Zusammenstellung der schriftlichen Stellungnahmen · Ausschussdrucksache 19(11)365 Ausschuss für...

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1 DEUTSCHER BUNDESTAG Ausschussdrucksache 19(11)365 Ausschuss für Arbeit und Soziales 29. Mai 2019 19. Wahlperiode Materialien zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 03. Juni 2019, um 13:30 Uhr zum Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Berufsausbildungsbeihilfe und des Ausbildungsgeldes - BT-Drucksache 19/9478 Zusammenstellung der schriftlichen Stellungnahmen A. Mitteilung .................................................................................................................................................. 2 B. Liste der eingeladenen Sachverständigen ................................................................................................ 3 C. Stellungnahmen eingeladener Verbände und Einzelsachverständiger Bernhard Sackarendt, Spelle .................................................................................................................... 4 Deutscher Gewerkschaftsbund ............................................................................................................... 14 Bundesagentur für Arbeit ....................................................................................................................... 16 Georg Kruse, Lingen (Ems) ..................................................................................................................... 19 Günter Buck, Stuttgart ............................................................................................................................ 21 Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen Sachsen e.V. ............................... 23 Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen Nordrhein-Westfalen e.V. .......... 25 Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. ............................................. 27 Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ..................................................................... 29 Zentralverband des Deutschen Handwerks e.V. .................................................................................... 31 D. Stellungnahmen nicht eingeladener Verbände Werkstatträte Sachsen ein Projekt der LAG WfbM Sachsen e.V. .......................................................... 33 LAG WfbM Baden-Württemberg e.V. ..................................................................................................... 34 SHG "Eltern und Freunde geistig behinderter Kinder" ......................................................................... 36 Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V........................................................................................ 37 Werkstatträte Deutschland e.V. .............................................................................................................. 39

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    DEUTSCHER BUNDESTAG Ausschussdrucksache 19(11)365 Ausschuss für Arbeit und Soziales 29. Mai 2019 19. Wahlperiode

    Materialien

    zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 03. Juni 2019, um 13:30 Uhr zum

    Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Berufsausbildungsbeihilfe und des Ausbildungsgeldes - BT-Drucksache 19/9478

    Zusammenstellung der schriftlichen Stellungnahmen

    A. Mitteilung .................................................................................................................................................. 2

    B. Liste der eingeladenen Sachverständigen ................................................................................................ 3

    C. Stellungnahmen eingeladener Verbände und Einzelsachverständiger

    Bernhard Sackarendt, Spelle .................................................................................................................... 4

    Deutscher Gewerkschaftsbund ............................................................................................................... 14

    Bundesagentur für Arbeit ....................................................................................................................... 16

    Georg Kruse, Lingen (Ems) ..................................................................................................................... 19

    Günter Buck, Stuttgart ............................................................................................................................ 21

    Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen Sachsen e.V. ............................... 23

    Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen Nordrhein-Westfalen e.V. .......... 25

    Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. ............................................. 27

    Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ..................................................................... 29

    Zentralverband des Deutschen Handwerks e.V. .................................................................................... 31

    D. Stellungnahmen nicht eingeladener Verbände

    Werkstatträte Sachsen ein Projekt der LAG WfbM Sachsen e.V. .......................................................... 33

    LAG WfbM Baden-Württemberg e.V. ..................................................................................................... 34

    SHG "Eltern und Freunde geistig behinderter Kinder" ......................................................................... 36

    Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V........................................................................................ 37

    Werkstatträte Deutschland e.V. .............................................................................................................. 39

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    Mitteilung Berlin, den 24. Mai 2019

    Die 49. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales findet statt am Montag, dem 3. Juni 2019, 13:30 Uhr bis ca. 15:00 Uhr 10557 Berlin, Konrad-Adenauer-Str.1 Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.400

    Sekretariat Telefon: +49 30 - 227 3 24 87 Fax: +49 30 - 227 3 60 30

    Sitzungssaal Telefon: +49 30 227 3 03 02 Fax: +49 30 227 3 63 38

    Achtung! Abweichender Sitzungsort! Abweichende Sitzungszeit!

    Tagesordnung - Öffentliche Anhörung

    Einziger Punkt der Tagesordnung

    Öffentliche Anhörung von Sachverständigen

    Gesetzentwurf der Bundesregierung

    Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Berufsausbildungsbeihilfe und des Ausbildungsgeldes

    BT-Drucksache 19/9478

    Federführend: Ausschuss für Arbeit und Soziales

    Mitberatend: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss (mb und § 96 GO)

    Gutachtlich: Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung

    Dr. Matthias Bartke, MdB Vorsitzender

    http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/094/1909478.pdf

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    Liste der Sachverständigen zur öffentlichen Anhörung am Montag, 03. Juni 2019, 13.30 – 15.00 Uhr

    Deutscher Gewerkschaftsbund

    Bundesagentur für Arbeit

    Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände

    Zentralverband des Deutschen Handwerks e.V.

    Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V.

    Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen Sachsen e.V.

    Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen Nordrhein-Westfalen e.V.

    Georg Kruse, Lingen (Ems)

    Günter Buck, Stuttgart

    Bernhard Sackarendt, Spelle

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    DEUTSCHER BUNDESTAG Ausschussdrucksache 19(11)338 Ausschuss für Arbeit und Soziales 21. Mai 2019 19. Wahlperiode

    Schriftliche Stellungnahme

    zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 03. Juni 2019, um 13:30 Uhr zum

    Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Berufsausbildungsbeihilfe und des Ausbildungsgeldes - BT-Drucksache 19/9478

    Bernhard Sackarendt, Spelle

    Die vorgesehene Erhöhung des Ausbildungsgeldes für Leistungsberechtigte im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich der Werkstätten für behin-derte Menschen und die Folgen

    1. Gesetzgebungsabsicht der Bundesregierung und Reaktionen der Werkstätten

    1.1 Die Bundesregierung weist an vorrangiger Stelle ihrer Zielbeschreibung im Gesetzentwurf da-rauf hin, daß die Leistungen der Ausbildungsförde-rung bezüglich der „Bürgerfreundlichkeit […] be-ständig neuen Anforderungen ausgesetzt“ sind. Das gelte „insbesondere für […] das Ausbildungsgeld“, das „den Lebensunterhalt […] sicherstellen“ muß. Darum hält die Bundesregierung die permanente Prüfung für wichtig, „inwieweit es Anpassungsbe-darf gibt“ (siehe BT-Drs. 19/9478, S. 1).

    Diese vier Ziele, Bürgerfreundlichkeit, neue An-forderungen, Sicherung des Lebensunterhalts und Anpassungsbedarf, werden für die Werk-stattbeschäftigten mit diesem Gesetzentwurf nicht erreicht. Vor allem der Anpassungsbedarf kommt zu kurz.

    1.2 Das Ausbildungsgeld für die betreffenden Personen im Berufsbildungsbereich der Werkstätten soll von z. Z. maximal 80 Euro mtl. um 37 Euro auf dann 117 Euro für die gesamte zweijährige Dauer erhöht werden. Wegen der nach wie vor geringen Höhe bezeichnet die Bundesregierung diesen Ausbil-dungsbetrag zu Recht als „Taschengeld“. Trotz der niedrigen Summe will sie mit dieser SGB III-Novelle zukünftig auf die bisherige Erhöhung im zweiten Be-rufsbildungsjahr verzichten (ebd. S. 2).

    Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohl-fahrtspflege (BAGFW) hatte die Absichten der

    1 Stellungnahme der BAGFW vom 19.02.2019, S. 5, Nr. 8 2 Stellungnahme der BAG WfbM vom 14.02.2019, S. 1

    Bundesregierung ausdrücklich begrüßt und der Anhebung dieses „Taschengeldes“ auf 117 Euro wie auch dem Verzicht auf Erhöhung im zweiten Jahr uneingeschränkt zugestimmt.1

    Zuvor hatte schon die Bundesarbeitsgemein-schaft der Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) die Regierungsabsichten als „deutli-che Erhöhung des Ausbildungsgeldes“ gelobt und als „finanzielle Wertschätzung der Leistun-gen der Teilnehmer“ gewürdigt. Auch die BAG WfbM begrüßte ausdrücklich den Verzicht auf die bisher gesetzlich vorgeschriebene Erhö-hung im zweiten Jahr.2

    Doch nach inzwischen drei Stellungnahmen ist die BAG WfbM von ihrer begeisterten Zustim-mung abgerückt. Nun erkennt sie in einem um 37 Euro erhöhten Ausbildungsgeld Nachteile „für einen gewissen Teil der Beschäftigten“ im Ar-beitsbereich. Sie verlangt eine Verschiebung der Reform um zwei Jahre.

    Hintergrund: Nach dem SGB IX besteht das Gesamt-einkommen der Werkstattbeschäftigten im Arbeits-bereich, das Arbeitsentgelt, aus drei Teilen: dem Grundbetrag, dem Steigerungsbetrag (§ 221 Abs. 2 SGB IX) und dem staatlich finanzierten Arbeitsför-derungsgeld in Höhe von 52 Euro (§ 59 SGB IX).

    Das SGB IX legt für die Werkstätten verbindlich fest, daß der Grundbetrag bei den Arbeitsentgelten ebenso hoch sein muß wie das gesetzliche Ausbildungsgeld. Alle Werkstattbeschäftigten haben einen Rechtsan-spruch auf diesen niedrigen „Mindestlohn“ (Grund-betrag nach § 221 Abs. 2 SGB IX). Außerdem besteht die gesetzliche Verpflichtung, diesen Grundbetrag

    http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/094/1909478.pdfhttps://www.bagfw.de/fileadmin/user_upload/Veroeffentlichungen/Stellungnahmen/2019/2019-02-19_Stellungnahme_zur_Anpassung_Berufsausbildungsbeihilfe.pdfhttps://www.bagwfbm.de/file/1193http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/__221.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/__59.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/__221.html

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    in Höhe des Ausbildungsgeldes um einen Steige-rungsbetrag aufzustocken. Der Steigerungsbetrag ist im Gesetz näher definiert (§ 221 Abs. 2 Satz 2).

    Das staatliche Arbeitsförderungsgeld von 52 Euro (s. o.) wird aber nur dann in voller Höhe gezahlt, wenn Grundbetrag und Steigerungsbetrag zusam-men 299 Euro nicht übersteigen. Ist das Gesamtein-kommen inklusive dem Arbeitsförderungsgeld höher als 351 Euro monatlich, wird das Arbeitsförderungs-geld angerechnet, d. h. um den übersteigenden Be-trag verringert. Erhöhen sich also die beiden werk-statteigenen Bestandteile des Arbeitsentgeltes, der Grundbetrag oder / und der Steigerungsbetrag, beein-flußt das ggf. die Höhe des staatlichen Arbeitsförde-rungsgeldes.

    Erhöht der Gesetzgeber das Ausbildungsgeld im Be-rufsbildungsbereich, muß der Werkstattträger auch den Grundbetrag der Arbeitsentgelte ihrer Beschäf-tigten im Arbeitsbereich ebenso erhöhen. Stellt der Werkstattträger dafür keinen entsprechend höheren Anteil seines wirtschaftlichen Ergebnisses als Ar-beitsentgelt bereit, verringert sich der Steigerungsbe-trag und damit ggf. der gesamte „Werkstattlohn“.

    Die BAG WfbM befürchtet nun, daß sich durch die Reform das staatliche Arbeitsförderungsgeld3 verringern könnte. Außerdem müßte der Steige-rungsbetrag beim Arbeitsentgelt gekürzt werden, wenn die Jahresergebnisse der Werkstätten eine Erhöhung nicht zulassen. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe schätzt die Anzahl der davon Be-troffenen auf rd. 10.000 Personen von ca. 290.000 Beschäftigten, mithin ca. 3,5 % der Belegschaften im Arbeitsbereich.

    Die BAG WfbM-Kritik verdeutlicht, daß Werk-stattträger den um 37 Euro höher werden Grund-

    betrag beim Arbeitsentgelt dadurch kompensie-ren werden, daß sie den Steigerungsbetrag absen-ken4 (siehe Grafik S. 4). Doch die Werkstättenver-ordnung (WVO) verpflichtet die Werkstätten, „mindestens 70 vom Hundert des Arbeitsergeb-nisses“ (§ 12 Abs. 5 Nr. 1 WVO) als Arbeitsent-gelte auszuschütten. Es verbietet nicht, eine hö-here Quote bereitzustellen.

    Ob und inwieweit jedoch die Erhöhung des Grundbetrages beim Arbeitsentgelt aufgrund ei-nes erhöhten Ausbildungsgeldes tatsächlich dazu führt, daß einige Beschäftigte mit einer Verringe-rung des staatlichen Arbeitsförderungsgeldes o-der mit niedrigeren Steigerungsbeträgen rechnen müssen, ist aufgrund der dürftigen Datenlage nicht nachvollziehbar: Denn kein Werkstattträger ist bislang zur differenzierten Offenlegung seiner Lohnzahlungen an die Leistungsberechtigten ver-pflichtet.

    Die einzige rechtliche Bestimmung dazu findet sich im § 12 Abs. 1 Satz 4 WVO: „Zusätzlich sind (im Jahresabschluß, B. S.) das Arbeitsergebnis, seine Zusammensetzung im Einzelnen gemäß Absatz 4 und seine Verwendung auszuweisen.“

    Aber nur Werkstätten in der GmbH-Rechtsform sind überhaupt zur Offenlegung im Bundesanzei-ger gesetzlich verpflichtet. Und keine der stich-probehaften zwanzig Überprüfungen im Bundes-anzeiger erfüllen diese Rechtsauflage. Die rd. 40 % Werkstätten in den Vereins- oder Stiftungs-rechtsformen betrifft die Publizitätspflicht über-haupt nicht. Darum sind die wirtschaftliche Lage und das erwirtschaftete Arbeitsergebnis kaum zu-treffend einzuschätzen.

    3 Durch das Bundesteilhabegesetz wurde das Arbeitsförderungsgeld für Beschäftigte im Arbeitsbereich der Werkstätten erst vor kurzem von 26 Euro auf 52 Euro monatlich verdoppelt. Siehe § 59 SGB IX 4 siehe Korrektur der Stellungnahme der BAG WfbM vom 10.04.2019: Auswirkungen der Erhöhung des Ausbildungsgeldes auf die Entgelte der Werkstattbeschäftigten.

    http://www.gesetze-im-internet.de/schwbwv/__12.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/schwbwv/__12.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/__59.htmlhttps://www.bagwfbm.de/file/1199

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    Es ist offensichtlich: Wenn aus dem wirtschaftlichen Jahresergebnis der Werkstatt, dem einzigen Reservoir für die Arbeitsentgelte, kein höherer Anteil in die Arbeitsentgeltsumme fließt, aber der gesetzlich defi-nierte Grundbetrag steigen muß, verringert sich der Steigerungsbetrag. Das spricht nicht gegen einen möglichst hohen Grundbetrag, sondern für eine mög-lichst hohe Ausschüttung des wirtschaftlichen Er-gebnisses bzw. für eine Erlössteigerung. Werkstätten können deshalb gar nicht problemlos auf ihre „Leis-tungsträger“ im Arbeitsbereich verzichten und sie ins Erwerbsleben vermitteln. Diese Situation offen-bart die bekannte Sackgasse, in der die Werkstätten stecken: Ihre rechtlich normierten Entlohnungsstruk-turen sind und bleiben diskriminierend und stellen das Werkstättensystem infrage.

    Hintergrund: Das Gesetz verpflichtet die Werkstätten erst seit 1996 zur Zahlung von Arbeitsentgelten.5 Der Gesetzgeber hielt eine Regelung für nötig, weil Werk-stattträger die Bezahlung ihrer Beschäftigten nicht für vorrangig angesehen hatten. Seitdem kennt das Recht die Zweigliederung des Arbeitsentgelts in ei-nen Grundbetrag und einen Steigerungsbetrag. Beide Entgelt-Teile müssen aus dem Wirtschaftser-gebnis der Werkstätten finanziert werden (Jahreser-gebnis). Der Grundbetrag entspricht seit 1996 der Höhe des gesetzlich geregelten Ausbildungsgeldes im Berufsbildungsbereich (§ 221 Abs. 2 SGB IX).

    Damit die Werkstattbeschäftigten ein höheres Ar-beitsentgelt erhalten, wurde 1996 mit der gesetzli-

    5 BGBl Jg. 1996, Teil I, 29.07.1996, S. 1096: § 54b Abs. 2 SchwbG

    chen Zahlungspflicht auch die Quelle der „Werk-stattlöhne“ und ihre Verwendung genauer beschrie-ben: Ein Teil des erwirtschafteten Jahresergebnisses wurde als „Arbeitsergebnis“ definiert (siehe § 12 Abs. 1, 4 und 5 WVO). 70 % davon sind als Mindest-quote für die Arbeitsentgelte auszuschütten.

    Um ein hohes Arbeitsentgelt zahlen zu können, ist es den Werkstattträgern seit 1996 u. a. verboten, neue Werkstatt- und Wohnplätze oder andere Ein-richtungen des gleichen Trägers (Kindergärten, Ta-gesstätten, Schulen, Integrations- oder Inklusionsbe-triebe usw.) aus ihren Jahresergebnissen zu finanzie-ren. Das gilt auch für das Personal des Trägers in an-deren Einrichtungen (z. B. Führungskräfte des Trä-gervereins oder der Dachorganisation). Doch sind rechtswidrige „Querfinanzierungen“ auch heute nicht auszuschließen.

    Wegen der unzureichenden Publikationspflicht bei den Werkstätten in GmbH-Rechtsform und den völ-lig fehlenden bei den Werkstätten in den Rechtsfor-men des eingetragenen Vereins und der Stiftungen ist die tatsächliche Wirtschaftslage der Werkstätten selbst für BWL-Fachleute kaum zutreffend nachzu-vollziehen. Vertrauen auf eine vorbildliche Unter-nehmensethik und eine Ethik im Rechnungswesen ist nicht ausreichend. Doch die Kontrollmöglichkei-ten der Anerkennungsbehörden nach § 12 Abs. 6 WVO werden nicht genutzt. Die Mitbestimmungs-rechte der Werkstatträte nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und

    http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/__221.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/schwbwv/__12.html

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    Abs. 2 Nr. 3 laufen wegen der schwierigen Buchfüh-rungsmaterie ins Leere.

    In der jüngsten Veröffentlichung des BMAS über die Höhe der Arbeitsentgelte der Werkstätten ist das Arbeitsförderungsgeld bereits enthalten. Es ergibt sich folgendes Bild (Auszüge):

    höchste Arbeitsentgelte 2017:

    251,91 € Hamburg

    251,74 € Brandenburg (Angaben sind zweifelhaft, B. S.)6

    niedrigste Arbeitsentgelte 2017:

    106,92 € Sachsen (Angaben für 2016, Daten für 2017 fehlen)

    176,43 € Sachsen-Anhalt

    Durchschnittsentgelte 2017:

    224,88 € frühere Bundesländer

    174,16 € beigetretene Bundesländer

    unterdurchschnittliche frühere BL:

    189,58 € Hessen

    211,43 € Baden-Württemberg

    220,66 € Nordrhein-Westfalen

    222,68 € Schleswig-Holstein

    Quelle: BMAS, Statistik zur Rentenversicherung von Werkstattbeschäftigten 2017, Stand: 04.10.2018

    Seitens des Gesetz- oder Verordnungsgebers ist endlich eine aussagekräftige Offenlegungspflicht der Werkstätten zu regeln. Vorschläge dafür ha-ben Bundestag und Bundesregierung bislang ver-nachlässigt. Dazu liegen u. a. vom früheren stell-vertretenden BAG WfbM-Vorsitzende, Rainer Knapp, konkrete und begründete Empfehlungen vor.7

    Hintergrund: Beispiele von Transparenz und In-transparenz

    An den Einrichtungen, aus denen drei der fünf Vor-standsmitglieder der BAG WfbM stammen, werden die Probleme exemplarisch deutlich: Aussagekräftige und überprüfbare Angaben in den Jahresabschlüssen sind nur schwer oder gar nicht auszumachen. Die In-formationspflichten nach § 12 Abs. 1 und die Rege-lungen nach Abs. 3 bis 5 WVO widerspiegeln sich in den publizierten Jahresabschlüssen nicht:

    Im Bundesanzeiger sucht man Jahresabschlüsse des hessischen „Behindertenwerks Main-Kinzig“ vergeb-lich, der konzernartig organisierten Großeinrichtung („BWMK-Gruppe“) des BAG WfbM-Vorsitzenden, Martin Berg. Das „Behindertenwerk“ ist u. a. Träger

    6 Wahrscheinlich ist das bundesweite durchschnittliche Arbeitsentgelt von 213,69 Euro auf eine Falschbe-rechnung in Brandenburg zurückzuführen. Wir haben das BMAS frühzeitig auf das zweifelhafte brandenburgische Durchschnittsentgelt von 251,74 Euro mtl. hingewiesen. Die dortige Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten teilt die Zweifel. 7 Knapp, Rainer (2014): Veränderungsmanagement, Compliance Management und Transparenz. In: ders. Die notwendige Weiterentwicklung der Werkstätten für behinderte Menschen. Aus: Greving, Heinrich / Scheib-ner, Ulrich (Hrsg.) (2014): Die Werkstattkonzeption: Jetzt umdenken und umgestalten. BHP -Verlag, Berlin, S. 84 ff.

    von Schulen, familienentlastenden Diensten, Werk-stätten und Wohneinrichtungen Als eingetragener Verein braucht das „Behindertenwerk“ seine Jahres-abschlüsse nicht offenzulegen. Angaben zur Höhe und Entwicklung der Arbeitsentgelte fehlen auch auf den vereinseigenen Homepages. Von einer regelmä-ßigen Prüfung des Arbeitsergebnisses und seiner Verwendung für die Arbeitsentgelte durch die Aner-kennungsbehörden gem. § 12 Abs. 6 WVO ist nichts bekannt.

    Die „Gemeinnützigen Werkstätten und Wohnstätten GmbH (GWW)“, Sindelfingen, die Einrichtung, aus der die stellvertretende BAG WfbM-Vorsitzende, An-drea Stratmann, stammt, ist im Bundesanzeiger of-fenlegungspflichtig. Ein Jahresabschluß speziell für die Werkstätten der GmbH nach den Vorgaben von § 12 WVO konnte nicht gefunden werden. Für 2017 werden aber u. a. folgende werkstattbezogene Fakten angegeben:

    – Anzahl der leistungsberechtigten Beschäftigten im „Bereich Arbeit“: 1.004 Personen.

    – Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt: 8 Personen.

    – Für Personalkosten z. B. auf Führungsebene fin-den sich keine konkreten Angaben. Dort heißt es nur: „Auch in Führungsfunktionen bzw. bei au-ßertariflicher Entlohnung wird die Vergütung ge-schlechtsneutral festgelegt.“

    – Für die Höhe der Arbeitsentgelte der leistungsbe-rechtigten Beschäftigten fehlen konkrete Anga-ben. Erwähnt wird: „Die Lohnsumme für die Werkstattbeschäftigten und die Durchschnitts-löhne sind auf einem für Deutschland weit über-durchschnittlichen Niveau. Die Verwendung des Arbeitsergebnisses wird jährlich auf der Grund-lage des Durchschnitts der letzten 3 Jahre verein-bart, dabei kommen 80 % nach einer freiwilligen Vereinbarung mit dem Gesamtwerkstattrat zur Auszahlung.“ Die Entgelthöhe wird nicht angege-ben.

    Die „Stralsunder Werkstätten gemeinnützige GmbH“ entsendet den stellvertretenden BAG WfbM-Vorsit-zenden Peter Friesenhahn. Zur GmbH gehören eben-falls nicht nur Werkstätten, sondern auch Wohnan-gebote. Speziell werkstattbezogene Angaben im Jah-resabschluß sind nicht sehr informativ. Deshalb sind Schlußfolgerungen über Arbeitsentgelte nicht zu zie-hen. Werkstattrelevante Auskünfte sind diese:

    – Im Jahresabschluß für 2017 wird der Zuwachs an Teilnehmenden im Berufsbildungsbereich als an-steigend bezeichnet. Die betreffende Personen-zahl ist mit 42 angegeben.

    – Für den Arbeitsbereich werden 309 leistungsbe-rechtigte Personen genannt.

    http://www.gesetze-im-internet.de/schwbwv/__12.html

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    – Über die Erlössituation wird genauer informiert als bei anderen Gesellschaften, die von BAG WfbM-Vorstandsmitgliedern geführt wer-den: das Arbeitsergebnis der Werkstätten („Arbeits-löse“) aus wirtschaftlicher Tätigkeit: 1,4 Mio. Euro; Erträge und Erstattungen aus öffentlichen Mitteln (Kostensätze, SV-Beiträge u. a.) 8,8 Mio. Euro; für die Werkstattbereiche und Wohneinrichtun-gen werden Tagessätze einzeln aufgelistet.

    Doch ob das Arbeitsergebnis von 1,4 Mio. Euro und der ausgewiesene Jahresüberschuß von 229 TEUR für die Arbeitsentgelte der Beschäftigten verwandt wurde und mit welchem Betrag, wird nicht offenge-legt.

    2. Bewertung der Reformabsichten der Bundesregie-rung und der Reaktionen

    2.1 Mit der geplanten Novellierung der §§ 123 ff. SGB III würden die Werkstattbeschäftigten im Be-rufsbildungsbereich anderen behinderten Personen-gruppen in dieser Rechtsnorm hinsichtlich der Höhe des Ausbildungsgeldes gleichgestellt.

    Diese Gleichstellung erfolgt indes auf einem überaus niedrigen Niveau: 117 Euro statt bisher höchstens 80 Euro monatlich. Zum Vergleich: Das niedrigste Kindergeld beträgt 194 Euro, der einfache Grundbedarf der Berufsausbildungsbei-hilfe macht 348 Euro aus. Auch die sog. Refe-renztarife für Auszubildende in Betrieben, die aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, liegen über 300 Euro (s. S. 8).

    2.2 Nicht bloß die Werkstätten und ihre Träger nennen die nur zweijährige Dauer des Berufsbil-dungsbereiches „Ausbildung“ oder „Berufsbildung“. Auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und die Bundesregierung verwenden in Bundestags-dokumenten diese Bezeichnungen. Zudem werden diese Werkstattleistungen nach Rechtslage im sog. „Berufsbildungsbereich“ erbracht (siehe §§ 57, 58, 63, 65, 219, 221, 222 SGB IX). Trotz der geringen Ähnlichkeit der Maßnahmen im Berufsbildungsbe-reich mit einer Berufsausbildung i. S. § 1 BBiG sol-len doch auch „Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähig-keiten (berufliche Handlungsfähigkeit)“ vermittelt werden, die als rechtlich verpflichtendes Ziel der Werkstätten „eine Beschäftigung […] auf dem allge-meinen Arbeitsmarkt“ ermöglichen (§ 4 Abs. 6 Nr. 3 WVO).

    Unter dieser Prämisse ist eine Ausbildungsvergü-tung angebracht, die auf Gleichstellung und Gleichberechtigung abzielt und sich an den Ver-gütungen der allgemein üblichen Lernorte (§ 2

    8 Quelle: Tarifliche Ausbildungsvergütungen 2018. Anstieg und Strukturen 2018 sowie Entwicklungen seit 1976. URL (15.05.19): https://www.bibb.de/de/89769.php Das Schaubild auf der BiBB-Internetseite weist als nied-rigste Ausbildungsvergütungen die von Schornsteinfeger_inne_n – 518 €/Monat – und Friseur_inn_en – 584 €/Monat – aus. 9 siehe dazu u. a. auch §§ 1, 2 und 76 SGB IX sowie §§ 1, 3 und 7 BGG. 10 siehe dazu u. a. IHK für den Elbe-Weser-Raum. Hier wurde der Referenztarif aus den Tarifvergütungen des Hotel- und Gaststättengewerbes gebildet (1. Jahr 725 Euro gestaffelt bis 4. Jahr 1.045 Euro). Für Betriebe, die aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, verweist die IHK auf ein BAG-Urteil. Danach müssen zumindest 35 %

    Abs. 1 Nr. 1 BBiG) oder zumindest an Referenz-vergütungen orientiert.

    Nach Angaben des Bundesinstituts für Berufsbil-dung (BiBB) „betrugen die tariflichen Ausbil-dungsvergütungen 2018 im Gesamtdurchschnitt 908 € pro Monat“.8

    2.3 Für die Höhe des Ausbildungsgeldes legt das geltende Recht „Bedarfe“ zugrunde (§§ 123 bis 125 SGB III). Als Bedarf „bei Unterbringung in […] einer besonderen Einrichtung für behinderte Men-schen“ sollen demnächst 117 Euro monatlich gelten (§§ 123, 124 SGB III-Entwurf). Den gleichen Betrag sieht § 125 SGB III-Entwurf für die Teilnehmenden während der zweijährigen Zeit im Berufsbildungsbe-reich vor.

    Weder im geltenden Recht noch im Regierungs-entwurf wird begründet, warum der Bedarf bei denen, die in Werkstätten tätig sind, nur einen Bruchteil der Tarifvergütungen für Auszubil-dende betragen soll.

    Die geplanten 117 Euro Ausbildungsgeld machen nur 22,6 % der niedrigsten Ausbildungsvergü-tung nach BiBB-Angaben aus (siehe FN 8).

    Mit Blick auf das Benachteiligungsverbot im Grundgesetz (Artikel 3, Abs. 3 Satz 2 GG), das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AGG) und die zahlreichen Diskrimi-nierungsverbote im Gesetz zum UNO-Überein-kommen über die Rechte von Menschen mit Be-hinderungen ist es an der Zeit, die Vergütungen sowohl im Berufsbildungsbereich als auch im Ar-beitsbereich der Werkstätten kurzfristig tiefgrei-fend, nichtdiskriminierend und mit dem Ziel der Gleichberechtigung9 neu zu regeln.

    Nach dem im Koalitionsvertrag bereits eine Min-dest-Ausbildungsvergütung vorgesehen ist (ebd. S. 12 RdZ. 343, S. 30 RdZ. 1233) und die Bundes-regierung sich inzwischen auf 515 Euro monat-lich ab 2020 geeinigt hat, muß nunmehr eine nachteilsfreie Lösung für die Beschäftigten im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich gefunden werden.

    Es fehlt seitens der Politik, aber auch der Werk-stattträger und ihrer Verbände, jegliche Begrün-dung dafür, warum Werkstattbeschäftigte im Be-rufsbildungsbereich nicht zumindest nach den sog. Referenztarifen bezahlt werden sollen. Refe-renztarife empfehlen die Kammern, wenn Be-triebe keiner Branche zuzuordnen oder nicht ta-rifgebunden sind. Selbst Vergütungen für Ausbil-dungsverhältnisse, die aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, sind nach IHK-Angaben rd. dreimal so hoch wie die geplante Novelle beim Ausbildungsgeld.10

    http://www.gesetze-im-internet.de/bbig_2005/__1.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/schwbwv/__4.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/bbig_2005/__2.htmlhttps://www.bibb.de/de/89769.phphttp://www.gesetze-im-internet.de/sgb_3/__123.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/sgb_3/__125.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_3.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/agg/__2.html

  • Ausschussdrucksache 19(11)365 Ausschuss für Arbeit und Soziales

    9

    Grundlegend für ein nichtdiskriminierendes Ausbildungsgeld ist, die berufliche Förderung mit dem Ziel neu zu gestalten, den sehr unter-schiedlichen Personenkreis im Berufsbildungsbe-reich wesentlich differenzierter zu betrachten und entsprechend personbezogene Leistungen zu erbringen. So erhält er wirkungsvolle Chancen für eine echte Berufsausbildung auch außerhalb der Werkstätten. Das ist z. Z. einer der besten Wege aus dem Einkommensdilemma.

    Das Budget für Ausbildung bietet dafür gute Chancen. Es sollte zügig in geltendes Recht um-gesetzt werden.

    2.4 Die Bundesregierung beabsichtigt, zukünftig keine jährliche Erhöhung des Ausbildungsgeldes mehr vorzunehmen. Zwei Jahre lang soll der gleiche Monatsbetrag – 117 Euro – gelten. Das wurde von den Bundes- und Dachorganisationen der Werkstät-ten allgemein begrüßt.

    Damit rücken die Befürworter des zweijährigen Pau-schalbetrages für alle Personen im Eingangsverfah-ren und Berufsbildungsbereich von der bundesweit üblichen, begründeten und bewährten regelmäßigen Erhöhung der Vergütungen je nach Ausbildungsjahr ab. Die regelmäßige Steigerung z. B. bei der früheren Lehrlingsvergütung war eine bedeutende soziale Er-rungenschaft der Bundesrepublik. Die Diskussion im Bundestag darüber begann 1950.

    Das Berufsbildungsgesetz von 1969 schreibt des-halb eine jährliche Einkommenssteigerung zwin-gend vor. Es deutet dafür gute Gründe an: das Le-bensalter und die fortschreitend zunehmende Qualifizierung (§ 17 Abs. 1 BBiG).

    Das BiBB begründet die verpflichtende jährlich Steigerungen nachvollziehbar und zutreffend mit Argumenten aus der Bundestagsdebatte von 1969: „Grund für diese Regelung ist die An-nahme, dass die wirtschaftlichen Bedürfnisse Auszubildender mit zunehmendem Alter und im Lauf der Ausbildung […] steigen und zudem ihre Arbeitsleistung für den Ausbildungsbetrieb wirt-schaftlich wertvoller wird“ (BWP 2/2010, S. 51). Das gilt auch für Werkstattbeschäftigte im Berufs-bildungsbereich!

    Ebenso argumentierte der Bundestagsausschuß für Arbeit schon vor genau fünfzig Jahren!11 Seine Begründung ist heute so zutreffend wie eh und je. Doch es erweitern sich im Verlauf der Zeit nicht nur die Bedürfnisse der Auszubilden-den und ihre Arbeitsleistungen, sondern auch ihre sozialen Fähigkeiten, ihr Qualifikationsni-veau, ihre Allgemeinbildung und – durch die Zu-sammenarbeit mit anderen Menschen – ihre Er-fahrungen, ihr Urteilsvermögen und ihre sozialen Beziehungen. Dieser Fortschritt wird durch eine nach Jahren gestaffelte, ansteigende Vergütung anerkannt. Nichts anderes darf für die Beschäf-tigten in den Werkstätten gelten.

    der tariflichen Ausbildungsvergütung bezahlt werden, mithin im 1. Jahr 338 Euro, gestaffelt bis zum 4. Jahr 391,28 Euro. Quelle: Kurz-URL (18.05.19): https://t1p.de/jr2f 11 siehe BT-Drs. 5/4260, 30.05.1969, S. 9

    3. Zu gravierenden Folgen der geplanten Novelle für das Werkstättensystem

    3.1 Die BAG WfbM hat in ihrer dritten Stellung-nahme vom 10.04.2019 auf eine Problematik hinge-wiesen, die bei genauer Betrachtung nicht nur das Entlohnungssystem nach § 221 Abs. 2 SGB IX, § 12 Abs. 3 ff. und § 13 Abs. 2 WVO infrage stellt. Das Werkstättensystem als Ganzes präsentiert sich als „Ein-Euro-Sondersystem“ und stellt sich selbst in-frage: Nach Darlegungen der BAG WfbM und aus den Landesarbeitsgemeinschaft in Nordrhein-West-falen und Sachsen ist zu schließen, daß schon die geringe 37-Euro-Verbesserung der Entgelte die ge-samten Wirtschafts– und Finanzstrukturen der Werkstätten ins Wanken bringen. Die Konsequenz:

    Die BAG WfbM „fordert den Gesetzgeber auf, […] die Steigerung des Grundbetrages (auf 117 Euro, B. S.) auszusetzen“.

    Es ist ein äußerst befremdender Vorgang, wenn Werkstätten, ihre Organisationen und Interessen-vertretungen vom Staat verlangen, auf Reformen zu verzichten, die vielen ihrer Beschäftigten zu-gutekämen. Zudem wird verkannt, daß das Aus-bildungsgeld als Grundbetrag der Arbeitsentgelte ein gesetzlich verpflichtendes Mindestsalär dar-stellt. Das soll allen Leistungsberechtigten in der Werkstatt garantiert werden, auch im Arbeitsbe-reich.

    Ein möglichst hoher Grundbetrag verringert die vom Gesetzgeber 1996 eingeführte Ungerechtig-keit, die Höhe der Arbeitsentgelte von der Leis-tung der Werkstattbeschäftigten abhängig zu ma-chen (§ 54b Abs. 2 Satz 3 SchwbG 1996, heute § 221 Abs. 2 Satz 2 SGB IX). Nicht einmal der Stunden- oder Monatslohn bei Arbeitneh-mer_inne_n in der Erwerbswirtschaft darf nach höchstrichterlicher Rechtsprechung von Leis-tungskriterien abhängig gemacht werden.

    Der Steigerungsbetrag beim Arbeitsentgelt ist auch eine gesetzliche Pflichtleistung der Werk-stattträger. Der Gesetzgeber hatte 2001 im § 136 Abs. 2 SGB IX auf Wunsch von Werkstattvertre-tern die Einschränkung im Schwerbehinderten-gesetz von 1996 gestrichen, daß ein Steigerungs-betrag nur gezahlt werden muß, „soweit das Ar-beitsergebnis die Zahlung zuläßt“ (§ 54b SchwbG).

    Beide Bestandteile des Arbeitsentgelts – Grund-betrag und Steigerungsbetrag – gehören zu den Anerkennungs- und Bestandsvoraussetzungen der Werkstätten. Es sind charakteristische Pflichtaufgaben. Ihre Erfüllung kann seitdem von den Anerkennungsbehörden geprüft werden (§ 12 Abs. 6 WVO).

    Es ist nicht akzeptabel, wenn unzureichende kaufmännische Qualifikationen und wirtschaftli-ches Unvermögen bei einzelnen Werkstattträgern mit dem pauschalen Hinweis auf ihren angeblich wenig leistungsfähigen Personenkreis begründet werden. Das steht im Widerspruch zur Werk-stattrealität, aber auch zur Eigenwerbung der

    http://www.gesetze-im-internet.de/bbig_2005/__17.htmlhttps://www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/publication/download/6199http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/05/042/0504260.pdfhttp://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/__221.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/schwbwv/__12.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/schwbwv/__13.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/schwbwv/__12.html

  • Ausschussdrucksache 19(11)365 Ausschuss für Arbeit und Soziales

    10

    Werkstattträger. Zahlreiche Fotos und Videoclips im Internet belegen das (s. u.).

    Die Forderung der BAG WfbM offenbart, wie weit sich die Sonderwelt der Werkstätten von den Bedingungen des üblichen Arbeitslebens entfernt hat: Werkstätten scheinen nicht in der Lage, ihren eigenen Anspruch als Marktteilneh-mer zu realisieren. Viele erklären sich außer-stande, die geringe Erhöhung des Grundbetrages beim Arbeitsentgelt von 37 Euro zu erwirtschaf-ten. Das sind 1,68 Euro arbeitstäglich pro Be-schäftigten.

    Hintergrund: Die Ursachen dafür, daß Werkstattträ-ger von jeher niedrige Arbeitsentgelte zahlen, sind vielfältig, vielschichtig und haben eine lange Ge-schichte. Es gibt dafür etliche Ursachen-Ebenen. Die meisten davon sind systembedingt, d. h. durch die politisch und rechtlich fixierte Werkstättenkonzep-tion hervorgerufen. Die wichtigsten Gründe sind – schlagwortartig – diese zwölf:

    1) das jeweils konkrete, gelebte Menschenbild, die gelebte ethische Grundhaltung, eine ungenügend alltagsleitende Empathie und die gelebten Vorur-teile;

    2) der politische Wille und die Handlungsbereit-schaft bzw. ihr Fehlen;

    3) die Interessen der Sozialhilfeträger, z. B. das Feh-len einer verbindlichen Kostenzuordnung und ei-ner sachgerechten und rechtskonformen Kon-trollbereitschaft;

    4) die Rechtsnormen, ihre Umsetzung oder ihr Feh-len, nicht zuletzt die WVO-Vorschrift, daß Ar-beitsentgelte nicht als (betriebsbedingte) Kosten gelten;

    5) die Unkenntnis von Rechtsnormen oder ihrer Be-deutung und Wirkung besonders seitens der Werkstattträger und -leitungen;

    6) die interessengeleitete Rechts- und Regeltreue (Compliance);

    7) die strukturkonservierenden Interessen der Werkstattträger und -leitungen,;

    8) die schwache Marktposition als Akquisiteur und Anbieter;

    9) die gesetzliche Bestandssicherung und staatliche Finanzierung der Werkstätten, zugleich der Kon-flikt zwischen notwendiger Kostendeckung und pauschalen Kostensätzen;

    10) die unzulängliche Qualifikation und Qualifizie-rung (Bildung, Ausbildung, Fort- und Weiterbil-dung) der Leitungen, Fachleute und Leistungsbe-rechtigten;

    11) die unzureichende Arbeits- und Arbeitsplatzge-staltung und zuletzt

    12) die sozialisations- und beeinträchtigungsbedingte Leistungsentwicklung bei den Werkstattbeschäf-tigten.

    Es wiederholt sich eine systembedingte Refor-munfähigkeit, die ihre Hauptursache in den ge-setzlich fixierten Sonderwelt-Strukturen hat.

    Obwohl das Ausbildungsgeld und das Arbeitsför-derungsgeld aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, gibt es seit Jahrzehnten keinen nennens-werten Fortschritt bei den Einkommen der Leis-tungsberechtigten. Von dem bundesweiten Durchschnittseinkommen 2017 in Höhe von 213,69 Euro monatlich haben die Werkstätten nur 161,69 Euro aus ihrem Wirtschaftsergebnis ausgeschüttet. Noch niemals wurde aus ihrem Wirtschaftsergebnis ein bundesdurchschnittli-ches Arbeitsentgelt von 200 Euro ausgezahlt. Der 2017 erstmals ausgewiesene Durchschnittsbetrag von über 200 Euro ist einerseits auf die Verdop-pelung des staatlichen Arbeitsförderungsgeldes zurückzuführen (§ 59 SGB IX) und andererseits vermutlich auf eine Falschberechnung für Bran-denburg.

    Das von der Bundesregierung geplante höhere Ausbildungsgeld für die gesamte Dauer des Be-rufsbildungsbereiches von pauschal 117 Euro monatlich ist nur ein sehr kleiner Schritt in Rich-tung Gleichberechtigung. Es ist von einer echten Ausbildungsvergütung allzu weit entfernt. Ande-rerseits bringt bereits dieser kleine Betrag von 37 Euro mtl. das Werkstättensystem in enorme fi-nanzielle Schwierigkeiten und zeigt die Grenzen seiner Strukturen.

    Monatseinkommen Werkstattbeschäftigter im Berufsbildungs- und Arbeitsbereich Quelle: BMAS, BAG WfbM

    117,00 Euro 161,69 Euro 44,69 Euro 213,69 Euro 96,69 Euro

    A u s b i ld u n g sg e ld im Be-

    rufsbildungsbereich:

    geplant ab 01.08.2019 im

    1. und 2. Berufsbildungsjahr

    Arbe i tsen tge l t 2017 im

    Arbeitsbereich ohne staatl.

    Arbeitsförderungsgeld

    Differenz zwischen Ausbil-

    dungsgeld und WfbM-erwirt-

    schaftetem Arbeitsentgelt

    Arbeitsentgelt im Arbeits-

    bereich mit staatlichem

    Arbeitsförderungsgeld von

    52,00 Euro mtl.

    Differenz Ausbildungsgeld

    und staatl. subventioniertes

    Arbeitsentgelt

    http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/__59.html

  • Ausschussdrucksache 19(11)365 Ausschuss für Arbeit und Soziales

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    Die politisch derzeit gewollten und rechtlich fi-xierten Werkstätten-Strukturen behindern eine inklusionsorientierte Weiterentwicklung selbst auf niedrigem Niveau.

    Die momentane Situation der „Niedrigstlöhne“ – im Berufsbildungsbereich ebenso wie im Arbeits-bereich – ist kaum anders als skandalös zu be-zeichnen. Dabei ist die Einkommenssituation der leistungsberechtigten Beschäftigten nur ein cha-rakteristisches Merkmal von vielen für eine spe-zifische Subkultur,12 die einem demokratischen Gemeinwesen unwürdig ist.

    Die Werkstätten-Verbände haben in keiner ihrer Stellungnahmen Alternativvorschläge zur Refor-mabsicht der Bundesregierung unterbreitet. Das läßt Schlußfolgerungen darüber zu, daß eine Lö-sung des Einkommensproblems innerhalb der derzeitigen Systemstrukturen nicht möglich ist.

    Die BAG WfbM-Forderung, im Verlauf der nächs-ten zwei Jahre ein „nachhaltiges, zukunftsfähiges Entgeltsystem“ zu entwickeln und die geplante Reform solange auszusetzen, greift zu kurz. Ein inklusionsbezogenes Entgeltsystem muß grund-gesetzkonform die doppelte Verpflichtung im Ge-setz zum UNO-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen erfüllen: „zur Beschleunigung oder Herbeiführung der tatsäch-lichen Gleichberechtigung“ beitragen (Artikel 5 Abs. 4 GÜRMB) und es den Beschäftigten ermög-lichen, ihren „Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen“ (Artikel 27 Abs. 1 GÜRMB).

    Im Bewußtsein der Schwächen der derzeitigen Reformvorschläge und der weiterreichenden Re-formnotwendigkeiten sollte die Bundesregierung ihre Novellierungsabsichten beim Ausbildungs-geld für den Berufsbildungsbereich der Werk-stätten realisieren. Für das zweite Jahr im Be-rufsbildungsbereich aber eine Erhöhung des Ausbildungsgeldes vorsehen.

    Gleichzeitig sollte sie die Obergrenze, von der ab das Arbeitsförderungsgeld auf das Arbeitsentgelt angerechnet wird, von 299 Euro auf z. B. ein Viertel des gesetzlichen Mindestlohnes ausdeh-nen (z. Z. 398,25 Euro).13

    Nach einem Erprobungszeitraum von drei Ge-schäftsjahren nach Inkrafttreten sollen die Fol-gen der Reform überprüft werden. Inzwischen müssen Werkstattträger zu einer weitreichenden Transparenz und Offenlegung ihrer Jahresergeb-nisse und wesentlichen Basisdaten verpflichtet werden.

    12 Die Charakterisierung der Werkstätten als „Subkultur“ stammt von Hannelore Stöver, von 1987 bis 1999 Leiterin des Amtes „Werkstatt Bremen“, von 1993 bis 1999 Geschäftsführerin der Werkstatt Bremen, ehrenamtli-ches Mitglied im Präsidium der BAG WfbM (damals: BAG WfB). Aufgrund dessen setzte sich die BAG WfbM -Füh-rung immer wieder mit der Subkultur-Problematik auseinander, u. a. die Vorsitzenden Dietrich Anders (Werk-statt:Dialog 2/97) und Günter Mosen (28. Delegiertenversammlung 1999). Auch Annelie Lohs, von 1992 bis 2013 Geschäftsführerin des Saale Betreuungswerkes Lebenshilfe Jena GmbH und damals stellvertretende Vorsitzende der BAG der Werkstätten, griff das Thema auf. 13 Zugrunde liegt eine 40-Stunden-Woche i. S. § 6 Abs. 1 WVO. 14 Ein kompetenter Partner dafür ist die European Association of Service Providers for Persons with Disabi-lities (EASPD), Brüssel.

    Zeitgleich müssen die Rehabilitationsträger mit den Werkstattträgern Regelungen treffen, damit die Werkstattbeschäftigten nicht zu Leidtragen-den der wirtschaftlichen Erfolglosigkeit der Werkstattverantwortlichen werden.

    Im Zeitraum bis zum Jahr 2024 sollen sich Bun-desregierung und Bundestag gemeinsam mit na-tionalen und europäischen Fachleuten aus dem Dienstleistungssektor für behinderte Menschen14 und mit verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen über eine grundlegende Werkstättenreform aus-einandersetzen. Dafür sind neue, inklusionsge-rechte Ziele, Strukturen, institutionelle Möglich-keiten und Alternativen zu erarbeiten.

    4. Weitere Vorschläge für zügige gesetzgeberische Maßnahmen und Reformen

    Die wirtschaftliche Situation der Werkstätten ist selbst für Fachleute schwer zu durchschauen und zu beurteilen. Die werkstattbezogenen Rechtsnormen über die Darstellung des Arbeitsergebnisses (§ 12 Abs. 1 WVO) befördern die Intransparenz der Buch-führung. Das Arbeitsergebnis ist die Quelle der Ar-beitsentgelte. Die rechtliche Definition des Arbeitser-gebnisses der Werkstätten (§ 12 Abs. 4 ff. WVO) und die fehlende verbindliche Kostenzuordnung begüns-tigen in der kaufmännischen Buchführung interes-sengeleitete Kostenzuordnungen zu Lasten der Ar-beitsentgelte.

    Die Bestimmungen über das Arbeitsergebnis und die Arbeitsentgelte sind dringend reformbedürf-tig. Die Zahlung von sozial angemessenen und vergleichbaren Arbeitsentgelten gehört als vor-rangiger und separat auszuweisender Kostenfak-tor in die Gewinn- und Verlustrechnung.

    Das Fehlen einer verbindlichen Kostenzuordnung und die Zahlung von pauschalen Kostensätzen för-dern die Intransparenz. Das ist in den Jahresab-schlüssen im Bundesanzeiger besonders bei den Lohnkosten offensichtlich: Hier fehlen zumeist diffe-renzierte Angaben über die Einkommen der Fach- und Hilfskräfte, der Leitungen und erst recht über die Arbeitsentgelte der leistungsberechtigten Beschäftigten. Das HGB und das GmbH-Recht sehen für steuerbegünstigte und als gemeinnützig aner-kannte, aus öffentlichen Mitteln finanzierte Unter-nehmungen keine weiterreichenden Offenlegungs-verpflichtungen vor. Das muß das Werkstättenrecht realisieren.

    Nur Werkstätten in der Rechtsform einer GmbH sind bislang im Bundesanzeiger publikationspflichtig. Werkstätten großer Trägerorganisationen weisen ihr Betriebsergebnis dennoch nicht aus, sondern sind

    http://www.gesetze-im-internet.de/schwbwv/__6.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/schwbwv/__12.html

  • Ausschussdrucksache 19(11)365 Ausschuss für Arbeit und Soziales

    12

    Teil einer Gesamtbuchführung des Trägers. Als ein-getragene Vereine oder Stiftungen sind sie gar nicht an die Offenlegungspflichten des HGB gebunden. Eine angemessene Publizitätspflicht schreibt das Werkstättenrecht (SGB IX, SGB XII, WVO) immer noch nicht vor.

    Im Werkstättenrecht sind umfassende Publizitäts-pflichten neu, eindeutig und für alle anerkannten Werkstätten mit ihren Zweig- und Nebenstellen gleichermaßen zu regeln. Dabei dürfen weder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Trägerorgani-sationen eine Rolle spielen, noch die Rechtsform oder die Größe. Eine verbindliche Vorgabe für zu publizierende Angaben ist dringend erforder-lich.15

    Eine sach- und aufgabengerechte, zugleich inklu-sionsorientierte Kostenzuordnung auf Bundes-ebene ist unverzichtbar. Selbst eine qualifizierte Empfehlung, z. B. durch die Bundesarbeitsge-meinschaft für Rehabilitation (BAR), wäre als Zwischenlösung ein Fortschritt. Nur gemeinsame Kriterien bei den Kostenarten und ihrer Zuord-nung zu Kostenträgern schafft ein klareres Bild über die wirtschaftliche Situation der Werkstät-ten und läßt zutreffende Vergleiche zu.

    Der Grundsatz ist rechtlich zu verankern, daß das Arbeitsergebnis der Werkstätten vorrangig „für die Zahlung der Arbeitsentgelte“ verwandt werden muß (§ 12 Abs. 5 WVO). Die Einkom-mensinteressen der Beschäftigten sind zweifels-frei in den Vordergrund zu stellen (s. auch § 219 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX).

    Die Definition des Arbeitsergebnisses in der Werkstättenverordnung (§ 12 Abs. 4 WVO) war und ist für die Weiterentwicklung und Erhöhung der Arbeitsentgelte wenig hilfreich. Die dreifa-che gesetzliche Aufgabenstellung der Werkstät-ten – berufliche Bildung, entwicklungsförderli-che Beschäftigung und ein angemessenes Ar-beitsentgelt (§ 219 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB IX) – ist mit dem derzeitigen § 12 WVO nicht zu errei-chen. Stattdessen bedarf es im SGB IX eindeuti-ger Festlegungen über die vorrangigen Verpflich-tungen der Werkstattträger. Dazu gehören diese fünf:

    – Die Werkstattleistungen müssen den wissen-schaftlichen Erkenntnissen einer übergangsför-derlichen Bildung und Berufsbildung entspre-chen.

    – Die gesetzlich erwähnten Leistungen zur Weiter-entwicklung der Persönlichkeit der Beschäftigten sind zu konkretisieren, ggf. als Auftrag an die Werkstattträger.

    – Ein möglichst hohes Arbeitsentgelt zu erwirt-schaften und auszuzahlen, muß zu den vorrangi-gen gesetzlichen Pflichtaufgaben der Werkstätten gehören.

    15 Mit diesen und den übrigen Vorschlägen sind zwar Exzesse und Skandale nicht vermeidbar, die immer wieder medienwirksam die sozialen und fachlichen Kompetenzen der Werkstatt -Geschäftsführungen diskreditie-ren – überzogene Gehälter, unverhältnismäßige Dienstwagen, unsinnige Wirtschaftskontakte ins Ausland, Frei-zeitanlagen und Produktionsentscheidungen aus Privatinteressen, Mehrfachbesetzung von Geschäftsführungsstel-len, längerfristig unbesetzte Fachkräfte-Stellen zur „Personalbewirtschaftung“ usw. Eine verpflichtende Transpa-renz und zweckmäßige Kostenzuordnungsregelung helfen aber, solche Unlauterkeiten früher zu erkennen.

    – Die Bindung des Arbeitsentgelts und seiner Höhe an zweifelhafte Leistungskriterien muß aufgege-ben werden (Novellierung von § 221 Abs. 2 SGB IX).

    – Das notwendige und entsprechend qualifizierte Personal muß verbindlich vorgehalten und ggf. in der Werkstättenverordnung näher beschrieben werden.

    Das Problem der allgemein niedrigen Einkommen für die Leistungsberechtigten in den Werkstätten wird nicht durch den gesetzlich festgeschriebenen Grundbetrag in Höhe des Ausbildungsgeldes verur-sacht – demnächst 117 Euro mtl. Es wird durch meh-rere Faktoren bewirkt, die durch die Werkstattstruk-turen und die Rechtsnormen hervorgerufen oder be-günstigt werden. Ein besonderer Problemkreis ist die im Werkstattalltag völlig ignorierte, aber rechtlich vorgegebene Differenzierung beim Rechtsstatus der Beschäftigten (§ 221 Abs. 1 SGB IX). Hier wird wider besseren Wissens und entgegen der Rechtsnorm ein großer Teil der Werkstattbeschäftigten massiv be-nachteiligt: Ihm wird der Arbeitnehmerstatus abge-sprochen und berechtigte Ansprüche aus dem Ar-beitsrecht verweigert.

    Die interessengeleitete Fehlinterpretation der renten-rechtlichen Fiktion einer „vollen Erwerbsminde-rung“ (§ 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB VI) zementiert Vorurteile – gerade in der Erwerbswirtschaft. Sie be-hindert den Übergang ins allgemein übliche Arbeits-leben. Sie wirkt sich weitgehend benachteiligend aus, indem sie z. B. den Anspruch auf den gesetzli-chen Mindestlohn negiert.

    Kompetente Werkstattfachleute mit langjährigen Er-fahrungen schätzen den Anteil der Arbeitnehmer_in-nen im Arbeitsbereich der Werkstätten auf mindes-tens 30 %. Würden sie tatsächlich nach den auf sie zutreffenden Bestimmungen des Mindestlohngeset-zes entlohnt, brächen die heutigen Strukturen des Werkstättensystems zusammen. Das gilt ähnlich für den Berufsbildungsbereich: Würden zumindest jene Teilnehmenden im Berufsbildungsbereich nach den jeweiligen Ausbildungstarifen oder der zukünftigen Mindestausbildungsvergütung entlohnt, auf die die Bestimmungen über die „Berufsbildung behinderter Menschen“ zutreffen (§§ 64 ff. BBiG), würde das der-zeitige Werkstättensystem kollabieren.

    Seit dem Schwerbehindertengesetz von 1979 bemü-hen sich Bundesregierung und Bundestag erfolglos um eine deutlich höhere Entlohnung in den Werk-stätten. Die damals noch allgemeine Bestimmung im § 52 SchwbG wurde mehrmals novelliert und kon-kretisiert. Auch die restriktive Sozialhilfe-Rechtsre-form von 1996 sollte zu einer Einkommensverbesse-rung führen. Schließlich wurde 2001 mit dem SGB IX erstmals ein staatlich finanziertes „Arbeits-förderungsgeld“ gesetzlich eingeführt (§ 43 SGB IX a. F.), um die Einkommen zu verbessern. Auf den Berufsbildungsbereich hatte und hat das bis heute keinen Einfluß; ebenso wenig auf den anhaltenden

    http://www.gesetze-im-internet.de/schwbwv/__12.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/__219.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/__219.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/__221.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/__221.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/sgb_6/__43.htmlhttp://www.gesetze-im-internet.de/bbig_2005/BJNR093110005.html#BJNR093110005BJNG001900000

  • Ausschussdrucksache 19(11)365 Ausschuss für Arbeit und Soziales

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    Taschengeld-Charakter der Entlohnung im sog. Ar-beitsbereich.

    Um das Ausbildungsgeld im Berufsbildungsbereich und das Arbeitsentgelt im Arbeitsbereich deutlich zu erhöhen, also letztlich existenzsichernd auszustat-ten, sind weiterreichende Reformen notwendig. Sie würden jedoch die gegenwärtige Werkstättenkonzep-tion infrage stellen.

    Es ist dringend erforderlich, das derzeitige Son-dersystem der Werkstätten i. S. des Gesetzes zum UNO-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und insbesondere seines Artikels 27 zu reformieren.

    Als Leitlinie muß die gesetzliche Verpflichtung dienen, daß nur solche Maßnahmen inklusions-orientiert und damit nichtdiskriminierend sind, „die zur Beschleunigung oder Herbeiführung der tatsächlichen Gleichberechtigung“ der behinder-ten Menschen beitragen (Artikel 5 Abs. 4 GÜRMB).

    Eine zukunftsorientierte, inklusionsverpflichtete Werkstättenreform muß die weitgehend ge-

    schlossene Sonderwelt öffnen und zu Übergangs-einrichtungen umgestalten. Dafür muß sie dem Grundsatz folgen, so wenige Sonderbedingungen zu schaffen wie möglich.

    Für die Einkommen im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich müssen als Maßstab die gesetzliche Mindestausbildungsvergütung und im Arbeitsbereich der gesetzliche Mindestlohn gelten. Um die öffentliche Hand nicht über Ge-bühr zu strapazieren, müssen die Werkstätten-träger ihren Teil dazu beitragen und sich dafür u. a. durch Transparenz- und Informationsbe-reitschaft der öffentlichen Begutachtung stellen.

    Die Wirtschaft muß ihren bereits seit langem ge-setzlich vorgesehenen Anteil an der Inklusion erfüllen und sich u. a. pflichtgemäß den sog. „besonderen Gruppen schwerbehinderter Men-schen“ (§ 155 SGB IX) öffnen. Dafür sind weitere gesetzgeberische Maßnahmen notwendig. Auch eine verbindliche Zuweisung von Ausbil-dungs- oder Arbeitsuchenden an Erwerbsbe-triebe in der Region durch die zuständigen Be-hörden darf nicht tabuisiert werden (vgl. § 10 Schwerbeschädigtengesetz 1953, gültig bis 1974.).

    http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/__155.htmlhttp://dipbt.bundestag.de/doc/btd/07/006/0700656.pdf

  • Ausschussdrucksache 19(11)365 Ausschuss für Arbeit und Soziales

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    DEUTSCHER BUNDESTAG Ausschussdrucksache 19(11)340 Ausschuss für Arbeit und Soziales 24. Mai 2019 19. Wahlperiode

    Schriftliche Stellungnahme

    zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 03. Juni 2019, um 13:30 Uhr zum

    Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Berufsausbildungsbeihilfe und des Ausbildungsgeldes - BT-Drucksache 19/9478

    Deutscher Gewerkschaftsbund

    Allgemeine Vorbemerkung

    Mit der Harmonisierung der Berufsausbildungsbei-hilfe und des Ausbildungsgeldes mit der Ausbil-dungsförderung nach dem Bundesausbildungsförde-rungsgesetz (BAföG) wird eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag aufgegriffen, in der es heißt: „Wir steigern die Attraktivität der Beruflichen Bil-dung, sie ist für uns gleichwertig mit der akademi-schen Bildung.“1 Der Anspruch besteht darin, ein Paket an Verbesserungen für Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Studierende zu schaf-fen.

    Ziel der Anpassung sind sowohl Rechts- und Ver-waltungsvereinfachungen als auch die Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge für die Berufsausbil-dungsbeihilfe und das Ausbildungsgeld während ei-ner beruflichen Ausbildung oder einer berufsvorbe-reitenden Bildungsmaßnahme einschließlich einer Grundausbildung.

    Angeglichen werden auch die Regelungen für behin-derte Menschen während der Teilnahme an einer in-dividuellen Qualifizierung im Rahmen der Unter-stützten Beschäftigung und an Maßnahmen im Ein-gangsverfahren und Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen.

    Grundsätzliche Bewertung

    Grundsätzlich begrüßt der DGB die Anpassung der Berufsausbildungsbeihilfe und des Ausbildungsgel-des an die geplanten Anpassungen des BAföG.

    Aber weitere Verbesserungen sind notwendig. Auf-grund von Versäumnissen in der Vergangenheit sind die Bedarfssätze heute zu niedrig. Deswegen fordert

    1 S.30 https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2018-2021_Bund_final.pdf

    der DGB eine pauschale Anhebung der Bedarfssätze um 150 Euro und eine verbindliche Anpassung alle zwei Jahre.

    Grund dafür ist, dass die Bedarfssätze des Bundes-ausbildungsförderungsgesetzes – und damit auch die der geplanten Berufsausbildungsbeihilfe und des Ausbildungsgeldes – weiterhin nicht existenzsi-chernd sind. Insbesondere bei den Wohnkosten wer-den teils extreme regionale Unterschiede nicht be-rücksichtigt, die zu erheblichen Mehrbelastungen führen können.

    Insbesondere die Anhebung der Pauschalen für Un-terkunft und Verpflegung wirken zwar dem inflati-onsbedingten Kaufkraftverlust entgegen, gleichen diesen aber aufgrund von langjährigen Versäumnis-sen der Anpassung nicht aus. Die Wohnkosten stei-gen – vor allem in den Zentren – deutlich stärker als die Inflation.

    Die Angleichung der Bedarfssätze sowie der Freibe-träge an die BAföG-Bedarfssätze und die damit ge-plante Änderung der Bedarfsstruktur durch Reduzie-rung der Staffelung der Bedarfssätze sowie die An-gleichung der Bedarfssätze der Berufsausbildungs-beihilfe für Menschen mit Behinderungen bewertet der DGB positiv.

    Auszubildende, die nicht im Haushalt der Eltern wohnen, werden künftig besser gestellt als bisher. Kritisch ist aber anzumerken, dass trotz einer Ver-besserung der Pauschale weder regionale Unter-schiede in den Wohnkosten berücksichtigt werden, noch die teilweise starke Steigerung der Mietpreise der letzten Jahre ausgeglichen werden.

    https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2018-2021_Bund_final.pdf

  • Ausschussdrucksache 19(11)365 Ausschuss für Arbeit und Soziales

    15

    Analog ist die Angleichung der Höhe des Ausbil-dungsgeldes bei Berufsausbildung behinderter Men-schen und in Unterstützter Beschäftigung zu bewer-ten.

    Zu begrüßen ist der Wegfall der Unterschiede in den Bedarfssätzen bei Menschen mit Behinderungen auf-grund des Alters, wodurch zukünftige Benachteili-gungen von unter 18-Jährigen Menschen mit Behin-derungen, die Ausbildungsgeld beziehen, gegenüber gleichaltrigen Auszubildenden, die Berufsausbil-dungsbeihilfe beziehen, vermieden werden.

    Aber auch beim Ausbildungsgeld gilt wie bei der Be-rufsausbildungsbeihilfe die Kritik, dass die Bedarfss-ätze des BAföG, auf die sich beide künftig beziehen, nicht bedarfsdeckend sind.

    Die Leistungen der Berufsausbildungsbeihilfe und nach Regelungen des BAföG gehören deshalb grund-sätzlich auf den Prüfstand und müssen dementspre-chend weiterentwickelt werden.

    Die Erhöhung des Ausbildungsgeldes auch in den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (WfbM) wird vom DGB begrüßt. Es besteht allerdings das Risiko, dass diese Beträge nicht erwirtschaftet werden können, bzw. zu Lasten des leistungsabhän-gigen Steigerungsbetrages gehen. Um dies zu vermei-den, könnte für eine Übergangszeit ein Zuschuss an die Einrichtungen gezahlt werden oder es könnte eine Übergangsregelung eingeführt werden, die den Einrichtungen ermöglicht, durch Ertragssteigerungen die Beträge zu erwirtschaften.

    Das Entlohnungssystem in den Werkstätten steht in der öffentlichen Kritik, die nicht ganz unberechtigt ist. Der DGB spricht sich dafür aus, mittelfristig das Entgeltsystem in den Werkstätten für behinderte Menschen grundsätzlich zu überarbeiten.

  • Ausschussdrucksache 19(11)365 Ausschuss für Arbeit und Soziales

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    DEUTSCHER BUNDESTAG Ausschussdrucksache 19(11)344 Ausschuss für Arbeit und Soziales 27. Mai 2019 19. Wahlperiode

    Schriftliche Stellungnahme

    zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 03. Juni 2019, um 13:30 Uhr zum

    Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Berufsausbildungsbeihilfe und des Ausbildungsgeldes - BT-Drucksache 19/9478

    Bundesagentur für Arbeit

    Vorbemerkung

    Mit dem Gesetz zur Anpassung der Berufsausbil-dungsbeihilfe und des Ausbildungsgeldes wer-den Rechts- und Verwaltungsvereinfachungen bei der Berufsausbildungsbeihilfe und beim Aus-bildungsgeld umgesetzt.

    Das Gesetz zur Anpassung der Berufsausbil-dungsbeihilfe und des Ausbildungsgeldes hebt zudem die Bedarfssätze und Freibeträge der Be-rufsausbildungsbeihilfe entsprechend dem BA-föG an und vollzieht damit die Anhebung der Be-darfssätze und Freibeträge der Berufsausbil-dungsförderung durch das 26. BAföGÄndG nach.

    Die Bundesagentur für Arbeit begrüßt die Redu-zierung der Bedarfsvarianten und die Vereinheit-lichung und Erhöhung der Bedarfssätze bzw. Kostensätze.

    Die Bundesagentur für Arbeit bedauert, dass der angestrebte Wegfall der Rückforderung für Fehl-tage bei der Berufsausbildungsbeihilfe und dem Ausbildungsgeld (§ 69 SGB III) und der Verzicht auf eine Einkommensanrechnung beim Ausbil-dungsgeld (§ 126 SGB III) nicht im Entwurf ent-halten sind. Die damit erzielten Verwaltungsver-einfachungen hätten zu jährlichen Einsparungen beim Erfüllungsaufwand in Höhe von etwa 3,5 Millionen Euro geführt.

    Im Zusammenhang mit dem Themenfeld „ander-weitigen Unterbringung“ (§§ 123, 124, 128 SGB III) wird auf einen Widerspruch in der Ge-setzesbegründung und eine neue Förderlücke hingewiesen.

    Die Bundesagentur für Arbeit empfiehlt in ihrer Rolle als Anerkennungsbehörde für Werkstätten für behinderte Menschen eine ganzheitliche Be-trachtung der Auswirkungen durch die deutliche

    Steigerung des Grundbetrages auf das Werkstatt-system.

    Stellungnahme

    Die Bundesagentur für Arbeit nimmt zu ausgewähl-ten Regelungen des Entwurfs eines Gesetzes zur An-passung der Berufsausbildungsbeihilfe und des Aus-bildungsgeldes wie folgt Stellung:

    1. Artikel 1 bis 3 – Änderungen des Dritten Buches Sozialgesetzbuch

    Mit dem Gesetz zur Anpassung der Berufsausbil-dungsbeihilfe und des Ausbildungsgeldes werden Rechts- und Verwaltungsvereinfachungen bei der Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) und beim Ausbil-dungsgeld (Abg) umgesetzt.

    Anpassung (Vereinfachung) der Bedarfsstruktur bei BAB und Abg

    Der Bedarf für Unterkunft in Fällen anderweitiger Unterbringung (z.B. eigene Wohnung) wird als ein-heitlicher Pauschbetrag ohne Nachweis der tatsächli-chen Kosten ausgestaltet und die Unterscheidung nach Lebensalter und Familienstand (bei Ausbil-dungsgeld und Berufsausbildungsbeihilfe für Behin-derte) fällt weg. Die BAB-Bedarfsvariante "Unterbrin-gung mit voller Verpflegung beim Ausbildenden" entfällt.

    Die Bedarfssätze beim Ausbildungsgeld bei Maßnah-men in einer Werkstatt für behinderte Menschen bzw. bei einem anderen Leistungsanbieter werden vereinheitlicht und erhöht. Die Differenzierung zwi-schen erstem und zweitem Jahr entfällt. Vgl. hierzu auch Punkt 5.

    Der Bedarfssatz für Ausbildungsgeld bei unterstütz-ter Beschäftigung wird von den Bedarfssätzen für eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme auf die für eine Berufsausbildung erhöht.

  • Ausschussdrucksache 19(11)365 Ausschuss für Arbeit und Soziales

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    Weiterbildungskosten: Es erfolgt eine deutliche Er-höhung der Kosten für auswärtige Unterbringung und Verpflegung (§ 86 SGB III) und als Folge davon eine Erhöhung des Höchstbetrags für Pendelfahrkos-ten beim Bedarf für Berufsausbildungsbeihilfe und Weiterbildungskosten.

    Arbeitslosengeld: Die Anpassung des Betrages nach § 151 Abs. 3 Nummer 3 SGB III für die Bemessung von Arbeitslosengeld nach einer Beschäftigung in ei-ner außerbetrieblichen Einrichtung, für die keine Ausbildungsvergütung vereinbart war, stellt eine reine Folgeänderung dar.

    Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge bei Ein-kommensanrechnung

    Das Gesetz zur Anpassung der Berufsausbildungsbei-hilfe und des Ausbildungsgeldes hebt zudem die Be-darfssätze und Freibeträge der Berufsausbildungsbei-hilfe entsprechend dem BAföG an. Die Erhöhung - auch für laufende Fälle - erfolgt in 3 Stufen: zum 1. August 2019, 1. August 2020 und 1. August 2021.

    1.1 Bewertung

    Die Bundesagentur für Arbeit begrüßt die Anpassun-gen und Vereinfachungen bei der Bedarfsstruktur und die Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge. Es erfolgt eine weitere Harmonisierung mit dem BAföG.

    Durch die Erhöhung in mehreren Stufen wird die Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge der Be-rufsausbildungsförderung durch das 26. BAföGÄndG nachvollzogen und eine gleichmäßige Weiterent-wicklung auch für Auszubildende sichergestellt.

    Nicht (mehr) enthalten sind im Gesetzesentwurf der angestrebte Wegfall der Rückforderung für Fehltage bei Berufsausbildungsbeihilfe und Ausbildungsgeld (§ 69 SGB III) und der Verzicht auf eine Einkom-mensanrechnung beim Ausbildungsgeld inklusive der Folgeänderung einer Bewilligung von Ausbil-dungsgeld für die gesamte Maßnahmedauer (§ 126 SGB III).

    Die Bundesagentur für Arbeit bedauert, dass diese angestrebten Rechtsänderungen nicht Eingang in den Gesetzesentwurf gefunden haben. Die damit erziel-ten Verwaltungsvereinfachungen hätten einen deut-lichen Effekt im Sinne eines weiteren Bürokratieab-baus gehabt und zu jährliche Einsparungen beim Er-füllungsaufwand in Höhe von etwa 3,5 Millionen Euro geführt.

    2. Artikel 1 Nr. 8

    Nach § 79 Absatz 1 Satz 1 SGB III kann „als Zu-schuss zur Ausbildungsvergütung bei einer außerbe-trieblichen Berufsausbildung […] höchstens der Be-trag berücksichtigt werden, der sich nach § 13 Ab-satz 1 Nummer 1 des Berufsausbildungsförderungs-gesetzes ergibt.“ Dieser beträgt zurzeit 372 Euro.

    2.1 Bewertung

    Diese Regelung ist nicht kompatibel mit der beab-sichtigten Regelung im Berufsbildungsgesetz. In dem am 15.5.2019 vom Kabinett beschlossenen Entwurf eines Berufsbildungsmodernisierungsgesetzes u.a. wird eine Mindestausbildungsvergütung festge-schrieben. Diese (§ 17 BBiG) soll für Beginner 2020

    dann 515 Euro betragen. Ausnahmen – etwa für ge-förderte außerbetriebliche Ausbildung – sind nicht vorgesehen. Damit ergibt sich das Problem, dass der Bildungsträger als Ausbildender 515 Euro an den Teilnehmer zahlen müsste, die BA dem Träger aber nur 372 Euro erstatten dürfte.

    Um diesen Widerspruch aufzulösen müsste eine ge-setzliche Regelung erfolgen:

    entweder werden Ausbildungsverhältnisse in nach dem SGB III geförderten außerbetrieblichen Ausbildungen von der Geltung des § 17 BBiG ausgenommen

    oder die Vorschriften im SGB III (§ 79) werden dahingehend angepasst, dass die BA Zuschüsse zur Ausbildungsvergütung in Höhe der Min-destausbildungsvergütung gewähren kann.

    3. Zu Artikel 1 Nr.11 und Nr. 12:

    In § 123 Nr. 3 SGB III bzw. § 124 Nr. 3 SGB III wird eine Anwendung des § 128 SGB III mit Ausnahme der behinderungsbedingten Mehraufwendungen für die Förderung einer anderweitigen Unterbringung ausgeschlossen.

    Hingegen enthält die Gesetzesbegründung mit aus-wärtigem Praktikum einen Anwendungsfall in dem bei den verschiedenen Unterbringungs- und Verpfle-gungsformen dennoch zusätzlich eine Förderung ge-mäß § 128 SGB III erfolgen kann. Dies erscheint wi-dersprüchlich. Die Bundesagentur für Arbeit regt da-her eine Klarstellung an, dass eine darüberhinausge-hende Förderung gemäß § 128 SGB III bei Vorliegen der Voraussetzungen nur in Betracht kommt, wenn eine weitere zusätzliche Unterkunft erforderlich ist und diese nicht über andere Bedarfsgruppen abge-deckt werden kann.

    3.1 Bewertung

    Ohne eine entsprechende Regelung wird es künftig eine Förderlücke geben, die weder über die Abg-Be-darfssätze noch über § 128 SGB III gedeckt werden kann.

    4. Artikel 4 – Änderungen des Zweiten Buches So-zialgesetzbuch

    Die in Artikel 4 vorgenommenen Änderungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) vollzie-hen die Änderungen des Sozialgesetzbuches Drittes Buch nach. Rechtliche Auswirkungen im SGB II er-geben sich dadurch nicht.

    4.1 Bewertung

    Die BA begrüßt die Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge für die Berufsausbildungsbeihilfe und das Ausbildungsgeld. Die Erhöhungen werden im SGB II ggf. als Einkommen angerechnet.

    Die BA geht davon aus, dass sich durch die Einord-nung der Maßnahme „Unterstützte Beschäftigung“ in den neu formulierten § 123 SGB III (ehemals: § 124 SGB III) keine Rechtsänderung zum bisherigen Recht im Hinblick auf den Leistungsausschluss des § 7 Ab-satz 5 SGB II ergibt. Die Maßnahme ist nicht als eine Ausbildung zu qualifizieren. Der Teilnehmerkreis der unterstützenden Beschäftigung wird somit nicht vom Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 5 Satz 2 SGB II umfasst.

  • Ausschussdrucksache 19(11)365 Ausschuss für Arbeit und Soziales

    18

    4.2 Anmerkung zu Artikel 4 Nr. 1:

    Durch die rein redaktionelle Anpassung des § 7 Abs. 5 SGB II bleibt eine seitens der Bundesagentur für Arbeit bereits mehrfach dargestellte Problemstel-lung weiterhin bestehen.

    Bereits in der Stellungnahme zum 9. SGB II-Ände-rungsgesetz hat die BA darauf hingewiesen, dass der Leistungsausschluss in § 7 Abs. 5 SGB II zu offenen Bedarfen bei der Existenzsicherung führt, für deren Deckung aktuell kein Sozialleistungsträger verant-wortlich ist.

    Der Gesetzgeber unterstellt, dass die Bedarfe von Personen, die in Wohnheimen und Internaten unter-gebracht sind, durch die Leistungen nach dem SGB III oder dem SGB IX bereits gedeckt seien und deshalb keine Leistungen nach dem SGB II - insbe-sondere keine Kosten für Unterkunft und Heizung – notwendig sind.

    Die Förderansprüche des SGB III und SGB IX bezie-hen sich nur auf die Internatsunterbringung (ausbil-dungsgeprägte Unterkunft), nicht auf die eigene Wohnung oder Unterbringung bei den Eltern, dem Partner am Heimatort („Alt-Wohnung“) – vgl. BSG Urteil vom 19. Oktober 2016 - B 14 AS 40/15 R. Dadurch wird der Betroffene faktisch gezwungen, die alte Wohnung und damit sein bisheriges Umfeld aufzugeben. Daraus resultiert das Risiko, dass Aus-bildungen abgebrochen oder nicht angetreten wer-den, weil die Betroffenen die alte Wohnung aus fi-nanziellen Gründen nicht aufrechterhalten können.

    Es wird weiterhin angeregt, eine positiv formulierte Klarstellung aufzunehmen, wer diese Kosten zu tra-gen hat, wenn z. B. bescheinigt wird, dass es für das

    Erreichen des Ausbildungsziels oder des Durchhal-tens in der Maßnahme erforderlich ist, dass die Be-troffenen regelmäßig in ihr gewohntes soziales Um-feld zurückkehren (Stabilisierung).

    5. Artikel 5 – Änderung des Neunten Buches Sozi-algesetzbuch

    § 221 Abs. 2 Satz 1 SGB IX regelt die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Arbeitsentgelte der be-schäftigten Menschen mit Behinderungen im Ar-beitsbereich z. B. von Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). Demnach richtet sich der Grund-betrag nach dem Ausbildungsgeld, welches gem. § 125 SGB III von der BA im Berufsbildungsbereich gezahlt wurde. Resultierend aus den Anpassungen zum Ausbildungsgeld im SGB III erfolgt eine redakti-onelle Anpassung im § 221 Abs. 2 Satz 1 SGB IX.

    Während das Ausbildungsgeld im Berufsbildungsbe-reich durch die BA als zuständigem Rehabilitations-träger gezahlt wird, sind die Arbeitsentgelte aus dem Arbeitsergebnis der Werkstätten zu finanzieren.

    5.1 Bewertung

    Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass die geplante Erhöhung des Ausbildungsgeldes im Berufsbildungs-bereich, sich auch - wie bereits in der Vergangenheit üblich - auf die Arbeitsentgelte im Arbeitsbereich auswirkt.

    Aufgrund der aktuell vorgesehenen deutlichen Stei-gerung des Grundbetrages, sollten allerdings die Auswirkungen u. a. auf die Wirtschaftsführung von Werkstätten betrachtet und ggfs. Übergangsfristen angedacht werden.

  • Ausschussdrucksache 19(11)365 Ausschuss für Arbeit und Soziales

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    DEUTSCHER BUNDESTAG Ausschussdrucksache 19(11)345 Ausschuss für Arbeit und Soziales 28. Mai 2019 19. Wahlperiode

    Schriftliche Stellungnahme

    zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 03. Juni 2019, um 13:30 Uhr zum

    Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Berufsausbildungsbeihilfe und des Ausbildungsgeldes - BT-Drucksache 19/9478

    Georg Kruse, Lingen (Ems)

    Die grundsätzliche Intention des Gesetzesentwurfes wird von mir vorbehaltlos begrüßt. Dies trifft sowohl auf die Erhöhung der Berufsausbildungsbeihilfe und des Ausbildungsgeldes als auch auf die Rechts- und Verwaltungsvereinfachung und den damit verbunde-nen Bürokratieabbau zu. Darüber hinaus habe ich als Geschäftsführer eines Leistungserbringers u. a. im Bereich der beruflichen Rehabilitation (Berufsbil-dungswerk) und Teilhabe am Arbeitsleben (Werk-statt für Menschen mit Behinderung (WfbM)) insbe-sondere die Auswirkungen des Gesetzes auf die Be-schäftigten in der WfbM und auf die wirtschaftliche Situation der WfbM im Blick.

    Zunächst ist die Erhöhung des Ausbildungsgeldes für Teilnehmende an Maßnahmen im Eingangsver-fahren und im Berufsbildungsbereich der WfbM so-wie das Entfallen der Jahresdifferenzierung aus-drücklich positiv zu würdigen. Als sehr problema-tisch zeigt sich demgegenüber die durch die Geset-zesänderung bewirkte, aber mit keinem Wort er-wähnte bzw. berücksichtigte Erhöhung des Grundbe-trages beim Arbeitsentgelt der Beschäftigten im Ar-beitsbereich einer WfbM. Die durch die Gesetzesän-derung sich vollziehende Erhöhung des Ausbil-dungsgeldes (§ 125 SGB III) hat unmittelbaren Ein-fluss auf die Zahlung des Arbeitsentgeltes der Be-schäftigten im Arbeitsbereich der WfbM (§ 221 SGB IX). Durch die Koppelung dieser beiden Rege-lungen gerät das durchaus komplexe System der Er-mittlung und Höhe der Arbeitsentgelte - bestehend aus Grundbetrag, leistungsangemessenem Steige-rungsbetrag - sowie die Verknüpfung mit dem Ar-beitsförderungsgeld und der Grundsicherung in ein erhebliches Ungleichgewicht mit negativen Auswir-kungen auf Beschäftigte und auf die wirtschaftliche Situation der WfbM.

    Im Vollzug des Gesetzes kommt es durch die ge-nannte Koppelung auch zu einer Erhöhung des

    Grundbetrags in den Arbeitsbereichen der Werkstät-ten – von derzeit 80,- auf 117,- € (ab 01.08.2020 auf 119,- €). Dieser erhöhte Grundbetrag muss genauso wie der leistungsangemessene Steigerungsbetrag von den Werkstätten erwirtschaftet werden und würde entsprechend voll zu deren Lasten gehen. In einer durchschnittlichen Werkstatt wie der WfbM in Lin-gen mit ca. 500 Beschäftigten im Arbeitsbereich müsste ein deutlich höheres Arbeitsergebnis (ca. 220 T€ mehr pro Jahr; insgesamt in den Werkstätten Niedersachsen ca. 12,7 Millionen € mehr pro Jahr) erzielt werden. Dieser Differenzbetrag ist durch die Werkstätten weder bei der Eigenproduktion noch bei den Auftragsarbeiten zu erwirtschaften. Ein sehr um-kämpfter Markt mit großer Konkurrenz in den Billig-lohnländern ist hier genauso als Ursache zu sehen, wie die (durchaus positiven) Entwicklungen in den Werkstätten durch die UN-Behindertenrechtskon-vention und das Bundesteilhabegesetz (BTHG). Inso-fern sehen wir in mehrfacher Hinsicht Probleme auf die Werkstätten zukommen:

    Kann der Differenzbetrag nicht erwirtschaftet werden, würde das mittel- bis langfristig zu einer Unterfinanzierung der WfbM führen und damit existenzgefährdend sein.

    Theoretisch könnte bei unveränderter Gesetzes-lage kurzfristig für den erhöhten Grundbetrag auf die Rücklagen (gebildet für Ertragsschwankun-gen) oder auf die Steigerungsbeträge zurückge-griffen werden.

    Ein Rückgriff auf die Rücklagen gefährdet mittel-fristig die Liquidität und wirkt sich existenzge-fährdend aus.

    Ein Rückgriff auf die Steigerungsbeträge ist nur in Verhandlung mit den Werkstatträten möglich und würde erhebliche Unruhe bei den Beschäf-tigten und ihren Angehörigen auslösen und das

  • Ausschussdrucksache 19(11)365 Ausschuss für Arbeit und Soziales

    20

    Solidarsystem in den Werkstätten beeinträchti-gen. Darüber hinaus wäre eine Reduktion von Steigerungsbeträgen kontraindiziert bezüglich der auch im BTHG gewollten finanziellen Besser-stellung der Menschen mit Behinderung.

    Der Rückgriff auf die Steigerungsbeträge würde insbesondere die Leistungsträger einer WfbM treffen und würde damit nicht nur die Motiva-tion der Beschäftigten beeinträchtigen, sondern auch den Integrationsbemühungen in den ersten Arbeitsmarkt zuwiderlaufen.

    Der geschilderte Sachverhalt potenziert sich bei Werkstätten ohne separate Tagesförderstätte.

    Zu beachten ist auch, dass bei einem erhöhten Grundbetrag für viele Beschäftigte einer WfbM die Entgeltgrenze (299,- €) für das Arbeitsförde-rungsgeld überschritten wird und damit automa-tisch eine Kürzung des erst mit dem BTHG ver-doppelten Arbeitsförderungsgeldes (52,- €) verur-sacht wird.

    Die meisten Beschäftigten einer WfbM beziehen gleichzeitig Grundsicherung. Auch hier führt in vielen Fällen eine Erhöhung des Grundbetrages zu einer Kürzung der Grundsicherung, so dass letztendlich hier keine finanzielle Besserstellung erreicht wird.

    Aus dem Koalitionsausschuss vom 16.05.2019 ist zu vernehmen, dass an einer Lösung gearbeitet wird, die eine Entkopplung von Erhöhung des Ausbil-dungsgeldes und Erhöhung des Grundbetrages vor-sieht. Jedoch soll das Arbeitsentgelt der WfbM-Be-schäftigten grundsätzlich steigen und zwar in drei Stufen mit einer Erhöhung von jeweils 13,- € pro Jahr. Die Erhöhungen über drei Jahre sollen jedoch genauso über die Arbeitserlöse der Werkstatt erwirt-schaftet werden. Da es unter den oben geschilderten

    Umständen unwahrscheinlich ist, dass die Werkstät-ten zukünftig höhere Erlöse erzielen – das Erreichen des Niveaus der derzeitigen Arbeitserlöse ist schon jetzt mit erheblichen Anstrengungen verbunden und das in einer Konjunkturhochlage! –, bleibt auch bei dieser Lösung die oben beschriebene Problemlage bestehen, sie wird nur über mehrere Jahre gestreckt.

    Aus dem dargestellten Sachverhalt ergibt sich für mich, dass die mit dem Gesetz verbundene Erhö-hung des Grundbetrags (weder im Sinne des Geset-zesentwurfs noch entsprechend der Kompromisslö-sung aus dem Koalitionsausschuss) so nicht hin-nehmbar ist, da sie massiv in das wirtschaftliche Ge-schehen der Werkstatt eingreift und Folgeeffekte schafft, die nicht ausreichend berücksichtigt worden sind.

    Da das Gesetz aus politischen Gründen verabschie-det werden muss und ja auch in seiner Grundaus-richtung hinsichtlich der Erhöhung von Berufsaus-bildungsbeihilfe und Ausbildungsgeld zu begrüßen ist, ist aus meiner Sicht derzeit nur folgende Lö-sungsoption möglich und fair:

    Vollzug des Gesetzes, aber Entkoppelung von der Er-höhung des Ausbildungsgeldes und Grundbetrag (§ 221, SGB IX). Die Entkoppelung wird zunächst auf zwei bis drei Jahre befristet, in denen eine neue Entgeltsystematik für die WfbM erarbeitet wird. Sollte es politischer Wille sein, die Beschäftigten des Arbeitsbereiches einer WfbM auch an einer Erhö-hung des Entgeltes partizipieren zu lassen, was auch aus Sicht der Werkstätten zu begrüßen wäre, darf diese auf keinen Fall (alleine) zu Lasten der Werk-stätten gehen. Eine Erhöhung des Entgeltes könnte beispielsweise über eine weitere Erhöhung des Ar-beitsförderungsgeldes (derzeit 52,- €) kompensiert werden (dabei müsste dann auch der Schwellenwert von derzeit 299,- € beachtet und ggf. auch angeho-ben werden).

  • Ausschussdrucksache 19(11)365 Ausschuss für Arbeit und Soziales

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    DEUTSCHER BUNDESTAG Ausschussdrucksache 19(11)346 Ausschuss für Arbeit und Soziales 28. Mai 2019 19. Wahlperiode

    Schriftliche Stellungnahme

    zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 03. Juni 2019, um 13:30 Uhr zum

    Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Berufsausbildungsbeihilfe und des Ausbildungsgeldes - BT-Drucksache 19/9478

    Günter Buck, Stuttgart

    Allgemeine Vorbemerkung

    Im Gesetzentwurf der Bundesregierung wird das Be-streben formuliert, eine möglichst weitgehende Har-monisierung der Leistungen der Ausbildungsförde-rung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) mit der Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungs-förderungsgesetz (BAföG) herzu-stellen und gleichzeitig den Besonderheiten der dua-len Berufsausbildung gerecht zu werden. Außerdem sieht der Gesetzentwurf vor die Ausgestaltung anzu-wendenden Verfahrensvorschriften zu vereinfachen und damit den Verwaltungsaufwand zu reduzieren und die Transparenz der Vorschriften für Bürgerin-nen und Bürger zu erhöhen.

    Grundsätzlich begrüßt die BAG EJSA die beiden Ziele des Gesetzentwurfs, den Verwaltungsaufwand zu reduzieren und die Leistungen für Schüler*in-nen, Auszubildende und Studierende im BAföG bzw. SGB III weitgehend zu harmonisieren. Auch die vorgesehene Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge sind positiv zu werten.

    Zum laufenden Gesetzgebungsverfahren gibt die BAG EJSA folgende Anregungen:

    Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge

    Positiv ist zu bewerten, dass die aktuelle BAföG-No-velle (26. BAföG-ÄndG) höhere Bedarfssätze und Freibeträge vorsieht. Ebenso positiv ist, dass auch die Bedarfssätze bei einer BvB und einer Grundaus-bildung neu festgesetzt und systematisiert und dabei an die Höhe der BAföG-Sätze angepasst und dass Änderungen der BAföG-Leistungssätze automatisch im SGB III nachvollzogen werden (Harmonisierung) sollen.

    1) Die Abhängigkeit der finanziellen Leistungen im SGB III-Bereich von der Höhe der jeweiligen Unter-stützungsleistungen im BAföG bewertet die BAG EJSA kritisch, da BAföG-Sätze trotz Erhöhung nicht bedarfsgerecht sind.

    Begründung:

    Die Vorschläge zur BAföG-Novellierung stellt eine unzureichende Anpassung der finanziellen Ausstat-tung von Fachschüler*innen und Studierenden dar. Die Anpassungen der Grundbedarfssätze des BAföG sind, den Daten der 21. Sozialerhebung des Deut-schen Studentenwerkes folgend, nicht bedarfsde-ckend und entsprechen in Bezug auf die gestiegenen Lebenshaltungskosten nicht einer – aus Sicht der BAG EJSA erforderlichen – realen Erhöhung. Auch die Anhebung der Wohnkostenpauschale ist unzu-reichend, denn sie wird vor allem in den urbanen Ballungsräumen nicht zur Deckung der Mietkosten ausreichen. Damit ist eine freie Wahl des Ausbil-dungsstandortes unabhängig von der finanziellen Ausbildungssicherung nicht möglich.

    2) Grundsätzlich empfiehlt die BAG EJSA eine re-gelhafte Dynamisierung der Bedarfssätze im BAföG - und damit verknüpft auch im SGB III -, um die kontinuierliche Steigerung der Lebenshaltungskos-ten realitätsgerecht abzubilden.

    3) Zum Ausbildungsgeld bei Berufsausbildung und uB (§123 SGB III neu) und bei BvB und Grundausbil-dung (§124 SGB III neu) nimmt die BAG EJSA wie folgt Stellung:

    a) Der Bedarfssatz bei der Unterbringung in einem Wohnheim, Internat oder in einer besonderen Ein-richtung für behinderte Menschen, veranschlagt künftig 117 Euro für das Ausbildungsgeld; dies ist ein Plus von 6,-€ und deutlich zu gering.

    Die BAG EJSA fordert eine bedarfsorientierte Be-messung des Ausbildungsgeldes, die jungen Men-schen mit Behinderungen eine umfassende Teilhabe während der Ausbildungszeit sichert. Dazu gehört vor allem ein auskömmliches Ausbildungsgeld.

    Begründung:

  • Ausschussdrucksache 19(11)365 Ausschuss für Arbeit und Soziales

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    In der Berufsvorbereitung erhalten Teilnehmende, die im Elternhaus leben, 231 Euro sowie in der Aus-bildung maximal 425 Euro (jeweils abhängig von Al-ter und Familienstatus) - schon heute sorgt dies bei vielen jungen Menschen in Berufsvorbereitung und Ausbildung für großes Unverständnis. Zu einem selbstbestimmten Leben gehören neben der Teilhabe am Arbeitsleben vor allem auch die gesellschaftliche Teilhabe, z.B. kostenpflichtige Freizeitaktivitäten mit Jugendlichen ohne Behinderung oder der Erwerb ei-nes Führerscheins. Mit der aktuell geplanten Vergü-tung in Höhe von 117 Euro sind diese zusätzlichen Bedarfe auch künftig für die betroffenen jungen Menschen nicht realisierbar. Damit bleiben Jugendli-che in stationären Wohnformen auch in Zukunft klar im Nachteil.

    b) Die Erhöhung des Ausbildungsgeldes auch in den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (WfbM) wird von der BAG EJSA ausdrücklich be-grüßt.

    Zu bedenken ist allerdings das Risiko, dass diese Be-träge nicht erwirtschaftet werden können, bzw. zu Lasten des leistungsabhängigen Steigerungsbetrages gehen. Übergangsregelungen könnten dies vermei-den.

    Die BAG EJSA empfiehlt, z.B. die Einrichtungen für eine bestimmte Zeit zu bezuschussen oder eine Re-gelung einzuführen, die den Einrichtungen ermög-licht, durch Ertragssteigerungen die Beträge zu er-wirtschaften.

    Zuschüsse

    1) Zuschuss bei Einstiegsqualifizierung (§ 54a SGB III neu)

    Positiv ist zu bewerten, dass der Zuschuss, den Ar-beitgeber für eine betriebliche Einstiegsqualifizie-rung bekommen, erhöht wird. Im Gesetzentwurf wird dazu ein bestimmter Betrag genannt, damit wäre der Zuschuss nicht dynamisch.

    Die BAG EJSA empfiehlt, stattdessen systematisch auf die entsprechende BAföG-Norm zu verweisen (auf § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG, damit künftige Ände-rungen hier automatisch auch im SGB III wirksam werden.

    2) Zuschuss zur Ausbildungsvergütung bei außerbe-trieblicher Ausbildung (§ 79 Abs. 2 Satz 1 SGB III neu)

    Der Zuschuss zur Ausbildungsvergütung bei einer außerbetrieblichen Berufsausbildung wird auf die Höhe der BAföG-Leistung für Fachschüler*innen, die bereits eine Berufsausbildung absolviert haben, begrenzt. Damit bleibt eine Sonderregelung außer-halb der Mindestausbildungsvergütung (§ 17 BBiG-Novelle) bestehen.

    Die BAG EJSA fordert, in § 79 Abs. 2 Satz 1 SGB III neu Bezug auf die im § 17 der BBiG-Novelle zukünf-tig festgelegte Mindestausbildungsvergütung zu neh-men und damit für eine einheitliche Untergrenze in allen dualen Berufsausbildungssettings zu sorgen.

    3) Kosten für auswärtige Unterbringung und für Ver-pflegung

    Positiv zu bewerten sind die Erhöhung der Unter-kunfts- und Verpflegungskosten bei auswärtiger Un-terbringung und die Angleichung der entsprechen-den Pauschalen für Menschen mit Behinderung (§ 128 SGB III) an die Pauschalen des §86 SGB III neu. Damit wird dem Leitgedanken der Inklusion Rechnung getragen, was die BAG EJSA ausdrücklich begrüßt.

    Verwaltungsvereinfachung

    Beide Leistungssysteme sind sehr komplex. Anwen-dung und Umsetzung der Normen in der Praxis ist hoch kompliziert.

    Die BAG EJSA regt an, das Antragsverfahren bei BAB und Ausbildungsgeld zu überprüfen, zu verein-fachen und die Regelungen bedarfsgerecht zu opti-mieren, um eine schnellere Bearbeitung zu ermögli-chen. Mit Beginn des BAB-Anspruchs sollte die BAB-Auszahlung bereitgestellt werden. Außerdem sollte die Möglichkeit geprüft werden, ein Mindest-Ausbildungsgeld zu gewähren, das unabhängig vom Elterneinkommen zur Verfügung steht.

    Begründung:

    Die Antragsverfahren erfordern z.T. viele Wochen Bearbeitungszeiten und sind kompliziert. Teilneh-mende Jugendliche müssen in Vorleistung gehen (z.B. bei Fahrtkosten, etc.). Eltern sind mit der An-tragstellung oft überfordert, bis Fachkräfte einbezo-gen werden vergeht oft viel Zeit. Einkommensnach-weise von Eltern (einschließlich Unterschriften von beiden Elternteilen bei u18jährigen) sind schwer o-der gar nicht zu bekommen, wenn die Eltern ge-trennt leben. Bei höheren Elterneinkommen bekom-men Jugendliche keine Förderung, unabhängig da-von, ob sie die notwendige Förderung von ihren El-tern erhalten. Geht der Träger für die Teilnehmen-den in Vorleistung, besteht für ihn ein ökonomisches Risiko.

    Kompatibilität mit weiteren Gesetzen

    Mitte Mai hat das Bundeskabinett den Entwurf der Novelle des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) beschlos-sen. Die Mindestausbildungsvergütung wird im § 17 unmittelbar festgeschrieben. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Vergütung startet mit 515 € im 1. Aus-bildungsjahr mit weiteren Steigerungen in den Folgejahren.

    Mit Blick auf eine inklusive Berufsbildung fordert die BAG EJSA, dass allen Auszubildenden die Min-destausbildungsvergütung gewährt wird. Zudem empfiehlt die BAG EJSA, die beiden parallellaufen-den Gesetzesvorhaben (BBiG-Novellierung und BABAbgAnpG) mit ihren jeweiligen Veränderungen aufeinander abzustimmen. Ohne eine solche Kohä-renz besteht die Gefahr, dass die mit den Gesetzes-änderungen verbundenen Ziele nicht nachhaltig er-reicht werden.

  • Ausschussdrucksache 19(11)365 Ausschuss für Arbeit und Soziales

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    DEUTSCHER BUND