Zusammenfa sung zur Vorlesung: Die Medien der Gesellschaft ...

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Sommersemester 08 Zusammenfassung zur Vorlesung: "Di e Medien der Gesel lschaft" PD Dr. phi l . habi l . Udo Thi edeke Aufmerksamkeitsmedien I: I ndivi dual medi en 1 2. 06. 08

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Sommersemester 08

Zusammenfassung zur

Vorlesung: "Die Medien der Gesel lschaft" PD Dr. phi l . habi l . Udo Thiedeke

Aufmerksamkeitsmedien I : Individualmedien

12.06.08

Vorlesung: "Die Medien der Gesel lschaft" Aufmerksamkeitsmedien I : Individualmedien 12.06.08

Programm: 1 ) Die Individualmedien 2) Medien der Mündl ichkeit 3) Medien der Schriftl ichkeit 4) Zusammenfassung

1 ) Die Individualmedien - Nach der Systematisierung der Kommunikationsmedien, sol l nun der Medientyp der 'Aufmerksamkeitsmedien' in den Mittelpunkt gerückt werden - warum?- Forschungspragmatisch, wei l hier die Massenmedien zu verorten sind, denen in der Vergangenheit die meiste mediensoziologische Aufmerksamkeit geschenkt wurde.- Soziologisch, wei l dieser Medientyp besonders wichtig erscheint, um das Entstehen und die Fortsetzung der modernen, komplexen Gesel lschaft in ihrer globalen Aus- dehnung mit zu ermögl ichen.- Mediensoziologisch, wei l bei diesem Medientyp aufgrund derweitreichenden Mittei- lungsprobleme ausgedehnter gesel lschaftl icher Kommunikation mit einer Unterdiffe- renzierung der Aufmerksamkeitsmedien und mit offenkundig sozio-technischen Pro- blemlösungen zu rechnen ist.- Im Problembezug zur Evolution der Mittei lungs- und Distanzprobleme ist daher eine Evolution der Aufmerksamkeitsmedien zu beobachten.- Entsprechend der Erweiterung individuel ler Mittei lungsprobleme, über Probleme der Erreichbarkeit al ler potenziel len Kommunikationstei lnemer, hin zu Problemen die Auf- merksamkeit für die entfernte Konstruktion und Steuerung von Wirkl ichkeiten, halten wir eine Differenzierung der Aufmerksamkeitsmedien in Individual-, Massen- und ky- bernetische Interaktionsmedien fest. - Mit den Individualmedien wol len wir uns heute beschäftigen.

[ siehe zur Definition von Aufmerksamkeits- und Individualmedien Fol ie 1 ]

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2) Medien der Mündl ichkeit - Im Gegensatz zu den symbol isch spezifizierten Unterscheidungsmedien (Zeichen) bietet Sprache als Aufmerksamkeitsmedium den unnachahml ichen Vortei l die sym- bol ische Konstruktion von Mittei lungen so flexibel zu gestalten, dass der Sinn im Kommunikationsprozess sehr genau auf die Differenz von Information (was wird ge- sagt) und Mittei lung (wie wird es gesagt) hindirigiert werden kann.- Das ist sehr leicht etwa im Vergleich mit gestischen oder mimischen Zeichen festzu- stel len, die zwar eine Information gegen Hintegrundrauschen abgrenzen und des- halb evt. leicht zu verstehen, aber kaum dazu geeignet sind, um z. B. eine Ge- schichte zu erzählen. [ siehe verschiedene mimische Zeichen Fol ie 2]- Sprache weist als Medium diese Leistungsfähigkeit auf, wei l sie den abstakten Rah- men einer Syntax oder Grammatik zur symbol ischen Ordnung von Zeichen bietet, was es erlaubt, durch Kombination von Zeichen die komplexe Mittei lung von sinn-

haf ten Unterscheidungen zu real isieren.- Sprache ist dabei z. B. bereits im Schritt vom Zeichen, über die Zeichenfolge zur Zei- chensprache zu einem technisierten Medium geworden, dessen ' Bedienung' man, sowohl bei der Codierung, als auch bei der Decodierung erlernen muss, das dann aber einen grossen Variantenreichtum sinnhafter Kombinationsmögl ichkeiten bietet.- Dabei ist eine Steigerung der Leistungsfähigkeit mit zunehmender Abstraktheit der Schematisierung der Zeichen, etwa von Zeichen- zu Lautsprache festzustel len. - Bei der Lautsprache verschwindet das einzelne Lautzeichen fast völ l ig im Fluß der gesprochenen Sprache und hat keinen konkreten Bezug mehr zu dem, was es be- zeichnet. Zwischen dem Bezeichnenden (Siginifikant) und dem Bezeichnetem (Signi- fikat) also bspw. zwischen dem Klang des Wortes von "Tisch" und dem Objekt Tisch besteht nur noch eine symbol ische Beziehung. Auf diese grundsätzl iche Diffe- renz hat der Begründer der modernen Linguistik Ferdinand de Saussure bereits im 1 9. Jhr. hinge wiesen. [ siehe zur Differenz von bezeichnendem Lautbi ld und bezeichnetem Objekt Fo- l ie 3]

- Die Leistungsfähigkeit des neuen Aufmerksamkeitsmediums Sprache, die in einer Er- höhung der Redundanz der Mittei lung durch Varianz der Information l iegt, wird noch deutl icher, wenn wir an die sprachl iche Bezeichnung von Sachverhalten denken, die wir nicht sehen oder anfassen können, etwa beim Sprechen über Gefühle oder noch komplexer beim Sprechen über Sprache.- Bleibt die Frage, welche Folgen die neuen sprachl ichen Komunikationsmögl ichkeit für die Sozial ität haben?- Zunächst ist Sprache ein Medium, das Kommunikationsformen erzeugt, die das Ent- stehen von Sozial ität in Form einfacher Interaktionssysteme regelrecht provizieren. Wer individuel l angespro chen wird, gerät so unter Reaktionszwang.

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- Das weist darauf hin, dass die mit der Sprache mögl iche mediale Form der Münd- l ichkeit (Oral ität z. B. als Rede, Gesang oder Gespräch) individuel l adressiert und so einen Kreis an persönl ich anwesenden Kommunikationstei lnehmern synchron kop- pelt. - Wer ' mitreden' wi l l , muss anwesend, d. h. , in ' Hörweite' sein.- Der Typ von Sozial ität, den dieses Medium durch Oral ität wahrscheinl ich macht, wird also von persönl icher Anwesenheit bestimmt (etwa Interaktionssysteme, Gemein- schaften, Gruppen, Fami l ien) .- Das verweist aber auch auf die Grundprobleme der Oral ität, das Problem des Erin- nerns und das Problem der Poesie.- Das Problem des Erinnerns resultiert daraus, dass Aufmerksamkeit für wichtige Infor- mationen auch über die Abwesenheit von Personen hinaus erregt werden muss. Das Individualmedium Sprache kann in der Form der Oral ität aber nicht asynchron oprie- ren und braucht immer Personen, die etwas weitererzählen. - Damit verbunden ist das Problem der Poesie, das darin l iegt, dass Informationen, die weiterzählt werden einem hohen Maß an Veränderung durch Fehler, Auslassungen, aber auch Hinzudichtungen ausgesetzt sind. Die Redundanz mündl icher Weitergabe ist daher gering, die Varianz hoch.- Wie Walter Ong in seinem 1 987 erschienen Buch "Oral ität und Literal ität" an vielen empirischen Beispielen zeigt, hat man versucht technische Lösungen für diese Pro- bleme zu finden. Sie l iegen in Mnemotechniken, die z. B. durch Rhythmisierung und Versform der zu tradierenden Informationen eine struktuel le Form schaffen sol len, die das Erinnern der Information erleichtern. - Auch ein Festhalten der Rhythmisierung auf materiel len Trägern (z. B. in Kerben auf Knochenstücken, wie bei den sog. Tschuringas in Austral ien) können solche mnemo- technischen Lösungen darstel len. Sie stel len zugleich eine Frühform für ein Medium dar, das wir heute als Schrift kennen. Halten wir aber zunächst die Kennzeichen der Oral ität zusammenfassend fest. [ siehe Fol ie 4]

3) Medien der Schriftl ichkeit - Die Bindung von Sprache an Face-to-face-Interaktionen wird mit der räuml ichen, zeitl ichen, sachl ichen und sozialen Ausdehnung von Gesel lschaft problematisch. - Das sind fördernde Bedingungen dafür, dass sich ein Aufmerksamkeitsmedium durchsetzen konnte, das die sprachl iche Kombinatorik von Zeichen systematisch auf Artefakte überträgt und so die Differenz von Information und Mittei lung regelrecht 'einfriert' , indem sie dort eingeschrieben wird.

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- Wie Schrift genau entstanden ist, können wir heute nicht mehr rekonstruieren. Wir könne aber festhalten, dass Schrift a) zunächst nicht als Kommunikationsmedium, sondern als Mnemotechnik, etwa zum Zählen von Überschüssen oder zur Weiterga- be sakraler Inhalte entsteht und b) selbst eine eigene Medienevolution von noch sehr konkreten Zeichenschriften zu abstrakten Lautschriften durchläuft. [ siehe die Beispiele Fol ie 5a+b]

- Für Sozial ität sind die Konsequenzen der Einführung des neuen Mediums beträcht- l ich. Die hier mögl iche Kommunikationsform der Schriftl ichkeit (Literal ität) erlaubt es Aufmerksamkeit über den Abgrund von Zeit und Raum hinweg zu erregen und so auch abwesende Personen asynchron an Kommunikation anzuschl ießen.- Erst so werden ausgedehnte Gesel lschaften mögl ich, die nicht mehr über persönl i- che Anwesenheit fortgesetzt werden müssen. - Es werden aber auch vermehrt gesel lschaftl iche Ungleichheit, Rangfolgen und daran anschl iessend Stratifikation (Schichtung) mögl ich, da z. B. die Schriftbeherrschung erst erlernt werden muss und Lesen tendenziel l individual isiert, Wissensbereiche so also gegeneinander abgegrenzt werden können.− Darüber hinaus verleiht Schrift der Erinnerung einer Gesel lschaft nicht nur zeitl iche Tiefe, es werden auch immer mehr Texte (etwa aus der Vergangenheit) verfügbar, wi- dersprüchl iche Meinungen treten in Erscheinung und sind 'schwarz au weiß' gespei- chert und Texte sowie Texte über Texte (etwa Kommentare und Exegesen) sind ver- gleichbar, da sie im Gegensatz zum Gesagten nicht flüchtig sind.- Das macht es nötig Erinnerung gesel lschaftl ich zu regul ieren, Inhalte und Personen auszuwählen, die verschriftl icht werden oder Zugang zur Schrift haben sol len. Es wird aber auch erforderl ich mit Widerspruch und mit der Differenz von schriftl ich Fi- xiertem und gesel lschaftl icher Entwicklung umzugehen, gerade auch in Hinbl ick auf verbindl iche oder gar hei l ige tradierte Texte. - Die Kennzeichen der Literal ität lassen sich daher wie folgt zusammenfassen:

[Siehe Fol ie 6]

4) Zusammenfassung- Aufmerksamkeitsmedien beziehen sich auf das Problem anhand der Mittei lung die Differenz von Mittei lung und I nformation in der Kommunikation zu erschl iessen.- Sie erlauben es Aufmerksamkeit über soziale, sachl iche, zeitl iche und räuml iche Di- stanzen hinweg zu erregen und so die Komplexität von Sozial ität zu steigern.- Sprache als Aufmerksamkeitsmedium erlaubt es die symbol ische Konstruktion von Mittei lungen so zu flexibi l isieren, dass der Sinn sehr genau auf die Differenz von In-

for mation (was wird gesagt) und Mittei lung (wie wird es ge sagt) hindirigiert werden kann.

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- Denken wir beim Medium Sprache, besonders. an Lautsprache, so sehen wir, dass mit Sprache ein in dividuel l adressiertes Interaktionssystem der Mündl ichkeit entste- hen kann.- Diese Mündl ichkeit (Oral ität) erlaubt die Ausprägung von unmittelbaren Interaktions- systemen und Face-to-face-Gemeinschaften, die aber auf die Synchronizität sprach- l icher Kommunikation angewiesen sind und das Problem genauer Tradierung aufwei- sen.- Schrift kann hier als evolutionäre Errungenschaft der Aufmerksamkeitsmedien ver- standen werden, wei l sie die symbol ische Konstruktion von Sinn auf Artefakte stützt und so asynchrone Kommunikation ermögl icht.- Eine auf Schriftl ichkeit gestützte Sozial ität kann sich vom Primat der Anwesenheit lö- sen, was zu mehr Redundanz der Kommunikation beiträgt, aber auch Ungleichheit, Widerspruch und Uneinheitl ichkeit, kurz ein neues Komplexitätsniveau gesel lschaftl i - cher Kommunikation erlaubt. LiteraturZur Unterscheidung von Oralität und Literalität:Walter Ong, 1 987: Oral ität und Literal ität. Die Technologisierung des Wortes. Opladen.

Zur Differenz von Signifikant und Signifikat:Ferdinand de Saussure, 1967: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. 2. Aufl.Berlin. [1916]

Zur Evolution von Schrift:André Leroi-Gourhan, 1 988: Hand und Wort. Die Evolution von Technik, Sprache und Kunst.Frankfurt/M. S. 237-270; 321-332.

Zu den gesellschaftlichen Bedingungen und Konsequenzen von Sprache und Schrift:Niklas Luhmann, 1 997: Die Gesel lschaft der Gesel lschaft. Bd. 1 . Frankfurt/M. , beson ders: Kap.2: Kommunikationsmedien S. 205-290.

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Vorlesung: "Medien der Gesel lschaft" Aufmerksamkeitsmedien I : Individualmedien Fol ie 1

Definition Aufmerksamkeitsmedien:

Aufmerksamkeitsmedien sind Sinnmechanismen, die sich auf das Mit-tei lungsproblem sozialer Kommunikation beziehen, und die Unterschei-dung von Information und Mittei lung wahrscheinl icher machen, indem siesoziale Kommunikationsformen bi lden, deren Erinnerung und Wiedergabeauf Anwendungstechniken und Artefakte gestützt sind.

Definition Individualmedien:

I ndividualmedien sind sozio-technische Kommunikationsmedien, die eserlauben Aufmerksamkeit individuel l zu adressieren, zu erregen und wei-terzugeben. (empirische Ausprägungen z. B. : Sprache, Schrift, Telefon)

Vorlesung: "Medien der Gesel lschaft" Aufmerksamkeitsmedien I : Individualmedien Fol ie 2

Beispiele für Mimik:

Vorlesung: "Medien der Gesel lschaft" Aufmerksamkeitsmedien I : Individualmedien Fol ie 3

Beispiele für die Abstraktion der Lautsprache:

Lautform "Tisch" (Signifikant)

Objekt "Tisch" (Signifikat)

Vorlesung: "Medien der Gesel lschaft" Aufmerksamkeitsmedien I : Individualmedien Fol ie 4

Kennzeichen der Mündl ichkeit (Oral ität):

- Oral ität konstituiert sich über die Anwesenheit der Sprechenden und Zuhörenden.

- Oral ität konditioniert soziale Systeme individuel ler Interaktion.

- Oral ität adressiert Kommunikation individuel l und koppelt die Kommuni- zierenden synchron.

- Oral ität ist eine kommunikative Grundlage von Face-to-face-Gemein- schaften.

- Oral ität macht segmentäre Vergesel lschaftung wahrscheinl icher.

- Oral ität erzeugt ein Redundanzproblem.

- Oral ität erfordert zum Tradieren Mnemotechniken.

- Oral ität begrenzt die raum-zeitl iche Ausdehnung einer Gesel lschaft.

Vorlesung: "Medien der Gesel lschaft" Aufmerksamkeitsmedien I : Individualmedien Fol ie 5a

Schriftentwicklung: phonetisierte Mythogramme

ägyptische Hyroglyphen

Maya Mythogramm

(beide entnommen: André Leroi-Gourhan, 1 988: Hand und Wort. Die Evolution vonTechnik, Sprache und Kunst. Frankfurt/M. S. 252/253)

Vorlesung: "Medien der Gesel lschaft" Aufmerksamkeitsmedien I : Individualmedien Fol ie 5b

Schriftentwicklung: phonetisierte Ideogramme

Entwicklung der chinesischen Schriftzeichen für "Glühbirne" / "Tien-K' i -teng" ("Bl itz-Dampf-Beleuchtung")

(entnommen: André Leroi-Gourhan, 1 988: Hand und Wort. Die Evolution von Technik,Sprache und Kunst. Frankfurt/M. S. 257)

Phonetisierte Alphabetschrift

a b d e f g h i

j k l m n o p q r s t u v w x y z

Vorlesung: "Medien der Gesel lschaft" Aufmerksamkeitsmedien I : Individualmedien Fol ie 6

Kennzeichen der Schriftl ichkeit (Literal ität):

- Literal ität konstituiert sich unabhängig von der Anwesenheit der Kom- munizierenden.

- Literal ität konditioniert soziale Systeme vermittelter Interaktion.

- Literal ität adressiert Kommunikation individuel l und koppelt die Kommu- nizierenden asynchron.

- Literal ität ist eine kommunikative Grundlage von sozial differenzierten Gesel lschaften.

- Literal ität macht stratifizierte Vergesel lschaftung wahrscheinl icher.

- Literal ität erzeugt ein Indifferenzproblem.

- Literal ität stützt die Tradierung auf Artefakte.

- Literal ität entgrenzt die raum-zeitl iche Ausdehnung einer Gesel lschaft.