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Häufig verglichen mit dem deutschen »Bauhaus« und fast gleichzeitig entstanden, zeigt die Architek- turlehre an den WCHUTEMAS 1 angesichts der so anders gelagerten sowjetischen Bedingungen doch ganz eigenständige und konträre Züge auf. Impuls- geber auf beiden Seiten war die Hoffnung, am Auf- bau einer besseren Gesellschaft teil zu haben, ihn durch die Aufwertung von Kunst und Bildung maß- geblich mitzugestalten. Wurzeln der Architekturlehre in St. Petersburg und Moskau Die russische Baukunst provoziert bis heute einen Diskurs, der sich insbesondere in Deutschland zwischen Faszination und Befremden, ja Empö- rung bewegt. Die Architekturlehre stand seit je im Spannungsfeld zwischen dem Bezug auf die eige- ne Identität in Abgrenzung zum Westen einerseits und Adaption westlicher Vorbilder andererseits. Als Zar Peter im 18. Jahrhundert aus dem ganzen Land Baufachleute abzog und auch namhafte deut- sche Architekten berief, um das Zentrum seines Reiches »als Fenster zum Westen« baulich zu prä- sentieren, konnte Moskau im Schatten der ehrgei- 1 Die »Höheren Künstlerisch-Technischen Werkstätten« werden im Text unter der Abkürzung WCHUTEMAS be- zeichnet. Barbara Kreis Zwischen »Lebendiger Klassik«, Rationalismus und Konstruktivismus Die »Höheren Künstlerisch-Technischen Werkstätten« WCHUTEMAS in Moskau 1920–1930 Wurzeln der Architekturlehre in St. Petersburg und Moskau Strukturelle Auswirkungen der Revolution 1917 auf die Lehre Programme und Konzepte für die Architektur- lehre Keine »… geistige Kulturzerstörung« Entwicklungsphasen der WCHUTEMAS Gründung und Studienstruktur 1. Phase 1920–1923: »Kunst in die Produktion« 2. Phase 1923–1926: Koexistenz der Architektur- strömungen 3. Phase 1926–1930: »Alle Macht der Architektur« Auflösung der WCHUTEMAS Die Säulen der Architekturlehre: »Psychoanalytische Methode« »Experimentelle Architekten« »Lebendige Klassik« »Funktionelle Methode« »… hemmungslose Reißbrettphantasien kleiner Corbusiers« Bauhaus – WCHUTEMAS – Schlussbemerkung Literatur Struktur Abb. 1 »Lebendige Klassik«, Landwirtschafts- und Gewerbeausstellung, Haupteingang, 1923, Iwan Scholtowski Jo09 656-700:RaJoh 27.02.09 18:18 Seite 656

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Häufig verglichen mit dem deutschen »Bauhaus«und fast gleichzeitig entstanden, zeigt die Architek-turlehre an den WCHUTEMAS1 angesichts der soanders gelagerten sowjetischen Bedingungen dochganz eigenständige und konträre Züge auf. Impuls-

geber auf beiden Seiten war die Hoffnung, am Auf-bau einer besseren Gesellschaft teil zu haben, ihndurch die Aufwertung von Kunst und Bildung maß-geblich mitzugestalten.

Wurzeln der Architekturlehre in St. Petersburg und MoskauDie russische Baukunst provoziert bis heute einenDiskurs, der sich insbesondere in Deutschlandzwischen Faszination und Befremden, ja Empö-rung bewegt. Die Architekturlehre stand seit je imSpannungsfeld zwischen dem Bezug auf die eige-ne Identität in Abgrenzung zum Westen einerseitsund Adaption westlicher Vorbilder andererseits.Als Zar Peter im 18. Jahrhundert aus dem ganzenLand Baufachleute abzog und auch namhafte deut-sche Architekten berief, um das Zentrum seinesReiches »als Fenster zum Westen« baulich zu prä-sentieren, konnte Moskau im Schatten der ehrgei-

1 Die »Höheren Künstlerisch-Technischen Werkstätten« werden im Text unter der Abkürzung WCHUTEMAS be-zeichnet.

Barbara Kreis

Zwischen »Lebendiger Klassik«, Rationalismus und KonstruktivismusDie »Höheren Künstlerisch-Technischen Werkstätten« WCHUTEMAS in Moskau 1920–1930

■ Wurzeln der Architekturlehre in St. Petersburgund Moskau

■ Strukturelle Auswirkungen der Revolution 1917auf die Lehre

■ Programme und Konzepte für die Architektur-lehre

■ Keine »… geistige Kulturzerstörung«

■ Entwicklungsphasen der WCHUTEMAS

Gründung und Studienstruktur

1. Phase 1920–1923: »Kunst in die Produktion«

2. Phase 1923–1926: Koexistenz der Architektur-strömungen

3. Phase 1926–1930: »Alle Macht der Architektur«

Auflösung der WCHUTEMAS

■ Die Säulen der Architekturlehre: »Psychoanalytische Methode«

»Experimentelle Architekten«

»Lebendige Klassik«

»Funktionelle Methode«

»… hemmungslose Reißbrettphantasien kleiner Corbusiers«

■ Bauhaus – WCHUTEMAS – Schluss bemerkung

■ Literatur

Struktur

Abb. 1 »Lebendige Klassik«, Landwirtschafts- und Gewerbeausstellung, Haupteingang, 1923, Iwan Scholtowski

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zigen Metropole dagegen die eigenen Wurzeln undWege als heimliche Hauptstadt kultivieren – sei esim Moskauer Barock, in der slawisch-volkstümli-chen Tradition, in nach französischem Vorbild er-richteten Palästen, oder im klassizistischen undneurussischen Stil. Das »Bauen in Stilen« bewahr-te sich bis heute als Besonderheit der MoskauerSchule.

Mit der Gründung der Petersburger Akademieder Künste 1767 wurde auch die Architekturlehreetabliert. Ebenfalls Mitte des 18. Jahrhundertsgründete der Chefarchitekt Moskaus die erste»Schule der Architektur«, die im Zuge der Errich-tung des neuen Kreml palastes in die »Kremlarchi-tekturschule« einging.2 Aus diversen Zeichen- undKunstschulen formierten sich ab Mitte des 19. Jahr-hunderts die »Stroganow Kunstgewerbeschule« so-wie die Moskauer Kunsthochschule MUSCHWS,die neben Malerei und Bildhauerei auch Architek-tur lehrte.3

Als das Land in der 2. Hälfte des 19. Jahrhun-derts den wirtschaftlichen Anschluss an die west -liche Industrialisierung suchte, forderte dies zu-gleich die kulturelle und soziale Erneuerung he-raus, die nach der demokratischen Revolution 1905einen entscheidenden Auftrieb erhielt. Wieder istdie Vielschichtigkeit der Moskauer Kunstszene zunennen. In ihr bekämpften und inspirierten sichvom »Olymp bis zum Kuriosiätenkabinett«4 diewidersprüchlichsten Auffassungen. Bei der Suchenach den eigenen Ursprüngen, der Faszination anneuen westlichen Technologien, standen sich anar-chistische Tendenzen, wissenschaftlicher Materia-lismus, und geistig spirituelle Erneuerung gegen-über. In der Architektur setzte sich unter anderemin Auflehnung gegen den »künstlerischen Akade-mismus« und in Ablehnung des Bauens »in Stilen«und des Jugendstils eine verstärkte Tendenz zumKlassizismus durch.

Gleichzeitig erfolgte die Gründung weiterer Aus-bildungsstätten:

Nachdem in St. Petersburg das Institut für Zivil-ingenieure schon seit Ende des 19. Jahrhundertsexistierte, entstanden in Moskau zu Beginn des20. Jahrhunderts kleinere – auch Architekturlehre

einschließende – Institutionen, wie die HöhereBauschule für Frauen, die Moskauer TechnischeFachhochschule MWTU und das Moskauer Institutfür Zivilingenieure MIGI.

2 Vgl. Ivanova-Wein 1995.3 Die Moskauer Hochschule für Malerei, Bildhauerei und Architektur war neben der Petersburger Akademie der

Künste die zweitgrößte Ausbildungsstätte, die aber nicht den Status der Hochschule erhielt.4 Vgl. Pascal 1980.

Barbara Kreis · WCHUTEMAS in Moskau 1920–1930

Abb. 2 »Rationalismus«, Kommunales Haus, 1921, Entwurf Nicolai Ladowski

Abb. 3 »Konstruktivismus«, Verlagshaus, LeningraderPrawda, 1924, Entwurf Gebr. Wesnin

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Strukturelle Auswirkungen der Revolution 1917 auf die LehreDie Ereignisse der Oktoberrevolution lösten einenStrudel von Neuorientierung, Hoffnungen undMachtkämpfen aus, in dem scheinbar Wider-sprüchlichstes zusammenfand, um kurz daraufsich wieder mit anderem zu verbinden, sodass indem Mit- und Gegeneinander eine einheitliche Li-nie kaum nachzuweisen ist. Dies war unter ande-rem bedingt durch die politische Tragweite, diealle künstlerischen Fragen bei der Formierung derneuen Gesellschaft haben mussten. Was für west -liche Intellektuelle und Künstler, die sich für dieErneuerung der Bildung einsetzten, sozialistischeVision und bald enttäuschte Hoffnung bedeutete,war für die Sowjetkollegen eingebunden in einenharten Existenzkampf, von dem jeder betroffenwar. Kunst und Architektur erhielten eine neueFunktion im Rahmen des Aufbaus einer sozialisti-schen Zukunft, für die es weder feste Lebensregelngeschweige denn Formvorstellungen gab. Dabeirückte Moskau 1918 mit der Ernennung zurHauptstadt des ersten sozialistischen Landes nichtnur ins Zentrum des Reiches, sondern auch ins in-ternationale politische Blickfeld, so dass sich hier

Hoffnungen und kreative Potentialeder neuen Gesellschaft konzentrier-ten.

Als Teil des zentralisierten Bil-dungsprogramms wurde die Archi-tekturlehre im Rahmen der gesell-schaftlichen Wandlungen den Gege-benheiten anpasst. Hauptziele desim Oktober 1917 erlassenen De-krets zur Kulturpolitik waren dieÜberwindung des Analphabeten-tums und des Bildungsnotstandes,die Förderung einer proletarischenKultur sowie Unterstützung der»Pro letkult«-Organisationen. Ana-toli Lunatscharski, der Leiter des1918 gegründeten Volkskommissa-riats für Bildungswesen, richtete

eine Abteilung für Architektur ein, in der unter derLeitung von Vertretern des Klassizismus5 die erstenPläne zur Umgestaltung Moskaus entstanden. Erbegründete die Wahl der Akademiker damit, »dasswir uns in der Architektur auf eine richtig verstan-dene klassische Tradition stützen können«,6 und inder bildenden Kunst die Atmosphäre des Suchensund linker Bestrebungen charakteristisch sei. Dem-gemäß unterstand die im Januar 1918 gegründeteAbteilung für Bildende Kunst ISO, die sich auchmit der Ausbildungsreform befasste, dem Avant-gardekünstler David Schterenberg. Schon 1918,auf der Konferenz der Kunststudenten, wurde dieForderung nach Aufhebung der Eliteschulen undEinrichtung Freier Werkstätten erhoben. Darauffolgte im September der Erlass zur Umwandlungaller Kunstschulen in »Staatliche Freie Künstleri-sche Werkstätten« GSCHM. So entstanden im gan-zen Lande durch Neuorganisation oder Zusammen-legung etwa zwanzig neue Lehranstalten,7 die wiees ironisch hieß, bisweilen mehr Lehrer als Studen-ten aufzuweisen hatten.8 Zehn davon waren mit ei-ner Architekturfakultät ausgestattet. In Moskaugingen aus der »Stroganow Kunstgewerbeschule«und der »Lehranstalt für Malerei, Bildhauerei und

5 Iwan Scholtowski in Zusammenarbeit mit Alexej Schtschussew und anderen.6 Zit. in: Chan-Magomedow 1983, S. 25.7 An folgenden Orten (Anzahl der Studierenden - Anzahl der Ateliers bzw. Lehrer): Astrachan 90-59, Jaroslawl 124-

8, Jekaterinenburg 75–4, Jekaterinodar 80-4, Kazan 200–17, Nischnij Nowgorod mit Sormowo 90-6, Orenburg 50-3, Pensa 130–7, Petrograd 743-29, davon 8 für Architektur, Samara 35–3, Saratow 175–15, Tambow 50-3, Twer50–3, Tula 50–3, Ufa 70–4, Witebsk ?–7, Wologda 95–5, Woronez 90–5. Vgl. Demjanow 2001.

8 Vgl. Senkin 1923, S. 132.

Ausbildung in Europa – Entwerfen lehren und lernen

Abb. 4 Entwurf für das »Neue Moskau«, 1918 –20, Entwurf AtelierSchtschussew, »Perspektive verfasst von Studenten der Wchutemas«

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Architektur« MUSCHWS die Erste und Zweite»Staatliche Freie Künstlerische Werkstatt« hervormit jeweils drei Ateliers für Architektur. Ende 1919sollen hier 1200 Studenten eingeschrieben gewesensein.9 Typisch für beide war die Vielzahl der Ate-liers, die noch in der Tradition des 19. Jahrhundertseinzelnen Künstlern unterstanden und ein Meister-Schüler-Verhältnis praktizierten, sodass auch hierdie Architekturlehre weitgehend nach Grundwertender so genannten »lebendigen Klassik« verlief. Diewesentlichen Errungenschaften waren sozial-poli-tischer Natur und lagen in der freien Wahl der Leh-re, der Einbeziehung junger noch unbekannterKünstler und der Öffnung der Bildungsanstaltenfür alle Interessierten ab dem 16. Lebensjahr, dieselbst ohne Abschlusszeugnis oder Ausbildung zu-nächst zu einer Vorbereitungsabteilung zugelassenwurden.10

Programme und Konzepte für die ArchitekturlehreDie Forderung nach inhaltlicher Erneuerung er-folgte schon kurz nach der Gründung dieser Aus-bildungsstätten. Im Sommer 1919 begann sich eineStudentenzelle zu organisieren, die, fasziniert voneiner Ausstellung der Vereinigung »Neuerer«, zumBruch mit der Klassik aufrief und forderte, die»konterrevolutionären« Professoren zu entlassen,sich für eine bessere Organisation einzusetzen unddie Schulleitung an die Schüler zu übergeben. Hierpräsentierte sich erstmals die im Mai 1919 in Mos-kau gegründete Kommission zur Lösung der Fra-gen einer Synthese von »Malerei, Bildhauerei und

Architektur«11, in der die Künstler mit expressiv-plastisch räumlichen und farbigen Ausdrucksfor-men experimentierten. Aus dieser Gruppe ging dieArchitekturströmung der »Rationalisten«12 hervor,die später das Zentrum der »Neuerer« an der Archi-tekturfakultät der WCHUTEMAS bildeten. Schon1919 legte der künftige Leiter der »VereinigtenWerkstätten«, Nicolai Ladowski, die Ziele der Bau-kunst und ihre Wirkung als Körper oder Raumdar.13 Sein Verständnis des Rationalismus ist nichtzu verwechseln mit der Strömung des »Rationalis-mus«, die in der westeuropäischen Architektur spä-ter bekannt wurde.14 Ladowski ging es um die ra-tionale, gesetzmäßige Erfassung der emotionalenWirkung des Raumes. Die von ihm daraus für dieArchitekturlehre abgeleitete «psychoanalytischeLehrmethode« kann wohl als einzigartig in ihrerArt bezeichnet werden.

Auf Initiative und unter Leitung von WassilyKandinsky wurde zur Klärung künstlerischer Fra-gen im Mai 1920 das »Wissenschaftliche Institutfür Künstlerische Kultur« INCHUK gegründet.15

Auch er untersuchte die Wirkung der Kunst auf diePsyche des Menschen, sie bilde die Vermittlungzwischen den intuitiv-metaphysisch bedingten Ge-fühlen, dem Geistigen, und dem Materiellen. »DieZeit ist reif für solche Untersuchungen und fordertgebieterisch ihren Beginn«,16 betonte er in seinemArbeitsprogramm. Die Lehre dürfe keine Stile undRichtungen vermitteln, sondern nur Mittel undWege zeigen. Kollegen, die sich in der Arbeitsgrup-pe »Objektive Analyse« zusammenschlossen, war-fen ihm künstlerisch-psychologischen Subjektivis-

9 »1. Freie Staatliche Kunstwerkstatt«: 14 Ateliers für Malerei, 4 für Bildhauerei, 7 für Dekoration, 3 für Architektur,die von L. Wesnin, N. Tschernitschew und F. Schechtel geleitet wurden; »2. Freie Staatliche Kunstwerkstatt«:24 Werk stätten für Malerei, 4 für Bildhauerei, 1 für Fotografie, 1 für Druckgrafik und 3 für Architektur, die I. Schol-towski, A. Schtschussew und I. Rylski unterstellt waren. Vgl Demjanow 2001.

10 Sie mussten jedoch, wenn ihr Atelier über mehr als 3 Monaten nicht besucht wurde, ihren Lehrauftrag abgeben. Beiüber 20 Teilnehmern innerhalb der jeweiligen Disziplinen durften die Studierenden ihren Leiter wählen, oder auchganz ohne Führung arbeiten. Prüfungen fanden alle zwei Monate statt. Wer nach drei Jahren keine erfolgreichenPrüfungen vorzuweisen hatte, sollte exmatrikuliert werden. Vgl. Demjanow 2001.

11 SCHIWSKULPTARCH.12 Die Rationalisten schlossen sich 1923 unter Vorsitz Ladowskis in der »Assoziation neuer Architekten« ASNOWA

zusammen.13 »Über die Rolle und das Zusammenwirken von Architektur, Raum, Form, Konstruktion und Material« und »Über

die Bedeutung von Neuerungen und die historische Kontinuität im Prozess der Schaffung eines neuen Stils« zit. in:Ладовский 1919, S. 343.

14 Schon zu Beginn des 20.Jahrhunderts hatte sich eine Künstlergruppe formiert, die jenseits utilitären, zweckrationa-len Denkens den Logos des Orients als Widerspiegelung des göttlichen Wortes zum Ausgangspunkt einer Kultur desGeistes, der Vernunft erkoren. Sie grenzten sich vom westlich geprägten Begriff der Ratio ab, die zu Schematismusund einer mechanistischen Zivilitation geführt habe.

15 Sie war eine Sektion der »Abteilung Bildende Kunst« des Volkskommissariates.16 Kandinsky 1920, S. 106.

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mus vor: »Nicht die Synthese ist die treibendeKraft, sondern die Erfindung (Analyse)«17, be-hauptete Alexander Rodtschenko, Wortführer derGruppe, die nun stark zur Profilierung drängte. Indem 1920 verfassten »Produktivisten Manifest«beschrieb er die Aufgabe des Künstlers darin, »dermaterialistischen konstruktiven Arbeit einen kom-munistischen Ausdruck zu verleihen […]«18, um sodie Atelierarbeit auf den Weg zur praktischen Tä-tigkeit zu bringen. Die Wissenschaft von der Kunstkönne nur durch exakte objektive Merkmale ge-schaffen werden, so die Gegenposition zu dem als»Individualist und Metaphysiker« bezeichnetenKandinsky. Nachdem dieser das Institut verlassenhatte und seine Lehre am Bauhaus einbrachte, bil-dete sich im März 1921 um Rodtschenko die Ar-beitsgruppe der Konstruktivisten und Produktions-künstler, die ebenfalls ihre Auffassung in denWCHUTEMAS umsetzten.

Im Zuge der Bildungsreform hatte in Witebskauch Marc Chagall »statt friedlich beim Bilderma-len zu bleiben«, wie er später urteilte, eine »Kunst-akademie gegründet, und bin ihr Direktor gewor-den, ihr Vorsitzender und alles, was ihr wollt.«19 ImGegensatz zu seinen Kollegen, die jeweils für eineRichtung, nämlich die eigene, kämpften, wollte eralle Kunstrichtungen protegieren und nebeneinan-der vertreten wissen. Er konnte sich jedoch nichtdurchsetzen gegen die Macht der Institutionen unddie Konkurrenz der zum Teil von ihm persönlich be-rufenen Lehrer, insbesondere derjenigen, die mitdem Anspruch der Wissenschaftlichkeit einen, wieer es nannte, »suprematistischen Mystizismus« ver-breiteten. Kasimir Malewitsch20 übernahm 1920 dieLeitung. Sein Lehrkonzept gliederte sich in eine»Malfakultät« und eine »Materialfakultät«, zu derauch die Architektur zählte. In Vertiefung des Su-prematismus ent wickelte er aus geometrisch ele-mentaren Formen funktionslose »Architektonen«,welche in kon krete Entwürfe überführt werdenkonnten. Die Schmiede aller Fakultäten galt demAufbau des Neuen, in deren Kontext El Lissitzkydie »Prouns« (Projekte zur Gestaltung des Neuen)erfand. Malewitsch präsentierte das Programm aufder Gesamtrussischen Konferenz der Schüler und

Lehrer, aus der die Gründung der WCHUTEMAShervorging.21

Keine »… geistige Kulturzerstörung«So erforderte die Neuordnung der Gesellschaft einerseits die Bekämpfung der existentiellen Not-lage, wie die Schaffung der Grundlagen eines neu-en Bildungssystems und Kulturverständnisses füralle, andererseits entfesselte der Neubeginn einenkreativen Aufbruch, in welchem Künstler einenStreit um die »wahre Kunst und Architektur« füreine von jedem unterschiedlich interpretierte sozia-listische Zukunft ausfochten. Hierbei konnten ver-schiedenste Ansätze in pädagogische Programmeumgesetzt werden. Jedoch stießen während diesesProzesses nicht nur im politischen Machtkampf,sondern auch im persönlichen Konkurrenzkampfdie widersprüchlichsten Anliegen aufeinander, so-dass zahlreiche Vertreter der künstlerischen Elite,die schon vor der Revolution einen nicht unerheb -lichen Beitrag zur Erneuerung der Kunst und Kul-tur geleistet hatten, das Land verließen oder sich indie innere Emigration zurückzogen.

Auch die Tendenz der Zeit, individuelle Prinzi-pien der Kunst durch universelle abzulösen, erhieltmit der neuen Gesellschaftsordnung ein politischesGewicht. In diesem Sinne war die Suche nach ver-bindlichen Programmen und ihre Legitimierungdurch objektivierbare Kriterien insbesondere fürdie Architekturlehre bedeutsam, da durch sie dieGrundlagen des wissenschaftlich Materialismusbestätigt zu sein schienen, und der nicht mehr alszeitgemäß empfundenen Heranbildung kleiner»Tatlins« oder »Kandinskys« entgegenwirken soll-te, wozu sich insbesondere die Führer der neuenStrömungen herausgefordert fühlten. Indessen nah-men die Traditionalisten weniger an dem gegensei-tigen Disput teil, übten jedoch nicht minder Ein-fluss auf die Studierenden, die in deren Werkstättenanhand neuer Projekte zur Umgestaltung Moskauspraktische Erfahrung sammeln konnten (Abb. 4).

Die Polemiken der »Neuerer« gegen traditionelleWerte und die Stilvorstellungen »dieser geistigenKulturzerstörung« lehnte Lunatscharski von Anfangan ab. Er erläuterte 1918 in »ein Löffel Gegen-

17 Rodtschenko 1919, S. 20.18 Ebd. S. 21. 19 Chagall 1959, S. 136.20 Er hatte 1919 die «Union der Verfechtung neuer Formen der Kunst« UNOWIS, der auch El Lissitzky angehörte,

gegründet. 21 Er selbst verfolgte seinen Ansatz am Petrograder Institut für Künstlerische Kultur weiter.

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22 Lunatscharski 1918, S. 60.23 Wladimir Majakowsky war einer der Hauptagitatoren.24 Vgl. Gorbunow 1979. Es muss allerdings bemerkt werden, dass im Zuge der »Erhaltung der Kunstwerke der Ver-

gangenheit und ihrer kritischen Aneignung« ein großer Teil sakraler Baukunst zerstört, als Lager verwendet oderauch zum Recyclingfundus für Marmor wurde.

25 Cyperovic 1919, S. 48.26 Kacman 1920, S. 136.27 Lunatscharski 1920, S. 62.

Barbara Kreis · WCHUTEMAS in Moskau 1920–1930

gift«22, man könne nicht zulassen, dass ge-rade im eigenen Kommissariat das gesam-te künstlerische Gut von »Adam bis Maja-kowsky23 als ein Haufen Plunder dekla-riert« werde, das zerstört werden solle.Keiner Richtung dürfe erlaubt werden, dieandere zu verdrängen, sei sie mit traditio-nellem Ruhm oder mit Modeerfolg ausge-stattet. Er forderte deshalb die Erhaltungder Kunstwerke der Vergangenheit undihre kritische Aneignung »durch die prole-tarischen Massen«, ebenso aber auch dieFörderung experimenteller Formen revolu-tionärer Kunst und den Einsatz aller Kunst-arten zur Verwirklichung der sozialisti-schen Ideen. Da alles mit der Revolution inEinklang stehen müsse, sei volle Autono-mie nicht gewährleistet, dennoch gebe es Bereiche,die zwar nicht unmittelbar mit dem revolutionärenLebensinhalt in Verbindung stünden, jedoch demProletariat bei seinem weiteren Aufbau nützlich seinkönnten. Lunatscharskis Auffassung entsprach auchden Forderungen Lenins, die proletarische Kulturmüsse das Ergebnis der gesetzmäßigen Entwick-lung jener Summe von Kenntnissen sein, die dieMenschheit unter dem Druck der kapitalistischenGesellschaft erworben hatte. Für den Anfang mögedaher eine bürgerliche Kultur genügen.24 In denGründungsthesen der Künstlergewerkschaft ist1919 zu lesen, dass die höchste Form der sozialisti-schen Produktion die Kunst, und die höchste Formdes sozialistischen Lebens die Schönheit sei.25 Zurneuen sozialistischen Kultur gelange das Proletariatnur dadurch, dass es Formen (Material) aus der Ver-gangenheit annehme und die Werke der größtenKünstler studiere; dies schütze zugleich vor der Zer-störung des Kultur gutes. Auch die Prawda erhobEinwände gegen Avantgardisten, die, statt den Ar-beitern beim Lernen behilflich zu sein, diesen ihrhalbbourgeoises philosophisches System aufnötig-ten. Viele unter ihnen, geprägt von Entbehrung,Kriegs- und Revolutionserlebnissen, sahen in dertraditionsorientierten geistig-bildnerischen Betäti-

gung eine Befriedigung und Selbstwertsteigerung.Sie wandten sich 1920 in einem Brief an die Parteimit der Bitte um Unterstützung der Errichtung vonWerkstätten, die für das Proletariat die Vorausset-zungen zur Verwirk lichung ihres SchöpferischenStrebens ermöglichen sollten.26 Die Verpflichtunggegenüber den Wünschen und Sehnsüchten der Be-völkerung unter Berück sich tigung ihres sozialenKontextes und Bildungs niveaus war hier nichtWunschvorstellung sondern politischer Auftrag.

Auch viele Avantgardekünstler sahen ihre Wur-zeln in volkstümlichem und religiösem Bewusstsein,und verstanden den Bruch mit der Vergangenheitnicht automatisch als fortschrittlich und zukunfts-weisend. Lunatscharski betrachtete die Kunst alswirksames Instrument, die »uns Umgebenden mitIdeen, Emotionen und Stimmungen anzustecken«27

und als Mittel der Bildung, das nicht nur in den Ate-liers, sondern auch im öffentlichen Raum eingesetztwerden solle. In diesem Sinne ging der Aufruf an alleKunst gattungen und Richtungen anlässlich derRevolutions feiertage den öffentlichen Raum zuschmücken und zu einem »Lehrstuhl der Straße« zugestalten. Dieses Nebeneinander von traditionellerund Avant gardekunst stellte sich auch als eine beson-dere Qualität der Architekturausbildung heraus.

Abb. 5 Umschlag der Broschüre WCHUTEMAS, Entwurf El Lissitzky

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Entwicklungsphasen der WCHUTEMASGründung und Studienstruktur Bevor auf die verschiedenen Lehrkonzepte ein -gegangen wird, soll hier ein Überblick über die Gesamtentwicklung dieser Moskauer Studienstättegegeben werden. Die Entstehungsphase derWCHU TEMAS fällt noch in die Zeit des Bürger-krieges, in welchem nicht nur Konterrevolutionäre,sondern viele der vor der Revolution gemeinsamkämpfenden Sozialisten sich gegen die Übermachtder Bolschewiki wehrten, die die Definitionsmachtüber Leitlinien der Politik und des Zusammenle-bens an sich zogen, und die ursprünglich unabhän-gigen Räte (Sowjets) inzwischen vereinnahmt hat-ten. Das Land war wirtschaftlich durch die Welt-handelsblockade abgeschnitten sowie geschwächtdurch Missernte und Dürreperiode. Die Weichenzur Industrialisierung wurden 1921 mit dem Goel-ro-Plan der »Elektrifizierung« gestellt. Noch wardie Hoffnung auf die unterstützende Revolution ei-nes industrialisierten Nachbarlandes, insbesondereDeutschlands, nicht aufgegeben, und auch zahlrei-che bürgerliche Spezialisten, Philosophen undKünstler engagierten sich in der Hoffnung auf einegerechtere Zukunft für das sozialistische Experi-ment. Unter dem Druck der ökonomischen Lageführte Lenin 1921 die »Neue Ökonomische Poli-tik« NEP ein; marktwirtschaftliche Prinzipien, dieReprivatisierung kleiner und mittlerer Betriebe be-wirkten eine allmähliche Verbesserung der Versor-gung.

Im Anschluss an die Gesamtrussische Konferenzvon Lehrern und Studierenden der Kunstwerkstät-ten im Juni 1920 erfolgte die Gründung derWCHUTEMAS durch die Vereinigung der Erstenund Zweiten »Staatlichen Freien KünstlerischenWerkstatt«. Ihr Ziel war die Schaffung von »Ka-dern der bildenden Kunst, die die Forderungen desStaates in Kunstangelegenheiten mit maximal voll-endeter Technik einerseits und einem klaren Ver-ständnis für die Aufgaben des Aufbaus des Arbei-ter- und Bauernstaates« andererseits erfüllen könn-

ten; als Voraussetzung dafür galt eine organischverbundene Struktur »vollkommen objektiver Dis-ziplinen« sowie ein »gesunder Realismus« ohnesystemlose Leitung vereinzelter Meister. Diesewurden als Ausdruck sozialer und individuellerRückständigkeit betrachtet, die eine Zerstörung derbegonnenen planmäßigen Arbeit verkörpere. Rech-te, mittlere und linke Tendenzen sollten unterstützt,aber extremen Richtungen keine Privilegien einge-räumt werden.28 Am 18. 12. 1920 unterzeichneteLenin das Gründungsdekret, das die Institution alseine speziell-künstlerische höhere technisch-indus-trielle Einrichtung definierte, die das Ziel verfolge,Künstler höherer Qualifikation für die Industrie,sowie Instrukteure und Leiter für die technischenBerufe auszubilden.29 Es sah eine Studienzeit vonvier Jahren vor30, wovon das erste in einem Grund-lagenkurs31 abgehalten werden sollte.32 Eingangs-voraussetzung für Arbeiter und Bauern, die keineOberschulausbildung vorweisen konnten, war dieAbsolvierung der 1921 etablierten »Arbeiter -fakultät« RABFAK. Alle übrigen Bewerber muss-ten sich einer Aufnahmeprüfung unterziehen. DieArbeiterfakultäten, für die sich hauptsächlich diekommunistischen Studentenzellen einsetzten, exis-tierten sowohl unabhängig als auch als Teil vonHochschulen. Ihre Absolventen wurden bei derAufnahme bevorzugt.

Die WCHUTEMAS umfassten acht Fakultäten,die sich in drei Kunstwerkstätten und fünf Produk-tionswerkstätten unterteilten. Zu den Kunstwerk-stätten zählten: 1. Malerei (Tafel-, Monumental-und Dekorationsmalerei), 2. Bildhauerei, 3. Archi-tektur.

Letztere war die größte Abteilung und spielte vonAnbeginn an eine einflussreiche und strukturge-bende Rolle. Entsprechend ihrer kontroversenRichtungen war sie in drei Zentren unterteilt: Die»Akademischen Werkstätten« vertraten die soge-nannte »Lebendige Klassik« und unterstandenIwan Scholtowski.33 Hier setzten sich gegen Mitteder 1920er Jahre die konstruktivistischen Tenden-

28 Schterenberg 1920, S. 136.29 Vgl. Demjanow 2001.30 Sie wurde 1925 auf 5 Jahre verlängert.31 Dieser wird auch als Basislehre, Propädeutikum, Vorkurs bezeichnet.32 Die Gesamtzahl der Studierenden in der Anfangszeit wird mit 2000 angegeben, sie reduzierte sich jedoch Mitte

der 1920er Jahre auf 1500-1300, die Zulassungszahlen bewegten sich jährlich zwischen 200 und 250 Personen.Vgl. Demjanow 2001.

33 Dozenten: Alexej Schtschussew, Edagar Norwert, Wiktor Kokorin, Iwan Rylski, Leonid und Alexander Wesnin,u. a.

Das 20. Jahrhundert bis 1945

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zen und die »funktionelle Methode«unter Führung von Alexander Wesnindurch. Die Abteilung »VereinigteWerkstätten« OBMAS, auch »Werk-statt des Neuen«, wurden geleitet vonNicolai Ladowski, der den Rationalis-mus vertrat und die »psychoanalyti-sche Methode« ent wi ckelte.34 Außer-dem existierte die Abteilung »Experi-mentelle Architektur« oder »NeueAkademie« unter der Leitung von IljaGolossow und Konstantin Melnikow.Sie wurde auch als Werkstatt »Symbo-lische Romantik« oder Werkstatt der»Synthese« bezeichnet und gegenMitte der 20er Jahre aufgelöst.35 Auf-grund ihrer sich widersprechendenAuffassungen gestalteten die Fakultä-ten36 die Grundkurse noch getrennt. Sie standen je-doch in ständigem Kontakt zu den angrenzendenDisziplinen, deren Dozenten teils zwischen diesenwechselten oder in beiden unterrichteten, so dassSynergien genutzt und Anregungen ausgetauschtwurden und Schwerpunkte sich überlagerten. Ins-besondere die Pro duktionswerkstätten galten alsExperimentier felder und Katalysatoren. Sie unter-teilten sich in: 1. Metall-, 2. Holz-, 3. Keramik-,4. Textil-, und 5. Druckgrafik-Werkstatt.

1. Phase 1920–1923: »Kunst in die Produktion«

Die Rektoren der WCHUTEMAS repräsentiertenin gewissem Sinne die sozial-politische Entwick-lung und nahmen Einfluss auf die künstlerischeAusrichtung, bei der ein harter Kampf um die Posi-tionen ausgefochten wurde. Es standen im wesent-lichen die Produktionskünstler und Konstruktivis-ten gegen die »Rationalisten« und beide gegen dieAkademiker. Der Bildhauer E. W. Rawdel, Rektorzwischen 1920 und 1923, unterstützte die radikaleNeuorientierung auf konstruktivistische Tendenzenund die Suche nach wissenschaftlichen analyti-schen Methoden. Diese sollten in dem Grundkurszum ersten Mal für alle verbindlich angewandtwerden. Die Orientierung an Gebrauchsgegenstän-

den führte zur Stärkung der Produktionswerkstät-ten. Alexander Rodtschenko, Lehrer in der Werk-statt für Malerei, hob die notwendige Verbindungzu diesen hervor und arbeitete zunächst an einerLehrmethode zur wissenschaftlichen Erforschungfachlicher und technischer Probleme der Malerei.Seine Experimente bezogen sich auf Gesetzmäßig-keiten von Farbe, Form und Konstruktion, Materialund Faktur sowie die Wechselwirkungen zwischenLinie, Ebene und Körper. In seinem Programmstellte er 1921 die Konstruktion in den Mittelpunktder Übungen, da durch sie das Objekt mittels ziel-gerichteter Anwendung des Materials zustandekomme und als Produktionskunst in den Dienst derAlltagsgestaltung trete: »So führt das Bemühen umeine Konstruktion den Künstler über die räumli-chen Gebilde zur Erzeugung realer Gegenstände,also zur Produktion, womit er zum Konstrukteurmaterieller Strukturen wird […] Wir aber schreibendas Programm für den Kommunismus, weil wirwirklich das Neue schaffen und nicht für die Aus-stellungen, in die keiner geht, tätig sein wollen.«37

Aus diesen Erkenntnissen folgte 1922 eine einheit-liche, auf die Konstruktion bezogene, Basislehre,die auf den Resultaten des analytischen Studiumsvon der Linie zur Fläche über Volumen zum Raumführte: 1. Graphische Konstruktion und 2. Farb -

34 Dozenten: Wladimir Krinski und Nicolai Dokutschaew.35 Ein Architekturstudium beschränkte sich allerdings nicht wie erwähnt nur auf die WCHUTEMAS, sondern wurde

auch an den Hochschulen MIGI und MWTU angeboten.36 Sowohl Werkstatt wie Fakultät werden als Bezeichnung der Studienrichtungen genannt.37 Demjanow 1983, S. 76.

Barbara Kreis · WCHUTEMAS in Moskau 1920–1930

Abb. 6 Ausstellung der Modelle des Grundkurses »Raum« Mitte 20er Jahre

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konstruktion für die Abteilungen Malerei, Grafik,Textil und Keramik,38 3. Körperkonstruktion39 und4. Raumkonstruk tion40, diese sollte für die Fakultä-ten der Architektur, Skulptur, Holz- und Metallver-arbeitung verbindlich sein, und wurde sowohl vonKonstruktivisten als auch von Rationalisten vermit-telt. Die Bindung an den Gebrauchswert hob dieSelbstbezogenheit der Kunst auf und wollte mitHilfe der »objektiven Analyse« ihre »emotionalenAspekte« verdrängen. So legitimierten die Produk-tionskünstler ihren wissenschaftlich-materialisti-schen Ansatz gegenüber den Vertretern der »ReinenKunst«, zu denen sie sowohl die »Rationalisten«,»Traditionalisten«, Staffeleimaler sowie freienBildhauer zählten. Die Vereinheitlichung der Basis-lehre unter dem konstruktivistischen Ansatz emp-fanden die Vertreter der akademischen Abteilungjedoch als Übergriff in ihre Lehrmeinung und

wehrten sich in einem Schreiben an Lunatscharskierfolgreich gegen die Bevormundung. LadowskisLehre der Disziplin »Raum« blieb davon jedochweitgehend ausgeschlossen, da sie einen komple-xeren Ansatz vertrat (Abb. 6 und 7).

2. Phase 1923–1926: Koexistenz der Architekturströmungen

Die Amtsperiode des neuen Rektors, des MalersWladimir Faworski, fiel in die Zeit, in der die Wirt-schaft sich allmählich zu erholen und auch die in-ternationalen Beziehungen zu stabilisieren und aufKoexistenz einzustellen begannen. Sie galt als dieproduktivste und harmonischste, gerade weil Fa-worski, um dem dialektischen Charakter der Kunstgerecht zu werden, die verschiedensten Strömun-gen zu integrieren verstand und vor dem Hinter-grund von Ort und Zeit zu reflektieren suchte: »Ei-nerseits existiert die Kunst als Wahrnehmung derWirklichkeit, die sich als eigenständige Erkenntnisvon der Wissenschaft unterscheidet […] anderer-seits schafft die Kunst Gegenstände und formt da-mit die uns umgebende Wirklichkeit.«41 Seineübergreifende Theorie der Komposition bezogauch die räumliche Kunst ein.42 Dementsprechenderhielt der Vorbereitungskurs den Status einer um-fassenden Kunsterziehung, wurde auf alle Kunst-disziplinen ausgeweitet, auf zwei Jahre verlängertund jeweils abgestimmt auf die Besonderheiten derFachrichtung.

Die führende Rolle der Architektur fakultät wurdedurch die Disziplin »Raum«, die in der Basisabtei-lung für alle Pflicht war, manifestiert und die »Psy-choanalytische Methode« blieb erhalten, währenddie konstruktivistischen Methoden zurückgesetztwurden. Für die Konstruktivisten schien es dahernahe liegend von den Kunst- zu den Produktions-werkstätten überzuwechseln, um dort ihre Verfah-rensweisen einzubringen und die Studenten nachden Methoden des funktionellen Designs zu Spezia-listen der Alltagskultur auszubilden. Rodtschenkogliederte sein Lehrprogramm in einen wissenschaft-lich-technischen Teil, der Grundlagen und Theorievermittelte und einen Produktionsteil, der Aufträge

38 Sie wurden unter anderen von Alexander Wesnin und Ljubow Popowa gelehrt.39 Diese unterrichtete der Bildhauer Anton Lawinski.40 Diese unterstand Nicolai Ladowski.41 Ebd. S. 83.42 Auch er unterstützte den Aufbau der Lehrkonzeption von der Fläche zum Körper zum Raum und experimentierte

mit der Farbe als Darstellungsmittel physischer Eigenschaften von Körpern, Masse-Gewicht, Dynamik-Statik undmit Aspekten der Bewegung der Farbe im Raum, oder mit Farbe im begrenzen und unbegrenzten Raum.

Ausbildung in Europa – Entwerfen lehren und lernen

Abb. 7 Übung des Grundkurses. Demonstration vonKonstruktion und Gleich gewicht

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individueller und kollektiver Art bearbeitete unddementsprechend in die Sektionen Darbietungs-,Bekleidungs-, Reklame-, Kleinindustrieabteilungunterteilt war. Die Holz- und Metallwerkstatt, in derauch El Lissitzky nach seiner Rückkehr ausDeutschland und Wladimir Tatlin unterrichteten,bildeten in enger Verbindung mit der Abteilung fürDruckgrafik künftig die progressiven Zentren derHochschule (Abb. 8). Demzufolge wirkte sich derEinfluss der Konstruktivisten zunächst mehr auf dieProduktionswerkstätten aus, und die Rationalistenlegten die Grundlagen für die Architekturausbil-dung.

Gerade wegen der neuen Aufgabenstellungenund Anforderungen der Massenproduktion schienjedoch die Architektur prädestiniert für die kon-struktivistischen Tendenzen, die gegen Mitte der1920er Jahre stark zunahmen, sodass die Polemi-ken der Konstruktivisten gegen den »produktivisti-schen Mystiker« Faworski und die Methode der»Linken Metaphysik« Ladowskis wieder Auftrieberhielten.43 Sie forderten, die Architekturlehre vonAnbeginn an konkreten Bauaufgaben zu orientie-ren und verlangten ihre Umstrukturierung, da siebislang weder Einfluss auf Betriebe, Wirtschaftsor-gane und Aufklärungszentren genommen hätten.44

Um Alexander Wesnin, der durch seine Wettbe-werbserfolge zunehmend an Ansehen gewann, be-gann sich im Studienjahr 1924/25 ein Anziehungs-punkt der Konstruktivisten zu bilden. Diese schlos-sen sich 1925 in der »Gesellschaft NeuzeitlicherArchitektur« OSA zusammen.45 Sie gaben ab 1926die Zeitschrift »Neuzeitliche Architektur« heraus,die sich nunmehr stark an neuester westlicher Technologie und Architektursprache orientierte.46

Nachdem sich Golossow den Konstruktivisten an-geschlossen hatte und Melnikow ausgeschiedenwar, löste sich die »Experimentellen Werkstatt«auf, und es blieben die Richtungen der Konstrukti-visten, Akademiker und Rationalisten erhalten.

Während an den WCHUTEMAS um die richtigeArchitekturvermittlung gestritten wurde, erwogenPolitiker 1924, die Architekturfakultäten ganz ausder Hochschule herauszunehmen und aus Effekti-vitätsgründen in das Moskauer Institut für Städti-

sche Ingenieure MIGI zu integrieren. Unterstütztdurch Rektor und Kollegen konnte Ladowski sieaber davon überzeugen, dass zwei Typen von Inge-nieuren ausgebildet werden sollten, der »Ingenieur-Konstrukteur-Baufachmann« und der Architekt als»Ingenieur-Planer-Projektfachmann«, sodass dieArchitekturfakultäten des MIGI und des MWTUzusammengefasst wurden47 und an den WCHUTE-MAS noch erhalten blieben. Den Hintergrund der

43 Vgl. Хан-Магомедов‚ 1990, S. 34.44 Diskussionsausstellung 1924, S. 143.45 Daneben existierten die ASNOWA (1923-1932) und die »Moskauer Architekturgesellschaft« MAO (1867–1932).46 Einziges ausländisches Redaktionsmitglied war Le Corbusier, was durch häufigen Bezug auf seine Werke verdeut-

licht wird. Zahlreiche deutsche Übersetzungen weisen auf die engen Beziehungen zu Deutschland.47 Хан-Магомедов‚ 1990, S. 49.

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Abb. 8 Produktionswerkstatt: Zerlegbare Standard -möbel für eine Bushaltestelle, I. Morosow, 1926, Atelier Rodtschenko

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kritischen Reflexion der Ausbildung bildete dieneue gesellschaftspolitische Lage. Nachdem dieunterstützende Revolution der industrialisiertenNachbarländer ausgeblieben war und sich stattdes-sen der internationale Kapitalismus zu stärken be-gann, wurde trotz größter Widersprüche der »Auf-bau des Sozialismus in einem Lande« deklariertund zugleich ein immenses Bauprogramm einge-leitet. Das volkswirtschaftliche Ziel einer starken,unabhängigen, konkurrenzfähigen Industrie, dieAneignung der Technik, das Einholen und Überho-len kapitalistischer Produktion galt nunmehr alsÜberlebenszeichen des Sozialismus schlechthin.Die Konstruktivisten erhielten daraus Auftrieb fürihr Architekturverständnis.

3. Phase 1926–1930: »Alle Macht der Architektur«

Mit der Stärkung des Konstruktivismus übernahm1926 der Soziologe und Kunsttheoretiker PawelNowizki das Rektorat. Er kritisierte, die WCHUTE-MAS habe während ihres Bestehens das Ziel,»Künstler-Meister« höherer Qualifizierung für die

Industrie auszubilden, nicht erreicht. Ab 1926 wur-den die Aufnahmeprüfungen, bisher in Mathematik,Physik und Kunst durch Gesellschaftswissenschaf-ten und russische Sprache erweitert und ebenso po-pulär-soziologische Themen eingeführt. Da die Stu-denten sich früh spezialisieren und auf ihre späterenAufgaben konzentrieren sollten, erfolgte die Redu-zierung des Basiskurses auf ein, später auf ein hal-bes Jahr. Die Konsequenz davon war die Lockerungder Verbindungen zwischen den Fakultäten und ihreReduzierung auf sich selbst genügende Einheiten.Nowizkis Schwerpunkt lag auf der Förderung derArchitektur und den Produktionswerkstätten. Diebesondere Rolle der Architektur für die neue Gesell-schaft legte er in seinem Aufsatz »Alle Macht derArchitektur« dar, in welchem er sie als Krone derKunst bezeichnete, der die übrigen Fakultäten zudienen hätten.48 Er teilte die Aufgaben der Hoch-schule in zwei Bereiche – die Versorgung der Indus-trie durch die Produktionsfakultäten und die Be -dienung kultur-politischer Bedürfnisse durch dieübrigen Fakultäten, hierfür seien »keine Genies ge-fragt, sondern der gesellschaftlich-nützliche Durch-schnittskünstler, der aktiv an der Aufbau arbeit teil-nimmt.«49 Deshalb integrierte die Ausbildung nun-mehr Praktika in Betrieben und Instituten. Im Zugeder Effektivität wurden die Holz- und die Metall-werkstatt 1926 unter Leitung El Lissitzkys undRodtschenkos zusammengelegt.

Das Lehrprogramm sah unter anderem folgendeAufgaben vor: Bewertung, Vereinfachung, Ver -besserung existierender Gebrauchsgegenstände,Entwicklung neuer Typen, Erfindung neuer bisherunbekannter Dinge und »Dingkomplexe«, sowiederen Präsentation in dafür gestalteter Umge-bung.50 Hier vermittelte auch Wladimir Tatlin sei-ne Philosophie der »Kultur des Materials«.

Um die wissenschaftliche Ausrichtung zu doku-mentieren, erfolgte 1927 die Umbenennung derHochschule in »Höheres Künstlerisch-TechnischesInstitut« WCHUTEIN (Abb. 9). Die ehemaligenKünstler, die sich als Lebensorganisatoren und Agi-tatoren verstanden, wurden zu Künstler-Techno -logen, Künstler-Konstrukteuren und schließlichKünstler-Ingenieuren, die »Leben und den ideologi-schen Kampf« gestalteten.51 Geschult in Organisa -

48 Nowizki 1929, Gaßner/Gillen 1979, S. 208.49 Nowizki zit. in: Gaßner/Gillen 1979, S. 159.50 Rodtschenko 1928, S. 157.51 Vgl. Хан-Магомедов‚ 1990, S. 51.

Ausbildung in Europa – Entwerfen lehren und lernen

Abb. 9 Titelblatt der Broschüre WCHUTEIN

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tions- und Optimierungsmethoden, sollten sie die»Rationalisierung und Materialisierung« der künst-lerischen Arbeit vorantreiben. Dennoch wurde dieArchitekturfakultät ihrem Anspruch immer nochnicht gerecht, da hier nicht nur entschieden wenigerAbsolventen als in anderen Abteilungen abgingen,sondern die Konstruktivisten nun auch die gleicheKritik hörten, die sie zuvor gegenüber den anderengeäußert hatten: den Anschluss an Betriebe und Pro-duktion verpasst zu haben.52

Auflösung der WCHUTEMASWieder entbrannte der Streit über Bedeutung undideologische Funktion der Kunst, über die Stellungdes Kulturerbes bei der Selbstdarstellung des erstensozialistischen Staates und über Dostojewskis vielzitierten Ausspruch von der »Schönheit, die dieWelt erlöst«53, sich eben nicht reduzieren lasse aufbanalen Nutzen. Die Technisierung der Kunst be-zeichnete der ehemalige Rektor Faworski pole-misch als »Ingenieurspielereien.« Dagegen empör-ten sich Konstruktivisten, als der AkademikerScholtowski vor »riesigem Studentenauditoriumdie Wiedergeburt des Eklektizismus beging,« undwarnten vor der rechten Gefahr.54 Den jungen Men-schen aber tat sich abermals eine neue Welt auf,viele sahen erstmals die Vergangenheit unter ande-rem Blickwinkel; betrachteten sich und die sozia-listische Gesellschaft als die neuen Erben der gro-ßen alten Kulturen. Nach der Entscheidung zumAufbaus des »Sozialismus in einem Lande« emp-fanden sie sich gemäß marxistischer Theorie an derSpitze gesellschaftlicher Entwicklung und gedach-ten den krisengeschüttelten Kapitalismus hintersich zu lassen. Allein das Programm des 1. Fünfjah-resplans sah eine Bautätigkeit von bisher nicht be-kanntem Ausmaß vor: 200 Industrie- und 1000Agrarstädte sollten gebaut und rekonstruiert wer-den.55 Hierbei zeigte sich nicht nur der eklatanteMangel an Spezialisten, sondern auch der verhee-rende Zustand der gesamten Bauindustrie mit ihrervon allen Industriezweigen rückständigsten Tech-

52 Allerdings erfuhren die Arbeiten der wenigen Studenten durch die Vermittlung ihrer Lehrer in den einschlägigen Pu-blikationen, auch im Westen, eine große Verbreitung. Dies hatte die Konsequenz, dass eine viel größere Gruppe da-hinter vermutet wurde.

53 Vgl. Dostojewskis Roman »Der Idiot«.54 Борьба 1928, S. 73.55 Die immensen Vorhaben insbesondere im Aufbau neuer Städte und Industrieanlagen weckten insbesondere in

Deutschland unter fortschrittlichen Architekten und Bauleuten großes Interesse, ja Begeisterung, nicht nur wegendes hoffnungsträchtigen sozialistischen Experimentes, sondern auch, da angesichts der Krise des Kapitalimus Auf-träge von bisher nicht bekannter Größe zu erwarten waren. Zugleich erhielten die Feindbilder aus eben demselbenGrund neue Nahrung.

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Abb. 10 Kommunehaus in der »Fliegenden Stadt«, Kru-tikow Diplomarbeit 1928–1930, Atelier Ladowski

Abb. 11 Multifunktionale Transportkabine zum Ankoppeln an die »Fliegende Stadt«

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nologie. Hatten Konstruktivisten noch Mitte der20er Jahre vorgeschlagen, das Defizit an Bauma-schinen, Materialien und Technologien durch teureImporte aus dem Westen auszugleichen, so warjetzt klar, dass das Vorzeigen von Glas, Beton undStahl in Fassaden Verschwendung von Volksver-mögen bedeutete, das nützlicher in den Bau vonTraktoren, Maschinen und Fabriken angelegt wer-den müsse. Gleiches galt für den Einsatz der Kom-petenz junger Spezialisten, die statt »FliegendeStädte« (Abb. 10 und 11) zu entwerfen als Baulei-ter und Architekten arbeiten sollten, da im Landeüber zwei Millionen Bauleute benötigt wurden.56

Eine Verordnung vom November 1929 sah dieErrichtung eines Netzes von technischen Schulenund Hochschulen vor, das innerhalb von drei Jah-ren Spezialisten unterschiedlicher Industriezweigeauszubilden hatte. Dagegen benötigten Absolven-ten der WCHUTEMAS nicht selten 6 bis 8 Jahre –nun wurden Sonderkurse eingerichtet. Trotz größ-ter Bemühungen organisatorischer und methodi-

scher Art in der Umstellung der Lehre auf die neu-en Anforderungen des Fünfjahresplanes konnte dieAuflösung des WCHUTEIN am 30. 3. 1930 nichtaufgehalten werden, und im Zuge der Zusammen-legung der Architekturwerkstätten mit der Archi-tektur- und Baufakultät des MWTU kam es zurGründung des »Architektur- und Bauinsti tutes«.57

Im Sinne der neuen Bedürfnisse sah die Hoch-schulreform vor, die Ausbildung direkt mit den ent-sprechenden Wirtschaftszweigen zu verbinden, so-dass künftig die Architekturlehre nicht mehr demBildungs-, sondern dem Volkswirtschaftkommissa-riat unterstand. Mit der Begründung, die Kader-und Spezialistenausbildung effektiver in unmittel-barer Angliederung an die Industriezweige lösen zukönnen, wurden die übrigen Werkstätten diesen zu-geordnet58 und Malerei und Skulptur nach Lenin-grad an die Akademie der Künste verlagert. Aus derProduktionsfakultät Holz entstand das Holztechni-sche Institut, die übrigen gingen in existierendentechnischen Fakultäten auf; die interdisziplinäreZusammenarbeit und wechselseitige Inspirationder Bildungsinstitution wurde der planwirtschaftli-chen Spezialisierung geopfert.

Die Säulen der Architekturlehre

»Psychoanalytische Methode«Seit der Gründung der WCHUTEMAS leitete Nicolai Ladowski die »Vereinigten Werkstätten«OBMAS und arbeitete hier mit Wladimir Krinski

und Nikolai Dokutschaew an der»Psychoanalytischen Methode«. Daer sie als Lehrprogramm auch auf dieGrundlagenabteilung ausdehnte, präg-te sie das Architekturverständnis allerStudenten. »Das Haupt ziel der Diszip-lin ist das Erlernen der Gesetze undMethoden des Aufbaus der ausdrucks-starken räumlichen Form«, formulier-te er 1929, diese müsse vom Betrach-ter deutlich und leicht wahrgenommenwerden, seine Bewegung im Raum or-ganisieren sowie ein einheitliches vi-suell-dyna misches System bilden.59

56 Vgl. Kreis 2003. 57 Vgl. Хан-Магомедов‚ 1990, S. 60. 58 Dementsprechend wurde die Textilfakultät in das Textilinstitut, die Druckgrafikabteilung in das Polygrafischen In-

stitut, die keramische Fakultät in die Kunstfakultät des Institutes für Silikate überführt.59 Demjanow 1983, S. 105.

Ausbildung in Europa – Entwerfen lehren und lernen

Abb. 13 Verdeutlichung der Konstruktion, 1922: Abstrakte Übung Trä-ger auf zwei Stützen, T. Warenzow

Abb. 12 Übung des Grundkurses. Gestaltung eines Re-liefs durch plastische Kontraste mit rhythmischen Ele-menten, Licht- und Schattenwirkung

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Die »architektonische Rationalität« der Baukunstsei abhängig von der Wahrnehmung räumlicherund funktioneller Eigenschaften eines Gebäudes,während die »technische Rationalität« bestimmtwerde durch die Ökonomie der Arbeit und des Ma-terialeinsatzes beim Errichten eines Bauwerkes.Die Synthese von beiden ergebe die »Ratioarchi-tektur«: sie sei bestimmt von der Erfassung undBeeinflussung der Gefühlwerte, die von der Wahr-nehmung ausge löst würden. Die Rationalisten sa-hen das Er lernen objektiver Gesetzmäßigkeitender Komposition als eine wissenschaftliche Dis-ziplin des räumlichen Denkens an, das die subjek-tive Raumerfahrung aufzuschlüsseln suchte. Umdie Studierenden von der traditio nellen rein ober-flächlichen Fassaden betrachtung und -gliederungweg zuführen, wendeten sie sich von his torischenVorbildern ab und kreierten expressiv-kubistischePlastiken, in die sie die »sozial-funktionalen« In-halte integrierten.60 Für alle Aufgaben war die Ar-beit am Modell Pflicht und die Zusammenarbeitvon Architekten mit anderen Künstlern selbstver-ständlich.

Auch an die Manifestierung der Ideologie mit ar-chitektonischen Mitteln, die Gleichsetzung vonmoderner Bauform und fortschrittlicher Gesinnungglaubten sie nicht. Es sollten die tieferen Schichtender Wahrnehmung des Raums ergründet sowie dieSensibilisierung für dessen Werte geschult werden,da die Ideologie der modernen Architektur kon-struktionsunabhängig sei und in jeder Konstruktionund mit jedem Material ausgedrückt werden kön-ne.61 Allein der Raum und seine Wirkung »wederZiegel noch Holz«, stelle das Grundelement der Ar-chitektur dar. Wie historische und gegenwärtige Er-fahrungen zeigten, so Ladowski, mache sich dieausschließliche Orientierung an der Funktion »lä-cherlich« angesichts der sie überdauernden Umhül-lung mittels der Fassade. Diese Auffassung stand invölligem Widerspruch zu den Produktionskünst-lern und Konstruktivisten, die über den utilitärenCharakter in der Architektur ihre soziale Verpflich-tung definierten. Da weder die reine utilitäre Formnoch die reine Architekturkunst existiere, so Krin-ski, gebe es auch keine rein zweckorientierte Auf-gabenbewältigung ohne Berücksichtigung von Fra-gen der Kunst.

Die Synthese der räumlichen Wirkung resultiereaus vielschichtigen Beziehungen wie Farbe-Grö-ße-Form, Farbe-Form-Konstruktion oder Oberflä-che-Körper. Sie könne durch polarisierende Eigen-schaften wie Dynamik-Statik, Stärke-Schwäche,

60 Ebd. S. 103.61 Vgl. Хан-Магомедов‚ 1993.

Barbara Kreis · WCHUTEMAS in Moskau 1920–1930

Abb. 15 Verdeutlichung physisch mechanischer Eigen-schaften der Form: Abstrakte Entwurfsübung, Dynamikund Gleichgewicht, 1922, A. Arkin

Abb. 14 Übung des Grundkurses: Ausdrucksstarke Formim begrenzten Raum

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Erhabenheit-Niedrigkeit, Endlichkeit-Unendlich-keit erzeugt werden.62 Der Unterricht verfolgte dieZiele: Kennenlernen der Haupteigenschaften dergroßen räumlichen Form im Verhältnis zum Men-schen und den jeweiligen Bedingungen des Ortes,Studieren der Grundlagen und Methoden derKomposition im dreidimensionalen Raum; Erwer-ben der Fähigkeit der Gestaltung eines ganzheitli-chen Ausdrucks der Form, hinsichtlich Ordnung,Lage, Größe der Elemente und ihrem Verhältnisuntereinander.63 Die Aufgaben waren entwederrein abstrakter Natur oder verbunden mit einerkonkreten funktionellen Bestimmung. Darauf Be-zug nehmend suchten Studenten unterschiedlicheRaumeindrücke zu erzeugen und erfuhren zu-gleich eine kreative Einführung in die architektur-psychologische Wirkungsweise (Abb. 12–19).

Ab 1927 flossen die Erfahrungen der Grund -lagenkurse in die Abteilungen des «Psychotechni-schen Labors« ein: 1. Abteilung zur Analyse von Gestalt elementen

der Architektur ● Einflussfaktoren der Architekturelemente auf

die Psyche ● Zusammenwirkung der verschiedenen Archi-

tekturelemente

● Experimentelle Prüfung der Raum-Diszipli-nen

2. Pädagogische Abteilung● Psychotechnik des Architekten● Rationelle Methoden des Architekturunter-

richtes3. Abteilung für Organisation und Ökonomie

● Architekturform und Umgebung, Architektur-soziologie, Architektur und neue Lebens- weise.

● Die funktionelle Methode und ihre Bewertung in der Architektur

● Wechselwirkung zwischen Ideen progressiver Architektur und fortschrittlicher Technik

● Kritik gültiger technischer Normen vom Standpunkt des Architekten

● Wissenschaftliche Organisation des Architek-turschaffens und der Technik des architekto- nischen Entwerfens.

Darüber hinaus erarbeitete Ladowski Fragebögenzur Erforschung von Nutzerbedürfnissen und Mei-nungen verschiedener Bevölkerungsgruppen. ZurDurchführung von Experimenten entwickelte ereine Reihe von Geräten. Das Labor zur Unter -suchung der Gesetzmäßigkeiten der Gestaltbildungauf wissenschaftlicher Grundlage befasste sich

62 Demjanow 1983, S. 97.63 Ebd. S. 106ff. Dabei gibt er z. B. folgende Parameter zu berücksichtigen: Dichte (visuelle Masse), Gewicht (visu-

elle Bewegung der Masse) unter der Schwerkraft, Art der Verbindung der Elemente untereinander (visuelle Kon-struktion), Oberflächenausdruck (Hell-Dunkel-, Farbwirkung), Dynamik als visuelle Bewegung in eine bestimm-te Richtung, Spannung als Grad der Intensität der Wirkung, Einheit durch Zusammenwirken und Harmonie derFormelemente, Klarheit durch die Lage im Raum, sowie Maßstäblichkeit im Verhältnis zum Menschen.

Ausbildung in Europa – Entwerfen lehren und lernen

Abb. 16 Verdeutlichung physisch mechanischer Eigen-schaften der Form: Produktionsaufgabe, Anlegestelleund Restaurant an Felshang und Meer

Abb. 17 Verdeutlichung geometrischer Eigenschaftender Form: Produk tionsaufgabe, Entwurf eines aus-drucksstarken Körpers, Wohnhaus mit zwei Wohnungen,N. Krassilnikow 1921

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auch mit der Untersuchung historischer und moder-ner Gebäude. Die Lehrmethoden erhielten 1925 aufder Pariser Ausstellung der Dekorativen Künsteeine Auszeichnung.

«Experimentelle Architektur«Diese Werkstatt stand unter der Leitung von Ilja Go-lossow und Konstantin Melnikow. Sie zählte nurwenige Studenten und wurde gegen Mitte der 20erJahre geschlossen.64 Golossow unterrichtete, wieandere Kollegen, auch am Polytechnischen InstitutMIGI. Pathetisch äußerte er sich zur Architektur alsAusdruck erblühender Freiheit und Glücks, die engmit allen Bereichen des Lebens verbunden, mittelsder räumlichen Form den harmonischen Zusam-menhang schaffe. Im Kommunismus, der sich die-ser großen Verantwortung stelle, sah er die höchsteOrganisationsform menschlicher Gesellschaft. Erunterschied zwischen der »aktiven Form«, die dieIdee verdeutliche, und der »passiven Masse«, diedieser sich unterstützend unterordne. Des Weiterendifferenzierte er zwischen der psychologischen undder ästhetischen Wirkung: Erstere könne Schwere,Bedrohung, Angst, Geborgenheit, Strenge vermit-teln. Sie müssen über die Form des Gebäudes ver-mittelt und über eine ästhetisch gelungene Kom -position realisiert werden, bei der symbolische Anspielungen ebenso wie ornamentale Ausschmü-ckung selbstverständlich eingebunden werden

könnten. Ein Maximum des Ausdrucks und derZweckmäßigkeit müsse bei einem Minimum anmateriellen und formalen Mittel erreicht werden,wobei auch hier die Konstruktion dienende Aufgabezur Unterstützung der Komposition habe. Unterklassischer Stilbildung verstand er das Erfassen desWesens und der Grundsätze allgemeiner Formbil-dung, jedoch nicht das Kopieren historischer Ge-bäude, wie es den Vertreten der Akademischen Ab-teilung vorgehalten wurde. Sein Lehrziel, das 1922in das Programm der »Neuen Akademie«65 einging,lag in der schrittweisen Entwicklung kreativerFähig keiten der Studenten. Die Lehre gliederte er indie Bereiche: Architekturaufbau, Architekturunter-suchung, Entwerfen, Studium von Schriften zur Ar-chitektur.

Im 1. Studienjahr ging es nach einführenden Vor-lesungen über die Bedeutung und Aufgaben der Ar-chitektur um elementare Formbildung durch An-ordnung der Komposition von Massen und Formenzur Verdeutlichung bestimmter Polaritäten wieRuhe/Bewegung, Schwere/Grazie der Beziehun-gen in Abhängigkeit zu ihrem Umfeld, oder zurVerdeutlichung von Proportionen. Im Entwerfenwaren die abstrakten Übungen mit realen Aufgabenzu verbinden, jedoch auch hier unter Berücksichti-gung eines bestimmten architektonischen Aus-drucks und vorgegebenen Kompositionsmitteln.Auch anhand der Untersuchung historischer Bei-

64 Sie erfolgte wahrscheinlich, nachdem Melnikow zahlreiche Bauaufträge in Moskau erhielt und sich Golossow denan Einfluss gewinnenden Konstruktivisten angeschlossen hatte.

65 Manuskript «Grundsätze der Hauptarchitekturwerkstatt«.

Barbara Kreis · WCHUTEMAS in Moskau 1920–1930

Ab. 19 Produktionsaufgabe, ausdrucksstarker Innen-raum einer Badeanstalt, L. Grichpoune 1927–28

Abb. 18 Verdeut lichung des Raumaufbaus außen/in nen:Produktionsaufgabe Architektonische Gestaltung des Nikitski Boulevards, Moskau, N. Tichonow 1921

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spiele, vorwiegend die klassische Antike betref-fend, sollte die Wahrnehmung geschult werden. Im2. Studienjahr wurden unter denselben Oberbegrif-fen komplexere Aufgaben und vertiefende Studienzu Idee und Ausdruck historischer Beispiele vorge-geben. Im 3. Studienjahr folgten aufbauende undweiterführende Übungen, die die Baukunst immerin ihr Umfeld stellten, darüberhinaus Entwürfe mitkonkreter Aufgabenstellung und abstrakte Frage-stellungen zur Formgestaltung, des weiteren The-men aus der Geschichte (Abb. 20).

Architekturdarstellung und Präsentation warenintegrierter Bestandteil der Entwurfsaufgaben.66

Die Gesamtbewertung geschah unter den zwei Ge-sichtspunkten: »Lösung des Wesens der Aufgabe«,die Umsetzung funktionaler und konstruktiver An-forderungen betreffend, sowie »Ausdruck der Lö-sung«, die Vermittlung der Architekturidee betref-fend. Letztere bezog sich auf die Transformationder beabsichtigten emotionalen Wirkung mit künst-lerischen Mitteln.

Auch Konstantin Melnikow arbeitete Stellung-nahmen zur Architekturlehre aus; er stand mit sei-ner Haltung den »Rationalisten« näher als den»Konstruktivisten«.67 Jedoch betrachtete er dieAuseinandersetzung mit der Vergangenheit, denBedingungen des Ortes und der Zeit, und die Fragenach dem jeweiligen geistigen Auftrag als dieGrundlage jeglicher neuzeitlichen Architektur:»Verwendung der alten Form – bedeutet Nachah-mung; Verwendung der neuen Form ohne Kenntnisder Prinzipien der alten – bedeutet Dekadenz […]Nur dann ist das Neue neu, wenn das Alte bekannt:Erkenne das Alte – definiere das Neue […]« Seine»Anweisung des Architekturstudiums nach demProgramm der Neuen Akademie«68 beinhaltet dasErlernen der Methoden der besten Beispiele der Ar-chitekturdenkmäler hinsichtlich ihrer Komposition,ihrer Ausschmückung und der ihnen zugrunde liegenden Prinzipien, sowie das Einschätzen derÜbereinstimmung zwischen schöpferischer Intui -tion und geforderter Aufgabe. Seine Aussage:»Möge die Architektur der Jahrhunderte dir zeigen,was dein Anfang ist und mit dir blutsverwandt«,69

verstand sich als Aufforderung zur Verinnerlichungdes Kulturgutes.

Das Studium der Vergangenheit führte nachMel nikow vom Erkennen der Prinzipien über dieBeweisführung zur Übung, vom Erfassen derschöpferischen Leistung zur Anwendung. So kön-ne Form als Vereinigung von Methode und Intuiti-on zur Synthese werden. Auf Lehrmethoden legteer sich nicht fest, hielt aber die Intuition am Beginndes Entwurfsprozesses für außerordentlich wich-tig. Anlässlich der Pariser Ausstellung der Dekora-tiven Künste 192570 hob er in einem Interview dieBedeutsamkeit des schöpferischen Milieus einerGesellschaft hervor: »Die bolschewistische Revo-lution benötigte nicht nur Einrichtungen, sondernauch Geist – künstlerisches Milieu – die Regierungstand der Vergangenheit nicht feindlich gegenüber– im Gegenteil – das Erbe wurde erhalten von ge-samten zum kleinsten – es gibt kein anderes Landin dem die Museen so gehütet werden […] Ich binsicher, dass nirgends die sozialen Bedingungen so

66 Sie hatten zu berücksichtigen: 1. Grafische Darstellung der architektonischen Idee, 2. grafische Darstellung derKörper, 3. Schönheit des Ausdrucks, vermittelt in der Schönheit der Grafik, 4. Visualisierung der Ausdrucksfähig-keit in der architektonischen Darstellung. Demjanow 1983, S. 110.

67 Diesen wird er in westlichen Rezeptionen meist zugeordnet.68 Стригалева 1985, S. 91.69 Ebd. S. 92.70 Dort hatte er mit dem Pavillon der UdSSR großes Aufsehen und Begeisterung erregt.

Ausbildung in Europa – Entwerfen lehren und lernen

Abb. 20 Abstrakte Übungsbeispiele 1. Studienjahr, Erlernen formaler Gesetzmäßigkeiten der Gestalt -bildung, Darstellung von Ruhe und Bewegung durch Positionierung der Elemente, Verdeutlichung der »Beziehung zwischen den Massen«, Untersuchung derWirkung des Raumes durch unterschiedliche Wahrneh-mung von Massen. Übungsblatt (Die Pfeile zeigen dieKraftlinien) Golossow 1920

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positiv zur Erblühung der Kunst sind.«71 Mit die-ser Einstellung könne die Welt in neuem Licht er-scheinen.

»Lebendige Klassik« Die dritte der bis 1926 an der Architekturfakultätexistierenden Werkstätten nannte sich »Akademi-sche Abteilung«. Sie vertrat, in Übertragung auf diesozialistischen Bedingungen, die Kontinuität vor-revolutionärer Prinzipen, und war in vier Bereichegegliedert: Grafik, Erlernen der Architekturformen,Komposition und Entwerfen, sowie Stadtplanung.

Im 1. Studienjahr wurden Kompositionsgesetzeanhand des Studiums historischer Vorbilder ge-lehrt. Hierbei sollten Formelemente wie Wand,Öffnung, Stütze, Dach, Details und Baugestal-tungskanon analysiert sowie Proportionsgesetzeerlernt werden. Im 2. kamen Entwürfe hinzu undim 3. und 4 Studienjahr stand das Entwerfen ganzim Mittelpunkt. Iwan Scholtowski ging in seinerLehre zwar nicht so weit wie der Leningrader Ar-chitekt Iwan Fomin, der die »Rote Dorik« entwi-ckeln wollte, sah aber auch in den klassischen For-men die Ansprüche der neuen Epoche, die sich alsErbe der vorangegangenen Kulturen betrachtete,am würdigsten vertreten. Er suchte die Eigenge-setzlichkeit der Architekturform darzulegen undwarnte angesichts der neuen Entwicklungen davor,die Form mit der durch den Zweck bestimmtenEinheit von Funktion und Konstruktion gleichzu-setzen. Seiner Meinung nach müsse das künstleri-sche Talent, um harmonische Proportionen schaf-fen zu können, die historischen Vorbilder studie-ren. Dies hinderte ihn jedoch nicht, wahlweise mo-dern oder klassizistisch zu bauen.

Der freie Umgang mit der Tradition, dem Erbe,stand, wie schon erwähnt, keinesfalls im Wider-spruch zu der neuen Gesellschaft und ihren Aus-drucksformen. Es war auch für andere russisch-sowjetische Architekten typisch, je nach Aufga-benstellung den Stil zu interpretieren (Abb. 21).Da die Traditionalisten ihre Position durch dieAuslegung der auch von Lenin vertretenenmarxschen Theorie der notwendigen Aneignungder besten Beispiele bürgerlicher Kultur gestärktsahen und durch den konservativen Geschmackbreiter Bevölkerungsschichten bestätigt wurden,war eine direkte Identität von moderner Bauform

und fortschrittlicher Gesinnung nicht so selbstver-ständlich wie in Deutschland. In dieser Auffassunggalten nicht »Tradition« und »Fortschritt« sondern»Tradition« und »Neuerertum« als Dualität. Zu-dem wurde die Fassade angesichts der Aufwertungdes öffentlichen Raums durch die Revolution zurProjektionsfläche gesellschaftlicher Erinnerung.Der Vorwurf des »Rückwärtsgewandten« tangierteihre Vertreter keinesfalls, da sich die Baukunst mitden neuen Aufgabenstellungen des Sozialismusauf der Höhe der Zeit befand. Die Unbekümmert-heit des freien Umgangs mit »Stilen« deutet darü-ber hinaus auf die russische Tradition der nicht nurauf die Baukunst bezogenen Aneignung und Adap-tion, die sich in ihrer Geschichte schon häufig be-währt hatten.72 Insbesondere zur Bekräftigung dergesellschaftlich bedeutenden Rolle des Sozialis-mus konnten die traditionsfreien Baukörper mo-derner Auffassung nicht diese bildnerischen Wertevermitteln wie es die architektonische Inszenie-rung des »kollektiven Gedächtnisses« nach demGrundsatz »das Proletariat stürmte auf die Straße,und nun soll dieser Straßenraum gestaltet werden«vermochte.

71 Ebd. S. 97.72 Vgl. Kreis 2006.

Barbara Kreis · WCHUTEMAS in Moskau 1920–1930

Abb. 21 Druckereigebäude, Entwurf A. Kurowski 1926,Atelier Schtschussew »Akademische Werkstatt«

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… und die »funktionelle Methode« Ebenso typisch ist jedoch auch die Faszination undBegeisterung für die Technik und ihre ästhetischeÜberhöhung, die schon zu Beginn des 20. Jahrhun-derts zu phantastischen Visionen führte und nun-mehr in den konstruktivistischen Architekturent-würfen sich von der Industrialisierung inspirierenließ. Es erscheint bemerkenswert, dass die gesamtesowjetische Avantgardebewegung im Westen überden Konstruktivismus identifiziert wird, ihr denNamen verlieh und selbst bedeutende Architektenund Künstler, die sich unmissverständlich von ihmdistanzierten, als Konstruktivisten bezeichnet wer-den. Dies wird der spezifisch sowjetischen Situa -tion, wie wir sie anhand der Architekturausbildungverfolgen können, keinesfalls gerecht. Schon an-lässlich der ersten großen sowjetischen Kunstaus-stellung in Berlin 1922 kritisierten Lu nat schars kiund Schterenberg, dass bei der Auswahl der Expo-nate die re al is ti sche Sei te ein küm mer li ches Da seinfri ste, was ein verzerrtes Bild der tatsächlichenKunstszene wiedergebe, während von deutscherSeite bemerkt wurde, dass der Konstruktivismusein begeistertes Publikum anzog. Ebenso hieß eskurz darauf, er sei seines ursprünglichen Auftrags,der unmittelbaren Gestaltung der Wirklichkeit, be-raubt und zum Spekulationsobjekt des Kunsthan-dels degradiert.73 Ab Mitte der 1920er Jahre erhielter nach dem Motto »Die Technik entscheidet alles«eine Aufwertung als Methode zur Realisierung derPrinzipien des sozialistischen Bauens und erlangteauch in der Architekturlehre eine dominierende Po-sition. Nachdem die gesellschaftspolitische Inter-nationalität sich inzwischen schon als Wunsch-traum herausgestellt hatte, suchten Konstruktivis-ten noch eine »internationale Front neuzeitlicherArchitektur« durch die Vereinheitlichung des Bau-ens zu schaffen.74

Die ursprüngliche Losung der Aufbruchsphasedes Konstruktivismus: »das konstruktive Leben istdie Kunst der neuen Zeit«, die noch von der Mobi-lisierung aller Kräfte für die gesellschaft lichenAufgaben geprägt war, hatte inzwischen mehrereTransformationen durchlaufen: War eingegangenin die Produktion von Alltagsgegenständen, diedurch ihre zweckmäßige Gestaltung das Leben ak-tiv beeinflussen sollten, in Konstruktionen, die daszeitgemäße Verlangen nach Organisation und

73 Finkeldey 1995, S. 161.74 Гинзбург 1926, S. 60.

Ausbildung in Europa – Entwerfen lehren und lernen

Abb. 22 »Die funktionelle Methode«, Übertragung derRationalisierungsmechanismen der Industrie auf den Le-bensprozess, M. Ginsburg

Abb. 23 Konstruktivistische Polemik gegen traditionelleBauweise

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nützlichem Einsatz neuester Ma-terialien wie Glas, Stahl, Beton alsAusdruck der neuen Lebensweisevermitteln sollten, denn »jedes andere Material sei »sozialreak-tionär«75, und führte schließlichzur Ästhetisierung der modernenMaterialien und Konstruktionen(Abb. 23). Der Wettbewerbs -entwurf der Brüder Wesnin für dasVerlagshaus der Lenigrader Praw -da wurde gerühmt als »Kristallin einer übersättigten Lösung«(Abb. 3). Alexander Wesnin, derzum neuen Anziehungspunkt wur-de,76 fasste 1926 im Fach Zeich-nen für die Akademischen Abtei-lung der Architekturfakultät seine Zielsetzungenzusammen: Schulung der analytischen Fähigkei-ten zur Wahrnehmung der Form in Bezug auf Ma-terial, Faktur, Farbe, Masse, Gewicht, Struktur;Sensibilisierung für Maßstab, Proportion undRhythmus; kritische Auseinandersetzung mit demGegenstand um so die Wechselwirkung von Formund Konstruktion zu üben; Verdeutlichen funktio-neller und konstruktiver Eigenschaften mit Hilfevon Darstellungsmethoden.

1926 erhielt der Konstrukti vismus durch die un-ter Mossej Ginsburgs Leitung erarbeitete »Funk-tionelle Methode«77 eine auf optimierter Betriebs-abwicklung basierende objektivierbare Legitimie-rung. Sie orientierte sich an den Erfolgsmechanis-men des Taylorismus, Fordismus, den technischenErrungenschaften und bildete somit den Gegenpolzur »Psychoanalytischen Methode« der Rationa-listen.78 Ab 1926 integrierte er sie in seinen KursTheorie der Architekturkomposition. Die sozialis-tische Vorbildfunktion sah er in der Rigorosität derAnwendung industrieller kapitalistischer Prinzi-pien: »Die Architektur des Westens und Amerikaskommt aus den Methoden der Wissenschaft, Orga-nisation und Technik. Wenn diese schöpferischen

Methoden charakteristisch sind für den gegenwär-tigen bourgeoisen Westen und Amerika, so sollensie in unermesslichem Grade charakteristisch seinfür das Proletariat der UDSSR.«79 Die intellektu-elle Wahrnehmung habe nach Ginsburg die ge-fühlsmäßig kontemplative zu ersetzen und somitdürften auch im Entwerfen keine »arbeitsfrem-den« Elemente zugelassen werden; die räumlichenBehälter der Lebensorganisation sollten nichtmehr mit »Baukunst« verwechselt werden. We-sentliches Kriterium des sozialistischen Bauens er-gebe sich durch die Übertragung der Rationalisie-rungsprinzipien des kapitalistischen Arbeitspro-zesses am Fließband und der Betriebsorganisationdes Taylorismus auf den Alltagsprozess des Le-bens in der Wohnung (Abb. 22). Nach Grundsät-zen von Bewegungsabläufen und Funktionstren-nung sollte nach dem Erfolgs-Typ M der fordschenAutoproduktion ein »Sozialer Typus« der Woh-nung »Typ-F« optimiert werden, der für alle gleichsei, »ob in Samarkand oder in Moskau«.80

Inspiriert von den groß angelegten Kollektivie-rungskampagnen in der Landwirtschaft, die dieUmwälzung zum Sozialismus beschleunigen sollten, entstanden an den WCHUTEMAS nicht

75 Selinskij 1923, S. 7.76 Er unterrichtete auch Malerei und Freihandzeichen in der Akademischen Abteilung.77 Er lehrte seit 1922 an den WCHUTEMAS. In seiner Theorie der Komposition, die er durch praktische Übungen er-

gänzte, sind drei Bereiche enthalten, die Psychologie des Schaffensprozesses des Baukünstlers, das Wesen und dieMittel der Baukunst.

78 Über »Funktionelle Methode« wurde ausführlich in dem Organ der Konstruktivisten Современная архитектура(Neuzeitliche Architektur) berichtet.

79 Vgl. Kreis 2003.80 Vgl. B. Kreis 1985, S. 75 ff.

Barbara Kreis · WCHUTEMAS in Moskau 1920–1930

Abb. 24 Zentralbahnhof in Moskau, Diplomarbeit, A. Burow 1925, Atelier Wesnin

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minder rigorose Studien zur Kollektivierung undGleichschaltung des Lebens in Kommunehäusern.Studenten plan ten die Auflösung der Familie in rie-sigen nach Tätigkeiten und Nutzergruppen geglie-derten Gebäudekomplexen.81 Fasziniert von denneuen sich eröffnenden Möglichkeiten, befreit vonRaumstudien und historischen Analysen, konzipier-ten sie hoch technisierte, voll klimatisierte Kommu-nehäuser, Stadtkomplexe, Fliegende Städte, Raum-stationen, gläserne Institute. Ohne Rücksicht aufklimatische Besonderheiten oder technische undkonstruktive Möglichkeiten, entstanden brillantePrismen und Körper, Glas- und Stahlkompositio-nen, die mehr Faszination und intuitives Empfindenwiderzuspiegeln scheinen, als reine wissenschaft-lich-technische Analyse der Lebens- und Bauorga-

nisation, geschweige denn konstruktiv praktischeKenntnisse. Mit konzeptioneller Radikalität wiez. B. dem Anspruch, die »Möglichkeit der Bautech-nik philosophisch zu erfassen« (Abb. 25), und zu-gleich räumlich-gestalterischer Sensibilität überflü-gelten sie ihre westeuropäischen Kommili tonen.Hier kam eindeutig der Einfluss der »psychoanalyti-schen« Methode zum Durchbruch und weniger die»funktionelle« Herangehensweise.

»… hemmungslose Reißbrettphantasien kleiner Corbusiers«

Noch bevor die Parteidiktatur alle Lebensbereicheunter ihre Kontrolle nahm und Diskussionen sicherübrigten, entzündete sich ein heftiger Disput, der,auch aufgegriffen in zahlreichen Karikaturen undKurzgeschichten82, sich über die realitätsfremden,die Bedürfnisse der Nutzer außer acht lassenden,Entwürfe erzürnte. Das lebhafte Interesse an Aus-stellungen, Bildungszirkeln und Konferenzen be-stätigt die Anteilnahme der russischen Bevölkerungan Architektur und öffentlichen Angelegenheiten.Die Prawda spottete über unkritische Übernahmewestlicher Vorstellungen, die »hemmungslosenReißbrettphantasien kleiner Corbusiers,« die aufgeduldigem Papier aus Zeitschriften dreier Konti-nente allzu lange die Namen sozialistischer Städteusurpieren und kompromittieren durften.83 DasVolk strebe danach, sein Leben zu verschönern,während Architekten die Kunst entthronten, von ih-rem metaphysischen Element befreiten und durchZweckmäßigkeit ersetzten. Die Architektur spieleals sozialste aller Künste eine zentrale Rolle. DerKünstler und insbesondere der Architekt müsseVerständnis für die Bedürfnisse des Proletariatsentwickeln, um diese befriedigen zu können. Stattkleinbürgerliche Bedürfnisse zu negieren, sei dasemotionale Potential der Kunst erzieherisch zurHebung des Kulturniveaus einzusetzen,84 und dieBedürfnisse gerade jener Menschen seien zu res-pektieren, die unter den Bedingungen der Industria-lisierung arbeiten, anstelle die Prinzipien des Ma-schinenbaus zu jenen der Kunst zu erheben und die

81 Die heftigen Diskussionen über die Besiedlung des Landes zwischen Urbanisten und Desurbanisten seien hier nurerwähnt.

82 Vgl. von Ilja Ehrenburg, Die Bierhalle zur Roten Rast, in: Deumlich 1974, S. 110.83 Die fünf Gestaltungsprinzipen Le Corbuiers wurden zur Grundlage vieler Entwürfe. Ginsburg übernahm sie für den

Versuchsbau eines Übergangs-Kommunehauses, während Corbusiers Konzept der Ville d’Habitation nicht zu über-sehende Anregungen dieser Kommunehausideen beinhaltet.

84 Diskussion auf der Konferenz über »Kunst in der UdSSR und Aufgaben der Künstler«, in: Академия 1928.

Ausbildung in Europa – Entwerfen lehren und lernen

Abb. 25 Lenininstitut, Diplomarbeit, I. Leonidow, 1927,Atelier Wesnin

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Architektur auf ihren utilitären Charakterzu beschränken.85 Wie erwähnt, erlebteauch unter den Studenten die Antike eineWiedergeburt.

Von Seiten der neu gegründeten»Allunions vereinigung proletarischer Ar-chitekten« WOPRA traf sowohl die Kon-struktivisten, Rationalisten, »Eklektiker«der Vorwurf, sich nicht für die Klassenin-teressen des Proletariats einzusetzen. DieProjekte Ende der 1920er Jahre zeigtenzwar den großen Dialog mit der Baukunstdes Westens, die unter dem unmittelbarenEinfluss des europäischen Kapitalismusstünde, vernachlässigten jedoch den so-zialer Auftrag, der das Bauen im Interesseder Werktätigen beinhalte. Der Architektmüsse alle Faktoren, die auf deren Leben Einflussnehmen, in Zusammenarbeit mit unterschiedlichenSpezialisten studieren, um danach psychologisch-geistige und physikalisch-materielle Faktoren aus-zuwählen und architektonisch zu gestalten, so derArchitekt und Stadtplaner Michail Krjukow. Tech-nik betrachtete er im Bauen nicht mehr und nichtweniger als ein Teil der Lebens hilfe.86

Die Schließung der WCHUTEMAS bedeutete dasEnde des zehnjährigen Diskurses und gegenseitigerInspiration. Jede Disziplin hatte nun, dem Wirt-schaftsministerium unterstehend, ihre Aufgaben fürden Aufbau des Sozialismus zu erfüllen. DieKämpfe und Konkurrenzen um eine der neuen Ge-sellschaft angemessene Auffassung der Architek-turlehre, die Auseinandersetzungen und Macht-kämpfe einzelner Strömungen wurden zunehmendersetzt durch die allgemeinverbindliche politischePositionsbestimmung von Kunst und Ausbildung,in der der Interpretationsspielraum immer geringerwurde und sich künftig uneingeschränkt den Partei-vorgaben unterzuordnen hatte. Nowizki benannteden Verlust: »Wir verausgaben das Kapital, das seitder Revolution angehäuft wurde, durch die Zer -störung der Kunstschulen.«87 Die Zeit der Expe -rimente und Diskussionen musste der Zeit der Rea-lisierung weichen, die jedoch angesichts der bevor-

stehenden Großprojekte und des Vertrauens aufeine bessere Zukunft nicht minder euphorisch be-grüßt wurde.

Bauhaus und WCHUTEMAS Schlussbemerkung»Ein neuer Weg öffnet sich in die überraschungs-volle Zukunft, während deutsche Künstlerräteziemlich hilflos herumtappen, haben Russlandsjunge Künstler ihren entschlossen beschritten«,88

äußerten sich deutsche Kollegen. Aus der vorrevo-lutionären Aufbruchstimmung und den visionärenAuseinandersetzungen war realer Existenzkampfund Verantwortung für die noch unbekannte Ge-sellschaftsform geworden, die zum Handeln he-rausforderte. Schon 1918 ging der erste Aufruf be-merkenswerterweise nach Berlin an den von denrussischen Sowjets (Räten) inspirierten »Arbeitsratfür Kunst«: »Die russischen Künstler wenden sichzuerst an ihre nächsten Nachbarn, ihre deutschenKollegen, und fordern sie zu Beratung und Aus-tausch auf.«89 Ihr kunst po li ti sches Pro gramm fan dgro ßen Wider hall, unter Vorsitz von Walter Gropiusfolgte die Stellungnahme, deren gefühlvoll patheti-sche Sprache die Stimmung der Aufbruchszeit wie-dergibt. Sie versprach, die Kluft, die die Macht po li -tik zwi schen den Vö lkern auf ge ris sen habe, schlie -ßen zu hel fen, um »das gro ße Werk der Lie be […],

85 Vgl. Борьба 1928, S. 73 f.86 Крюков 1930, S. 22.87 Maza 1930, in: Gaßner/Gillen 1979, S. 169.88 Schädlich 1921, S. 130.89 Neue Blätter für Kunst und Dichtung, zit nach: Schädlich 1991, S. 130.

Barbara Kreis · WCHUTEMAS in Moskau 1920–1930

Abb. 26 Kurhotel, Entwurf, N. Sokolow, 1928, Atelier Wesnin

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das nach den Ta gen des hässli chen Has ses Eu ro pawie der zur Schön heit füh ren sol le«, aufzubauen.90

Nachdem sich in Deutschland die gesellschaftlich-politische Einflussnahme nicht in gewünschterForm umsetzen ließ, strebte Walter Gropius91 inRichtung einer kleinen »radikalen Minorität«, dieohne Zugeständnisse aktiv ihre Ziele verfolgensollte.92

Wenig später folgte die Gründung des Bauhau-ses. Gropius’ Empfehlung an die russischen Kolle-gen über den »Zusammenschluss aller Künste un-ter den Flügeln einer großen Baukunst«93 entsprachganz der bereits existierenden sowjetischen Praxis.Zahlreiche architektonische »Credos«, die denDeutschen nicht bekannt waren, bekräftigen ihrenAnspruch auf Allgemeingültigkeit und leiteten da-raus Konzepte für die Lehre im Sozialismus ab.

Während die »Bauhäusler« zu Protagonisten derModerne wurden, und sich in bewusster Abgren-zung gegenüber den großen Volksströmungen wie»Kunst für alle« definierten, schloss der sowjeti-sche Bildungsauftrag traditionsorientierte Strö-mungen ein, die allerdings in Deutschland wenigBeachtung fanden, wie die sowjetische Seite schon1922 in Berlin bemängelte. Darauf anspielend äu-ßerte sich Ilja Ehrenburg, der im Bauhaus »die ein-

zige lebendige Kunstschule Deutsch-lands« sah, die ein wenig an die MoskauerWCHUTEMAS erinnere, »nur etwasstrenger, sachlicher und fader viel-leicht«.94 Er selbst liebe einfach die totge-sagte Kunst, worauf er ein Anrecht habe,bemerkte er stellvertretend für viele. Zwarsei es nicht falsch, dass man das Gefühlmit dem Lineal kontrollieren solle, aberdie »Linken haben mit dem Lineal das Ge-fühl verprügelt«. Er warnte vor dem Ver-lust der Inspiration, die die in Deutschlandso beliebten Konstruktivisten zu verachtenschienen.95

Ganz in diesem Sinne drückten Bau-haus-Kommilitonen angesichts einer Aus -

stellung am WCHUTEIN 1927 ihre Verbundenheitund Solidarität aus, entrüsteten sich jedoch an dennoch vorhandenen »Abfällen einer bürgerlichenVergangenheit«, denn »Euer Aufbau braucht Spie-ler der konstruktionsbedingten Form […] Alte ge-wohnte Prinzipien dürfen euch nicht beeinflussen[…]«96, so ihre Belehrung. Aber selbst am Bauhaussoll es »Sündige« gegeben haben, die sich in ihrenFreistunden insgeheim mit Malerei befassten, undnach der Ausarbeitung von Entwürfen für Garagen,»Stühlen aus Metall« sich offenkundig sinnlosenBeschäftigungen hingaben, »sie malen Portraitsund Landschaften«97 (Abb. 27).

Wohl als Diskussionsgrundlage wurde HannesMeyers Artikel »die neue welt« versehen mit einerReihe dicker Fragezeichen in der Zeitschrift derKonstruktivisten abgedruckt. Hier beschwor er denSieg des Stadions über das Kunstmuseum als hoheSchule des Kollektivgefühls und die Sprengungdes Stadtkerns durch Ford und Rolls-Royce imZeichen des Fortschritts. Und während der Direk-tor des Bauhauses glaubte, in der Negation derTradition und Ästhetik in der »rücksichtslosenVerleugnung der Vergangenheit«, die »neue welt«des marxistischen Bauens zu erblicken98, beriefensich sowjetische Architekturtheoretiker auf die

90 Aufruf 1919, in: Arbeitsrat 1918, S. 112. 91 Er hatte die Leitung von Bruno Taut übernommen und wollte weg von dessen großen kulturpolitischen An sprüchen.92 Walter Gropius zit. in: Arbeitsrat 1918-1921, S. 106.93 Zit. in: Schädlich 1991, S. 132.94 Vgl. Ehrenburg 1983, S. 67.95 Ebd. S. 69.96 Scheper 1930, S. 163. 97 Ehrenburg 1983, S. 97.98 Vgl. Майер 1928.

Ausbildung in Europa – Entwerfen lehren und lernen

Abb. 27 »Sündige« Staffeleimaler der WCHUTEMAS bei der Arbeit

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Notwendigkeit der bewussten Aneignung bürger -licher Kultur im Sinne des Sozialismus. Die Ideo-logisierung moderner Bauformen erfolgte in Sow-jetrussland keinesfalls mit derselben Ausschließ -lichkeit wie in Deutschland, dies verdeutlichen dieAuseinandersetzungen an den WCHUTEMAS,noch bevor die stalinistische Diktatur die Definiti-onsmacht über die Ausdrucksformen der Baukunstan sich zog.

Mitten in der Verteidigung ihrer Konzepte ste-hend, realisierten die sowjetischen Künstler offen-bar nicht, wie viel sie voneinander profitierten undwie notwendig für die eigene Profilierung die Prä-senz der Gegenposition war. Rationalismus, Tradi-tionalismus und Konstruktivismus, die drei Säulender Architekturlehre, benötigten sich gegenseitigals Herausforderung und Reibungsflächen. Für dieAkademiker war es nicht nachvollziehbar auf Ele-mente der Ausschmückung, Skulpturen, Fresken,Säulen verzichten zu müssen, da diese dem öffent-lichen Raum den feierlichen Rahmen und kollekti-ve Identität verleihen sollten. Das Eingehen auf dieSehnsüchte und Schönheitsideale der Bevölkerungkonnten sie als sozialen Auftrag betrachten. DieKonstruktivisten kämpften gegen den überholten,aufgesetzten, bürgerlichen Ballast, der in einer vontechnischem Fortschritt und Materialismus be-stimmten Welt keine Berechtigung mehr habensollte, orientierten ihren Auftrag am utilitären Nut-zen der Massenproduktion und der gestalterischenDemonstration dieses Fortschritts mittels moder-nen Konstruktionen und Materialien. Die Rationa-listen wiederum stellten die psychologische Wir-kung des Raumes über seine kurzlebige funktio-nelle Bestimmung und ideologische Festschrei-bung.

Wie sehr die nach »Funktioneller Methode«entworfenen konstruktivistischen Gebäude vomGrundkurs »Raum« der Rationalisten beeinflusstwaren, zeigt sich an ihren selbstverständlichenräumlichen Durchdringungen. Auch ihre zeichen-haft, geometrische Großformen und Kompositio-nen sind weit entfernt von späteren banal-funktio-nalistischen Lösungen, in denen Bewegungs -diagramme lediglich schematisch in die Drei -dimensionalität übertragen wurden – eben dochBaukunst und nicht nur Bauorganisation darstel-lend. Ebenso sieht man den »rationalistischen«Entwürfen die Faszination an den modernen Ma-terialien und Konstruktionen an, denen sich auch

die Akademiker keineswegs verschlossen. Vondiesen scheint das sichere Proportionsgefühl vie-ler Avantgardekünstler seine Schulung erfahren zuhaben.

Die Kreativität, die sich an den WCHUTEMASentfalten konnte, war insofern nicht durch die Ein-heitlichkeit, sondern die offenen und verdecktenKämpfe und Konkurrenzen herausgefordert. Sie er-hielt von der politisch noch nicht stabilisierten LageAuftrieb, da ihre gesellschaftliche Pflicht noch nichtauf ein eingleisiges Programm festgeschrieben war.So standen kontroverse Auffassungen nebenein -

Barbara Kreis · WCHUTEMAS in Moskau 1920–1930

Abb. 28 Verdeut lichung vonDynamik, Rhyth-mus, Wechselbezie-hungen von Pro-portionen im Raum(vertikal): Abstrak-te Entwurfsübung,1924-25 Glus -tscherenko?

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99 Inspiriert durch die damaligen Auseinandersetzungen, verfasste ich als didaktisches Konzept ein »Architektur thea-ter Russische Avantgarde«, in welchem, von Studenten gebaut und aufgeführt, raumhohe Modelle um die wahreAr-chitektur streiten.

100 Reichskunstwart Edwin Redslob, Eröffnungsrede, Zit. in: Ebd., S. 137.

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ander, ergänzten, beflügelten und verdrängtensich.99 Während wissenschaftlich verifizierbareAusdrucksformen zur politischen Legitimierunggesucht und manifestiert werden sollten und um das»Entweder-Oder« gefochten wurde, profitiertenLehre und Praxis von der Lebendigkeit des »So-wohl-als-auch«, die zur Profilierung herausforderte.Dabei sahen sich alle Strömungen ihrem gesell-schaftlichen Auftrag verpflicht. Die einen nutztentiefenpsychologische Erkenntnisse, suchten un -bewusste Wirkungsmächte der Architektur zu er-gründen, um sie im Entwurfsprozess praktisch um-zusetzen und erwiesen sich dabei als Pioniere einerneuen Architekturlehre. Diesem wahrnehmungs-theoretischen Ansatz stand als Gegenpol die Faszi-nation am technischen Fortschritt gegenüber. Dieaus dem Erfolgsmodell moderner Produktions- undBetriebsorganisation abgeleitete »Funktionelle Me-thode« sollte als Instrument der Massenproduktionsoziale Dienste leisten und lenkte zugleich die kapi-talistischen Blicke des Westens auf sich. Dagegensahen die Akademiker im Bezug auf historischeVorbilder kollektive Erfahrungswerte, die es zu inte-grieren und im Sinne gesellschaftlicher Neuinter-pretation zur Aufwertung des öffentlichen Raumsweiterzuentwickeln galt.

Die Koexistenz der so verschiedenen Architektur-auffassungen und ihre bewusste oder unbewussteÜberlagerung hatte zur fruchtbarsten Zeit derWCHUTEMAS geführt.

Zuvor wurde sie als gesellschaftspolitische Vi sionanlässlich der Eröffnung der russischen Ausstellung1922 auch von deutscher Seite verkündet: »DennAus tausch, ge gen sei ti ges Ein drin gen in die Ei gen -art und fre u di ge An er ken nung des An dern: das sinddie Grund la gen des Eu ro pa der Gei ster, um das wirrin gen.«100 Diese Haltung widersprach nicht nur je-nen im Rahmen politischer Machtinteressen wenigspäter sich durchsetzenden Positionen, sondernauch kulturellen, insbesondere auch architektoni-sche Tendenzen des Zeitgeistes, denen es wenigerum »freudige Anerkennung« als um Positions-kämpfe zur Demonstration und Durchsetzung eige-ner Überlegenheit ging.

Die Entwurfsleistungen der Stundenten suchenbis heute ihres gleichen und dienten späteren Archi-

tekten nicht selten als Kopiervorlagen und Inspira-tion. Erscheint es nicht paradox, dass Visionen, dieihre Entstehung der sozialistischen Aufbruchsstim-mung zu verdanken hatten, später im Kapitalismusfür exklusive Bauprojekte zum Vorbild wurden?Das für die heutige Lehre bedeutsame Inspirations-potential dieser wenigen Jahre lässt sich jedochnicht auf originelle Mustervorlagen reduzieren. Esliegt eher im konsequenten, vielschichtigen Bezugauf die Fragen der Zeit, aus denen durch Infrage-stellung alter Denkmuster neue Definitionen desEntwerfens abgeleitet wurden, die neben derNeuinterpretation des Raums, die komplexe Be-deutung von Material und Konstruktion wie auchder Tradition einbezogen.

Wodurch das außergewöhnliche kreative Poten-tial dieser jungen Menschen freigesetzt wurde, lässtsich nur vermuten. Vielleicht war es der schon lan-ge zuvor sich ankündigende Wille zur Erneuerung,die nun die Jugend nicht nur als Hoffnungsträgerder neuen Gesellschaft verstand, sondern ihr auchVerantwortung und Kompetenz zusprach und zu-gleich der Freude an Experiment und grenzüber-schreitenden Ideen ein Forum bot.

Angesichts der heute vielfach beschworenenKrise des Architektenberufes steht gerade die Leh-re vor einer nicht minder großen und spannendenAufgaben wie damals, in der es wieder um Verab-schiedung überholter Vorstellungen geht und die„Ressource Kreativität“ aufs neue herausgefordertund aufgewertet werden muss.

Die immer noch gängige Reduzierung des Ent-werfens auf das Produzieren von gebauten Objek-ten und das davon abgeleitete Selbstverständnisdes Architekten erfordert wieder eine Anpassungan heutige Bedingungen, in der Technik, Natur,Tradition auf den unterschiedlichen Ebenen ihrerAnwendungs- und Verwertbarkeit „Lebenshilfen“bieten, und Architektur als Teil eines kulturellenProzess verstanden wird, in welchem die Lebens-welt mit ihren räumlichen Überlagerungen, Verän-derungen und Abhängigkeiten einbezogen ist;sie erfordert Entwurfskonzepte, die sich im kultu-rellen, ökologischen, sozialen Kontext bewähren, Position beziehen, oder auch zum Handeln heraus-fordern.

Ausbildung in Europa – Entwerfen lehren und lernen

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