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40HADITHE

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40HADITHE

Übersetzungund

Kommentar

Herausgegeben von

Ali Budak – Korkut Altay

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© 2012 by Fontäne Verlag

1. Auflage

Es ist nicht gestattet, Teile dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern

oder in PCs/Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Vorlagen

zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Erschienen im Fontäne-Verlag

Übersetzung: Wilhelm Willeke

Lektor: Muhammet Mertek

Herausgegeben von: Ali Budak – Korkut Altay

Layout: İbrahim Akdağ

Korrespondenz:

Sprendlinger Land Str. 181

63069 Offenbach am Main

+ 49 69 788 06 58 18

www.fontaene-verlag.de

ISBN: 978-3-935521-??-?

Druck: Caglayan A.S.

Izmir - Türkei

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INHALT

Vorwort ........................................................................................................................vii

1. In Gegenwart anderer Menschen mit Gott sein ..................................................... 1

2. Gottes Freude über die Reue des Menschen............................................................ 5

3. Die Barmherzigkeit des Barmherzigen Einen ........................................................ 11

4. Der Mensch ist ein Reisender,und die Welt ist sein Schatten ............................. 13

5. Wie lässt sich Übel überwinden? ........................................................................... 16

6. Träume ................................................................................................................... 21

7. Übergewicht, zu viel Schlaf, Faulheit und mangelnde Gewissheit im Glauben ......25

8. Ein Gebet um Schutz vor Unglück ........................................................................ 29

9. Der Wert familiärer Beziehungen ......................................................................... 33

10. Die drei Dinge, die verboten (haram) sind,und die drei Dinge, die verpönt (makruh) sind ...................................................................................... 36

11. Gründliches Nachdenken und Anbetung ............................................................. 39

12. Wohlverhalten ....................................................................................................... 42

13. Wissen und Dienst an Gott ................................................................................... 46

14. Mitgefühl: Ein Pfad zu Wissensvermittlung und Rechtleitung ............................. 49

15. Ehrlichkeit und Unehrlichkeit .............................................................................. 52

16. Für immer mit unseren Lieben vereint .................................................................. 55

17. Frömmigkeit und Wohlverhalten .......................................................................... 58

18. Gesellschaft und Verwaltung ................................................................................. 62

19. Taten sind nach den Absichten zu beurteilen, die ihnen zugrunde liegen ........... 65

20. Der ideale Muslim, und das Unheil, was von Zunge und Hand ausgeht .............. 70

21. Die Beschäftigung mit unnützen Dingen .............................................................. 74

22. Geduldig sein ......................................................................................................... 78

23. Die Hand, die gibt, ist besser als die Hand, die nimmt ......................................... 82

24. Drei Kategorien von Menschen, die nicht auf die Gnade Gottes hoffen dürfen .....86

25. Die Zunge zügeln und dieKeuschheit bewahren ................................................... 92

26. Handlungen, die Sünden tilgen und den Gläubigen auf eine höhere Rangstufe erheben ................................................................................................. 96

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27. Überraschungen, die im Paradies auf die rechtschaffenen Diener Gottes warten .....104

28. Das Paradies ist von Beschwerlichkeiten umgeben, die Hölle von Gelüsten ..... 107

29. Drei Verpflichtungen: gegenüber Gott, gegenüber dem Staat und gegenüber dem Glauben ............................................................................... 110

30. Menschen sind wie Metalle ................................................................................. 113

31. Unterdrückung wird nicht ungesühnt bleiben .................................................... 115

32. Sieben Gruppen von Menschen, die Gott in Seinen Schatten nehmen wird .......117

33. Ein Gläubiger ist ein Mensch mit Verantwortung .............................................. 120

34. Ihsan bedeutet, Gott so anzubeten, als sähe man Ihn direkt vor sich ................. 123

35. Im Einklang mit dem Koran ................................................................................ 125

36. Die Frau ist die eine Hälfte eines Ganzen ........................................................... 128

37. Die Bedeutung der Segenswünsche für den Propheten ....................................... 132

38. Das Zeitalter der Unwissenheit - Wohltätigkeit und gute Taten ....................... 135

39. Zwei Sicherheiten und zwei Ängste .................................................................... 139

40. Lob und Komplimente ......................................................................................... 142

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A‘udhu bi‘izzatillahi wa qudratihi min scharri ma adschidu wa ’uhadhiru(Ich suche Zuflucht bei Gott und Seiner Macht vor dem Unheil,

das mich peinigt und vor dem ich mich fürchte)

VORWORT

Nach dem Koran sind die Hadithsammlungen die zweitwichtigs-te maßgebliche Quelle der islamischen Gelehrsamkeit. Dieses gewaltige Korpus umfasst die Worte und Taten des Propheten

Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm. Um seine Aussprü-che nicht zu verfälschen, entwickelten die Gelehrten eine höchst akkura-te einzigartige Authentifizierungsmethodik, die auf vertrauenswürdigen Überlieferer-Ketten basierte. Bevor ein Hadith als authentisch anerkannt wurde, wurde er eingehend auf Korrektheit geprüft. Die Hadithsammlun-gen haben bei der Ausarbeitung des islamischen Rechts und bei der Aus-prägung der islamischen Ethik zweifellos eine wichtige Rolle gespielt.

Der vorliegende Band folgt einer Tradition, die auf die Anregung des Propheten selbst zurückgeht. Er ermunterte seine Anhänger, sich jeweils 40 von seinen Aussprüchen auszusuchen und sich darauf zu konzentrie-ren. Deshalb möchten wir Ihnen in diesem Buch 40 ausgewählte Hadithe vorstellen. Jedem dieser Hadithe ist ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem zunächst der arabische Originaltext und die deutsche Übersetzung präsen-tiert werden, gefolgt von einer inhaltlichen Analyse.

Eine Übersetzung kann nie mehr als ein Leitfaden oder eine Richt-schnur sein. Sie mag uns dabei helfen, die Essenz des zugrunde liegenden Originaltextes herauszuarbeiten, doch ist sie nicht mit dem Original iden-tisch. Wer glaubt, in einer Übersetzung sämtliche Bedeutungen des Ko-rans aufspüren zu können, hat etwas ganz Wesentliches missverstanden und unterliegt einer Illusion; denn das wahre Wunder des Korans liegt in seiner ursprünglich offenbarten makellosen Form. Mit jeder Übersetzung büßen die Originaloffenbarungen und -texte des Korans zwangsläufig an Spiritualität ein, was auch auf den Hadith1 zutrifft. Nicht selten geht die Spiritualität bei der Übersetzung auch ganz verloren.

1 Neben den Aussprüchen und Handlungen des Propheten Muhammad, Friede und Se-gen seien mit ihm, beinhaltet der Hadith auch Fälle, in denen der Prophet bestimmte Sachverhalte durch stillschweigende Zustimmung gutheißt.

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Diese Zusammenstellung von 40 Hadithen ist lediglich ein Tropfen aus dem Ozean des Wissens des erhabenen Propheten Muhammad, ein Lichtstrahl aus der Realität und Spiritualität seiner Worte. Bei der Heraus-arbeitung der Bedeutung der einzelnen Hadithe haben wir uns so eng wie möglich am Originaltext orientiert und dabei auch den jeweiligen Kontext mitberücksichtigt. Die Bedeutungstiefen, die die weisen Worte des Pro-pheten kennzeichnen, gehen weit über unseren Horizont hinaus. Deshalb haben wir uns nicht allein auf unsere eigenen unabhängigen Standpunkte verlassen, sondern auch Experten auf dem Gebiet des Hadith zu Rate ge-zogen. Dennoch muss wohl kaum erwähnt werden, dass wir mit unseren Interpretationen nur an der Oberfläche jener Bedeutungen kratzen, die in den Aussprüchen des Propheten verborgen liegen.

Wir hoffen darauf, dass unser Leben vom Geist dieser Lichtquelle inspi-riert wird, dass uns Herz und Verstand aufblühen und dass wir diese Inspi-ration an andere Menschen weitergeben können. Mögen unsere Bemühun-gen, die wir auf diesem Wege unternehmen, und unsere Gebete, die wir am Hofe der Barmherzigkeit Gottes vortragen, angenommen und belohnt wer-den. Für alle Unzulänglichkeiten, die sich möglicherweise in unsere Arbeit eingeschlichen haben, bitten wir unseren Schöpfer um Vergebung.

HINWEIS: Die Übersetzungen der einzelnen Hadithe und ein Teil der Erläuterungen dazu sind verschiedenen Büchern von M. Fethullah Gülen entnommen.

ÜBER DIE HERAUSGEBER: Ali Budak hat im Fach Hadithwissenschaf-ten promoviert. Er arbeitet als Lektor für Işık Yayınları, ein führendes Verlagshaus in der Türkei, und ist ein gefragter Redner und Autor zur islamischen Hadithtradition. Er hat bereits fünf Bücher geschrieben, ei-nes davon ist auch ins Deutsche übersetzt: Fasten im Islam. Korkut Altay ist Lektor im Tughra Books-Verlag und hat bereits mehrere Bücher ins Englische übersetzt, zum Beispiel: Topkapı Palace: Milestones in Ottoman History, The Museum of Turkish and Islamic Arts.

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IN GEGENWART ANDERER MENSCHEN MIT GOTT SEIN

Der Gläubige, der sich unter die Menschen mischt und die Probleme, die sie ihm bereiten, geduldig erträgt, wird reicher

belohnt als der, der dies nicht tut.

(Ibn Madscha, Fitan, 23; Tirmidhi, Qiyama, 55)

Diese Welt hat unterschiedliche Gesichter, eines davon ist ihr ver-gängliches materielles oder ‚weltliches‘ Antlitz. Es täuscht und betrügt uns, indem es uns große Versprechungen macht, für

deren Einlösung wir jedoch teuer bezahlen müssen. Dieses vergängliche Antlitz dieser Welt begehren und verehren all diejenigen, die nichts an-deres als ihr Leben hier auf Erden im Sinn haben. Von einem gläubigen Menschen hingegen wird erwartet, dass er genau weiß, welche Fratze sich hinter der Maske verbirgt; dessen sollten wir uns stets bewusst sein.

Unsere Aufgabe besteht darin, ein Gespür dafür zu entwickeln, dass sich Diesseits und Jenseits die Waage halten. Wir sollten immer daran den-

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ken, dass die Welt vergänglich ist, während das Jenseits ewig währt. Der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, hat dieser Welt zwar nie den Rücken gekehrt, aber selbst inmitten der größten Men-schenmenge war er in Gedanken bei seinem Schöpfer.

Dies lässt sich obigem Hadith entnehmen. Er besagt außerdem, dass wir auf unsere Mitmenschen zugehen sollen, damit Flüsse des Friedens fließen können, wo einst unredliche Worte und Taten regierten; dass wir uns ein Beispiel an spirituellen Meistern nehmen sollen, die geduldig mit ihren Schülern sind, wenn diese in spirituellen Nöten stecken, und große Opferbereitschaft an den Tag legen.

Wenn wir uns auf unsere Spiritualität besinnen, finden wir Zugang zu wahrer Weisheit und Frömmigkeit und werden mit Liebe und Nähe zum Schöpfer belohnt. Dann wird sich dieser Weg der Rechtleitung auch in unserer Lebensweise manifestieren, und unser vorrangiges Ziel in der Welt wird sein, die erhabenen Realitäten des Glaubens zu übermitteln und zu repräsentieren und mit großer Hingabe zu leben - ganz nach dem Vor-bild des Propheten, der auf seiner Himmelsreise den Freuden des Paradie-ses widerstand, um zu seinem Volk zurückzukehren.

Wer sich der Flüchtigkeit der Reize dieses Lebens wirklich bewusst ist, wird sich von der Vergänglichkeit und den negativen Aspekten der Welt weder betören noch fesseln lassen. Er wird sich in seiner Gesell-schaft engagieren, den spirituellen Kontakt zu seinem Schöpfer aber nie abreißen lassen.

Auch der Prophet ließ sich von dem, was ihm die Welt zu bieten hatte, nicht blenden. Als er aus dem Leben schied, besaß er nicht mehr als bei sei-ner Geburt. Damals hatte man ihn in ein Tuch gewickelt und in eine Krip-pe gelegt, und in ein Tuch gehüllt verließ er diese Welt nun wieder.

Sein ganzes Leben lang bemühte sich der Prophet darum, Diesseits und Jenseits im Gleichgewicht zu halten und den Menschen und Kulturen Glauben, Spiritualität und universelle Prinzipien zu vermitteln, ohne dabei irgendwelche Abstriche an seinen Lehren zu machen. Die Annehmlichkei-ten der Welt vermochten ihn nicht zu umgarnen. Er fand inneren Frieden und Zuversicht, weil er seine Seele und alles, was er hatte, Gott anvertrau-te. Als er starb, hatte er sein ganzes Leben dem Wohl der Menschheit und dem Wohlgefallen seines Schöpfers gewidmet.

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Bei einem Besuch im Haus des Propheten fiel Umar ibn Khattab2 ein-mal auf, dass der Prophet auf einer Strohmatte zu schlafen pflegte. Da begann er voller Mitgefühl zu weinen. Als der Prophet ihn fragte, was denn los sei, antwortete Umar: „Caesar und Chosroes führen ein Leben in Luxus, du aber bist der Gesandte Gottes, und du lebst in einem solchen Elend.“ Da erklärte ihm der Prophet in einer Art und Weise, die für immer in den Köpfen und Herzen der Gläubigen haften bleiben wird: Stimmst du mir nicht zu, dass der Prunk dieser Welt ihnen, der der nächsten Welt aber uns gehören soll?

Der Prophet ignorierte die Schönheiten der Welt keineswegs. Er wuss-te genau, welche Weisheit sich hinter der Schöpfung im Universum ver-birgt, und er wurde nicht müde, seine Mitmenschen darauf aufmerksam zu machen. Anhand der islamischen Lehren und mit Unterstützung sei-ner Gefährten öffnete er der ganzen Welt die Augen für diese offenkun-digen Schönheiten und Realitäten des Lebens. Wenn wir uns anschauen, welche Leistungen er in den nur 23 Jahren seines Wirkens vollbracht hat, dürfen wir getrost behaupten, dass seine Botschaft und sein Handeln ei-nen Durchbruch in der Entwicklung der Menschheit bedeuteten.

Noch einmal sei betont, dass der erhabene Prophet das Leben in die-ser Welt weder vernachlässigt noch geringgeschätzt hat; aber er kannte auch die Grenzen von dessen Wert und Bedeutung. Vom Standpunkt des Gläubigen aus betrachtet hat die Welt auch ein schönes Gesicht. Sie ist der Ackerboden, in den wir Samenkörner einsäen können, deren Früchte wir einst im Jenseits ernten werden. Und diesen Wert und diese Bedeutung führte der Prophet seiner Gemeinschaft (Umma) vor Augen.

Unsere Willenskraft steht in direktem Verhältnis zu der Geduld, die wir aufzubringen vermögen. Das geduldige Ertragen ist der Muskel der Widerstandsfähigkeit und der Toleranz, die uns Menschen verliehen wur-den. Sie ist eine große Tugend, die eine verborgene innere spirituelle Kraft hervorbringt. Unzählige weise Worte und Taten, die Vermächtnisse von Propheten, Gottesfreunden und Gelehrten sowie zahllose weitere Gründe sprechen dafür, dass wir die Geduld nutzen können, um uns weiterzuent-

2 Umar ibn Khattab war einer der engsten Gefährten des Propheten und später der zwei-te der sogenannten vier rechtgeleiteten Kalifen.

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wickeln und zu vollwertigen Mitgliedern unserer Gemeinschaft zu wer-den. Außerdem erklären sie uns, wie und warum wir von ihr profitieren.

Der erste Aspekt der Geduld ist die Standhaftigkeit in der Anbetung. Der zweite und vor allem für Jugendliche wichtigste Aspekt der Geduld ist die Standhaftigkeit gegenüber Bosheit und Tücke. Er dient dem Selbst-schutz, vor allem in der heutigen Zeit, in der Schamlosigkeit, Laster und Verdorbenheit auf dem Vormarsch sind. Und er ist der zweite Schritt auf jenem Weg der spirituellen Entwicklung, der uns auf den Gipfel unseres persönlichen Potenzials führt.

Der dritte Aspekt der Geduld darf wohl als der bedeutendste von allen gelten: Er kommt in Zeiten der Not zum Vorschein oder wenn wir erns-te Probleme haben; in Zeiten also, die Gott uns schickt, um unsere Erge-bung in Seinen Willen zu prüfen, und für die es zahlreiche weitgespannte und vielschichtige weise Gründe gibt.

Der vierte Aspekt der Geduld liegt darin, dass man sich vom Luxus und von den Eitelkeiten dieser Welt, die bekanntlich so große Anziehungskraft auf unser Ego ausüben, nicht beeindrucken lässt. Wer sich als gegen diese Reize immun erweist, wird auf verblüffende Weise spirituell reifen.

Der fünfte Aspekt der Geduld schließlich besteht darin, uneigennüt-zig und allein um der Herrlichkeit Gottes willen strebsam zu sein und da-bei alle materiellen Erwägungen, ja sogar alle spirituellen Erwartungen und Hoffnungen beiseite zu schieben. Diesen Grad der glühenden Lie-be zu Gott dem Allmächtigen und der Sehnsucht danach, Sein Wohlge-fallen zu finden, kann nur realisieren, wer bereits fest in seinem Glauben verwurzelt ist.

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GOTTES FREUDE ÜBER DIE REUE DES MENSCHEN

Die Freude Gottes über die Reue eines Seiner Diener ist größer als die Freude, die einer von euch verspürt, wenn er sein in der Wüste

verloren gegangenes Kamel wiederfindet.

(Bukhari, Da’awat, 4; Muslim, Tawba, 1, 7, 8)

Dieser Hadith wird auch noch in einer anderen Version überlie-fert: Ein Mann reitet auf seinem Kamel in eine wasserlose Wüste hinein, doch das Tier, das seine Ess- und Trinkvorräte trägt, reißt

ihm aus und verirrt sich. Nachdem der Mann alle Hoffnung aufgegeben hat, dass es wieder zu ihm zurückfindet, sucht er sich ein schattiges Plätzchen, wo er sich hinlegt und seiner Enttäuschung über das Kamel nachhängt. Er schläft ein, und als er erwacht, steht das Kamel plötzlich wieder vor ihm. Er bekommt es am Nasenring zu fassen und ruft außer sich vor Freude: „O Herr, du bist mein Diener, und ich bin dein Herr!“ Dieser Ausrutscher un-terläuft ihm, weil seine Freude ihn völlig übermannt. Doch noch größer als die Freude dieses Mannes ist die Freude Gottes, wenn jemand Ihm Reue be-zeigt. (Muslim, Tirmidhi, Ibn Madscha)

Die Reue ist ein Instrument der Befreiung. Sie ermöglicht uns die Hin-wendung zu unserem Schöpfer, wenn wir bedauern, einen Fehler oder ei-ne Sünde begangen zu haben oder vom rechten Weg abgeirrt zu sein. Da-

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rauf verweist der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, in diesem Hadith. Natürlich verspürt Gott nicht die gleiche Form von Freude, die wir Menschen verspüren. Seine Freude ist so intensiv, so absolut und erhaben, dass wir Menschen gar nicht dazu in der Lage sind, uns ein Bild von ihr zu machen, geschweige denn, sie auch nur ansatzwei-se zu begreifen. Folglich geht es vor allem darum, die Tatsache an sich an-zuerkennen, dass Gott unermesslich froh und glücklich darüber ist, wenn wir Reue zeigen.

Die Reue hat zwei Seiten: Die eine ist verknüpft mit uns Menschen und mit unserer Absicht, uns in Zukunft zu bessern; diese Absicht wird von ständigen Gewissensbissen beflügelt. Die andere ist verknüpft mit der Rolle des Schöpfers, mit Seiner Vergebung und mit Seiner großen Barm-herzigkeit, mit der Er uns Türen öffnet, indem Er uns versichert: O mei-ne Diener, Ich habe euch weder vergessen noch verlassen; und jedes Mal, wenn ihr euch an Mich erinnert und Mich um Vergebung bittet, wisset, Ich bin hier; selbst wenn ihr euer Versprechen fünfzig Mal brecht!

Der Prophet Muhammad sagte: Gott vergibt jenen, die bereuen.3 Reue zu zeigen bedeutet, sich zu Gott dem Barmherzigen hinzuwenden und Ihn um Vergebung zu bitten; und Seine Vergebung zu erlangen bedeu-tet, dass sich die Türen und Wege zu Seiner Barmherzigkeit wieder öff-nen. Wenn wir Gottes Gebote missachten, verschließen sich alle Türen und Wege, die zu Ihm führen; aber wenn wir das, was wir getan haben, tief im Innern bereuen, wenn wir unser Handeln und unsere Absichten kritisch sehen und wenn wir uns fragen: „Warum habe ich diesen Weg eingeschlagen, der doch sowohl meiner Natur als auch meinem Glauben widerspricht?“, dann bewirkt diese Haltung schließlich eine Verhaltensän-derung, eine Korrektur unserer Einstellung; dann kommen wir wieder in Kontakt mit der Barmherzigkeit Gottes. Egal welche Fehler wir in unse-rem Leben begehen mögen, immer sollten wir anschließend den Schöp-fer um Vergebung bitten und Bittgebete wie das folgende sprechen, denn Gott ist der Erbarmer, der Barmherzige: „O Du Barmherziger Einer, o Du Vergebender, erbarme Dich unser und vergib uns unsere Sünden, und schütze uns vor allem Übel.“

3 Die wörtliche Übersetzung des Originaltexts lautet: Gott wendet sich jenen zu, die sich zu Ihm hinwenden. Denn Tawba bedeutet im Arabischen Hinwendung zu Gott.

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In der Regel wird der arabische Begriff Tawba (Reue) in Verbindung mit dem Wort nasuh gebraucht, was wörtlich übersetzt soviel heißt wie rein, aufrichtig, korrigierend, verbessernd und wiederherstellend. Tawba nasuh bedeutet dass man konstruktiv Selbstkritik übt, dass man sein Nafs (Ego) tadelt. Das Adjektiv nasuh stammt von der gleichen Wortwurzel wie Nasiha (Ratschlag). Ein rechtgeleiteter Mensch ist ein Mensch, der positiv denkt, der stets das Gute sieht und dem das Wohl anderer Men-schen am Herzen liegt. Der Satz „Religion ist Rechtleitung“ besagt im Grunde genommen nichts anderes, als anderen Menschen wahres Wohl-ergehen zu wünschen. Dies beinhaltet, ihnen den rechten Weg zu zeigen, sie an die Hand zu nehmen und zu leiten, ihnen die Grundwahrheiten des Lebens vor Augen zu führen, sie darauf hinzuweisen, dass sie Zuflucht bei Gott dem Allmächtigen suchen und Ihn anerkennen sollten, damit sie auch Seinen auserwählten Gesandten kennenlernen und verstehen kön-nen, und ihnen die Augen zu öffnen für all die Wunder, Reichtümer und Glückszustände, die der Glaube zu bieten hat.

Im Zentrum der Bemühungen eines jeden Menschen sollte aber zu-nächst das Wohlergehen der eigenen Seele stehen, denn das Leben gehört zu den fünf Grundwerten, die vom islamischen Recht geschützt werden (Religion, Verstand, Leben, Eigentum und Nachkommenschaft). Wir sind dazu angehalten, keinen Alkohol zu trinken, nicht die Ehe zu bre-chen, keine Gotteslästerung zu betreiben und nicht vom Weg Gottes ab-zuweichen. All diese Verbote sind mit einem der fünf Grundwerte ver-bunden. Jeder Mensch sollte sowohl seine Seele als auch sein Ego da-vor bewahren, sich dem Bösen zuzuwenden und dadurch zum ‚Brennstoff der Hölle‘ zu werden. Und jeder Mensch sollte außerdem wissen, welches Schicksal seine Seele nach seinem Tod erwartet, und die Konsequenzen ei-nes Lebens in Unwissenheit kennen.

Im Koran werden Menschen, die sich dieser Dinge bewusst sind, aber dennoch an ihrem zügellosen Leben festhalten und ihr persönliches Ver-gnügen in den erwähnten Verstößen suchen, als Brennstoff für die Hölle be-zeichnet. Wenn wir uns also davor schützen, Sünden zu begehen und Un-recht zu tun, erweisen wir unserem Ego damit einen guten Dienst. Und den gleichen Gefallen sollten wir auch unserer Seele tun, indem wir uns folgende Haltung aneignen: „Wenn Gott dich vor dem Unglauben und

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davor bewahrt, vom Weg der Wahrheit abzuweichen, wird der bloße Ge-danke daran, denselben Fehler noch einmal zu begehen, so schmerzhaft sein wie der Gedanke, in die Hölle zu kommen.“

Leider machen auch gläubige Menschen immer wieder Fehler, denn das menschliche Fortschrittsstreben und damit verbunden auch die Ge-fahr, Rückschläge zu erleiden, kennen keine Grenzen. In solchen Fällen sollten sie ihren Verstand und ihr Gewissen aktivieren und sich sagen: „Ich habe das Gefühl, innerlich zu ersticken, ich fühle mich unbehaglich und verspüre eine Leere, weil ich die Bindung zu meinem Schöpfer habe abrei-ßen lassen; mein einziger Ausweg besteht darin, dass ich die Verbindung zu Ihm wiederherstelle.“ Die Beziehung zum Schöpfer lässt sich wieder-aufbauen und stärken; Voraussetzung dafür ist jedoch, dass man sich fort-an nach Kräften bemüht und aufrichtig bereut.

Ein weiterer Punkt, den es zu berücksichtigen gilt, ist, dass die Wieder-holung von einmal begangenen Sünden und Fehlern vermieden werden kann, wenn die Seele eine bestimmte Vorstellung davon hat, was einen guten Menschen auszeichnet. Wir sollten uns wünschen, ein guter Mensch zu sein, genauso wie wir unserer Familie und unseren Kindern wünschen sollten, dass auch sie gute Menschen sind, liebenswürdige und ehrbare Mitglieder der Gemeinschaft. Alle Gläubigen sollten den Wunsch verspü-ren, zu immer besseren Menschen zu reifen. Dabei sollten sie entschlossen und hingebungsvoll sein, dann werden sie zumindest keine schweren Feh-ler begehen. Ideal ist, wenn sie allein den Gedanken daran, etwas Schlech-tes zu tun oder zu sündigen, bereits als unerträglich empfinden. Dann werden sie, wenn sie sich tatsächlich einmal auf einen Weg verirren soll-ten, der sie vom Schöpfer wegführt, schnell erkennen, welche Folgen dies für sie hat, und hoffentlich umkehren.

Gott legt uns im Koran nahe: O ihr, die ihr glaubt! Wendet euch Gott in aufrichtiger und zur Besserung führender Reue zu. (66:8). Aufrichtige Reue zu zeigen bedeutet, dass man zur Wahrheit und zum Glauben gefunden hat und an einem Punkt angelangt ist, an dem man zwischen Richtig und Falsch zu unterscheiden vermag, dass man auf den Schöpfer vertraut und sich auf Ihn verlässt. Wer sich aber ernsthaft bemüht, nichts Schlechtes zu tun, und trotzdem einmal vorübergehend vom Weg Gottes abkommt, braucht sich deshalb nicht als hoffnungslosen Fall betrachten. Denn der

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Barmherzige Eine vergibt jede Sünde mit Ausnahme der Beigesellung von Partnern zu Gott. (4:48)4

Es gibt also keinen Grund, am Unrecht festzuhalten; es gibt immer ei-nen Ausweg, einen Weg zurück zum Licht. Nichts spricht dagegen, dass wir uns zu unserem Schöpfer hinwenden, Ihn um Vergebung zu bitten und aufrichtige Reue bekunden. Eine wahre Umkehr ist jedoch an einige Bedingungen geknüpft:

Erstens: Wenn eine Sünde die Rechte eines anderen Menschen verletzt hat, muss der Sünder zunächst diese andere Partei um Verzeihung bitten und auch darum bitten, dass er im Jenseits keine Ansprüche gegen ihn er-hebt, bevor er dann Gott um Vergebung bittet.

Zweitens: Der Sünder muss aufrichtig und entschlossen sein, nicht die gleiche Sünde noch einmal zu begehen.

Drittens: Wer gesündigt hat, sollte so bald wie möglich bereuen; zwi-schen Tat und Reue sollte nicht so viel Zeit verstreichen, dass man die Ge-legenheit hat, noch einmal zu sündigen.

Ein weitere Dimension der Reue ist folgender: Wenn jemand sündigt oder Unrecht tut, sollte seine Seele angesichts dessen Abscheu und Angst empfinden; das heißt, er sollte gewissermaßen von seinem Gewissen be-straft werden. Die Reue von Menschen, die sich daran gewöhnt haben, Unrecht zu tun, und deren Gewissen nicht gegen dieses Unrecht aufbe-gehrt, äußert sich hingegen höchstens darin, dass sie das eine oder andere Wort des Bedauerns von sich geben.

Zu wahrer Reue gehören also auch Gewissensbisse, die durch ein tief in der Seele empfundenes Schuldbewusstsein hervorgerufen werden. Sie sorgen dafür, dass sich in reuevollen Worten auch tatsächlich die Stimme des Herzens artikuliert. Wie wertvoll Gewissensbisse sind, lehrt uns zum Beispiel ein weiterer Ausspruch des Propheten Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm: Ich bereue und bitte Dich um Vergebung. O Herr,

4 Denn Gott Partner beizugesellen oder Ihn zu verleugnen, ist ein Verbrechen von uni-versaler Dimension. Wer den Schöpfer nicht würdigt, wird auch Seine Schöpfung kaum zu würdigen wissen. Er wird die Kunst, die sich in der Schöpfung manifestiert, miss-brauchen, und keine Rücksicht auf den Künstler nehmen. Eine solche Verweigerung ist schlimmer als tausend Lügen; sie wirkt sich auch auf der universalen Ebene aus und ist damit ein unverzeihlicher Akt.

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ich bin Dein hilfloser Diener. Ohne Deinen Befehl vermag ich weder zu leben noch zu sterben. Ich bitte Dich um Vergebung für meine Sünden.

Wer seine Sünden bereuen möchte, sollte zuerst seine Gebete verrich-ten, und sich dann niederwerfen und aufrichtig Bittgebete wie das folgen-de sprechen: „O Gott! Schenk mir Rechtleitung und schütze mich vor dem Übel in meiner Seele.“ Ein anderes Gebet um Vergebung, bekannt als Sayyid al-Istighfar5, lautet: „O Gott, Du bist mein Herr. Es gibt keine Gottheit außer Dir. Du hast mich erschaffen, und ich bin Dein Diener. Ich halte an meinem Bund mit Dir fest und verpflichte mich, mir dabei so viel Mühe wie möglich zu geben. Bei Dir suche ich Zuflucht vor dem Übel, das ich begangen habe. Ich würdige die Gaben, die Du mir hast zukom-men lassen, und ich gestehe ein, gesündigt zu haben. Vergib mir, denn au-ßer Dir ist niemand dazu in der Lage, Sünden zu vergeben.“

In Bittgebeten wie diesen manifestiert sich aufrichtige Reue, sofern sie aus tiefster Seele gesprochen werden. Manche Gläubige früherer Zeiten pflegten ihre Gebete auch mit Anrufungen wie Ya Ghaffar (O Du großer Verzeihender!) oder Ya Ghafur (O Du stets Vergebender!) zu beschlie-ßen, obwohl sie in den Hadithen nicht erwähnt werden. Diese Namen ge-hören aber zu den Schönen Namen Gottes (Asma al-Husna), und es emp-fiehlt sich, mit ihnen Zuflucht bei Gott zu suchen, denn sie sind mit der Vergebung der Sünden und Fehler Seiner Diener verknüpft.

Es zeugt von Reue, wenn wir Gewissensbisse verspüren und unsere Seele in Aufruhr ist. Und wenn wir unsere Reue in aufrichtige Worte klei-den, dann werden unsere Gebete angenommen. Wer hingegen um Ver-gebung für begangene Sünden bittet, aber mit Herz und Verstand nicht recht bei der Sache ist, wer tief in der Seele keine echten Schuldgefüh-le oder Gewissensbisse verspürt, der bereut vergeblich. Wer bereut, soll-te dies nicht vor anderen Menschen tun und nicht damit prahlen. Er soll-te sich vor Seinen Schöpfer stellen und Ihm seine Sünden mit großem Be-dauern eingestehen, und er sollte Ihn, den Erbarmer, um Barmherzigkeit und Vergebung anflehen.

5 Für den Originaltext des Gebets siehe Selected Prayers of Prophet Muhammad and Great Muslim Saints, The Light, Inc., New Jersey: 2006 (S.10).

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DIE BARMHERZIGKEIT DES BARMHERZIGEN EINEN

Einmal wurden Gefangene vor den Propheten gebracht. Unter ihnen befand sich auch eine Frau. Von Sehnsucht nach ihrem Kind zerfressen ging die Frau auf und ab, griff sich jedes Kind, das sie sah, und presste es an ihre Brust, um es zu stillen. Der Prophet zeigte auf diese Frau und fragte: Glaubt ihr, diese Frau würde ihr Kind ins Feuer werfen? „Nein“, sagten sie (die Gefährten), „diese barmherzige Mutter würde ihr Kind niemals ins Feuer werfen.“ Da sagte der Prophet: Gott ist noch

barmherziger zu Seinen Dienern als diese Frau zu ihrem Kind.

(Bukhari, Adab, 18; Muslim, Tawba, 22)

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Jeder Muslim sollte sich ernsthaft mit diesem Hadith beschäftigen, ihn beherzigen und seinen Mitmenschen mit mehr Toleranz begeg-nen. Das heißt nicht, dass wir übertriebenes Mitgefühl zeigen oder

sogar versuchen sollten, Gott in Seiner Barmherzigkeit zu erreichen, son-dern dass wir die allgemeinen Prinzipien, die der Prophet vorgelebt hat, beachten und den folgenden Hadith qudsi berücksichtigen sollten: Meine Barmherzigkeit ist größer als mein Zorn.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, welches Licht dieses Thema auf uns wirft: Als Gemeinschaft haben wir nicht genügend Anstrengungen unter-nommen, um der Jugend von heute Wahrheiten aufzuzeigen, die sie zu-friedenstellen. Wir haben versäumt, ihnen Mitgefühl zu vermitteln. Diese Botschaft wichtiger als Luft oder Wasser.

Die Gefährten des Propheten Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, waren ebenso für die Übermittlung der Wahrheit verant-wortlich, wie wir es sind. Doch vergleicht man die großen Strapazen, die sie auf sich genommen haben, um diese Wahrheit in jeden noch so fernen Winkel der Erde zu tragen, dann zeigt sich ganz deutlich, wie faul und trä-ge wir inzwischen geworden sind. Die Gefährten bemühten sich Tag und Nacht, Menschen zu finden, die den Wunsch hatten, der Wahrheit in ih-ren Seelen auf die Spur zu kommen; und dieses Unterfangen machten sie zu Ziel und Ideal ihres Lebens.

Daher müssen sich die Gläubigen fragen: Erfüllen wir unsere Pflicht und lassen auch andere an den Schönheiten der Barmherzigkeit und des Mitgefühls Gottes, von denen wir selbst so profitieren, teilhaben. Falls nicht, müssen wir uns dafür verantworten. Wir müssen danach streben, dass uns die Barmherzigkeit Gottes künftig die Richtung vorgibt, und wir müssen verinnerlichen und verstehen, was es bedeutet, dass uns der Barm-herzige Eine Seine Barmherzigkeit bezeigt. Die Zuneigung, die der Barm-herzige Eine uns und dem ganzen Universum entgegenbringt, muss sich in unserem Charakter widerspiegeln. Wenn wir unsere Pflichten, die wir anderen Menschen und unseren eigenen Prinzipien gegenüber haben, er-füllen möchten, sollten wir aus der Lektion, die dieser Hadith für uns be-reithält, Nutzen ziehen und ihr Beachtung schenken.

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DER MENSCH IST EIN REISENDER,UND DIE WELT IST SEIN SCHATTEN

Der Gesandte Gottes schlief auf einer Strohmatte. Als er aufwa-chte, hatte die Matte Abdrücke auf seiner Seite hinterlassen. Wir sagten zu ihm: „O Gesandter Gottes, lass uns dir ein weiches Bett

bereiten.“ Er aber erwiderte: Welche Art Beziehung verbindet mich mit dieser Welt? Ich gleiche einem Reisenden, der unter einem

Baum Schatten gefunden hat und dann weiter reist.

(Tirmidhi, Zuhd, 44)

Was ist die Welt? Wo ist der Platz von uns Menschen inmitten all der vergänglichen und sterblichen Dinge dieser Welt? Wa-rum sind wir in die Welt geschickt worden, und wohin ge-

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hen wir? Diese Fragen, die seit Jahrhunderten schon von Philosophen ge-stellt und diskutiert werden, hat der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, klar und deutlich beantwortet.

Ibn Umar berichtete, dass der Prophet sagte: Lebe in der Welt, als wärest du ein Fremder oder ein Reisender. Betrachte dich (schon bevor du stirbst) als ei-nen der Bewohner des Grabes. (Tirmidhi, Zuhd, 25) Dieser bedeutungsvolle und vielsagende Hadith liefert uns eine Definition von Taqwa, Frömmig-keit. Er empfiehlt uns, die Annehmlichkeiten dieser Welt nicht zu über-schätzen und ein Gleichgewicht zwischen Welt und Jenseits zu schaffen.

Letzten Endes sind wir Fremde in dieser Welt. Rumi formulierte es einmal so: „Der Mensch ist wie ein Schilfrohr, das aus seinem (Fluss-)Bett herausgeschnitten wurde, um daraus eine Flöte zu schnitzen. Es klagt fort-während, weil es von seinem wahren Ursprung getrennt wurde, und sein ganzes Leben lang hört es nicht auf zu klagen.“

Wir Menschen sind Reisende, und unsere Reise, die mit der Erschaf-fung unseres Geistes beginnt, führt uns über die Stationen des Mutter-leibs, der Kindheit, der Jugend, des Alters und des Grabes entweder ins Paradies oder in die Hölle. Wie bewusst nehmen wir diese Reise wahr? Wer sich wirklich als Reisender in dieser Welt begreift, wird sich auf sei-ner langen und manchmal beschwerlichen Lebensreise nicht von irdischen Vergnügungen einfangen lassen, denn sie halten ihn nur auf. Und wer sich als Bewohner des Grabes wahrnimmt, weiß, dass er sich nur dann vor den Täuschungen des Satans schützen und sicher fühlen kann, wenn er sich auch im Alltag permanent des Todes gewahr ist. Unsere Spirituali-tät und unser Gewissen blühen umso mehr auf, je mehr wir unser fleisch-liches Selbst und unsere irdischen Gelüste in die Schranken weisen. Wenn wir dagegen den materiellen Dingen zu viel Beachtung schenken, verfan-gen wir uns im Netz der flüchtigen irdischen Vergnügungen.

Deshalb sollten wir uns genau überlegen, was es heißt, ein Reisender in dieser Welt zu sein: Gott, der Besitzer unseres Planeten und sämtli-cher Vorzüge, die er für uns Menschen bereithält, versorgt uns mit al-lem, was wir hier auf Erden und im Jenseits benötigen. Wir aber stellen aus Unwissenheit unser ganzes Potential in den Dienst dieser physischen Welt. Viel besser hingegen wäre es, nur einen kleinen Teil dafür aufzu-

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wenden und den verbleibenden größeren Teil zur Vorbereitung auf das Jenseits zu nutzen.

O ihr Menschen! Gott der Barmherzige hat euch schon im Mutterleib und während eurer Kindheit versorgt, und Er wird sich auch dann noch um euch kümmern, wenn ihr altersschwach seid und euer Tod naht.

O ihr Menschen! Wisset auch, dass die großen Anstrengungen, die noch vor euch liegen, Umsicht und Achtsamkeit erfordern:

• Die Trennung des Todes, die euch von der Erde und von euren Lie-ben hinfort reißt.

• Die gefürchtete Reise in die Welt der Ewigkeit. • Unser Leben selbst mag nur kurz währen, aber die damit verbun-

dene Reise ist lang und mühsam; wenn wir keine Vorräte für diese Reise angelegt haben, werden uns Schwäche und Hilflosigkeit, Leid und Kummer unterwegs überwältigen.

Warum sind wir Menschen so gedankenlos und ignorant? Viele versu-chen, die Tatsache, dass Gott alles weiß und sieht, zu ignorieren, und äh-neln damit einem Vogel Strauß, der seinen Kopf in den Sand steckt, in der Hoffnung, dass ihn niemand entdeckt. Wie lange willst du die flüchtigen Dinge dieser physischen Welt noch überschätzen, und wie lange wirst du die bleibenden Wahrheiten des ewigen Lebens noch vernachlässigen?

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WIE LÄSST SICH ÜBEL ÜBERWINDEN?

Wer von euch ein Übel (eine verwerfliche Handlung) sieht, der soll es mit seiner Hand korrigieren; und wenn ihm das nicht möglich ist, dann mit seiner Zunge; und wenn ihm auch das nicht möglich ist,

dann soll er sich mit seinem Herzen seine Position klarmachen - und diese letzte ist die schwächste Ausdrucksform des Glaubens.

(Muslim, Iman, 78)

Wenn ein Gläubiger mit einem Übel konfrontiert ist, das der Islam als unerwünscht betrachtet, dann sollte er zunächst versuchen, es direkt mit den eigenen Händen (physisch) zu

beseitigen. Wenn ihm diese Option verwehrt ist, sollte er versuchen, es mündlich aus der Welt zu schaffen. Er sollte ruhig und gelassen die negati-ven Aspekte des Übels darlegen oder Möglichkeiten aufzeigen, wie die Si-tuation bereinigt werden könnte. Wenn er auch dazu nicht in der Lage ist,

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sollte er sich zumindest innerlich im Herzen von dem Übel distanzieren und sich bewusst machen, welch Unbehagen es in ihm auslöst; und das ist der dürftigste Versuch, eine verwerfliche Tat zu korrigieren, die schwächs-te Glaubensbekundung.

Manche Übel sind wie Krankheiten, die sich in das Gewebe der Ge-sellschaft hineinfressen und es schließlich zerstören; als Beispiel seien hier nur Ehebruch, Drogenkonsum, Wucher oder Profitgier angeführt. Diese Krankheiten fügen der Gesellschaft schwersten Schaden zu, und die meis-ten Mitglieder der Gesellschaft wissen das auch.

In muslimischen Gesellschaften der Vergangenheit hatten die Indivi-duen wahrscheinlich nicht das Gefühl, solche Übel selbst bekämpfen zu müssen, denn sie vertrauten darauf, dass die staatlichen Autoritäten das Recht schützen und durchsetzen und die Quelle der Übel beseitigen wür-den. Und in der Tat sorgte die Obrigkeit unter islamischer Herrschaft mit allen rechtlichen Mitteln dafür, dass sich bestimmte Übel nicht negativ auf die Gesellschaft auswirkten und in ihr Fuß fassen konnten. Darin bestand also früher die physische Auseinandersetzung mit Übeln aller Art, mit ih-rer Prävention und Beseitigung.

In unserer heutigen Zeit hingegen werden solche Übel leider weder verhütet, noch werden Maßnahmen gegen sie ergriffen; noch schlimmer aber ist, dass es heute nicht mehr gewürdigt wird, wenn man Menschen dazu ermutigt, Gutes zu tun und ihr Verhalten zu ändern. Wer zum Bei-spiel auf der Straße sieht, wie jemand etwas Verwerfliches tut, das die Religion missbilligt, und deshalb versucht einzugreifen, muss befürchten, dass er tätlich angegriffen wird. Daher sollte man physische Interventio-nen lieber den zuständigen Autoritäten und den Strafverfolgungsbehör-den überlassen.

Wenn eine physische Intervention nicht möglich ist, können Überzeu-gungsversuche oder Warnungen der nächste Schritt sein. Wenn der Staat nicht anerkennt, dass die von Gott vorgegebenen Prinzipien in den Ge-setzeskodex der Gesellschaft aufgenommen werden, und diese Prinzipi-en daher nicht befolgt werden oder wenn die Strafverfolgungsbehörden zu schwach sind, um Gesetze durchzusetzen und folglich nicht verhindern können, dass sich Unrecht in der Gesellschaft breitmacht, oder auch - und das ist der schlimmste Fall - wenn der Staat solche Übel sogar für zulässig

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erklärt, dann haben die Mitglieder der Gesellschaft diesem Hadith zufolge die Aufgabe, sich um Vorbeugung zu bemühen.

Ein Beispiel: Wenn Ehebruch, Alkoholkonsum oder Wucher in einem bestimmten System oder unter einer bestimmten Gesetzesform verbrei-tet sind und es nicht möglich ist, physisch dagegen vorzugehen, dann soll-ten wir mit aller Ruhe und Gelassenheit versuchen, Argumente gegen die-se Übel vorzubringen, sodass ihre Ursachen und Wirkungen verstanden werden. Wucher etwa ist eine Krankheit, die die Lebensfähigkeit einer Ge-sellschaft zerstört, und Ehebruch nimmt den Menschen ihre Würde. Hier kann Überzeugungsarbeit durchaus ein effektiver Ansatz sein.

Es ist unsere Pflicht, den Wucherern und Ehebrechern vor Augen zu führen, was sie da eigentlich machen, damit sie ihr Tun schließlich selbst für verwerflich halten und es in Zukunft unterlassen. Die meisten von uns haben das Glück, in einer Zeit zu leben, in der man sich frei äußern und erklären kann, welchen Schaden bestimmte verwerfliche Dinge anrichten; doch das war nicht immer so, und auch heute gibt es noch viele Länder - muslimische ebenso wie nichtmuslimische -, in denen man nicht so frei seine Meinung sagen kann.

Es gab Zeiten, und es ist durchaus nicht ausgeschlossen, dass sie ir-gendwann wiederkehren, da wurde jeder, der seine Stimme gegen weit verbreitete Übel erhob, hart bestraft. Wer damals zum Beispiel kritisierte: „Zinsen und Alkohol sind Übel, die uns in den Abgrund stürzen werden, wir müssen dafür eine Lösung finden“, wurde sofort beschuldigt, er wol-le das rechtliche, wirtschaftliche oder politische System durch die Einfüh-rung religiöser Gesetze untergraben.

Wenn man nun überhaupt keine Möglichkeit sieht, eindeutig bestehen-de Probleme wenigstens anzusprechen, dann bleibt als einzige Alternati-ve, dass man zumindest vor sich selbst eindeutig Stellung bezieht, das man sein Gewissen mit starken Gefühlen der Ablehnung reinigt und dass man entsprechende Situationen und Menschen künftig meidet. Dies ist die be-scheidenste Form der Prävention oder des Handelns. Sie beinhaltet auch, dass man sich genau bewusst macht, mit wem man Umgang pflegt. Denn wenn man den Kontakt zu Menschen, die sich solche verwerflichen Dinge zu Schulden kommen lassen, aufrechterhält, kann es passieren, dass man mit der Zeit abstumpft gegenüber ihrem Verhalten und es irgendwann

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ganz alltäglich findet; und das schadet Individuen und Gemeinschaft glei-chermaßen. Wer zum Beispiel Beziehungen zu einer Person unterhält, der Ehebruch begeht, oder dieser Person in enger Freundschaft verbunden ist, wird ihr Verhalten vielleicht schon bald als völlig normal betrachten.

Wenn sich solches Verhalten immer weiter ausbreitet und schwere ethi-sche und moralische Verfehlungen auftreten, besteht die Gefahr, dass Gott die ganze Gesellschaft dafür zur Rechenschaft zieht. Solange es innerhalb dieser Gesellschaft noch aktive und spirituell dynamische Gemeinschaften gibt, die sich für ehrenwerte Ziele einsetzen, fungieren diese gesegneten Menschen als ‚spirituelle Blitzableiter‘ und sorgen dafür, dass Gott die Ge-sellschaft nicht kollektiv bestraft. Mangelt es der Gesellschaft aber an sol-chen Menschen, an Individuen, die bei der Beseitigung von Missständen Initiative zeigen, so wird sie anfällig für Katastrophen und möglicherwei-se untergehen.

Gläubige Menschen sollten sich also davor hüten, zu enge Beziehun-gen zu Leuten zu unterhalten, die bewusst verwerfliche Dinge tun. An-dererseits sind wir Muslime aber dazu aufgerufen, der Tradition des Pro-pheten zu folgen und innige positive Beziehungen zu Menschen aus allen sozialen Schichten und aus allen Lebensbereichen aufzubauen, wobei wir darauf achten sollten, dass sich unser Denken und Handeln an bestimm-ten Werten orientiert. Unser Hauptziel sollte es sein, die Schönheiten, die die spirituelle Tradition des Islam uns darbietet, mit unseren Mitmenschen zu teilen und sie hoffentlich dazu anzuregen, sich höheren Zielen zuzu-wenden. Wenn im Zentrum unserer Bemühungen das Streben nach dem Wohlgefallen Gottes steht, dann werden uns diese Bemühungen einst mit Sicherheit als verdienstvolle Taten angerechnet.

Natürlich ist die bloße Abneigung gegen Menschen, die verwerfliche Dinge tun, gegen Menschen, die keine Rücksicht auf den Schöpfer und in-folgedessen auch nicht auf die Schöpfung nehmen, und gegen Menschen, die eine Gefahr für die Welt darstellen, die schwächste Ausdrucksform des Glaubens. Aber nichtsdestotrotz können wir auch mit ihr Menschen dazu bewegen, über das wahre Ziel des Lebens und über Sinn und Zweck der Existenz von uns Menschen nachzudenken. Erfolg wird uns aber nur dann beschieden sein, wenn wir dabei authentisch und überzeugend auftreten. Der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, sagte:

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Mir wurde aufgetragen, meine Pflichten zu erfüllen und die Menschen zu füh-ren. Der Prophet wurde von Gott entsandt, damit er zum einen als maß-gebliche Autorität seiner Gemeinschaft agiere und zum anderen als Ge-sandter seine Pflichten gegenüber dem Schöpfer erfülle.

Aus seinem umsichtigen Auftreten und seinen erhabenen Umgangsfor-men im Dienste der Menschheit lässt sich ableiten, dass auch wir unseren Mitmenschen rücksichtsvoll, aufmerksam und freundlich entgegentreten sollen; denn eine solche Haltung kann, sofern sie von Herzen kommt, die menschliche Fähigkeit, sich zum Positiven zu verändern, aktivieren und auch Außenstehende für die Anmut des Glaubens empfänglich machen. Auf dem Weg der Überwindung von Zorn, Groll und Härte treten der Glanz des Islams und sein wahrer Kern viel deutlicher zutage.

Aus diesem Grunde sagte Gott einst zu Moses und Aaron: Geht beide zu dem Pharao, denn er hat sich über die Maßen aufgelehnt. Aber sprecht mit freundlichen Worten zu ihm! (20:43-44) Er forderte sie dazu auf, sich dem Pharao auf freundliche Weise zu nähern, denn sonst hätte das, was sie ihm zu sagen hatten, womöglich seine Wirkung verfehlt und ihre guten Rat-schläge wären auf taube Ohren gestoßen.

Folgen wir also dem Vorbild dieser Propheten und ihrem sanften An-satz! Ihre Integrität sollte sich auch in unserer Kommunikation mit ande-ren Menschen und in unseren Beziehungen zu ihnen widerspiegeln. Wenn wir ernsthaft danach streben, mit unserem Handeln das Wohlgefallen des Erhabenen Einen zu finden und Seine Prinzipien zu übermitteln, werden wir letztlich alle Hindernisse, die sich uns in den Weg stellen, überwin-den. Nie darf unser Abscheu gegenüber den verwerflichen Dingen, die ein Mensch tut, aber so weit gehen, dass wir den Menschen selbst hassen.

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TRÄUME

Der Traum des Gläubigen ist einSechsundvierzigstel der Prophetenschaft.

(Bukhari, Ta’bir, 26; Muslim, Ru’ya, 6)

Träume können laut diesem Hadith eine von 46 Dimensionen wie zum Beispiel Tiefe, Teil, Bedeutung und Grundlage der Prophe-tenschaft sein. Religiöse Gelehrte schließen dies aus Träumen, die

der Prophet Muhammad in den sechs Monaten, bevor er mit der Prophe-tenschaft gesegnet wurde, hatte und die er mit seiner bevorstehenden Mis-sion verband.

Laut einer Darstellung aus der Hadithsammlung Sahih al-Bukhari6 hat-te der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, da-mals in der Morgendämmerung bestimmte Träume, die sich dann spä-ter bewahrheiteten. Dies geschah über einen Zeitraum von sechs Mona-

6 Die Hadithsammlung Sahih al-Bukhari gilt als die vertrauenswürdigste Hadithsammlung.

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ten hinweg. Die ersten Träume oder Visionen dieser Art wurden ihm auf dem Berg Hira zuteil, und sie bildeten den Auftakt zu seiner Mission. Mit Ende dieser Traumphase begann dann die eigentliche Offenbarung. Die Gesamtdauer seiner Prophetenschaft betrug 23 Jahre. Teilt man diese Jah-re in jeweils zwei Hälften und wertet zudem auch die Traumphase als Be-standteil seiner Prophetenschaft, weil ihm damals in seinen Träumen die ersten Botschaften von Gott übermittelt wurden, dann kann man zu dem Schluss gelangen, dass diese sechs Monate ein Sechsundvierzigstel seiner Prophetenschaft darstellten.

Der Prophet beschrieb Träume auch als die größte Wahrheit, wenn der letzte Tag sich nähert. Aber warum ist dies so? Der Prophet Muhammad ist der letzte der Propheten, das Siegel der Prophetenschaft; nach ihm wird kein weiterer mehr kommen. Daher ist die Möglichkeit, Propheten mit eigenen Augen zu sehen oder Ratschläge von ihnen einzuholen, nicht mehr gegeben. Weise und bedeutende Persönlichkeiten wie Imam Rab-bani, Imam Schazuli, Abdulkadir al-Dschilani, Ahmad Rufa’i oder Said Nursi sind verfügten über ein hohes Maß an Wissen, aber sie sind längst aus dieser Welt geschieden. Wir hingegen besitzen allenfalls ein relativ begrenztes Wissen um die wahren spirituellen Werte. Und weil die Uhr nicht zurückgedreht werden kann, haben wir heute auch keinen direkten Zugang mehr zu jenen Wahrheiten, die in den Träumen und Visionen des Propheten Muhammad zutage traten, und können nicht mehr von ihnen profitieren.

Doch dieser Hadith über Träume und auch folgende Worte des ge-schätzten Dschunayd al-Baghdadi können uns bis zu einem gewissen Grad über unsere Distanz zum Propheten hinwegtrösten. Er sagte nämlich: „Ich kommunizierte im Traum mit dem Propheten; er sprach zu mir und trug mir Folgendes auf...“ Mit dem Propheten kommunizieren zu können, ist eine große Ehre, die uns nicht vergönnt ist. Doch obwohl es uns an spiri-tuellem Bewusstsein mangelt und obwohl allerorten Bosheit und Wirrnis herrschen, lässt uns der Barmherzige Eine Sein Mitgefühl zuteil werden, indem Er uns in Träumen und durch fromme Menschen Botschaften der Weisheit zukommen lässt, indem Er uns unter Umständen sogar ermög-licht, den Propheten, seine tugendhaften Gefährten und andere Gottes-freunde, die sich ganz Ihm ergeben haben, zu schauen. Aus diesem Grund

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sagte der Prophet: als Die größte Wahrheit, wenn der letzte Tag sich nähert, sind Träume. Diese Träume wurden vom Propheten Mubaschirat genannt - Visionen froher Botschaften.

Diese bedeutende Manifestation der Barmherzigkeit ist ganz offen-sichtlich eine Form der Ermutigung für die Gläubigen in Zeiten wie un-seren, wo sich die Menschen viel zu sehr auf die irdischen Vergnügungen konzentrieren und den Gelüsten ihres Egos allzu oft nachgeben. Ohne sol-che Aufmunterung Gottes wäre das Leben in der Welt nichts anderes als ein nie endender mühevoller Kampf.

Obwohl Träume zum Leben dazu gehören und ein ganz natürliches Phänomen sind, sollten gläubige Menschen wissen, inwieweit sie ihnen vertrauen können. Alles hat sein rechtes Maß. Zum Beispiel ist bekannt, dass das Gehirn Glukose benötigt, aber wer zu viel Zucker konsumiert, wird mit der Zeit schwere gesundheitliche Probleme bekommen. Mit den Träumen verhält es sich nicht anders. Wenn wir uns krampfhaft bemühen, ihre Bedeutungen aufzuspüren, und ihnen gestatten, dass sie unseren All-tag dominieren, dann besteht die Gefahr, dass unser Leben irgendwann nur noch auf Träumen aufbaut und mit der Realität nicht mehr in Ein-klang zu bringen ist.

Träume sind, anders als der Koran und die Hadithe, keine maßgebliche Quelle der Erkenntnis, auf deren Basis wir urteilen sollen; es ist gefähr-lich, Träumen und Visionen Priorität vor den grundlegenden Quellen der Religion einzuräumen oder zu versuchen, die Dienste von Dschinn und Teufeln in Anspruch zu nehmen. Ghulam Ahmad etwa gehörte zu jenen, denen es schlecht erging, als er beweisen wollte, dass er spirituelle Kräf-te besitzt. Er begann, sechs Monate lang keine Nahrung mehr zu sich zu nehmen, um seinen buddhistischen und hinduistisch-brahmanischen Zeit-genossen die Überlegenheit des Islams zu demonstrieren. Aber vermittelt man auf diese Weise den Islam? Konsequenterweise behauptete Ghulam Ahmad zuerst, er sei der Mahdi oder der Rechtgeleitete, dann machte er geltend, ein lang erwarteter Führer zu sein und schließlich auch ein Pro-phet; den größten Fehltritt aber leistete er sich, als er allen Ernstes prokla-mierte, ‚Gott‘ zu sein.

Dies ist aber nur ein Beispiel dafür, wie sich der Satan böser Geistwe-sen bemächtigt, um uns Menschen vom rechten Weg abzubringen. Wenn

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man sein Handeln an Träumen ausrichtet und auf Visionen und Geistwe-sen vertraut, dann mag dies alles sehr unschuldig beginnen. Doch es kann den Betreffenden verschlingen, ohne dass er überhaupt bemerkt, dass er vom rechten Weg des Glaubens abgekommen ist.

Wichtig ist vor allem, dass man Verantwortung übernimmt und dem Koran und der Sunna7 des Propheten folgt. Selbst wenn man zum Him-mel emporsteigen könnte, wenn man durch Überwinden der Zeit dem Gesandten Gottes begegnen könnte oder wenn man Zeuge unterschied-licher Erscheinungsformen Gottes würde, so wäre dies alles weniger wert als die korrekte Befolgung der Sunna des Propheten.

Ein guter Muslim sollte nicht danach streben, als eine Art Heiliger be-trachtet zu werden, sondern versuchen, ein ganz normaler Mensch unter Menschen zu sein. Als einige ihm nahestehende Gläubige einmal zu Umar sagten: „Du hast das Wohlgefallen des Propheten und Abu Bakrs gefun-den; du wirst ins Paradies eingehen und dein Pavillon wird der Himmel sein“, da schaute er sie mit einem bitteren Lächeln an und erwiderte: „Ich werde schon zufrieden sein, wenn ich die Welt so wieder verlassen kann, wie ich sie einst betrat.“ So sollten Menschen mit einem wahren Glaubens-verständnis denken.

Wenn wir uns am Koran und an der Sunna orientieren und deren Prin-zipien und Regeln in unserem Leben verankern, wird Gott uns in ähnli-cher Weise segnen, wie er Menschen wie Umar mit Weisheit gesegnet hat. Denn wahrer Nutzen erwächst uns einzig und allein aus dem Glauben und der Religion. Wenn uns aber Träume zusätzlich motivieren, dann sollten wir zumindest in dieser Hinsicht von ihnen profitieren.

7 Die Sunna ist die Summe der Hadithe, der Aussprüche, Taten und Verhaltensweisen des Propheten Muhammad.

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ÜBERGEWICHT, ZU VIEL SCHLAF, FAULHEIT UND MANGELNDE GEWISSHEIT IM GLAUBEN

Was ich für meine Gemeinschaft fürchte, sind ein voller Bauch, zu viel Schlaf, Faulheit und mangelnde Gewissheit (im Glauben).

(Kanz al-Ummal, 3:460)

Hier spricht der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, vier Punkte an, die ihm Sorge bereiten. Diese Themen sind miteinander verbunden.

Der arabische Begriff kibar al-Batn - voller Bauch - ist Menschen zuzu-ordnen, die im Übermaß essen und trinken, die in Gedanken immerfort mit der Befriedigung dieser Bedürfnisse beschäftigt sind. Infolgedessen und völ-

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lig unnötigerweise belasten sie ihren Körper mit Übergewicht. Sie sind hier an erster Stelle genannt, um sie sorgte sich der Prophet am meisten.

Doch kaum weniger Sorge bereiteten ihm all jene, die zu viel schlafen. Erwachsene Menschen benötigen durchschnittlich fünf Stunden Schlaf pro Nacht. Manche Ärzte sagen, dass mehr als diese fünf Stunden dem Körper auf Dauer schweren Schaden zufügen können. Und auch viele Ge-lehrte, zum Beispiel Imam Al-Ghazali oder Said Nursi, haben auf die ne-gativen Folgen übermäßigen Schlafs hingewiesen; vor allem für das Ver-hältnis zwischen Erschaffenem und Schöpfer. In der Vergangenheit ver-suchten die Bewohner von Medressen und Derwischklöstern sogar stets, mit nur drei Stunden Schlaf pro Nacht auszukommen.

Da es also genügend Ärzte und Gelehrte gibt, die der Ansicht sind, dass fünf Stunden Schlaf für den menschlichen Körper ausreichend sind, soll-ten wir uns bemühen, unseren Schlaf entsprechend zu reduzieren. Ist un-ser Körper erst an weniger Schlaf gewöhnt, können wir die Stundenzahl gegebenenfalls noch weiter reduzieren. Zu viel Schlaf dagegen fällt im Is-lam unter die Kategorie Iz’af: Übertreibung, Exzess.

Diese ersten beiden im Hadith erwähnten Punkte stehen in engem Zu-sammenhang: Menschen, die nicht genug Willenskraft besitzen, um sich bei Essen und Trinken zu zügeln, sind in der Regel auch nicht dazu in der Lage, ihre Schlafgewohnheiten zu verändern.

Als nächstes verweist der Prophet auf die Faulheit, vor der gläubige Menschen sich ebenfalls hüten sollten. Er selbst pflegte bei Gott Zuflucht vor ihr zu suchen. Im Zentrum der islamischen Philosophie stehen Dy-namik und Wandel, die sich auch in jedem Element und auf jeder Ebene des Universums manifestieren. Stillstand und Untätigkeit, die im Wider-spruch zu dieser Philosophie der Dynamik und des Wandels stehen, wer-den vom Islam missbilligt. Der koranischen Weltsicht zufolge ist konst-ruktives, positives Handeln höher einzustufen als Passivität und Trägheit.

Dem Islam gemäß wurde unbebautes, brach liegendes Land zum Bei-spiel unter der Bevölkerung aufgeteilt; diese Zuweisung war jedoch an die Bedingung geknüpft, dass die neuen Besitzer es künftig wieder bestellen und kultivieren würden. Darüber hinaus galten angesparte Reichtümer, die nur gehortet wurden und nicht in den Kreislauf von Geschäft und Handel einflossen, als eine ernsthafte spirituelle Bedrohung für die Reichen; folglich wurde dieses ‚totes Kapital‘ den Vermögenswerten zugerechnet, nach denen sich die alljährlich zu entrichtende Sozialabgabe (Zakat) bemisst.

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Faulheit und faule Menschen, die ihren Lebensunterhalt nur aufgrund mangelnder Initiative mit Betteln verdienen müssen, gelten im Islam als mindestens genauso tadelnswert wie brach liegendes Land oder totes Ka-pital. Und weil wir Menschen von Natur aus einen Hang zur Faulheit ha-ben, zählt der Prophet sie in diesem Hadith zu den Dingen, vor denen sich seine Gemeinschaft am meisten in acht nehmen muss.

Der vierte und letzte Punkt, auf den der Prophet zu sprechen kommt, ist die mangelnde Gewissheit im Glauben. Diese Glaubensgewissheit hat un-terschiedliche Grade: erstens die Gewissheit, die sicherem Wissen entspringt (Ilm al-yaqin), zweitens die Gewissheit, die auf Beobachtung und Sehen mit dem eigenen Auge beruht (Ayn al-yaqin), und drittens die Gewissheit der Wahrheit, die sich aus direkter Erfahrung speist (Haqq al-yaqin). Das be-deutet: Wenn jemand das, was er als Wahrheit erachtet, nicht wirklich ver-steht (jedenfalls nicht so weit, wie sein Kenntnisstand es eigentlich zuließe), dann besitzt er keine Gewissheit oder kein wahres Verständnis. Wenn der Glaube eines Menschen an Gott, an den Koran und auch an die anderen ele-mentaren Glaubensgrundsätze nicht auf Wissen basiert, das heißt, wenn er nicht durch eine eingehende Beschäftigung mit den Phänomenen des Uni-versums untermauert ist, dann kann nicht einmal von begrenzter Gewiss-heit die Rede sein; ein solcher Mensch besitzt überhaupt keine Gewissheit. Gewissheit beginnt mit Wissen, alles unterhalb dieser Stufe entspricht dem niedrigsten Niveau menschlichen Verständnisses.

Wissen ist der erste Schritt zur Gewissheit. Zum Beispiel führt uns das Buch des Universums seine Zeichen und Wunder vor Augen, sodass Wis-senschaftler, Künstler und viele andere kluge Köpfe zu der Überzeugung ge-langt sind, dass ein so hohes Maß an Schönheit, Ordnung und Harmonie in der Schöpfung die Existenz eines allwissenden und weisen Schöpfers erfor-dern; und diese Überzeugung hat sie dann zu der Erkenntnis geführt, dass es eine Verbindung zwischen Koran und Universum gibt. An diesem Punkt, an dem keine Zweifel an der Existenz des Existierenden Einen mehr bleiben, ist die erste Stufe der Gewissheit, das sichere Wissen (Ilm al-yaqin), erreicht.

Die Gewissheit, die auf Beobachtung und Sehen mit dem eigenen Auge beruht (Ayn al-yaqin), erlaubt uns, die Manifestationen Gottes, des Mani-festen Einen, auf allen Einheiten zu entdecken; es ermöglicht uns zu erken-nen, dass das Universum mit allem, was es in sich birgt, die Schöpfung Got-tes ist. Auf dieser Stufe bringen wir unserer Umwelt mit Bewusstsein und Herz größte Wertschätzung entgegen. Die blühenden Blumen, der Gesang

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der Vögel, die Frucht tragenden Äste der Bäume, die sich dem Himmel ent-gegenstrecken, und das Rauschen der Flüsse - all diese makellosen Schöp-fungen suchen nach ihrem Schöpfer wie einst Madschnun 8nach seiner Lay-la, der in jedem Schatten, den er entdeckte, und in jedem Zeichen, das sich ihm darbot, das Objekt seiner Sehnsucht zu erblicken glaubte.

Die Gewissheit der Wahrheit, die sich aus direkter Erfahrung speist (Haqq al-yaqin), erlangt man dadurch, dass man sein Leben ganz an den Geboten des Schöpfers ausrichtet, dass man voll und ganz begreift, dass alles Existierende von Gott stammt. Auf dieser Ebene ist dem Gläubigen klar, was genau die Gelehrten meinen, wenn sie sagen: „Alles kommt vom Schöpfer.“ Auf dieser Ebene ist ihnen bewusst, dass alles Lebendige wie Unbelebte einzig und allein durch Gottes Befehl eine Existenz erhält und diese Existenz dann auch einzig und allein durch Seinen Befehl bewahrt.

Tatsache ist, dass die drei unterschiedlichen Gewissheitsgrade mitein-ander verbunden sind; sie stützen und ergänzen sich gegenseitig. Wenn wir nicht möchten, dass die in dem Hadith geäußerte Sorge des Prophe-ten in unserem Fall berechtigt ist, sollten wir zumindest die unterste Stufe der Glaubensgewissheit erklimmen.

Um zum Schluss noch einmal auf die Verknüpfung der vier aufgezähl-ten Punkte voller Bauch, zu viel Schlaf, Faulheit und mangelnde Gewiss-heit zurückzukommen: Es besteht kein Zweifel daran, dass jemand, für den Essen und Trinken im Mittelpunkt seines Lebens stehen, kaum eine Chance hat, überhaupt irgendeine Gewissheit zu erlangen. Diese Gewiss-heit ist Menschen vorbehalten, die sich voller Ehrfurcht und Bewunde-rung an der schönsten Frucht des Universums, dem Leben, erfreuen; sie wird nur denjenigen gewährt, die um des Lebens willen ihr Konsumver-halten kontrollieren und nicht jedem Verlangen nachgeben.

Wie wichtig dem Propheten Muhammad dieses Thema war, zeigt ein weiterer Hadith. Dort sagt er: Der Mensch füllt kein schlechteres Gefäß als sei-nen Magen. Schon einige Bissen genügen dem Sohn Adams, um zu überleben. Aber wenn er es schon tun muss (wenn er seinen Magen füllen muss), dann soll er ein Drittel mit Essen füllen, ein Drittel mit Trinken und ein Drittel Luft lassen.

8 In der Sufiliteratur ist der Charakter Madschnuns ein Symbol für einen Eingeweihten. Madschnun verliebt sich hoffnungslos in Layla. Doch im Laufe der Zeit verwandelt sich diese Liebe des Eingeweihten in Gottesliebe.

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EIN GEBET UM SCHUTZ VOR UNGLÜCK

Wenn jemand zu Beginn des Morgens oder der Nacht dreimal sagt: „Im Namen Gottes, in dessen Namen nichts auf Erden oder im Himmel Schaden anrichten kann, denn Er ist der Hörende, der Allwissende!“,

dann kann ihm an dem Tag und in der Nacht nichts etwas antun.

(Ibn Madscha, Du’a, 14; Ahmad ibn Hanbal, Musnad, 1:62)

Viele Menschen glauben, dass dieses Gebet vor Lähmungen schützt. Aban ibn Uthman, der diesen Hadith überliefert hat, war teilweise gelähmt; offenbar wurde die Wirkkraft dieses Gebetes deshalb mit

seinem Leiden in Verbindung gebracht. Aber natürlich bezieht sich der Hadith nicht ausschließlich auf Lähmungen, sondern ist auch allgemein gültig.

Jeder Mensch auf Erden kann jederzeit von einer Krankheit oder einem Gebrechen heimgesucht werden. Herzkrankheiten zum Beispiel oder auch unterschiedliche Arten von Infektionen fordern viele Opfer, und wenn Blut-gerinnsel, die sich in den Adern bilden, ins Gehirn dringen, führt das zu ei-

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nem Schlaganfall mit schwerwiegenden Folgen (u.a. Lähmungen). Auf die-se Gefahr weisen die Worte nichts auf Erden in dem Hadith hin. Daher müs-sen wir geeignete Vorsichtsmaßnahmen ergreifen und nach Heilmitteln su-chen, mit denen schwere Krankheiten bekämpft werden können.

Es mag einsichtsvolle Menschen geben, die die Fähigkeit besitzen, hin-ter den Schleier der Dinge zu schauen, und die deshalb der Meinung sind, dass der Aufwand, den wir in der Welt der Ursachen betreiben, keinen großen Nutzen bringt. Sie stehen vielleicht auf dem Standpunkt, auf Me-dizin und Medikamente verzichten zu können. Normale Menschen hinge-gen müssen, solange sie in diesem Universum der Mittel und Ursachen le-ben, die auf Erden gültigen Gesetze beachten und werden dafür auch zur Rechenschaft gezogen.

Eine Ursache für die Entstehung von Krankheiten ist der Wille Got-tes; dieser Wille ist in dem Hadith mit den Worten oder im Himmel ge-kennzeichnet. Wenn ein Mensch beispielsweise plötzlich ohne Vorwar-nung und ersichtlichen Grund von einer Lähmung befallen wird, dann tritt darin der Wille Gottes zutage. In einem Fall wie diesem ist der Be-troffene dazu angehalten, Zuflucht bei seinem Schöpfer zu suchen; denn auch die erfolgreiche Behandlung, die Macht zu heilen und der Gunstbe-weis einer guten Gesundheit gehören allein dem Schöpfer. Die Hinwen-dung zum Schöpfer ist also nur logisch und sollte nicht erst dann erfolgen, wenn alle übrigen Optionen versagt haben und wir keinen anderen Aus-weg mehr sehen. Ibrahim Hakki sagte einmal:

Wenn es nicht mehr weitergeht,reicht Gottes Fügung dir die Hand,

nimmt sich deiner Wunden an.Was auch immer Gott verfügt,

stets zu deinem Besten ist.

In der Regel beten wir zu Gott, Er möge uns Barmherzigkeit und Ge-sundheit schenken, so zum Beispiel in dem Gebet: „O Gott, ich bitte Dich um Vergebung und Wohlergehen.“ Wir bitten Ihm um Vergebung für all unsere Missetaten und spirituellen Verfehlungen und um Schutz vor al-len körperlichen Gebrechen und Krankheiten. Gegenstand unserer meis-ten Gebete sind also Sünden und Heilung, die über die Worte Vergebung und Schutz miteinander verbunden sind.

Gehen wir noch ein wenig weiter ins Detail: Der Prophet Muhammad, Got-tes Friede und Segen seien mit ihm, sagte auch: Gott hat die Krankheit und die

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Heilung geschickt; für jede Krankheit gibt es ein Heilmittel. Nehmt Medizin, aber nehmt nichts zur Behandlung, was verboten (haram) ist. (Abu Dawud, Tibb, 11)

Diesem Hadith zufolge existiert für jede Krankheit und jedes Gebrechen ein Heilmittel, das heißt, auch für Lähmung. Dieses Heilmittel besteht in man-chen Fällen aus einem Medikament oder einer physischen Behandlung, wäh-rend in anderen Fällen Bittgebete zu Gott um Gesundheit wirksamer sind.

Zum Beispiel empfahl der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, auf schmerzende Körperstellen die Hand aufzulegen, dabei drei-mal die Basmala9 zu rezitieren und anschließend das folgende Gebet zu spre-chen: A‘udhu bi‘izzatillahi wa qudratihi min scharri ma ajidu wa ’uhadhiru.10

Wer aufrichtigen Herzens so vorgeht und damit sein volles Vertrauen in Gott beweist, wird gegebenenfalls mit der Heilung, für die er gebetet hat, be-schenkt. Das rechtschaffene Gebet eines Gläubigen gilt als makelloser Dienst an Gott, und wenn es zu den Toren des Hofes Gottes aufsteigt, vermag es alle Ursachen zu überwinden; es eröffnet dem Kranken die Möglichkeit, den hei-lenden Segen Gottes zu empfangen oder von der ‚geheimnisvollen Macht, die dem Licht der Einheit entspringt‘ geheilt zu werden.

Wenn jemand an einer Krankheit oder einem Gebrechen leidet, fühlt er sich niedergeschlagen, was auch die Zellen seines Körpers beeinträch-tigt. Doch mit einem tiefen, aufrichtigen Glauben und dem sicheren Wis-sen, mit Gottes Unterstützung die Krankheit überwinden zu können, las-sen sich sogar Krankheiten wie Krebs besiegen. Unser Körper ist durchaus dazu in der Lage, Krankheiten durch mentale Stärke und einen aufrichti-gen Glauben an den Schöpfer abzuschütteln. Wenn unsere Zellen mit gro-ßer Entschlossenheit aufgeladen werden, erneuern sie sich. Sie nehmen den Kampf gegen die Krankheit auf und helfen uns, uns zu erholen. Selbst tödliche Krankheiten können auf diese Weise bezwungen werden.

In einem schwächeren Hadith11 sagt der Prophet: Jeder Mensch wird von über 300 Engeln beschützt. Diese Engel passen auf uns auf; die meisten von ihnen nehmen ihre Schutzfunktion allerdings nur dann wahr, wenn

9 Alle Koransuren bis auf eine beginnen mit den Worten „Im Namen Gottes des Erbar-mers, des Barmherzigen!“, die auch als Basmala bezeichnet werden.

10 Zu Deutsch: „Ich suche Zuflucht bei Gott und Seiner Macht vor dem Unheil, das mich peinigt und vor dem ich mich fürchte.“

11 Die Hadithe wurden nach der Stärke ihrer Authentifizierung kategorisiert. Als schwä-chere Hadithe werden Überlieferungen bezeichnet, an deren Überliefererkette gewisse Zweifel bestehen.

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wir unsererseits die Gesetze der physischen Welt beachten und die medi-zinische Behandlung nicht vernachlässigen. Daher sollten gläubige Men-schen immer auch die Engel in ihre Gebete mit einschließen. Das Bittge-bet in dem eingangs zitierten Hadith („Im Namen Gottes, in dessen Namen nichts auf Erden oder im Himmel Schaden anrichten kann, denn Er ist der Hö-rende, der Allwissende!“) lässt sich auch als Aufruf an die Engel interpretie-ren, uns vor Unheil und Übel zu schützen. Es ist deshalb sehr wichtig, die-ses Gebet morgens und abends jeweils dreimal zu sprechen.

Der Überlieferer des obigen Hadithes, Aban Ibn Uthman, litt unter einer teilweisen Lähmung. Als Aban einmal bemerkte, dass einer der Ge-fährten ihn anschaute und ihn offenbar fragen wollte, wie es ihm geht, ver-sicherte er ihm, er habe den Hadith korrekt wiedergegeben, aber an dem Tag, an dem die Lähmung ihn befiel, habe er vergessen, das Gebet zu spre-chen. (Ibn Madscha, Du’a, 14)

Das Bittgebet mündet in die Worte: Er ist der Hörende, der Allwissen-de! Das Attribut Alim - allwissend - ist eines der umfassendsten Attribute Gottes des Allmächtigen, das alles umspannt. Gott besitzt ein umfassen-des Wissen von allem, was existiert und nicht existiert; nur ein Wesen mit einem so großen Wissen kann das, was wir Schicksal oder Vorherbestim-mung nennen, ins Werk gesetzt haben. Seine Macht erstreckt sich auf den Lauf der Dinge im Makrokosmos, im Universum als Ganzes, und gleich-zeitig auch auf die kleinsten Details im Mikrokosmos bis hin zu den Ato-men. Wenn Er es so will, kann Er folglich ohne Weiteres eine unserer Adern verstopfen lassen - mit den oben erwähnten Folgen.

Das Attribut Wort Sami - hörend - wiederum weist darauf hin, dass Gottes Gehör nichts entgeht, auch nicht unsere Gebete. Er ist der Hörende, der Allwissende! Unsere Gebete dringen tatsächlich zu dem Einen durch, der alles hört und alles weiß. Und wenn uns in dem Hadith versichert wird, dass jemandem, der dieses Gebet spricht, an dem jeweiligen Tag und in der Nacht nichts etwas anhaben kann, dann dürfen wir darauf bauen.

Dieses Gebet, das uns der Prophet Muhammad gelehrt hat, ist bis heu-te gültig und wird auch in Zukunft gültig sein, selbst dann, wenn wir nicht genau verstehen, wie es seine Wirkung entfaltet.

Möge Gott uns unter diejenigen Seiner Diener einreihen, die tief in ih-rer Seele auf diese Wahrheit und alle anderen Säulen des Glaubens ver-trauen. Amen.

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DER WERT FAMILIÄRER BEZIEHUNGEN

Wisset, wer eure Verwandten sind, damit ihr familiäre Beziehungen zu ihnen pflegen könnt (Silat ar-Rahm12). Die

Pflege familiärer Beziehungen sorgt für Zuneigung zwischen den Verwandten, bringt Reichtum hervor und verlängert das Leben.

(Tirmidhi, Birr, 49; Ahmad ibn Hanbal, Musnad, 2:374)

Die Beziehung zwischen dem Propheten Adam und dem Prophe-ten David dürfte eines der besten Beispiele für eine Verlänge-rung der Lebensspanne gewesen sein. Der Prophet Adam über-

trug dem Propheten David 40 Jahre seines Lebens; dieser dachte nämlich, er würde nicht lange genug leben, um zu erreichen, was ihm aufgetragen

12 Silat ar-Rahm bedeutet, dass man seine Verwandten besucht, sich nach ihrem Wohlbe-finden erkundigt, sie unterstützt und sie freundschaftlich und großzügig behandeln.

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worden war. So wurde Davids Verweildauer auf Erden um 40 Jahre ver-längert, und er wurde schließlich 80 Jahre alt. Das steht zwar nicht im Ko-ran, aber es wird in den wichtigsten Hadithsammlungen von Bukhari und Muslim erwähnt.

In früheren Zeiten war die Übertragung von Lebenszeit auf einen an-deren Menschen durch bestimmte entsprechende Gebete ein anerkann-tes Phänomen unter Gottesfreunden. Allerdings kann so etwas nur dann funktionieren, wenn die spirituellen Welten dieser Menschen völlig mitei-nander im Einklang stehen und wenn ihre Gebete vollkommen aufrichtig sind; denn Gott beantwortet Bittgebete in der gleichen Weise, wie sie Ihm vorgetragen wurden. Eine ähnliche aufrichtige Hingabe lässt sich vielleicht verwirklichen, wenn die Rechte der Verwandten beachtet werden; auch diese Form der Anbetung mag Gott den Allmächtigen, den ewig Existie-renden Einen, dazu bewegen, unsere Lebensspanne zu verlängern.

Wenn der Spender allen Lebens uns ein längeres Leben zugesteht, dann vielleicht deshalb, weil Er uns ermöglichen möchte, in einem längeren Le-ben noch mehr fruchtbare gute Taten vollbringen zu können. Denn wenn sich unser Lohn im Jenseits danach bemisst, was wir hier auf Erden an Gu-tem geleistet haben, dann gestattet uns eine längere Lebensspanne auch ei-ne reichere Ernte in der Sphäre der Ewigkeit. Einen ähnlichen Effekt hat zum Beispiel auch die Nacht der Bestimmung. Alle Muslime gehen davon aus, dass diese eine Nacht ertragreicher ist als 1.000 Monate der Anbetung Gottes; wenn es einem Gläubigen gelingt, in dieser Nacht an das Tor der Barmherzigkeit Gottes zu klopfen, dann wird er dafür reichlicher belohnt, als wenn er Gott 80 Jahre lang anbetet.

Wenn hier gesagt wird, dass gute familiäre Beziehungen das Leben ver-längern können, dann zeigt dies ganz deutlich, wie viel Wert den famili-ären Bindungen zugeschrieben wird. Doch so sehr sie auch im Islam ge-schätzt werden, so sehr werden sie heutzutage leider vernachlässigt. Gera-de in der jüngeren Vergangenheit ist der Respekt vor den nächsten Ver-wandten bedauerlicherweise auf immer neue Tiefstände gesunken. Selbst die eigene Mutter und der eigene Vater werden häufig vernachlässigt.

Es ist sehr wichtig, die Verwandten regelmäßig zu besuchen, angefan-gen mit Mutter und Vater und Brüdern und Schwestern, aber auch Groß-eltern, Tanten und Onkel. Als der Prophet Muhammad, Gottes Friede

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und Segen seien mit ihm, die ersten Offenbarungen des Korans empfan-gen hatte, sagte er zu seiner geliebten Frau und Partnerin Khadidscha: Ich fürchte mich13, woraufhin sie erwiderte: „Fürchte dich nicht; bei Gott, Er wird dich niemals demütigen. Du pflegst die familiären Beziehungen, er-leichterst den Menschen ihre Last, und du hilfst den Mittellosen.“ Diesen Worten und einer vergleichbaren Aussage ihres Cousins Waraqa ibn Na-wfal ist eindeutig zu entnehmen, dass familiäre Beziehungen damals von größter Bedeutung waren.

Als der erhabene Prophet unter den Nachstellungen durch die Un-gläubigen zu leiden hatte, sagte Abu Bakr zu ihm: „O Gesandter Got-tes! Einer wie du, der den Armen hilft und die familiären Beziehun-gen pflegt, verdient das nicht!“ Und auch als der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, die Quraysch dazu aufforderte, Nachsicht mit seinen Gefährten zu üben, ließ er die familiären Beziehun-gen nicht unerwähnt.

Aber nicht nur im Islam, sondern auch in den meisten anderen Zivilisa-tionen haben die verwandtschaftlichen Beziehungen stets eine sehr wichti-ge Rolle gespielt. In früheren Zeiten pflegten Söhne und Töchter mit ih-ren Eltern und Kindern zusammen im selben Haus zu leben; und solche Großfamilien sind auch heute noch in einigen Teilen der Welt gang und gäbe. Da die Familie die Kerneinheit der Gesellschaft bildet, ist eine Ge-sellschaft umso stärker und gesünder, je besser das Verhältnis der Famili-enmitglieder untereinander ist.

13 Der Prophet Muhammad sprach diese Worte, kurz nachdem er dem Erzengel Gabriel erstmals auf dem Berg Hira begegnet war. Um zu begreifen, was es mit dieser intensi-ven und außergewöhnlichen Erfahrung auf sich hatte, eilte der Prophet nach Hause und erzählte Khadidscha von seinem Erlebnis.

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DIE DREI DINGE, DIE VERBOTEN (HARAM) SIND,UND DIE DREI DINGE, DIE VERPÖNT (MAKRUH) SIND

Gott hat euch verboten, ungehorsam gegen eure Mütter zu sein, eure neugeborenen Töchter lebendig zu begraben sowie euren Mitmenschen

etwas vorzuenthalten, was ihnen zusteht, und Dinge anzunehmen, auf die ihr kein Anrecht habt. Er verabscheut den Tratsch, die zudringliche

Fragerei und die Verschwendung von Reichtum.

(Bukhari, Istiqrad, 19; Muslim, Aqdiya, 12)

Für den Ungehorsam gegen die eigene Mutter werden hier die Wor-te Uquq al-Ummahat verwendet. Diese sind sehr harsch; sie lassen darauf schließen, dass Gott Menschen, die ihre Mutter nicht eh-

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ren, verachtet. Folglich stellt diese Formulierung eine eindringliche War-nung dar, die zum Umdenken bewegen soll. Natürlich verdient der Vater ein genauso hohes Maß an Respekt wie die Mutter, und natürlich ist der Ungehorsam gegen den eigenen Vater ebenfalls eine Form der Aufleh-nung, die von Gott missbilligt wird; doch besitzt der Ungehorsam gegen die Mutter ungleich mehr Gewicht.

Die Worte Wa’d al-Banat kennzeichnen die im Zeitalter der Unwissen-heit (vor dem Islam) in bestimmten Regionen und in bestimmten Gesell-schaftsschichten verbreitete verabscheuungswürdige Praxis, Mädchen direkt nach der Geburt lebendigen Leibes zu begraben. Diese grausame und ent-würdigende Praxis war zum Teil auf Unwissenheit zurückzuführen, zum Teil auf Armut und zum Teil auch auf das rücksichtslose Bestreben, das Ver-mögen der Familie zusammenzuhalten; denn wenn die Tochter einmal hei-ratete, würde man ihr eine Mitgift zahlen müssen, von der dann die Fami-lie des Bräutigams profitieren würde. Unabhängig von den Gründen muss-te diese Barbarei gestoppt werden. Daher wurde sie sowohl im Koran als auch in den Hadithen verboten. Leider gibt es auch heute noch Länder in der Welt, in denen viele neu geborene Mädchen ermordet werden.

Das Wort Mana’a bezeichnet das Verweigern von Rechten und die Nichtanerkennung von Schulden, während das Beanspruchen von Din-gen, auf die man kein Anrecht hat, mit dem Wort Ha’ati ausgedrückt wird. Beides fällt eindeutig in die Kategorie des Verbotenen (ist also ha-ram) und wird hier in einem Atemzug mit dem Ungehorsam gegen die ei-genen Eltern und dem Mord an neugeborenen Töchtern genannt.

Das erste dieser beiden Wörter dürfte darauf verweisen, dass wir den Armen gegenüber Verantwortung tragen; dass wir sie durch Almosen und Spenden oder in anderer Form unterstützen müssen. Das zweite Wort hingegen bezieht sich möglicherweise auf Bettler und allgemein auf all je-ne, die um Almosen bitten. Wenn wir noch einen Schritt weiter ins De-tail gehen, dann bedeutet das erste Wort, dass man andere Menschen ihrer Rechte beraubt oder sich widerrechtlich ihren Besitz aneignet: zum Bei-spiel durch das Bezahlen mit ungedeckten Schecks oder Wechseln, durch betrügerische Insolvenz oder durch das Einstreichen illegaler Gewinne jeglicher Art. Zum Bedeutungsfeld des zweiten Worts wiederum würden dann Dinge gehören wie Bettelei, die Ausnutzung religiöser oder nationa-ler Gefühle und alles, was damit verbunden ist, egal ob legal oder illegal.

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Diese letzte Konnotation schließt auch das Ausüben von Druck auf un-schuldige Menschen mit ein, indem man sie erpresst oder bestiehlt.

Drei weitere Themen werden in dem Hadith erwähnt, auch wenn sie nicht ganz so streng verurteilt werden wie die ersten drei: Tratsch, zu-dringliche Fragerei und die Verschwendung von Reichtum.

Qil wa Qal bedeutet Tratsch, überflüssiges Geschwätz. Darunter ist jedes belanglose Geplänkel zu verstehen, das keinerlei positiven Aspekt in dieser Welt oder im Jenseits hat, nutzloses Geplauder oder Gespräche über Themen, die nicht wirklich von Bedeutung sind. Auch entsprechen-de Sendungen und Formate in den Medien können dazu zählen (Zeitun-gen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen). Diese haben sich regelrecht zu einer gesellschaftlichen Krankheit ausgewachsen, die gedankenlose und passive Menschen hervorbringt, denen jedes Ziel im Leben fehlt. Tratsch und überflüssiges Geschwätz sind im Islam absolut verpönt. Der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, sagte zum Beispiel auch: Wer an Gott und an den Jüngsten Tag glaubt, sollte seinen Nächsten keine Unannehmlichkeiten bereiten; wer an Gott und an den Jüngsten Tag glaubt, sollte großzügig zu seinen Gästen sein; wer an Gott und an den Jüngs-ten Tag glaubt, sollte entweder Gutes sagen oder schweigen...

Auf zudringliche Weise Fragen zu stellen, gilt ebenfalls als inakzepta-bel. Es wird sowohl im Koran als auch in den Hadithen verurteilt, während wir dort andererseits bei jeder sich bietenden Gelegenheit dazu ermutigt werden, uns nützliches Wissen anzueignen. Zudringliche Fragerei im Sin-ne von betteln fällt in die Kategorie von Handlungen, die entweder zulässig oder verpönt sein können; je nachdem, ob eine echte Notwendigkeit vor-liegt oder nicht, kann sie entweder erforderlich oder verboten sein. Auf den ersten Blick handelt es sich bei zudringlicher Fragerei und Bettelei um zwei grundverschiedene Dinge. Doch dieser ‚gemeinsame Aspekt‘ verbindet sie.

Die Verschwendung von Reichtum oder Besitz ist ein Problem, un-ter dem heute die ganze Welt zu leiden hat. Der übermäßige Konsum von Gütern, die weder in dieser Welt noch im Jenseits irgendeinen materiellen oder spirituellen Nutzen abwerfen, schadet Individuum und Gesellschaft gleichermaßen. Zwar tut sich der Einzelne zunächst einmal selbst kei-nen Gefallen, wenn er seinen persönlichen Reichtum verschwendet; doch langfristig und indirekt werden dabei auch nationale Vermögenswerte ver-nichtet, was dann auch der Wirtschaft als Ganzes schadet.

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GRÜNDLICHES NACHDENKEN UND ANBETUNG

Eine Stunde gründlichen Nachdenkens (Tafakkur) ist besser als 60 Jahre (freiwillige) Anbetung.

(Kanz al-Ummal, 3:106)

In diesem Hadith heißt es, dass eine Stunde gründlichen Nachden-kens 60 Jahre freiwillige Anbetung aufwiegt, während in einem an-deren von immerhin einem Jahr Anbetung die Rede ist. Letzterer

gilt jedoch als schwächerer Hadith. Im Koran finden sich viele Verse, die die Bedeutung des gründlichen Nachdenkens unterstreichen:

Wahrlich, in der Erschaffung der Himmel und der Erde und in der Ab-wechslung von Tag und Nacht (mit ihren sich verkürzenden und verlän-gernden Zeitabläufen) sind Zeichen (in denen sich die Wahrheit manifes-tiert) für die Einsichtigen. (3:190)

Wer über die Wunder im Universum nachdenkt, wird in ihnen Lektio-nen und Zeichen entdecken; zum Beispiel in der schier unglaublichen Prä-zision der unausgesetzten Rotationsbewegungen von Sonne und Mond oder in ihrem perfekt synchronisierten Auf- und Untergang am Himmels-zelt. Der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, kommentierte den obigen Koranvers mit folgenden Worten: Wer diesen Vers rezitiert, ohne über ihn nachzudenken, soll sich schämen. Umm Salama

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berichtete, der Prophet habe geweint, als dieser Vers offenbart wurde, und auch jedes Mal, wenn er ihn rezitierte. Dieser und viele andere Verse sind Tore, die auf den Weg des gründlichen Nachdenkens führen; sie sind des-halb so wichtig, weil sie uns die Dimensionen der Welt des Denkens im Islam vor Augen führen.

Gründliches Nachdenken muss auf bestimmten grundlegenden Er-kenntnissen basieren. Ein Sinnieren, dem das Fundament fehlt, hat nichts mit gründlichem Nachdenken zu tun. Ein Verstand, dem über einen län-geren Zeitraum hinweg Fesseln angelegt werden, verliert sich in Lange-weile und erschlafft. Um systematisch denken zu können, benötigen wir möglichst umfassende und solide Geschichtskenntnisse und Kenntnisse über die Welt, in der wir heute leben.

Die regelmäßigen Bewegungen von Mond und Sternen versetzen uns in ehrfürchtiges Erstaunen, und sie üben großen Einfluss auf uns aus. Wenn wir über die Wunder reflektieren, die uns allerorten im Universum begeg-nen, und wenn wir dazu in der Lage sind, zumindest ein wenig von dem, was sie charakterisiert, zu ergründen, dann denken wir gründlich nach.14 Schauen wir hingegen nur mit romantisch verklärtem Blick zum Himmel hinauf, so sind wir nichts weiter als Träumer, die sich ihren Inspirationen hingeben. Gründliches Nachdenken erfordert zum einen ein gewisses Maß an Hintergrundwissen und Faktenwissen, zum anderen die Fähigkeit, da-raus neues Wissen abzuleiten, und schließlich die Entschlossenheit, den Dingen auf den Grund zu gehen, zum Kern der Dinge vorzustoßen.

Wer diese Grundvoraussetzungen erfüllt und sein Denken systemati-siert, wird mit der Zeit tiefer und tiefer reflektieren und ganz neue Er-kenntnisse gewinnen können. Aus eindimensionalem Denken wird dann zwei- und dreidimensionales Denken, bis wir uns schließlich sogar auf die Stufe der spirituellen Vollkommenheit aufschwingen und zu einem Insan kamil15 werden können.

Die wichtigsten Prinzipien gründlichen Nachdenkens lauten, dass man das Buch des Universums studiert, aufmerksam in ihm liest und sich mit ihm vertraut macht, dass man seine Seele den Inspirationen des Schöpfers

14 Viele Beispiele für diese Perspektive finden sich auf der Webseite www.fontaene.de.15 Siehe dazu: Fethullah Gülen; Sufismus 2; Offenbach a. M. 2010

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öffnet und seinen Geist den Gesetzen der Schöpfung und dass man die Schöpfung aus der Perspektive von Gottes erhabener Interpretation, dem Koran, betrachtet. Auch wenn nicht eindeutig definiert ist, welche Vor-stellungen, Ziele und Intentionen gründliches Nachdenken auszeichnen sollten, lässt sich zumindest festhalten, dass eine unverständige Wahrneh-mung von Objekten oder Geschehnissen nicht als gründliches Nachden-ken gelten kann. Sie ermöglicht keinen echten Fortschritt im Denken, und ob sie jemals belohnt wird, ist ebenfalls fraglich.

Eine Stunde gründlichen Nachdenkens wiegt Jahre der Anbetung auf, weil uns Menschen das Potenzial verliehen wurde, innerhalb von nur einer Stunde intensiven und erschöpfenden Reflektierens ins Herz des Glaubens vorzustoßen. Wenn uns dies gelingt, beginnt unsere Seele zu glühen und unser Herz fließt über von Liebe zu Gott. Dann kommen wir in den Ge-nuss der reinen Freuden der Spiritualität und sammeln in kürzester Zeit Erkenntnisse, zu denen andere, die nicht gründlich nachzudenken vermö-gen, selbst in tausend Monaten nicht gelangen.

Eine Anbetung, der es an Verständnis und Erkenntnis mangelt, käme einer einzigen solchen Stunde gründlichen Nachdenkens selbst dann nicht gleich, wenn sie über tausend Jahre hinweg vollzogen würde. Sie ist mit keinerlei Erkenntnisgewinn verbunden, es sei denn, der Schöpfer gewährt dem Betenden Einsicht, indem Er direkt unterstützend eingreift und ihm Seine Gnade und Gunst zuteil werden lässt. Dies bedeutet andererseits je-doch nicht, dass ein entsprechender Dienst an Gott und die damit verbun-denen Praktiken vergebens wären. Kein Gebet, keine Niederwerfung und auch keine andere Form der Anbetung zu Ehren des Angebeteten Einen ist jemals nutzlos. Die Tiefe und Qualität aber schwankt proportional zur Qualität des Denkens und somit zur Stufe des gründlichen Nachdenkens, die man erklommen hat.

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WOHLVERHALTEN

Gott hat mich unterwiesen und das besteWohlverhalten (Adab) gelehrt.

(Kanz al-Ummal, 7:214)

A dab ist das arabische Wort für Literatur, es besitzt darüber hinaus aber noch viel mehr Konnotationen wie zum Beispiel Wohlver-halten, Umgangsformen, Freundlichkeit, Eleganz, Raffinesse und

Vollkommenheit. Oft wird es verwendet, um den vorbildlichen Lebensstil, das nachahmenswerte Verhalten und die Integrität eines Menschen zu lo-ben oder um auszudrücken, dass jemand im Hinblick auf seine Spiritualität und auf die Läuterung seines Herzens weit fortgeschritten ist. Der Prophet

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Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, verkörperte den Gipfel des Adab. Sein Adab war in Wort und Tat gleichermaßen unübertroffen.

Abu Bakr fragte ihn einmal: „O Gesandter Gottes, wer lehrte dich die-sen Adab?“ Da entgegnete er: Mein Herr hat mich unterwiesen und das bes-te Wohlverhalten gelehrt.

Nach dem Tod des Propheten wurde seine Frau Aischa, die Tochter von Abu Bakr, gefragt: „Was war es, das den Charakter und die Moral des Gesandten Gottes auszeichnete?“ Aischa antwortete mit einer Gegenfrage: „Habt ihr denn nicht den Koran gelesen?“ Sie erwiderten: „Doch, natür-lich!“ Daraufhin entgegnete Aischa: „Sein Charakter war der Koran.“

Da der Gesandte Gottes seine moralische Unterweisung direkt von Gott erhielt, sollte ihn jeder, der sich Adab erwerben möchte, als Vorbild betrachten und ihm nacheifern. Er war ein Muster an Adab. Der Allmäch-tige erschuf den Propheten Muhammad mit einem Adab, der für die gan-ze Menschheit ein hohes Ideal darstellt. Dieser Adab verlieh ihm die Fä-higkeit, die schwere Bürde seiner Prophetenschaft und die Verantwortung für seine ganze Gemeinschaft zu tragen. Wäre der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, nicht mit solch erlesenem Wohl-verhalten ausgestattet worden, dann hätte er wahrscheinlich von Zeit zu Zeit Fehler begangen, so wie jeder andere Mensch auch. Und diese Fehler hätten sich dann im Verhalten seiner Gemeinschaft widergespiegelt und wären von ihr noch verstärkt worden. Weil der Gesandte Gottes also nicht nur für sich selbst verantwortlich war, sondern auch die Verantwortung für seine gesamte Gemeinschaft schulterte, schenkte Gott ihm eine vor-zügliche Moral und ausgezeichnete Umgangsformen.

Der Prophet Muhammad war schon vor seiner Prophetenschaft für sei-nen einwandfreien Charakter bekannt. Als er noch ein Jugendlicher war, musste die Kaaba einmal restauriert werden, und er selbst beteiligte sich an den Arbeiten. Während man nun Steine für den Wiederaufbau des Ge-bäudes herbeitrug, legte sich sein Onkel Abbas den Saum seines Gewan-des über die Schultern, um sie unter dem schweren Gewicht abzupols-tern. Schnell wiesen auch die Schultern des Propheten Quetschungen auf. Da empfahl Abbas seinem Neffen, es ihm gleichzutun. Allerdings hätte Muhammad dafür seine Knie entblößen müssen. Als er sich gerade an-schickte, dem Rat seines Onkels zu folgen, noch ehe er den Zipfel seines Gewands zu fassen bekam, erschien ihm plötzlich ein Engel. Da sackte

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Muhammad von großer Angst ergriffen zu Boden; und er dachte künftig nie wieder daran, sein Knie zu entblößen.

Außerdem erzählte er: Zweimal wollte ich als Kind an einer Hochzeitsfei-er teilnehmen. Beide Male übermannte mich ich auf halbem Wege dorthin der Schlaf. So blieb es ihm erspart, dort Dinge zu tun, die er später als Prophet verbieten würde.

Diese Überlieferungen zeigen, dass Gott der Allmächtige Seinen Gesand-ten bereits vor einer Prophetenschaft davor bewahrte, sich etwas zu Schulden kommen zu lassen oder eine Sünde zu begehen. Das ist eine außergewöhnli-che Auszeichnung, die nur dem Propheten Muhammad zuteil wurde.

Wie hätte es aber auch anders sein sollen? Denn schon im Kindesal-ter hatten Engel dem zukünftigen Prophet die Brust geöffnet und ihm das Mal des Satans herausgerissen. Fortan lebte der Gesandte Gottes also oh-ne dieses schwarze Mal, das jeder Mensch in sich trägt und das vom Sa-tan als Zielscheibe für seine Pfeile verwendet wird. Der Satan, der unse-rem Herzen Böses einflüstert und durch unsere Adern fließt, konnte sich ihm nun nicht mehr nähern. Nicht nur in dieser Hinsicht war der Prophet Muhammad ein einzigartiger Mensch.

Auch später hielt Gott Seine schützende Hand über ihn. Sein ganzes Leben lang blieb er so unbefleckt und rein wie am Tag seiner Geburt. Vom ersten bis zu seinem letzten Tag auf Erden verkörperte der Gesand-te Gottes Wohlverhalten.

Der Adab des Propheten umspannte alle Lebensbereiche, er praktizierte ihn in jeder nur erdenklichen Lage. Ungerechtigkeiten ließen ihm solange keine Ruhe, bis er den Geschädigten zu ihrem Recht verholfen hatte. Doch wenn ihm selbst Unrecht widerfuhr, und mochte es auch noch so schwer-wiegend sein, hatte er dafür nicht einmal ein missbilligendes Stirnrunzeln übrig; geschweige denn, dass er sich verteidigt oder Rache geübt hätte.

Einmal kam ein Beduine zum Propheten, als er gerade bei seinen Ge-fährten stand, und packte ihn so fest am Kragen, dass er einen Abdruck am Hals davontrug. Die Gefährten echauffierten sich sehr darüber, aber der Prophet lächelte nur und forderte sie mit ruhiger Stimme auf: Gebt diesem Mann, worum er gebeten hat! Damit ließ er die Angelegenheit auf sich be-ruhen. Dies ist nur eines von Hunderten von Beispielen, die die Nachsicht, Güte und Geduld des Propheten dokumentieren.

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Im Leben des Propheten Muhammad gab es einige Momente, wo man selbst den gutherzigsten Menschen zugestanden hätte, gekränkt oder wü-tend zu reagieren; aber der Adab des Propheten war wie eine strahlende Sonne. Hier eines der bemerkenswertesten Beispiele:

Vor der Schlacht von Uhud hatte der Prophet einen Traum, der ihn da-von überzeugte, dass es besser sei, in Medina zu bleiben und die Stadt zu verteidigen. Folglich bestand er zunächst darauf, dass die Muslime Medi-na nicht verlassen sollten. Eine Gruppe unter seinen Leuten war jedoch so sehr erpicht darauf, ihre Loyalität unter Beweis zu stellen und dem Islam zu dienen, dass sie es ablehnten, sich seinem Befehl zu fügen.

Letzten Endes machten sich die Muslime auf den Weg nach Uhud, wo der Prophet Muhammad als ihr Befehlshaber die bestmögliche Schlachtord-nung wählte. Die Kämpfe begannen, und sie waren heftig. Schon bald gab der Feind auf und zog sich zurück. Aber nun zeigte sich, dass die Bogenschüt-zen nicht recht begriffen hatten, warum sie dem Propheten Gehorsam leisten mussten, und sie verließen ihre Stellungen. Durch ihr Verschulden starben an jenem Tag 69 Menschen den Märtyrertod, unter ihnen auch Hamza, der On-kel des Propheten. Von den Überlebenden kam keiner ohne Verletzungen da-von. Darüber hinaus hatten die Würde und Ehre des Islams einen schweren Schlag einstecken müssen, und das traf die Muslime am allerschlimmsten.

Nun wäre es völlig normal gewesen, wenn der Befehlshaber dieser Ar-mee seinem Zorn freien Lauf gelassen hätte. Doch da intervenierte Gott, und ein Vers wurde ihm offenbart:

Und durch Gottes Barmherzigkeit bist du (o Gesandter) milde zu ihnen gewe-sen (als der Rückschlag eintrat). Wenn du schroff und hartherzig gegen sie ge-wesen wärst, hätten sie sich von dir abgewandt. So vergib ihnen, und bitte für sie um Vergebung. Und ziehe sie in (öffentlichen) Angelegenheiten zu Rate. Doch wenn du dich (zu einer bestimmten Vorgehensweise) entschlossen hast, dann vertraue auf Gott. Wahrlich, Gott liebt die, die (auf Ihn) vertrauen. (3:159)

Der Prophet war ein Mensch, der seinen Mitmenschen stets mit Respekt begegnete; und den gleichen Respekt ließ der Barmherzige auch ihm ange-deihen. Anstatt ihn zum Beispiel aufzufordern: „Sei nicht hartherzig gegen sie!“, wählte der Schöpfer viel sanftere Worte: Wenn du schroff und hartherzig gegen sie gewesen wärst …, was bedeutet: „Du bist nicht schroff gewesen!“

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WISSEN UND DIENST AN GOTT

Die Überlegenheit eines Gelehrten gegenüber dem Betenden gleicht meiner Überlegenheit gegenüber dem Geringsten von euch.

(Tirmidhi, Ilm, 19)

Mit diesen Worten beschrieb der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, den Wert der Gelehrsamkeit. Diener Gottes, die über nur wenig Wissen verfügen, können

aus Unkenntnis jederzeit Fehler begehen und infolgedessen vom rechten Weg abkommen; vielleicht sogar dauerhaft, je nachdem, wie eng ihre Be-ziehung zu Gott ist. Manche glauben sogar, dass es schon als Zeichen für ein Abkommen vom rechten Weg zu werten ist, wenn man auch nur einen einzigen Augenblick lang nicht an seinen Schöpfer denkt. Diejenigen, die das Erbe des Propheten Muhammad weitertragen, die Gelehrten und Wei-sen dieser Welt, hinterfragen permanent ihr eigenes Handeln und Denken. Sie wissen, dass Selbstkontrolle unerlässlich ist. Sie sind sich der Gefahren

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ihres Weges stets bewusst, daher sind sie wachsam. Ein Gelehrter, der sei-ne religiösen Pflichten erfüllt und seine Studien mit der gebotenen Acht-samkeit betreibt, ragt aus der Reihe derjenigen Gläubigen, die Gott un-achtsam oder unwissend dienen, genauso heraus, wie der Prophet aus der Reihe seiner Gefährten herausragte.

Eine weitere Erklärung für diesen Hadith lautet, dass gläubige Men-schen, die Vollkommenheit im Glauben erlangt haben, keine Gelegenheit verstreichen lassen werden, sich noch mehr Wissen anzueignen. Im Ge-genteil, sie werden alle erdenklichen Anstrengungen unternehmen, um je-den Lichtstrahl, den sie zu fassen bekommen, in ihr Herz aufzusaugen; von dort aus werden diese Strahlen dann der Seele übermittelt - als ei-ne Manifestation der Einheit mit dem Schöpfer. Und in der Seele blühen sie auf und verwandeln sich in jene Barmherzigkeit, die die Gefühle die-ser Menschen gegenüber ihrem Schöpfer befeuert. Gleichzeitig bringen sie mit diesem Bestreben auch ihre Wertschätzung für Gott zum Ausdruck. Ihr Wissensdurst dient ihnen als Instrument, mit dem sie ihrer Seele im-mer wieder neue spirituelle Empfindungen und Manifestationsformen der Wahrheit einträufeln; und an den Lichtstrahlen, die ihre Seele durchdrin-gen, lassen sie ihre Mitmenschen teilhaben. Menschen, die mit solcher Weisheit gesegnet sind, können unendlich viel Wissen erwerben und aus ihrem Dienst an Gott unendlich große Befriedigung ziehen.

Jeder Mensch ist dazu verpflichtet, getreu seinem Wissen zu handeln und seine Kenntnisse nicht für sich zu behalten. Wer gegen dieses Gebot verstößt, wird im Koran eindringlich gewarnt:

Und doch verbirgt ein Teil von ihnen die Wahrheit, und sie tun es wissent-lich. (2:146)

Manche Leute besitzen Kenntnisse aller Art, ohne sie jedoch in ihrem Handeln zu beherzigen oder sie weiter zu vermitteln. Sie halten ihr Wissen zurück, obwohl sie sich der Tatsache bewusst sind, dass andere davon pro-fitieren würden. Diese bedauernswerten, hilflosen Menschen verstecken das Licht der Erkenntnis in ihrer Seele und bringen es dadurch zum Erlöschen.

In einem anderen Hadith zum gleichen Thema heißt es, dass Gott Menschen, die Wissen besitzen, es aber mit niemandem teilen, am Tag der Auferstehung mit Zaumzeug aus Feuer Zügel anlegen wird. Was die-se Worte zu bedeuten haben, ist relativ klar: Wer etwas Nützliches lernt oder herausfindet, ohne es in Worte und Taten umzusetzen, und andere

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nicht daran teilhaben lässt, wird im Jenseits dafür bestraft werden. Dieser Hadith ist Tadel und Warnung zugleich. Zaumzeug legt man sonst nur Tieren an, aber diese Menschen schätzen die herausragenden Tugenden von Denken und Wissen gering und erweisen sich als undankbar für die Erfolge und Fähigkeiten, die ihnen verliehen wurden. Sie verkennen die Schönheit des Glaubens, und zu den Empfindungen des Glaubens, die den Menschen erst zu einem Geschöpf machen, das sich von allen anderen Ge-schöpfen unterscheidet, finden sie keinen Zugang.

Wissen und Wissensvermittlung sind zwei unterschiedliche Seiten der gleichen Medaille, die beide von größter Wichtigkeit sind. Positives Han-deln wiederum ist unter dem Aspekt des Glaubens unverzichtbar. Wenn es gelingt, diese drei Punkte miteinander zu verbinden, verschmelzen sie zu einer einzigen unteilbaren Ausdrucksform der Religion. Wer sich Wissen erwirbt und es dann praktiziert, bekundet dem Wissen Respekt; und wer den Schöpfer anerkennt, Ihm dient und Seine Gebote befolgt, bekundet Ihm Respekt. All diejenigen hingegen, die es nicht für nötig halten, Ihm zu dienen und Seine Gebote zu befolgen, obwohl sie Ihn doch eigentlich anerkennen, verhalten sich ebenso respektlos wie gedankenlos. Die fahr-lässige Vernachlässigung der Glaubenspflichten durch vermeintliche Re-präsentanten des Islams wirkt sich verheerend auf das Bild aus, das sich Außenstehende vom Islam machen, und hinterlässt einen sehr schlechten Eindruck. Die Kommentare von Menschen im Westen über Muslime, die ihre Religion nicht wie geboten praktizieren, sind der lebende Beweis da-für; ihre Worte und Kommentare werden im Jenseits Zeugnis ablegen.

Kurzum, der Islam ist ein von Gott vorgegebenes System, das Glauben und Handeln gleichermaßen umfasst. Es vereint den Glauben an Gott mit den Anbetungspflichten und Handlungsvorgaben für den Alltag. Wer ver-sucht, anderen Menschen darzulegen, welche Pflichten der Islam den Gläu-bigen auferlegt, ohne diese Pflichten dann selbst zu erfüllen, bemüht sich vergebens; denn seine Worte werden keine nennenswerte Wirkung erzielen. Es gibt keinen besseren und effektiveren Weg, die Menschen vom Islam ein-zunehmen, als ihn samt all seinen Praktiken und Pflichten im eigenen Leben zu verankern. Natürlich mag es den einen oder anderen inspirieren, wenn man ihm von vorbildlichen Muslimen aus der Vergangenheit und deren Er-fahrungen mit dem Glauben erzählt, aber wenn man selbst ein schlechtes Beispiel gibt, wird dies zwangsläufig einen schlechten Eindruck erwecken und insofern möglicherweise sogar eher schaden als nützen.

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MITGEFÜHL: EIN PFAD ZU WISSENSVERMITTLUNG UND RECHTLEITUNG

Ihr und ich, wir ähneln jemandem, der ein Feuer entzündet hat, in das sich die Insekten und Motten stürzen, und der sich nun bemüht, sie davon fernzuhalten. Ich halte euch fest, damit ihr nicht ins Feuer

springt, aber ihr gleitet mir aus den Händen.

Bukhari, Riqaq, 26; Muslim, Fada’il, 17-19)

Persönliche und gesellschaftliche Probleme lassen sich nur dann lö-sen, wenn wir dazu in der Lage sind, anderen ihre Fehler und Un-zulänglichkeiten zu verzeihen und ihnen den rechten Weg zu wei-

sen. Als beispielhaft darf der Umgang des Propheten Muhammad, Gottes

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Friede und Segen seien mit ihm, mit solchen Fehlern und Unzulänglich-keiten gelten. Mit seinem leuchtenden Vorbild öffnete er den Menschen die Augen für die beste Form der Wissensvermittlung und Rechtleitung im Islam; und die Tatsache, dass sich der Prophet für diesen Ansatz ent-schied, lässt darauf schließen, dass auch wir viele Menschen erreichen kön-nen, wenn wir es ähnlich halten wie er.

Wer sich seinen Mitmenschen nicht mitfühlend und verständnisvoll nä-hert, schreckt sie nur ab und dringt nicht zu ihnen durch, selbst wenn er gute Absichten verfolgt. So besteht die Gefahr, dass sie sich weiter ver-schließen und in sich zurückziehen und schließlich Wege einschlagen, die immer weiter in die Irre führen. Begegnen wir den Menschen hingegen mitfühlend und verständnisvoll, dann vertrauen sie uns ihre Probleme an.

Wenn jemand von Sünde umgeben ist oder im Meer des Elends verzwei-felt gegen das Ertrinken ankämpft, dann muss er irgendwie in diese bedroh-liche Lage hineingeraten sein, und er kann nicht glücklich damit sein. Wahr-scheinlich wird er nach einem Ausweg suchen, sofern sich sein Gewissen noch nicht völlig verfinstert hat und sich seine Seele noch nicht in einem Zustand der Auflösung befindet. Und warum sollten nicht wir es sein, die ihm mit un-serem Mitgefühl und unseren tröstenden Worten diesen Ausweg zeigen?

Wenn wir uns jemandem mit Mitgefühl, Fürsorge und Zurückhaltung nähern, wird er viel eher bereit sein, uns anzuhören, auch wenn er mit dem, was wir ihm sagen, nicht einverstanden sein mag. Bei vielen Men-schen öffnet sich die Seele gerade dann, wenn man es am wenigsten erwar-tet. Wenn wir anderen helfen, kann es durchaus passieren, dass sie durch unser Mitgefühl und Verständnis zum Licht des Glaubens finden. Dann werden sie uns auf ewig dankbar sein, und wir werden im Jenseits mit ei-nem Anteil an jeder guten Tat belohnt, die sie fortan vollbringen.

Dies lässt sich am besten an einigen Beispielen verdeutlichen. Stellen wir uns einmal vor, dass ein Mann, den wir überhaupt nicht mögen, mit seiner Frau und seinen Kindern von einem Feuer bedroht ist oder dass wir an ei-nem Schiff vorüberfahren, das gerade im Begriff ist zu sinken und dessen uns völlig fremde Passagiere offensichtlich ihre ganze Hoffnung darauf set-zen, dass wir sie retten. Sicher würden wir in diesem Fall, ohne auch nur ei-ne Sekunde nachzudenken, das tun, was jeder andere Mensch mit nur einem Funken Menschlichkeit in sich ebenfalls tun würde: Wir würden jede er-denkliche Anstrengung unternehmen, um diese in Lebensgefahr schweben-

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den Menschen zu retten - selbst dann, wenn irgendjemand versuchen wür-de, uns davon abzubringen. Das gebietet uns unser Gewissen, und die Stim-me unseres Gewissens ist lauter als jede andere Stimme.

In der heutigen Zeit, in der die Menschheit immer neue materielle und spirituelle Katastrophen durchlebt, die sich auf unser aller Leben auswirken, gilt es, schwierige Situationen und die Bedingungen, die ihnen zugrunde liegen, aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu prüfen und dann entsprechen-de Ratschläge zu erteilen oder einzugreifen. Doch ein kluger Mensch, der den Islam repräsentiert, sollte dies auf keinen Fall mit Gewalt tun; er sollte außerdem klarstellen, dass er keine politischen Interessen verfolgt, und auch nicht zu Lügen greifen. Oberstes Gebot für Gläubige ist es, ihren Mitmen-schen liebevoll, fürsorglich, mitfühlend und uneigennützig, allein um der Sache Gottes willen, zu helfen; das ist es, was Menschen, die nach einem Ausweg aus ihrer misslichen Lage suchen, brauchen und von uns erwarten.

Der Prophet Muhammad war uns ein leuchtendes Vorbild, an ihm sollten wir uns orientieren. Denken wir nur einmal daran, was er alles auf sich nahm, um Menschen zum Glauben zu führen oder um ihnen ihren Glauben zu bewahren. Manche bewarfen ihn dafür sogar mit Steinen oder Abfällen oder versuchten gar, ihn zu erwürgen, während er betete.

Die Bewohner der Stadt Ta’if etwa ließen einen Steinhagel auf ihm nieder-gehen; blutüberströmt rettete er sich unter einen Baum in einem Obstgarten. Da erschien ihm ein Engel und teilte ihm mit, die Engel seien bereit, den Berg über diesem ungehorsamen Volk zu zermalmen, wenn er ihnen den Auftrag dazu gab; aber der Prophet wollte nicht, dass das Unheil über diese Menschen hereinbrach, und in seiner großen Barmherzigkeit sagte er, er hoffe, dass Gott es demnächst auch den Bewohnern der Stadt erlaube, Ihn anzubeten.

Einen weiteres Beispiel für das aufrichtige Mitgefühl des Propheten lie-fert folgende Episode: In einer Schlacht brach ihm ein Zahn heraus, und ein Teil seines Metallhelms bohrte sich in seine Wange. Trotzdem erhob er mit blutüberströmtem Gesicht die Hände und betete zu seinem Schöpfer: O mein Herr, leite dieses Volk auf den rechten Weg, denn es ist unwissend! So verhinderte er, dass Gott sie bestrafte. Hass, Groll und rücksichtsloses, brutales Handeln bringen nichts Gutes hervor. Unsere Pflicht ist es, unseren Mitmenschen uni-verselle menschliche Werte nahezubringen und ihnen zu dienen; selbst Über-zeugungsversuche sind nur dann legitim, wenn sie absolut unerlässlich erschei-nen. Als Methode der Rechtleitung sind sie gänzlich ungeeignet.

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EHRLICHKEIT UND UNEHRLICHKEIT

Lebt euer Leben ehrlich! Ehrlichkeit führt zum Guten, und das Gute führt ins Paradies. Sobald ein Mensch stets die Wahrheit sagt und nach ihr sucht, wird er bei Gott als Siddiq (Wahrheitsliebender)

registriert werden. Vermeidet es zu lügen! Lügen führen zu Unmoral, und Unmoral führt in die Hölle. Sobald ein Mensch erst einmal

angefangen hat zu lügen und der Lüge zuneigt, wird er bei Gott als Kazzab (notorischer Lügner) registriert werden.

(Bukhari, Adab, 69; Abu Dawud, Adab, 80)

Ehrlichkeit ist eines jener Attribute, die sämtliche Propheten besa-ßen. Sie ist ein wichtiger Teil unseres Lebens, der unsere Vergan-genheit, Gegenwart und Zukunft beeinflusst. Die Unehrlichkeit

hingegen ist ein finsterer Schatten, der uns unser Leben lang verfolgt. Nie-

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mand hat jemals durch Lug und Trug wahres Glück gefunden, wer aber den Pfad von Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe beschreitet, dem wird es we-der in dieser Welt noch im Jenseits an Glück mangeln.

Die Unehrlichkeit ist das offensichtlichste Merkmal des Unglaubens, wer unehrlich ist, lehnt sich damit gegen Gott auf. Die Lüge hat die Mo-ral und die Prinzipien moderner Gesellschaften zerstört, sie ist eine sozi-ale Krankheit, die Menschen auf der ganzen Welt in Betrüger verwandelt hat. Für Nationen, die der Lüge Tür und Tor öffnen und zulassen, dass sie ungehindert in alle Lebensbereiche eindringt und zwischenmensch-liche Beziehungen, Wirtschaft, Politik und Militär vergiftet, gibt es kei-ne Rettung.

Die Ehrlichkeit ist eines der wichtigsten Kennzeichen des Islams, das hervorstechendste Merkmal des Glaubens und das Fundament der Prin-zipien des Propheten Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm. Sie ist die Eigenschaft, in der sich die Lehren der Propheten und der wahrheitsliebenden Gelehrten von anderen Lehren unterscheiden. Ohne Ehrlichkeit gibt es keinerlei spirituellen oder materiellen Fort-schritt im Universum.

Das Wort Birr (Gutes) im ersten Teil des Hadithes bezieht sich auf die Makellosigkeit von Denken und Handeln im menschlichen Leben. Es ist eine Ausdrucksform des Glaubens von großer Tragweite, die viele Lebens-bereiche abdeckt. Birr beinhaltet unter anderem Ehrlichkeit im Denken, in der Rede, in den Absichten, im Handeln und vor allem in der Lebens-weise. Das Wort Fudschur (Unmoral) ist das genaue Gegenteil davon. Es ist das Produkt von Lüge und Unaufrichtigkeit, und es bildet die Grund-lage von abweichendem Denken, ungebührlicher Rede und sündhaftem Handeln. In dem Hadith werden der Siddiq und der Kazzab einander ge-genübergestellt. Ersterer ist ein integrer Mensch, der sich Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe zur Lebensweise gemacht hat, Letzterer dagegen ein noto-rischer Lügner. Beide Wörter stellen Superlative dar. Dieser grammatika-lischen Konstruktion lässt sich entnehmen, dass jemand, der zurecht von sich behaupten kann, stets die Wahrheit zu sagen und entsprechend zu handeln, im Laufe seines Lebens Gottes Wohlgefallen finden wird, wäh-rend jemand, der stolz darauf ist, Lügen zu verbreiten, und permanent un-ehrenhaft handelt, das Missfallen Gottes auf sich zieht.

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Die einen Wege sind lang, die anderen kurz, die einen sind hell und si-cher, die anderen dunkel und gefährlich; aber letztendlich führen sie al-le entweder ins Paradies oder in die Hölle. Der Weg ins Paradies ist mit Gunstbeweisen und Ermutigungen aller Art gesäumt, der Weg in die ewi-ge Enttäuschung hingegen ausschließlich mit schweren Verlusten und ho-hen Hürden. Ehrlichkeit zahlt sich folglich also sowohl in dieser Welt als auch im Jenseits aus, während Unehrlichkeit sowohl dem einzelnen Men-schen, als auch der ganzen Gesellschaft schadet.

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FÜR IMMER MIT UNSEREN LIEBEN VEREINT

Der Mensch wird vereint sein mit denen, die er liebt.

(Bukhari, Adab, 96; Muslim, Birr, 165)

Dieser Hadith ist für die vielen traurigen und gebrochenen Men-schen, die es nicht immer geschafft haben, der Rechtleitung auf dem Weg zu Wahrheit und Weisheit mit der gebotenen An-

strengung und Sorgfalt zu folgen, wie ein Schluck Wasser aus den Flüssen des Paradieses oder wie ein Lebenselixier. Mit diesen Worten sagt uns der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, dass sich je-der Mensch, egal ob gut oder schlecht, seine Lieben aussucht, mit denen er in dieser Welt und auch im Jenseits zusammen sein möchte. Wer die Propheten und rechtschaffene Menschen liebt, wird ihnen auch im Jenseits nahe sein. Daher sollten wir uns bemühen, so aufrichtig wie möglich für

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sie zu empfinden und ihrem Vorbild zu folgen. Auch all jene, die sich von Unrecht und Sünde angezogen fühlen, werden im Jenseits mit denen ver-eint sein, die sie schon auf Erden angehimmelt und bewundert haben - al-lerdings nicht im Paradies, sondern in der Hölle.

Dieser Hadith, der aus nur einem einzigen Satz besteht, ist nicht nur bemerkenswert prägnant formuliert, sondern beweist auch jedem, der of-fen ist für Offenbarung und Inspiration, dass sein Urheber ein sehr weiser, mit tiefer Einsicht gesegneter Mensch war.

Nu’ayman, einer der Gefährten des Propheten, war bereits mehrfach bestraft worden, weil er Alkohol getrunken hatte. Als ihn ein anderer Ge-fährte aber einmal beleidigte, runzelte der Gesandte Gottes die Stirn und sagte: Hilf nicht dem Satan gegen deinen Bruder! Ich schwöre, dass er Gott und Seinen Gesandten liebt. (Bukhari, Hudud, 4, 5) Niemand hatte das Recht, Nu’ayman zu beleidigen, denn welche Sünden auch immer er be-gangen haben mochte - er liebte Gott und Seinen Gesandten, und genau daraus wird einst das Zusammensein mit ihnen resultieren; und wer Gott und Seinen Gesandten liebt, seine religiösen Pflichten erfüllt und keine schwereren Sünden begeht, der hat auch das Recht, mit dem Propheten Muhammad zusammen zu sein.

Als der Prophet einmal zu einem Feldzug aufbrach, war der Gefährte Sau-ban nicht dazu in der Lage, ihn zu begleiten. Nach seiner Rückkehr machten viele Menschen dem Propheten ihre Aufwartung; auch Sauban stattete ihm einen Besuch ab, war dabei aber so blass und sah so abgemagert aus, dass der Gesandte Gottes nicht umhin konnte, ihn nach seinem Gesundheitszustand zu fragen. Sauban antwortete: „O Gesandter Gottes, ich bin in so schlechter Verfassung, weil ich mir die ganze Zeit Sorgen darüber gemacht habe, im Jenseits von dir getrennt zu sein. Wenn ich es hier auf Erden schon nicht er-tragen kann, nur drei Tage von dir getrennt zu sein, wie soll ich es dann er-tragen, nach meinem Tod ewig von dir getrennt zu sein? Du wirst dort un-ter den anderen Propheten weilen. Also werde ich, selbst wenn ich ins Para-dies eingehe, nicht für immer mit dir vereint sein. Daraufhin antwortete der Gesandte Gottes ihm mit dem besagten Hadith: Der Mensch wird vereint sein mit denen, die er liebt, und konnte ihn damit beruhigen.

Jemanden zu lieben bedeutet, sich dessen Lebensweise im eigenen Leben zum Vorbild zu nehmen, und das beherzigten die Gefährten des Propheten mehr als alle anderen Menschen. Umar etwa war sehr darauf bedacht, Fami-lienbande mit dem Gesandten Gottes zu knüpfen. Aus diesem Grunde hoffte

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er auf die Hand Fatimas, der Tochter des Propheten. Allerdings wies sie sein Ansinnen zurück und heiratete stattdessen Ali. Umar hätte auch ohne Weite-res die Tochter des byzantinischen Kaisers ehelichen können, aber sein sehn-lichster Wunsch war es, sich mit der Familie des Propheten zu verbinden, den er mehr bewunderte und liebte als alles andere in seinem Leben. Von dieser Verbindung, das wusste er, würde er auch noch im Jenseits profitieren. Um-ar und der Prophet hatten sich stets sehr nahe gestanden, vor allem auch auf spiritueller Ebene. Oft ergriff der Prophet Umars Hand und sagte: Auch im Jenseits werden wir vereint sein. Umso glücklicher war Umar schließlich, als er selbst Alis Tochter Umm Kulthum, die Enkelin des Propheten, zur Frau neh-men und seine Tochter Hafsa mit dem Propheten verheiraten konnte.

Hafsa ihrerseits sagte einmal zu ihrem Vater: „Mein lieber Vater, du triffst ständig mit Abgesandten und Botschaftern aus fremden Ländern zusammen. Meinst du nicht, du solltest dir neue Gewänder zulegen?“ Umar war über diesen Vorschlag empört, vor allem, weil er von seiner eigenen Tochter kam. Er verwies sie auf das Beispiel des Propheten und Abu Bakrs und erwiderte: „Wie könnte ich es anders halten als diese beiden? Um im Jenseits mit ihnen vereint zu sein, muss ich auch in dieser Welt wie sie leben.“

Der Gesandte Gottes und seine Gefährten praktizierten unentwegt den größeren Dschihad, das heißt, den Kampf gegen das eigene Ego; und so-wohl in ihrer Anbetung als auch im Alltag standen sie stets in Kontakt zu ihrem Schöpfer. Sie verbrachten so viel Zeit im Gebet, dass Außenstehende dachten, sie würden gar nichts anderes mehr tun. Doch das stimmte nicht. In Wirklichkeit hatten sie sich den Islam zu ihrer Lebensweise gemacht und lebten nun ihr ganzes Leben so, wie es ihr Glaube von ihnen verlangte.

Was sie von nun an taten, taten sie mit der einzigen Absicht, das Wohl-gefallen Gottes zu finden. Sie waren der Inbegriff von Frömmigkeit, al-len voran Umar. Einmal unterbrach er sich selbst während einer Predigt und sagte plötzlich, offenbar ohne jeden Zusammenhang: „O Umar, frü-her warst du ein Schäfer.“ Als er von der Kanzel stieg, fragten ihn die Ver-sammelten, was er damit gemeint hatte. Da erklärte er ihnen: „Mir wurde mit einem Mal in aller Deutlichkeit bewusst, dass ich jetzt Kalif bin...“ Bei einer anderen Gelegenheit fragte ihn jemand, als er gerade einen schweren Sack auf dem Rücken trug, warum er den denn nicht von jemand anderem tragen lasse. Da antwortete er: „Ich fühlte eine gewisse Hochmut in mei-ner Seele, und ich trage diesen Sack, um meinen Stolz zu zerstören.“

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FRÖMMIGKEIT UND WOHLVERHALTEN

Fürchte Gott, wo auch immer du dich gerade befindest. Lasse einer schlechten Tat eine gute Tat folgen, so wird sie erstere tilgen. Und

behandle die Menschen anständig (mit Wohlverhalten).

(Tirmidhi, Birr, 55; Ahmad ibn Hanbal, Musnad, 5:153)

Es gibt nichts, wodurch wir Menschen uns mehr auszeichnen kön-nen, als durch Wohlverhalten. Wohlverhalten ist eine Tugend Gottes; folglich sind wir, wenn wir uns wohlverhalten, mit einer

der Tugenden des Schöpfers gesegnet. Wohlverhalten ist untrennbar mit Frömmigkeit verbunden. Dieses Thema ist so wichtig, dass es eigentlich mehrere Bücher brauchen würde, um es in seiner ganzen Bandbreite abzu-handeln. Hier jedoch werden wir uns kurz fassen müssen.

Taqwa ist das arabische Wort für Frömmigkeit, es beinhaltet die Ehr-furcht vor Gott, von der eingangs in dem Hadith die Rede ist. From-

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me Menschen werden Muttaqiyun (sing.: Muttaqi) genannt. Sie halten sich an die von Gott und dem Propheten Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, aufgezeigten Grenzen und Regeln. Sie leben bescheiden und vermeiden jede Über- und Untertreibung. Taqwa muss von Ausgewogenheit gekennzeichnet sein; sie muss den Gläubigen in die richtige Richtung führen.

Wenn jemand versucht, Prinzipien zu verankern, die nur schwer zu be-folgen sind und über die Sunna des Gesandten Gottes hinausgehen, und andere dazu drängt, sich ebenfalls nach diesen Prinzipien zu richten, dann übertritt er damit die vom Islam gesteckten Grenzen. Zum Beispiel hat nie-mand das Recht, anderen Menschen neben den vorgeschriebenen Pflicht-gebeten noch weitere Gebete aufzuzwingen. Wer jemanden davon über-zeugen möchte, diese zusätzlichen Gebete zu verrichten, der sollte ihm die Bedeutung und die Verdienste dieser Gebete vor Augen zu führen und ihn sanft dazu ermuntern. Nehmen wir nur einmal das freiwillige Nacht-gebet (Tahaddschud). Viele Muslime sind der Ansicht, dass es notwendig ist, weil es Gott besonders gefällt, weil es uns den Weg ins Paradies ebnet und weil es unsere Seele erstrahlen lässt. Darum stehen sie in der Dunkel-heit der Nacht auf und beten es allein vor ihrem Schöpfer.

Doch das Fundament der Anbetung Gottes ist zweifellos das fünfmal täglich zu verrichtende Pflichtgebet. Es sorgt dafür, dass wir Gott per-manent im Bewusstsein halten, dass wir den Einen, der uns so viele Seg-nungen in dieser Welt zuteil werden lässt, regelmäßig preisen. Der ste-te Fluss des Wohlwollens und der Gnade, mit dem uns Gott beschenkt, verdient unsererseits stetige Dankbarkeit und Anerkennung. Wenn wir Ihm diese Dankbarkeit und Anerkennung verweigern und Seine Segnun-gen für allzu selbstverständlich erachten, dann kann es sein, dass Gott uns dafür bestraft. So jedenfalls steht es im folgenden Vers aus dem Ko-ran geschrieben:

Wenn ihr dankbar seid (für Meine Gnadenbeweise), werde Ich euch für-wahr mehr geben; seid ihr jedoch undankbar, dann wird Meine Strafe ge-wiss streng sein. (14:7)

Es ist also durchaus lobenswert, neben den Pflichtgebeten auch zu-sätzliche freiwillige Anbetungen, sei es in Form von Bittgebeten oder von

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Dankesbekundungen, in den Alltag zu integrieren; und wenn wir hier mit gutem Beispiel vorangehen und niemanden nötigen, sollte es uns nicht schwerfallen, dies auch anderen so nahezubringen, dass sie es verstehen und gern akzeptieren.

Die Einhaltung der Gebote Gottes ist generell ein wichtiger Aspekt von Taqwa. Wer diese Gebote achtlos oder auch ganz bewusst übertritt, wird nie wahre Frömmigkeit erlangen. Solche Menschen begreifen nicht, was der Koran ihnen zu sagen hat und wie er die menschliche Seele da-zu ermutigt, ein ehrenwertes Leben zu führen. Dieses Buch Gottes ist der Weg zur Frömmigkeit, es hat bereits unendliche viele Menschen zu from-men Menschen gemacht, die Unrecht und Sünde meiden und die Pflich-ten des Glaubens erfüllen.

Ob sich jemand zu einem wahrhaft frommen Menschen entwickelt, hängt auch von seiner Wahrnehmung der Welt ab. Der Prophet sagte ein-mal: Für einen Gläubigen ist die Welt ein Gefängnis, für die Ungläubigen da-gegen ist sie das Paradies. Weil wir im Jenseits die Früchte unseres Lebens auf Erden ernten werden, ist es wichtig zu erkennen, worin der eigentliche Wert der Segnungen dieser Welt - Jugend, Gesundheit, Wohlstand, Le-bensqualität und Zeit - besteht, und das Beste aus ihnen zu machen. Diese Gunstbeweise Gottes sind unser Kapital, das wir so einsetzen müssen, dass wir in dieser Welt und im Jenseits gleichermaßen davon profitieren.

Es gibt viele Menschen, denen es zwar an nichts mangelt, die aber trotzdem unglücklich sind, die völlig verkennen, dass Gott sie reich be-schenkt. Sie sind wie Fische, die im Meer leben und den wahren Wert des salzigen Meerwassers erst dann zu schätzen lernen, wenn sie von ei-ner Welle auf den Strand gespült werden und sterben. Daher sollten wir uns während unseres ganzen Lebens auf Erden auch des ewigen Lebens im Jenseits bewusst sein.

Ein weiterer wichtiger Punkt für den Erwerb von Taqwa oder für das Erreichen einer neuen Dimension von Taqwa ist der Rückzug in die Ab-geschiedenheit. Dort konzentriert man sich zeitweilig ganz auf spirituel-le Dinge. So durchbricht man die Routine des Alltags, um anschließend frisch und gestärkt zurückzukehren. Der folgende Koranvers nennt noch einige weitere Aspekte, die wahrhaft fromme Menschen auszeichnen:

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Sie gedenken Gottes im Stehen und im Sitzen und wenn sie auf ihrer Sei-te liegen (mit ihren Zungen und ihren Herzen, sei es während des Gebets oder zu anderer Zeit) und denken über die Erschaffung der Himmel und der Erde nach. (Wenn sie dann den Sinn ihrer Erschaffung und die Bedeu-tung, die darin liegt, begriffen haben, kommen sie zu dem Schluss und sa-gen:) „Unser Herr! Du hast dieses (Universum) nicht ohne Sinn und Zweck erschaffen! Gepriesen seiest Du (denn Du bist absolut darüber erhaben, et-was Sinnloses oder Zweckloses zu tun)! Darum verschone uns (davor, fal-sche Vorstellungen über Deine Handlungsweise zu hegen, und vor Taten, die Deinem Zweck für die Schöpfung zuwiderlaufen, sodass wir die) Stra-fe des Feuers (verdienen)! Unser Herr! Wahrlich, wen Du ins Feuer einge-hen lässt, den hast Du gewiss in Schande gestürzt. (Weil sie Gottes Zeichen in den Himmeln und auf Erden verborgen oder abgestritten und somit Gott verleugnet haben oder sich dazu hinreißen ließen, Ihm Teilhaber zur Seite zu stellen) werden diejenigen, die Unrecht tun, keine Beschützer (vor dem Feu-er) haben. Unser Herr! Wir haben wahrlich einen Rufer gehört, der zum Glauben aufgerufen hat: ‚Glaubt an euren Herrn!‘ Und so haben wir ge-glaubt. Unser Herr, so vergib uns unsere Schuld, und bedecke unsere üblen Taten, und reihe uns nach unserem Tod bei Dir unter die wirklich Recht-schaffenen und Tugendhaften ein. Unser Herr! Und lass uns zuteil werden, was Du uns durch Deine Gesandten versprochen hast. Und stürze uns nicht in Schande am Tag der Auferstehung; wahrlich, Du brichst niemals Dein Versprechen.“ (3:191-194)

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GESELLSCHAFT UND VERWALTUNG

Wie ihr seid, so werdet ihr regiert.

(Daylami, Musnad, 3:305)

Die Qualität der Regierung eines Landes spiegelt sich in den Bür-gern dieses Landes wider. Die Prinzipien der Bevölkerung prä-gen auch die Prinzipien der Herrschenden. In einem anderen

Hadith heißt es: Jeder von euch ist ein Hirte, und jeder von euch ist für seine Herde verantwortlich. (Bukhari, Dschum’a, 11) Hier wird den Herrschen-den unmissverständlich verdeutlicht, dass sie die Verantwortung für ih-re Herde (ihr Volk) tragen und deshalb zum Wohle ihrer Untergebenen agieren müssen; aber andererseits geht aus diesen Worten auch hervor, dass nicht nur die Herrscher ihre Pflichten haben, obwohl diese natür-

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lich eine ungleich größere Verantwortung tragen als die Restbevölkerung, weil sie für das Wohlergehen von einer viel größeren Anzahl von Men-schen verantwortlich sind. Nein, jeder einzelne Bürger und Mensch trägt Verantwortung.

Beide Hadithe zusammengenommen unterstreichen, dass die Geschi-cke von Staaten und Völkern nicht nur von den Mächtigen diktiert wer-den, während der ‚normale Mensch‘ ein ohnmächtiger Befehlsempfänger ist, sondern dass sich die Grundhaltung in der Gesellschaft, die Gesetze, die sie entwirft, und die Loyalität gegenüber diesen Gesetzen langfristig auch auf die Qualität der Regierungsführung auswirken werden.

Genau wie Physik, Chemie und Astronomie ihre unabänderlichen Ge-setze und Regeln haben (die wir als die Naturgesetze bezeichnen), hat auch die Interaktion in der Gesellschaft ihre eigenen Gesetze und Regeln. Auch diese wurden von Gott erlassen, auch diese werden bis zum Jüngs-ten Tag Bestand haben. Verstoßen die Menschen eines Landes gegen die-se Grundprinzipien für das Zusammenleben, so versinkt die Gesellschaft in Unrecht und Chaos; und zwangsläufig wird sie dann auch eine prinzi-pienlose Staatsmacht hervorbringen. Wählen sie hingegen die Rechtschaf-fenheit, wird ihnen Gott früher oder später auch eine rechtschaffene Füh-rung bescheren.

Diesen Zusammenhang erkannte schon der Gewaltherrscher Hadscha-dsch der Grausame. Als ihn jemand daran erinnerte, um wie viel gerechter als er doch Umar geherrscht hatte, erwiderte er lapidar: „Wäret ihr wie das Volk Umars, wäre ich wie Umar selbst.“ Und er hatte zweifellos Recht: Je mehr Teilbereiche einer Gesellschaft korrupt sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch die Machthabenden korrupt sind. Und je mehr Teilbereiche einer Gesellschaft rechtschaffen sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch die Machthabenden rechtschaffen sind.

Was die von Menschen erlassenen Gesetze und Verordnungen betrifft, so mögen sie zwar in bester Absicht und auf sorgfältigste Weise formuliert sein, doch zunächst einmal existieren sie nur auf dem Papier. Die entschei-dende Frage lautet, ob ihnen auch Folge geleistet wird. Mit anderen Wor-ten: Was wirklich zählt, ist auch hier die ethische Grundhaltung der Bevöl-kerung. Jeder Bürger kann demnach seinen Teil dazu beitragen, dass die Gesellschaft insgesamt eine positivere Entwicklung nimmt.

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Wir sollten immer zuerst auf unsere eigenen Fehler schauen. Wer sich selbst aus der Verantwortung stiehlt und die Ursachen für eine bestehen-de Misere lediglich bei anderen sucht, kann seine Situation nicht wirk-lich verbessern. Ohne Selbstkritik verändert sich nichts. Der Koran unter-streicht dies:

Gott verändert die Lage eines Volkes nicht, ehe sie nicht das ändern, was in ihren Seelen ist. (13:11)

Jede Gesellschaft besteht also aus bewussten Individuen, die allesamt über einen freien Willen verfügen und Verantwortung füreinander (und für sich selbst) tragen. Deshalb ist der Mensch selbst Motor der Geschich-te. Und geradeso wie der Wille und das Handeln jedes Individuums des-sen Leben bestimmen, hängen auch Aufstieg und Fall der Gesellschaften in erster Linie von Wille, Weltsicht und Lebensstil ihrer Mitglieder ab. Je-de Gesellschaft hält die Zügel ihres Schicksals in den eigenen Händen - im Guten wie im Schlechten.

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TATEN SIND NACH DEN ABSICHTEN ZU BEURTEILEN, DIE IHNEN ZUGRUNDE LIEGEN

Taten werden nach den Absichten beurteilt, die ihnen zugrunde liegen, und jeder Mensch wird seinen Absichten entsprechend entlohnt.

Diejenigen, die um Gottes und Seines Gesandten willen emigrierten, sind für Gott und Seinen Gesandten emigriert. Diejenigen hingegen,

die aus weltlichen Gründen emigrierten oder um eine Frau zu heiraten, werden nach dem, was sie anstrebten, beurteilt.

(Muslim, Imara, 155; Abu Dawud, Talaq, 10)

Im Mittelpunkt dieses Hadithes steht die Emigration; der Ausspruch bezieht sich auf folgenden Vorfall: Als die Muslime von Mekka nach Medina zu emigrieren begannen und sich dadurch erhofften, das

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Wohlgefallen ihres Schöpfers zu finden, gab es einen Gefährten, der des-halb nach Medina ging, weil er dort mit einer Frau namens Umm Qays zusammen sein konnte, die er sehr liebte. Dieser Gefährte war ohne Zwei-fel gläubig und Gott ergeben, aber seiner Emigration lag eben die Absicht zugrunde, die Frau zu heiraten.

Auch er war emigriert, nur nahm er all die mit der Emigration verbun-denen Schwierigkeiten und Härten um seiner Geliebten willen in Kauf, und nicht - wie es eigentlich hätte sein sollen - um der Sache Gottes wil-len. Um diesen Unterschied geht es in dem Hadith. Allerdings beschränkt sich die Aussagekraft des Hadithes nicht auf diese eine Begebenheit, son-dern ist mit dem menschlichen Handeln an sich verknüpft.

Das Wort Taten am Anfang des Hadithes ist im Arabischen mit dem be-stimmten Artikel al- gekennzeichnet. Dieser weist darauf hin, dass Taten ih-ren wahren Wert erst durch die ihnen zugrunde liegenden Absichten bezie-hen. Keine Form des Dienstes an Gott wird akzeptiert, wenn ihr keine guten Absichten zugrunde liegen; wer betet, fastet, spendet oder die Rituale der Pil-gerfahrt vollzieht, ohne im Herzen die Absicht dazu gefasst zu haben, bemüht sich vergebens. Wenn wir hingegen um der Sache Gottes und Seines Gesand-ten willen emigrieren, dann wird das genauso honoriert, wie wenn wir um ih-retwillen beten, fasten oder spenden. Dann belohnt uns der Allmächtige da-mit, dass er uns Seine Barmherzigkeit, Güte und Zuneigung zufließen lässt.

Wer diese Stufe erklommen hat, wer in den Genuss dieser Gunstbeweise Gottes kommt, wird übermannt von Freude, Enthusiasmus und Sehnsucht; er wird sich vor seinem Schöpfer niederwerfen und alles dafür tun, um seine Liebe zu Gott und seine Beziehung zu Ihm noch weiter zu stärken. Je näher solche Menschen ihrem Herrn kommen, desto intensiver werden diese auf-wühlenden Gefühle auf jede ihrer Handlungen einwirken. Und nach Verlas-sen des Universums wird der Schöpfer ihnen permanent zur Seite stehen - sei es im Grab, dem Ort der Qualen, am Tag des Jüngsten Gerichts oder auf der Brücke, die über das Höllenfeuer führt. Wenn sie die Liwa al-Hamd16 errei-chen, werden sie dort mit dem Propheten des Universums zusammentreffen, und diese Begegnung wird ihre kühnsten Erwartungen überflügeln.

Wenn jemand in einer Angelegenheit nicht allein nach dem Wohlgefal-len Gottes strebt, wird ihm die Mühsal, die er dabei auf sich nimmt, nicht

16 Die Liwa al-Hamd, die Fahne des Lobes, ist das Banner des Propheten, um das sich die Muslime am Jüngsten Tag scharen werden.

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angerechnet. Der in dem Hadith angesprochene Mann emigrierte um sei-ner Geliebten willen, und um ihretwillen nahm er auch alle Mühen und Nöte auf sich. Seine Emigration war nicht so einträglich wie eine Emigra-tion um Gottes willen. Sie diente irdischen Zwecken und nicht dem Ziel, das Wohlgefallen des Schöpfers zu finden.

In einem anderen Hadith sagt der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, dass die Absicht eines Gläubigen wichtiger ist als die Handlung, die sich aus der Absicht ergibt. Selbst wenn wir noch so gu-te Absichten haben und uns noch so sehr bemühen, sie in die Praxis umzu-setzen, wird die Ausführung immer hinter der Makellosigkeit der Absich-ten zurückbleiben. Daher kommt es uns sehr zugute, dass der Barmherzi-ge Schöpfer unseren Lohn nach den guten Absichten in unserer Seele be-misst, und nicht nach unseren Taten.

Zu diesem Thema gibt es noch einen weiteren Hadith: Im Körper steckt ein Stück Fleisch, für das gilt: Ist es gesund, dann ist der ganze Körper gesund. Ist es hingegen verdorben, so ist der ganze Körper verdorben. Die Rede ist vom Herzen. (Bukhari, Iman, 39)

Wenn ein Gläubiger eine aufrichtige Seele besitzt, geht die Saat der guten Taten, die er in seinem Leben wirkt, auf; dann wachsen aus ihnen Zweige der Menschenliebe heran, und diese Zweige werden ihm am Tag des Jüngsten Gerichts Schatten spenden. Und jene Samenkörner, die er mit Aufrichtigkeit im Herzen sät, werden ebenfalls gut gedeihen und sich ihm am Tag der Befragung als edle Paradiesfrüchte präsentieren.

Die Alltagspflichten der Muslime werden durch gute Absichten zu Ak-ten der Anbetung; jeder Atemzug eines Gläubigen, der mit der Absicht ein-schläft, in der Nacht aufzuwachen, um zu beten, wird ihm als Teil seines Dienstes an Gott angerechnet. Unsere Verweildauer auf Erden ist extrem kurz. Angesichts dessen fragt man sich unweigerlich, wie wir uns in dieser kurzen Zeit ein ewiges Leben im Paradies verdienen können. Die Antwort lautet: Den Gläubigen wird aufgrund ihrer Bereitschaft, Gott ewig zu die-nen, Einlass in die Gärten des Paradieses gewährt, während die Ungläubi-gen aufgrund ihrer Bereitschaft zu ewiger Undankbarkeit verloren sind.

Jede noch so irrelevant erscheinende gute Absicht wertet unser Leben schon im Diesseits auf, nützt uns schon hier auf Erden; noch reicheren Lohn aber wird sie uns im Jenseits eintragen. Für böse Absichten gilt folgende Re-gel: Wenn jemand in seiner Seele die Absicht hegt, etwas Böses zu tun, dann

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aber davon Abstand nimmt, so wird er dafür belohnt. Solange sich diese bö-se Absicht nicht in einer entsprechenden Handlung manifestiert hat, wird sie nicht als Sünde gewertet. Erst wenn aus einer bösen Absicht wirklich ei-ne böse Tat geworden ist, wird diese als Sünde aufgezeichnet.

Kommen wir nun noch einmal ausführlicher auf das Thema Emigrati-on zurück. Es fällt auf, dass der Prophet in diesem Hadith das erste Thema, die Absichten, mit wenigen kurzen Worten abhandelt, während er auf das zweite Thema, die Hidschra, mit mehreren Sätzen wesentlich ausführlicher eingeht. Dies mag daran liegen, dass der Begriff Hidschra ein weites Bedeu-tungsfeld umfasst. Es reicht vom Abstandhalten von allen Sünden bis hin zu jeder Form von Emigration, die bis zum Ende der Zeit um Gottes willen vollzogen wird. Zum einen wird zweifellos jeder Gläubige, der Heimat, Fa-milie, Frau und Kinder verlässt, um anderen Menschen die Botschaft Gottes nahezubringen, im Jenseits für seine guten Absichten belohnt werden. (Wo-rin genau dieser Lohn bestehen wird, wurde jedoch nicht enthüllt.)

Doch in einem anderen Hadith heißt es auch:

Der größte Muhadschir (Emigrant) ist der, der der Sünde entsagt und alle Ob-jekte der Liebe außer der Gottesliebe aus seinem Herzen tilgt. (Nasa’i, Iman, 9)

Ibrahim ibn Adham betete einmal zu seinem Herrn: „O Herr! Mit Dei-ner Liebe in meinem Herzen, habe ich alles hinter mir gelassen und kom-me zu Dir. Nun, nachdem ich Dich gefunden habe, sehe ich nichts ande-res mehr, wohin ich auch schaue.“ Just in diesem Moment, als seine Seele schier übersprudelte von spirituellen Emotionen, entdeckte er plötzlich sei-nen Sohn in der Nähe der Kaaba. Der junge Mann erkannte seinen Vater ebenfalls, sie liefen freudig erregt aufeinander zu und umarmten sich. Plötz-lich hörte Ibrahim eine Stimme sagen: „O Ibrahim, in einem Herzen ist kein Platz für zwei Objekte der Liebe!“ Da begann Ibrahim zu beten: „O Gott, nimm hinfort von mir, was der Liebe zu Dir im Wege steht!“, und auf der Stelle fiel sein Sohn tot um. (Farid ad-Din Attar, Tadhkirat al-Awliya‘)

Die Zurückweisung von Sünde und Unrecht in dieser Welt und die Hinwendung zum Schöpfer voller Reue sowie das Bitten um Vergebung, solange bis die Vergebung vom Allmächtigen gewährt wird - auch das ist eine Form der Hidschra, die sehr schön in dem folgenden Gebet auf den Punkt gebracht ist:

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„O Gott, vor Dir steht Dein sündiger Diener. Er bittet Dich um Verge-bung, bekennt seine Sünden und fleht Dich an, ihm zu verzeihen. Wenn Du ihm vergibst, dann tust Du dies aus Deiner Herrlichkeit heraus. Aber wenn Du ihn fallen lässt, dann gibt es niemanden, der ihm Gnade bezeigen könnte.“

Wer seinen in der Vergangenheit begangenen Sünden entsagt und an-erkennt, dass das erneute Begehen dieser Sünden eine Strafe verdienen würde, die noch über das Feuer der Hölle hinausgeht, ist auf dem rechten Weg der Hidschra. Diejenigen, die es vermeiden, die vom Islam gesteck-ten Grenzen zu übertreten, und das Gebiet jenseits dieser Grenzen als ein gefährliches Minenfeld wahrnehmen, und diejenigen, die sich in Wort und Tat von Dingen fernhalten, die der Islam untersagt, und ihr Leben lang ei-ne erhabene Emigration vollziehen, tragen die Gefühle der Hidschra in ih-rer Seele. Ob sie dies in der Gegenwart anderer Menschen tun oder in der Abgeschiedenheit, ist nicht entscheidend. Allerdings ist die Abgeschieden-heit ein weiterer sehr wichtiger Aspekt der Hidschra, denn sie ermöglicht hingebungsvollen Gläubigen, Gott noch besser zu verstehen.

Die wichtigsten Aussagen dieses Hadithes lauten demnach wie folgt:

a. Die Absicht ist der Geist jeder Handlung; Handlungen, denen kei-ne bestimmte Absicht zugrunde liegt, haben keinerlei Bedeutung.

b. Die Absicht ist das Licht der Spiritualität; sie verwandeln Schlechtes in Gutes und Gutes in Schlechtes.

c. Die Absicht ist es, die gute Taten hervorbringt. Ohne entsprechen-de Absicht ist jede Hidschra eine touristische Unternehmung, jede Hadsch eine trügerische Reise, jedes Gebet reine Routine und jedes Fasten bloße Abstinenz. Mit entsprechenden Absichten verrichtet sind all dies jedoch gute Taten und Formen der Anbetung, die uns zu den Toren des Paradieses führen.

d. Der ewige Aufenthalt im Paradies ist das Ergebnis der Absicht, Gott ewig zu dienen, während der ewige Aufenthalt im Höllenfeuer das Ergebnis der Absicht, Gott zu verleugnen und Ihm zu spotten, ist.

e. Die Absicht ermöglicht uns, schon mit minimaler Anstrengung und kleinen Kosten sehr große und wertvolle Dinge zu erlangen.

f. Wer sich darüber im Klaren ist, welchen Wert Gott der Absicht bei-misst, darf darauf hoffen, dass sich aus seinen Absichten Bedeuten-des entwickelt.

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DER IDEALE MUSLIM, UND DAS UNHEIL, WAS VON ZUNGE UND HAND AUSGEHT

Ein wahrer Muslim ist der, vor dessen Zunge und Hand Muslime sicher sind. Und ein Muhadschir (Emigrant) ist der,

der zu allem, was Gott verboten hat, Abstand hält.

(Bukhari, Iman, 4; Abu Dawud, Dschihad, 2)

Die Verwendung des arabischen bestimmten Artikels al- für das Wort Muslim weist darauf hin, dass hier die Gesamtheit der aufrichtigen und hingebungsvollen Muslime gemeint ist, die

niemandem Schaden zufügen und zuverlässige Repräsentanten von Frie-den und Sicherheit sind. Diese Gläubigen unterscheiden sich völlig von Menschen, die behaupten, gläubig oder Muslime zu sein, nur weil sie in eine muslimische Familie hinein geboren wurden. Sie verkörpern die voll-

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kommene Aufrichtigkeit wahrer Gläubiger mit ihrer ganzen Lebensweise. Dementsprechend kann von ihren Gedanken ebenso wenig Unheil ausge-hen wie von ihren Taten. Wenn al-Muslim im Deutschen mit ein wahrer Muslim übersetzt wird, dann sind damit also alle aufrichtigen und hinge-bungsvollen Muslime gemeint.

Unter normalen Umständen hätte sich nur ein Gelehrter mit einer fundierten Ausbildung einer Feinheit der arabischen Sprache wie dieser bedienen können, und der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Se-gen seien mit ihm, war ja bekanntlich nie in den Genuss einer solchen Ausbildung gekommen. Aber er war mit Eloquenz und Beredsamkeit gesegnet, um den Menschen genau das predigen zu können, was der All-mächtige Schöpfer ihn lehrte. Seine Aussagen und Lehren sind folglich frei von jedem Makel.

Ein wahrer Muslim ist ein Mensch, der Sicherheit und Verlässlichkeit verströmt. Andere Muslime fühlen sich in seiner Gegenwart sicher, zwei-feln nicht an seiner Aufrichtigkeit und betrachten ihn als absolut recht-schaffen. Sie würden ihm in der Not sogar die eigene Familie anvertrauen - das Liebste und Wertvollste, was sie im Leben besitzen - und wären über-zeugt davon, dass er jeden Schaden von ihr abzuwenden vermag. Wenn man einen solchen Menschen trifft oder mit ihm spricht, fühlt man sich geborgen; man weiß, dass er weder Klatsch und Tratsch verbreiten noch üble Nachrede betreiben oder Geheimnisse ausplaudern würde, ja er wür-de sogar zu verhindern wissen, dass andere dies tun. Ein solcher Mensch respektiert die Würde seiner Mitmenschen mit dem gleichen Feingespür und der gleichen Hochachtung wie seine eigene Ehre. Er denkt bei allem, was er tut, zunächst an andere und setzt sich mit großem Einsatz für ihr Wohl ein. Neben diesen Qualitäten besitzen die in dem Hadith erwähnten wahren Gläubigen aber noch viele weitere positive Eigenschaften.

Ein wahrer Gläubiger pflegt sowohl Fremde als auch Bekannte zu grü-ßen und sät damit Samenkörner der Freundschaft und der Liebe in die Seelen seiner Mitmenschen ein. (Bukhari, Muslim) Und im Anschluss an sein Gebet grüßt er sogar jene Existenzformen, die für ihn unsichtbar sind: die Engel und die Geistwesen. Eine so aufrichtige Höflichkeit ist beispiel-los in der Geschichte.

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Wer sich zum Islam bekennt, tut dies, indem er betet, fastet, die Ha-dsch vollzieht und die Einheit des Schöpfers bezeugt, wie im Koran befoh-len: O Ihr, die ihr glaubt! Kommt in völliger Selbsthingabe zu Gott... (2:208) Selbsthingabe bedeutet, die Seele dem weiten Ozean der Glückseligkeit und Zufriedenheit zu öffnen; und von einem Menschen in diesem Zu-stand kann nur Gutes ausgehen.

Genau wie in allen anderen Aussprüchen des Propheten wurde auch in diesem Hadith jedes Wort mit Bedacht gewählt. Wenn hier Hand und Zunge explizit angesprochen werden, dann hat das natürlich Gründe. Es gibt nämlich zwei Wege, anderen Menschen zu schaden: entweder direkt oder hinter ihrem Rücken. Direkten Schaden fügen wir jemandem zu, in-dem wir ihm gegenüber handgreiflich werden und ihn körperlich verlet-zen, und indirekten Schaden, indem wir ihn in seiner Abwesenheit ver-bal verunglimpfen oder verleumden. Beides ist unmoralisch und steht ei-nem aufrichtigen Muslim nicht zu. Ein aufrichtiger Muslim attackiert sei-ne Mitmenschen weder mit Taten noch mit Worten. Er bemüht sich viel-mehr darum, ihnen Frieden, Sicherheit und Heil zu bringen.

Der Prophet erwähnt die Zunge vor der Hand, weil von der Zunge zu-gefügte Verletzungen oft viel mehr Schaden anrichten als physische Ge-walt. Außerdem kann man sich gegen physische Angriffe in der Regel besser zur Wehr setzen. Darüber hinaus dokumentiert diese Reihenfolge auch, wie wichtig die Werte sind, die uns Gott gegeben hat: Die Würde und das Ansehen anderer Muslime sind genauso unantastbar wie ihre kör-perliche Unversehrtheit; um sie zu schützen, wird den Gläubigen befoh-len, Zunge und Hand gleichermaßen zu kontrollieren.

Zwei grundlegende ethische Konzepte des Islams, die Sicherheit und Wohlbehagen stiften sollen, lauten erstens: Muslime dürfen ande-ren Menschen keinen Schaden zufügen, und zweitens: Muslime sollen dafür sorgen, dass auch sonst niemand irgendjemandem Schaden zu-fügt. Je mehr Menschen diese Gebote beherzigen, desto mehr Vertrauen herrscht in der Gesellschaft.

Wahre Gläubige tragen ein Gefühl der Sicherheit in ihrem Herzen, und diese Sicherheit überträgt sich automatisch auch auf ihr Umfeld. Beim Kommen und Gehen entbieten sie anderen Gläubigen den Friedensgruß. Im Pflichtgebet wünschen sie allen rechtschaffenen Dienern Gottes Frie-

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den, und zum Abschluss des Gebets grüßen sie die Engel zu ihrer Rech-ten und ihrer Linken. Sie sind also daran gewöhnt, anderen Gutes zu wün-schen und ihrerseits ebenfalls ständig mit guten Wünschen bedacht zu werden. Wie sollten sie da auf die Idee kommen, sich selbst zu schaden, indem sie anderen Schaden zufügen und dadurch vom Weg der Wahrheit abkommen - einem Weg, der den Menschen in dieser Welt und im Jenseits spirituelles und/oder materielles Wohlergehen garantiert?

Neben diesen Aspekten enthält der Hadith noch einige weitere eher spirituelle Aussagen:

• Ein aufrichtiger Muslim ist der zuverlässigste Repräsentant eines universellen Friedens auf Erden.

• Ein aufrichtiger Muslim gibt die intensiven Gefühle, die er tief in seiner Seele erfährt, an seine Mitmenschen weiter.

• Ein aufrichtiger Muslim ist ein Mensch, der als Symbol von Sicher-heit und Fürsorglichkeit wahrgenommen wird und seine Mitmen-schen weder ängstigt noch schädigt.

• Ein aufrichtiger Muslim betrachtet Verletzungen durch Worte als genauso schlimm wie körperliche Misshandlungen. In vielen Fällen sind solche Verletzungen die schwerere Sünde.

• Dem islamischen Glauben zufolge bleibt jedoch ein Gläubiger, der andere Menschen verletzt hat, ein Muslim. Sünden dieser Art wer-den nicht als Blasphemie eingestuft.

• Wie bei jedem anderen Thema gilt auch hier, dass die Gläubigen ei-nen möglichst weiten Horizont in puncto Glauben und Glauben-spraxis haben sollten; das heißt, sie sollten sich nicht damit zufrie-dengeben, gewöhnliche Muslime zu sein, sondern nach Vollkom-menheit im Glauben streben.

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DIE BESCHÄFTIGUNG MIT UNNÜTZEN DINGEN

Wenn jemand den Islam auf schöne Weise praktiziert, lässt er von allem ab, was für ihn nicht von Nutzen ist.

(Tirmidhi, Zuhd, 11; Ibn Madscha, Fitan, 12)

Natürlich ist es fast unmöglich, anhand einer wortwörtlichen Übersetzung die ganze Bedeutungstiefe und die volle spiritu-elle Tragweite der Worte des Propheten Muhammad, Gottes

Friede und Segen seien mit ihm, zu ergründen. Vorrangig geht es in die-sem Hadith darum, wie gläubige Menschen ihren Glauben am besten stär-ken. Den Muslimen wird empfohlen, den Islam nicht nur in ihrem äuße-ren Auftreten auf schöne Weise zu repräsentieren, sondern darüber hinaus

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in ihrer Seele zum Mysterium des Ihsan vorzustoßen - zur vollkommenen Tugend oder zu jener Stufe des Glaubens, auf der der Gläubige in dem Be-wusstsein zu Gott betet, Ihn unmittelbar vor sich zu sehen oder von Ihm gesehen zu werden. Wenn ihnen dies gelingt, werden und sollten sie sich von allem, was für sie nicht von Nutzen ist, abwenden.

Menschen, denen es generell an Ernsthaftigkeit mangelt, haben auch Schwierigkeiten, ihre Gebete und die anderen religiösen Pflichten ange-messen zu verrichten. Zwar mögen sie uns, wenn sie im Gebet vor Gott stehen, hingebungsvoll erscheinen, aber solange sie in Seele und Gewis-sen nicht zu wahrer Ergebenheit gefunden haben, spielen sie uns diese Ergebenheit nur vor. Sie verbergen ihren wahren Charakter, was auf die Dauer nicht gut gehen kann; früher oder später kommt ihr wahres We-sen zum Vorschein, auch wenn sie noch so großen Aufwand betreiben, um sich zu verstellen. Niemand kann für längere Zeit nach außen hin ein Bild von sich aufrechterhalten, das im Widerspruch zu seiner Persönlich-keit steht. Was auch immer wir tun, der Realität kann niemand entflie-hen. Das heißt: Wir benötigen eine gewisse innere Tiefe, die sich dann in unserem Handeln und in Ernsthaftigkeit widerspiegeln wird.

Als einmal einer der Gefährten des Propheten Muhammad für die Po-sition des Kalifen ins Gespräch gebracht wurde, intervenierte Umar ibn Khattab mit folgendem Einwand: „Dieser Mann ist des Kalifats in jeder Hinsicht würdig, aber er macht zu viele Witze; eine Position wie die-se erfordert Ernsthaftigkeit.“ Schon das Ausüben von Macht über ande-re Menschen erfordert Ernsthaftigkeit, doch obendrein galt der Kalif als der Statthalter Gottes auf Erden; daher konnte das Amt unmöglich von einem unernsten Menschen bekleidet werden.

Die im arabischen Original des Hadithes eingangs verwendete Prä-position min (aus) stellt eine Spezifikation dar, mit anderen Worten: Es gibt einen bestimmten Weg, sich ein Ihsan-Bewusstsein zu erwerben. Einmal kam der Erzengel Gabriel zum Propheten Muhammad und frag-te ihn zuerst, was den Glaube ausmache, und dann, was den Islam aus-mache. Und nachdem er die Antworten des Propheten gutgeheißen hat-te, fragte er ihn nach Ihsan. Da sagte der Gesandte Gottes: Ihsan bedeu-tet, Gott so anzubeten, als sähe man Ihn unmittelbar vor sich. Selbst wenn ihr Ihn nicht seht, sieht Er euch doch ganz gewiss. (Bukhari, Tawhid, 35) An-

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gesichts der Tatsache, dass Gabriel den Propheten als Letztes zum Ihsan befragt, können wir davon ausgehen, dass der Ihsan die höchste Stufe des Glaubens ist.

Der Weg zu einer solchen Stärke im Glauben führt über Frömmig-keit (Taqwa), Askese und rechtschaffene Weisheit. Wer diesen Weg ein-schlägt, sollte sich den Ihsan in seiner Idealform zum Ziel setzen und un-beirrt darauf hinarbeiten, es zu verwirklichen. Gott ist uns Menschen nä-her, als wir selbst uns sind, näher als unsere eigene Halsschlagader. Seine Macht ist es, die die ganze Schöpfung existieren lässt, und Er hat auch uns erschaffen. Daher sollten wir vor allem in uns selbst nach Ihm su-chen, und nicht außerhalb von uns. Ihsan bedeutet, sich diese Erkenntnis voll und ganz bewusst zu sein. Hat sie unser Gewissen erst einmal voll-ständig durchdrungen, wird sich unser ganzes Leben in die Manifesta-tion eines starken Glaubens verwandeln. Gott liebt gute Taten, die von dieser Stärke künden. Er erklärt im Koran:

Sprich: „Handelt, und Gott wird euer Handeln sehen, geradeso wie Sein Ge-sandter und die wahren Gläubigen; und ihr werdet zu dem zurückgebracht werden, der das Unsichtbare und das Offenkundige kennt, und Er wird euch all das begreifen lassen, was ihr zu tun pflegtet (und euch dafür zur Rechen-schaft ziehen).“ (9:105)

Wir Muslime sind dazu angehalten, alles, was wir tun, in dem Be-wusstsein zu tun, dass Gott, Sein Prophet und die wahren Gläubigen da-bei auf uns schauen, damit wir nicht am Tag der Abrechnung, vor dem es kein Entrinnen gibt, gedemütigt werden. Und das ermöglicht uns einzig und allein der Ihsan. Menschen, die so tief in ihre inneren Welten vorzustoßen vermögen, besitzen ein tadelloses Auftreten und halten zu allem Abstand, was in irgendeiner Weise ungebührlich ist. Sie werden zu vollkommenen Menschen und verkörpern dann den Islam in höchs-ter Vollendung.

Die arabischen Worte ma la yanih in dem Hadith bringen zum Aus-druck, dass jemand Dinge tut, die weder in dem Moment noch in der Zukunft irgendetwas Gutes an sich oder irgendeinen Nutzen haben. Sol-che Aktivitäten sind reine Zeitverschwendung. Weder der Betreffende selbst noch seine Familie oder seine Gemeinschaft profitieren von ihnen, und Menschen, die den Islam in höchster Vollendung verkörpern, ver-

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meiden sie. Demgegenüber empfiehlt uns der Hadith, uns mit Angele-genheiten zu beschäftigen, die von allgemeinem Nutzen sind. In gewis-sem Sinne liefert er uns damit eine Definition für einen ernsthaften Men-schen. Außerdem weist er uns darauf hin, dass sich Menschen, deren Ge-danken stets um Trivialitäten kreisen, selbst der Gelegenheit berauben, sich mit wichtigen Dingen zu befassen - weil sie nämlich gar nicht die Zeit haben, ihr Denken und Handeln auf die wirklich relevanten The-men zu konzentrieren.

Ein Mensch, der das Richtige nicht vom Falschen unterscheiden kann, ist nicht dazu in der Lage, den Weg der Rechtleitung zu wählen; und ein Mensch, der sich nutzloser Zeitverschwendung hingibt, wird kaum dazu imstande sein, erhabenere und sinnvolle Ziele zu verfolgen.

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GEDULDIG SEIN

Der Prophet kam an einer Frau vorbei, die neben dem Grab ihres Kindes wehklagte. Er empfahl ihr, gottesfürchtig und geduldig sein. Da entgegnete sie: „Scher dich fort! Was weißt du denn schon, welch

Unglück über mich hereingebrochen ist?“ Sie erkannte ihn nicht. Später aber erfuhr sie, dass es der Prophet gewesen war, der sie da angesprochen hatte. Da ging sie zum Haus des Propheten und fand es unbewacht. Sie entschuldigte sich bei ihm und sagte: „Ich habe dich nicht erkannt.“ Er

erwiderte: Im Augenblick des Unglücks ist Geduld gefragt.

(Bukhari, Dschana‘iz, 32; Muslim, Dschana‘iz, 14-15)

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Als der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, erkannte, dass an bestimmten Bräuchen aus der vorislami-schen Zeit der Unwissenheit festgehalten wurde, verbot er den

Muslimen zunächst, die Gräber der Verstorbenen zu besuchen. Dieses Verbot wurde dann aber später wieder aufgehoben. Um seine Gemein-schaft nun zu Grabbesuchen zu ermuntern, sagte er: Ich hatte euch verbo-ten, die Gräber zu besuchen, aber (jetzt) besucht sie! (Bukhari, Iman, 37) Der Besuch der Gräber ist deshalb so wichtig, weil uns dort die lehrreichsten Lektionen über die Erlösung vom Dasein auf Erden erteilt werden. Auch der Prophet selbst ging häufig auf den Friedhof und machte es sich zur Gewohnheit, mindestens einmal pro Woche die Gräber der Märtyrer aus der Schlacht von Uhud zu besuchen. Bei einem dieser Besuche fiel ihm eine Frau auf, die weinend und klagend neben einem Grab saß und ihre Kleider zerriss. Er ging zu ihr, um sie zu beruhigen und ihr einen Rat zu geben, aber die Frau erkannte ihn nicht und sagte: „Scher dich fort! Was weißt du denn schon, welch Unglück über mich hereingebrochen ist?“ Da ließ der Prophet Muhammad sie dort sitzen, ohne noch etwas hinzuzufü-gen; erst einige Zeugen des Vorfalls klärten die Frau später auf, dass es der Prophet gewesen war, der sie da angesprochen hatte.

Sie war schockiert, traurig und schämte sich, denn auf keinen Fall war es ihre Absicht gewesen, den Gesandten Gottes zurechtzuweisen. Also eil-te sie zum Haus des Propheten, trat ein, ohne auch nur an die Tür zu klop-fen, und entschuldigte sich bei ihm. Der Prophet Muhammad antworte-te ihr: Im Augenblick des Unglücks ist Geduld gefragt. Diese wenigen wei-sen Worte waren von großer Bedeutung, denn sie behandelten ein Thema, über das schon unzählbare Bücher verfasst wurden.

Es gibt unterschiedliche Arten von Geduld, zum Beispiel die Geduld angesichts von Leid, die Geduld, mit der man Versuchungen widersteht, oder die Geduld beim regelmäßigen Verrichten des Gebets. Der arabische Name der Pflanze Sabir ist aus derselben Wortwurzel abgeleitet wie das Wort Sabr, Geduld. Diese Pflanze lässt sich als Heilkraut verwenden, das allerdings sehr bitter schmecken soll. Geduldig zu sein, ist häufig genauso bitter wie das Schlucken dieses Heilmittels aus der Natur. Doch es lohnt sich, die anfängliche Bitterkeit zu überwinden; denn sowohl das Kraut als auch die Geduld leisten uns gute Dienste.

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Natürlich ist es nicht immer leicht, geduldig zu sein, Toleranz zu zei-gen, Entschlossenheit an den Tag zu legen, ruhig zu bleiben und dem Leid die Stirn zu bieten. Aber genau das ist extrem wichtig, um den ersten Schock nach einem Unglück zu überwinden. Auf psychologischer Ebe-ne hilft uns eine veränderte Perspektive dabei, die Trauer und den Kum-mer über das Unglück zu lindern. Auch wenn es uns so hart trifft, dass wir glauben, es nicht ertragen zu können, sollten wir uns sofort bemü-hen, dem anfänglichen Schockzustand zu entkommen: zum Beispiel in-dem wir uns hinsetzen, wenn wir vorher gestanden haben, oder indem wir uns hinlegen, wenn wir zuvor gesessen haben, oder indem wir uns ganz bewusst einer anderen Aktivität zuwenden. Hilfreich können auch rituel-le Waschungen und Bittgebete sein. Manchen ist mit einem Ortswechsel oder mit Schlaf gedient oder damit, dass sie jedes Gespräch über das The-ma vermeiden. All diese ganz unterschiedlichen Maßnahmen können da-zu beitragen, den ersten Schock zu überwinden und die Wirkung des Un-glücks zumindest ein wenig abzuschwächen. Jedes größere Problem, mit dem wir konfrontiert sind, ruft eine Art Trauma hervor, das aber nach der Befreiung aus dem ersten Schockzustand verarbeitet werden kann. Mit ei-nem gewissen Abstand lassen sich dann Leid und Schmerz in Zufrieden-heit überführen und Trauer in Akzeptanz. Das ist es, was der Prophet Muhammad hier mit seinen aufmunternden Worten andeutet.

Geduld im Sinne von Standhaftigkeit ist eine Voraussetzung für das re-gelmäßige Beten und auch für eine regelmäßige Verrichtung anderer reli-giöser Pflichten. Aller Anfang ist schwer, aber wenn man geduldig ist und mit einem spirituellen Bewusstsein und spirituellen Gefühlen bei der Sache bleibt, wird eine Vernachlässigung dieser Pflichten - Pflichtgebet, Fasten, Sozialabgabe oder Hadsch - schon sehr bald ein schlechtes Gewissen und sogar tief in der Seele empfundene Schmerzen verursachen. Viele gesegne-te Menschen lassen sich zum Beispiel selbst durch äußerst schwierige Bedin-gungen nicht davon abbringen, die Pilgerfahrt zu vollziehen. Sie verspüren eine tiefe Sehnsucht, die Heiligen Stätten zu besuchen und sich dadurch auf spiritueller Ebene weiterzuentwickeln. Die Tatsache, dass sie so empfinden, deutet darauf hin, dass ihnen der Dienst an Gott schon lange keine Mühe mehr bereitet. Und das gilt für alle Formen der Anbetung. Hat man erst ein-mal begonnen, empfindet man sie sehr schnell nicht mehr als Last.

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Die gleiche Geduld müssen wir aufbringen, wenn es darum geht, Ver-suchungen zu widerstehen und keine Sünden zu begehen. Wichtig ist, dass wir dieser Gefahr von Anfang an entschlossen gegenübertreten. Dann kann uns kein Schaden entstehen, und wir laden keine Schuld auf uns. Aus diesem Grund sagte der Prophet Muhammad einmal zu Ali: Der erste Blick ist verzeihlich, der zweite hingegen haram (verboten)." (Tirmidhi, Adab, 28)

Wenn unser Blick als Frau auf einen Mann oder als Mann auf eine Frau fällt, dann kann uns das eventuell dazu verleiten, Dinge zu tun, die der Islam ablehnt. Doch diesem Hadith zufolge gilt der erste Blick noch nicht als Sün-de; erst das Riskieren weiterer neugieriger Blicke wird für unrechtmäßig er-klärt. Wenn wir dem ersten Blick keine weiteren Blicke folgen lassen, schüt-zen wir uns davor, Unrecht zu tun, und werden möglicherweise obendrein noch dafür belohnt, die Gebote des Islams befolgt zu haben. Weitere Blicke hingegen bergen die Gefahr, uns auf verführerische Gedanken zu bringen, die der Seele in spiritueller Hinsicht schaden. Prinzipiell birgt jeder Blick auf etwas Verbotenes die Gefahr, dass wir vom Weg der Tugend abkommen und uns auf den Weg des Unrechts verirren; und wer einmal den Weg des Unrechts eingeschlagen hat, tut sich sehr schwer damit, wieder umzukeh-ren. Deshalb empfiehlt uns der Prophet Muhammad hier, Unrecht so früh wie möglich als Unrecht zu entlarven und davon Abstand zu nehmen.

Der Philosoph Epiktet sagte einmal: „Tritt das Bild einer sinnlichen Lust in deine Vorstellung, so lass dich nicht davon hinreißen, sondern die Sache soll dir ein wenig warten. Nimm dir eine Frist zur Überlegung und betrachte die beiden Hauptzeitpunkte, denjenigen, in welchem du das Vergnügen genießen, und den andern, in welchem du nach dem Ge-nuss Reue empfinden und dich selbst heftig tadeln würdest.“ Diese Wor-te weisen in die gleiche Richtung. Hätte Epiktet zu Zeiten des Prophe-ten Muhammad gelebt, dürften wir wohl davon ausgehen, dass sein Aus-spruch von den Worten des Propheten inspiriert gewesen wäre.

Sünden werden uns sehr schnell zur Gewohnheit und sogar zur Sucht; doch auch das Vermeiden von Sünden kann uns sehr schnell zu einem Teil unserer Persönlichkeit werden. Gute Taten verströmen das Licht des Glaubens in die Seele und fungieren als Schutzschild gegen die Sünde und die Flammen des Höllenfeuers. Die Spiritualität ist die Essenz des Glau-bens, sie macht uns zu tugendhaften Menschen und sorgt dafür, dass un-sere Seele Abstand hält von allem, was ihr schaden kann.

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DIE HAND, DIE GIBT, IST BESSER ALS DIE HAND, DIE NIMMT

O Sohn Adams, wenn du den Überschuss (an Reichtum) verschenkst, ist es gut für dich, und wenn du ihn einbehältst, ist es schlecht für dich. Doch

wird dir kein Vorwurf gemacht, wenn du behältst, was du zum Leben brauchst. Und beginne (mit der Wohltätigkeit) bei deinen Angehörigen und

denen, die dir nahestehen; die obere Hand ist besser als die untere Hand.

(Bukhari, Zakat, 18; Muslim, Zakat, 97)

Das Thema Wohltätigkeit und Spenden wird auch in einem an-deren Hadith (Bukhari, Zakat, 18) behandelt, wo der Prophet Muhammad feststellt, dass es eine obere Hand gibt, die spen-

det, und eine untere Hand, die die Spende entgegennimmt. Dieses Kon-

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zept wird hier noch präzisiert: Die obere gebende Hand ist der unteren nehmenden Hand in puncto Tugendhaftigkeit überlegen. Unter dem Ge-sichtspunkt der menschlichen Würde und Ehre steht die gebende Hand für Edelmut und die nehmende für Untertänigkeit. Die vortrefflich ge-wählten Worte des Propheten, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, er-muntern uns einerseits zu spenden und halten uns andererseits davon ab, Spenden entgegenzunehmen, wenn wir nicht wirklich darauf angewiesen sind. Die Entrichtung der Sozialabgabe ist eine religiöse Pflicht, also muss es auch Empfänger geben, Menschen in Not, die von ihr profitieren dür-fen. Der Hadith bringt auf sehr feinfühlige Art und Weise zum Ausdruck, dass die gebende Hand besser ist, ohne dabei die empfangende Hand als schlecht zu brandmarken. Er verdeutlicht, dass Geben segensreicher ist als Nehmen, wobei Letzteres unter bestimmten Bedingungen zulässig ist.

Der Prophet Muhammad verwendete generell gern metaphorische Be-griffe, folglich lassen sich die oben dargestellten Bedeutungen aus dem Hadith ableiten. Allerdings verbietet es sich, diese Passage direkt mit „Die Hand, die gibt, ist besser als die Hand, die nimmt“ zu übersetzen. Denn das würde der ursprünglichen Formulierung im Arabischen nicht gerecht; es würde nur eine Teilbedeutung wiedergeben, und nicht die ganze Bedeutung.

Erstens handelt es sich hier um eine rhetorische Figur namens Synek-doche, bei der ein Wort durch einen Begriff aus demselben Begriffsfeld ersetzt wird. Der Begriff Hand verweist demnach auf den Besitzer der Hand, woraus wir folgende Bedeutung schließen können: Der Mensch, der gibt, ist besser als der Mensch, der nimmt.

Zweitens hätte der Prophet dem Begriff Hand ja ohne Weiteres die Adjektive gebend und nehmend zuordnen können. Doch die Tatsache, dass er weder von einer gebenden Hand noch von einer empfangenden Hand spricht, sondern von einer oberen und einer unteren, ist keineswegs allein auf seine Vorliebe für eine bildliche Sprache zurückzuführen. Sie hat noch einen weiteren Grund: Die gebende Hand ist nicht immer notwendi-gerweise tugendhafter als die empfangende. In manchen Fällen kann auch der Empfänger der Spende die obere Hand haben; dann nämlich, wenn der Empfänger dazu gezwungen ist, die Spende anzunehmen, oder wenn er sie in der guten Absicht entgegennimmt, jemanden zum Spenden zu be-

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wegen, oder wenn sich der Geber in einer Weise über die Spende äußert, die den Empfänger in Verlegenheit bringt. In solchen Fällen ist die geben-de Hand der nehmenden ein Stück weit unterlegen.

Arme Menschen, die dennoch dankbar sind, nannte der Prophet Fuqa-ra sabirun - die geduldigen Armen. Er sagte, in der Gesellschaft würden sie meistens mit Verachtung gestraft, doch wenn sie schwören, dass etwas Bestimmtes geschieht, sorge Gott dafür, dass sich ihre Worte als wahr er-weisen. Bara ibn Malik zum Beispiel war einer von ihnen. Als die Musli-me einmal in einem Kampf unter Druck gerieten, baten sie Bara ibn Ma-lik zu schwören, dass sie am Ende siegreich sein würden. Er kam ihrer Bit-te nach, und tatsächlich behielten sie daraufhin die Oberhand. (Ibn Had-schar, Isaba, 1:143) Gelegentlich gehört also die empfangende Hand ei-nem gesegneten Menschen.

Ein weiterer mit Armut geschlagener Gefährte war Sauban. Er be-folgte den Rat des Propheten, sich nie in jemandes Schuld zu begeben, so konsequent, dass er sogar vom Kamel abstieg, um seine herunterge-fallene Peitsche vom Boden aufzuheben, nur weil er niemanden darum bitten wollte, sie ihm anzureichen. (Ibn Hadschar, Isaba, 1:143) Wohl-tätig gegenüber solch einem Menschen zu sein, ist so, als würde man ei-nem Engel etwas schenken. Empfänger wie diese sind ihrem Geber in keiner Weise unterlegen. Ein anderer, von Aischa überlieferter Hadith lehrt uns, dass wir das, was wir ihnen geben, in Wirklichkeit dem All-mächtigen Schöpfer überreichen, der es dann direkt an den Empfänger weiterreicht. (Bukhari, Zakat, 8)

Mit diesen Worten der Weisheit gibt uns der Prophet folgende Rat-schläge: „Bewahrt euch stets eure Würde. Beschämt nicht eure Seele, in-dem ihr bettelt oder so weit herabsinkt, dass ihr als Einzelpersonen oder als Gemeinschaft zu Wohlfahrtsempfängern werdet. Bemüht euch stets darum, auf der Geberseite zu stehen, und nicht auf der Nehmerseite. So schützt ihr eure Würde. Vergesst nie, dass es sich die obere Hand leisten kann, voller Vertrauen von ihrem Wohlstand abzugeben, während die un-tere in ständiger Sorge lebt und nimmt. Sorgt also dafür, dass ihr die do-minante Hand seid, und nicht die abhängige. Solange ihr die Oberhand behaltet, werdet ihr erfolgreich sein.“

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Dieser Hadith stellt außerdem eine wertvolle Orientierungshilfe für die zwischenstaatlichen Beziehungen dar: Wenn sich die Bewohner eines Lan-des nicht länger damit abfinden, ein Nehmerland zu sein, sondern gemein-same Anstrengungen unternehmen, um zum Geberland zu werden, wird ihnen die Staatengemeinschaft dafür Lob und Anerkennung zollen. Ein Land, dem dieser Aufstieg gelingt, befreit sich aus der Abhängigkeit von anderen Ländern, gibt seinen Bürgern ihre Würde zurück und schiebt der Ausbeutung einen Riegel vor. Gerade in der heutigen Zeit ist immer wie-der zu beobachten, dass reichere Länder die Regierungen ärmerer Länder zur Annahme finanzieller Zuwendungen verleiten. Dadurch werden die ärmeren Länder von Hilfsleistungen abhängig, die sie dann im Laufe der Zeit immer teurer erkaufen müssen. So sichern sich die reichen Länder gewissermaßen Lizenzen zur Ausbeutung der ärmeren Länder. Um es auf den Punkt zu bringen: Sowohl als Individuen wie auch als Gemeinschaft sollten wir versuchen, uns in eine Position zu bringen, in der wir uns un-sere Menschenwürde bewahren können.

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DREI KATEGORIEN VON MENSCHEN, DIE NICHT AUF DIE GNADE GOTTES HOFFEN DÜRFEN

Es gibt drei Kategorien von Menschen, mit denen Gott am Tag des Jüngsten Gerichts nicht sprechen, die Er nicht anschauen und die Er nicht reinigen wird.

Das wiederholte der Prophet dreimal. Abu Dharr sagte: „Diese Menschen sind wahrlich verloren und ruiniert. Aber wer ist damit gemeint, o Gesandter Gottes?“ Der Prophet Muhammad erwiderte: Diejenigen die ihre Kleidung hinter sich her schleifen, diejenigen, die andere an sich binden, indem sie sie

daran erinnern, welche Wohltaten sie ihnen erwiesen haben, und diejenigen, die versuchen, ihre Ware unter falschen Schwüren zu verkaufen.

(Muslim, Iman, 171)

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Dieser Hadith beginnt im arabischen Original mit dem Wort tha-latatun - drei -, das hier mit drei Kategorien von Menschen über-setzt wurde. Thalatatun hat keinen Artikel, ist also unbestimmt,

insofern können Einzelpersonen oder Gruppen gemeint sein, Männer oder Frauen, Gelehrte oder Unwissende. Uns interessiert jedoch nicht so sehr die Identität dieser Menschen, als vielmehr ihre Eigenschaften. Der feh-lende Artikel für thalathatun legt nahe, dass es sich um verabscheuungs-würdige und ehrlose Gestalten handelt, die es nicht wert sind, beim Na-men genannt oder genauer definiert zu werden. Gott wird sie am Tag des Jüngsten Gerichts ignorieren. Aber bereits hier auf Erden leiden sie dar-unter, dass ihre Mitmenschen nicht den Wunsch verspüren, sie kennenzu-lernen oder sich mit ihnen zu unterhalten. Schuld daran ist nicht ihre äu-ßere Erscheinung, sondern ihr Herz. Ihre Seele ist eine Gefangene ihres Körpers. Sie besitzt weder die Fähigkeit noch die Absicht, ihre Ehre zu be-haupten oder zurückzuerobern; aus dem Kerker der Oberflächlichkeit gibt es für sie kein Entrinnen.

Nach dem Wort drei folgen drei Verben mit Verneinung (in der Überset-zung in einem Nebensatz wiedergegeben), mit denen drei unterschiedliche Möglichkeiten der Bestrafung durch den Schöpfer angezeigt werden. Diese drei Verben verheißen den drei Kategorien von Menschen nichts Gutes. Die hier verwendete Form des Indikativ Präsens verweist im Arabischen auf Ge-genwart und Zukunft zugleich, wodurch man das Gefühl erhält, als würde man unmittelbar Zeuge des verhängnisvollen Endes dieser Menschen.

Die erste Möglichkeit der Bestrafung besteht darin, dass Gott nicht mit ihnen sprechen wird. Mit diesem ersten Satz nimmt ihr Unglück seinen Lauf. Der Koransure Ar-Rahman zufolge ist die Tatsache, dass Gott uns Men-schen zu sprechen gelehrt hat, einer Seiner bedeutendsten Gunstbeweise. Unsere Fähigkeit, uns zu artikulieren, ist eine Manifestationsform von Got-tes Attribut Sprechen, und sie ist von unschätzbarem Wert. Doch die in dem Hadith angesprochenen Menschen werden am Tag des Jüngsten Ge-richts nicht die Gelegenheit bekommen, sich Gott mitzuteilen. Gott wird sie schlichtweg nicht beachten, und welch härtere Strafe könnte es geben, als vom Schöpfer ausgerechnet in dem Moment ignoriert zu werden, wo man am meisten darauf angewiesen ist, zu Ihm zu sprechen und Ihn um Ver-gebung zu bitten; in dem Moment, wo man allein vor Ihm steht und Ihn um Barmherzigkeit anfleht? In diesem Augenblick größter Beklommenheit wird Er der Einzige sein, der uns Mitgefühl und Erbarmen entgegenbringen

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kann. Aber von diesen Menschen wendet Er sich ab und ignoriert ihr Ersu-chen. Der Koran enthüllt, was Gott dann sagen wird:

Hinweg mit euch in diese (Schmach)! Sprecht Mich nicht mehr an! (23:108)

Der Koranvers erinnert uns daran, dass wir hier auf Erden zu unserem Schöpfer sprechen und mit Ihm Zwiesprache halten können. Diese Chan-ce sollten wir nutzen und Ihm unsere Anliegen vortragen. Wenn wir nicht bereits in der Welt Zuflucht bei Gott gesucht haben, wird Er uns in der kommenden Welt keinen Schutz gewähren.

Die zweite Möglichkeit der Bestrafung besteht darin, dass Gott sie nicht an-schauen wird. Auch in diesem Fall gilt, dass sich Gott gerade in dem Moment von ihnen abwenden wird, wo sie Seiner Barmherzigkeit am dringendsten be-dürfen. Während alle anderen Menschen angesprochen und namentlich auf-gerufen werden und darauf hoffen dürfen, dass Gott ihnen vergibt, werden diejenigen, von denen Er sich abwendet, in tiefste Verzweiflung gestürzt.

Mit einer ähnlichen Form der Zurückweisung wurden einmal für kurze Zeit drei Gefährten des Propheten Muhammad, Gottes Friede und Segen sei-en mit ihm, bestraft. Sie hatten es versäumt, am Feldzug nach Tabuk teilzu-nehmen. Bald darauf wurde dem Propheten in einer Offenbarung mitgeteilt, dass Gott ihnen vergeben hatte; doch trugen sie sehr schwer an dieser Strafe.

Die in dem Hadith angesprochenen Menschen werden die gleiche Stra-fe erdulden müssen, allerdings für alle Ewigkeit. Ignoriert zu werden von Gott, dessen Barmherzigkeit so unendlich groß ist, ist zweifellos eine der schlimmsten Strafen, die man sich vorstellen kann. Aber jeder Mensch be-kommt das, was er verdient - nicht mehr und nicht weniger. Wer Gutes getan hat, wird mit Güte und Freundlichkeit belohnt werden, und wer Bö-ses getan hat, wird selbst Böses erdulden müssen.

Die dritte Möglichkeit der Bestrafung besteht darin, dass Gott sie nicht reinigen wird, dass Er ihnen nicht vergeben wird. Im Gegensatz zu anderen Menschen wird Gott ihnen verweigern, sie von ihren in der Welt begange-nen Sünden zu reinigen; das heißt, Er wird ihnen auch nicht vergeben.

Jeder Mensch hat während seines Aufenthalts auf Erden die Gelegen-heit, sich die Freuden seines kommenden Lebens im Jenseits zu verdienen. Nach unserem Tod hingegen können wir nichts mehr tun. Wer also seine Chance in diesem Leben nutzt, wird ewig davon profitieren, und wer sie nicht nutzt, wird zweifellos zu den Verlierern gehören. Wenn wir Men-

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schen unserem Schöpfer einst gegenübertreten, werden wir uns in einem erbärmlichen Zustand befinden. Unser spirituelles Wesen wird durch Sün-den beschmutzt sein, und wir werden uns nichts sehnlicher wünschen, als gereinigt zu werden. Doch all jenen, die zu einer der besagten drei Kate-gorien gehören, wird der Schöpfer keine Gnade erweisen. Er wird sie, wie bereits gesagt, nicht reinigen und ihnen nicht vergeben. Das Einzige, was sie nach ihrem Abschied aus dieser Welt zu erwarten haben, ist dem Ko-ran zufolge eine schmerzliche Strafe.

Wem aber droht ein solches Schicksal? Wer genau sind diejenigen, de-nen Gott Seine Barmherzigkeit vorenthalten wird, zu denen Er nicht spre-chen, die Er nicht anschauen und die Er nicht reinigen wird? Wer verdient eine so harte Bestrafung?

Von den Worten diejenigen, die ihre Kleidung hinter sich her schleifen müs-sen sich alle hochmütigen Menschen angesprochen fühlen. Ein entsprechen-des Gebaren wurde von den alten Römern und Griechen kultiviert. Sie pfleg-ten ihre Gewänder ganz bewusst hinter sich her zu schleifen, um damit ihre Überlegenheit und bevorzugte Stellung zur Schau zu stellen. Nicht von un-gefähr werden die römischen und griechischen Aristokraten auch in Filmen, die sich mit jener Epoche beschäftigen, häufig so charakterisiert. Und so geht es dem Propheten Muhammad hier nicht um das Schleifen der Gewänder an sich, sondern um die Hochmütigkeit, die damit demonstriert wird.

Viele Koranverse und Hadithe befassen sich mit den üblen Konse-quenzen von Stolz und Arroganz. In einem anderen Hadith heißt es zum Beispiel: Niemand, der in seinem Herzen auch nur ein Körnchen Stolz hat, wird das Paradies betreten. (Muslim, Tirmidhi, Abu Dawud) Gott versperrt Menschen, in deren Herzen sich auch nur eine Spur von Stolz oder Arro-ganz findet, den Weg zum Glauben. Das bekräftigt auch der Koran:

Ich werde diejenigen von Meinen Offenbarungen und Zeichen abwenden, die sich ohne Recht hochmütig verhalten auf Erden. Und obwohl auch sie alle Zeichen (der Wahrheit) sehen, glauben sie doch nicht daran; und obwohl sie den Weg der Rechtleitung sehen, nehmen sie ihn doch nicht als zu befolgenden Weg an. Sehen sie aber den Weg des Irrtums und der Auflehnung gegen die Wahrheit, dann nehmen sie ihn als zu befolgenden Weg an. Dies, weil sie Unsere Offenbarungen als Lüge verwerfen und ihnen gegenüber ständig achtlos sind. (7:146)

Hochmütige Menschen sind nicht dazu in der Lage zu begreifen, wel-che Bedeutung sich hinter den Zeichen und Wundern verbirgt, die auch sie

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überall in der Schöpfung entdecken. Sie urteilen vorschnell und vermögen Gott nicht mehr wahrzunehmen. Die Allmacht ist ein Attribut, das allein der Allmächtige Eine besitzt. Fünfmal täglich wird von den Moscheen in der ganzen Welt verkündet, dass es außer Gott keine andere Gottheit gibt. Sie aber betrachten Ihn nicht länger als den Urheber der Zeichen und Wun-der in der Schöpfung und sind von ihrem eigenen Hochmut verblendet.

In einem Hadith qudsi sagt Gott, der Allmächtige: Stolz ist Mein Man-tel und Größe ist Mein Gewand; jeden, der in einem von beidem mit Mir wett-eifern möchte, werde Ich ins Höllenfeuer werfen. (Abu Dawud, Muslim, Ibn Madscha). Stolz, Größe und Allmacht sind Attribute des Schöpfers, Ihm allein steht es zu, sich in sie zu kleiden. Jeder, der es wagt, Ihm diese Attri-bute streitig zu machen, wird es zweifellos bereuen.

Die zweite Kategorie von Menschen, die sich diese harte Bestrafung verdienen, bilden die Mannan - diejenigen, die andere an sich binden, in-dem sie sie daran erinnern, welche Wohltaten sie ihnen erwiesen haben. Mann-an bedeutet auch Wohltäter. Gott schenkt manchen Menschen Reichtum, von dem sie nicht nur selbst profitieren, sondern auch ihren Mitmenschen etwas abgeben sollen. Wenn sie dies tun, werden sie von Gott großzügig dafür belohnt. Die hier angesprochenen Menschen allerdings weigern sich entweder, Bedürftige zu unterstützen, oder aber sie entwerten ihre Unter-stützung dadurch, dass sie ihren Schützlingen das Gefühl vermitteln, in ihrer Schuld zu stehen. Sie vergessen, dass sowohl wir Menschen als auch unser Reichtum in Wirklichkeit dem Schöpfer gehören.

Reiche Menschen sind dazu verpflichtet, bedürftigen Menschen zum Wohlgefallen Gottes etwas von ihrem Reichtum abzugeben. Manche von ihnen streben jedoch nicht im Entferntesten nach dem Wohlgefallen Got-tes. Wenn sie überhaupt dazu bereit sind, etwas von ihrem Reichtum ab-zugeben, dann nur mit dem Ziel, sich die Empfänger ihrer Zuwendungen dankbar und gewogen zu machen und sie an sich zu binden. Eine solche Haltung zeugt von großer Respektlosigkeit und hat schlimme Folgen.

Diejenigen, denen Gott keinen materiellen Reichtum geschenkt hat, haben Anspruch auf einen Teil des Reichtums derjenigen, denen mehr ge-geben wurde als ihnen selbst. Doch leider gibt es genug reiche Menschen, die so geizig sind, dass sie höchstens aus Berechnung und Eigennutz etwas von ihrem Reichtum abgeben; dann nämlich wenn sie sich davon einen Vorteil versprechen. Diese Rechnung wird jedoch nicht aufgehen. Denn

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Geiz führt uns weg von unserem Schöpfer, vom Paradies und von unseren Mitmenschen und bringt uns der Hölle näher. Das können wir folgendem Hadith entnehmen: Der geizige Mensch wird von Gott, dem Paradies und von anderen Menschen entfernt und ist der Hölle nahe. (Tirmidhi, Birr, 40)

Wenn wir in unserem Ausgangshadith jeder Kategorie von Menschen der Reihenfolge im Satz gemäß eine Bestrafung durch Gott zuordnen, dann droht dem Mannan, der weder Rücksicht auf andere nimmt noch sie unter-stützt, das Schicksal, dass Gott ihn nicht anschauen wird. Diese Menschen müssen sich darauf gefasst machen, dass Gott ihnen auf die gleiche Weise ‚den Rücken kehren‘ wird, wie sie ihren Mitmenschen den Rücken gekehrt haben. Sie haben die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen ignoriert oder ihre eigentlich guten Taten dadurch entwertet, dass ihre Wohltätigkeit von niederen Beweg-gründen motiviert war. Weil sie in dieser Welt kein Mitgefühl gezeigt haben, wird Gott ihnen in der kommenden Welt Seinerseits keine Barmherzigkeit zuteil werden lassen. Diese Menschen erwartet also im Jenseits eine Strafe, die dem entspricht, was sie anderen hier auf Erden angetan haben.

Die Hochmütigen und Überheblichen, die ihre Kleider hinter sich her schleifen, in der Gegend herumstolzieren und ihre Mitmenschen von oben herab behandeln, sollten sich vor Augen führen, dass man ihnen dereinst ebenfalls die kalte Schulter zeigen wird. Der Schöpfer wird sie im Jenseits ignorieren. Er wird dort nicht mit ihnen sprechen und sie nicht anschau-en. Ihr Verhalten wird also schwerwiegende Konsequenzen haben. Das sollten sie sich bewusst machen und so schnell wie möglich auf den rech-ten Weg zurückfinden.

Was die dritte Möglichkeit der Bestrafung betrifft, so weiß wohl jeder, dass es nicht rechtens ist, falsche Versprechungen zu machen oder einen Meineid zu schwören. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass Händ-ler ihre Kunden ohne Skrupel anlügen und betrügen, nur um ihre Wa-re mit Gewinn verkaufen zu können und einen materiellen Vorteil daraus zu ziehen. Dies also ist der dritte Weg, der in die Finsternis des Abgrunds führt. Er wird (sie) nicht reinigen, werden diese Betrüger in dem Hadith gewarnt. Folglich setzt sich die dritte Kategorie von Menschen, denen ihr Unrecht einst mit gleicher Münze zurückgezahlt werden wird, aus denje-nigen zusammen, die meinen, ihre Geschäftspartner mit falschen Aussa-gen über ihre Ware täuschen zu können.

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DIE ZUNGE ZÜGELN UND DIEKEUSCHHEIT BEWAHREN

Wer mir für das bürgt, was zwischen seinen Kiefern und zwischen seinen Beinen ist, dem verspreche ich das Paradies.

(Bukhari, Riqaq, 23; Tirmidhi, Zuhd, 61)

Diese Worte des Propheten Muhammad, Gottes Friede und Se-gen seien mit ihm, sind die Worte eines Mannes, der genau wusste, welche Versprechen er zu erfüllen vermag und welche

nicht. Ein anderer Hadith weist darauf hin, dass auch ihm bestimmte Er-kenntnisse verborgen waren: Der Prophet liebte Uthman ibn Mad’un wie einen Bruder. Als dieser starb, sagte dessen Frau: „Gott sei dir gnädig. Nun bist du ins Paradies eingegangen.“ Der Prophet aber widersprach ihr und sagte: Obwohl ich der Gesandte Gottes bin, weiß ich nicht, was mit ihm ge-schieht. Woher also willst du das wissen? (Bukhari, Dschana‘iz, 3)

In dem obigen Hadith hingegen spricht er eine Garantie aus, die sich aus dem Wissen speist, das Gott ihm vermittelt hatte. Wenn der Prophet dort all jenen, die seinem Rat folgen, Einlass ins Paradies verspricht, dann besteht kein Zweifel daran, dass sie tatsächlich damit belohnt werden. Wer auch immer seine Zunge im Zaum hält und sich seine Keuschheit be-wahrt, darf sich vor den Flammen der Hölle sicher fühlen. Gottes Gesand-

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ter verspricht uns das Paradies, folglich wird er uns am Tag des Jüngsten Gerichts beistehen und Fürsprache für uns einlegen.

Die Zunge ist ein sehr wichtiges Organ, das mit der Fähigkeit zu spre-chen gesegnet ist. Mit der Zunge sagt man dem Schöpfer Lob und Dank, rezitiert den Koran und das Buch des Universums und bringt anderen Menschen die Weisungen und Worte des Korans und der Hadithe näher. Die Zunge ermöglicht uns, jemanden, der nicht an Gott glaubt, mit un-seren Worten zum Glauben zu führen. So können wir uns mit Hilfe der Zunge auf den höchsten Rang aufschwingen. Andererseits kann sie uns aber auch in den Ruin führen und zerstören; dann nämlich, wenn sie da-zu missbraucht wird, ungebührliche Dinge zu äußern. Sie kann Verderben und Leid über uns bringen, zum Beispiel wenn sie Blasphemie und Un-dankbarkeit kundtut; und auch die Schmähung des Schöpfers und Seines Gesandten, die unverzeihlichste aller Sünden, wird von der Zunge hervor-gebracht. Lügen, Gerüchte und Verleumdungen - all das sind Sünden, die mit der Zunge begangen werden und uns schwer belasten.

Der Prophet empfiehlt uns, beim Reden die Grenzen der Rechtmä-ßigkeit zu beachten, dann garantiere ich euch das Paradies. Er fordert uns nicht dazu auf, unsere Stimme zu erheben, sondern ermahnt uns vielmehr, mit unseren Worten niemandem zu schaden und unsere Zunge auf recht-mäßige Art und Weise für nützliche Dinge zu gebrauchen.

Von ähnlich großer Bedeutung, nicht nur für den Einzelne, sondern für unsere ganze Spezies, sind die Fortpflanzungsorgane - oder, wie der Ge-sandte Gottes es hier formuliert: das, was zwischen unseren Beinen ist. Sie sorgten einst dafür, dass Adam und Eva aus dem Paradies verstoßen wur-den. Einerseits sichern unsere Genitalien den Fortbestand der Menschheit und bringen neue Generationen hervor, andererseits bergen sie Gefahren wie Ehebruch und Prostitution in sich, die viele Gesellschaften bedrohen. Diese Formen des Missbrauchs führen dazu, dass Familienstammbäume abgeschnitten und die fundamentalsten Rechte missachtet werden.

Die Geburt eines unehelichen Kindes wirft viele Fragen auf: Wer ist der Vater des Kindes? Wie sieht es mit den Erbschaftsrechten aus? Wie schützen wir das System der Familie? Und als direkte Folge des Zerfalls der Familie: Wie lässt sich der Niedergang der Gesellschaft aufhalten? Die Antwort auf all diese Fragen ist eng verbunden mit dem Anstand und der

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Keuschheit der Menschen und insofern vor allem damit, ob es ihnen ge-lingt, das, was sich zwischen ihren Beinen befindet, zu kontrollieren. Ge-sellschaften, in denen Ehebruch und Prostitution auf der Tagesordnung stehen, werden es nie schaffen, zu gedeihen und zu reifen. Keusche Men-schen achten darauf, dass sie sich ihren Anstand bis zum Jüngsten Tag be-wahren, und profitieren nicht erst nach ihrem Tod davon.

Grundsätzlich gilt, so wie in allen anderen Bereichen auch, dass die vom Islam gezogenen Grenzen genügend Spielraum lassen, um uns Be-friedigung zu verschaffen, sodass niemand dazu gezwungen ist, außer-eheliche Beziehungen einzugehen. Der Prophet Muhammad sagte: Hei-ratet und pflanzt euch fort, dann werde ich am Tag des Jüngsten Gerichts stolz sein (auf eure Anzahl). (Bukhari, Dschana’iz, 3) Am Tag des Jüngs-ten Gerichts wird der Prophet stolz darauf sein, dass seine Gemeinschaft weit größer ist als alle anderen Gemeinschaften. Das Wachstum der Ge-meinschaft der Gläubigen ist jedoch ganz entscheidend mit der Bewah-rung von Keuschheit und Anstand und mit der rechtmäßigen Zeugung von Nachwuchs verknüpft.

Der intime Verkehr mit dem rechtmäßigen Ehepartner wird belohnt wie ein Wadschib-Akt und verheißt als solcher auch spirituellen Lohn. Als der Prophet dies seinen Gefährten mitteilte, waren sie sehr überrascht. Sie stellten ihm weitere Fragen zu dem Thema, woraufhin er lächelte und ih-nen versicherte, dass sie nicht sündigen, solange sie ihre Triebe auf recht-mäßige Weise befriedigen. (Muslim, Zakat, 53) Muslime sollten sicher-stellen, dass sie sich nicht auf unrechtmäßiges Terrain begeben. Wenn sie rechtmäßig handeln, wird ihnen das als Verdienst angerechnet.

Dieses Thema mag manchen peinlich sein, aber wir sollten bedenken, dass es hier um einen Aspekt der menschlichen Natur geht, der auch von den Propheten erfahren wurde. Wie hätte der Prophet Muhammad, der ehrwürdigste Mensch im Universum, auf die Welt kommen können, wenn Gott darauf verzichtet hätte, Adam Emotionen oder Bedürfnisse dieser Art einzupflanzen?

Der Prophet verspricht allen Menschen, die dafür sorgen, dass sich das, was zwischen ihren Kiefern und ihren Beinen ist, jeder Sünde ent-hält, das Paradies. Der gleiche Lohn wird uns in Aussicht gestellt, wenn wir Gott anderweitig hingebungsvoll dienen und uns spirituell vervoll-

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kommnen. Wenn also jemand dazu in der Lage ist, das, was zwischen seinen Kiefern und seinen Beinen ist, zu kontrollieren, dann bedeutet dies, dass er die Begierden seines Egos um Gottes willen zu kontrollie-ren vermag - und das sogar in jenen Augenblicken, in denen er am anfäl-ligsten für Übeln aller Art ist.

Wenn das Ego die Seele und den Willen zu unterjochen droht, ist es extrem wichtig, ihm Einhalt zu gebieten. Die Zügelung des Egos kommt der spirituellen Vervollkommnung zugute und verspricht uns sogar Ein-lass ins Paradies. Diejenigen, denen es gelingt, sich dem leidenschaftlichen Verlangen ihres Egos selbst in Momenten zu widersetzen, in denen sie am verwundbarsten sind, diejenigen, die Zuflucht bei der Existenz Gottes su-chen und sich von allem Bösen und jeder Sünde fernhalten, und insbeson-dere diejenigen, die permanent alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um gar nicht erst in Versuchung zu geraten, nehmen oft eine unerwar-tet schnelle positive spirituelle Entwicklung; eine Entwicklung, die sonst jahrelange nächtliche Gebete und Fasten erfordert. Natürlich dürfen wir die Anbetung Gottes auf freiwilliger Basis keinesfalls unterschätzen. Doch wenn wir zu vollkommenen Menschen heranreifen möchten, müssen wir uns die in dem Hadith angemahnte Selbstkontrolle zu Eigen machen.

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HANDLUNGEN, DIE SÜNDEN TILGEN UND DEN GLÄUBIGEN AUF EINE HÖHERE

RANGSTUFE ERHEBEN

Soll ich euch den Weg zu den Dingen weisen, mit denen Gott Sünden tilgt und euch auf höhere Stufen hebt? Seine Gefährten sagten: „Ja, o Gesandter Gottes!“ Da erwiderte der Gesandte Gottes: Die Durchführung der rituellen Waschung selbst unter widrigsten Umständen so gewissenhaft wie möglich, das häufige Aufsuchen der Moschee und die freudige Erwartung des nächsten Gebets nach jedem Gebet. Das ist der Ribat, das ist der Ribat, das

ist der Ribat [arab.: die Verbindung (zu Gott)].

(Muslim, Tahara, 41)

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Dieser Hadith beginnt mit den Partikeln A la (Soll ich nicht…?), die im Arabischen gern verwendet werden, um die Zuhörer da-rauf aufmerksam zu machen, dass nun eine wichtige Aussage

folgt. Diese dreht sich zunächst um das Wort Khata (Fehler, Vergehen, Sünde). Jeder Mensch begeht Fehler, und wer behauptet, das gelte für ihn nicht, begeht sogar den größten Fehler von allen. Die einzige Ausnahme bilden die Propheten. Der Prophet Muhammad sagte: Jeder Mensch sün-digt. Und die Besten von denen, die sündigen, sind diejenigen, die es bereuen. (Muslim, Tahara, 41) Folglich sollen wir angesichts unserer Sünden nicht verzweifeln, sondern versuchen, nach jedem Abweichen mit aufrichtiger Reue auf den Pfad der Tugend zurückkehren.

Ein Muslim darf sich aber nicht damit zufrieden geben, Sünden zu ver-meiden; vielmehr sollte er sich auf allen Ebenen immer weiter vervoll-kommnen. Die Vermeidung von Sünden bringt uns diesem Ziel näher, al-lerdings muss sie von positiven Handlungen flankiert sein; nur so können wir uns auf eine höhere Stufe aufschwingen und in den Ozean der Begeg-nung mit Gott eintauchen.

Die erste solche Handlung ist die gewissenhafte Durchführung der ri-tuellen Waschungen selbst unter widrigsten Umständen, wie zum Bei-spiel im Winter mit eiskaltem Wasser. So problematisch die Bedingungen auch sein mögen, sollten die Waschungen immer so gründlich wie mög-lich vollzogen werden.

Die zweite positive Handlung ist das Aufsuchen der Moschee zur Teil-nahme am Gebet. Ein Leben, das auf die Orte der Anbetung hin ausge-richtet ist, ist ein erhabenes Saatgut, das hier auf Erden jahrelang im Ver-borgenen wächst und gedeiht, bis es schließlich im Jenseits die Früchte des Paradieses hervorbringt. Gläubige sollten die Moschee auch dann aufsu-chen, wenn sie dafür eine weite Strecke zurücklegen müssen. Außerdem sollten sie natürlich regelmäßig in die Moschee gehen.

Die dritte positive Handlung besteht darin, nach der Verrichtung ei-nes Gebets dem nächsten Gebet bereits freudig entgegenzusehen oder, wie in einem anderen Hadith gesagt wird, das Herz an die Moschee zu hän-gen. (Muslim, Tahara, 41) Das Gebet schenkt der Seele Gelassenheit und erfrischt das Gewissen. Jeder Mensch hat im Leben irgendetwas, für das er sich begeistert, und das galt auch für den Propheten Muhammad. Der

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Gesandte Gottes empfand eine überwältigende Leidenschaft für das Be-ten, weshalb er seinen Gefährten Bilal häufig anspornte: Erfreue uns, Bilal! (Rufe zum Gebet!) Darüber hinaus pflegte er das Gebet als das Licht sei-ner Augen zu bezeichnen. (Madschmu‘ al-Dschawa’id)

In dem Hadith werden drei verschiedene Themenbereiche angespro-chen, aber wenn wir uns diese Bereiche etwas genauer anschauen, erken-nen wir sofort, dass alle drei mit dem Gebet in Verbindung stehen. Das Gebet ist ein extrem wichtiger Aspekt unseres Lebens, es kommt unse-rer spirituellen Entwicklung zugute und führt uns auf die bestmögliche Art und Weise bestimmte essenzielle Realitäten vor Augen. Das Gebet ist eine Säule der Religion, es vermittelt der Seele die Gefühle des Glau-bens. Wer nicht betet, schwächt damit seinen Glauben. Da das Gebet nicht von der Rechtleitung zu trennen ist, sollte es unbedingt in der ge-botenen Form verrichtet werden. Das heißt, man sollte versuchen, sich ganz darauf zu konzentrieren. Die Seele sollte frei sein von allen Gedan-ken an irdische Dinge. Daher ist es zum Beispiel auch nicht ratsam zu be-ten, wenn man das Bedürfnis verspürt, auf die Toilette zu müssen. Denn dadurch wird man abgelenkt und verweigert dem Gebet außerdem den gebührenden Respekt. Gott hat uns aufgetragen zu beten, damit wir in vielerlei Hinsicht davon profitieren. Keinesfalls ist das Gebet eine lästi-ge Pflichtübung, die es hastig oder in geistesabwesendem Zustand hin-ter sich zu bringen gilt.

Die Rituale, die zur Vorbereitung auf das Gebet vollzogen werden, gewährleisten, dass wir im Gebet selbst ruhig und gelassen vor unse-rem Schöpfer stehen können. Abgesehen davon wird uns ihr Vollzug so-gar noch als Verdienst angerechnet. Bevor wir also mit dem Gebet be-ginnen, müssen wir zunächst unser Herz von allem reinigen, was uns von unserer Pflicht ablenken könnte. Wenn wir im Gebet vor unserem Schöpfer stehen, sollte unsere Seele einzig und allein auf Ihn fokussiert sein; und sämtliche Schritte, die wir unternehmen, um diesen Zustand zu erreichen, werden von Gott belohnt. Wir sollten uns immer fest vor-nehmen, das anstehende Gebet ruhig und gelassen zu verrichten, denn die gute Absicht eines Gläubigen wird höher bewertet als sein eigentli-ches Handeln. Wenn jemand, der nicht betet, vergleichbare Maßnahmen ergreift, so erhält er dafür keinerlei Lohn; ein Muslim dagegen wird so-

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gar dafür belohnt, dass er sich vor dem Gebet erleichtert, weil er sich da-durch in einen reineren Zustand begibt.

Die korrekte Durchführung der rituellen Waschungen spielt für die Vorbereitung auf das Gebet eine bedeutende Rolle; nicht zuletzt deshalb, weil der Körper stimuliert wird, wenn die Gliedmaßen mit Wasser in Be-rührung kommen. Oft genug ist uns aber der eigentliche Sinn und Zweck dieser Reinigung nicht bewusst: Diese Waschungen helfen uns dabei, uns zu sammeln und unsere ganze Aufmerksamkeit auf das zu richten, was nun kommen wird: das Gebet.

Neben der Reinigung ist der Adhan, der Gebetsruf, ein weiterer Schritt zum Gebet. Die Verrichtung zusätzlicher Sunna-Akte, zu denen zum Bei-spiel die Rezitation spezieller Bittgebete für die Waschung zählt, hilft uns dabei, den Grad unserer metaphysischen Wachsamkeit zu steigern. Nach Abschluss eines einleitenden Sunna-Gebets sollten wir endgültig bereit sein, das Pflichtgebet zu verrichten. Wer an diesem Punkt kein Gefühl der Begeisterung oder Freude in seiner Seele verspürt und nicht dazu in der Lage ist, sich auf die Vereinigung mit seinem Schöpfer zu konzentrieren, der sollte einsehen, dass er irgendetwas falsch gemacht haben muss.

Wenn der Gebetsruf des Muezzins ertönt, treten sämtliche anderen As-pekte des menschlichen Lebens, die uns von Gott ablenken, in den Hin-tergrund. Und so sprechen wir: Allahu Akbar, Gott ist groß! Wir begin-nen das Gebet mit voller Konzentration und wiederholen diese Worte der Verherrlichung mit jeder Verbeugung und jeder Niederwerfung vor Gott. Damit bestätigen wir die Größe des Schöpfers, während wir unsere eigene Bedeutungslosigkeit eingestehen. Auf diese Weise treten wir in einen Zu-stand der uneingeschränkten Ergebung ein und werden uns unserer Die-nerschaft und Bewunderung bewusst.

Während des Gebets erreichen unsere aufrichtigen Grüße den Schöp-fer. In gleicher Weise entbot der Prophet Muhammad in der Nacht sei-ner Himmelsreise dem Schöpfer seinen Gruß, und Gott erwiderte ihn. Das in dem Hadith benutzte Wort Mahw bedeutet, dass etwas Aufge-schriebenes gelöscht wird. Wir können daraus folgern, dass in unserer Na-tur ein Potenzial für Fehler angelegt ist. Manche Menschen lassen dieses Potenzial ungehindert wuchern, andere hingegen geben sich Mühe, es so weit wie möglich zu beschneiden. Wenn wir uns den Rat des Propheten

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Muhammad zu Herzen nehmen, tilgt Gott der Barmherzige unsere Sün-den und Fehler und ersetzt die Neigung zum Bösen durch die Neigung zum Guten, wie im folgenden Koranvers angedeutet wird:

Gott löscht aus, was Er will (an Dingen und Ereignissen, die Er erschaffen hat, und an Gesetzen, die Er festgelegt hat), und Er bestätigt und legt fest (was Er will). (13:39)

Wenn also die Neigung, Sünden zu begehen, ein unabdinglicher Be-standteil der menschlichen Natur ist, dann dürfte die Vergebung oder das Auslöschen dieser Sünden ohne Zweifel im gemeinsamen Interesse der ganzen Menschheit liegen.

Jeder Mensch ist anfällig für Sünden, und nicht wenige Menschen le-ben ein ganz und gar sündhaftes Leben. Doch sollten wir uns stets vor Au-gen halten, dass es immer möglich ist, Sünden und Fehler zu korrigieren und sie durch positive Handlungen zu ersetzen. Ein Weg zu diesem Ziel führt, wie oben beschrieben, über die Durchführung der Waschung selbst unter widrigsten Umständen, ein weiterer über das regelmäßige Aufsu-chen der Moschee, die man mit der ehrlichen Absicht wieder verlassen sollte, auch das nächste Gebet zu verrichten. Man sollte das Gefühl haben, die eigene Seele an diesem erhabenen Ort spiritueller Glückseligkeit zu-rückzulassen, und sich bereits jetzt darauf freuen, sich beim nächsten Be-such der Moschee wieder mit ihr zu vereinen. Ein dritter Weg führt über das sehnsüchtige Warten auf das nächste Gebet. All dies sind Maßnah-men, die unsere Sünden tilgen und uns Stufe um Stufe bis auf den höchs-ten Gipfel unseres persönlichen Potenzials erheben.

In dem Hadith wiederholt der Gesandte Gottes abschließend dreimal das Wort Ribat. Ribat bedeutet wörtlich übersetzt: Wachtposten im Grenz-gebiet. In diesem Kontext jedoch verweist es zum einen auf das Gedeihen spiritueller und materieller Früchte und zum anderen auf die Wachsamkeit vor Sünden aller Art. Es impliziert jene Hingabe und jenes Engagement, die auch ein Soldat an den Tag legt, der sich vor einer Gefahr schützt. Im Koran wird uns befohlen:

O ihr, die ihr glaubt! Seid geduldig (und durchsteht standhaft, was euch in dieser Welt auf dem Pfad Gottes widerfährt); ermutigt euch gegenseitig zur Geduld, und wetteifert miteinander, und übertrefft alle anderen darin; und haltet eure Pflicht Gott gegenüber ein in Gemeinsinn; und hütet euch vor

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Ungehorsam Gott gegenüber in tiefer Ehrfurcht vor Ihm und in Frömmig-keit, damit ihr erfolgreich sein werdet (in beiden Welten). (3:200)

Der Imperativ der Verbform von Ribat (rabitu) lässt sich sinngemäß übersetzen mit: Erfüllt eure Pflichten gegenüber Gott in Gemeinsinn! Ein Gläubiger, der die Waschungen vollzieht und regelmäßig die Moschee aufsucht oder zumindest die Absicht verfolgt, sie aufzusuchen, und des-sen Seele emotional an den Orten der Anbetung hängt, ist ein Mensch, der versucht, seine Pflichten zu erfüllen, und Gott wahrhaft treu ergeben ist.

Die Aufgabe von Wachtposten im Grenzgebiet besteht in der Regel vor allem darin, wachsam zu sein gegenüber den Angriffen des Feindes. Auch wir müssen vor unseren beiden Feinden, dem Teufel und unserem eigenen Ego, auf der Hut sein, wobei der Kampf mit dem Ego die größe-ren Anstrengungen erfordert. Beiden Formen des Kampfes - dem kleine-ren Dschihad und dem größeren Dschihad - müssen wir uns stellen. Ein Soldat, dessen Auftrag lautet, sein Heimatland zu verteidigen, hat kaum Zeit, sich allzu intensiv mit den Verlockungen dieser vergänglichen Welt zu beschäftigen. Weil seine Aufgabe für ihn Priorität hat, neigt er weni-ger dazu, sich von seinen fleischlichen Begierden überwältigen zu lassen. Er vollzieht den kleineren Dschihad. Doch wenn er anschließend wieder in sein altes Leben zurückkehrt, ist er dort mit zahlreichen Versuchungen konfrontiert. Nicht nur Soldaten, sondern jeder Mensch ist dazu verpflich-tet, seine Seele vor Gefahren zu schützen. Dies ist der größere Dschihad, und die effektivste Waffe in diesem Dschihad ist das Gebet. In manchen Fällen ist der Dschihad für jeden einzelnen Muslim obligatorisch, während er in anderen Fällen eine Gemeinschaftspflicht darstellt. Alle Muslime zu-sammen sind dazu aufgerufen, sich sowohl im materiellen Dschihad als auch im spirituellen Dschihad zu engagieren. Aus diesem Grund sagte der Gesandte Gottes einmal bei der Rückkehr von einer Schlacht: Wir kehren vom kleineren Dschihad zum größeren Dschihad zurück.

Wenn wir unsere Betrachtungen zu diesem Hadith noch einmal kurz zusammenfassen wollen, bleibt festzuhalten, dass zwei seiner Themen vornehmlich handlungsorientiert sind, während das dritte mit der Ab-sicht verknüpft ist. Bei allen drei Themen geht es außerdem um mensch-liche Gefühle und Gedanken. Einem koranischen Prinzip zufolge lö-

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schen gute Taten die schlechten Taten aus. (11:114) Entsprechend wer-den gläubige Menschen von ihren Sünden der Vergangenheit gereinigt, wenn sie die drei Maßgaben des Hadithes realisieren. Darüber hinaus vermittelt ihnen diese Realisierung Begeisterung für das Gebet, Hingabe an den Allmächtigen und die aufrichtige Absicht, gegen potenzielle Feh-ler in der Zukunft anzukämpfen.

Die erste Botschaft des Hadithes lautet, dass man sich für den Dienst an Gott begeistert und den dringenden Wunsch entwickelt, von Gott be-lohnt zu werden, sodass man sich auch unter widrigsten Umständen nicht von der Durchführung der rituellen Waschungen abschrecken lässt; zum Beispiel, wenn das Wasser extrem kalt oder so knapp ist, dass kein einziger Tropfen verschwendet werden sollte. Wenn es ein Gläubiger schafft, die Waschungen selbst unter den widrigsten Umständen zu vollziehen, dann kündet dies von tiefer Hingabe. Seine Seele befindet sich dann in einem Zustand der völligen Ergebung, und genau diese Ergebung ist ein Charak-teristikum aller drei in dem Hadith angesprochenen Punkte.

Die zweite Botschaft ist, dass - einmal ganz abgesehen davon, dass der Körper vom Laufen in die Moschee profitiert - das regelmäßige Aufsu-chen von Orten der Anbetung den Eintritt in einen positiven Kreislauf be-deutet, in dem jeder Akt positiven Handelns einen weiteren positiven Akt nach sich zieht. Die Seele gerät in Hochstimmung, und der Verstand folgt ihr. Das ermöglicht dem Herzen, schon vor Beginn des Gebets in einen Zustand intensiven spirituellen Gewahrseins einzutreten. Man ist bereit, mit ungeteilter Aufmerksamkeit vor den Schöpfer zu treten und sich Ihm ganz hinzugeben, was ein sehr wichtiger Aspekt der Anbetung ist. Der Weg zur Moschee bietet uns außerdem die Gelegenheit zum Nachdenken, was eine kritische Selbsthinterfragung und Reue begünstigt. Wer fest ent-schlossen ist, in diesen Kreislauf einzutreten, darf darauf hoffen, dass ihm seine Sünden vergeben werden, wie es in dem folgenden Vers heißt:

Damit Gott dir deine Versehen in der Vergangenheit vergebe und die, die noch folgen werden… (48:2)

Die dritte Botschaft besteht darin, dass man sich so sehr auf das nächste Gebet freuen sollte, als würde man sehnsüchtig auf einen geliebten Men-

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schen warten, und dass man die Zeiten der Anbetung und der Begegnung mit Gott als festen Bestandteil in die Alltagsroutine integrieren sollte. Ei-ne Tagesplanung, in deren Mittelpunkt die Gebetszeiten stehen, vermag die Leere, die so viele Menschen in ihrem Leben verspüren, zu füllen. Sie transportiert die Emotionen des Gebets, das Gefühl von Ruhe und Gelas-senheit und die Überzeugung, mit dem Schöpfer verbunden zu sein, in den Alltag. Die permanente Einbeziehung von Gott in die irdischen An-gelegenheiten verwandelt routinemäßige Handlungen in Akte der Anbe-tung. Gepaart mit einer aufrichtigen Absicht vermag sie alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen und erlaubt uns, in einen unendlich weiten Oze-an der Tugend einzutauchen. Daher gilt es, die Gebete so feinfühlig und beflissen wie möglich zu verrichten, ähnlich wie einen Dschihad, der auf materieller und spiritueller Ebene gleichzeitig ausgefochten wird. Das soll-te sich jeder Gläubige zum Ziel setzen.

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ÜBERRASCHUNGEN, DIE IM PARADIES AUF DIE RECHTSCHAFFENEN DIENER GOTTES WARTEN

Gott der Erhabene sagte: Ich habe für Meine rechtschaffenen Diener im Paradies Gunstbeweise bereitet, die kein Auge je erblickt hat, von denen kein Ohr je gehört hat und die kein

Herz eines Menschen sich je hat ausmalen können.

(Bukhari, Tawhid, 35; Muslim, Dschanna, 4-5)

Dieser Hadith verspricht aufrichtigen Gläubigen, dass Gott sie im Paradies mit Gunstbeweisen beglücken wird, die selbst ihre kühns-ten Erwartungen noch weit übertreffen. Einige dieser Gunstbe-

weise erwähnt auch der Koran, doch werden wir ihr wahres Wesen und ih-ren wahren Wert erst dann ermessen können, wenn sie uns zuteil werden.

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In seiner Interpretation eines Koranverses der Sure Al-Baqara (2:25), in dem von den Früchten des Paradieses die Rede ist, erklärt Ibn Abbas, dass kein Mensch diese Früchte je geschmeckt hat; wenn wir sie aber eines Tages schmecken werden, dann werden sie uns an jene Früchte erinnern, die wir bereits auf Erden genossen haben. Andererseits versichert er, dass sich die Früchte des Paradieses von den Früchten auf Erden unterschei-den; denn im Gegensatz zu den Früchten auf Erden werden die Früchte des Paradieses für die Ewigkeit erschaffen. Im Paradies nach einer Frucht zu suchen, die es auch auf Erden gibt, wäre also naiv.

Das Paradies ist ein Ort der Überraschungen. Eine weitere Überra-schung, die es für uns bereithält, ist die Wiedervereinigung mit unserem Schöpfer. Aufrichtige Gläubige, die Gott auf Erden bereitwillig gedient haben, erwartet dort eine Glückseligkeit jenseits aller Vorstellungskraft.

Mit den Ibad salihun (den rechtschaffenen Dienern), die in dem Hadith angeführt werden, sind Menschen gemeint, die sich durch ihr untadeli-ges Handeln (ihre Salihat - gute Taten) ausgezeichnet haben. Welche Ta-ten als untadeliges Handeln gelten dürfen, darüber entscheiden die Krite-rien Gottes: Verrichtet jemand seine Gebete so, wie Gott es uns aufgetra-gen hat? Wie fastet jemand, und wie entrichtet er seine Zakat? Wie enga-giert er sich auf dem Weg Gottes? Wie gut hat er sein Ego unter Kont-rolle? Was tut er, um seine Seele auf eine höhere Rangstufe zu heben und seine Willenskraft zu stärken? Wie sehr bemüht er sich, seine Emotionen und Gefühle zu sensibilisieren? Alle diese Punkte lassen sich anhand der Verfügungen Gottes bewerten. Wer sich vervollkommnen möchte, sollte seine Taten den Vorgaben Gottes gegenüberstellen, eine kritische Bewer-tung vornehmen und sie gegebenenfalls korrigieren, um das Wohlgefallen des Schöpfers zu finden. Wie ein Musiker, der vor dem Konzert sein Inst-rument sorgfältig stimmt, um sein Publikum zu erfreuen, sollten wir ver-suchen, Gott zu erfreuen, indem wir den Geboten des Korans folgen, be-vor wir Ihm einst gegenübertreten.

Die Salihat sind gute Taten, die mit größtem Einsatz, einem reinen Ge-wissen und in der Überzeugung ausgeführt werden, dass sie die Zustim-mung Gottes finden. Als Gläubige müssen wir alle Anstrengungen unter-nehmen, um die Pflichten, die uns auferlegt wurden, zu erfüllen; von wel-chen Handlungen im Einzelnen wir in welcher Weise profitieren, wissen

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wir nicht. Aus diesem Grund sagte der Gesandte Gottes, Gottes Friede und Segen seien mit ihm: Fürchtet Gott, und schätzt nie eine gute Tat ge-ring! (Abu Dawud, Libas, 25)

Darüber hinaus bezeichnet der Barmherzige die rechtschaffenen Die-ner in dem Hadith als Seine rechtschaffenen Diener. Daraus folgt, dass uns unsere Rechtschaffenheit Gott näherbringt, dass sie es ist, die uns zu Sei-nen geliebten Dienern macht. Was es bedeutet, von Gott geliebt zu wer-den, kommt auch in einem anderen Hadith sehr schön zum Ausdruck: Wenn Ich ihn (einen Diener) liebe, werde Ich zu seinen Ohren, mit denen er hört, zu seinen Augen, mit denen er sieht, zu seinen Händen, mit denen er greift, und zu seinen Füßen, mit denen er geht. (Bukhari, Riqaq, 38)

Es heißt: „Wer einem durstigen Hund Wasser gibt, wird dafür manch-mal mit dem Paradies belohnt, und wer einer Katze die Nahrung verwei-gert, kann mit dem Höllenfeuer bestraft werden.“ (Bukhari, Anbiya‘, 54) Insofern sollten wir möglichst nie leichtfertig und gedankenlos handeln. Ein Diener, der dies verinnerlicht hat und permanent Gutes tut, kommt seinem Schöpfer so nahe, dass jede seiner Handlungen von Ihm gelei-tet wird. Er wendet sich unablässig zu seinem Schöpfer hin und vertraut ganz auf dessen Barmherzigkeit. Sein Status ist der eines rechtschaffenen Dieners Gottes, der von seinem Herrn geliebt wird. Er wird nicht mü-de, Gott anzuflehen: „O Gott! Halt mich fest und leite mich, denn ohne Dich bin ich nichts!

Was uns erwartet, wenn uns Einlass ins Paradies gewährt wird und wir dort mit den Gunstbeweisen Gottes überhäuft werden, können wir uns nicht einmal ansatzweise vorstellen. Denn unsere Vorstellungskraft wird naturgemäß durch die bescheidene Reichweite unserer Sinne beschränkt. Die Ewigkeit aber ist eine unendlich weite Sphäre, ein Mysterium Gottes, das sich uns folglich nicht erschließt.

Ein weiterer Aspekt mag sein, dass der Schöpfer manche unsere guten Taten zehnfach, hundertfach, siebenhundertfach oder sogar noch groß-zügiger belohnt, wobei kein Gläubiger bereits in diesem Leben weiß, auf welche Weise er im nächsten Leben belohnt wird. In jedem Fall werden uns Gottes Gunstbeweise im Jenseits in größtes Erstaunen versetzen.

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DAS PARADIES IST VON BESCHWERLICHKEITEN UMGEBEN, DIE HÖLLE VON GELÜSTEN

Die Hölle ist von Gelüsten umgeben, und das Paradies ist umgeben von Dingen, die dem fleischlichen Selbst missfallen.

(Bukhari, Riqaq, 28; Muslim, Dschanna, 1)

Die Hölle wird von Gelüsten verhüllt, während das Paradies von vermeintlichen Beschwerlichkeiten und Unannehmlichkeiten verdeckt wird. Menschen, die stets auf ihren materiellen Vor-

teil schielen, mag der Weg, der ins Paradies führt, nicht gerade anziehend erscheinen. Nichtsdestotrotz sind beide - sowohl das Paradies als auch die

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Hölle - ein Segen für uns Menschen; denn Ersteres dient uns als Motivati-on und Letztere als Abschreckung. Wer genauer hinschaut und sieht, was uns der ins Paradies führende Weg zu bieten hat, wird sich alle Mühe ge-ben, ihn zu verfolgen, und wer einmal erkannt hat, welche Ängste man auf dem in die Hölle führenden Weg auszustehen hat, wird so großen Abstand wie möglich zu ihm halten; und sollte er doch einmal vom Pfad der Tugend abgewichen sein, wird er rasch zur Besinnung kommen und nichts unversucht lassen, um diesen Fehler wieder gutzumachen. Insofern stellen beide Wege eine Form der Barmherzigkeit für uns dar.

Der Allmächtige hat Paradies und Hölle in verschiedene Hüllen geklei-det. Dann hat Er sie den Menschen als Lohn für ihre Taten präsentiert. Mit unserem freien Willen treffen wir eine Entscheidung und gehen ent-weder in die eine oder in die andere Richtung. Das Paradies ist eine kost-bare Perle, die von einer wenig anziehenden Schale verborgen wird. Be-standteile dieser Schale sind unter anderem die Rituale von Reinigung und Gebet, die Pilgerfahrt, die Sozialabgabe, das Bemühen um eine enge-re Beziehung zu Gott und die geduldige Inkaufnahme von Schwierigkei-ten und ungerechter Behandlung um Gottes willen. Wer sich allein von diesem äußeren Schein täuschen lässt - und das sind leider die meisten Menschen -, zieht schnell die falschen Schlussfolgerungen. Daher gibt es mehr Anwärter auf die Hölle als auf das Paradies.

Wir Menschen neigen von Natur aus dazu, die bequemere Alternative zu wählen. Viele denken zum Beispiel: „Beten ist etwas Gutes, aber fünf-mal am Tag zu beten ist mir zu schwierig“, und lehnen es deshalb aus ihren kleinlichen persönlichen Erwägungen heraus ab, diese religiöse Pflicht zu erfüllen, von der sie sonst sehr profitieren würden. Auch die Unannehm-lichkeit, das Ritual der Reinigung selbst unter widrigsten Umständen wie etwa bei winterlicher Kälte vollziehen zu müssen, hält viele Menschen da-von ab, ihrer Pflicht nachzukommen. Dabei lässt sich dieser Hadith doch so interpretieren, dass Menschen, die Beschwerlichkeiten geduldig ertra-gen, den Toren des Paradieses mit jedem Tag ein Stück näher kommen. Zu diesen letztlich positiven Beschwerlichkeiten können wir auch das Fas-ten, die Sozialabgabe, die Hadsch und andere Pflichten zählen.

Meistens sind es Trivialitäten, die intelligente Menschen daran hindern, sich bestimmte Dinge bewusst zu machen; diese Menschen lassen sich täu-schen und verspielen so leichtfertig die Chance, Einlass in die Gärten des Paradieses zu finden.

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Das Feuer der Hölle ist ein verheerender Ort. Attraktiv erscheint er uns nur deshalb, weil er unseren Ehrgeiz und unseren Willen ködert. Die meis-ten Menschen, die den Weg des Bösen einschlagen, bemerken gar nicht, in welch tödliche Falle sie sich begeben, und ähneln damit einer Fliege, die gerade im Begriff ist, von vergiftetem Honig zu kosten. Leidenschaf-ten sind nichts anderes als ein Gift. Sie zerstören jeden, der sich auf sie ein-lässt, so wie das Feuer sämtliche Motten verbrennt, die es wagen, seinen sengend heißen Flammen zu nahe zu kommen. Manche Menschen nähern sich den Leidenschaften, hinter denen sich Böses verbirgt, in völliger Un-kenntnis und sehen sich plötzlich von den brennenden Flammen der Höl-le umringt. Ehe sie begreifen, wie ihnen geschieht, werden sie immer tiefer in das Feuer hineingezogen und können sich nicht mehr daraus befreien.

Menschen, die den Propheten Muhammad, Gottes Friede und Segen sei-en mit ihm, kennen, lassen sich von den vermeintlichen Beschwerlichkei-ten des Weges ins Paradies nicht schrecken. Sie vertrauen seinen weisen und rechtleitenden Worten. Und wenn ihre Seele den festen Wunsch verspürt, ins Paradies einzugehen, dann bereitet es ihnen keine Probleme, den Weg dorthin zu finden. All jene jedoch, die andernorts nach Reichtümern und Er-lösung suchen, lassen sich von ihren Leidenschaften und von den künstlichen Segnungen ihres sogenannten Paradieses auf Erden blenden. Wer sich heute im ‚Himmel‘ des Materialismus wähnt, wird die uneingeschränkte Glückse-ligkeit, die auf die aufrichtigen Gläubigen wartet, niemals kosten können.

Glaube und Unglaube sind wie Samenkörner. Sie werden ihr wahres Gesicht erst in der kommenden Welt offenbaren und dort die Form von Paradies und Hölle annehmen. Das heißt, dass für gläubige Menschen, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussehen mag, das Leben im Paradies bereits in dieser vergänglichen Welt begonnen hat. Niemand, der sich der Segnungen des Paradieses wirklich bewusst ist, wird sich die Chance auf ewige Glückseligkeit entgehen lassen und den Weg zur Hölle einschlagen. Wenn sich dennoch so viele Menschen täuschen lassen, dann nur aufgrund der Außenhüllen, die Paradies und Hölle umgeben.

Wenn wir uns nun abschließend noch einmal dem Hadith zuwenden, werden wir erkennen, dass uns hier mit ganz wenigen, aber nichtsdesto-trotz eindringlichen Worten die Konsequenzen der beiden Wege ins Para-dies bzw. in die Hölle vor Augen geführt werden: nämlich Glück und Zu-friedenheit auf der einen Seite und Verzweiflung und Verderben auf der anderen Seite.

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DREI VERPFLICHTUNGEN: GEGENÜBER GOTT, GEGENÜBER DEM

STAAT UND GEGENÜBER DEM GLAUBEN

Der Gesandte Gottes betete mit uns. Nach dem Gebet wandte er sich uns zu und hielt uns eine beeindruckende Rede, die uns weinen und unser Herz erbeben ließ. Jemand sagte: „O Gesandter Gottes, heute hast du zu uns gesprochen, als sei es das letzte Mal gewesen. Was rätst du uns?“ Da sagte der Gesandte Gottes: Ich rate euch, Gott zu fürchten und eurem Oberhaupt zu gehorchen, auch dann, wenn es ein schwarzer Sklave ist. Diejenigen unter euch, die lange genug leben, werden Zeuge

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großer Meinungsverschiedenheiten werden. Hütet euch vor Neuerungen in der Religion, denn jede Neuerung bedeutet einen Irrweg, und jeder Irrweg führt ins Höllenfeuer; folgt also fest entschlossen meiner Sunna und der Sunna der rechtgeleiteten Kalifen (so entschlossen, als würdet

ihr euch mit den Zähnen daran festbeißen).

(Abu Dawud, Sunna, 5; Tirmidhi, Ilm, 16)

In diesem Hadith erwähnt der Gesandte Gottes, Gottes Friede und Se-gen seien mit ihm, drei Verpflichtungen: Erstens Taqwa, was Fröm-migkeit, Gottesbewusstsein oder Gottesfurcht bedeutet; dies ist eine

Verpflichtung gegenüber dem Schöpfer. Zweitens Gehorsam gegenüber dem Oberhaupt und damit gegenüber dem Staat. Drittens das Festhalten an der Sunna (am Vorbild, an den Handlungsweisen) des Propheten. Die-ser letzte Punkt ist eine Verpflichtung gegenüber der Religion.

Das Wort Taqwa ist verwandt mit dem Wort Wiqaya (Schutz). Es beinhaltet unter anderem, dass man sich unter den Schutz Gottes begibt, indem man in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Schöpfung han-delt. Muslime sind dazu verpflichtet, auf die Instruktionen dessen, den sie sich zu ihrem Oberhaupt erwählen, zu hören, egal wer dieses Ober-haupt auch sein mag. Diese Form der Demokratie ist allen anderen De-mokratieformen überlegen, und sie wurde bereits vor 14 Jahrhunderten in Kraft gesetzt.

Die Regime der Gegenwart tun sich schwer, diese Maßgabe zu erfül-len; und wenn sich die Welt nicht eines Besseren besinnt, droht die De-mokratie immer weiter zurückgedrängt zu werden. In manchen Ländern werden Menschen mit einer anderen Hautfarbe oder Religion als die Be-völkerungsmehrheit noch immer als minderwertig betrachtet. Der Islam hingegen befiehlt den Gläubigen Gehorsam gegenüber jedem Oberhaupt, das als Ausdruck des gemeinschaftlichen Willens der Gesellschaft an die Macht gekommen ist. Das Kalifat war offen für alle, und die Menschen stimmten darüber ab, wen man sich als Oberhaupt wünschte. Nachdem das Oberhaupt dann gewählt war, musste die ganze Gemeinschaft ihm - dem Kalifen - gehorchen. Wichtig war also nicht, wer zum Oberhaupt ge-wählt wurde, sondern die Tatsache, dass die Menschen ihr eigenes Ober-haupt bestimmen durften.

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Im Koran teilt Gott uns mit, dass die Religion vollendet ist: Heute ha-be Ich eure Religion für euch vervollkommnet. (5:3) Es gab nichts mehr zu sagen und folglich auch keinen Raum mehr für Neuerungen, die in die Religion hätten eingeführt werden können. Jede Neuerung in der Zukunft musste zwangsläufig zur Folge haben, dass eine oder mehrere Vorgaben des Propheten entkräftet oder aufgehoben würden, und das galt es zu ver-meiden. Aus diesem Grunde schärft der Prophet hier allen Muslimen ein, dass sie seiner Sunna und der Sunna der von ihm persönlich rechtgeleite-ten Kalifen zu folgen haben. Die Sunna des Propheten ist ein großer Se-gen für die Menschheit, daher muss sie erlernt und geschützt und an die kommenden Generationen weitergegeben werden.

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MENSCHEN SIND WIE METALLE

Die Menschen ähneln Metallen wie Gold und Silber. Diejenigen unter ihnen, die in der Dschahiliya (im Zeitalter der Unwissenheit)

die Besten waren, sind auch im Islam die Besten, sofern sie begreifen. Und die Seelen gleichen einberufenen Soldaten.

Diejenigen, die einander kennen, harmonieren miteinander, und diejenigen, die einander fremd sind, sind sich uneinig.

(Bukhari, Anbiya‘, 2; Muslim, Birr, 159)

Dieser Hadith vermittelt den Eindruck, als habe der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, hier Päd-agogen und Psychologen um sich geschart, um sie zu instruie-

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ren. Wer Menschen erziehen möchte, sollte zunächst einmal ihre Charak-teristika kennen. Oft verraten körperliche Merkmale schon viel über die Innenwelt eines Menschen.

Eine Erziehung, die nicht auf fundiertem Wissen oder einer Ausbildung basiert, ist zum Scheitern verurteilt und richtet manchmal sogar mehr Schaden an, als dass sie nützt. Deshalb offenbarte Gott im Koran folgenden Vers:

Sprich (zu ihnen, o Gesandter): „Dies ist mein Weg: Ich rufe zu Gott auf aufgrund deutlicher Beweise und sicheren Wissens - ich und jene, die mir fol-gen.“ (12:108)

Eine solche Einladung auf einen Weg (des Denkens) muss demnach auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse erfolgen. Wer sie ausspricht, muss genau wissen, wie er sich denjenigen, die er einladen möchte, nähern muss und wo er besser Zurückhaltung üben sollte. Manche Menschen be-nötigen nur einige wenige dezente Hinweise, um zur spirituellen Essenz vorzudringen, andere hingegen regelmäßige Ratschläge und Erläuterun-gen. Wieder andere brauchen sogar ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und eine intensive Schulung ihrer Wahrnehmung. Herauszufinden, wel-che Herangehensweise in einem bestimmten Fall angemessen ist, erfordert größtes Fingerspitzengefühl.

Diejenigen, die schon im Zeitalter der Unwissenheit (vor dem Erschei-nen des Islams) zu den bewusstesten, scharfsinnigsten, rechtschaffensten und gerechtesten Menschen gezählt hatten, bemerkten schnell, was für eine wahrhaftige und schöne Religion der Islam war, und wurden somit auch zu den vortrefflichsten Muslimen. Wenn Edelmetalle wie Gold und Silber zusammengeschmolzen werden, vermischen sie sich nicht zu einer neu-en Substanz, sondern bleiben als Gold und Silber erhalten. Daher werden die Gefährten des Propheten und andere aufrichtige Gläubige in diesem Hadith mit Edelmetallen verglichen. Diejenigen unter ihnen, die schon im Zeitalter der Unwissenheit eine goldene Seele besaßen, veränderten sich mit dem Erscheinen des Islams nicht; sie nahmen den Islam an und stärk-ten dadurch ihre Kompetenz und ihren Glauben. Aber natürlich waren sie in diesem Prozess auf einen bedeutenden Lehrer, einen Rechtleiter mit au-ßerordentlichem Talent und Kenntnisreichtum angewiesen; sonst hätten sie nicht die ganze Schönheit des Islams in ihre Seele aufnehmen und zu solch außergewöhnlicher Frömmigkeit im Glauben finden können.

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UNTERDRÜCKUNG WIRD NICHT UNGESÜHNT BLEIBEN

Ohne Zweifel wird Gott dem Sünder, dem Unterdrücker, eine Gnadenfrist gewähren. Aber wenn Er ihn einmal erfasst hat, lässt

Er nicht zu, dass er noch gerettet wird. Dann rezitierte der Prophet: Dies ist, wie dein Herr die unterdrückende Bevölkerung erfasst, wenn Er sie erfasst, sofern sie Unrecht tun. Sein Erfassen ist

fürwahr schmerzlich, streng. (11:102)

(Bukhari, Tafsir as-Sura, (11); Muslim, Birr, 61)

Gott pflegt Unterdrückern eine Schonfrist einzuräumen. Er gibt ihnen die Chance, ihre Fehler zu bereuen und zu korrigieren. Wenn sie diese Chance jedoch nicht nutzen, bestraft er sie hart.

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(

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Es gibt eine Reihe von Gesetzen, die vom Schöpfer verankert wur-den und keinerlei Änderungen erfordern. Das belegt der folgende Koran-vers: Es gibt keine Änderung in Gottes Schöpfung. (30:30) Eines dieser Ge-setze lautet, dass der Tyrann das Schwert Gottes ist. Der Prophet erklär-te dazu, dass Unterdrücker stellvertretend für Gott Gerechtigkeit üben. Gott bedient sich ihrer, um Sünder zu bestrafen, versäumt es anschließend aber nicht, auch die Unterdrücker selbst zu bestrafen. (Adschluni, Kaschf al-Khafa‘, 2:49)

Den Unterdrückern der Gegenwart, deren Hochmut und Rücksichts-losigkeit keine Grenzen zu kennen scheinen, wird möglicherweise jener Aufschub gewährt, von dem in dem Hadith die Rede ist; zweifellos jedoch werden sie spätestens vor dem Obersten Gericht Gottes zur Rechenschaft gezogen und ihre gerechte Strafe erhalten.

In der Vergangenheit finden sich allerdings auch zahlreiche Beispie-le für Sünder, die der Vergeltung Gottes schon zu ihren Lebzeiten und in dieser Welt ausgesetzt waren, etwa in den Städten Sodom, Gomor-rha und Pompeji. Viele weitere Beispiele sind mit den Jahren in Verges-senheit geraten. Auch aus der jüngeren Geschichte ließen sich hier eini-ge Fälle zitieren.

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SIEBEN GRUPPEN VON MENSCHEN, DIE GOTT IN SEINEN SCHATTEN NEHMEN WIRD

Sieben (Gruppen von Menschen) wird Gott an jenem Tag, an dem es nur Seinen Schatten geben wird, in Seinen Schatten nehmen: den gerechten Herrscher; einen jungen Menschen, der mit dem Dienst an seinem Herrn aufgewachsen ist; jemand, dessen Herz an den Moscheen hängt; zwei Menschen, die einander um Gottes willen lieben und um ihrer Liebe zu Gott willen zusammengekommen und auseinandergegangen sind;

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einen Mann, der dem Werben einer angesehenen und schönen Frau widerstanden und gesagt hat: „Ich fürchte Gott!“; jemanden, der auf so verschwiegene Weise Almosen gibt, dass seine linke Hand nicht weiß, was seine rechte spendet; und einen Menschen, der Gottes in der Abgeschiedenheit gedenkt und dem dabei Tränen in die Augen steigen.

(Bukhari, Adhan, 36; Muslim, Zakat, 91)

Viele Punkte, die in diesem Hadith angesprochen werden, schei-nen schwer realisierbar zu sein, aber jeder von ihnen besitzt für unsere Willenskraft eine große Bedeutung. Wenn auch wir uns

wünschen, dass uns unser Schöpfer einst in Seinen Schatten nimmt, soll-ten wir bei Seiner Barmherzigkeit Zuflucht suchen und die aus Seiner All-macht erwachsenen Gebote befolgen. Unser Heil hängt von der Stärke unserer Selbstbeherrschung, von unserer Hingabe und von unserer Ver-bundenheit mit dem Schöpfer ab.

Dieser Hadith stellt ein Angebot dar. Er fordert uns dazu auf, unsere Willenskraft zu schulen, damit wir uns Gott ergeben und eine enge Bezie-hung zu Ihm unterhalten können. Wenn es uns gelingt, die hier genannten Kriterien zu erfüllen, verspricht er uns als Gegenleistung Gottes Schutz im Jenseits, den wir dort so dringend benötigen werden; eine anspruchsvolle Aufgabe, die enorme Ausdauer verlangt, uns aber auch Hoffnung spendet und unserer Seele ein Ziel gibt.

Am Tag des Jüngsten Gerichts, wenn die sengend heiße Sonne durch die Wolken bricht, gleißend wie die Flammen eines Feuers, wenn wir nichts mehr tun können, um unser Schicksal zu verbessern, und alles ge-gen die Menschheit spricht, wird es nur einen Schatten geben: jenen, den Gott aus Seiner Barmherzigkeit als Schutz für Seine Diener erschaffen wird. An diesem Tag wird sich zeigen, dass fortan neue Gesetze gelten werden, dass nämlich der Himmel kurzerhand in einen Schatten verwan-delt werden kann, der all jene schützt, die es sich verdient haben. An die-sem verheerenden Tag wird niemand mehr eine unverdiente Vorzugsbe-handlung erhalten, und niemand wird dazu in der Lage sein, sich selbst oder anderen zu helfen; denn ausnahmslos alle Menschen werden voller Angst und in banger Erwartung ihrer Belohnung oder Bestrafung den Atem anhalten und wie paralysiert sein. An diesem Tag wird es nur eine

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mögliche Zuflucht geben: bei der Barmherzigkeit Gottes. Sieben Gruppen von Menschen werden in ihrem Schatten Schutz finden:

1. Diejenigen, die sich ihrer Verantwortlichkeiten und Pflichten auf Erden bewusst sind, die integeren Oberhäupter von Gemeinschaf-ten und Nationen, die die ihnen anvertrauten Ämter gerecht und rechtschaffen verwalten.

2. Junge Menschen, die sich dem Dienst an Gott widmen, auch wenn ihre körperlichen Gelüste und Begierden ihnen zu schaffen machen und ihre Konzentration immer wieder beeinträchtigen.

3. Hingebungsvolle Diener Gottes, die den materiellen Verlockungen der Welt keine Beachtung schenken und regelmäßig die Moschee und andere Orte der Anbetung aufsuchen.

4. Menschen, die einander um Gottes willen lieben und die mit Sehn-sucht nach Gott in der Seele zusammenkommen und wieder ausei-nandergehen. Sie streben danach, die Wahrheit zu verbreiten, und ihre Motivation sind die Zustimmung und die Liebe Gottes.

5. Die Helden, die aus Gottesfurcht ein reines und ehrenhaftes Le-ben führen, die ihre Keuschheit und Tugend schützen und die Ent-schlossenheit und Kraft besitzen, Versuchungen zu widerstehen und das Böse abzulehnen.

6. All jene, die als Zeichen ihrer Treue und Hingabe an Gott ihren Reichtum für wohltätige Zwecke spenden und dies im Verborge-nen tun, unbemerkt von den Blicken oder dem Wissen ihrer Mitmen-schen. Ihre linke Hand weiß nicht, was die rechte gegeben hat. Ihr einziges Ziel besteht darin, das Wohlgefallen Gottes zu erlangen.

7. Menschen, die sich in Zeiten der Einsamkeit in Gedanken vertie-fen und aus tiefster Seele heraus Tränen vergießen, ohne dass sie dadurch an Selbstbeherrschung oder Kraft einbüßen. Mit ihrer er-staunlichen Entschlossenheit schaffen sie es, ihre Ängste und Be-gierden in den Griff zu bekommen.

Dieser Hadith spornt uns an, zum Wohle unserer Völker und Gemein-schaften zu wirken, und liefert uns dafür eine Art Leitfaden, der sehr wich-tige Prinzipien beinhaltet.

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EIN GLÄUBIGER IST EIN MENSCH MIT VERANTWORTUNG

Jeder von euch ist ein Hirte, und jeder von euch trägt die Verantwortung für seine Herde. Der Herrscher ist ein Hirte, der

verantwortlich für seine Untertanen ist. Ein Ehemann ist ein Hirte, der für seine Familie verantwortlich ist, und eine Ehefrau ist eine Hirtin, die für das Haus ihres Ehemannes verantwortlich ist. Ein

Diener ist ein Hirte, der das Vermögen seines Herrn hütet und dafür verantwortlich ist. Jeder von euch ist ein Hirte, und jeder von euch

trägt die Verantwortung für seine Herde.

(Bukhari, Dschuma, 11; Muslim, Imara, 20)

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Die eigentliche Bedeutung des Wortes Ra‘i in dem arabischen Text des Hadithes lautet: Wächter, Hüter. Ein Hirte wird des-halb Ra‘i genannt, weil er sich so fürsorglich wie möglich um

die Herde kümmert, die ihm anvertraut ist. Er führt sie auf die sichersten und fruchtbarsten Wiesen, damit die Tiere dort grasen können. Wenn die Herde von wilden Tieren angegriffen wird oder einer anderen Gefahr aus-gesetzt ist, trifft er die notwendigen Maßnahmen und handelt verantwor-tungsvoll.

Eine ähnliche Beziehung besteht zwischen dem Oberhaupt und den Bürgern eines Staates. Das Staatsoberhaupt und seine Vertreter sind - je-der gemäß seinem Rang - dazu verpflichtet, für das Wohlergehen all jener zu sorgen, die unter ihrer Obhut stehen, und sollten darüber hinaus auch deren Freuden, Sorgen und Nöte teilen. Es ist ihre Aufgabe, den Men-schen einen Weg zu Glück und Zufriedenheit zu ebnen und ihnen ihre Lasten und Probleme zu nehmen.

Die Beziehungen zwischen Ehepartnern und den Mitgliedern ihrer Fa-milie sollten von Liebe, Schutz und Fürsorge gekennzeichnet sein. Der Mann ist nicht allein für den Unterhalt der Familie verantwortlich (das heißt, für die Deckung materieller Bedürfnisse wie Kleidung und Wohn-raum), sondern muss auch ihre immateriellen Bedürfnisse befriedigen. Dazu gehören zum Beispiel Erziehung und Ausbildung der Kinder, Diszi-plin und ein liebevolles Verhältnis zwischen den Familienmitgliedern. Das Verhältnis zwischen Frau und Mann beschränkt sich nicht darauf, dass die Eheleute nach ihrer Heirat bereitwillig bestimmte von der Gesellschaft zu-gewiesene Rollen übernehmen. Vielmehr trägt die Frau eine genauso gro-ße Verantwortung für den Haushalt und den Schutz der gemeinsamen Eh-re wie der Ehemann. Die Basis jeder Familiengründung sollte eine gleich-berechtigte, auf Liebe und Vertrauen aufbauende Partnerschaft sein.

In früheren Zeiten war es die Pflicht eines Dieners, das Hab und Gut seines Herrn zu schützen. Kinder wiederum sind dazu verpflichtet, das Vermögen, die Ehre und die Würde ihrer Familie zu bewahren. All diese unterschiedlichen Formen des Hütens und Wachens beinhalten, dass man ein wachsames Auge auf bestimmte Dinge hat. Daher dürfen wir vom re-ligiösen Standpunkt aus behaupten, dass es keinen Hüter oder Wächter (Ra’y) gibt, der kein Verantwortungsgefühl besitzt. Jeder Mensch hat ge-

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genüber seinen Mitmenschen Verantwortung, ähnlich wie ein Hirte ge-genüber seiner Herde. Außerdem ist jeder Mensch dazu verpflichtet, sein eigenes Nafs (sein Ego), seinen Geist, seine Sinne und jedes Organ sei-nes Körpers zu schützen. Denn dies alles sind Treuhandgüter, die uns von Gott anvertraut wurden. Der Islam spricht jedem Menschen ein bestimm-tes Maß an Verantwortung zu und formuliert allgemeingültige Prinzipi-en, die sich aus dieser Verantwortung speisen; sei es für Staatsoberhäup-ter, für Mütter, Väter oder Diener. Jedem Sektor in der Gesellschaft, auch allen kleineren Einheiten, wurden gewisse Verantwortlichkeiten übertra-gen und damit auch bestimmte Prinzipien anempfohlen.

Der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, de-finierte also den Verantwortungsbereich eines Staatsoberhauptes. Er erin-nerte aber auch gewöhnliche Frauen und Männer daran, dass sie bestimm-te Aufgaben zu erfüllen und eine gewisse Verantwortung zu tragen haben. Ein Vater steht seinen Kindern gegenüber in der Pflicht und das Kind sei-nem Vater gegenüber; andere Pflichten wiederum haben beide zu erfüllen. Diese Form der Aufgabenteilung war so ausgefeilt, dass sämtliche gesell-schaftlichen Bereiche in puncto Ordnung und Harmonie davon profitier-ten. Niemand wurde vergessen.

Die Rechte und Pflichten von Staatsoberhäuptern und Staatsbürgern, von Müttern und Vätern oder auch von Ehefrauen und Ehemännern wer-den heute unter anderem in Disziplinen wie Ethik, Pädagogik, Soziologie und Recht kontrovers diskutiert. Festzuhalten bleibt aber, dass der Pro-phet Muhammad viele Menschen- und Bürgerrechte und -pflichten, die erst in der jüngeren Vergangenheit entwickelt wurden, bereits vor Jahr-hunderten präsentiert und verankert hat - zu einer Zeit, als nirgendwo sonst auf der Welt wahre Demokratie existierte.

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IHSAN BEDEUTET, GOTT SO ANZUBETEN, ALS SÄHE MAN IHN DIREKT VOR SICH

Ihsan bedeutet, dass du Gott so anbetest, als sähest du Ihn direkt vor dir. Selbst wenn du Ihn nicht sehen kannst,

sieht Er dich doch ganz gewiss.

(Bukhari, Tafsir (31) 2; Muslim, Iman, 5)

Wenn der Islam in den Grenzen des Ihsan gelebt wird, verschmel-zen Glaube und Islam miteinander. Als Ihsan bezeichnet man jenen Zustand, in dem man Gottes permanent gewahr ist, Ihn

anbetet, als sähe man Ihn direkt vor sich, und verinnerlicht hat, dass man jederzeit unter Seiner Beobachtung steht, auch wenn man Ihn selbst nicht zu sehen vermag. Dieses permanente Gewahrsein Gottes ist für jeden Gläu-

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bigen der Gipfel der spirituellen Vollkommenheit. Es impliziert Vorzüg-lichkeit und vollkommene Tugend, und genau das sind die charakteristi-schen Merkmale, an denen man die rechtschaffensten Gläubigen erkennt. Eine Form des Ihsan besteht darin, dass der Gläubige eine transzendente Di-mension in Glauben und Islam erreicht und sich entsprechende Verdienste erwirbt. Im Koran heißt es: Ist der Lohn für Vorzüglichkeit (im Gehorsam ge-gen Gott) anders als etwas Vorzügliches (Ihsan)? (55:60) Der Allmächtige be-lohnt solch aufrichtige Hingabe sehr großzügig mit Gunstbeweisen, die die kein Auge je erblickt hat, von denen kein Ohr je gehört hat und die kein Herz ei-nes Menschen sich je hat ausmalen können. (Bukhari, Muslim)

Relativ betrachtet gibt es hier zwei Aspekte; zum einen den Ihsan bezo-gen auf den Diener, der sich durch Aufrichtigkeit, ehrenhaftes Verhalten, Respekt und Ehrfurcht auszeichnet, und zum anderen den Ihsan bezogen auf Gott, in dem sich manifestiert, dass Gott dem Herzen Seines Dieners Glauben und Inspirationen einflößt, dass Er ihm die Schleier von den Au-gen reißt und ihm das wahre Wesen der Stofflichkeit enthüllt, dass Er seine Lippen gegenüber überflüssigem Geschwätz versiegelt und ihm weise Wor-te in den Mund legt oder dass Er seine Aufmerksamkeit auf die Offenba-rungen lenkt. Die Gläubigen, die bis zu diesem Punkt, an dem sich ihnen die Sphären jenseits des sichtbaren Seins öffnen, vorgedrungen sind, haben das Gefühl, als würden sie im nächsten Moment Gott erblicken. Zwar wis-sen sie, dass …kein Blick Ihn erfassen kann, doch nichtsdestotrotz nimmt sie die Vorstellung, Ihn zu sehen, und die Furcht, von Ihm gesehen zu werden, gefangen. Erfüllt von Gehorsam, Aufrichtigkeit, Selbstauflösung und Ehr-furcht gehen sie in dem Gefühl auf, sich mit dem Geliebten wiederzuverei-nigen. Ähnlich geduldig wie Menschen, die auf das Fastenbrechen warten, warten sie darauf, dass sich ihr Aufenthalt auf Erden dem Ende zuneigt. Da-bei genießen sie es, tausend Erfahrungen in einer zu machen.

Diese Diener streben aber nicht nur danach, Gott zu schauen. Sie wis-sen sehr wohl, dass Gott Seinerseits permanent auf sie schaut, und so ver-richten sie selbst die unbedeutendsten Handlungen um Seinetwillen und in dem Bewusstsein, Ihm damit zu Diensten zu sein.

Dieser Hadith führt uns erneut vor Augen, wie kurz und prägnant der Pro-phet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, Sachverhalte aller Art darzustellen wusste. Seine Aussagen sind so tiefsinnig, dass ihnen selbst Erklärungen, die sich über ganze Bücher erstrecken, kaum gerecht werden.

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IM EINKLANG MIT DEM KORAN

Lest den Koran, solange eure Herzen mit ihm harmonieren; wenn ihr aber hadert, hört auf zu lesen!

(Bukhari, Fada’il al-Qur’an, 37; Muslim, Ilm, 3)

Dieser Hadith kann auf zweierlei Weise verstanden werden. Ers-tens stellt sich selbst bei einem so verdienstvollen Akt wie dem Lesen im Koran genau wie bei anderen Akten der Anbetung

auch früher oder später eine gewisse Müdigkeit ein, die Herz, Seele und Sinne beschleicht. Wer dann keine Pause einlegt, wird sich schon bald nicht mehr richtig konzentrieren können und unaufmerksam werden. Die Gefährten des Propheten Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, pflegten sich besonders lange und intensiv verschiedenen Formen des Dienstes an Gott hinzugeben und hatten doch stets das Gefühl, nicht ge-nug zu tun. So ersannen sie immer neue Methoden, um Gott noch länger anbeten zu können. Einige von ihnen banden sich zum Beispiel bei ihren Nachtwachen in der Moschee mit Seilen fest, damit sie dem Schlaf besser zu widerstehen vermochten. Zahlreiche andere wiederum eigneten sich ei-ne sehr asketische Lebensweise an, indem sie ihre Ess-, Trink- und Schlaf-gewohnheiten auf drastische Weise veränderten.

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Inspiriert vom diesem Vorbild und beseelt von der Überzeugung, die Fes-seln der körperlichen Bedürfnisse durch spirituelle Stärke sprengen zu kön-nen, entscheiden sich auch viele Menschen von heute für ein Leben in Askese. Sie dürfen darauf hoffen, für ihre aufrichtigen Absichten von Gott belohnt zu werden. Doch wer den größtmöglichen Nutzen aus seiner Anbetung ziehen möchte, sollte eigentlich frei von Müdigkeit und Erschöpfung sein.

Eine gewisse Tiefe in der Beziehung zu unserem Schöpfer ist zwei-felsohne von unschätzbarem Wert. Aber genauso wie die Muskeln unse-res Körpers ermüden, wenn sie sich zu lange verausgabt haben, sind auch die spirituellen Fakultäten unserer Innenwelt nicht vor Ermüdung gefeit. Tritt sie ein, schweift unser Geist unweigerlich ab und sucht bei profanen Gedanken Zuflucht. In solchen Fällen kann es hilfreich sein, verschiede-ne Formen positiver Aktivitäten miteinander zu kombinieren. Wer etwa den Eindruck hat, so viele freiwillige Gebete geleistet zu haben, dass er dadurch seine Konzentration eingebüßt hat, kann zum Beispiel zu einem Buch greifen, dass ihm neue Einsichten vermittelt und seinen Geist zu neuer Aktivität anregt. Anschließend bietet sich vielleicht eine Meditation zur spirituellen Erbauung an. Wenn man sich danach wieder an die Arbeit macht, wird man neue Kräfte gesammelt haben und außerdem das Gefühl verspüren, seine Zeit produktiv und effizient genutzt zu haben.

In der Natur gibt es keine Monotonie und auch keine Stagnation. Vom farbenprächtigen Wechsel der Jahreszeiten bis hin zur Vielgestaltigkeit der ganzen Schöpfung erweckt alles den Anschein, als würde es nicht nur ganz unterschiedlichen Zwecken dienen, sondern als sei es auch speziell für die bewundernden Blicke der Menschen erschaffen worden. Und da jeder ein-zelne Mensch ein Miniaturabbild des Universums ist, sollten wir darauf achten, dass wir das Prinzip der Abwechslung in unserem Leben veran-kern. Der folgende Koranvers gibt uns einen Rat, der unserem natürlichen Bedürfnis nach Abwechslung entgegenkommt:

Wenn du deshalb (die eine Aufgabe) erledigt hast, dann nimm dir (eine an-dere Aufgabe) vor. (94:7)

Und noch eine zweite Aussage lässt sich aus dem Hadith ableiten. Sie lautet: Lest den Koran, solange ihr euch Einigkeit, Zuneigung und Einverneh-men zwischen euren Herzen bewahrt. Es ist eine bittere Realität, dass immer

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wieder fehlerhafte Interpretationen der Verse des Korans für maßgeblich erklärt wurden. Diese Praxis geht bereits auf das erste Jahrhundert nach dem Tod des Propheten Muhammad zurück.

Die Kharidschiten mögen damals gute Absichten gehabt haben, doch führten sie den Literalismus in den Islam ein. Ihr Argument lautete: Das, was der Koran wortwörtlich sagt, ist die Wahrheit. Zwar ist diese These nicht unbedingt falsch, aber die Kharidschiten ignorierten schlechterdings, dass auch der Prophet die Koranverse interpretiert hatte. Außerdem be-rücksichtigten sie die unterschiedlichen Herangehensweisen der Gefährten ebenso wenig wie die Kommentare von Gelehrten, die exzellente Kenntnis-se in den Feinheiten der arabischen Sprache besaßen. Darüber hinaus miss-brauchten sie und andere, die den Koran ebenfalls wortwörtlich verstehen wollten, bestimmte Koranpassagen zu dem Zweck, ihre eigene Position zu stützen und Andersdenkende abzuqualifizieren. Das führte zu Uneinigkeit und Spaltung innerhalb der Gemeinschaft, und dies ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo es wesentlich wichtiger gewesen wäre, so viele Herzen wie möglich zu gewinnen, als sich in eine solche Debatte zu stürzen.

Natürlich beriefen sich auch die Kharidschiten auf den Koran, doch lehn-ten sie es ab, nach einem tieferen Verständnis der Bedeutung seiner Verse zu forschen. Stattdessen favorisierten sie eine unmittelbare und oberflächliche Methodik, die die Religion ihrer Differenziertheit beraubte und sie somit in eine Sackgasse führte. Diese alten Ansätze von Literalismus und Reduktio-nismus werden leider auch heute noch von manchen verfochten.

Das menschliche Ego heischt von Natur aus um Zustimmung und ist selbstgerecht; um unsere Sicht der Dinge zu untermauern, neigen wir da-her vielleicht dazu, unser relatives Verständnis zu verabsolutieren und un-sere Interpretationen bestimmter Koranstellen für korrekt und maßgeb-lich zu erklären. Diese Neigung sollten wir uns bewusst machen und ihr möglichst einen Riegel vorschieben. Ansonsten kann es passieren, dass wir anderen Menschen mit unseren konstruierten Standpunkten Unbehagen bereiten und verhindern, dass sie den Koran in seiner ganzen Tiefe und Breite kennenlernen oder überhaupt einen Zugang zu ihm finden.

Wer aus dem Koran herausliest, was ihm gerade passt, wird nichts als Zwietracht und Streit ernten. Er ist weit davon entfernt, sein Herz oder das Herz anderer mit dem Koran zu verbinden.

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DIE FRAU IST DIE EINE HÄLFTE EINES GANZEN

Der Vortrefflichste unter euch im Glauben ist der Rechtschaffenste von euch; und der Rechtschaffenste von euch

ist derjenige, der seine Frau am besten behandelt.

(Tirmidhi, Rada, 11; Darimi, Riqaq , 74)

Wer die moralische Grundhaltung, die von islamischen Prinzi-pien wie diesem definiert wird, verinnerlicht und sein Leben entsprechend ausrichtet, erwirbt sich damit größte Verdiens-

te und erhält die Möglichkeit, spirituelle Gipfel zu erklimmen, auf die kein anderer Akt der Anbetung führt.

Es ist höchst bedauerlich, dass Frauen mancherorts nach wie vor schlecht behandelt und als Menschen zweiter Klasse betrachtet werden, zum Teil sogar ausgerechnet von Kreisen, die behaupten, sich für ihre Rechte einzusetzen. Dem Koran und den Hadithen hingegen lässt sich entnehmen, dass Mann und Frau einander ergänzen; jeder findet im ande-ren die Bestätigung des eigenen Wertes. Frauen sind die eine Hälfte und Männer die andere Hälfte eines Ganzen. Beide Hälften müssen zu einer Einheit zusammenfinden, sonst kann die Menschheit nicht existieren. Die

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im Koran verankerten Prinzipien tragen dazu bei, dass sich dieses Gleich-gewicht einstellt.

Viele Berichte und Erzählungen zeugen davon, dass der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, Frauen gegenüber sehr sanftmütig war und seine Gefährten dazu ermutigte, es ihm gleich zu tun. Obwohl er von der Offenbarung geleitet wurde und deshalb eigent-lich keine Ratschläge benötigte, beriet er sich mit seinen Frauen in den un-terschiedlichsten Fragen und gab anderen Gläubigen damit ein gutes Vor-bild. Er signalisierte seiner Gemeinschaft, dass muslimische Männer die Pflicht haben, den Rat ihrer Frau zu beherzigen. Dies war damals ein radi-kaler Ansatz; denn nicht nur auf der Arabischen Halbinsel, sondern über-all auf der Welt waren Frauen seinerzeit Misshandlungen ausgesetzt und wurden ausgenutzt. In einigen Ländern war es ganz normal, erstgebore-ne Mädchen bei lebendigem Leibe zu begraben, während in anderen be-zweifelt wurde, ob Frauen überhaupt eine Seele haben. In wieder anderen waren Zwangsehen die Regel, und Zugang zu Bildung besaßen Mädchen fast nirgendwo. In solchen Zeiten war es geradezu revolutionär, Frauen Respekt entgegenzubringen und sie als gleichberechtigte Teilhaberinnen an der Gesellschaft anzuerkennen.

Durch sein Verhältnis zu seinen Ehefrauen unterrichtete der Prophet seine Gemeinschaft. Ein Beispiel: Als er in Hudaybiya einen Friedensver-trag mit seinen Gegnern schloss, waren viele Muslime enttäuscht, weil ih-nen die Bedingungen inakzeptabel erschienen; eine davon besagte, dass man in dem Jahr auf die Pilgerfahrt verzichten würde. Der Gesandte Got-tes befahl ihnen also, ihre Opfertiere bereits an Ort und Stelle zu schlach-ten und ihre Pilgergewänder abzulegen. Einige Gefährten zögerten, wohl in der Hoffnung, er würde seine Meinung ändern. Als der Prophet ihre Zurückhaltung bemerkte, zog er sich in sein Zelt zurück, um seine Frau Umm Salama zu fragen, was er ihrer Meinung nach tun sollte. Dadurch vermittelte er den muslimischen Männern die Einsicht, dass sie in allen wichtigen Angelegenheiten und überhaupt in allen Fragen den Gedanken-austausch mit Frauen suchen sollen.

Der Prophet gab den Frauen ihre Würde zurück, die zuvor mit Füßen getreten worden war, und verhalf ihnen zu höherem Ansehen, auch was ihren Status in der kommenden Welt betrifft. Der Koran verurteilt jede

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Diskriminierung und versichert, dass Männer und Frauen beide ein erha-benes Wesen besitzen:

Wahrlich, Wir haben den Menschen in schönster Gestalt erschaffen (als voll-kommenes Musterbeispiel der Schöpfung). (95:4)

Das Wort Insan (Mensch) bezieht sich sowohl auf Männer als auch auf Frauen. Unabhängig von unserem Geschlecht wurde jeder von uns Men-schen als ein Miniaturabbild des Universums erschaffen.

Man könnte mit dem Auge der Vorstellungskraft - und wenn es mög-lich wäre, auch ganz real - durch den Makrokosmos reisen und zunächst die majestätischen Nebel und die leuchtenden Sterne inspizieren, um dann in die Sphäre des Mikrokosmos zurückzukehren, in die Welt der Teilchen und ihrer nahtlos ineinander übergehenden Bewegungen einzutauchen und das harmonische Kreisen der Elektronen und Protonen um einen Kern zu be-obachten; man könnte den ganzen Kosmos durchqueren und all seine Wun-der bezeugen, und doch würde man nichts finden, was auch nur annähernd mit der Raffinesse und Ausdifferenziertheit von uns Menschen vergleich-bar wäre - nicht nur, was die einzigartigen Fähigkeiten und Merkmale un-seres Körpers betrifft, sondern vor allem im Hinblick auf unsere spirituellen und intellektuellen Fähigkeiten. Demnach kann kein Zweifel daran beste-hen, dass der Mensch in schönster Gestalt erschaffen wurde, wie es der Form und Gestalt verleihende Eine in dem Vers formuliert.

Gott hat uns Menschen wie ein winzig kleines, kompaktes Buch er-schaffen, das Beziehungen zu allen Sphären des Seins in sich birgt, ähn-lich wie ein Miniaturabbild. Nur ist uns dies nicht unbedingt ersichtlich. Verglichen mit allem anderen, was existiert, mögen wir Menschen uns un-scheinbar und unbedeutend vorkommen; dabei verkennen wir aber, welch gewaltiges Potential in uns schlummert. Diese Tatsache hat der Kalif Ali ibn Abi Talib sehr schön auf den Punkt gebracht. Er sagte einmal: „Du glaubst, du seiest nicht mehr als ein winzig kleines Gebilde. Dabei trägst du doch alle Stätten des Seins und alle Welten in dir.“

Dass der Mensch ein Miniaturabbild des Universums ist, ist eine Tat-sache. Aber nur wer das Universum mit der nötigen Einsicht zu lesen ver-steht, vermag auch angemessen zu würdigen, von welch überbordender Weisheit die Gestaltung des Menschen kündet. Ein Reisender, der nur die

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äußeren Gegebenheiten sieht und bestimmte Ereignisse und Objekte iso-liert voneinander betrachtet, ohne zu erkennen, dass sie alle eine Einheit bilden, könnte das gesamte Universum durchsuchen und käme verbor-genen Wahrheiten wie dieser trotzdem nicht auf die Spur. Ebenso wenig würden sich ihm die Geheimnisse und Realitäten der menschlichen Natur erschließen. Der Erhabene Schöpfer selbst betont ausdrücklich, den Men-schen in schönster Gestalt erschaffen zu haben. Das heißt, alles, was im Uni-versum geschieht, findet auch Niederschlag im Menschen.17

Der Schöpfer enthüllt uns im Koran: Wir haben fürwahr die Kinder Adams (durch viele Auszeichnungen) geehrt. (17:70) Und was damit ge-meint ist, wird unter anderem im folgenden Vers näher ausgeführt:

O ihr Menschen! Wir haben euch fürwahr aus einem einzigen (Paar von) Mann und Frau erschaffen und euch zu Völkern und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennen möget (nicht aber, damit ihr feindselige Gefüh-le gegeneinander hegt). Wahrlich, der Edelste unter euch vor Gottes Ange-sicht ist derjenige, der am besten ist in Frömmigkeit, Aufrichtigkeit und Ehr-furcht vor Gott. Gott ist fürwahr wissend, kundig (und mit allem wohl ver-traut). (49:13)

Beide Verse zusammengenommen sprechen dem Menschen direkt und explizit einen hohen Rang zu, völlig unabhängig von seinem Geschlecht, seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Hautfarbe und - interessanterwei-se - auch unabhängig von seinem Glauben. Der Edelste vor Gottes Ange-sicht ist der Frömmste, Aufrichtigste und Ehrfürchtigste, und eben nicht: der Mann oder die Frau, der Schwarze oder der Weiße. Diese Würdigung, die Gott selbst uns hier zuteil werden lässt, erhebt jeden von uns Men-schen auf einen Rang, auf den uns kein weltlicher Titel heben könnte.

17 Es würde den Rahmen dieses Buchs sprengen, hier weiter auf die Natur des Menschen, auf sein erhabenes Wesen und seine Verbundenheit mit der Schöpfung als Ganzes ein-zugehen. Zu diesem Thema sind aber schon etliche Bücher verfasst worden, auf die wir Sie hiermit verweisen möchten.

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DIE BEDEUTUNG DER SEGENSWÜNSCHE FÜR DEN PROPHETEN

Am Tag des Jüngsten Gerichts wird mir derjenige am nächsten sein, der die meisten Segenswünsche auf mich herabgerufen hat.

(Tirmidhi, Salat, 357)

Auch in zahlreichen anderen Hadithen wird betont, wie wichtig es ist, Segenswünsche auf den Propheten Muhammad herabzuru-fen. Vor allem aber steht im Koran geschrieben:

Wahrlich, Gott und Seine Engel segnen den Propheten. O ihr, die ihr glaubt, ruft Gott um Segen für ihn an, und betet zu Gott, dass Er ihm Sei-

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nen Frieden zuteil werden lasse, indem ihr ihn mit den schönsten Grußwor-ten begrüßt. (33:56)

Aber wenn Gott der Allmächtige den Propheten doch ohnehin segnet, weshalb ist es dann nötig, dass wir Gläubigen Ihn eigens darum bitten? Die folgenden Zeilen sollen diese Frage beantworten.

Der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, ist die Essenz aller guten Taten, aller Glückseligkeit und allen Segens Gottes. Er ist der unfehlbare, niemals irrende Lenker, der Archetyp, das Vorbild der ganzen Menschheit, der erhabene Prophet, der uns den rechten Weg weist. Er hat uns auf schönste und verständlichste Weise gezeigt, wie wir dem Einen und Einzigen, der es würdig ist, dass man Ihm dient, zu Diens-ten sein können. Und damit hat er eine neue Ära eingeleitet, die uns er-möglicht, das Potenzial unseres Menschseins voll auszuschöpfen.

Der Prophet Muhammad wurde von Gott auserwählt, um uns aus der Finsternis ins Licht zu führen. Der Regel entsprechend, dass jemand der ei-ne Tat veranlasst, genauso zu beurteilen ist, wie derjenige, der sie letztend-lich ausführt (Muslim, Imara, 133), wird der Prophet auch für die Taten all jener belohnt, die dem von ihm präsentierten Weg bis zum Jüngsten Tag folgen, ohne dass dadurch deren eigener Lohn geschmälert würde.

Dem Propheten wurde die Position oder der Rang des Maqam al-Mahmud verliehen. Das heißt, dass es ihm vor dem Jüngsten Gericht ge-stattet sein wird, Fürsprache für uns Menschen einzulegen. Sein ‚Sold-buch‘ wurde nach seinem Tod nicht geschlossen. Da ihm die guten Werke und frommen Taten seiner Gemeinschaft fortlaufend angerechnet werden, wird er auf immer höhere Ränge aufsteigen und - so Gott will - Fürspra-che für eine immer größere Zahl von Gläubigen aus seiner Gemeinschaft einlegen können. (Bukhari, Adhan, 8)

Mit diesen einführenden Erläuterungen im Hinterkopf kommen wir nun auf zwei Aspekte unserer Eingangsfrage zu sprechen. Erstens: Indem wir Gottes Frieden und Segen auf den Propheten Muhammad herabru-fen, erneuern wir unseren Treueeid ihm gegenüber und unterbreiten ihm unser Anliegen, Teil seiner Gemeinschaft zu sein. Wenn wir sagen: „Got-tes Friede und Segen seien mit ihm!“, meinen wir damit: „O Prophet, wir haben dich stets als unseren Propheten in Erinnerung behalten und dei-ner gedacht. Und mit jedem Gedenken haben wir zu Gott gebetet, Er mö-

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ge deinen Lohn und deine Würde erhöhen, damit wir uns dir anschließen und uns mit dir verbinden können.“ Sofern unseren Gebeten also die Ab-sicht zugrunde liegt, das Ansehen des Besitzers des Maqam al-Mahmud zu mehren, wird sich die Sphäre seiner Fürsprache immer weiter ausweiten. Dadurch sollten am Tag des Jüngsten Gerichts noch mehr Menschen von seiner Fürsprache profitieren können.

Zweitens: Wir selbst werden zu Adressaten der Fürsprache des Pro-pheten, wenn wir zu Gott beten, Er möge ihn auf immer höhere Rangstu-fen erhöhen. Eigentlich sind wir es, und nicht der Prophet Muhammad, die Gottes Segen und Frieden dringend benötigen. Mit unseren Segens-wünschen erkennen wir seine Prophetenschaft an und damit auch seine Erhabenheit und Autorität. Gleichzeitig gestehen wir unsere eigene Be-deutungslosigkeit und Geringfügigkeit ein und bringen unseren Wunsch zum Ausdruck, zu seiner Gemeinschaft zu gehören. Geradeso wie wir bei Gefahr oder in der Not darauf vertrauen, dass uns der Staat, dessen Bür-ger wir sind, zur Seite steht, wird einst an jenem schrecklichen Tag der Ab-rechnung jedermann mit Entsetzen erkennen, wie schwach und hilflos er ist, und die Fürsprache des Propheten erflehen. Mit unseren Segenswün-schen machen wir ihn hier auf Erden auf uns aufmerksam und bitten ihn darum, dass er sich dann an uns erinnern wird. Möge Gott der Fürsprache Seines Propheten für uns Beachtung schenken!

Gott machte jedem Seiner Propheten ein besonderes Geschenk, das dieser an seine Gemeinschaft weiterreichen durfte. Als den anderen Pro-pheten das Recht gewährt wurde, etwas für ihr Volk zu erbitten, ersuchten sie alle Gott um Dinge, die ihren Anhängern in dieser Welt von Nutzen sein würden. Der Prophet Muhammad aber sagte: Ich habe mir das, was ich meiner Gemeinschaft schenken möchte, für das Jenseits aufgespart, nämlich meine Fürsprache. (Bukhari, Tafsir as-Sura, (17) 5, Tayammum, 1)

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DAS ZEITALTER DER UNWISSENHEIT - WOHLTÄTIGKEIT UND GUTE TATEN

Auf die Frage eines seiner Gefährten, ob bereits im Zeitalter der Unwissenheit Wohltätigkeit und gute Taten belohnt wurden, antwortete

der Prophet: Wie glaubst du, wärest du sonst Muslim geworden?

(Muslim, Iman, 194)

Ob es im Zeitalter der Unwissenheit ein Besteuerungs- oder Ab-gabensystem gab, dass wohltätigen Zwecken diente, ist unklar. Aber eines der wichtigsten Themen jener Zeit, das damals zum

Beispiel in Gedichten immer wieder aufgegriffen wurde, war die Großzü-gigkeit. Großzügig zu sein bedeutete, anderen, die es nötig hatten, vom eigenen Vermögen abzugeben. Diese Dynamik machte sich dann auch der Islam zu Eigen. Er definierte Großzügigkeit als freigebiges Spenden auf

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dem Weg Gottes, ohne dass der Geber dazu gezwungen wäre. Entspre-chend heißt es im Koran:

…die von dem spenden, was Wir ihnen (an Vermögen, Wissen, Macht und so weiter) gegeben haben. (2:3)

Wer auf dem Pfad des Guten oder um Gottes willen spendet, wird da-mit für andere zu einem Quell der Hoffnung. Vom Spenden zu wohltä-tigen Zwecken bis hin zum gerechten Handeln - Gutes zu tun, ist immer gut. Ein Beispiel aus der Zeit vor dem Islam: Als ein jemenitischer Kauf-mann einmal Ware an einen einflussreichen Mekkaner lieferte, weigerte der sich zu zahlen. Der ungerecht Behandelte aber beschwerte sich, und so wurde der Bund der Rechtschaffenen (Hilf al-Fudul) gegründet, der für Gerechtigkeit sorgen sollte. Mitglied dieses Bundes war auch der zukünfti-ge Prophet, der sich hier aus eigenem Antrieb für eine gute Sache einsetz-te. Auch noch nach der Erklärung seiner Prophetenschaft versicherte er, damals das Richtige getan zu haben und sagte: Unter ähnlichen Umständen würde ich wieder genauso handeln und dort Mitglied werden. Bei einer ande-ren Gelegenheit, als die Kaaba restauriert werden musste, half er den Ar-beitern, Felsbrocken zu schleppen, um so ihr rechtschaffenes Werk zu un-terstützen. Noch Jahre später sprach er mit Wohlwollen davon.

Von daher ist jede gute Tat, von der die Menschheit profitiert, positiv zu werten, unabhängig davon, wann sie vollbracht wurde bzw. wird, ob im Zeitalter der Unwissenheit oder nach dem Erscheinen des Islams. Jede dieser guten Taten zieht einerseits weitere gute Taten nach sich, und dient andererseits auch als Schutz vor dem Bösen.

In einem Hadith wird berichtet, wie einmal drei Menschen von ei-nem großen Felsen in einer Höhle eingeschlossen wurden. Sie beteten zu Gott um Rettung, und jeder von ihnen nannte eine gute Tat, die er auf-richtig um Seinetwillen gewirkt hatte. Schließlich nahm Gott ihre Gebete an und veranlasste, dass der Felsen entfernt wurde. Die Ängste, die sie in der Höhle auszustehen hatten, waren für ihr Ego zermürbend, aber letzt-lich bewirkten sie, dass sie gerettet wurden. Denn sie sorgten dafür, dass sich die Eingeschlossenen auf ihre guten Taten besannen und der Felsen dadurch wieder verschwand. Daraus können wir folgern, dass auch wir mit unseren guten Taten große Felsbrocken aus dem Weg räumen kön-

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nen, die uns den Weg ins Paradies versperren. So Gott will, werden sich diese guten Taten in jene Brücke verwandeln, die uns einst über den Ab-grund der Hölle führen wird, oder sogar in eine Fähre, die uns direkt in die Himmel trägt.

Eine gute Tat ist natürlich nicht nur dann eine gute Tat, wenn ein Gläubiger von ihr profitiert. Eine Ausnahme von dieser Regel stellt die Zakat dar, vielleicht weil sie eine der Säulen des Islams ist.18 Ansonsten gelten bei der Unterstützung notleidender Menschen im Allgemeinen keine Beschränkungen. Güte und Nächstenliebe sollten außerdem nicht bei Menschen Halt machen. Auch die Pflege von Tieren oder das Pflan-zen von Bäumen gelten als lobenswert. Aus zahlreichen Hadithen geht hervor, dass der Schutz der Erde und ihres ökologischen Gleichgewichts nicht nur ein verdienstvoller Akt ist, sondern sogar eine Pflicht. Wir sind dazu verpflichtet, unsere Umwelt zu schützen und sie der nächsten Ge-neration in demselben Zustand zu übergeben, wie wir selbst sie einst übernommen haben.

All unsere guten Taten werden in unserem persönlichen Buch der gu-ten Taten aufgezeichnet. Im Verlaufe unseres weiteren Lebens können sie uns zu einem Schutzschild werden, der uns vor Fehlern bewahrt. Sie be-sitzen die Kraft, die Wurzeln des Bösen auszutrocknen und stattdessen das Gute zu nähren und zu vervollkommnen. Außerdem sorgen sie dafür, dass es uns künftig immer leichter fallen wird, gute Taten zu vollbringen, bis sie uns schließlich gewissermaßen zu einer zweiten Natur werden.

Wenn uns der Prophet in diesem Hadith versichert, dass im Zeitalter der Unwissenheit selbst gute Taten, die nicht in dem Bewusstsein um Gott vollbracht wurden, so reich belohnt wurden, dass sie den Betreffenden den Weg zum Islam ebneten, dann können wir als Gläubige uns gewiss sein, dass auch uns unsere guten Taten hoch angerechnet werden und dass sie uns als Schutzschild gegen potenzielle zukünftige Gefahren dienen.

Wie aber ist es dann zu erklären, dass jemand, der Gutes tut, nicht per-manent geschützt ist und trotzdem manchmal sündigt oder dass, wie es in einigen Hadithen beschrieben wird, die Satane im Ramadan angekettet

18 Allerdings kam es während des Kalifats von Umar ibn Abdulaziz auch vor, dass in man-chen Städten Zakat-Gelder keine Abnehmer unter den Gläubigen fanden; daraufhin wurde diese Sozialabgabe unter hilfsbedürftigen Christen und Juden verteilt.

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werden, wir aber trotzdem auch in diesem Monat Zeuge großen Unrechts werden? Oder wie kann es sein, dass Gott sagt, niemand, der den Tawaf (das Umschreiten der Kaaba - ein sehr erhabener Akt) vollzieht, komme zu Schaden, und trotzdem werden dabei Tausende zu Tode getrampelt. Liegt darin kein Widerspruch?

Dieser Punkt ist sehr diffizil. Zu beachten ist jedenfalls Folgendes: Mit Menschen, die ohnehin keine spirituelle Ambitionen haben und nicht an Gott glauben, hält sich der Teufel nicht länger auf. All jene da-gegen, die die Moschee besuchen, die ihrer Religion auch in schwieri-gen Zeiten dienen, deren Lebensziel es ist, das Wohlgefallen Gottes zu erlangen, und die nicht zur Sünde neigen, konfrontiert er mit großen Herausforderungen und Erschwernissen. Wenn die Satane also im Ra-madan nicht angekettet wären, würden viele Menschen dem Bösen viel-leicht niemals entfliehen können. Gleichzeitig gilt: Wenn wir uns über alle Widrigkeiten hinwegsetzen und trotzdem den Weg zum Himmel be-schreiten, dann profitieren wir in jedem Fall ungemein von unseren gu-ten Taten, weil diese uns zumindest teilweise vor unseren Feinden und deren Attacken schützen. Dann sind wir so sehr darauf fokussiert, dem Islam auch unter schwierigsten Bedingungen zu dienen, dass Gott uns schützen und unsere guten Taten zu Blitzableitern gegen den Einschlag von jeglichem Schaden machen wird.

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ZWEI SICHERHEITEN UND ZWEI ÄNGSTE

Frage: In einem authentischen Hadith heißt es, dass Gott Seine Diener nicht mit zwei Sicherheiten oder Ängsten gleichzeitig

bedenken wird. In Wirklichkeit aber führen wir sehr komfortable, ja sogar luxuriöse Leben. Wie lässt sich dies miteinander vereinbaren?

(Sahih ibn Hibban, 2:406; Kanz al-Ummal, 3:709)

Angst (Khawf) und Hoffnung (Radscha‘) sind zwei Gunstbewei-se, die uns Menschen von Gott dem Allmächtigen gewährt wer-den. Ein dritter, wohl noch größerer Gunstbeweis dürfte die Fä-

higkeit sein, diese beiden Gaben Gottes bei dem Versuch, Gott näher zu kommen, auf angemessene Weise zu realisieren.

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Die Übersetzung des Hadithes, auf den in der Frage angespielt wird, lautet: Ich werde Meinem Diener nicht zwei Sicherheiten gleichzeitig geben, und ich werde ihm nicht zwei Ängste gleichzeitig geben. Der Frage oben wie-derum liegt eine bestimmte Annahme zugrunde: Für den Fragesteller ist ein behagliches und möglicherweise luxuriöses Leben offensichtlich mit einem gewissen Gefühl von Sicherheit verbunden, während er sich vor ei-nem Leben in Armut und Elend fürchtet. Daher möchte er wissen, warum ihm selbst oder manchen anderen mehrere Sicherheiten gewährt werden. Man kann den Hadith aber auch anders verstehen:

Aus der Aussage Ich werde Meinem Diener nicht zwei Sicherheiten gleichzei-tig geben lässt sich nämlich ableiten, dass Gott all jenen, die ein ganz auf die-se Welt ausgerichtetes Leben führen, die sich also nicht darum sorgen, was im Jenseits sein wird, die ihre spirituellen Fakultäten so stark vernachlässi-gen, dass sie verfallen und absterben, oder die Offenbarung ganz bewusst ignorieren, im Jenseits keine Sicherheit gewähren wird, weil Er sie ihnen bereits hier auf Erden gewährt. Diese Menschen werden im Jenseits in ste-ter Angst leben. Auf der anderen Seite wird Gott aber auch nicht zwei Ängs-te gleichzeitig geben. Wenn Menschen also hier auf Erden ein Leben in Ehr-furcht und ständiger Sorge führen, wenn sie sagen: „O mein Herr! Ohne Deine Großzügigkeit vermag ich meinen Glauben nicht zu schützen. Oh-ne Deine Gnade vermag ich mir meine Spiritualität nicht zu bewahren. Oh-ne Deine Freigebigkeit vermag ich nicht zu überleben. Ohne Deine Barm-herzigkeit und Dein Mitgefühl kann ich nicht ins Paradies gelangen. Und ohne Deinen geliebten Propheten, der eine Barmherzigkeit für alle Welten ist, würde ich nie auf den geraden Weg finden und für immer auf Abwege geraten!“ oder sich entsprechend verhalten, wenn sie sich permanent selbst hinterfragen und jede Gelegenheit nutzen, sich zu vervollkommnen, dann brauchen sie - so Gott will - keine Angst vor dem Jenseits zu haben, das für manch andere fürchterliche Schrecken mit sich bringen wird.

Zwar verweist der Hadith nicht direkt auf irdische Besitztümer, doch trotzdem spricht er alle Gläubigen an, die ein bequemes und komfortables Leben führen. Vor allem sie sollten ihre Schlüsse aus ihm ziehen. Jeder, der meint, sein Leben beschränke sich allein auf diese Welt, und dem Jenseits deshalb keine Beachtung schenkt, sollte dringend über sich selbst und das Schicksal, das ihm droht, nachdenken. Aber auch Menschen, die das Jenseits

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durchaus in Betracht ziehen, sollten Komfort und Luxus mit Vorsicht genie-ßen. Glaubwürdigen Überlieferungen zufolge pflegte Umar ibn Abd al-Aziz den folgenden Koranvers solange zu rezitieren, bis er völlig erschöpft war:

Ihr habt während eures Lebens in dieser Welt euren (Anteil an) reinen, be-kömmlichen Dingen entgegengenommen und sie in vollen Zügen genossen (ohne einen Gedanken an das zu verschwenden, was ihr dem Jenseits schul-det; so habt ihr also in dieser Welt den Lohn für all eure guten Taten erhal-ten). (46:20)

Selbst ein so frommer Gläubiger wie Umar ibn Abd al-Aziz befürch-tete folglich, im Jenseits plötzlich mit leeren Händen dazustehen. Und es ist auch gar nichts Ungewöhnliches, wenn sich gläubige Menschen mit ei-nem gesunden Herzen solche Sorgen machen. Ihre Furcht ist durchaus berechtigt. Andererseits gewährte der Großzügige Eine beispielsweise Ab-durrahman ibn Awf und Uthman ibn Affan, zwei angesehenen Gefährten des Propheten Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, be-trächtlichen Reichtum; und den gleichen Reichtum kann Er auch jedem von uns gewähren. In diesem Fall sollten wir ihn aber höheren Zwecken zugute kommen lassen und damit der Menschheit um Gottes willen die-nen. Es wird nicht von uns verlangt, dass wir unseren ganzen Besitz ver-schenken; besser ist es, wenn wir Bedürftige maßvoll unterstützen. Wenn wir einen Teil unseres Vermögens für uns behalten, ihn investieren und mehren, werden wir letztendlich sogar einen noch größeren Beitrag guten Zwecken zur Verfügung stellen können.

Eine Messlatte, mit der wir regelmäßig überprüfen sollten, in welchem Zustand sich unser Herz befindet, ist folgende Frage: Können wir wirk-lich gelassen und mit einem reinen Gewissen behaupten, dass wir dazu be-reit sind, immer dann zu geben, wenn unser Herr uns dazu auffordert oder es uns empfiehlt? Dürfen wir wirklich zu Recht behaupten: „Ja, mein Herr, ich bin bereit zu geben!“? Falls ja, falls unser Herz wirklich nicht an unseren Besitztümern hängt, wird eine Mehrung unseres Wohlstands auch keine ne-gativen Auswirkungen auf uns haben, und dann brauchen wir, so Gott will, auch keine Angst vor dem Leben im Jenseits haben. Wer aber unbedingt ein gedankenloses Leben führen möchte, ohne Glauben oder spirituelles Stre-ben, wer so unklug ist zu versuchen, sein unersättliches fleischliches Selbst zu befriedigen, wird sich dereinst mit dem Kopf im Sumpf wiederfinden.

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LOB UND KOMPLIMENTE

Ein Mann lobte einen anderen Mann in der Gegenwart des Propheten. Der erhabene Prophet sagte zu ihm: Wehe dir, du hast deinem Freund auf den Nacken geschlagen!, wiederholte es mehrmals und fügte dann noch hinzu: Wer von euch seinen Bruder loben möchte, sollte - wenn er wirklich weiß, was er tut - sagen: „Ich denke, dass er so und so ist, Gott allein aber weiß es genau. Ich verbürge mich nicht für sein gutes

Verhalten bei Gott, sondern ich denke, dass es so ist.

(Bukhari, Schahada, 16)

Das Thema Lob und Komplimente ist ohne Zweifel sehr wichtig, deshalb werden wir es im Folgenden eingehender untersuchen. Vor allem werden wir prüfen, welchen Schaden Lob und Kom-

plimente anrichten können, wenn sie dem Gelobten zu Ohren kommen.

אل: و ا ا ر ر אل أ أ ة כ أ ا

אل: ارا כ א כ א כ و

و א وا أ א אه א أ אد כ כאن

כ ذ ا إن כאن ا وכ כ ا أ أ ا أزכ

40

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Wer Lob, Bewunderung oder Verehrung für einen Menschen zum Aus-druck bringen möchte, sollte sich genau überlegen, welche Worte er dafür wählt. Sonst besteht die Gefahr, dass er dem Gelobten ungewollt „auf den Nacken schlägt“, wie es in dem Hadith sehr anschaulich heißt. Der Prophet Muhammad, Gottes Friede und Segen seien mit ihm, machte deutlich, dass es auch ihm selbst untersagt sei, jemanden vor Gott zu loben. Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. Außerdem setzte er Maßstäbe, indem er wie-derholt betonte, dass er kein besserer Prophet als beispielsweise Moses oder Jonas sei; niemand dürfe so etwas behaupten. Folglich sollten aufrichtige gläubige Menschen besonders demütig und bescheiden sein. Wer diesen Grundsatz verinnerlicht, ist vor überzogenen Erwartungen an die Dankbar-keit anderer Menschen, vor der Gier nach Rang und Ansehen und auch da-vor gefeit, Schmeichelei und Heuchelei zu viel Beachtung beizumessen.

Bei anderer Gelegenheit soll der Prophet gesagt haben, dass Verstorbe-ne unter einer allzu ausgeprägten Trauer ihrer nächsten Angehörigen leiden. Diese kann ja durchaus als eine Form der übertriebenen Belobigung be-trachtet werden. Allerding ist man sich hier nicht einig. Aischa, die Ehefrau des Propheten Muhammad, verwies auf zwei Koranverse, die besagen, dass niemand für die Fehler (oder Verbrechen) eines anderen Menschen bestraft wird, und bezweifelte, dass diese Aussage wirklich vom Propheten stammt. Die Gelehrten hingegen bestätigten die Echtheit dieses Hadith übereinstim-mend und erklärten, tatsächlich würden die Toten gestört, wenn die Hinter-bliebenen in übertriebenem Maße um sie trauern und dabei Dinge von sich geben, die möglicherweise nicht mit der Einheit Gottes, Seiner Verfügungs-gewalt und Seiner Macht in Einklang zu bringen sind.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Lob viel Schaden anrich-ten kann, sofern der Gelobte nicht die geistige Reife besitzt, um es richtig einordnen zu können und jede mit dem Lob einhergehende Aufwertung seiner Person weit von sich zu weisen.

Ein sehr uneigennütziger und frommer Mensch, der für seinen Glau-ben viele Beschwerlichkeiten auf sich nahm, pflegte jedes Lob, das ihm ge-macht wurde, mit der Richtigstellung zu erwidern, er trage lediglich dazu bei, ein Fundament zu errichten, auf dem nachfolgende Generationen Gott und den Menschen dienen können. Er tadelte sein fleischliches Selbst (Nafs) und warnte es vor Eitelkeit: „O du meine unaufrichtige Seele, gib dich nicht der Selbstzufriedenheit hin, nur weil du dieser Religion dienst. Manchmal lässt Gott auch eine verlorene Seele die Fackel der Unterstützung und Ver-

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vollkommnung seiner Religion tragen.“ Da wir uns ganz gewiss nicht als unfehlbare, reine Menschen bezeichnen dürfen, sondern davon ausgehen müssen, dass wir jederzeit vom rechten Weg abweichen können, sollten wir unseren Dienst an Gott und den Menschen als Dankesbekundung für all die Gunstbeweise begreifen, die uns zufließen, und darüber hinaus auch als eine selbstverständliche Pflicht. Dann werden wir erst gar nicht in Versuchung geraten, überheblich und unehrlich zu werden.

Die Bläschen an der Oberfläche eines Gewässers glitzern nur, solange sie die Strahlen der Sonne reflektieren. Wenn es dunkel ist oder wenn sie gerade nicht der Sonne zugewandt sind, besitzen sie diese Fähigkeit nicht. Ihr Ver-dienst liegt in der Reflektion des Sonnenlichts, doch können sie nie selbst als Sonne fungieren. Wenn wir Menschen es nun - analog zu diesen Bläschen - unsererseits schaffen, das, was von Gott kommt, widerzuspiegeln, dann dür-fen wir uns glücklich schätzen. Im Grunde genommen ist es doch ganz ein-fach: Unsere Aufgabe und Pflicht besteht in erster Linie darin, Gott zu die-nen. Dabei geht es uns nicht um Komplimente oder Rangstufen, die mit die-sem Dienst verbunden wären. Vielmehr wünschen wir uns, „einer unter vie-len“ zu sein, wie Ali ibn Abi Talib es ausdrückte. Gläubige Herzen finden ih-re wahre Bestimmung in der Gruppe und in einem kollektiven Bewusstsein.

Sterbliche Individuen können keine unsterbliche Wahrheit hervorbrin-gen. Auch wenn sie sich noch so viel Mühe geben, werden ihre Ideale spä-testens mit ihrem Tod sterben. Eine enge Beziehung zu anderen Men-schen ist genauso unverzichtbar wie die spirituelle Verbundenheit mit ih-nen. Wir sollten daher versuchen, uns auf spiritueller Ebene so weit zu vervollkommnen, dass es uns leichtfällt, unsere eigene Person in den Hin-tergrund zu stellen. Demut ist ein Zeichen von Größe, während Arroganz von einem schwachen Charakter zeugt.

Wer sagt: „Ich habe dieses und jenes vollbracht, das ist meine Leistung!“ betreibt damit gewissermaßen Gotteslästerung; denn er huldigt seinem eige-nen Ego, das es doch eigentlich zu überwinden gilt. Wir sollten uns Gott nicht in der Ich-Form präsentieren, sondern in der Wir-Form: als Gemeinschaft. Dafür müssen wir Streitigkeiten vermeiden und selbst die kleinsten Lügen un-terlassen. Es kann nicht oft genug betont werden, wie unbedeutend unsere in-dividuellen Fähigkeiten sind; was zählt, ist die kollektive spirituelle Ebene. Lob und Komplimente dürfen uns weder abheben lassen noch an der Erfüllung un-serer Pflichten hindern. Aber wenn wir uns die hier beschriebenen Grundsätze zu Herzen nehmen, werden wir kaum die Bodenhaftung verlieren.