partu gleiehm~ssig ansteigende Fieber verd/~ehtig, nicht funetionell zu sein, da bei langdauernden Geburten. bei danen alas Fiebar gawShnlich nur beobaahtet wird, in der Regel Remissionen der Wehenthatigkeit vorkommen;

b) nach der Geburt die Tamperatur 1. noch weiter steigt, 9. 1/~ngere Zei~ auf glaieher HShe bleibt, 3. sehr langsam absink~, d. h. erst naeh Stunden oder

Tagen der Norm nahekommt. 2. Puls und Athmung steigen und fallen mit der Temperatur.

Wenn dieselben also mit Beriicksiehtigung anderwaitiger, galegent- lieh ainwirkender Einfl~isse nicht mit dam Verhaltan der Tempe- ratur in Einklang zu bringen sind~ dannis t aueh hier eine funetio- nella Tamperatursteigerung nieht anzunehmen.

3. Die friiher erw/~hnten w~rmeregulirenden Einriahtungen treten in Thatigkeit, sobald infolge der Muskelarbeit e ine starkere Ansammlung yon W~rme im Organismus stattfindat. Bleiban diese aus, ist z. B. bei hoher KSrpertemperatur die Haut ganz trocken, brieht kain' Schweiss aus, ist die Athemfrequen~ nicht betr/~ehtlich arhSht, so ist die TemparaturerhShung nicht funetionell.

Ausgeschlossen ist der functionalle Ursprung des Fiebers unter allen Umst'~nden, wann Zeichen tier Intoxication oder Infectiort bestehen, als Versehlechterung tier Pulsqualit~t, StSrung des All- gemeinbefindens, Sch~ittelfrSste~ fibelriechender Ausfluss ate.

II.

1st nun einerseits, wie es zuvor festgestellt wurde, der Ein- fluss der Muskelthittigkeit auf die ErhShung der KSrperiamperatur viel beschr~nkter, als,man bisher annahm, so hat man anderer- seits nach dam gegenwitrtigen Stand der klinisehen ]~rfahrung keinen Grund mehr zu bezweifeh b dass ein bakterielles, ja direct

Archly f. Gyn'~kologie. Bd. 65. H. 2. 2 2

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330 Miiller, Zur Aetiologie des Fiobors under der Goburt.

infectiSses Fieber mit dem Ende der Geburs zugteich abfallen kann, ohne irgend welehe Spur seiner derzeitigen Anwesenheit im Woehenbett zu hinterlassen. Aus der Literatur liessen sich un- z/~hlige Geburtsf/ille zusammentragen, in denen uuzweifelhafte Zeiehen der Infection vorhanden waren und die trotzdem ganz normale Wochenbetten im Gefolge hatten, leh erinnere nur an:

1. die septischen Aborte, ,bei denen es zur Regel geh5rt, dass unmittelbar nach Entleerung der UterushShle die Temperamr dauernd zur Norm zuriickkehrt~l), und G15ekner beobaehtete selbs~ zwei F/file, bei denen die Temperatur innerhalb 8 bezw. 14 Stunden nach Beendigung der Geburt um 5,4 bezw. 5,2 ~ C. abfiel.

2. die F/ille mit iibelrieehendem Ausfluss und selbst mit Tympania uteri, denen ein normales Wochenbett folgse.

Naeh G15ekner hatten (Tabelle XVI) 2) ein normales Wochenbett:

Von 22 Erstgeb/irenden mit iibelrieeh. Ausfluss 7 ----- 31,8 pCt., , 25 Mehr ,, , , , 11 ~--- 44,0 pCt.,

zusammen 18 = 38,3 pCt. , I2 Erst , , Tymp. uteri 2 ~ 16~6 pCt.:~ ~ 11 Mehr ~ , ~ , 5 ~--- 45,4 pCt.,

zusammen 7 = 30,4 pCt.

Es folgte also in einem Drittel aller Geburtsfieber mit iibel- riechendem Ausfiuss bezw. Tympania uteri ein normales Wochenbett.

3. die Fiillea), wo selbst dann der fieberhaften Geburt ein normales Wochenbett folgte, wenn intra parmm SchiittelfrSste auf- getreten waren.

In allen diesen F~illen ist doch die bakterielle Aetiologie zweifellos und gleichwohl sehen wir, dass das Fieber wesentlich nur an die Zeit der Geburt gebunden ist. Nieht selten erleben wir wiederum das Umgekehrt% dass n~mlieh intra partum alle Zeichen einer Infection fehlen, das Fieber sogar nieht einmal be- sonders hohe Grade erreicht und sieh nachher doch ins Woehen- bert fortsetzt.

1) G15ckner, Zeitschr. f. Gob. U. Gyn. Bd. XXI. S. 430. 2) G15okner, 1. c. S. 428. 3) G15ckner, 1. z. S. 434.

Page 14: Zur Aetiologie des Fiebers unter der Geburt

M~llor, Zur Aotiologio dos Fiebors untor der Geburt. 331

Boi einer solehen Lage der Dingo muss naturgem/~ss aue,h die so lange en~gegengehaltene theoretisehe Sehranke fallen, welche den Bakterien den in den Augen manehes Geburtshetfors ihnen sieher so,hen l~ngst zukommenden Anthoil am Geburtsfieber ver- ~vohrte.

III. ])as Vorkommen des Geburtsfiobors kniipft sie,h nun haupt-

s//ehlieh an solehe Geburton, wole,ho infolgo vermohrter Hindor- nisse im Geburtskanal odor raumbeengenden Verhaltens seitens des Kindes erschwer~ und worauf es auch sehr wesen~lich an- kommt verz6ger~ werden. Wenn wir die bisher ver6ffentlichten Statistiken ansehen, so finden wir fiberal] ganz fibereinstimmend folg'endo Angaben fiber die Priidilee,tion des Geburtsfiebers. Das Fieber unter der Geburt betrifft vorwiegend:

1. Erstgeb~rende. Die Weichtheile des Geburtskana]s sind straffer, leisten so-

wohl dora Vordringcn der Fruchtblase dutch don Muttermund, wio dem dos K~ndos dure,h clas Bee, ken grSsseren Widerstand und verzSgern dadurch die Geburt.

Diese Verh/iltnisse erfordern eine vermehrte Geburtsarbeit. Hierdure,h werden die Weichtheile einem l/tngeren und intensiveren Drucke ausgesetzt und ausgedehntero Quetse,hungen des unteren Geb//rmutterabse,hnitts und der Gese,hlechtstheile im kleinon Bee,ken he rvorgeru fen.

Dazu kommt, dass der Kopf bei Erstgeb/irenden beroits im Beginn der Geburt fest im Bee,ken steht und der glatte, seharf- tandige Muttermund ihm fest anliegt. Kommt nun eine Wohe, so wird, indem sieh die Blase stellt, das Fruchtwasser innerhalb des Eies zwisehen Kopf und dem untoren Geb~irmutterabschnitt hin- durchgedr~ng~. Da aber dee Kopf im Beckon feststeht, so kann er nut wenig odor gar nicht naeh der BauchhShle hin ausweichen. Andrerseits bietet der dem Kopfe gleiohmitssig und straff anlie- gendo Muttermund dom andr/ingonden Fruchtwasser einen grSsseren Widerstand. Das Frue,htwasser muss also mit grSsserer Gewalt zwisehen Kopf und unterem Gebitrmutterabschnitt hindure,hgodritngt werden; der Druek, wele,her infolge dessen auf den unteren Ge- b~rmutterabschnitt ausgeiibt wird, ist viol grbsser als bei Mehr- gebiirenden.

Mit der Zunahme der Wehen ISst sich die Eispitze mehr und mehr yon der Gebiirmutterwand ab und es wird mit zunehmender

22*

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332 Miiller~ Zur hetiologie des Fiebers unter der Geburt.

AblSsung eine Sich immer vergrSssernde F1/iche an derselben ge- schaffen, wel~he einer festen, gegen die Insulte der G.eburtsthi~tig- keit geniigend sehiitzenden Gewebsdecke entbehrt. Die GrSsse der springfertigen Blase beweist uns~ dass dieselbe keine geringe ist und als Resorptionsfi~ehe sicher mehr Beachtung verdient, als sie bisher gefunden hat. Mit der AblSsung des Eies, welche inner- halb der Decidua sieh vollzieht, kommt es aber aueh zu reich- ticher AbStossung des brSckligen Deeidualgewebes.

Der stri~ffe elastisehe Muttermund giebt der andr/ingenden Fruehtblase erst dann nach, wenn diese stark gespannt ist. Wenn also die Fruehtblase dureh den Muttermund hindurchtritt, liegt dessen Rand ganz lest an der sieh vorwSibenden Fruchtblase an and sein scharfer glatter Rand verdiehtet den Abschluss noch mehr. [nfolge dieses fast hermetisehen Absehhsses der Geb~ir- mutterhShle under der Wehe ist der kbfiuss des angesammelten Secretes zu einer Zeit sehr stark behindert, wo er am ausgiebig- sten vor sich gehen Sollte. Es komm~ demnaeh bei Erstgeb/iren: den leicht zu einer Retention des Secretes und dementspreehend aueh zur Resorption desselben, da es infolge des entstandenen ne- gativen Druckes in der We henpause zuriiekgesaug~ wird.

Wird' nun mit Zunehmender Geburtsdauer das Secret durch die im urspriinglichen Halskanal 1) vorhandenen oder bei l~ngerer Geburtsdauer aus der Vagina emporgewanderten, bezw: dureh h/tufigere Exploration eingeschleppten Mikroorganismen infieirt, so ist dem septischen Resorptionsfieber Thiir und Thor geSffnet.

Je mehr aber die ErSffnungsperiode fortschreitet, um so mehr verliert der untere Geb~rmutterabschnitt seine trichterfSrmig-halb- kugelige Form, um so mehr ni~hert er sich in der Form einer cylindrischen RShre. Der Seitenwiderstand, den die Blase zu iiber- winden hat, wird hierdarch geringer, und der kbschluss des Kanals dureh den Muttermund verliert mehr und mehr an Kraft und Dichtigkeit. Die Blase hingegen kann, je mehr der Muttermun(t er8ffnet ist, um so mehr bei der Hervorwiilbung ihre natiirliehe Eiform bewahren und tritt zudem mit einer immer gr6sseren F1/iche aus dem Muttermund heraus. Hierdurch wird die Gelegenheit, das

1) Nach G. Winter (Zeitschr. f. Geb. u. Gyn., Bd. XiV, 1888~ S. 464) enthglt der Genitalschlauch der gesunden Frau Mikroorganismen in Vagina und Cervix, w~ihrend Uterus and Tuben fi'ei sind. Die Grenze zwischen bak- terienhaItiger and bakterientreier Zone ist ungef~ihr die Gegend des inneren Muttermundes.

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Mfiller, Zur Aetiologio dos Fiebers under der G~burt. . 333

angestaute Sekret fortzuschaffen, giinstiger, die MSglichkeit der Retention geringer, und das Fieber kann abfallen. Es ist deshalh begreif!ichi dass mit Eintritt kr~ftiger Wehen und fortsehreitender ErSftnung des Muttermundes die Temp. so h~ufig abnimmt.

Bei Mehrgeb~irenden ist der Kopf des Kiudes beweglich i der untere Gebiirmutterabschnitt schlaffer, und deswegen weniger Ge- legenheit zur Quetsehung und Zerreibung des Gewebes gegeben. Der Muttermund ist schon im Beginn der Geburt often, nachgiebiger, uneben und vielfach eingerissen und in Folge des dadurch bedingten mange]hafteren Abschlusses der Geb~rmutterhShle weniger geeigne~ zur Retention. Die G.elegenheit zur Einwanderung der Bakterien ist allerdings gfinstiger, aber dieselben finden hier nicht die gfinstigen Ansiedelungs- und Vermehrungsbedingungen, wie bei Ers~geb~renden, wenn nicht etwa durch Verwachsung~ Trismus oder Rigidit~t des Muttermundes solehe gesehaffen wurden. Ausserdem wird ja das Entstehen und die HShe des Fiebers nicht allein be- stimmt dureh die Anwesenheit yon F~ulnisskeimen, sondern aueh von dem Druck, unt, er welchem das Sekret steht. 1)

Eine zweite MSgliehkeit der Entstehung des Geburtsfiebers ist gegeben in der Austreibungsperiode, wenn die Weichtheile sehr wenig nachgeben, und der Kopf fest yon denselben umschtossen wird. In Folge der vermehrten Wehenthii.tigkeit kommt es wieder zu st~rkeren Gewebsl~sionen. Rfickt der Kopf in der Wehe tiefer, so tritt er in der Wehenpause wieder fast ebenso welt zuriiek und liegt dabei immer der Wand des Geburtskanals fest an. In Folgo dessen wird das Sekret wiederum angestaut, mit der Zeit infieirt und mit abnehmender Wehe asplrirt. Es sind also hier dieselben MSgliehkeiten der Fieberentstehung gegeben, wie in der ErSftnungs- periode. Demnaeh ist bei Erstgeb~renden in Folge der Straftheit des Muttermundes und der fibrigen Weichtheile des Geburtskanals die Gefahr des Resorptions- wie des Infectionsfiebers vermehrt.

2. Aeltere Erstgebitrende. Hier werden die ungiinstigen Ver- hiiltnisse dadureh vermehrt, (lass das Gewebe des Geburtskanals noch weniger naehgiebig und dabei rigider geworden ist. Zu den disponirenden Umst~inden, 'welehe die Erstgeb/~renden iiberhaupt betreffen, ~re~en noeh jene hinzu, welche wir under No. 3 finden. Der auffallend hohe Antheil ~tlterer Erstgeb/irender am Gebur~s- fieber wird hierdureh erklitrlich.

1) Bumm, Zur Kenntniss des Eintagsfiebers im Wochenbett. Centralbl. f. Gyn. S. 1341 u. 1342.

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334 �9 Mfiller, Zur Aotiologie des Fiebers under dor Gebur:.

3. Rigidit/it der Weichtheile. Sind die Weiehtheile des Ge- burtskanals vom Muttermund angefangen bis zum Datum wenig nachgiebig, so ist in der ersten, wie in der zweiten Geburtsperiode wegen des grSsseren Widerstandes, welchen Muttermund und Ge- burtskanal ihrer Erweiterung entgegensetzen, die Gelegenheit der Retention in hSherem Grade gegeben ats sonst. Die Geburtsarbeit ist entsprechend dem vermehrten Widerstande vermehrt, es kommt zu gr6sseren und 1/inger dauernden Quetschungen des Gewebes. Nun ist dasselbe an und fiir sich unelastisch und reisst, start nachzugeben, eher ein. In Folge dessen ist auch das Geburts- trauma und die MSglichkeit der Infection gr6sser.

Hierher gehSren auch die Fglle yon Verlegung des Geburts- kanals, als Conglutination und Atresie des Muttermundes, Ver- wachsung der Scheide, raumbeengende Neubildungen in derselben, Atresie des Hymens, Intumescentia genitalium, Deviation des Uterus. Auch bier ist die Gelegenheit der Retention einerseits, andrerseits ein vermehrtes Geburtstrauma dureh die Verhtiltnisse gegeben. Aus der Literatur lassen sich zahlreiche Belege anfiihren, dass sofort mit der ErSffnung der verschlossenen Stelle der Fieberabfall begann,

4. Beckenverengerungen. Der Kopf kann entweder garnicht oder nut miihsam in das Becken eintreten. In Folge des Wider- standes kommt es zu vermehrter Geburtsarbeit und zu vermehrter Quetschung. Letztere wird ausserdem dadurch besonders hervor- gerufen, dass der untere Gebitrmutterabsehnitt- wofern der Kopf nieht in das Becken eintreten kann und zwar immer die gleichen Stellen desselben gegen dan Rand des Beekeneingangs angedrg.ngt und damit einer starken Reibung ausgesetzt werden. Ja, es kann die Geb/irmutter ganz durchgerieben warden (Geb'hrmutterzerreissung). Tritt der Kopf in das Beeken ein, so warden je nach der Art der Verengerung die ganze Cireumferenz oder einzelne Stellen des unteren Uterinsegments lest zwisehen Kopf und Beeken eingekeilt nnd dutch die Wehen stark gequetscht. Zu den vorhandenen Ge- fahren kommen noch die sp~ter zu erw~ihnenden Gefahren des vorzeitigen Blasensprungs, der Wehenanomalien, nngiinstigen Kinds- lagen, CirculationsstSrungen und Entzfindung des eingeklemmten Gewebes und schliesslich der Verl/~ngerung der Geburtsdauer, welche den Bakterien Gelegenheit zur Einwanderung und Vermehrung giebt. In Folge dessen kSnnen wir as bei engem Becken recht h~ufig erleben, dass das Fieber fortw/thrend ansteigt, auch wenrt, wie es

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Miiller, Zur Aetiologie des Fiebers unter der Geburt. 335

gerade hier zumeist gesehieht~ in Folge ErschSpfung des Uterus Wehenschw/~che eingetreten ist. Gerade hier finder; wit deshalb geeignete Beispiel% um zu beweisen, dass es nieht die vermehrte Muskelarbeit des Uterus ist. welche die TemperaturerhShung bewirkt, sondern die zuvor angefiihrten Umst/inde.

5. Missverh/~ltniss des Kindes. Dieses kann bedingt sein: a) dutch relativ zu bedeutende GrSsse des Kindes. Hierdurch wird bei normalem Beeken der Durehtritt ebenso

ersehwert, wie bei normalem Kopf und zu engem BeSken. Das Beeken ist rela.tiv zu eng~ die Geburt wird verzSgert, die Geburts- arbeit vermehrt. Es kommt zu stiirkeren Quetschungen u. s. w. Da wie alle Maasse aueh die Kopfdurchmesser der miinnlichen Kinder durchschnittlich grSsser sind, als die der weiblichen, so ist der grSssere Proeentsatz der Knaben bei fieberhaften Geburten ver- st/indlieh.

b) Bei ungiinstigen Einstellungen des Kopfes~ bei welchen der Kopf mit grSsseren Durchmessern dureh das Beeken geht, und bei Sehieflagen. Es kommt auch bier, namentlieh bei den ungfinstigen Einstellungen des Kopfes~ zu st~rkerer Quetschung, bei diesen und den Sehieflagen zur Verl/~ngerung der Geburtsdauer. Ja, selbst die in Folge ihres im Allgemeinen etwas 1/tngeren Geburtsverlaufes etwas ungiinstigere II. Sch'/tdellage iibt sehon einen merkbaren Ein- fiuss auf den Procentsatz der Fieberf'/tlle aus, indem naeh G15ekner bei fieberhaften Geburten das VerhKltniss der I. Seh/ideHage zur II. Sehiidellage nur 1,57:1 start, wie bei Geburten mit fieber- losem u 2,56 : 11) betr/~gt. Ueberhaupt disponiren under den Liingslagen die Kopflagen am meisten zum Fieber, da der runde, harte Sch/idel grSssere Quetschungen setzt und einen gleich. m~ssigeren~ festeren Absehluss des Geburtskanals erzielt, als der welch% naehgiebige Steiss.

6. Web enanomalien: a) Die Weheuschw/iehe wirkt dadurch fieberbegiinstigend, dass

sie die Geburt verzSgert und den Bakterien zur Einwanderung und Vermehrung die nSthige Zeit gew/s Dieselbe ist deshalb im

1) Glgckner stimmt hiorbei mit der Angabe Runge's tiberein (Lehr- .buch, S. 89), nach welchem auf 100 I. Schiidellagen 39 II. kommen. Nach Spiegelberg und v. Winckel betrggt das Verhaltniss der I. : II. Sch~del- lage allerdiags nur 1~8 1,9 : I. Immerhin bleibt, auch wenn man letztero Zahlen dem Vergleiche zu Grunde leg~, die hShero Frequenz der II. Schiidel- lagen bei fieberhafton Geburten noch ersichtlich.

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336 Miiller, Zur Aetiologie des Fiebers unter der Geburt.

Beginn der Geburt, wenn keine st~irkeren Wehen bereits vorhandea waren, und kein grSsseres Geburtstrauma oder Anstauung yon Sekret stattfand, wenn die ErSffnung des Muttermunds nieht zu weir fortgesehritten und die Blase intact ist, ungef~hrlieh. Tritt sie aber naeh l~ngerer GeburtstMtigkeit ein, oder wenn gar die Wehenschw~tehe als Folge der UterusersehSpfung sieh an sonstige fieberbefSrdernde Geburtsunregelm~ssigkeiten ansehliesst (enge Beeken, vorzeitiger Blasensprung, Krampfwehen), so kann sie eine sehr gefiihrliehe Geburtseomplieation werden.

b) Krampfwehen. Dietonisehen Formen der Krampfwehen bedingeu zumeis~ betr~ehtliehere ErhShungen der KSrpertempera.~ur als die klo- nisehen. Am Mufigsten ~reten dieselben auf als Trismus. Dutch die un- geniigende ErSffnung des Muttermundes, sein Bestreben, sich unter der Wehe eher zusammenzuziehen als zu erweitern, kommt es zur VerzSgerung der Geburt, zur Retention des Sekrets im un~eren GeMrmutterabsehnitt, ja gelegentlieh auch zu CireulationsstSrungen und Entzfindungserscheinungen an demselben. Es wirkt demnach der Trismus ganz in demselben Sinne, wie die Straffheit oder Ri- gidit~tt des ~[uttermundes.

Dies zeig~ folgender Fall:

M. W J) 181/z J. Ipara. II. Schadellage. Vitium eordis grave inveteranlm.

3. 11. 6.00 Vonn. Wehenbeginn. 10.00 Nachm. Muttermund klein 20 Pf.-Stfick gross, Wehendauer ca. 1/2 Min. Pause 10--15 Min.

4. 11. 6,00 Vorm. Blasensprung. 9.00 Vorm. Muttermund klein 20 Pf.-Stiick gross, steht links seit-

tich, hoch oberhalb der Spinallinie. Wehendauer 1/2--a/4 Min. Pause ca. 3 Min, Temp. 37~2. P. 98.

12,00 Mittag. Warme Umschlage auf den Leib, heisse Vaginal- douchen. Mlattermund klein 20 Pf.-Stfiek gross. Temp. 37,5, P. 118, t~. 48.

2:15 Nachm. Muttermund nicht ganz 50 Pf.-Stfick gross, besitzt einen papierdiinnen, scharfen Rand yon ca. 1/2 cm Breite. Derselbe setzt sich gegen das peripher liegende Gewebe des unteren Geb~trmutter- abschnitts ganz scharf ab; dieses ist stark verdickt~ mit dem Finger teigartig eindriickbar. Der Muttermund befindet sich nicht am unteren Pol des unteren Uterinsegments, sondern steht uoch ganz hoch oben, gegen das Vaginalgewflbe hin gerichtet. Der Kopf steht fief im Becken und hat den unteren Geb~irmutterabschnitt haubenartig vor sich herabgedr~tngt. Wahrend der Wehe wird der Muttermund kleiner statt griisser. Temp. 37~6, P. 122, R. 52.

2,45 Nachm. Seit der letzten Untersuchung 2--3 Wehen. Mit einer Wehe, bei welcher die W. stark mitpresst: kommt der Kopf zum

q

1) 1900. J.-No. 96 der Kgl. Entbindungsanstalt in Bamberg.

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Mfiller~ Zur Aetiologie des Fiebers unter der Geburt. 337

Ein- und Durchschneiden. Cyanose. P. 148, R. 64.

2~50 Nachm. 5,50 Nachm. 7,30 Nachm.

5. 11. 1.00 Vorm. .7,00 Vorm.

6. 11. 7,00 Vorm.

Mit der n~chsten folgt der Rumpf. Starke

Nachgeburt spontan. Temp. 38,2, P. 132~ R. 48. Temp. 38,6~ P. 124~ R. 56. Temp. 38,2, P. 128~ R. 46. Temp. 37,0, P. 106~ R. 32. Temp. 36,8, P. 90~ R. 28.

Hiichste Tempera~r im Wochenbett 37,1 " C. Die ser Fall ist ffir die vorliegende Arbeit in mehrfacher Be-

ziehung hSehst in~eressant, bTach dam Verhalten des Muttermunds und der Temperatursteigerung zu sehl~essen, musste es sich um Trismus handeln, bedingt jedenfal]s durch den ungiinstigen hohen Stand des Muttermundes. Derselbe zeig~e trotz 32stfindiger Wehen- thiitigkeit keine Neigung, sieh zu erSffnen und blieb immer hoch oben links stehen. Das Becken war verhiiltnissmiissig weir, der Kopf ~rat immer tiefer in dasselbe hinein und trieb den 5dematSsen un~eren Geb~rmutterabsehnitt so welt vor sieh her, dass ich meinte, derselbe muss~e demn~ichst in der withrend der Weh'e bereits etwas klaffenden Sehamspalte siehtbar werden, und an Ineisionen daehte. Inzwischen erfolgte aber ganz unerwartet und sehnell die Geburt. Da nun der Muttermund noeh ganz kurz vor der Geburt in der Wehe, statt sich zu erweitern, sich contrahirte, nieht einmal die GrSsse eines 50-Pfennigstiicks besass, und seine andauernde Stel- lung hoch oben seklieh der ErSffnung zweifellos nieht giinstig war, da ferner in der Zwisehenzeit nut 3 4 Wehen auftraten~ die an Kraft die ~orhergehenden nieht zu fibertreffen sehicnen~ so konnte ich mich uicht en~schliessen anzunehmen, dass die unerwartet schnelle Geburt des Kindes dutch die plStzliehe genfigende ErSff- hung bedingt war, wiewohl es gerade bei Krampfwehen sehr hitufig beobachtet wird, dass mit AufhSren des Krampfes der Muttermund sich auffallend sehnell ecweiter~. Vielmehr nabm ich an, dass der ganze untere, stark 5dematSse und morsehe Geb~irmutterabschni~ unter Wehe und Mitpressen plStzlich durehgerissen war. Und in der That konnte ich durch die sofort unternommene Exploration, wie dutch die Besiohtigung am vierten Wochenbettstage mittels Speculum drei grosse Einrisse feststellen, yon denen zwei das Va- ginalgewSlbe erreichten und einen ausreichenden Durehlass des Kopfes garantirten.

Die Temperaturcurve ist ganz charakteristisch ffir ein nich~ funetionelles Fieber. Sie steigt im Verlauf der ErSfinungsperiode ganz allm~tlig an, steigt naeh Beendigung der Geburt gleich-

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338 Miiller~ Zur Aetiologie des Fiebers unter tier Geburt.

m~ssig ,weiter, erreieht ihr ' Maximum ca. 5 Stunden naeh der Geburt, um dann innerhalb 11 Stunden allm/ilig zur Norm abzu- fallen.

Auch das Verh~ltniss der ['uls- und Respirationscurve ist sehr lehrreieh, besonders da wegen des vorhandenen gerzfehlers Puls und Athmung tin ziemlieh empfindlicher indicator jeder Muskel- th~tigkeit waren, So sehen wir die hSehste Puls- und Respirations- frequenz um die Zeit der Geburt, w~hrend die Temperatur fiinf Stunden sp~iter ihr Maximum erreichte. Hierauf fielen trotz der steigenden Temperatur Puls und Respiration ziemlieh sehnell be- tr~ehtlich ab.

Gerade bei Trismus sehen wir deshalb h/~ufig mit dem Ein: tritt kr~ftiger, regelm~issiger Wehen und schneller Erweiterung des Muttermundes das Fieber sehnell abfalien,

Aueh bei den 5brigen Formen der Krampfwehen befinden wit uns s Verh~ltnissen gegeniiber. Auch durch sie wird die Geburt verzS~ert ~ das Kind fest dutch eireul~re Fasern ein- geschnilrt und damit Gelegenheit zur Retention gegeben. Dureh das Nachlassen des Krampfes wird h~iufig ebenso schnell das Kind geboren, wie der Abfall des Fiebers eingeleitet.

7. Vorzeitiger Blasensprung. Die Blase schiebt sich w~hrend der Wehe keilfSrmig in den Muttermund hinein und stellt so eine mechanisehe Vorrichtung dar, welche die ErSffnung desselben sehr besehleunigt. Ausserdem wirkt sie, indem w~ihrend der Wehe sich das Fruehtwasser zwischen Kopf und Eispitze drangt, nach Art eines Wasserkissens und verhiitet eine sehr starke Quetschung des unteren Gebarmutterabschnittes durch den Kopf. Ist nun der Blasensprung vorzeitig erfolgt, so wird nicht nut die Geburts- dauer ungiinstig beeinflusst, sondern aueh alas Geburtstrauma ver- grSssert und so in doppelter Beziehung der Entstehung des Fiebers Vorsehub geleistet.

IV.

Fassen wir nunmehr die Umst/inde zusammen, unter welchen des Geburtsfieber aufzutreten pflegt, so finden wir, dass es wesent- lieh solehe sind, wo die Geburt dutch abnorme W~derst~nde er- schwert und verzSgert wird. Allerdings muss zugegeben werden, class hier zumeist eine vermehrte Geburtsarbeit in Betraeht kommt, aber wir sehen die Temperatursteigerungen h~ufig zeitlieh ganz unabh~ngig von der jeweiligen Geburtsth~tigkeit auftreten, bezw.

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Mfillor, Zur Aetiologie des Fiebers unter tier Geburt. 339

vorw~trtsschreiten. So kann die TemperaturerhShung z.B. auf- treten und zunehmen bet ausgepragter Wehenschwache 1) und ab- fallen mit Eintritt kraftiger Wehenthatigkeit:) (bet Retention). G15ekner selbst machte die Beobachtung, dass ,,bet den heftig- sten Wehen die Temperatur andauernd selbst unter den Mittel- werthen der normalen Oeburt verharrte, w~hrend bet absolnter Wehenschwache (ohne Infection!) die Eigenwarme wesentlich er- hSht ist." :Natiirlich musste er yon seinem Standpunkt aus ,eine Erkl/~.rung hierfiir schuldig bleiben".

In den weitaus meisten Fallen werden deshalb andere Ur- sachen, als die Geburtsarbeit selbst, in Betracht kommen, solche~ wie sic bei der Besprechung der einzelnen Pradilectionsgelegen- heiten bereits angedeutet wurden.

1. Infection. Dutch die vermehrten Widerstiinde im Geburts- kanal, mSgen dieselben nun von den weichen oder knSchernen Theilen der Mutter oder von'~ Kind ausgehen, kommt es zu ver- mehrter Geburtsarbeit, welche die Widerstande zu iiberwinden hat. Die Folge davon ist stiirkere Quetschung der Weichtheile. Das Gewebe, welches entweder den Widerstand entgegensetzt oder zwisehen Frucht nnd Becken eingeklemmt ist, wird gequetscht und zerrissen, und dadurch Riss- und Quetszhwunden in grSsserer Zahl und Ausdehnung gesetzt. Mit der Vergrbsserung der Wund- flache wachst aueh die Gefahr der Infection.

2. Locale Entziindung. Abgesehen yon der Entstehung disse- cirender Wunden erleidet das entgegenstehende oder eingeklemmte Gewebe eine Zermahnung ira Innern; es wird dadurch morsch und seine Widerstandsfahigkeit herabgese~zt.

Durch dieselben Ursachen, welche die Zermalmung des Ge- webes zur Folge haben, entstehen die haufig zu beobachtenden CirculationsstSrungen. Oedem der Mnttermundslippen, des Dammes sind sehr hiiufige Befunde in den Fallen, wo die Weichtheile ent- weder selbst vermehrten Wiederstand bieten oder eingeklemmt werden. Auch hierdurch wird die Wiederstandsf/~higkeit des Ge- webes herabgemindert.

Diese CirculationsstSrungen bedingen infolgedessen nieht allein Oedeme, sondern die betroffenen Theile werden mit der Zeit aueh heiss, trocken und bieten schliesslieh das Bild ausgepragter Ent-

1) Ahlfold~ Zeitschr. f. Geb. u. Gyn. Bd. XXVIL S. 492 u. 493. 2) G15ckner, Zeitschr. f. Geb. u. Gyn. Bd. XXI. S. 406,

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340 M fill er, Zur Aetiologie des Fiebers unter der Geburt.

zfindung, welche natiirlich mit eincr ErhShung der KSrperw~rme einhergeht. Die heisse, trockene Scheide fiebernder Geb/trenden ist eine bekannte Thatsache.

3. Retention. Die h~iufigs~e Quelle des Geburtsfiebers ist zwe[fellos die Retention des Secretes.

Zum Beweis dafiir, dass solche Retentionsfieber sub partu wirk]ieh vorkommen, und zwar ebenso in der ErSffnungs- wie in der Austreibungsperiode, mSchte ich auf zwei Thatsaehen ganz besonders hinweisen, die fast mit der Gewissheit eines Experiments deren Existenz best~tigen: erstens auf die F~llc Ahlfe lds l ) , der zwischen Muttermundsrand und Kopf des Kindes eindrang und das angesammelte Secret mit dem Erfolg hinwegspiilte, dass ein schneller Abfall des Fiebers eintrat, zweitens auf einen Fall, welchen ich selbst beobachtete.

M. M. 2) 43j~hrige IVpara mit allgemein verengtem~ rhaehitisch platten Becken hiiheren Grades. Infoige der Beekenverengerung wurde die kfinstliche Frfihgeburt in der 35. Woche der Sehwangersehaft eln- geleitet. Da nach Tamponade des Muttermunds und Einffihrung yon Bougies keine krliftigen Wehen eintraten und der rigide, narbige Mutter- round sich wenig erOffnete, so wurde am 17.5. 8,30 Vorm. der Metreu- rynter in den Halskanal eingeffihrt und nach Aufbliilnmg mlissig be- lastet.

17. 5. 8,30 Vorm: Temp. 36~8, P. 84. Einfiihrung des Metreu- rynters. Wehen bleiben schwach.

17. 5. 12~00 Mittags Temp. 37,0: P. 80. Wehen setzen ganz aus. 17. 5. 6,00 Nachm. Temp. 37,7~ P. 100. 18. 5. 1:00 Vorm. Temp. 38~2, P. 112. Entfernung des Metreu-

rynters~ heisse Vaginaldouche, warme Umschliige auf den Leib. 2,00 Vorm. Eintritt kr~tftigerer Wehen.

3,00 Vorm. Temp. 38~1, P. 108. 6~00 Vorm. Temp. 36~9~ P. 90. 12~00 Mittags. Temp. 37~8, P. 95. 4,45 Nachm. Muttermund vollkommen eriiffnet. Sprengnng

der Fruchtblas% W endung~ Extraction. 6~00 Nachm. Temp. 37~0~ P. 95.

19. 5. 7,00 Vorm. Temp. 36~1~ P. 75.

Wir sehen also, dass nach Einffihrung des Metreurynter die Temperatur unter entspreehender Zunahme der Pulsfrequenz gleieh- m~ssig anstieg und sich nach 161/2stiindlichem Liegen auf 38,2 erhoben hatt% trotzdem die Wehenthiitigkeit anfangs ganz gering war und sp~iter ganz aussetzte. A u f dem Gummiballon hafteten gelblich-graue, sehlecht aussehende Gerinnsel bet dessen Heraus-

1) Zeitsehr. f. Geb. u. Gyn. Bd. XXVII. S. 493. 2) 1900. J.-No. 13 der Kgl. Entbindungsanstalt in Bamberg.

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M fillor, Zur Aetiologie des Fiebers anter der Geburt, 341

nahme. Mit hierauf beginnender Wehenth/~tigkeit fiel die Tempe, ratur naeh 2 Stunden auf 38~1 ~ und mit zunehmender Wehen. th/~tigkeit nach 3 weiteren Stunden auf 36~9 o C. herab:

AuCh hier wfirde die Art des Temperaturabfalls, wenn wires nicht ohnehin durch den Geburtsverlauf wiissten, wieder die nicht funetionelle Eigensehaft des Fiebers best/~tigen: die Temperatur fiel innerhalb 2 Stunden zun~chst nur um 1/ioo C.

Sp~ter sehen wir das Fieber infolge erneuter Anstauung des jedenfalls noch bakterienhaitigen Secrets durch den rigiden Mutter- mund noch einmal aufflammen. Die Temperatur erhSht sieh noch einmal auf 37,8 und f/~llt naeh Beendigung der Geburt schnell auf 37,0, bis zum anderen Morgen auf 36~1 herab.

Wie bei der Infection und der loealen Entziindung, so spielt besonders bei der Retention die Dauer der Geburt eine ausser- ordentlich wichtige Rolle, well sie der Ansiedelung und Vermehrung der Mikroorganismen Vorsehub leistet. In dem angestauten Wund= secret finden diese einen sehr giinstigen N/~hrboden~ in dem sie sich reicblieh vermehren und aus ihrem bisher saprophytischen Dasein zu neuer Virulenz erwachen.

Vo

Wenn ich naeh diesen Ausfiihrungen annehmen zu diirfen glaube, dass auch diejenigen Geburtsfieber, welche bisher fiir functionell gehalten wurden, fast ausschliesslich einem dieser drei Umst~nde ihre Entstehung verdanken, so bleibt schliesslich noch die Frage zu beantworten, ob sieh auch mit diesen der so h/tufige sehnelle Temperaturabfall nach der Geburt erkl/tren lasst.

Ffir die Retention inficirten Secretes ist das ja ohne Weiteres erkl~rlich. Sobald ein geniigender Abfluss desselben mSglich ist, wie das gewShnlich nach der Geburt der Fall ist, so wird damit die Ursache des Fiebers beseitig~ undes beginnt abzufallen. Die Beendigung der Geburt wirkt bier genau so, wie die Spaltung eines Abscesses oder die Entfernung einer zu festen Tamponade aus einer secernirenden Wunde.

Ist nun der Muttermund die Ursache der Retention, so kann mit Beginn krMtiger Wehen~ die das Secret hinauspressen, also schon w/~hrend der Er5ffnungsperiode, das Fieber abfallen, und zwar in demselben Tempo, in welchem das inficirte Secret en~- fernt wird. Ist aber solehes in den Falten der Geb/irmutterwand zurfickgeblieben, oder ist das oberil~chliche Gewebe, welches sich

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342 Miiller~ Zur ketiotogie des Fiebers unter der Geburt,

erst im Wochenbett abstSsst, infieirt, oder ist schliesslieh eine tiefergehende Infection des bleibenden Gewebes erfolgt~ so kann der Fieberverlauf je naehdem die verschiedensten Variationen dar- bieten: das Fieber kann noch eine Zeit lang weiter steigen und dann abfallen, es kann erst abfallen und sp/~ter wieder ansteigen~ es kann sieh mit gleicher oder mit erhShter Kraft in die Austrei- bungsperiode und in das Wochenbett fortsetzen.

Die gleichen Verh~iltnisse finden natiirlieh statt bei dem Re- sorptionsfieber in der Austreibungsperiode, welches durch Absehluss des weiteren Geburtskanals bedingt ist.

Ebenso ist es leieht verst/~ndlieh, dass das Fieber zumeist sofort abf/~llt mit dem AufhSren der dutch die Geburt bedingten localen Entziindungen. Sobald der Druck aufhSrt, die Circulation sich wieder herstellt~ erholt sich auch das gequetschte Gewebe wieder; die Entziindungserscheinungen gehen zuriiek~ die nekro- tischen, sieh zersetzenden Gewebstheile werden abgestossen.

Schliesslich ist es sogar denkbar, dass eine Infection des bleibenden Gewebes nach der Geburt zuriiekgeht. Mit der Ent- spannung des Gewebes nach der Geburt ist eine ungestSrte Cir- culation des arteriellen Blutes wieder mSglieh und die bakterien- feindlichen Abwehrvorrichtungen,. welche dem arteriellen Blute be- sonders innewohnen, kSnnen in Ths treten. Ich erinnere nut an die Phlegmon% den heissen Abscess. Dutch die Incision oder den spon~anen Aufbruch wird der Eiter entleert, das Fieber fiillt ab. Eine grosse, dureh den langen Druck des Eiters schwer gesch~digte Wundfiitche ist abet geblieben, und die Zahl der Bak- terien~ die auf ihr und im Gewebe haften, ist Legion. Wenn wit nun auch keinen antiseptischen Verband anlegen, so ist doch die Heilung der Wunde und die Befreiung des Organismus yon den Bakterien in die Wege geleitet, weil jetzt dutch die Wiederher- stellung der Circulation das bakterielle Blur iiberall und leicht das Gewebe wieder durchdringt und bei steter Abstossung der morti- ficirten Gewebsmassen seine bakterienfeindliche Kraft daselbst ent- falter. Allerdings sind, um zur Geburt zuriiekzukehren, bei einer tiefgreifenden Infection des bleibenden Gewebes die Chancen fiir den schnellen und dauernden Abfall des Fiebers nach tier Geburt am ungiinstigsten.

Wir ersehen hieraus~ class auch die Ursachen des nieht func- tionel]en Fiebers durch die Beendigung der Geburt zumeist ihre

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Miiller 7 Zur hetiologie des Fiebers unter der Geburt. 343

Existenzbedingungen verlieren 1) und dass der Vorzug, den m a n der funetionel[en Genese des Geburtsfiebers gab, weil man diese Umsti~nde nicht in Erw~igung zog~ durchaus nieht gerechtfertigt ist.

Die Frage fiber den Umfang des Wirkungskreises, den die Bakterien bei der Entstehung des Resorptionsfiebers (locale Ent- ziindung und Retention) einnehmen, lasse ich often, da ja unter der Geburt zweifellos Gelegenheit zur Entstehung eines aseptisehen Fiebers im Sinnev. Volkmann~s dureh Aspiration unzersetzten Wundseeretes gegeben ist. Doeh bin ich in Uebereinstimmung mit v. W i n e k e l 2) geneigt, ein aseptisches Fieber nut selten anzu- nehmen, da die nothwendigen Voraussetzungen desselben in der Regel nicht eintreften: ein selbst bei relativ hoher KSrperw~irme ganz auffallend langsamer, guter, yeller Puls (z. B. Pills 78 bei Tp. 40,7 ~ C.) 3) und der Mangel aller [ntoxieationssymptome, als StSrung des Allgemeinbefindens , erhShter Harnstoffausseheidung, Albuminurie etc.

Das abet scheint mir ausser Zweifel zu stehen, dass der Muskelarbeit bei der Geburt die ihr bisber zugesehriebene urs~ieh- liehe Bedeutung nieht zukommt, dass vielmehr die so h~ufige Gut- artigkeit des Fiebers unter der Geburt keine anderen Ursaehen involvirt, als diejenigen, welehe wit aueh ffir das Woehenbettsfieber verantwortlich maehen.

Herrn Geheimrath v. Wine'kel bin ieh fiir die giitige Dureh- sicht der Arbeit, Herrn Director GSt t l ing fiir die liebenswfirdige Ueberlassung der Geburtsgesehiehten zu grossem Danke verpfiiehte~.

1) Dieser Auffassung gab auch v. Winckel bereits im Jahro 1888 Aus- druck, indem er (S. 579 seines Lehrbuohs) sagt: ,,Auch eine dritte, welohe bei bereits vorhanden gewesenen FrSsten und py~mischen Erscheinungen sub par~u 40,9 hatte, genass trotz m~ssiger Exsudate rasch in puerperio, sodass man oft den Eindruck hatte, als wiirde mit den puerperalen Vorg~ngen, ja so- gar mit tier Geburtsbeen~igung selbst, der Process rascb coupirt."

2) Vergl. Lehrbuoh S. 578 u. 579. 3) Fr~nkel, Ueber asep~. Wundfieber bei Ovariotomien. Verhandlungen

der gyn~ikol. Section der 57. Versamml. deutscher Naturforscher u. Aerzte in Magdeburg. 1884.